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Poison in my veins

Geburtstags-FF für Aschra
von

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Innocence

Diese FF ist für die liebe Aschra, die sich etwas mit Bakura und Joey gewünscht hat. Ich hoffe, es gefällt dir. ^______^ Alles Gute zum Geburtstag.
 

Poison in my veins
 

Kapitel 1

Innocence
 

Ein Windstoß fuhr durch das offene Fenster ins Zimmer und bauschte die in der vergangenen Nacht zum Schutz vor Ungeziefer davor gezogene Gardine. Die Sonne malte einen breiten, hellen Lichtstreifen auf den Fußboden, auf dem ein achtlos hingeworfenes T-Shirt einträchtig neben einem Paar Schmutzsocken und den Resten einer Pizza samt Karton lag. Das leise Ticken des Weckers, der auf dem Nachtschrank neben dem Bett stand und 12:21 Uhr anzeigte, mischte sich mit gedämpften Schnarchlauten. Von dem Schlafenden war nur ein Büschel blonden Haares zu sehen, der Rest war unter der dünnen Bettdecke vergraben. Das Display des Handys, das neben dem Wecker lag, leuchtete auf.

Your cruel device

Your blood, like ice

One look could kill

My pain, your thrill …

„Hmmm ...“

Die Decke bewegte sich etwas, ein Arm langte darunter hervor und fuhr durch die Luft, bis er gegen den Nachtschrank stieß. Joey tastete sich mit der Hand am Holz entlang, auf der Suche nach dem musizierenden Mobiltelefon. Sich mit der anderen Hand die Decke vom Kopf ziehend, ergriff er es und hielt es sich ans Ohr.

„Whee ... Wheeler“, murmelte er verschlafen.

„Hi, Joey, hier ist Serenity“, hörte er die etwas kratzige Stimme seiner kleinen Schwester. „Äh ... liegst du etwa noch im Bett? Es ist schon Mittag.“

„Wie spät ist es denn?“

Er rieb sich über die Augen und versuchte die Anzeige auf seinem Wecker zu lesen. Seine Stirn legte sich in Falten.

Der letzte Wodka war eine ganz schlechte Idee ...

„Gleich halb eins.“

„Und es ist ... Donnerstag, oder?“, erkundigte er sich.

„Ja, aber das ist kein Grund – hast du was getrunken?“

„Nicht viel, nur so zwei ... oder drei ... Okay, könnte auch mehr gewesen sein. Wir hatten ’ne Uniparty.“

„Schon wieder?“ Ein Seufzen war in der Leitung zu hören. „Hattet ihr nicht erst am Samstag eine? Ich denke, du studierst!“

„Das mach ich doch auch.“ Er fasste sich an die schmerzende Stirn.

„Die Frage ist nur, wie. Aber weswegen ich eigentlich anrufe ... Ich versuche nämlich schon seit Stunden, dich zu erreichen. Wir wollten uns doch heute zum Mittagessen treffen.“

Ahhh, das hab ich ja ganz vergessen!, fiel es ihm siedendheiß ein. Er fuhr von seinem Kissen hoch, sein Kopfweh so gut wie möglich ignorierend.

„Gib mir zehn Minuten, dann bin ich unterwegs, Schwesterherz“, sagte Joey und sah sich nach seinen Kleidern um. Am unteren Pfosten des Bettes entdeckte er seine Hose, nach der er griff.

Zu spät bemerkte er, dass sich sein Fuß in der Bettdecke verheddert hatte. Mit einem dumpfen Knall schlug er auf dem Boden auf und keuchte.

„Was ist passiert?“

„Bin hingefallen. Also, ich mache mich fertig und –“

„Das wird nicht nötig sein“, unterbrach ihn seine Schwester. „Ich rufe eigentlich nur an, weil ich dir leider für heute absagen muss. Mich hat die Sommergrippe erwischt, ich liege mit 38,5 Grad im Bett.“

„Oh ... Schade. Geht’s dir denn einigermaßen? Hast du alles, was du brauchst?“

„Ja, ja, mach dir keine Sorgen.“

„Dabei hatten wir das Treffen seit Wochen geplant.“ Inzwischen war Joey wach genug, um ehrlich gemeinte Enttäuschung in seine Stimme zu legen. „Aber hey, wie wär’s, wenn ich dir ’nen Krankenbesuch abstatte?“

„Ich möchte nicht, dass du dich bei mir ansteckst.“

„Ach, du kennst mich doch, ich bin hart im Nehmen. So schnell werde ich nicht krank. Weißt du was, da es mit Mittagessen nicht klappt, komme ich einfach zum Kaffee vorbei ... oder lieber Abendessen, erst mal brauch ich was gegen die Kopfschmerzen.“

„Joey, Joey ...“ Er konnte geradezu sehen, wie sie tadelnd den Kopf schüttelte. „Also gut, komm her.“

„Okay, dann bis später, so gegen fünf bin ich da“, verabschiedete er sich und beendete ihr Gespräch.

Nachdem er seine Beine aus der Bettdecke entwirrt hatte, schleppte er sich ins Bad und warf einen Blick in den Spiegel. Das Gesicht, das ihm entgegenblickte, sah erbärmlich aus. Wie spät war es gewesen, als er ins Bett gekrochen war, drei oder vier? Er konnte sich nicht genau erinnern. Was er noch wusste, war, dass Yugi ihn nach Hause gefahren und zu seiner Wohnung hochgeschleift hatte. Da der Bunt-haarige nichts trank, bekam er meistens die zweifelhafte Ehre übertragen, seine Freunde mit dem Wagen nach Hause zu kutschieren. Joey drehte den Hahn am Waschbecken auf und klatschte sich einen Schwall Wasser ins Gesicht. Aus dem Spiegelschrank über sich holte er ein Aspirin und nahm es mit mehreren großen Schlucken Leitungswasser.

Schon besser, dachte er und strich sich die feuchten Haare aus der Stirn. Nachdem er sich notdürftig mit einem Handtuch über das Gesicht gewischt hatte, schlurfte er in die Küche hinüber und öffnete den Kühlschrank. Beladen mit einem Glas sauer eingelegter Gurken, einer Packung Eiern, Milch und einer großen Flasche Multivitaminsaft wandte er sich dem Tisch zu, auf dem er alles ablud und sich daran machte, ein Omelett zuzubereiten. Der Duft von bratendem Ei, der sich bald darauf in der Küche ausbreitete, sorgte bei ihm für einen neuen Anflug von Übelkeit, aber wenn er heute noch auf die Beine kommen wollte, war Essen unumgänglich. Als der Pfanneninhalt vollständig gestockt war, schaufelte er ihn auf einen Teller und setzte sich an den Tisch, um zu essen. Zwischendurch fischte er sich ein paar Gurken aus dem Glas und nippte an der heißen Brühe, die er sich dazu gemacht hatte.
 

Mit etwas zu essen im Magen sah die Welt doch gleich ganz anders aus. Übelkeit und Kopfschmerzen hatten sich weitestgehend aufgelöst, er hatte geduscht und sich rasiert ... Dieses Mal nickte Joey beim Blick in den Spiegel zufrieden. So konnte er sich wieder unter Menschen sehen lassen.

Aufräumen sollte ich auch mal wieder, sinnierte er und machte sich daran, seine Schmutzwäsche vom Boden aufzulesen, die er heute früh beim Ausziehen einfach hatte fallen lassen. Die Pizzaschachtel wanderte zu der leeren Eierpackung in den Mülleimer, die Bücher zur Geschichte der Kunst wurden auf den Schreibtisch zurückgepackt, von dem er sie letzte Nacht beim Öffnen des Fensters heruntergefegt hatte.

Als er um kurz nach vier fertig war und auf die Uhr sah, zischte er überrascht; damit, dass er so viel Zeit brauchen würde, hatte er nicht gerechnet.

„Jetzt aber los“, sagte er sich, schnappte im Vorbeigehen Portemonnaie und Schlüssel vom Flurschrank, klemmte sich den Motorradhelm unter den Arm und verließ die Wohnung.

Wenn er Serenity schon einen Krankenbesuch abstattete, dann auch richtig, hatte er sich vorgenommen. Ein paar Straßen von seiner Wohnung entfernt hielt er vor einer Konditorei, um eine Schokoladencremerolle zu kaufen. Seine Schwester liebte Süßes und besonders diese Rolle. Als sie ihn im Frühling das letzte Mal besucht hatte, hatten sie sich jeden Tag etwas von hier geholt. Ein Luxus, den sich Joey sonst nicht erlaubte, schließlich musste er sein Studium, die Miete für die Wohnung und seine Unterhaltskosten selbst durch Jobs finanzieren. Von seiner Mutter war in dieser Richtung keine Hilfe zu erwarten (er war schon froh, dass sie ihm und Serenity wieder einen regelmäßigen Kontakt erlaubte) und bei seinem Vater war ohnehin nichts zu holen.

Mit dem Kuchen, den er zuoberst in seinen Rucksack gesteckt hatte, machte er sich wieder auf den Weg. Er wollte aus dem Stadtzentrum heraus sein, bevor der Feierabendverkehr richtig einsetzte, dann war auf den Straßen kein Durchkommen mehr. Kurz bevor er losgefahren war, hatte er zudem gerade noch durch das Radio mitbekommen, dass es auf der Autobahn, die er sonst benutzte, um zu Serenity zu fahren, einen kilometerlangen Stau wegen einer Baustelle gab. Die Landstraße, auf die er so gezwungen wurde auszuweichen, war ein gutes Stück länger, aber solange er an sein Ziel kam, nahm er das gern in Kauf.

Sobald er die letzten Häuser von Domino hinter sich gelassen hatte, beschleunigte er und genoss es, sich den Fahrtwind um die Nase wehen zu lassen. Der rote Lack blitzte in der Nachmittagssonne und bildete einen Kontrast zu dem schwarzen Lederanzug, den er zum Fahren trug, ein Geschenk von seinen Freunden zu seinem zwanzigsten Geburtstag. Wiesen und Felder zogen mit hoher Geschwindigkeit an ihm vorbei. Von Zeit zu Zeit kam er an einer Abzweigung zu einem der Dörfer vorbei, die in der näheren Umgebung von Domino lagen. Er bedauerte es, dass sich seine Mutter dagegen entschieden hatte, wieder nach Domino zu ziehen, konnte aber auch so etwas wie Verständnis dafür aufbringen, dass sie von seinem Vater so weit weg wie möglich leben wollte. Wenigstens konnte er sich damit trösten, dass Serenity im kommenden Frühling in die Stadt zurückzog, um dort ihr Pädagogikstudium zu beginnen. Dann würden sie sich bestimmt häufiger sehen.

Joey schwitzte unter dem dunklen Helm. Für Anfang September hatte die Sonne noch recht viel Kraft, von der sie nahezu verschwenderisch Gebrauch machte. Ein Stück voraus sah er den Rand des Waldes, durch den er musste, von dessen anderem Ende aus war es nicht mehr weit. Sobald er unter das Blätterdach tauchte und damit nicht mehr der prallen Sonne ausgesetzt war, spürte er, wie es angenehm kühler wurde. Die Bäume hatten schon damit begonnen, sich bunt zu färben und ihr Laub abzuwerfen. Eigentlich zu früh, doch es hatte seit Wochen nicht mehr richtig geregnet, die Erde war ausgetrocknet.

Fröhlich summend legte er sich mit der Maschine in eine Linkskurve und wirbelte ein paar trockene Blätter auf, die auf die Straße gefallen waren. Er war gerade wieder in eine aufrechte Position gekommen, als der Motor seltsam zu stottern begann.

[i9Was ist denn nun kaputt? Ich hab sie doch gerade erst durchchecken lassen.

Ein lauter Knall und aufsteigender Rauch belehrten ihn eines Besseren. Er drosselte umgehend sein Tempo, blinkte und fuhr an den Straßenrand. Das Helmvisier hochschiebend, stieg er ab und ging um das Motorrad herum.

„Seltsam“, murmelte er, „ist die Maschine überhitzt?“

Er nahm den Helm ab und beugte sich vor, um den Schaden näher in Augenschein zu nehmen.

„Nein, sieht eher nach Motorschaden aus. Oh Mann, das hat mir grad noch gefehlt.“

Ein weiterer Knall ließ dunklen Qualm aufsteigen, der Joey zum Husten brachte. Von dem beißenden Geruch stiegen ihm Tränen in die Augen, die er sich unwirsch wegwischte. Der Blick auf seine Armbanduhr ließ seine Laune noch weiter sinken. Es war sieben vor fünf und ihm mit einem offensichtlich defekten Motor somit unmöglich, es noch rechtzeitig zu Serenity zu schaffen. Missmutig vor sich hinbrummend zog er sein Handy aus der Tasche. Es klingelte dreimal, dann nahm seine Schwester ab.

„Hier ist Joey“, meldete er sich, „es wird leider etwas später, bis ich bei dir sein kann, mein Motorrad hat eben schlapp gemacht ... Nein, kein Grund zur Sorge, Kleines, ich hatte keinen Unfall. Ist nur ’n Motorschaden. Ich rufe gleich den Abschleppdienst an, aber es kann eben dauern. Wann ich es schaffe, kann ich dir nicht sagen ... Ja, ich beeile mich, klar doch. Bis dann!“

Ein toller großer Bruder bin ich, schalt er sich und begann die Nummer des Abschleppdienstes einzutippen, die er für Notfälle wie diesen immer bei sich trug. Plötzlich piepte das Handy laut.

„Nein, nicht das auch noch!“

Hektisch fuhren seine Finger über die Tasten, während die Akkuanzeige rot aufleuchtete, beinahe als verhöhne sie ihn, weil er nicht daran gedacht hatte, das Handy zum Aufladen ans Stromnetz zu hängen.

„Komm schon“, es klingelte, „geht ran, irgendwer. Na los!“

In der Leitung knackte es, ein Mann meldete sich am anderen Ende. Joey verstand nur noch seinen Namen, es rauschte kurz und ... Stille.

„Das ist doch ... Das ist eine Verschwörung!“, schrie er und fegte seinen Helm frustriert vom Sitz herunter.

Kurz war er versucht, das Handy gleich hinterher zu werfen, hatte schon die Hand erhoben – aber ein neues konnte er sich auch nicht unbedingt leisten. Nach mehrmaligem tiefem Durchatmen hatte er sich einigermaßen beruhigt und konnte seine Situation überdenken. Das nächste Dorf lag kurz hinter dem Wald, wenn er sich richtig erinnerte. Dort gab es bestimmt jemand, der ihn telefonieren ließ. Er hob seinen Helm auf, der in den von Sträuchern überwucherten Straßengraben gerollt war, hängte ihn an den Lenker und machte sich, das Motorrad neben sich herschiebend, daran, den Wald zu Fuß zu durchqueren.

Mitten auf der Landstraße wäre es schlimmer gewesen, versuchte er sich aufzuheitern. Unter den Bäumen war es wenigstens erträglich, im Vergleich zur Stadt auf jeden Fall. Das Wetter schien in diesem Jahr eine Vorliebe für Extreme zu haben. Während der letzten Tage hatte die Luft in Domino praktisch gestanden und war mit dem Messer schneidbar gewesen. Nach einem mehrminütigen Fußmarsch kam ein Schild in Sicht, auf dem die Entfernungen zu den nächstgelegenen Orten verzeichnet

waren. Als Joey nahe genug herangekommen war, um die Schrift lesen zu können, stöhnte er und raufte sich die Haare.

„Ich krieg die Krise! Noch acht Kilometer bis zum nächsten Dorf? Das kam mir immer viel kürzer vor – okay, sonst konnte ich auch fahren, aber ... Argh ... Das ist einfach nicht fair.“

Leise vor sich hinmurmelnd zog er an Kiefern und Laubbäumen vorbei, deren Wipfel sich leicht im Wind wiegten, vorbei an einem alten Wanderweg, der eine der Forststraßen kreuzte –

„Hey, Moment mal.“ Er lief das kurze Stück zurück und sah zu dem verwitterten Wegweiser aus Holz auf. „Über den Weg sind es ja nur sechs Kilometer. Wenn das so ist ...“

Er holte sein Motorrad und verließ die geteerte Straße. Der Pfad, in den er einbog, schlängelte sich zwischen Farnen und Krautpflanzen hindurch und wurde von hohen Bäumen überschattet. Bis auf das Zwitschern der Vögel und das gelegentliche Knacken von Holz, wenn das Motorrad über einen Ast rollte, war es still, so dass Joey in Ruhe seinem Ärger nachhängen konnte. Er hatte die Maschine erst letzte Woche in der Werkstatt überprüfen lassen. Wie konnte es da sein, dass sie jetzt kaputt war, dort hatten sie nichts festgestellt und ihm versichert, alles sei in bester Ordnung.

In bester Ordnung, dass ich nicht lache. Ha! Denen werd ich was erzählen.

Von Zeit zu Zeit blieb er kurz stehen, um zu verschnaufen. Das Gelände war leicht abschüssig, so dass er das Motorrad immer festhalten musste, wenn es nicht zur Seite wegrutschen sollte. Nach einer Weile wurde es ihm in der schwarzen Lederjacke zu warm, er zog sie aus und hängte sie über den Sitz. Im T-Shirt war der Marsch doch um einiges besser erträglich.

Wenigstens weiß Serenity Bescheid, dass es bei mir später wird, sonst würde sie sich jetzt garantiert Sorgen machen, wo ich so lange bleibe.

Je tiefer er in den Wald vordrang, umso dunkler wurde es um ihn. Die Bäume rückten enger zusammen und das dichte Blätterdach der Laubbäume, die in diesem Teil des Waldes hauptsächlich wuchsen, verschlang den größten Teil des Lichts. Der Pfad, dem Joey folgte, war unter dem trockenen Laub, das noch vom Vorjahr lag, stellenweise kaum auszumachen. Er hoffte, dass er sich nicht verirrte und noch einmal in die falsche Richtung wanderte, denn einmal war er bereits bei ein paar Felsen falsch abgebogen und einen steilen Hang hinuntergestolpert. Dort wieder hochzukommen und den Weg wiederzufinden, hatte ihn über eine Viertelstunde und reichlich Schweiß gekostet.

Joey senkte den Kopf zu seiner Achsel und schnüffelte probehalber, woraufhin sich sein Gesicht kurz verzog. Bevor er auch nur daran denken konnte, sich mit Serenity an einen Tisch zu setzen und den Schokoladenkuchen zu verspeisen (von dem er inständig hoffte, dass er die Reise überhaupt überlebte und nicht gerade dabei war, in sich zusammenzuschmelzen), brauchte er unbedingt eine Dusche. Diesen Duft, den er momentan verströmte, wollte er ihr nicht antun. Der Wald ging abrupt in eine große, vom gelbgoldenen Schein der Abendsonne erhellte Lichtung über.

„Wow, das ist ja schön hier, so richtig idyllisch. Ich muss unbedingt mal mit Serenity hierher kommen, das wird ihr gefallen“, nahm er sich vor. Apropos ... Wenn ich schon zu spät kommen muss, sollte ich ihr wenigstens was als Entschuldigung mitbringen ...

Die Lichtung war mit Gräsern, kleinen Büschen und Blumen übersät, über denen bunte Schmetterlinge flatterten. Der Blonde lehnte sein Motorrad an einen von Moos überwucherten Baumstumpf und begann Weidenröschen, Storchschnabel und Ehrenpreis zu pflücken und zu einem Strauß zusammenzusetzen. Seine Schwester liebte Blumen und Waldblumen, das wusste er genau, hatte sie schon als kleines Kind am liebsten gehabt. In seinem Eifer merkte er nicht, wie es immer dunkler wurde, was jedoch nicht allein an der tiefer sinkenden Sonne lag. Von Westen zogen dicke Wolken heran. Der Wind frischte auf und wuchs rasch in seiner Intensität.

„So, das sollte reichen“, meinte er schließlich, als der Strauß schon eine beachtliche Größe erreicht hatte und betrachtete ihn zufrieden.

„Jetzt wird es aber Zeit ... Wann ist es denn so dunkel geworden?“

Er legte den Kopf in den Nacken. Ein Regentropfen klatschte auf seine Stirn.

„Ich hätte im Bett bleiben sollen.“

Nun hatte er es eilig, zu seinem Motorrad zurückzukommen und seinen Weg fortzusetzen. Er hatte schon im Hellen teilweise seine Probleme gehabt, den Weg zu finden, wie sollte er dieses erst nach Sonnenuntergang bewerkstelligen? Weitere Tropfen landeten auf seiner Nase und dem Motorradsitz, was ihn nur dazu antrieb, schneller zu gehen.

Hätte ich bloß erst geguckt, wo der Weg weitergeht, ärgerte er sich. Ist das da vorne Licht?

Bei seiner Ankunft auf der Lichtung hatte er sich dermaßen auf die Blumenwiese konzentriert, dass ihm völlig entgangen war, dass diese in östlicher Richtung noch ein ganzes Stück weiterging. Noch weniger hatte er das Haus bemerkt, das sich am anderen Ende befand. Ein erleuchtetes Haus ... das bedeutete, jemand war dort. Jemand mit einem Telefon oder wenigstens einem Handy, mit dem er endlich den Abschleppdienst informieren konnte. Der Regen wurde stärker. Und jemand, der ihm bestimmt ein paar Minuten Obdach gewährte, bis das Unwetter vorbeigezogen war. So schnell es das Gelände zuließ, strebte er auf das Gebäude zu, dessen Fenster im Erdgeschoss ihm einladend entgegenleuchteten. Es schien über ein Obergeschoss und ein ausgebautes Dachgeschoss zu verfügen, beide mit Balkonen versehen.

„Hallo, ist jemand da?“, rief Joey, öffnete die hölzerne Pforte im Gartenzaun und schob sein Motorrad über einen mit Platten ausgelegten Weg auf das Haus zu.

Der Garten, wenn man ihn noch als solchen bezeichnen konnte, war vollkommen verwildert, Unkraut, Brennnesseln und andere Wildpflanzen wucherten ungestört in den Beeten. Wie der Blonde im Näherkommen feststellte, war das Haus zu großen Teilen mit Efeu und Weinlaub bewachsen. Ein weiterer Grund, warum er es nicht gleich bemerkt hatte, die Pflanzen sorgten dafür, dass es mit dem Wald, der dahinter weiterging, geradezu verschmolz.

„Jetzt kann ich nur hoffen, dass mir der Hausbesitzer die Tür aufmacht und nicht ein Einbrecher oder so“, murmelte er und erreichte das Vordach, das sich über der Eingangstür wölbte.

Das T-Shirt klebte ihm inzwischen wie eine zweite Haut am Körper, die Haare hingen ihm nass ins Gesicht. Er wollte lieber nicht darüber nachdenken, was er für einen seltsamen Anblick bieten musste, von Kopf bis Fuß durchnässt, ein defektes Motorrad schiebend und einen großen Blumenstrauß in der Hand, als er klingelte. Das tiefe Dröhnen einer altmodisch klingenden Glocke drang durch das Haus.

Eine Minute, zwei Minuten vergingen, doch nichts regte sich hinter der Tür. Unablässig prasselte der Regen herab. In der Ferne war Donnergrollen zu hören. Joey war froh, unter dem Vordach zumindest halbwegs im Trockenen zu stehen. Ein weiteres Mal hob er die Hand und betätigte die Klingel. Kurz darauf waren Schritte zu hören, die sich näherten, ein Schlüssel klickte mehrmals und die Haustür wurde aufgerissen.

„Wer stört, ich kaufe nichts!“

„I-ich suche ...“

Die Worte blieben Joey im Hals stecken. Fassungslos musterte er den Mann, der ihm geöffnet hatte und im Türrahmen lehnte, womit er ihm zugleich den Zutritt zum Haus versperrte. Er war Anfang zwanzig, doch seine Haare waren schlohweiß, ein deutlicher Kontrast zu der leicht gebräunten Haut und den unfreundlich blickenden, rehbraunen Augen. Der Blondschopf schluckte und räusperte sich, um seiner Überraschung Herr zu werden.

„Ryou? A-aber ich d-dachte, du ...“, stammelte er.

Die Stirn des Mannes legte sich in Falten.

„Es gibt hier keinen Ryou, verschwinde.“

„Entschuldigen Sie ... Sie sehen genauso wie ein guter Freund aus, den ich mal kannte. Aber das wär ja unmöglich, dass Sie es sind, er ist seit über einem Jahr tot.“

Der Weißhaarige antwortete ihm mit einem knappen Nicken und war schon im Begriff, die Tür wieder zu schließen, als Joey, einem Reflex folgend, seinen Fuß in den Spalt zwischen Haustür und Rahmen schob.

„Bitte warten Sie. Darf ich bei Ihnen telefonieren? Mein Motorrad ist unterwegs liegen geblieben und der Akku meines Handys hat mich auch im Stich gelassen. Meine Schwester wartet auf mich und ich muss ihr Bescheid sagen“, sprudelte es aus ihm hervor.

„Mein Telefon ist kaputt, ich warte selbst seit drei Tagen auf den Techniker. Geh.“

Ein Blitz brach aus den Wolken hervor und erhellte für wenige Sekunden den finsteren Himmel. Der Donner folgte kurz darauf.

„Aber – da ist ein Gewitter im Anmarsch! Sie können mich doch nicht einfach so vor die Tür setzen“, versuchte Joey es erneut. „Ich möchte doch nur kurz rein, bis es vorbei ist. Ich störe Sie auch nicht, versprochen.“

Der Mann ließ prüfend den Blick über ihn schweifen, blieb kurz an seinen durchnässten Sachen hängen. Unter dem Shirt zeichneten sich seine Brustmuskeln deutlich ab. Vor Kälte zitternd wartete Joey sein Urteil ab und fürchtete schon, weggeschickt zu werden, als sein Gegenüber zur Seite trat und den Weg freigab.

„Na schön“, brummte er, „komm rein, aber sobald das Gewitter vorbei ist, bist du verschwunden.“

„Vielen Dank.“

Mehr als erleichtert, dem Unwetter entronnen zu sein, trat Joey über die Schwelle und in den dunklen Flur des Hauses. Der einzige Lichtschein kam durch eine nur halb geschlossene Tür rechts von ihm, wo sich das Wohnzimmer befand. Zu seiner Linken ging eine weitere Tür ab, eine Treppe führte ins obere Stockwerk. Bilder schmückten die Wände, von deren Motiven im Halbdunkel jedoch kaum etwas zu erkennen war. Er hörte, wie die Haustür in seinem Rücken zufiel und wieder verschlossen wurde.

Na super, ich bin hier drin gefangen. Wenn sich der Kerl jetzt als Einbrecher oder sonst was Kriminelles entpuppt, hab ich ein Problem.

„Wie heißt du?“, fragte der Weißhaarige und lenkte die Aufmerksamkeit Joeys, der sich im Eingangsbereich umsah, wieder auf sich.

„Ich bin Joey Wheeler, freut mich.“

Er streckte ihm die Hand hin, die dieser geflissentlich ignorierte.

„Also schön, Joey. Erstens hör auf, mich zu siezen, mein Name ist Bakura. Zweitens: du bleibst genau hier stehen und rührst dich nicht vom Fleck, bis ich wieder da bin.“

Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor, überlegte Joey.

Bakura ging an ihm vorbei und auf die Treppe zu.

„Was – wo willst du hin?“

„Ein Handtuch holen. Du siehst aus wie ein begossener Pudel, es reicht mir, wenn du den Flur voll tropfst.“

Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, marschierte er die Stufen hinauf und verschwand dort um eine Ecke. Joey sah an sich herunter. Zu seinen Füßen hatte sich bereits eine kleine Pfütze gebildet, die mit jeder Sekunde größer wurde. Eine feine Gänsehaut überzog seine Arme, ihn fröstelte in den durchweichten Kleidern.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  trinithy
2009-09-04T13:52:41+00:00 04.09.2009 15:52
Hrhr^^
bis hier hin kannte ich es ja schon, worauf ich mich wirklich freue sind die näächsten beiden Kapitel^^

Aber ich finde es auch jetzt schon toll, Bakura einsam in einer Hütte, warum wohl? *hehe*
xD


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