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Die Super Nanny in Japan

von

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Erste Schwierigkeiten

Hirose empfing mich in seinem Arbeitszimmer.

Kurauchi-san, sein persönlicher Leibwächter, Namis Kollege und Vorgesetzter, holte mich am Steingarten ab. Nami raunte mir die Information zu, als sie ihn auf uns zu kommen sah. Die Zeit mit ihr war rasend schnell vergangen. Sie hatte auch mir einige Fragen gestellt, und als ich ihr von meinen eigenen vier Söhnen in Berlin erzählt hatte, erwies sie sich als aufmerksame Zuhörerin. Zwischendurch hatten wir auch minutenlang miteinander geschwiegen und auf den Stein gestarrt, ohne dass diese Pausen unangenehm geworden wären. So kam ich sogar zu meiner dringend benötigten Zeit, meine Gedanken zu sortieren.

Kurauchi war der gleiche Mann, der Tatsuomi gestern beim Waschen so eisern festgehalten hatte. Irgendetwas hatte er an sich, das mir unheimlich war, obwohl er mich sehr höflich ansprach und durch das Labyrinth der Gänge und Zimmer geleitete. Er hatte markante harte Gesichtszüge, noch betont durch seine kurzen Haare und den fast eckigen Schnitt seines Anzugs. Passend dazu trug eine ernste, fast finstere, und undurchdringliche Miene zur Schau. Also, was mich betraf, mir würde allein sein Anblick reichen, um von einem Überfall auf Hirose abzusehen. Zum Glück hatte ich ja nichts dergleichen vor. Und er ließ uns auch sofort allein, als ich das Arbeitszimmer betrat.

Der Raum war erstaunlicherweise in westlichem Stil eingerichtet. Hirose saß hinter einem riesigen Mahagoni-Schreibtisch und hatte gleich mehrere Computermonitore vor sich. Er stand auf und führte mich zu einer kleinen Sitzgruppe mit modernen, aber trotzdem gemütlichen Sesseln. Von hier wurde der Blick in den kleinen Garten im Innenhof des Wohnkomplexes gelenkt und ließ die Firmengeschäfte vergessen. Ein Teil der Außenwand war dazu geöffnet worden.

Er ließ mich Platz nehmen und setzte sich mir gegenüber. Auf dem kleinen Tisch zwischen uns dampfte frisch eingeschenkter grüner Tee, der hier anscheinend bei keiner Gelegenheit fehlen durfte. Er bot mir eine Zigarette an, die ich natürlich ablehnte, und zündete sich selbst eine an.

„Was möchten Sie nun von mir wissen?“ fragte er, nachdem er einen tiefen Zug genommen hatte. „Was kann ich beantworten, das Sie nicht mit meiner Frau besprechen könnten? Sie ist eine gute Mutter.“

„Das ist auf jeden Fall richtig“, sagte ich und war etwas überrascht, dass er meinte, sie vor mir in Schutz nehmen zu müssen. Ich ließ mich von seinem unterschwellig angriffslustigen Ton jedoch nicht beeindrucken. Ich wollte gleich zum Thema kommen: „Sie hat mir von Tatsuomis Aikido-Unfall erzählt. Könnte sein jetziges Verhalten denn damit zu tun haben, was meinen Sie?“

„Nein. Er hat sich den Rücken geprellt, aber es war nichts gebrochen. Keine große Sache.“

„Wie war das denn im Krankenhaus? Hatte er Angst? Waren da vielleicht schmerzhafte Untersuchungen?“

„Nein. Alle waren ganz vorsichtig und nett zu ihm. Außerdem war ich die meiste Zeit dabei.“

„Das ist gut“, sagte ich. „Also ist Ihnen dort nichts Besonderes aufgefallen?“

„Nein.“

„Hm. Und könnte es vielleicht sein, dass er noch Schmerzen hat? Auch das wäre eine mögliche Erklärung.“

„Nein. Er ist mehrmals untersucht worden. Es ist alles gut verheilt, alles in Ordnung.“

„Naja, körperlich“, wandte ich ein. „Ansonsten ist nicht viel in Ordnung, finde ich. Haben Sie ihn auch psychologisch untersuchen lassen?“

„Mein Sohn braucht keinen Psychiater! Machen Sie hier Ihre Arbeit, und lassen Sie den Rest ruhig meine Sorge sein.“

„Ich mache meine Arbeit. Aber dazu brauche ich Ihre Mithilfe“, sagte ich freundlich. Ich hatte nicht erwartet, dass das Gespräch mit ihm einfach werden würde. „Auf mich macht Ihr Sohn einen sehr verzweifelten und, ja, verstörten Eindruck. Und ich kann mir nicht recht erklären, warum das so ist. Haben Sie eine Erklärung?“

„Nein. Ich dachte, Sie könnten uns sein Verhalten erklären.“

Ich ignorierte seinen Sarkasmus. „Ich kann Ihnen nur sagen, was ich sehe. Und ich sehe einen achtjährigen Jungen, der in großer Not ist. Er ist unglücklich und verzweifelt, und er hat Angst. Wovor hat er Angst, Mr. Nanjo?“

„Er steigert sich da doch nur in etwas hinein! Er hat keinen Grund, Angst zu haben. Er soll sich nicht so anstellen!“

„Es tut mir leid, Mr. Nanjo, aber ich muss Sie das jetzt fragen. Schlagen Sie Tatsuomi? Oder haben Sie ihn geschlagen?“

„Wie bitte? Wie kommen Sie darauf!“

„Akihito machte eine Bemerkung in dieser Richtung über Ihren Vater.“

„Und was hat das jetzt mit mir zu tun?“

„Ich möchte nur nichts übersehen. Wie ist denn Ihr Vater mit Ihnen und Ihren Geschwistern umgegangen?“

„Das tut hier überhaupt nichts zur Sache. Ich werde nicht schlecht über meinen Vater reden!“

„Das verstehe ich. Und ich möchte klarstellen, dass es mir nicht darum geht, irgendwelche Schuldzuweisungen zu machen. Ich bin mir nur nicht sicher, ob Sie sich bewusst sind, wie Ihr Verhalten auf Ihren Sohn wirkt. Sie reden sehr laut und sehr unfreundlich mit ihm, und das gerade in Situationen, die sehr schwierig für ihn sind. Ihre Vorgehensweise beim Waschen gestern zum Beispiel empfand ich als sehr Angst auslösend. Und in so einem Moment, wenn Tatsuomi sowieso Angst hat, ist das überhaupt nicht angebracht. Ich frage mich, ob das vielleicht die einzige Art ist, mit schwierigen Situationen umzugehen, die Sie kennen. Wenn das so ist, sollten Sie sich fragen, woher Sie das kennen, und wie sie sich dabei gefühlt haben. Und dann für sich noch mal überprüfen, ob Sie das wirklich genau so möchten.“

Er schwieg und sah mich an. Dann nahm einen letzen Zug und drückte die Zigarette aus.

„Ich möchte nicht die gleichen Fehler machen wie mein Vater“, sagte er, und die Aggressivität war jetzt aus seiner Stimme verschwunden. „Ich sehe ja, was mit meinen Brüdern passiert ist. Sie hassten ihn, und das Joto-Dôjô bedeutet Ihnen nichts. Ich möchte nicht, dass dasselbe mit Tatsuomi geschieht. Er ist der einzige Erbe unserer Schwertlinie und wird zusätzlich später den Konzern leiten.“

„Ich kann mir vorstellen, dass das ganz schön viel Druck ist, der auf ihm lastet.“

„Als ich in seinem Alter war, ging es mir zumindest so. Ich wurde hart auf meine Aufgabe hin gedrillt. Aber ich war zufrieden. Das war meine Mission. Es war ein ungeheurer Druck, ja. Aber es war auch ein unglaubliches Gefühl von Stolz und Überlegenheit. Mein einziges Lebensziel war, den Erwartungen gerecht zu werden.“ *

„Ich denke, Tatsuomi geht es da ganz ähnlich. Und im Moment sollten Sie versuchen, ihn zu unterstützen. Und nicht noch mehr Druck machen.“

Ich war mit dem Verlauf des Gesprächs ganz zufrieden. Hirose hatte zwar anfänglich ein wenig geblockt, aber es war auch für ihn gerade nicht leicht. Dank Nami wusste ich ja, dass er emotional sehr belastet war, und durch seine Äußerungen über seine Brüder wurde mir auch noch deutlicher, wie sehr ihn das Testament seines Vaters gekränkt haben musste. Er war der einzige, dem an der Schwertschule lag, der sein Herzblut hinein gab, und ausgerechnet er bekam sie nicht. Und obwohl ich ihn als sehr verschlossenen Mann erlebte, hatte er sich doch ein klein wenig geöffnet und mir einen kurzen Blick hinter die Fassade erlaubt.

Er gab selbst zu, dass er in Bezug auf seinen Sohn in eine Sackgasse geraten war, wo es nicht weiter ging. Er war bereit, sich meine Vorschläge anzuhören und es anders zu versuchen.

Das war ein guter Anfang. Viel mehr konnte ich von ihm momentan wohl nicht erwarten.
 

Das Mittagessen verlief schon etwas entspannter als die vorigen Mahlzeiten. Diesmal waren außer mir nur die Eltern und Tatsuomi anwesend.

Tatsuomi und ich beteiligten uns jetzt beim „Itadaki-masu“, und Tatsuomi aß wieder seine zwei Pflichthappen. Sorgsam legte er dann die Stäbchen wieder auf den Tisch und sah zu seinem Vater. So ganz traute er dem Frieden anscheinend nicht.

Aber Hirose nickte anerkennend und fragte, wie der Unterricht am Vormittag gewesen sei. Ich war froh, dass er meine Vorschläge gleich umsetzte und versuchte, wieder ein wenig Normalität herzustellen. Er war also tatsächlich willens, mitzuarbeiten, auch wenn er viele meiner Fragen nicht beantwortet hatte.

Tatsuomi war erst sichtlich verunsichert und sah vor seinen Antworten immer wieder zu seiner Mutter oder zu mir. Er redete ganz leise und konnte Hirose dabei fast nicht ansehen. Manchmal fehlte ihm eine englische Vokabel, aber ich fand es dennoch erstaunlich, wie gut er schon die fremde Sprache beherrschte.

Anscheinend war der Unterricht nicht so gut verlaufen. Er hatte sich die Schriftzeichen nicht merken können. Der Lehrer war unzufrieden mit ihm gewesen.

Ich fand es mutig von Tatsuomi, dass er es trotzdem erzählte und sagte das auch.

„Loben Sie ihn, sooft sie können“, fügte ich noch hinzu. „Das stärkt das Selbstvertrauen.“

Es war schön zu beobachten, wie Tatsuomi zusehends auftaute und sich ein ganz normales Familiengespräch daraus entwickelte. Kinder reagieren meist sehr schnell schon auf leiseste Veränderungen, und Tatsuomi war da keine Ausnahme. Es war auch gut für die Motivation der Eltern, wenn sich die ersten Erfolgserlebnisse einstellten.

Aber ich hatte noch immer keine Ahnung, was genau mit dem Jungen los war.

Dennoch hatte ich vor, ihm im Rahmen meiner Möglichkeiten so gut es ging zu helfen. Dazu war es jetzt auch wichtig, mit ihm allein zu sprechen. Was seine Eltern von ihm erwarteten, war mir inzwischen hinreichend bekannt. Aber was konnte ich für Tatsuomi tun?



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