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Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil

Das Tagebuch eines Gesuchten
von

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Der Brief (2)

Werter John Anderson O’Hagan, Beauftragter der heiligen Mutter Kirche und inquisitorischer Gouverneur der Bereiche Esas, St. Katherine und Otori,
 

Vor einer Woche sollte meine Hinrichtung stattfinden, aber wie unschwer an diesem Schreiben zu erkennen, lebe ich noch immer. Mit Sicherheit freut Euch das ungemein, wenn mir diese Ironie erlaubt ist.

Warum genau meinem Leben noch immer kein Ende bereitet wurde, ist mir nicht klar. Ich konnte nichts in Erfahrung bringen, aber auch dies hier zu erwähnen wird daran mit Sicherheit nichts ändern. Da man mich jedoch sehr - Wie formuliere ich es am besten? – eindringlich darauf hinwies, dass ich meine Geschichte endlich beenden und dem Richter aushändigen solle, nehme ich an, mein Leben wurde dank meines Schriftstückes vorerst verschont. Ist das eine gute oder eine schlechte Tatsache?

Mit Freuden hörte ich, dass Ihr, werter Gouverneur, meinen Brief tatsächlich erhalten habt. Ich hoffe, dass ich bald eine Antwort von Euch erwarten kann. Es würde mich sehr freuen und meine Einsamkeit mildern. Ein letztes gutes Wort unter Freunden, sozusagen.

Was mein Schreiben anbelangt:

Ich gebe offen zu, die Tatsache, dass man mein Werk als lebenserhaltende Maßnahme bezeichnen könnte, kommt mir sehr entgegen. Ich bin mir sicher, Ihr könnt nachvollziehen, dass ich mein Geständnis nun noch mehr ausschmücken werde, als ohnehin schon. Auch wenn ich nicht ansatzweise verstehe, auf welches Geständnis genau der Richter denn wartet. Ich bin zum Tode verurteilt, wieso mich ausschreiben lassen? Wisst Ihr vielleicht etwas darüber?

Wie hat Euch meine Beschreibung von Euch gefallen? Ich finde, sie ist mir sehr gut gelungen. Sehr dramatisch, besonders die Stelle mit dem verfluchten Kapitän. Ein wenig theatralisch vielleicht. Habe ich übertrieben, was meint Ihr? Ich war schon immer ein Freund der Dramatik.

Mir ist bei meinen Worten aufgefallen, dass ich nicht annähernd Kenntnis über Euer Alter habe. Sicherlich wäre es einfach zu unhöflich gewesen zu fragen oder aber ich hatte keine Zeit dazu, während Ihr mich durch die Straßen und über die Dächer habt hetzen lassen. Wisst ihr, ich habe neuerdings aus irgendwelchen Gründen viel Zeit nachzudenken und es gibt viele Fragen, die ich Euch bei einer Tasse Tee gern gestellt hätte, jetzt, im Nachhinein.

Nun, wo ich ohnehin mein Leben gelebt habe, erlaube ich mir diese Frechheiten einfach:

Wie alt seid Ihr, werter Gouverneur? 50? 60?

Ich stellte mir etwas vor, neulich, als ich in meiner Zelle saß – Kaum vorstellbar, aber das tue die meiste Zeit - und die Feder schwang. (Ein recht anstrengendes Unterfangen, wenn man bedenkt, was meine guten Hände während meiner Gefangenschaft mit machen mussten, aber wem sage ich das? Ein weiteres Beispiel für die unwahrscheinliche Intelligenz der Inquisition - denn es kann ja nur fördernd sein, jemandem zwei Finger zu brechen, damit dieser schneller schreibt, nicht wahr? Aber ohne Frage brauche ich das Euch nicht auf die Nase zu binden, mein Freund.) Jedenfalls stellte ich mir vor, wie Ihr an eurem Sekretär sitzt, meine Pergamente auf dem Tisch, mit krauser Stirn, schütterem Haar und düsteren Blick. Vielleicht ein wenig gelangweilt von meinem recht weitläufigen Text vor unserem Zusammentreffen. Habe ich Euch ein Schmunzeln entlockt, als Ihr endlich aufgetaucht seid? Ihr seid so selbstbezogen, sicher habt Ihr es kaum erwarten können und Euch gefreut, wie ein kleines Kind. Wenn ihr überhaupt ein normales, kleines Kind wart. Seid Ihr je ein Kind gewesen, O'Hagan?

Ich muss an dieser Stelle anmerken, dass Ihr sehr selten geschmunzelt habt, in jener Zeit, die wir gemeinsam verbrachten. Gelacht eigentlich auch nicht, eigentlich. Manchmal schon, doch, ich entsinne mich… Aber dann klang es eher wie ein heiseres Husten. Als Ihr vor mir standet und mich auslachtet - oh ja, mir ist, als sei es gestern gewesen statt vor wenigen Monaten - voller Hohn und Spott, schadenfroh... Ich muss ehrlich zugeben, ich vergaß meine Schmerzen in dem Moment, die mich fast umbrachten. Ich empfand Eure Spielchen nicht einmal mehr als Folter, mehr machte ich mir Sorgen um Eure Gesundheit. Ihr habt so selten gelacht und wenn, dann klang es wie kurz vor dem Erstickungstod. Sicher habt Ihr deswegen niemals gelacht, nicht wahr? Es muss schrecklich unangenehm sein, wenn jeder Euch beginnt zu stützen, aus Angst, Ihr könntet nun sterben. Aber das macht nichts, dass Ihr wenig lacht, es stand Euch ohnehin nicht sonderlich gut, im Gegenteil.

Nun, ich befürchte, weitere Ausschweifungen innerhalb eines Briefes an Euch sind nicht gern gesehen und wenngleich ich mein Leben verlängern kann:

Eines mit Bewegungsunfähigkeit und Schmerzen - zumindest mehr, als es sein müssten - ist mir dann doch nicht so recht, wie das eines Mannes, der sich in seinen letzten Lebzeiten noch einmal mit jedem seiner verbrachten Tage befasst. Aus diesem Grund werde ich meine kleinen Sätze an Euch an dieser Stelle beenden. Vorerst. Vielleicht schaffe ich es ja, einen weiteren Brief zu verfassen? Es scheint den Richter zu amüsieren, wenn ich schreibe. Wie sagte er?

"Er will noch mehr Papier? Nur zu, gebt dem alten Halunken, was er will. Es ist einfach zu köstlich, was er von sich gibt!"

Ich fürchte fast, ihr seid nicht sehr beliebt bei ihm, vielleicht solltet Ihr Euch mit ihm gut stellen. Aber was erwartet ihr? Ihr brauchtet fünf Jahre, um einen stinknormalen Verbrecher zu fassen. Irgendwie beschämend, findet Ihr nicht?

Grämt Euch nicht. Es weiß ja nicht jeder Mensch von dieser peinlichen Situation Eurerseits. (Abgesehen von Bürgern der Stadt Annonce, manchen anderen Städten, sämtlichen Richtern, der gesamten Inquisition und einigen Ausnahmen im Schmuggler- und Piraterie-Bereich, sowie sämtliche Kinder - denn man erzählt sich unsere kleine Hetzjagd im Volksmund, soweit ich es hörte.)

Außerdem… Es gibt Dinge, die sind beschämender. Zum Beispiel:

Wusstet Ihr, dass Ihr eine ausländische Vase besitzt, unten, in Eurem Erker? Sie ist rot lackiert und wunderschön, aber wenn Ihr sie von näherem betrachtet, am Boden beispielsweise, dann ist darauf das Siegel von Annonce. Es ist sehr peinlich, dass ein so gutes Stück nichts weiter als eine Fälschung ist und hat mich zutiefst erschüttert. Besonders, als Ihr vor Lady Garolina so stolz die Brust schwelgtet, da sie ja so unwahrscheinlich teuer war.

Wenn Ihr Euch wundert, wo genau ich derzeit war – ich erinnere Euch gern an meinen letzten Brief und meinen durchaus gut gemeinten rat bezüglich eurer Dienstboten. Glücklicherweise war es mir möglich sie über diesen fatalen Fehler eurerseits aufzuklären. Missverständnisse gibt es schließlich überall, nicht wahr?

Ich wünsche Euch für die nähere Zukunft alles Gute – es wäre bedauerlich, wenn Ihr doch noch vor mir sterben solltet. Immerhin habe ich schon meine Willkommensfeier für Euch geplant, wenn Ihr zu mir in die Hölle kommt. Es wäre doch jammerschade, wenn all die Ideen einfach so verloren gehen, nur, weil Ihr erster seid. Findet Ihr nicht, ehrenwerter Gouverneur?
 

Ich verbleibe hiermit,
 

Oliver Sullivan O’Neil.
 

Postscriptum:
 

Ich hörte, Ihr habt Beschwerde eingelegt, da Ihr obskure Schreiben bekommt. Ihr solltet dringend etwas dagegen unternehmen! Ich finde es allzu schrecklich, dass Ihr, der Gouverneur höchstpersönlich, von solch unehrenhaften Personen, die nicht einmal gegenüber solcher Persönlichkeiten wie Euch Respekt zeigen können, belästigt werdet! Wo soll das nur hinführen, wenn dieses armselige Volk nicht einmal dort eine Grenze erkennt? Ich war zutiefst erschüttert, als ich das hörte. Wehrt Euch, O’Hagan, das darf unter keinen Umständen ignoriert werden.

Wo wir bereits bei dem Thema Post sind… Als kleine Nebenaussage möchte ich anmerken, dass die Briefkosten zu Euch wirklich unerhört überteuert sind. (Es könnte daran liegen, dass es nicht erlaubt ist, Briefe zu schreiben, weswegen ich ohnehin sehr viel zahlen muss. Und viel besitze ich nicht mehr, wisst Ihr?) Auch das solltet Ihr dringend versuchen zu ändern. Ohne Frage wärt Ihr bald sehr enttäuscht, würden Euch keine Briefe mehr erreichen.

Hat der Bote - der mir freundlicherweise hilft, Euch zu schreiben - doch tatsächlich noch mehr Geld abverlangt als ohnehin schon? Er behauptet doch wahrhaftig, eure Diener würden die Schreiben nur gegen hohe Beträge annehmen, da sie Euch aufregen würden. Wie lächerlich!



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Momachita
2013-03-21T08:42:27+00:00 21.03.2013 09:42
Einen Blick auf den Kommentar unter mir werfend, kann ich diesem nur zustimmen!
Und ich meine, mich daran erinnern zu können, dass ich es schon beim ersten Brief beachtlich fand, welchen Wandel Son bis zu diesem Zeitpunkt bereits durchgemacht hat. Zu was für einer Person er geworden ist.

Den Brief nach dem ersten Treffen anzusetzen, musste natürlich sein. Und es ist einfach schön, diese direkte Gegenüberstellung von Son damals und Son heute (also ausgehend von der Zeit, in der er den brief schreibt, versteht sich) zu sehen.
Allerdings muss ich auch sagen, dass ich ganz froh bin, dass dieses Brief-Kapitel so kurz ist - denn so kann man jetzt schnell weiterlesen!

Von:  KasibaldHorizon
2012-01-21T21:41:24+00:00 21.01.2012 22:41
Erstaunlich, der Unterschied zum damaligen (für mich noch jetzigen)und heutigen (also zukünftigen) Son!:D
Amüsierend war es auch, dass Son so gekonnt mit ihm spielt und deutlich über O'Hagan steht, auch wenn er im Gefängnis sitzt und ihm die Hinrichtung droht. xD


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