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Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil

Das Tagebuch eines Gesuchten
von

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Ein gut gemeinter Rat

Black hatte mich angestarrt, aber keinen Ton zu meinen Verletzungen gesagt. Wahrscheinlich ging er davon aus, dass ich wieder mit einem der Matrosen Streit angefangen hatte.

Dann gingen wir an Deck. Es herrschte helle Aufregung. Alle standen an der Reling und starrten dem Land entgegen, das man im Krähennest gesichtet hatte. Ein paar Möwen sammelten sich über unseren Köpfen, kreischten laut nach Aufmerksamkeit und Brot und weit hinten am Horizont baute sich das ersehnte Ziel vor uns auf.

Eine kleine Insel ragte aus dem Wasser, als würde sie durch unser Näher kommen aus den tiefen des Ozeans empor steigen. Umso näher wir kamen, desto mehr erkannte ich die Umrisse etlicher Riffe und Klippen, die unglaublich weiß funkelten, durch die starken Brecher und Wellen, den Meeresschaum und den Gischt, der in alle Richtungen schlug und zerstäubte, wie Schnee. Meterhoch ragten die Wassersäulen hinauf, klatschten gegen die Felsen und stürzten hinab in die Tiefe, während sich bereits die nächste Wand auftat. Rechts und links ragten die felsigen Kolosse empor, in der Mitte lag eine Bucht. Mein Herz pulsierte und ich vergaß sogar Kai. Land...endlich!

Hinter den steinigen Klippen erstreckte sich eine Welt aus grün, bestehend aus Wäldern und stark bewachsenen Bergen, zwei Stück, der rechte größer als der linke. Ich erkannte, würde man den Klippen steuerbord folgen, würde man an einen riesigen, langen und schneeweißen Strand kommen. Steuer- und Bootsmann begannen wild umher zu rennen und die Männer vom Starren abzuhalten, damit sie die Segel einholten und dann setzten wir den Anker. Die Insel war noch immer weit entfernt, dennoch konnte ich das Toben der Wellen hören und das Getose, als würden tausende von Pauken schlagen. Es klang wie Musik in meinen Ohren.

Black stand unmittelbar neben mir und grinste, als er meine großen Augen sah. Tatsächlich hatte ich nie einen anderen Teil der Welt gesehen als Annonce und dieses riesige, neue Stück Land war völlig überwältigend für mich.

„Aye.“, brummte er und legte mir die Hand väterlich auf die Schulter, aber ich merkte es kaum, so sehr war ich in Erstaunen gesetzt. „Das ist Niemandsland.“

„Niemandsland?“, wiederholte ich verwirrt und sah ihn an. „Davon habe ich nie gehört.“

„Aye, davon hat nie jemand gehört.“, Black lachte, als hätte er einen Witz gemacht und selbst sein Lachen klang harmlos im Vergleich zum Getose und Donnern weit entfernt. „So nennt man jene Inseln, welche noch keinem Kaiser oder König gehören. Niemandes Land, Niemandsland.“

„Ich verstehe.“, flüsterte ich und starrte wieder zu der für mich völlig neuen Welt. Ein Land, das niemandem gehört. Nie hätte ich zu träumen gewagt, dass es so etwas überhaupt noch gab!

Als ich mich abwandte, um nach Arbeit zu fragen, stockte ich. Man hatte die Flagge St. Katherines, eine blutrote mit einem schwarzen Pferd umgeben von weißen Sternen, eingeholt. Zwei Matrosen kämpften gerade damit, sie zusammen zu falten, dann hob ich den Blick. Ungläubig öffnete ich den Mund, als ich erkannte, welche neue Flagge gehisst wurde: Der Jolly Roger. Wir mussten uns wirklich weit entfernt von anderen Inseln oder Schiffen befinden, wenn sie sogar dazu stehen konnten, dass sie Piraten waren. Als ich Black ansah lachte er nur und klopfte mir auf die Schulter, ehe er hinkend unter Deck in die Küche ging, um ein Festmahl vorzubereiten.
 

Wir blieben noch weitere, etliche Stunden an Bord und Black hatte Recht gehabt, ich konnte es kaum noch erwarten den Sand unter meinen Füßen zu spüren. Ich war in der Küche kaum zu gebrauchen. Die ganze Zeit über saß ich am Tisch und schälte Kartoffeln, so intensiv, dass die Schalen fast einen Zentimeter dick waren. Irgendwann nahm er mir das Messer weg und wies mich an den Topf zu beobachten, als sei ich ein kleines Kind, das beschäftigt werden musste, aber viel zu jung war für Küchenarbeit. Ich gehorchte ohne Murren, dennoch war ich nervös und zappelte ununterbrochen mit dem Bein. Ich wollte an Land, irgendwie. Eine völlig neue Insel, völlig neue Vegetation, ohne Frage mit neuen Tieren und vielleicht fremden Zivilisationen. Ich erinnerte mich an die Geschichten, die Bruder Markus und ich uns gegenseitig erzählt hatten. Von Kannibalen, Eingeborenen. Ob es im „Niemandsland“ solche Wesen gab? Man stelle sich nur vor, ich würde es schaffen dort zu leben. Ich könnte vielleicht eine Art Gemüse anpflanzen oder jagen oder fischen. Ich müsste gar nicht mit zurück an Bord, sollten sie mich ruhig dort aussetzen! Gott gibt uns jenes, was wir zum leben brauchen, ist es nicht so? Und tatsächlich malte ich mir im Kopf aus, wie ich eine Hütte baute, ein Netz knüpfte oder einen Speer anspitzte.

Aber nicht nur das machte mich nervös, ununterbrochen kreisten meine Gedanken um Kai und noch immer spürte ich ein leises Zittern in mir, denn allmählich wich die Aufregung wieder meinem Erlebnis. Der Schock lag mir tief in den Knochen und mich plagte die Furcht, was passieren könnte, wenn sie ihn entdeckten. Würden sie mich dafür verantwortlich machen? Und wenn ja, würde Black mich decken?

Ich hörte kaum zu, während Black mir Gemüse schneidend erklärte, dass wir warteten, bis der Tidenhub zu unseren Gunsten stand. Dann würden die Männer mit Booten an Land roojen, einiges an Waren abladen und anschließend gäbe es eine kleine Feier oben an den Klippen. Er ließ sich groß darüber aus, dass das ein Spaß werden würde und er eine köstliche Suppe machen wird, die wunderbar zu dem Ziegenfleisch passt. Irgendwann dann begann er ernster zu werden und sprach über den Schlüssel. Erst da wurde ich dann endlich hellhörig und drehte mich zu ihm.

„Er, Son, wird den Schlüssel besorgen und dann hiermit ein Zeichen geben.“, und mit diesen Worten warf Black mir etwas zu. Ich fing es erschrocken auf und zuckte zusammen, als ich einen leichten Schmerz in meiner Fingerkuppe verspürte. Verwirrt betrachtete ich die Spiegelscherbe, die mich geschnitten hatte.

„Eine Scherbe?“

„Aye.“, er brummte und widmete sich wieder seinem Gemüse. „Ich werd an der Klippe sitzen, er leuchtet mir zu. Und dann schick ich ihm einen Mann, der ihn an Land holt.“

„In Ordnung.“, ich musterte das dreieckige Glasstück abermals, dann steckte ich es mir in die hintere Hosentasche. Mir wurde mulmig. Wenn man mich erwischte, dann war es ohne Frage aus mit mir. Aber ich hatte keine andere Wahl und mittlerweile war es eine Sache des Stolzes. Kai hatte verhindern wollen, dass ich diese Aufgabe erledige und nun wollte ich es allein aus Trotz heraus dennoch tun. „Und dann?“, ich sah Black fragend an, aber er würdigte mich keines Blickes, sondern befasste sich nur mit seinem Schnittlauch. „Was mache ich dann?“

„Aye, dann ist er an Land. Man wird ihm den Schlüssel abnehmen, diesen zu mir bringen und ab dort hat er freie Fahrt.“

„Freie Fahrt?“, wiederholte ich. „Ich kann tun, was ich will?“

„Aye.“

„Aber wie komme ich zurück aufs Schiff?“, verwirrt sah ich ihn an und er blickte auf.

Das Schiff schwankte kurz und die Pfannen an der Wand klapperten laut und in verschiedenen Tönen, als wären sie ein altes und kaputtes Glockenspiel. Blacks Grinsen verunsicherte mich.

„Möchte er denn zurück?“

„Ihr sagtet, ich würde verhungern.“

„Aye, ein Mann würde verhungern, aber ein Mann wie er? Es ist Niemandsland, es gibt Süßwasser, Ziegen und Früchte. Selbst im Winter ist es warm und selten gehen Matrosen an Land. Er hat Pfiff, ohne Frage und vielleicht würde er dort leben können.“

Ich starrte Black an, dann sah ich zum Fenster hinaus, wenngleich ich nichts sehen konnte außer blau. Sogar Black war die Idee gekommen, dass ich dort allein leben könnte, also war es vielleicht doch keine unrealistische Träumerei gewesen.

Er schwieg und ließ mich nachdenken und so versank ich erneut in meinen Fantasien. Ich sah mich in meiner Hängematte zwischen zwei Bäumen liegen, neben mir eine Ziege, ein Krug Ziegenmilch, ein Korb Früchte… Hinter mir lag ein kleines Haus aus dessen Schornstein Rauch in den Himmel zog und nebenan lag ein Stall mit großen, dicken Schweinen.

Doch dann begann ich intensiver nachzudenken. Ich stellte mir vor, wie ich dieses Haus bauen musste und versagte bereits an der bloßen Vorstellung, Steine oder Baumstämme besorgen zu müssen. Dann dachte ich darüber nach, dass ich Krüge anfertigen müsste oder Obstkörbe, Ziegen fangen und zähmen, melken, ja sogar die Werkzeuge dafür musste ich selbst irgendwie bauen. Äxte, Hammer, Eimer, Hocker, Tische…

Ohne Frage war dies alles möglich, aber auch für mich? Und das erste Mal im Leben verfluchte ich meine Faulheit im Kloster. Hätte ich dort an der Arbeit teilgehabt, wüsste ich, wie man Ziegen molk und würde nicht in Gedanken vor spitzen Hörnern wütender Böcke davon rennen. Und wenn ich auf die Ziegenmilch verzichtete?

Doch bei dem Gedanken sie jagen, häuten und ausweiden zu müssen schüttelte es mich erneut und leicht angewidert starrte ich Black an. Wie kam dieser alte Idiot nur auf die Idee, ich würde allein auf einer Insel verrotten wollen?! Und genau das sagte ich ihm auch:

„Niemals, das kann nicht Euer Ernst sein! Ich! Allein auf einer Insel?! Nicht einmal im Traum!“

Und Black lachte, als hätte er meine Gedanken erraten, so dass ich leicht rot wurde.

Wir schwiegen eine Zeit und ich sah dem alten Smutje zu, wie er nach hier und nach da hüpfte und geschwind die zauberhaftesten Essen aus den widerwärtigsten Zutaten zustande brachte. Fast hatte er es schon wieder geschafft, mich zum schweigen zu bringen, doch da fragte ich erneut: „Black, wie komme ich wieder an Bord?“

Er lehnte die Krücke an die Wand und setzte sich mühsam auf einen der Schemel, dann ließ er seinen Hut auf den Tisch fallen. Unaufgefordert folgte ich und ließ mich auf den zweiten Hocker sinken.

„Aye… Nun, wenn er denn wieder an Bord will, dann soll es ohne Frage so sein. Gewiss werden wir mit mehreren Booten an Land gehen, mein Wort darauf. Soll er eben in eines jener ohne Wilkinson steigen.“

„Und das geht gut?“, ich sah ihn skeptisch an und wieder grinste er verschwörerisch.

„Es muss, sonst ist er Fressen für die Fische.“

Und diese Antwort musste mir wohl genügen. Eh ich ihn weiter befragen konnte kam der Bootsmann herein und befahl uns schroff an Deck zu kommen, für die weitere Planung. Seine miese Laune warnte uns bereits vor den Unruhen und als wir dem Befehl nachgingen standen wir einer Meute ungeduldiger und entnervter Matrosen gegenüber.

Wie verlangt sammelten wir uns um den Großmast herum und sahen hinauf zu Wilkinson. Dieser stand am Oberdeck, seinen mächtigen, blauen Hut fest auf dem Kopf und die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Unmittelbar neben ihm stand Robert und begann die Befehle hinaus zu brüllen. Sofort war es still.

„Wir sind derzeit 48 Männer, 12 haben auf dem Weg hier ihr Leben oder ihre Ehre verloren, wenn ihr verfluchten Hunde überhaupt jemals welche hattet! Selbstverständlich werden nicht alle gleichzeitig an Land gehen können!“, die Matrosen stöhnten auf oder stießen Flüche aus, aber als Robert laut aufbrüllte verstummte jeder sofort wieder: „Ruhe ihr verdammten Schweine! Wir werden euch aufteilen, die eine Hälfte übernimmt die Schiffswache, die andere, größere Hälfte, geht an Land und hilft beim Verlagern der Waren! Sechzehn Mann pullen mit den Booten, der Rest verstaut oder trägt zum Versteck! Und jetzt stellt euch in vier Reihen auf ihr vermaledeiten Bastarde und hört auf zu murren, sonst setzen wir euch aus!“, sein hasserfüllter Blick ging über Deck und leise flüsternd und knurrend taten die Matrosen, wie geheißen. Es dauerte einige Zeit, bis sich alle in Vier Reihen aufgestellt hatten. Auch Black und ich reihten uns ein, er direkt hinter mir, vor mir zwei, drei Matrosen und anschließend Tom. Ich erkannte ihn aufgrund seiner Größe und ich sah, wie er einem der Männer auf die Schulter klopfte. Es kam mir seltsam vor.

Robert kam vom Oberdeck und lief düster durch die Reihen. Wahllos tippte er einige der Männer an und befahl mal „Du an Land!“ oder „Du hast Wache!“ Er wies mehrere an, sich zu den Booten zu begeben, andere sollten ins Lager gehen und die Kisten rauf holen. Mir fiel auf, dass jene, die leise miteinander tuschelten an Land geschickt wurden, ebenso Tom und derjenige, welchem er auf die Schulter geklopft hatte. Robert hatte mit den Meuterern zu tun, das war offensichtlich. Als er bei mir ankam, dem Vorletzten, wandte er sich zuerst an Black.

„An Land.“, brummte er düster. Black zog den Hut und grinste breit.

„Aye, wenn der Käpt’n das so will?“, und seine Stimme wirkte höhnisch auf mich.

Dann wandte Robert sich an mich. „Du hast Wache, Son.“

„Aye.“, ich versuchte möglichst gleichgültig zu wirken. Niemand sollte merken, dass es mir etwas ausmachte.

Doch das war nicht alles, das der Maat zu mir sagte. Robert wollte schon abdrehen, da hielt er inne und sah mich noch einmal direkter an. „Was ist mit deinem Gesicht passiert?“

„Eine Prügelei, Sir.“

„Mit wem?“

Zögern. Ich registrierte, dass nicht nur Black und Robert mich ansahen, sondern auch einige umstehenden Matrosen mich beobachten – ebenso wie Wilkinson. Ich straffte die Schultern etwas und sah Robert bewusst gleichgültig in die Augen. „Ich weiß es nicht, Sir.“

Robert zog eine Augenbraue hoch und ich war unsicher, ob es ungläubig oder spöttisch gemeint war. „Du weißt es nicht, Mann?“

„Es war dunkel.“, da mir niemand meine Lügengeschichte abzukaufen schien fügte ich mit einem entschuldigenden Lächeln hinzu: „Schade. Wenn ich nicht so ein Schwächling wäre, dann könnte man ohne Frage den Angreifer am blauen Gesicht erkennen. Aber leider komme ich ja nicht mal gegen einen kleinen Jungen an, wenn er betrunken ist.“

Das brachte Robert zum schmunzeln und mit dem Satz: „Lass dich vom Feldscher untersuchen.“, wandte er sich ab und ging.

Ich salutierte leicht und wollte bereits zurück in die Kombüse, als Black mir vertraut wie eh und je den Arm um die Schulter legte um mich zu begleiten. Ich konnte ihn nicht abweisen und so ließ ich mich als Stütze missbrauchen, während er hüpfte und hinkte und leise zischte:

„Es war dunkel, aye?“

„Aye.“, wiederholte ich lediglich. „Es war dunkel.“

Kopfschüttelnd und grinsend begab er sich geduckt zurück in die Küche.
 

Black und ich kochten die feinste und beste Suppe, die ich jemals in meinem Leben gegessen habe. Wir benutzten dafür allerhand Kräuter, die mir völlig unbekannt waren und wir kochten so viel, dass wir letzten Endes ein ganzes Fass damit füllen konnten. Dieses sollte später mit an Land genommen werden, ebenso wie mehrere Fässer Rum. Ohne Frage würde es eine sehr große Feier geben und ein wenig betrübt wurde ich schon, da ich nicht daran teilhaben konnte.

Während der ganzen Arbeit schwiegen wir, zu meiner Erleichterung, denn ich hätte ihn nicht belügen können. Black war der Charakter von Mensch, dem man nichts vormachen konnte. Selbst wenn ich lügen wollte, er hätte mir sowieso nicht geglaubt und mich durchschaut. Generell schien er stets den Überblick zu haben und zu wissen, was vor sich ging. Er wirkte stets wie jemand, der informiert war. Wenn es Streit an Bord gab, dann wusste er das. Wenn es Probleme im Lager gab, dann ebenso. Es wirkte fast, als wäre er stets überall, ein Teil des Schiffes. „Inventar“, wie Wilkinson zu sagen pflegte. Und genau das ließ mich in seiner Gegenwart nervös werden.

Jede Sekunde rechnete ich damit, dass er mich aus heiterem Himmel ansprach und nach Kai fragte. Grundlos, ohne jede Vorwarnung, wie es seine Art war. Und allein, dass er das nicht tat, verunsicherte mich noch mehr. Zudem stieg meine innere Angespanntheit. Würden sie auch die Kiste an Land bringen? Würden sie hinein sehen? Und wie würden sie auf Kai reagieren?

Robert hatte mein blau geschlagenes Gesicht gesehen und ich konnte nur hoffen, dass ich zu unwichtig für ihn war, als dass Kais Anblick mich in seine Erinnerung zurück rufen konnte.

Als wir fertig waren setzte Black sich wieder auf seinen Schemel und streckte sein Bein aus. Es wirkte für einen kurzen, winzigen Augenblick, als hätte er Schmerzen, aber ich ignorierte es und wollte die Kombüse verlassen: Zu Spät.

Die kurze Sekunde, diee ich benutzt hatte, um wie so oft über sein fehlendes Bein nachzudenken war mir zum Verhängnis geworden. Ein dunkles „Son.“ durchdrang die Stille und unwillig drehte ich mich zum Seebären zurück. Er deutete mir mit der Hand, dass ich mich neben ihn setzen sollte. Sein Blick war anders als sonst. Lächelnd, aber zugleich ernst und bestimmend.

Mit einem Mal begann mein Herz intensiv zu rasen und ich hatte das Bedürfnis hinaus zu rennen. Stattdessen blieb ich einige Sekunden stehen, nickte und setzte mich gehorsam zu ihm. „Was ist damit?“, er nickte zu meinem Gesicht und sah mich forschend an. Ich versuchte seinem Blick bewusst nicht auszuweichen.

„Eine Prügelei.“

„Aye…“, Black schwieg und sah vor sich auf den Tisch. Er musterte seine Hand, ich folgte seinem Blick. Da er gekocht hatte, hatte er den schwarzen Lederhandschuh ausgezogen und man sah gebräunte Haut, etwas heller jedoch als sein Gesicht und kaputte, dunkle Nägel. Wie die Hände jedes Seemanns waren auch die seinen vom Leben des Meeres gekennzeichnet. Etliche kleine Narben zogen sich über seine Handflächen, kreuz und quer, fast wie eine Landkarte. Unbewusst versuchte ich zu schätzen, wie viele es waren aber es war schwer, denn ich konnte nicht einmal mehr unterscheiden, welche der Furchen Spuren seines Lebens und welche ganz natürlicher Art waren. Als ich nach einigen Sekunden wieder aufsah zuckte ich leicht zusammen, denn er starrte mir direkt in die Augen. Es schien fast, als hätte er mich bei meinen neugierigen Blicken beobachtet und um seinen Mund zog sich ein leichtes Schmunzeln. Was dachte er, wenn er mich so ansah? Versuchte er meine Gedanken zu lesen oder hatte er sie bereits erraten? Black nahm seinen Hut ab und legte ihn zwischen uns auf den Tisch, ohne mich aus den Augen zu lassen. Dann nickte er und sah zur Tischplatte.

Ich folgte seinem Blick. Ich fühlte mich unwohl. Er hatte mich gebeten, mich zu ihm zu setzen und nun schwieg er mich an. Was sollte das? Wollte er, dass ich ihn frage? Den ersten Schritt mache? Oder sollte ich mich unsicher fühlen, nervös werden?

Ich beschloss direkt zu sein.

„Ihr wollt mit mir reden?“, er sah nicht auf und wiegte den Kopf.

„Aye, so könnte man es nennen.“, als er aufsah war sein Blick leicht traurig. „Son. Er muss vorsichtig sein. Der alte Black hat alles versucht und gewiss steht er vorne dran, darauf kann er sich verlassen. Aber auch der, der Herr der Segel ist, bestimmt niemals den Wind, mein Junge.“

„Ich verstehe nicht.“

„Aye…“, er sah wieder zum Tisch. Black schien nachzudenken. Als er wieder aufsah beugte er sich leicht vor. Ausnahmsweise roch sein Atem nicht nach Rum und das verunsicherte mich noch mehr. „Er soll vorsichtig sein, mehr will der alte Black nicht sagen…“, und dann schlug er mit der Hand zwei Mal sanft gegen meine blaue Wange. „Das passiert nicht grundlos im Dunkeln, aye?“

„Ich habe nichts getan.“, verteidigte ich mich und drehte den Kopf weg. „Und ich weiß wirklich nicht, wer das war.“

„Und wo ist Kai der bescheuerte Halunke?“, ich sah ihn düster an, aber sein Blick verriet weder Drohung noch Anklage. Black starrte mir in die Augen, dann fasste er mir an die Schulter und zog mich leicht zu sich. „Ich will ihm nichts Böses, mein Wort darauf, er weiß das gut genug, aber er weiß es nicht ernst zu nehmen, so scheint mir!“, ich wollte mich lösen, doch Black fasste mich fester und schmerzhaft. Widerwillig blieb ich vorgebeugt direkt vor seinem Gesicht und starrte ihn an. Seine Augen nahmen einen düsteren Ausdruck an, während er zischte: „Son, Junge, zuhören! Hinter mir stehen so einige und die meisten sind nicht gut auf ihn zu sprechen, oh ja, das kann er mir glauben. Aber der alte Black gibt sein Bestes, dass er und ich hier heil heraus kommen und er sollte auch sein Bestes dazu tun, statt dagegen.“

„Dass ich nicht lache…! Ihr habt mich in diese Sache hinein gezogen, Ihr allein tragt Schuld daran! Hättet Ihr mich nicht zu Blackborn geschickt, dann-…!“

„Nein, Son, nein.“, sein Griff wurde fester und schmerzverzerrt ruckte ich an meiner Schulter, aber er wollte einfach nicht los lassen. „Der alte Black wusste, dass Blackburn schanghait, aye, aber nicht, dass der alte Wilkinson ihn kaufen würde! Seit fünf Jahren segele ich unter diesem Mann, aber nie hat er Geschäfte mit dem Pudergesicht gemacht, das kann er mir glauben!“

„Ich glaube es aber nicht und jetzt lasst mich los!“, ich ruckte erneut und als ich los war, stand ich auf, doch er fasste mich so hart am Handgelenk und riss mich zurück auf den Platz, dass ich zusammen zuckte. Wieder umfasste er mich, kühl und drohend und völlig ruhig. Ich hielt seine Hand und wollte sie lösen, doch er weigerte sich den Griff zu lockern und riss mich wieder ganz nah an ihn ran. Es schmerzte.

„Er soll mir zuhören, verdammt noch mal!“, zischte er leise und verhängnisvoll.

„Sprecht, aber lasst mich los oder ich werde keines Eurer Worte beachten!“

„Das werden wir sehen…!“, ich stieß scharf die Luft zwischen den Zähnen aus, als Black fester zudrückte und seine Augen grinsten leicht höhnisch. „Er muss noch viel lernen, Son, sehr viel…“

„Was wollt Ihr?!“, zischte ich zurück.

„Aye… Ich werde an Land gehen, mit den anderen und er ist nicht dumm, er weiß was hier gespielt wird. Er lauscht nicht umsonst in Lagerräumen, dieman nicht betreten darf.“

„Ihr wusstet, dass ich-…?“, ich stöhnte vor Schmerz auf, als er mich ruckartig zum Schweigen brachte und zwangsweise musste ich gebeugt den Kopf heben, um ihn anzusehen. Noch ein wenig mehr und mein Handgelenk würde wohl knacken.

„Allein dafür sollte man ihn schon auspeitschen, aber der alte Black wird hier ja nicht gefragt!“, zischte er mir zu und sah kalt auf mich hinunter. „Er kann von Glück reden, dass keiner dieser Idioten ihn bemerkt hat! Dass Kai zurückgegangen ist, ist unpraktisch, aber nicht bedauerlich… Aber er sollte sich hüten noch mehr Probleme zu machen! Son, Junge, es ist nichts Böses, Hand ins Feuer dafür, wenn man so will. Aber der alte Black bürgt für ihn und sollte er etwas anstellen, liefert er uns beide ans Messer, ihn und mich!“

„Ich habe Euch nie gebeten, mich in diese Sache hinein zu ziehen…!“

„Es ist nur zu seinem Besten. Er ist hier nicht angesehen und diese kleine Unterstützung seinerseits wird ihm so einiges an Respekt einbringen.“

„Verkauft mich nicht für dumm! Ihr wart es doch, der die Matrosen auf mich gehetzt hat!“

Black grinste. „Er hat Pfiff.“, doch dann wurde er wieder ernst und damit sein Griff wieder deutlich fester. Ich wimmerte leise auf, sank zu Boden und umklammerte meinen Arm, ängstlich, dass er mir das Handgelenk brechen könnte. Black beugte sich vor und zischte mir drohend ins Ohr:

„Es tut mir leid, Son, und das sage ich ihm in vollem Ernst. Ich mag ihn, er ist mir sympathisch, aber sollte er uns weiter behindern, statt sein Bestes dazuzutun, dann wird das Konsequenzen für ihn haben, die ich nicht verhindern kann, selbst wenn ich wollte.“

„Lasst mich los, Ihr tut mir weh, verdammt…!“ Ich hielt den Schmerz kaum aus, aber er fuhr ungerührt fort:

„Er hat gehört, was die Idioten vom alten Black behaupten. ‚Mit jedem Bein in einer Partei’ sagen sie. Aye, wenn etwas schief geht, sind wir dran, er – Son - und ich. Und der alte Black hat nicht fünf Jahre seines Lebens mitgespielt, damit es aus ist wegen ihm, das soll ihm gesagt sein. Und noch etwas soll ihm gesagt sein!“, er zog noch fester an und verzweifelt legte ich die Stirn auf meinen Arm und kniff die Augen zu. Ich biss die Zähne so stark zusammen, um nicht erneut zu wimmern, dass mein Kiefer zu schmerzen begann. „Ich habe ihn im Auge, sehr gut sogar und ich sehe alles, was er treibt und er soll nicht denken, dass er allein auf dem Schiff ist. Ich passe auf Son, mein Wort darauf…!“

Dann, endlich, ließ Black mich los. Erleichtert sackte ich in mich zusammen und umklammerte meinen Arm. Er beachtete mich nicht, sondern setzte sich den Hut auf und griff nach seiner Krücke. Ächzend erhob Black sich und sah auf mich herunter. Ich sah nicht auf. Ich hatte Schmerzen und ich war so wütend, dass es mir fast Tränen in die Augen trieb. Wütend auf ihn und wütend über meine Schwäche. Gedemütigt und mit gesenktem Kopf blieb ich hocken und bekam mit, wie der Mann mir auf die Schulter fasste. Er schien einige Sekunden zu überlegen, ob er etwas sagen sollte, aber er schwieg, ließ mich und dann ging er hinaus. Ich hörte, wie sein Holzbein bei jedem Schritt klackte, dann wie die Treppe unter seinem Gewicht knarrte. Kurz wurde es dämmrig im Raum, als sein Körper das Sonnenlicht am Eindringen hinderte, dann war ich allein. Als ich aufsah war die Kombüse leer und die Pfannen klapperten leise unter den Bewegungen.

Ich wollte ihn verfluchen für dir Schmerzen die ich hatte und auch für seine grobe Art, mit mir umzugehen, aber ich tat es nicht sondern starrte ihm finster nach. Es war eine Warnung gewesen und vielleicht war sie gut gemeint – vielleicht hatte er aber auch nur Angst, ich würde ihn in Schwierigkeiten bringen. Die Tatsache, dass von meinem Handeln auch sein Leben abhing beruhigte mich etwas, wenngleich sie auch nichts Gutes verhieß. Denn wenn ich sterbe, dann war er ohne Frage ein Risiko los. Allerdings durfte ich erst dann sterben, wenn er den Schlüssel hatte, denn scheinbar hatte er sein Wort gegeben, dass ich ihm diesen besorgen würde. Somit konnte ich, zumindest bis die Sache mit dem Schlüssel erledigt war, ohne Angst leben, plötzlich ein Messer im Rücken zu haben.

Aber wie stand Black wirklich zu mir? War ich ihm wirklich sympathisch, oder wollte er mich nur benutzen so viel es ging?

Die Tatsache, dass er mich im Lagerraum nicht verraten hatte, sprach für ihn.

Dass er allerdings hatte Kai zurück gehen lassen gegen ihn.

Ich richtete mich auf und rieb mir das Handgelenk. Es schmerzte stark, wenn ich die Hand bewegte und ich konnte nur hoffen, dass dies mit der Zeit wieder nachlassen würde. Jede noch so kleine Schwäche könnte mir in den nächsten Tagen zum Verhängnis werden und ich hatte nicht vor, für meine Feinde ein leichtes Opfer zu sein. Ian hatte ich abgewehrt, Kai war gestorben. Es erfüllte mich mit Stolz, dass ich noch immer lebte und ich war voller Zuversicht, was die Zukunft anging – aber nicht, wenn ich nur einen Arm hatte.

Wie von Robert befohlen begab ich mich zum Feldscher, wenn auch erst nach einigen Minuten, die ich schweigend und nachdenkend in der Kombüse verbracht hatte. Ich wollte unter keinen Umständen Black begegnen. Seine Einschüchterungsversuche demütigten mich und ich wollte ihm möglichst nicht mehr in die Augen sehen und an meine permanente Schwäche erinnert werden. Zu meiner Erleichterung wurde meine Hand lediglich in einen Verband gewickelt, der so locker war, dass er mich nicht ansatzweise an Bewegungen hinderte. Allerdings war der Feldscher mit meinem Kopf nicht ansatzweise zufrieden. Die Platzwunde von Kais Stoß gegen die Wand bereitete ihm Sorgen, da ich ja ohnehin „eine Schädigung“ hatte und er fragte mich darüber aus, ob ich in letzter Zeit Halluzinationen, Angstzustände oder Melancholieleiden hatte. Anscheinend ging er davon aus, ich hätte mir diese Verletzung selbst zugefügt. Zu seiner Erleichterung verneinte ich alles, denn ich wollte auf keinen Fall irgendwelche Drogen nehmen – es würde sicherlich auch ohne Medikamente schwer werden, in die Kajüte des Kapitäns zu kommen. Als ich genügend untersucht und befragt worden war und zurück an Deck trat, herrschte reges Treiben. Man hatte die Boote hinunter gelassen, gefüllt mit Fässern und Kisten, bereit für die erste Fahrt zur Insel.

Es war so weit…



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Momachita
2012-08-23T06:58:08+00:00 23.08.2012 08:58
Dieser ausgefuchste Black...
Von Kapitel zu Kapitel werden seine Handlungen undurchsichtiger und sein Charakter rätselhafter. Man weiß einfach die ganze Zeit über nicht, was dieser Kerl von einem, oder genauer gesagt von Son, will.
Was wieder nur beweist, wie gut du den Leser mithilfe deines Protagonisten und seiner Erzählweise durch die Geschichte zu führen weißt.
Ich bin einfach mehr und mehr begeistert und habe wirklich Sorge, mich nur noch zu wiederholen.
Am besten also ich nutze die Zeit, die ich noch habe an diesem Morgen, und widme mich gleich dem (unheilvollen) 13. Kapitel.


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