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Der Malar

Die Jagd nach der Kreatur der Untiefen
von

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Lagerfeuer - Tag 16

Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, als das letzte Funkeln der Sterne in der Glut des morgendlichen Himmels erstarb und nur noch die Venus am Firmament vor sich hin leuchtete.

Mirlien und ich kehrten zurück zum Lager und weckten unsere beiden Freunde. Nach einer warmen Tasse von Vilthons gutem Nolmengrieß verschlug es uns flussabwärts, immer den Lauf des Ufers entlang, bis wir einen wurmstichigen Kahn am Wegesrand entdeckten.

Mit ihm legten wir einen großen Teil unserer Strecke auf mehr oder weniger komfortabler Weise zurück, doch irgendwann wurde das Flussbett zu niedrig und zu felsig, um es gefahrlos mit dem Gefährt, dass schon bald mehr ein Floß denn ein Boot war, weiter zu befahren.

An jeder Ecke lauerten Strudel und Stromschnellen, und so beschloss man einstimmig, zu Fuß weiter zu marschieren.

Doch das Glück schien uns dennoch hold, denn schon kurze Zeit später gelang es Vilthon, ein Prachtexemplar von einem Roonengräber einzufangen und aufzuzäumen, welcher uns auf seinem breiten, gepanzerten Rücken am frühen Abend bis an den großen Waldsee brachte.
 

Den Marsch durch den Wald hatte ich mir weniger entspannend vorgestellt, gerade unter Greyans eiserner Fuchtel.

Noch nicht einmal die Riesenmoskitos ließen sich an diesem ereignislosen Tag blicken, wie ich beinahe enttäuscht feststellen durfte.

Vilthon schüttelte verständnislos sein Haupt. „Du willst jetzt doch wohl nicht ernsthaft behaupten, dass du den Ärger und Trubel vermisst, wenn er mal ausbleibt?“

Ich grinste verlegen. „Bin halt ein Gewohnheitstier, Vilthon. Außerdem wirst zumindest du dich diese Nacht nicht über Langeweile beschweren dürfen, mein Lieber. Wenn ich mich nicht recht entsinne, zelten wir heute direkt im Quartier der Feuergiftfrösche.“

Vilthon schüttelte sich.

Wenn es dem Alwen vor einem graute, dann vor diesen kleinen, possierlichen Viechern.
 

Aber auch die Feuergiftfrösche brachten mir an diesem Abend keine amüsante Abwechslung, denn sie hielten respektvollen Abstand vor unserem Lagerfeuer.

Dafür überraschte mich Greyan, der die geruhsame Zeit ausgerechnet dafür nutzte, sich mit mir zu unterhalten.
 

Nun gut, eigentlich fragte er mich vor allem über die Hintergründe der Beziehung zwischen meinem Malaren und mir aus, aber dennoch genoss ich sein Interesse an meinem Schicksal, auch wenn unser Gespräch sehr distanziert und unpersönlich ablief.

„Vilthon schrieb mir damals, dass deine ersten Federn in deinem elften Lebensjahr zu sprießen begannen, Drachenmädchen.“

Ich nickte überrascht.

„Ist zu diesem Zeitpunkt irgendetwas vorgefallen, was hätte einen Anlass zu dieser physikalischen Veränderung deiner Person geführt haben könnte?“

Ich überlegte, schüttelte aber dann den Kopf. „Nein, dass ist irgendwann einfach so über Nacht geschehen. Mein Haar wuchs zu diesem Zeitpunkt schon seit einigen Monaten in diesem seltsamen Farbton nach.“

„Perlmutt.“ bemerkte Greyan nachdenklich.

„Ja. Nun, ich kämmte mir eines Tages die Haare, und plötzlich fanden sich die ersten kleinen Federn im Kamm. Zuerst habe ich sie mir herausgerissen, aber irgendwann machte das keinen Sinn mehr, für jede gerupfte Feder schienen gleich zwei neue, noch auffälligere zu wachsen. Beinahe zeitgleich haben sich auch diese seltsamen Strukturen auf meiner Haut bemerkbar gemacht.“

„Die Schlangenhaut.“

Ich lächelte. „Ich habe dieses Phänomen zuerst für einen Hautausschlag gehalten.“

Greyan legte den Kopf schief und rückte etwas näher an mich heran.

Mein Herz begann aufgeregt zu hüpfen, und schlug dann einen Salto nach dem anderen, als er seine eisige Hand auf meinen Arm legte. „Darf ich mir das bitte einmal ansehen?“ fragte er, wartete gar nicht erst meine Antwort ab und krempelte meinen Hemdsärmel bis zu meinem Ellenbogen hoch.
 

Nervös starrte ich durch das prasselnde Lagerfeuer hindurch und begegnete Mirliens Blick auf der anderen Seite.

Seine lächelnden Augen wirkten wie immer entspannend auf meine unruhige Seele. Mirlien.

Er konnte mich berühren, er konnte mir tief in die Augen sehen, er konnte mir so unglaublich nahe kommen, ja, und wir konnten sogar miteinander flirten.

Es blieb stets unverfänglich, harmlos, unschuldig und doch war unsere Beziehung einer sehr intensiven Natur.

Ich fühlte mich ihm fast noch mehr verbunden als meinem geliebten Vilthon.

Auf eine ganz andere Art.

Vilthon konnte ich inzwischen als einen Mann wahrnehmen, obschon ich ihn mein ganzes Leben lang kannte, unter seinen liebevollen Augen aufgewachsen bin.

Aber irgendwann kam ich in ein Alter, in welchem ich es als unpassend empfand, mich weiter an meinen großen alwischen Freund zu kuscheln.

Das legte sich zwar mit der Zeit wieder ein wenig, als die schlimmste Zeit meiner Pubertät vorüber gezogen war, doch die Unbefangenheit ihm gegenüber, die ich als Kind ausleben durfte, war verschwunden.

In Mirliens Gegenwart fühlte ich mich in diese unbeschwerte Zeit zurück versetzt.

In allen Aspekten.

Das bedingungslose Vertrauen zu ihm, die vorbehaltslose Liebe, mit der er alles Lebendige betrachtete, und noch so viel mehr, was in diesem Mann steckte, dem Vilthon den Namen Mirlien gegeben hatte, ließ mich so manches Mal in eine Sehnsucht verfallen, die ich nicht erklären konnte.

Warum verliebte ich mich nicht einfach in ihn?

Lag das nicht viel näher, als für diesen störrischen Alverlieken zu schwärmen?
 

Endlich hatte Greyan seine Neugier, was meine Echsenhaut anging, befriedigt und ließ wieder von mir ab.

Erleichtert atmete ich auf.

Seine Berührung war für mich schwer erträglich.

So kalt seine Fingerspitzen auch sein mochten, so heiß schien meine Haut unter ihnen zu glühen.

Greyan, der nicht wusste, wie mir zumute war, löcherte mich mit weiteren Fragen.

„Dein Malar hat dir dein Totem genommen und dich somit mit Talentlosigkeit geschlagen. Dennoch konntest du einen gewissen Zugriff auf das Talent des Fiederskinkes erlangen.“

„Des Fiederskinkes?“ Wovon in aller Welt sprach Greyan?

„Ich vermute, dass damit deine Vogelschlange gemeint ist.“ meldete sich Mirlien leise zu Wort.

„Wie auch immer du dein Totem nennst, Drachenmädchen, es scheint noch in irgendeiner Form existent zu sein. Ich habe die Elektrizität gespürt und nicht zu knapp.“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Tillie, jetzt komm schon.“ warf Vilthon ungeduldig dazwischen. „Wir haben dieses Thema nun wirklich lange genug tot geschwiegen. Es wird langsam Zeit für dich, anzuerkennen, dass du dein Talent wieder gefunden, nein es sogar vielleicht niemals verloren hast. Warum fällt es dir immer noch so schwer, dazu zu stehen? Du solltest stolz auf deine Begabung sein und vor allem solltest du langsam anfangen, sie zu trainieren.“

„Wahre Worte.“ bestätigte Greyan.“In deiner augenblicklichen Kondition äußert sich dein Talent eher als eine ungezügelte, zerstörerische Kraft, als dass man es als einen kontrollierbaren Antagonisten zu der Macht deines Malars betrachten könnte.“ Ich senkte schuldbewusst den Kopf.

Die beiden Spitzohren hatte ja Recht.

„Andererseits, “ räumte Greyan ein, „weiß ich aus eigener Erfahrung, dass wir Alverlieken meist kein leichtes Spiel mit unseren Begabungen haben. Deshalb, Drachenmädchen, erprobe dein Talent besser an einem Ort, wo sich möglichst wenig Lebewesen aufhalten, die du verletzen könntest.“

„In Ordnung. Ich werde mir eure Ratschläge zu Herzen nehmen. Versprochen.“ seufzte ich ergeben.

Vilthon nickte zufrieden.

„Wann hat sich dein Talent überhaupt zum ersten Mal bemerkbar gemacht?“ wollte Greyan wissen.
 

Vilthon antwortete für mich. „Als wir Mirlien bewusstlos am Flussufer beim Blumendorf fanden. Wir dachten, wir könnten ihm nicht mehr helfen und Tilya war vollkommen verzweifelt. Und plötzlich lag da so eine merkwürdige Spannung in der Luft, wie kurz vor einem Gewitter. Doch anstelle eines einschlagenden Blitzes ist Mirlien von den Toten auferstanden.“ Mirlien grinste verschmitzt.

„Um ehrlich zu sein, habe ich schon vor diesem Ereignis eine Erfahrung mit dem Talent machen dürfen.“ gab ich schüchtern zu.

„Ach, tatsächlich?“ knurrte Vilthon beleidigt. Oh, nein. Damit hatte ich meinen besten Freund getroffen.

„Es geschah in dem Augenblick, als sich der Malar aus meinem Traum gelöst hat und ich mich ihm Angesicht zu Angesicht in der Wachwelt widerfand. Ich dachte, er wolle mich umbringen, und als ich ihn von mir stoßen wollte, war es, als würde man zwei Magnete mit ihren gleich geladenen Polen aneinander bringen. Funken schlugen. Aber Vilthon, ich wusste doch nicht, dass diese Macht von mir kam. Auch damals, bei unserer ersten Begegnung mit Mirlien glaubte ich doch noch, dass diese Energie von ihm ausgehen würde!“

Der Alwe winkte ab. „Schon gut, Kleines. Ich kann dich ja verstehen.“

„Interessant.“ hörte man Greyan murmeln. „Was konntet ihr noch beobachten?“

„Auf dem Schiff habe ich mehr oder weniger absichtlich diesem Thyllos eine Ladung verpasst, als er mir zu nahe gekommen ist.“

„Der Malarensohn. Der Nachkömmling der Fuchsfrau. Auf diesen Burschen bin ich ja auch schon äußerst gespannt. Mich würde interessieren, wie, und vor allem warum er auf eure Fährte gekommen ist.“

Mirlien räusperte sich. „Ein sehr beeindruckendes Beispiel lieferte Tilyas Talent außerdem noch in der Nacht, als der Malar die Insel verließ.“

Vilthon nickte zustimmend. „Tilyas Talent hat seinen Schattenstaub in funkelnde Asche zusammenfallen lassen.

„Bitte?“ Greyans Oberkörper zuckte raubvogelartig in meine Richtung. „Gestaltloser, reiner Schattenstaub wurde durch dein Talent zerstört?“

„Nein!“ wehrte ich ab. „Also, vielleicht doch.“

„Was denn nun?“

„Naja, der Blitz war auf den Malaren gerichtet und hat ihn auch getroffen. Aber unmittelbar davor hat er sich teilweise mit dem Schattenstaub, der den Malaren umgab, verbunden.“

Greyan verengte seine Augen zu schmalen, funkelnden Schlitzen. „Hat das Drachenmädchen etwa Angst vor dem Schattenstaub?“

Hilflos suchte ich Vilthons und Mirliens Blicke.

Was wollte dieser Alverliek von mir?

„Natürlich. Mit seinen Konstrukten hätte dir dein Malar niemals so viel Furcht einflößen können, wie es seine leibhaftige Erscheinung, umhüllt von Schattenstaub in seinem Urzustand vermag. Wahrscheinlich wollte er dich provozieren, dir deine Unzulänglichkeit bewusst machen, euch beiden beweisen, dass du ihn nicht nähren kannst, weil du ihm unterlegen bist. Er will zu dir zurück, und er hasst dich dafür, weil du ihm nicht gewachsen bist.“
 

In Greyans Blick lag eine beinahe euphorische Wildheit.

Eine Leidenschaft, die sich selten zeigen sollte. „Der Malar muss gespürt haben, dass du und dein Totem immer noch miteinander verbunden seid. Und zwar in einer viel stärkeren Weise, als es normalerweise der Fall ist. Ihr seid eins. Seit dem Augenblick, an dem der Malar den Fiedersink fraß. Es war sein Verdienst. Nimm dich vor dem Schattenstaub in Acht, Drachenmädchen. Wenn es dem Totem schadet, könnte er auch dir gefährlich werden.“

Ich schwieg bestürzt.

„Keine Bange, Kleines, wir passen schon auf dich auf.“ versuchte Vilthon mich zu trösten.

Ich starrte stumm ins Feuer.
 


 


 


 


 


 

Wie sollte ich das alles nur schaffen?

Was erwartete der Malar von mir?

Was sollte ich nur tun, um ihn wieder in meine Träume locken zu können?

Würde ich überhaupt jemals stark genug für ihn sein?

Ich spürte plötzlich Mirliens Hände, die sich von hinten sanft um meine Arme legten. „Hast du nicht gehört, was Vilthon gerade eigentlich gesagt hat, Tilya? Du bist nicht allein.“ flüsterte er mir zu.

Er schenkte mir sein warmes Lächeln und verschwand dann, um zusammen mit Greyan das Lager aufzubauen.
 

Ich musste nur noch meinen spleenigen Alwenfreund zum See begleiten, da er befürchtete, von einer Horde wild gewordener Feuergiftfrösche überfallen zu werden, während er mit unserem kleinen, mittlerweile recht verbeulten Kesselchen etwas Wasser für den Nolmengrieß schöpfte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2009-09-23T17:51:34+00:00 23.09.2009 19:51
Und als der Besitzer des wurmstichigen Bootes zurück kam war sein kleiner Kahn verschwunden xD

Suuuuuuuper Kapitel. Diese Szene am Lagerfeuer war absolut fesselnd!
Von: abgemeldet
2009-09-19T18:16:59+00:00 19.09.2009 20:16
nachdem ich alle kapitel hintereinander verschlungen habe, weiß ich gar nicht mehr ganz genau, was ich zu diesem kapitel sagen wollte, ich weiß nur eins: ich weiß jetzt mehr über den malar und schattenstaub-aber ich weiß nicht mehr über mirlien,-und vor allem -wie er nun zu tilya steht, bzw. sie zu ihm. ist ziemlich undurchsichtig... ist das jetzt mehr als eine gaaaaanz tiefe freundschaft, oder nicht? XD
ich fänd die beiden ja süß zusammen...
Von: abgemeldet
2009-09-19T18:08:13+00:00 19.09.2009 20:08
hmmm...diese knisternde atmosphäre am lagerfeuer... wie kühl greyan tilya begutachtet, und wie sie so nervös mit ihren augen geborgenheit bei mirlien sucht, und dabei noch einmal deutlich wird, welche wirkung er auf tilya,-na eigentlich auf irgendwie jeden-ausübt...
und dann noch ein blick auf das verhältnis von tilya zu vilthon,- insgesamt eine schöne perspektive auf die beziehungen, die tilya zu ihren 3 gefährten entwickelt hat. also definitiv nur für greyan hat sie so richtig romantische gefühle, nicht?
ich meine, dass die thyllos hasst, ist ja klar. obwohl ich ja dazu tendiere, dass er sie doch mit seiner art reizen könnte...:P
und das resummee über tilyas entwicklung, was ihr talent betrifft fand ich sehr aufschlussreich, es hat meine letzten zweifel aus dem weg geräumt!


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