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Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil

Das Tagebuch eines Gesuchten
von

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Der Brief (1)

Werter John Anderson O’Hagan, Beauftragter der heiligen Mutter Kirche und inquisitorischer Gouverneur der Bereiche Esas, St. Katherine und Otori ,
 

mit Freuden stellte ich fest, dass Ihr das Anliegen gegenüber meinem Richter geäußert habt, dieses Schreiben, welches ich in meinen letzten Lebtagen verfasse, selbst lesen zu können.

Aus zuverlässiger Quelle weiß ich, dass Ihr dem nachgehen könnt, aus diesem Grund möchte ich an diesem Punkt meine kleine Lektüre unterbrechen, um Euch eine persönliche Mitteilung zu schreiben.

Wie verlangt schreibe ich mein gesamtes Leben nieder, damit das hohe Gericht sich ein besseres Bild von mir und meinem Handeln machen kann. Da ich nur noch eine Woche habe ehe mein Urteil vollstreckt wird, muss ich mich leider kurz fassen, aber Ihr kennt mich… (Keiner kennt mich besser, als Ihr!)

…ich kann nicht einfach in Stichpunkten nieder legen, was fünf Jahre meines Lebens ausmachten. Ich muss es ausschmücken, formulieren, verfeinern…

Wie Ihr sicherlich gemerkt habt, begann ich mit meiner; man könnte es so nennen; Biografie kurz nach meinem Verlassen des ehrenwerten Klosters. Das hat auch seine Gründe, denn um mein Handeln vor dreiunddreißig Tagen nachvollziehen zu können, ist es wichtig, mich und mein Wesen zu verstehen.

Werter Herr, ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass es Euch herzlich wenig interessiert, was ich dachte, fühlte, oder wollte, dennoch möchte ich Euch mit meinem bescheidenen Dasein ein wenig intensiver konfrontieren… (Das macht Euch doch nichts aus?"

Wie ich Euch kenne, werter O’Hagan - und ich meine, Euch sehr gut zu kennen, vielleicht besser, als Ihr Euch selbst - seid Ihr sehr intensiv dabei, dieses kleine Werk hier zu lesen und schreibt kräftig jeden der genannten Namen und Orte auf. Ja, ich kann es sogar nachvollziehen, denn ich bin mir sogar sehr sicher, dass all jene Namen niemals fielen. Weder irgendwann, noch während meiner peinlichen Befragung, welche Ihr glücklicherweise nicht mit ansehen musstet. (Ich möchte anmerken, dass diese Befragung durchaus kein schöner Anblick war. Ich bin ehrlich gesagt froh, dass ich nicht zusehen musste. Wobei es fraglich ist, ob ich lieber zugesehen hätte, statt der Befragte zu sein… Ich denke, diese Frage beschäftigt mich heute noch eine Weile.)

Was ich damit sagen will, ehrenwerter Gouverneur von St. Katherine: Sowohl Blackborn, als auch Black selbst, so wie Charlie, als auch Marc, aber auch andere Charaktere, welche hierauf folgen werden, genannt Jim, Philipp, Jack, Mary und so weiter… Jeder dieser Menschen existiert zwar, jedoch habe ich ihr Aussehen und auch ihre Namen frei erfunden.

Seht es einfach als einen meiner letzten Streiche. Ich kann es mir bildlich vorstellen…

Wie Ihr nun wütend mit der Zunge schnalzt, die Feder auf den Tisch werft und Euer kleines, braunes in Leder gebundenes Notizbüchlein zuknallt. Zu gerne wäre ich dabei.

Doch auch heute, ehrenwerter Stellvertreter der heiligen Mutter Kirche, gilt jenes, was ich einst sagte:

Ein ehrlicher Handschlag ist das Zeichen für ein ehrliches Geschäft. Und ich bin ehrlich und habe nicht vor, jemanden mit in meine Probleme hinein zu ziehen. (Auch nicht gut fünf Jahre danach.)

Die folgenden Worte werden eine kleine Stellungnahme zum Geschehen sein, bitte seht es als weiter fassende Erklärung. Gern würde ich Fragen Eurerseits beantworten, aber mit Sicherheit wird es mich nicht mehr geben, sobald Ihr jenes hier anfangt zu lesen und aus diesem Grund gebe ich mir die größte Mühe, alles Unerklärte aufzudecken:

Wie Ihr bereits gelesen habt änderte sich mein Leben an jenem Punkt ganz und gar. Immer mehr hatte ich mich die letzten Tage der Blasphemie hingegeben und immer stärker begann ich die Inquisition von der Kirche in den Gedanken zu trennen.

Der plötzliche Stoß zurück in die Armut, welche - anders, als die der Mönche - nicht aus freiem Willen kam, hatte mich aufgeweckt. Das Kind in mir, jenes aus dem Waisenhaus ohne Hab und Gut, schrie danach, mehr zu bekommen, sich hoch zu arbeiten und in die reichere Gesellschaft überzugehen. Die Begegnungen mit dem reichen Blackborn und dem herunter gekommen Mathew Hullingtan verdeutlichte mir, wie ungerecht das Leben der Menschen unterteilt wurde. All die Dinge, die mir eingeredet wurden; dass es rechtens sei, dass jeder sein Schicksal verdient hätte; fielen einfach von mir ab. Ich glaubte zeitweise sogar, ich empfände Hass, auch wenn ich es mir wohl niemals hätte eingestanden. (Ja, ganz Recht. Bevor ich Euch kannte war ich ein sehr liebenswerter und aufrichtiger Mensch. Aber dies hier soll keine Anklage werden, sondern ein Geständnis, also fahre ich einfach fort…)

Ich fluchte immer öfter und weigerte mich immer stärker, es zurückzunehmen oder gar Gott um Vergebung zu bitten. Mir wurde klar, dass ich ungläubig geworden war, verdorben und mein Seelenheil mit großer Sicherheit nicht mehr in allzu greifbarer Nähe.

Aber zum beichten war ich zu stolz - ebenfalls eine gottlose Sache, ich weiß - denn Stolz und Würde waren Mönchen verboten. Wenn ich heute an die ersten zwei Tage außerhalb des Klosters zurückdenke, dann kommt es mir so vor, als wäre ich schon immer so gewesen:

Aufbrausend, direkt, laut.

Noch heute überlege ich häufig, wie ich vor der Zeit war, in welcher ich das Kloster verlassen hatte. Natürlich kam ich mir still vor, fromm und gehorsam, aber im Hinterkopf spukte mir immer wieder herum, dass ich fast jede Woche habe Buße tun oder Beichte abgeben müssen. Ich redete mir ein, dass ich der Heiligen Inquisition den Rücken zukehrte, da mein Freund und Bruder Markus im Namen Gottes geläutert und verbrannt werden sollte, aber Tatsache war es so, dass, selbst wenn dies nicht geschehen wäre, ich das Kloster mit Sicherheit früher oder später verlassen hätte.

Oftmals versteckte ich mich in der Bibliothek und hielt nach Büchern Ausschau, die mir mehr von der Welt zeigten, mehr von Völkern außerhalb der katholischen Kirche, mehr von anderen Göttern, Ansichten… Jedes Mal wurde ich enttäuscht, denn natürlich kontrollierte die Heilige Kirche jedes Buch, das veröffentlicht wurde oder sich in der Bibliothek befand.

Immer öfter lauschte ich an der Klostermauer, um etwas mitzubekommen von all den weltlichen Dingen, die mich nicht zu interessieren hatten. Sei es das Gespräch einer Wache, oder der Gesang eines Zigeuners.

Und mit wachsendem Erstaunen stellte ich fest, dass es dort mehr gab, viel mehr. Die Welt schien abgeschottet von mir oder ich von der Welt und immer öfters ging ich es in meiner heimlichen Fantasie durch, wie ich die Mauer erklomm und diese unvorstellbar interessante Welt erkundete.

Natürlich könnte man sagen, dass dies ein hohes Vergehen war, aber wenn wir ehrlich sind, besitzt mit Sicherheit auch Ihr eine Art kindliche Neugierde. Ich wage sogar zu behaupten, dass Ihr oft, sehr oft nachgeht. Wenn ich mich zurückerinnere, in jene Zeit, als ich als freier Mann lebte, dann scheint es mir, als wären wir oft zueinander gestoßen, eben aus dieser Neugierde heraus. Ähnlich ging es mir. Ich hörte etwas und ich musste dem nachgehen.

Meine Tage als Dieb und Straßenkind hatte ich hinter mir gelassen, man hatte mich förmlich genötigt sie zu vergessen, sie als schlecht abzutun, mich dafür gereinigt. Aber jedes Mal wenn ich Musik von außerhalb hörte oder das Rufen vom Markt, jedes Mal zog mich etwas magisch an und ich konnte nicht anders, als gottlos zu handeln.

Ich schreibe dies hier nicht nieder, um mich für mein Verhalten vor Gott; oder Euch, Gottes Rechte Hand; zu entschuldigen. Mit Sicherheit war ich des Öfteren blasphemisch, ja, man sollte anhand des hierauf folgenden sogar merken, dass sich meine Taten mit der Zeit sogar verschlimmerten.

Viel mehr möchte ich hiermit sagen, dass ich gelernt habe, zu akzeptieren, dass ich so bin.

Ich habe eingesehen, dass man nicht immer zu hundert Prozent demütig sein kann. (Oder zumindest ich kann das nicht.) Ich wage zu behaupten, dass ich heute, kurz vor meinem Ableben, ein ganz und gar gottloser Mann geworden bin. Aber es stört mich nicht.

Ich bin voller Zuversicht und denke, man wird verstehen, was ich hier äußere.

Ich bin Willens Strafe dafür erhalten und in die Hölle einzukehren, wenn es denn Gott so will, allerdings möchte ich betonen, dass es mir nichts ausmacht. Denn ich wage ebenfalls zu behaupten, dass ich ein sehr angenehmes, wenn auch sehr schmerzvolles und anstrengendes Leben hinter mir habe und ich jeden Tag als Buße für meine Sünden zähle und somit fest daran glaube, dass meine Seele ihr Heil erreicht hat. Besonders die letzten dreiunddreißig Tage nach meiner feierlichen Gefangennahme erscheinen mir als große Sühne für meine Schuld und ich möchte das hohe Gericht; und auch Euch, O’Hagan; darauf hinweisen, dass es wichtig ist, dieses Schriftstück zu Ende zu lesen, um alles, wirklich alles, verstehen zu können.

Mir ist klar, dass eine Freilassung oder gar Rettung vor meiner Verurteilung nicht mehr möglich ist. Ich habe mich damit abgefunden zu sterben und möchte abermals betonen, dass ich diese große Aufzählung aller Geschehnisse nicht nutze, um meine Unschuld zu belegen – eher, um sie zu widerlegen.

Ich spreche mich mit diesem Buch für schuldig, in vollem Ausmaß, für jedes mir nachgesagte Verbrechen.
 

Ich verbleibe hiermit,
 

Oliver Sullivan O’Neil.
 

Postscriptum:
 

Des Weiteren möchte ich mein tiefes Bedauern über den Tod Eures Ziehsohnes Sascha aussprechen, er war ein guter Junge und wird gewiss an Gottes Seite aufgenommen werden.

Als ich von seinem Tod erfuhr wurde mein Herz schwer und ich dachte an jene Zeit zurück, die ich mit ihm verbrachte.

Es ist mir, als wäre es gestern gewesen. Ich sehe seine blonden Locken vor mir und sein breites, recht freches Grinsen. Ja, ehrenwerter Gouverneur, ganz Recht, ich befand mich einst in Eurem Haus.

Ein schönes Haus, muss ich sagen, große Fenster, hohe Türen, alles recht hell und teuer möbliert. Sicherlich seid Ihr erschrocken, nicht wahr?

Als kleine Nebenaussage möchte ich darauf hinweisen, dass Euer Sohn durch Fieber umkam, nicht durch mich, also klagt mich nun bitte nicht noch ein weiteres Mal an. Ich weise Euch eindringlich daraufhin, dass Ihr Euch zukünftig jene Diener, welche Ihr in Eurem Haus anstellt, näher betrachten solltet. Vielleicht wäre Euch dann ja sogar aufgefallen, dass ich es war, der Euch Euren teuren Kognak über den Schoß kippte? (Es war im Übrigen nicht schade um die Hose…)

Gottes Wege sind unergründlich, mein Freund.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Momachita
2012-08-08T17:58:58+00:00 08.08.2012 19:58
Mutig, mutig, Herr Sullivan. Wie er sich so weit aus dem Fenster herauslehne und den O'Hagan verhöhne, mutig, mutig, das muss ich schon sagen!
Anhand der Kapitelübersich war mir ja schon klar, dass ich auf diese "Briefe" stoßen werde und ich war ziemlich neugierig darüber, wie du sie gestalten würdest. Ich muss sagen, mir gefallen sie äußerst gut (zumindest dieser eine hier). Der Brief frischt die Erzählung auf, stellt nochmal fest, was der Leser vielleicht vergessen haben könnte, nämlich um was genau es sich nochmal handelt, was er hier liest. Denn immerhin ist es nicht einfach 'nur so eine Geschichte', sondern im Grunde genommen ja die letzten Gedanken unseren sympathischen Protagonisten.
Auch gefällt mir, wofür du den Brief gebraucht hast. Um Sullivan noch mal selber erklären zu lassen, was vielleicht offen blieb in den letzten Kapiteln.
Außerdem macht es einen natürlich neugierig, wie sich die Beziehung zu O'Hagan so weiter entwickeln wird, wo sie sich doch bisher in der Geschichte noch kein einziges Mal getroffen haben. Ganz von der nachstehenden Bemerkung abgesehen, die sich um den Ziehsohn des Gouverneur dreht. Es wird noch richtig spannend hier!
Ich muss schon sagen, obwohl ich heute zugegebenermaßen etwas lesefaul bin, hat mich das Kapitel gerade wieder zum Weiterlesen angespornt. :')


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