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Die Super Nanny in Japan

von

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Zähe Fortschritte

Leider war es ungleich einfacher, aufmunternde Worte zu hören, als sie umzusetzen.

Sobald Hirose vor ihr saß, frisch geduscht oder gebadet, mit noch geröteter Haut und einen angenehmen Duft nach Seife verbreitend, war sie wieder leise und verunsichert und überließ es hauptsächlich mir, mit ihm zu reden.

Und ich bekam eine Ahnung davon, was sie gemeint hatte: Er war wirklich schwer zu überzeugen. Er beharrte stur auf seinem Standpunkt, den er mir schon am Vormittag darlegt hatte. Keine psychotherapeutische Unterstützung für Tatsuomi, sein Sohn sei geistig normal und hätte kein Problem, das nicht innerhalb der Familie zu bewältigen wäre, er müsse sich nur endlich zusammenreißen, und ich solle mich auf mein Fachgebiet, die Pädagogik, beschränken. Nur in diesem Bereich sei er bereit, meinen Ratschlägen zu folgen; diesen Standpunkt machte er mehr als deutlich. Hirose hatte sich allem Anschein nach über mich erkundigt, denn er erwähnte auch meine musiktherapeutische Ausbildung. Allerdings ließ er keinen Zweifel daran, was er davon hielt - nämlich gar nichts.

Seine Worte verletzten mich, was ich mir jedoch natürlich nicht anmerken ließ.

Dafür verlor ich aber langsam die Geduld und konfrontierte ihn damit, dass ich von den Beruhigungsmitteln wusste, die sein Sohn bekommen hatte. Selbstverständlich ohne zu erwähnen, woher ich das wusste. Ich konnte mir die ironische Frage nicht verkneifen, ob er das unter Problembewältigung verstand. Und warum hatten sie es nicht für nötig gehalten, mich davon in Kenntnis zu setzen?

Weil mich das nichts angehe, war seine prompte Antwort, aber ich spürte, ich hatte ihm etwas den Wind aus den Segeln genommen.

„Er bekommt sie nur ab und zu gegen seine Alpträume, damit er schlafen kann“, schaltete sich jetzt Kaoruko entschuldigend ein. „Dr. Kajiura hat sie ihm verordnet.“

„Warum wird Tatsuomi nicht von Ihrem Hausarzt, Dr. Emoto, behandelt?“ fragte ich und versuchte, meine Neugier als Überraschung zu tarnen. Unter Hiroses durchdringendem Blick war das gar nicht so einfach. Aber ich hatte schon ganz andere Ehemänner erlebt, und Hirose würde es nicht schaffen, mich zu verunsichern.

„Weil Dr. Kajiura ihn schon ihm Krankenhaus behandelt hat“, antwortete er, bevor seine Frau etwas dazu sagen konnte. Ich spürte deutlich, dass das Thema damit beendet war, und bohrte erstmal nicht weiter.

„Ich bin vor allem hier, um Tatsuomis Interessen zu vertreten“, sagte ich stattdessen. Dagegen konnte er schlecht etwas einwenden. „Darum habe ich ihn auch gefragt, was er eigentlich möchte. Aber Sie haben Glück“, ich gab meinem Ton einen leicht scherzenden Klang, um die Situation wieder etwas zu entschärfen. „Ihr Sohn hat die gleichen Ziele wie Sie. Er möchte wieder zur Schule gehen, wieder normal essen können, wieder trainieren… Kurz gesagt, er möchte nichts sehnlicher, als Ihren Erwartungen wieder gerecht zu werden. Aber er ist natürlich völlig damit überfordert, wie er das erreichen soll. Da müssen Sie ihm helfen.“ Ich warf Hirose einen Blick zu, der ihm sagen sollte, dass das Thema Therapie für mich noch lange nicht vom Tisch war. „Es war gar nicht so einfach, Ihrem Sohn etwas zu entlocken, das seinen eigenen Bedürfnissen entspricht. Aber es gibt etwas. Er möchte mehr Zeit mit Ihnen, Hirose, verbringen. Wann haben Sie denn das letzte Mal etwas mit ihm unternommen? Und ich meine etwas, das Spaß macht, keine Arztbesuche oder so was.“

„Keine Ahnung“, sagte Hirose langsam. „Wann habe ich ihn das letzte Mal trainiert? Vor zwei Monaten ungefähr. Ich habe im Moment wenig Zeit.“

„Sie sollten sich die Zeit nehmen“, sagte ich behutsam. „Er braucht Sie. Gerade jetzt im Moment ist das wichtig. Wie oft unternehmen Sie überhaupt etwas gemeinsam als Familie? Sie nehmen die Mahlzeiten zusammen ein, das ist super. Aber was gibt es noch? Gibt es gemeinsame Aktivitäten außer dem Sport?“

Kaoruko sah aufmerksam ihrem Mann zu, wie er die Antwort überlegte. Ich hatte den Eindruck, ihr gefiel die Wendung des Gesprächs.

„Da gibt es nichts“, kam sie ihm denn auch zuvor. „Außer zu den Turnieren oder bei Familientreffen machen wir gar nichts zu dritt.“

„Das ist aber sehr schade“, sagte ich. „Das würde er sich so sehr wünschen. Und er braucht so dringend positive Erlebnisse. Ich finde das jetzt ganz wichtig, damit er auch mal wieder Freude empfinden kann. Ich habe selten ein so unglückliches Kind gesehen wie Ihres. Heute Nachmittag im Dôjô, als wir gespielt haben, habe ich ihn zum ersten Mal fröhlich erlebt. Er ist die meiste Zeit so traurig und verzweifelt, da müssen Sie ihn so oft wie möglich herausholen!“

Hirose saß jetzt ähnlich steif da wie Kaoruko vorhin. Wahrscheinlich konnte er sich nicht vorstellen, wie das gehen sollte. Ich sprach eindringlich weiter: „Sie haben mir gesagt, Sie wollen ihm helfen. Dann bitte ich Sie, seine Wünsche und Bedürfnisse ernst zu nehmen. Unternehmen Sie am Wochenende etwas gemeinsam. Bringen Sie ihn abends ins Bett, wenn Sie zu Hause sind, und lesen Sie ihm die Gute-Nacht-Geschichte vor. Wann haben Sie das zum letzten Mal gemacht?“

„Das ist Kaorukos Aufgabe“, sagte er.

„Noch nie?“ fragte ich verblüfft. „Dann wird es aber Zeit! Da können Sie heute gleich mit anfangen. Und ich möchte auch, dass das Waschen von heute an anders abläuft.“ Ich erläuterte, wie ich mir das vorstellte. Immerhin hielt Hirose sein Wort und erklärte sich bereit, meine Einweisungen auszuprobieren.

Mir war ein Rätsel, warum er sich so gegen eine psychologische oder psychiatrische Untersuchung sperrte.

Dann wurde es noch einmal schwierig, als ich Tatsuomis Unterricht ansprach. Ich fand, dass Tatsuomi unter enormem Druck stand, und wollte ihn so weit es ging entlasten. Hirose wollte jedoch auf keinen Fall, dass sein Sohn im Lernstoff zurückblieb und womöglich die zweite Klasse wiederholen musste. Das kam für ihn überhaupt nicht in Frage.

„Das kommt in den besten Familien vor“, versuchte ich ihn zu beruhigen.

Hirose erläuterte mir ausführlich und unnachgiebig, dass es in Japan absolut unüblich sei, dass ein Kind sitzen blieb. Alles wurde daran gesetzt, dass Klassenziel gemeinsam zu erreichen. Sein Kind solle da keine Ausnahme machen.

Unerwarteter Weise kam mir Kaoruko zu Hilfe. Jetzt zeigte sie endlich wieder ihre Entschlossenheit vom Vortag, die ich heute bisher so vermisst hatte.

„So, wie das im Moment läuft, schafft er den Lernstoff ohnehin nicht. Ich werde morgen mit dem Hauslehrer sprechen. Er soll den Unterricht weniger leistungsorientiert gestalten.“

„Das ist eine gute Idee“, sagte ich erleichtert. Und zu Hirose gewandt fügte ich hinzu: „Er wird von alleine lernen, sobald er dazu in der Lage ist. Er ist selbst total unzufrieden mit sich, so wie es gerade ist. Mit Druck erreichen Sie hier nur das Gegenteil.“

Hirose gab nach. Juchhu.

Dann war da aber noch Tatsuomis zweiter Wunsch.

„Was ist eigentlich mit Hatsumo?“ fragte ich. „Können die beiden Jungs nicht wieder miteinander spielen? Wissen Sie, was zwischen ihnen vorgefallen ist?“

„Hotsuma“, verbesserte mich Kaoruko. „Mir hat Tatsuomi nicht gesagt, warum er Hotsuma nicht mehr sehen möchte.“

„Ich werde mit Hotsuma sprechen“, sagte Hirose. „Das lässt sich regeln.“

Ich sah von ihr zu ihm. Es schien schon wieder jeder etwas anderes zu sagen.

„Also, Sie wissen, was mit den beiden los ist?“ fragte ich, um Klarheit zu gewinnen.

Er machte eine abwertende Handbewegung. „Das ist Kinderkram. Ich kläre das mit Hotsuma, wenn Tatsuomi es so möchte. Ich soll mich doch schließlich um ihn kümmern, haben Sie gerade gesagt.“

„Tatsuomi meinte, Hotsumas Vater hätte es ihm verboten“, bemerkte ich.

„Hat er das?“ sagte Hirose bloß. Er stand auf und erklärte das Gespräch damit für beendet.



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