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Lost Prince

Krieg auf Aira
von

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2. Bonus-Geschichte: Avrials Lebensziel

Es war nicht schwierig für Avrial, sich nach Kriegsende in seinen Alltag wieder einzuleben, immerhin hatte er dies über ein halbes Jahrhundert getan: aufstehen, den drei Schlossputzen klar machen, dass er kein Frühstück ans Bett gebracht haben will, Dame spielen, Mittagessen, die drei irren Putzen einkaufen schicken, nebenbei die Zeit allein in der Bibliothek genießen, danach Tee am Balkon, die Putzen am Blödsinn machen hindern, Abendessen, einen ruhigen Abend verbringen und ins Bett gehen.

Nach alldem, was er mit seinen Freunden Siri und Lyze erlebt hatte, fiel ihm allmählich auf, wie sinnlos er seine Zeit vergeudete. Er tat jeden Tag das gleiche, nun schon über Jahre hinweg… eine Änderung musste dringend her.

Sein Glück war es, Lyze versprochen zu haben, ihn in Magie zu unterrichten – so konnte er wenigstens eineinhalb Tage der Woche dem Alltag entfliehen, doch das war ihm zu wenig.

Avrial war auch ein Gewohnheitstier. Jede Änderung in seinem Leben hatte er gerne für dauerhaft; so war es zusätzlich schwierig, ein neues Hobby zu finden, welches man jeden Tag wiederholen konnte.

Es musste etwas Sinnvolles sein.

Überlegend saß der Magier da, in seinem roten Sofa und dachte genau darüber nach. Seine drei Putzen waren damit beschäftigt, alte Kästen abzustauben, als Rina den nachdenklichen Blick ihres Herrn bemerkte. Es brauchte nicht lange und sie hopste zu ihm rüber: „Meister? Geht es Euch nicht gut? Ihr wirkt so traurig, seid Ihr krank?“

„Nein, Rina… es geht mir gut.“

„Wirklich?“

„Ja. Es ist alles in Ordnung.“

„Wirklich wirklich?“

„Ich bin nicht krank und fühle mich wohl in meiner Haut.“

„Wiiiiiiiirklich wiirklich?“

„Rina.“, als Avrial einen leicht entnervten Blick zu seiner Hausputze warf, hopste sie zurück zu ihren Kolleginnen, um schnell weiter die Möbel zu entstauben.

Darauf hin senkte der Magier den Kopf und seufzte tief. „Wisst ihr, jeder Tag ist gleich. Allmählich frage ich mich, ob ich etwas im Leben verpasse… ob das, was ich tue, nicht unnütz ist.“

„Aber Meister.“, Christy stemmte lächelnd die Hände in die Hüfte: „Ihr habt doch eine Aufgabe! Ihr müsst den hübschen Jungen Magie beibringen!“

„Ja!“, rief Juls hinein, „Und Dame spielen und Tee trinken und die Bibliothek erweitern und-“

„Das ist es ja gerade.“, Avrial stützte den Kopf auf seiner Hand, „Ich tue das, was ich schon immer getan habe. Ich will damit nicht sagen, dass ich das Schloss aufgeben will – nein, das werde ich niemals machen. Wegen Yne schon allein nicht. Aber… es muss etwas Neues her. Etwas Sinnvolles.“

Rina schnippte mit den Fingern: „Oh, ich weiß was! Hängt eine Angel aus dem Fenster und fängt Luftforellen!“

„Etwas… Sinnvolles…“, kurz hielt sich Avrial überlegend die Hand ans Kinn, dann setzte er sich mit geweiteten Augen auf: „Einen Augenblick… Christy, was hast du vorhin gesagt?“

„Was? Hä? Was hab ich denn gesagt?“

„Lyze-“, Avrial stand sogleich auf, wanderte an seinen Putzen vorbei und suchte nach seinem Mantel: „Wir hatten das Training doch auf heute Nachmittag verschoben! Ich muss mich beeilen, dann schaffe ich es noch, um drei Uhr in den desteralischen Steppen zu sein!“

„Meister?“, Juls lotste um die Ecke des Raumes, als der Magier eilig den Flur hinab lief und verschwand. „Weg ist er.“

„Er macht sich zu viele Gedanken.“, so Christy, die dabei war, einen Fleck wegzurubbeln, „Er hat doch noch so an die hundert Jahre vor sich.“

„Hundert?“

„Ja, ich glaube, es waren hundert, Rina.“

„Hä?“

„Schon vergessen? Er ist Arcaner.“

Nun verdrehte Juls den Kopf. „Was ist Arcaner?“

„Das- äh- hm. Keine Ahnung… Oh man Leute…“, Christy lies vom Fleck ab und war dabei, sich auf den Boden zu setzen, als sie sich auf den Kopf griff: „Fragt ihr euch manchmal nicht auch, was das alles hier soll?“

„Was wie was soll?“

„Das, Rina, genau das!“

Nun seufzte Juls, legte den Wischlappen zur Seite. „Der Meister hat recht… wir tun jeden Tag das Selbe. Und obendrein…“

Christy sprach weiter: „Und obendrein verlieren wir unseren Verstand, endgültig.“

Nun verstand auch endlich Rina, was ihre Kolleginnen meinten. „Verdammt… ihr habt Recht.“

„Schön, dass wir alle drei der gleichen Meinung sind.“

„Welcher Meinung?“

„Dass wir den Verstand verloren haben, Rina. Das, und die Tatsache, dass wir alt sind… sehr, sehr, sehr, sehr, sehr alt…“

Den ganzen restlichen Tag verbrachten die drei Schlossfrauen mit dieser Erkenntnis. Sie fragten sich, ob es denn überhaupt noch einen Sinn für ihr überlanges Leben gebe – ob ihre Zeit nicht bereits vor einer Ewigkeit hätte enden sollen. Natürlich bedachten sie dabei auch, wie es Avrial ginge, wenn sie nicht mehr wären. Während Juls der Meinung war, der Meister war ohne sie besser dran, war Christy am Überlegen, ob er dann nicht endgültig einsam war. Doch genau in diesem Punkt konnte Rina ausnahmsweise das Richtige sagen: Avrial war nicht mehr alleine. Er hatte gute Freunde, die ihn brauchten.

So verstrich der Tag. Es war nie die Absicht des Magiers, die drei Putzen über ihr Leben aufmerksam zu machen, welches sie bereits seit fast ein Jahrhundert führten. Auch wenn sie langsam ihren Verstand verloren hatten, so nutzten sie das letzte Fünkchen dafür, um zu entscheiden, was das Beste für Avrial, dem Schloss und vor allem für sie selbst sei.

Überraschend warteten die drei somit bereits unten am Tor, als Avrial von seiner Reise zu seinen Freunden zurückkam. Er wusste, dass etwas nicht stimmen konnte, wenn alle drei aufgestellt und ohne einem Lächeln auf ihren blassen Lippen vor ihm standen.

„Meister…“, begann Juls schließlich und trat einen Schritt vor, „Wir haben nachgedacht.“

„Gründlich nachgedacht, Meister.“, so Rina.

Christy wartete den überraschten Blick des Arcaner ab, ehe sie lächelnd sprach: „Wir sind dankbar, dass wir bei Euch bleiben durften. Über all die Jahre hinweg!“

„Und wir sind dankbar, dass Ihr uns das Leben geschenkt habt… das lange Leben eines Arcaners. Aber…“

„Aber wir können nicht mehr.“, fügte Rina ein.

Christy nickte. „Bitte versteht unsere Entscheidung… wir wollen nicht länger zusehen, wie wir den Rest unseres Verstandes verlieren.“

Juls seufzte trocken, „Und so werden wie Rina.“

Als die drei Hausdamen fertig waren, wartete Avrial einen Moment, eher er lächelnd den Blick senkte. „…Seid ihr euch in eurer Entscheidung wirklich sicher? Ihr wisst, dass es, wenn der Bann aufgehoben ist, der euch mit meinem Leben verbindet, kein Zurück gibt.“

„Das wissen wir.“, Juls lächelte traurig, „Bitte… wir sehnen uns nach Frieden.“

Christy deutete auf ihre Kollegin Rina, die einen Koffer neben sich stehen hatte, „Sie hat bereits ihre Sachen gepackt… aber ich denke, dort wo wir hingehen, braucht sie die nicht.“

„Nein… so ist es.“, nun hob Avrial die Arme und öffnete die Handflächen.

Sichtlich glücklich über das Handeln des Magiers, rutschten die drei Putzen ein Stück näher zusammen und gaben sich gegenseitig die Hände – denn ein wenig Angst hatten sie schon. Noch ein letztes Mal lächelte Christy freundlich: „Lebt wohl, Meister.“

Avrial musste darauf nicken. „Ich danke euch für eure gute Arbeit. Ihr habt eure Ruhe redlich verdient.“, schließlich schloss er die Augen und breitete die Arme aus, als sich eine geisterhafte Aura um die drei Schlossdamen bildete. „Grüßt Yne von mir.“

Als der Magier ruckartig die Hände senkte, wurden die drei Frauen regelrecht in die helle Aura eingehüllt – im nächsten Moment verschwanden sie, aus Ikana, im Nichts.

Als die Tat vollbracht war, drehte sich Avrial seufzend vom vergangenen Geschehen ab; nun war er alleine im großen Schloss.

Noch eine ganze Weile ging der Magier mit gesenktem Kopf durch sein großes Heim. Er wusste, dass seine drei letzten Bediensteten niemals mit ihm im hohen Alter von fast zweihundert Jahren sterben würden; doch rechnete er auch nicht damit, dass der Tag des Abschieds so rasch kommen würde.

Er setzte sich in sein Sofa in eines der roten Wohnzimmer vor dem Kamin, nahm seinen Hut ab und wischte sich seufzend über die Stirn. Nie mehr sollte ihm das Frühstück ans Bett gebracht werden, auch, wenn er das gar nicht wollte. Er wird selbst zum alten Bauernhof die Straße hinunter gehen müssen, um Lebensmittel zu beschaffen; was vielleicht gar nicht so schlecht war – den jetzigen Bauernhofbesitzer hatte er zuletzt gesehen, als er in Windeln einem Huhn nachjagte.

Es war eventuell das Beste für alle, die drei Schlossdamen gehen zu lassen. Viel zu lange schon waren sie auf dieser Welt… ein Zauber, der den Lebensfaden an den eines Arcaners bindet, war vielleicht von Anfang an keine gute Idee gewesen.

Und da fiel es Avrial ein… ihm fiel ein, was diese sinnvolle Beschäftigung sein könnte, nach der er suchte: wenn man Lebende an seine Lebensdauer binden konnte… funktionierte das dann nicht auch umgekehrt, mit Verstorbenen?



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