Zum Inhalt der Seite

Frei sein

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Frei sein

Sie sitzt auf ihrem Bett, sieht nachdenklich aus dem Fenster. Sieht den Vögeln nach, die völlig frei durch die Luft fliegen. Sie spürt diese Freiheit, die diese Vögel erleben. Sie wünscht sich, sie wäre das draußen bei ihnen. Sie will da draußen sein, will frei sein – und nicht hier, eingeschlossen, gefangen. Denn das ist es, was sie hier ist: gefangen.

Eigentlich könnte sie ja einfach aufstehen und weg gehen. Fliehen aus diesem Leben, aus dem ganzen Müll um sie herum. Aus diesem Schmerz, der sie nach und nach zu verschlingen droht. Aus dem Leben, das jeden Tag schrecklicher wird. Wie gern würde sie einfach nur weg rennen, verschwinden für immer. Und doch…irgendetwas hindert sie daran. Sie weiß nicht, was.
 

Sie hört, wie sich ein Schlüssel im Haustürschloss dreht. Erschrocken schaut sie auf die Uhr, die auf dem Nachttisch neben dem Bett steht. Erst um drei. Wieso kommt er jetzt schon nach Hause? Sie packt die Angst. Ob er jetzt wieder zu ihr kommt? Ob er jetzt wieder das macht, was er jeden Tag mit ihr macht, wenn er abends nach Hause kommt? Macht er jetzt wieder das mit ihr, was sie lieber mit einem Jungen in ihrem Alter machen würde?

Sie hört, wie er durch die Wohnung läuft. Wenig später hört sie, wie der Fernseher im Wohnzimmer läuft. Wahrscheinlich sitzt er jetzt wieder davor, trinkt sein „Feierabendbier“, wie er es nennt. Obwohl es ja eigentlich nicht bloß ein Bier ist, sondern mehrere. Er trinkt sowieso ziemlich viel, seitdem seine Frau – ihre Mutter – sie vor einem Jahr verlassen hat. Seitdem sie mit diesem Arbeitskollegen durchgebrannt ist.

Sie hört, wie er ihren Namen ruft. Sie soll zu ihm kommen. Sie hat Angst, dass er ihr wieder weh tut, so wie jeden Abend. Trotz ihrer Angst steht sie auf, geht aus ihrem Zimmer in das Wohnzimmer. Zu ihm. Zu dem Mann, der ihr so unglaublich weh tut Tag für Tag, den sie trotzdem über alles liebt.

„Hallo“, begrüßt sie ihn, als sie bei ihm ist. „Du bist aber heute früh da, ist irgendetwas nicht in Ordnung?“

Er sieht sie an. „Ah, Prinzessin, da bist du ja. Setz dich zu mir.“ Er klopft mit der Hand neben sich auf das Sofa. Er hat ihre Frage komplett ignoriert. Sie tut, was er von ihr verlangt. Wie immer. Einfach, weil sie nicht will, dass er sie schlägt. Und auch, weil sie ihn trotz seiner Taten liebt.

Als sie neben ihm sitzt, sieht sie, wie er gerade seine Bierflasche leert. Er fragt sie: „Willst du auch eins?“ – „Nein.“ Dann steht er auf, geht in die Küche und holt sich noch mehr Bier.

Er kommt mit drei Flaschen Bier wieder zu ihr, setzt sich neben sie. Öffnet eins der Biere. Nimmt einen großen Schluck. Legt ihr die Hand, die er nicht zum Bierhalten verwendet, auf den Oberschenkel. Sie zuckt zusammen. Sie weiß nur zu gut, wo das hinführt. Sie seufzt innerlich. Sie will das nicht. Nicht mit ihm. Aber wenn sie sich wehrt, dann schlägt er wieder zu. Und das will sie auch nicht. Also muss sie es über sich ergehen lassen, diese Berührungen, bei denen sich ihr Magen umdreht. Wieso kann er sich niemand anderen suchen? Warum ausgerechnet ich?, fragt sie sich.

„Na, das gefällt dir, nicht wahr?“, fragt er mit so einem widerlichen Grinsen im Gesicht, während er ihren Oberschenkel streichelt. Als ob er nicht genau wüsste, wie abartig sie das findet. Sie antwortet ihm nicht, schweigt sich aus.

„Antworte!“, herrscht er sie an. Schweigen. Sie ist vor Angst wie gelähmt. Jetzt wird er sie gleich wieder schlagen. Ihre Befürchtung bestätigt sich. „Antworte mir gefälligst, du kleine Schlampe!“, schreit er sie wieder an. Dann schlägt er ihr mit der Faust ins Gesicht. Trifft sie unterm Auge.

Tränen fließen ihr die Wangen herab. Dieser Schmerz. Es tut so wahnsinnig weh. Doch es wird noch schlimmer. Er schlägt sie noch einmal und noch einmal. Auf die Nase und auf ihr linkes Auge. Das Blut läuft ihr aus der Nase. Sie weint, doch er schlägt immer wieder zu. Das macht er immer, wenn er getrunken hat und sie nicht das tut, was er verlangt. Immer und immer wieder schlägt er auf sie ein. Irgendwann sieht sie nur noch Sterne vor ihren Augen. Er bringt mich um…!

Doch sie täuscht sich. Sie spürt, wie er in sie eindringt. Spürt diesen wahnsinnigen Schmerz. Bitte, mach, dass er aufhört…!, fleht sie innerlich. Doch er macht weiter. Stößt immer wieder in sie hinein. Bis er endlich kommt. Jetzt ist es vorbei. Endlich. Sie wird ohnmächtig.
 

Als sie wieder aufwacht, ist sie wieder in ihrem Zimmer. Liegt auf ihrem Bett. Wie lange war sie wohl ohnmächtig? Sie schaut auf ihr Handy. Sie hat fast den halben Tag ohnmächtig da liegend verbracht.
 

Fünf Tage später fällt ihr etwas auf, was sie wahnsinnig beunruhigt. Sie ist drei Tage mit ihrer Periode im Verzug. Sie müsste sie schon längst bekommen haben. Sie ist den ganzen tag beunruhigt, schließt sich in ihr Zimmer ein. Will niemanden sehen, und IHN schon gar nicht.
 

Vier Tage später entschließt sie sich dann, einen Schwangerschaftstest zu machen. Sie braucht die Gewissheit, auch wenn ihr Leben dann endgültig einem Trümmerfeld gleicht.

Sie beschließt, an diesem Morgen nicht zur Schule zu gehen. Sie will stattdessen zur Apotheke gehen. Gesagt, getan!

Sie packt ihre Schultasche, zur Tarnung. Dann geht sie an der Küche vorbei, in der ihr Vater sitzt. Ihr Peiniger. Der Vater ihres Kindes? Nein, sie versucht diesen Gedanken sofort wieder zu verdrängen. Er ist zu schrecklich, um sich darauf einzulassen.

„Ich mach’ jetzt los“, ruft sie ihm im Vorbeigehen zu. Dann verschwindet sie aus der Haustür. Geht in die Apotheke. Auf dem Weg dahin kommt es ihr immer wieder in den Sinn. Dieser Gedanke, der sie zu zerbrechen droht.

Endlich ist sie an der Apotheke angekommen. Nervös steht sie davor. Holt noch ein letztes Mal tief Luft, bevor sie hinein geht.

Sie sieht sich einem jungen Apotheker gegenüber. Er ist hübsch. Ob er eine freundin hat?, fragt sie sich. Selbst, wenn nicht, wird er wohl nix mit mir zu tun haben wollen, denkt sie deprimiert. „Wie kann ich Ihnen helfen, junge Dame?“, fragt er sie. Mit seinen Worten schreckt er sie aus ihren Gedanken auf.

„Ich…ich hätte gerne einen Schwangerschaftstest“, stottert sie verlegen.

Er schaut sie irritiert an, fragt sie: „Und welchen? Wir haben verschiedene Tests.“

Sie denkt daran, dass sie nur zehn Euro mitgenommen hat. „Den billigsten.“

„Okay, kleinen Moment bitte.“ Dann geht er hinter ins Lager, kommt dann mit einem Schwangerschaftstest zurück. „Sie wissen, wie es funktioniert, oder?“

Sie nickt. „Ja.“ Dann bezahlt sie ihn. Geht dann mit dem Schwangerschaftstest in der Tasche nach Hause.
 

Sie hat Glück, denn er ist nicht zu Hause. Das hätte auch wahnsinnig viel Stress gegeben, wenn er erfahren hätte, dass sie die Schule schwänzt.

Sie verschwindet ins Badezimmer. Packt den Schwangerschaftstest aus. Sie muss draufpinkeln, steht da. Gut, dann tut sie das.
 

Zehn Minuten später hat sie das Ergebnis: POSITIV! Sie ist tatsächlich schwanger! Nein, das darf nicht wahr sein! Tränen fließen ihre Wange hinab. Unter ihr tut sich ein Loch auf. Ein Loch, das sie zu verschlingen droht.
 

Es ist ein sonniger Tag, doch in ihr drin herrscht tiefste Nacht. Allein mit sich selbst und dem Schmerz in ihr wandelt sie durch die Straßen. Denkt darüber nach, wie oft sie das schon getan hat auf der Suche nach sich selbst und nach einem Ausweg, nach einer Chance, ihr Leben nach ihren Wünschen zu leben. Doch die hat sie nie bekommen. Stattdessen ist ihr immer wieder Schmerz zugefügt worden. Schmerz, der sich immer tiefer in ihre Seele bohrte. Sie wollte doch nur frei sein. Und glücklich. Doch nun ist es zu spät.

Am Morgen hat sie noch den Brief an ihren Vater geschrieben, als dieser schon weg war. Sie hat ihn auf den Küchentisch gelegt. Er wird ihn finden, wenn er wieder nach Hause kommt.

Sie geht in Richtung Bahnhof. Bald ist ihr Leid vorbei, da ist sie sich sicher. Ein trauriges Lächeln schleicht sich in ihr Gesicht.

Sie steht auf der Brücke, unter ihr die Eisenbahnschienen. Der Zug kommt in zwei Minuten. Nur noch zwei Minuten bis zu ihrer Freiheit! Sie setzt sich auf das Brückengeländer, mit dem Blick auf die Schienen. Der Zug kommt. Sie hört ihn. Sie lässt sich fallen. Endlich ist sie frei…!
 

***************************************************************************************************************************
 

So, damit ich sicher gehen kann, dass jetzt auch wirklich ALLE mein Anliegen verstanden haben: Ich will mit dieser Geschichte kein Opfer häuslicher Gewalt, generell Gewalt, Vergewaltigungen,... bloßstellen, beleidigen, verletzen oder Ähnliches. Mir geht es einzig und allein darum, zu zeigen, was diese miesen Schweine von Vergewaltigern und Schlägern ihren Opfern an Leid zufügen!



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2010-09-23T13:55:54+00:00 23.09.2010 15:55
hi,

ich kann dich beruhigen: deine aussage ist klar und deutlich. des nachsatzes hätte es nicht bedurft.

mir fällt es schwer, ein review zu einer geschichte zu verfassen, die sich mit solch heiklem thema wie dem häuslichen missbrauch beschäftigt.

in anbetracht der lage, dass hier wohl weniger missbrauchende väter als viel mehr missbrauchte mädchen und jungen lesen werden, hättest du das ende anders gestalten können. warum läuft sie nicht weg? warum sagt sie sich nich los? dass es den meisten opfern ziemlich mies geht und sie sich fragen, ob das leben überhaupt noch einen sinn hat, wissen die betroffenen am allerbesten. und alle anderen leser können es sich zumindest denken. in diesem sinne folgte deine geschichte einer vorgegebenen spur. stellt es nicht eine größere herausforderung dar, die protagonistin für sich selbst kämpfen anstatt sie sich das leben nehmen zu lassen und dadurch passiv zu bleiben und letztlich im sinne des täters zu handeln, der ja ein schweigendes opfer möchte? das ende deiner geschichte ist ein zweischneidiges schwert: einerseits ist die aussage klar, andererseits spielst du mit ihm dem täter in die hände. er will ja gerade, dass das opfer nicht an die öffentlichkeit geht. er will, dass sie sich nicht entwickelt. mir fehlt es hier an einer perspektive, die das opfer vom täter abhebt. und die u.u. auch helfen kann, das selbstbewusstsein von betroffenen jungen und mädchen zu stärken.

nun ist deine geschichte sehr kurz, sie bietet wenig möglichkeiten für charakterentfaltungen. aus diesem grunde zeichnen sich vater wie tochter nur schemenhaft vor meinem geistigen auge ab. sie besitzen nichts individuelles. alles scheint schablonenhaft, vorgegeben. zwar kann ich mich in deine geschichte eindenken, nicht aber einfühlen. ein bsp. ist z.b. die aussage, dass das mädchen ihren vater hasst und gleichzeitig liebt. dieses ambivalente verhalten ist hinlänglich bekannt. schön wäre es gewesen, diese ambivalenz deutlicher in die handlung einzuweben. denn nur so ziehst du den leser in die geschichte hinein, weil sie für ihn greifbar wird.

lg,

kara


Zurück