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Watching your Footsteps

Seung-Hyun X Ji-Yong
von

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What Can I Do?

Seung-Hyun brachte den Jüngeren sofort ins Bett, aber anstatt das Zimmer wieder zu verlassen, blieb er einfach dort. Setzte sich auf den Boden und verharrte. Young-Bae ließ sich neben Seung-Ri auf dessen Bett nieder und hielt seine Hand. Und genauso folgte ihnen Dae-Sung, welcher nicht von den anderen getrennt sein wollte. Sie alle hatten das Bedürfnis heute zusammen zu bleiben. Auch ohne zu sprechen. Einfach stumm einander beizustehen, um nicht verrückt zu werden.

Niemand wollte schlafen. Ebenso wie Nahrung war dies keines ihrer Bedürfnisse. Es war erst Nachmittag und doch fühlte es sich an wie dunkle Nacht.

Und Seung-Ri weinte noch immer.

Sie blieben sitzen, schweigend, starrend, bis es wirklich dunkel geworden war und auch dann dauerte es noch eine ganze Weile, bis sich einer von ihnen rührte. Manchmal trafen sich ihre Blicke, doch es war zu schmerzhaft, es lange auszuhalten, deshalb wandten sie immer den Kopf wieder an.

Unterbrochen wurde die Stille nur von unregelmäßigen Schluchzern, die Seung-Ri von sich gab. Sie waren leise, fast stumm, aber es lagen alle seine Gefühle darin und so tat es ihnen allen weh, diese Laute mitanhören zu müssen.

Young-Bae war irgendwann näher an den Jüngsten herangerutscht, hatte seinen Kopf auf den Schoß genommen, um ihn zustreicheln. Es wollte Seung-Ri ein wenig Sicherheit geben, aber in Wahrheit hielt es auch ihn selbst davon ab durchzudrehen.

Es war Dae-Sung, der als erster aufstand. Er knipste eines der kleinen Nachtlichter an und riss die Fenster auf, um ein wenig frische Abendluft hineinzulassen. Dann blieb er einfach am Fenster stehen und starrte auf die Stadtlichter hinab.
 

"Wer tut denn so eine Scheiße?!"

Er hatte sich umgedreht und schien seine Freunde mit seinem Blick fast herauszufordern. Er hatte genug davon, hier rumzusitzen und nichts zu tun. Hier herumzusitzen und im Selbstmitleid zu versinken konnte keinem helfen, weder Ji-Yong noch ihnen.

Seung-Hyun blickte überrascht auf und war erstaunt, einen derart festen Blick in den Augen des Jüngeren zu entdecken, das hatte er nicht erwartet. Er wünschte in diesem Moment hätte er diese Stärke auch, aber es war Resignation, die sich wie Fesseln um seine Glieder gelegt hatte. Er haette die ganze Zeit da sei können, für Ji-Yong da sein können und nun konnte er es nicht mehr. Und so sehr er es auch wollte, er war zu schwach, um den anderen zu helfen, fühlte sich unnütz.

Young-Bae fand schließlich seine Stimme wieder.
 

"Er war bestimmt wahnsinnig. Du hast die Briefe gesehen, er hat in seiner Traumwelt gelebt. Bestimmt war er der Überzeugung, dass er... dass er es auch wollte."

Die letzten Worte kamen nur gepresst zwischen seinen Lippen hervor.

Seung-Hyun wollte das alles nicht hören. Es tat viel zu sehr weh, über solche Dinge nachzudenken, er wollte sich nicht damit auseinandersetzen, nicht jetzt. Er würde es tun, wenn es Ji-Yong helfen konnte, aber nicht jetzt. Ohne ein weiteres Wort stand er auf und verließ den Raum.

Er fühlte sich schlecht dabei, aber er konnte in diesem Moment nicht anders, er konnte die Gedanken einfach nicht ertragen, wollte nicht mit ihnen konfrontiert werden. Allein schon jetzt wurde ihm übel und er konnte kaum die Bilder in seinem Kopf abschalten.

Dae-Sung sah dem Älteren nach und stieß die Luft schwer in den Raum aus. Fast tat es ihm leid, mit einer derartig dummen Frage herausgeplatzt zu sein. Doch auch er musste seinen Gefühlen und Gedanken wenigstens für einige Sekunden freien Lauf lassen. Sein Blick traf wieder auf Young-Baes, welcher noch immer die Lippen aufeinander gepresst hatte. Beinahe so, als hätte er etwas Unaussprechliches von sich gegeben.

Aber das, was Ji-Yong zugestoßen war, erschien wahrhaftig wie ein Ereignis, das nicht genannt werden durfte. Niemand von ihnen wollte daran denken oder darüber sprechen. Es war noch zu früh. Viel zu früh.

Das Telefon begann zu klingeln.

Dae-Sung und Young-Bae fuhren zusammen, ähnlich erschrocken wie in dem Moment, als Ji-Yong begonnen hatte zu schreien. Und wie dieser Schrei wirkte auch das Klingeln irreal.
 

"Dae-Sung, könntest du vielleicht rangehen?"
 

Sie benötigten beide einige Sekunden, um die Überraschung zu überwinden. Aber der Jüngere nickte sofort und verließ das Zimmer. Durch Young-Baes plötzliche Bewegung erwachte nun auch Seung-Ri endlich wieder aus seinem unruhigen Schlaf. Leicht verwirrt blickte er auf zu seinem Freund, welcher so gut über ihn gewacht hatte.
 

"Hyung, du bist die ganze Zeit da gewesen."

Er lächelte.

Seung-Ri lächelte und Young-Bae zerriss es fast das Herz. Der Ältere griff den Oberkörper des anderen fest mit seinen Händen und zog diesen zu sich hinauf. Zog ihn an sich und gab ihm einen zärtlichen Kuss auf diese lächelnden Lippen.
 

"Bitte, hör nie wieder auf zu lächeln. Bitte.", flehte er regelrecht, als er den Kuss wieder löste und Seung-Ri in seiner Umarmung hielt.
 

"Tut mir leid, wenn ich dir Sorgen gemacht habe", flüsterte der Juengere, hob den Oberkörper und klammerte sich förmlich an den anderen.

"Es war nur... Ji-Yong ging es so schlecht und..."
 

"Shhh, schon in Ordnung, es hat uns alle mitgenommen."

Young-Bae streichelte sanft den Nacken des anderen und küsste seine Stirn. Seine Lippen schmeckten salzig.

Sie verharrten in der Umarmung und genossen den kurzen Augenblick der Nähe, versuchten den schweren Tag zu vergessen, aber ganz gelang es ihnen nicht. Nur einen Moment später richtete sich Seung-Ri auf und schaute sich im Raum um. Als er eingeschlafen war, waren die anderen beiden bei ihnen gewesen, nun waren sie allein. Das Telefon hatte geklingelt, es hatte ihn geweckt, daran erinnerte er sich. Dae-Sung hatte abgenommen.
 

"Wo ist Seung-Hyun?"

Namenlose Ängste schwangen in seiner Stimme mit.
 

"Er ist... keine Ahnung, er ist irgendwo. Dae-Sung hat angefangen über... über Ji-Yong zu sprechen und er hat es nicht ausgehalten. Ich glaube für ihn ist das ganze noch hundertmal schlimmer als für uns."
 

Seung-Ri nickte und kuschelte sich wieder an den anderen. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie es in Seung-Hyun aussehen musste, wenn es schon ihm so schlecht ging. Es musste vergleichbar sein mit dem Weltuntergang, mit dem Zusammenbrechen von allem, an was man jemals geglaubt und der Verlust von allem, in das man jemals seine Hoffnung gesteckt hatte.
 

"Mach dir nicht so viele Gedanken" Young-Baes Stimme riss ihn aus seinen düsteren Überlegungen und er war dankbar dafür. Einen Moment lang hatte er sich gefühlt, als würde er am Rande des Wahnsinns stehen und einen kurzen Blick in seine endlosen Tiefen werfen.

Auf einmal hörten sie laute Stimmen aus dem Nebenzimmer. Sie konnten keine Worte verstehen, erkannten aber Dae-Sungs Stimme.
 

"Was ist denn da los?"
 

Young-Bae zuckte die Schultern. Aber es brauchte keine Antwort, denn nur wenige Sekunden später kam Dae-Sung ins Zimmer geplatzt, am Ärmel zog er den Ältesten mit sich, der so aussah, als würde er jeden Moment explodieren. Seung-Hyuns Blick sagte etwas wie "lass mich bloß in Ruhe, sonst stirbst du!", aber der andere schien das gekonnt zu ignorieren.
 

"Jungs, das war die Polizei. Sie haben Min-Ho geschnappt, er war es wirklich!"

Dae-Sungs Stimme überschlug sich vor Aufregung und mit einem Mal waren sie alle voll da. Sogar Seung-Hyuns grimmiger Ausdruck war Verblüffung gewichen.

Nachdem Dae-Sung das Telefonat mit einem kurzen Wortwechsel beendet hatte, hatte er sich zuerst auf die Suche nach Seung-Hyun begeben. Er fand ihn auf Ji-Yongs Bett liegend, dessen Kopfkissen umklammernd. Es war nicht einfach gewesen, ihn von diesem Ort zu lösen.

Und nun standen sie hier, alle gemeinsam, nicht in der Lage, sich zu rühren.

Was sollten sie nun fühlen? Erleichterung? Wut? Entsetzen?

Jeder von ihnen schien sich dies zu fragen. Dae-Sung selbst wusste, dass keine Nachricht der Welt ihnen Erleichterung verschaffen könnte. Selbst wenn Min-Ho einen qualvollen Tod gestorben wäre, würde dies nichts ungeschehen machen.

"S-sind sie sich sicher?"

Wagte Seung-Ri leise zu fragen. Wenn dies wirklich die Wahrheit darstellte, wenn Min-Ho es wirklich gewesen war, dann war ihr Freund die gesamte Zeit in der Nähe des Teufels gewesen. Und auch sie selbst hatten sich durch ihn in Sicherheit gewogen gefühlt.

Dae-Sung senkte seinen Kopf.
 

"Das habe ich sie auch gefragt. Und ja, sie haben Beweise gefunden."
 

"Beweise?"
 

"Er hatte einen Schlüssel bei sich...der...er passte zu dem Raum in dem...."

Seine Stimme brach ab. Wieder konnte er es nicht aussprechen. Seung-Hyun fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, in der Hoffnung, sich auf diese Art beruhigen zu können. Er fühlte sich schwanken.
 

"W-was noch?", fragte er daher weiter, als würde dies irgendetwas besser machen.
 

"Sie haben auch seine Wohnung durchsucht. Da waren überall Fotos. Nicht nur aus Zeitschriften, meinten sie. Auch private. Sie sagten, er muss ihn schon sehr lange beobachtet haben."
 

Plötzlich sank Seung-Hyun neben ihm zu Boden. Er ließ sich einfach fallen. Gab dem Bedürfnis endlich nach, nun auch zusammen zubrechen. Den gesamten Nachmittag hatte er sich irgendwie halten können, aber nun, wo sie Gewissheit hatten, war es ihm nicht mehr möglich. Er hatte Min-Ho von Beginn an nicht gemocht. Jedoch war der Grund dafür ein anderer gewesen. Ein dummer Grund. Eifersucht.
 

"An dem Tag als...als wir heim kamen und die Wände vollgemalt waren, da hat er in seinen Armen...geschlafen."
 

"Hyung, hör auf.", versuchte Dae-Sung den Älteren zu beschwichtigen und hockte sich neben ihn. Aber dieser schüttelte den Kopf und blickte ihn direkt an. In seinen Augen tauchten die ersten Tränen auf.
 

"Nein...du verstehst das nicht...", gab er heiser von sich.

"Du hast nicht gesehen, wie er mich angesehen hat, als ich Ji-Yong in den Armen gehalten habe. Er...sein Blick...er war voller Wut und vielleicht auch...Mordlust. Ich hätte ahnen müssen, dass etwas nicht stimmt. Aber ich war zu blind..."

Seung-Hyun weinte.

Noch nie hatte er vor ihnen geweint. Aber jetzt war alles unwichtig. Es tat zu sehr weh.

Jetzt hatte er ihnen gestanden, welchen Fehler er begangen hatte. Er hatte seine Chance verpasst und Ji-Yong musste nun die Konsequenzen tragen.

"Nein, Hyung, du darfst dir nicht selbst die Schuld geben, das bringt doch alles nichts!" Dae-Sung war neben ihm auf die Knie gegangen und versuchte ihn irgendwie aus seiner Lethargie zu wecken.

Aber das war in diesem Moment unmöglich. Seung-Hyun sah noch nicht einmal, dass der Jüngere vor ihm saß und mit ihm redete, geschweige denn hörte, was er sagte.

Sie konnten ihn hassen, sie konnten ihm die Schuld geben, er hatte es nicht anders verdient. Es war, als sei eine Schleuse in ihm geöffnet worden und mit den salzigen Tränen wurden alle angestauten schlechten Gedanken durch seinen Kopf gespült, all der Schmerz kroch ihm das Rückgrad hoch und setze sich in seinem Kopf fest. Ji-Yong durfte ihn nicht hassen. Das würde er nicht ertragen können.

"Hyung, sag doch was!!" Dae-Sungs Stimme war hoch, höher als normal, Furcht schwang darin mit. Er wollte, dass Seung-Hyun schrie und Sachen zerschmiss, dass er wütend war, aber das hier, das passte nicht zu ihm, so hatten sie ihren Ältesten noch nie gesehen und das machte ihnen Angst.
 

"Lass ihn, er braucht das jetzt..."

Young-Bae war zu dem Jüngeren getreten.

"Wir können noch mit ihm reden, wenn er sich beruhigt hat, aber lass ihn jetzt erst einmal weinen."
 

Dae-Sung blickte Young-Bae zweifelnd an. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es gut war, Seung-Hyun sich selbst und seinen Tränen zu überlassen. Aber wahrscheinlich hatte der Ältere recht. Wenn Seung-Hyun nur so seinen Gefühlen Luft machen konnte, dann sollte er weinen, auch wenn es ein schrecklicher Anblick war. Und um genau diesen nicht mehr ertragen zu müssen, erhob er sich wieder.
 

"Ich geh uns was zu essen machen.", murmelte er mehr zu sich selbst. Eigentlich hatte er keinen Hunger und er wusste, dass auch seine Freunde keinen Appetit entwickeln würden. Jedoch musste er irgendetwas tun. Etwas Normales, Alltägliches, um wieder zu sich zurück zu finden.

Seung-Ri war ebenfalls aufgestanden, als ihr Ältester zu weinen begonnen hatte. Er sah Young-Bae fragend an. Fragend danach, was nun zu tun wäre.
 

"Vielleicht sollten wir ihn allein lassen.", schlug der Jüngere vor, als er keine Antwort erhielt und nahm einen Freund am Arm, um ihn mit sich zu ziehen. Dieser nickte eicht abwesend und wollte ihm folgen, doch in dieser Sekunde schlangen sich die Finger Seung-Hyuns um sein Handgelenk und hielten ihn zurück. Young-Bae blieb stehen und sah auf ihn herab, aber der Ältere hatte seinen Kopf nicht gehoben.
 

"Bitte, bleib hier.", stammelte er unterdrückt.

Etwas unsicher blickte Young-Bae auf diese Bitte hin in Seung-Ris Augen, welche nun fest und klar waren. Er wollte sich sein Einverständnis holen. Er wusste selbst nicht, warum, aber es war ihm wichtig. Und Seung-Ri nickte.
 

"Dann bleib hier, ich gehe zu Dae-Sung Hyung."

Der Jüngere gab ihm einen Kuss auf die Wange und überließ ihn letztlich dem Weinenden, um den Raum zu verlassen. Young-Bae selbst seufzte kaum merklich, sich auf den Boden niederlassend, wartend.

Wenige Minuten später fand sich der Kopf des Älteren auf seiner Schulter wieder. Young-Bae lächelte schmerzlich.
 

"Was mach ich denn, ich werde ihm nicht mehr unter die Augen treten können..."

Einige Zeit später war das unregelmäßige Schluchzen verklungen und Seung-Hyun fand wieder die Kraft, etwas zu sagen. Schuldgefühle zerfraßen ihn von innen. Er war so dankbar, dass Young-Bae bei ihm geblieben war. Bei ihm hatte er das Gefühl, er würde verstehen, was in ihm vorging, er hätte vielleicht die richtige Antwort parat, wo er keine finden konnte.

Young-Bae schob den Älteren ein Stück von sich, um ihm in die Augen sehen zu können.
 

"Du weißt, dass das nicht wahr ist, du trägst an nichts, was passiert ist, die Schuld."
 

Seung-Hyun wollte ihm so gerne glauben und sein Verstand wollte das auch so akzeptieren, aber sein Herz stellte sich dagegen.
 

"Und Ji-Yong wird dir auch keine Schuld geben"
 

Diese Worte versetzen ihm einen tiefen Stich. Nein, Ji-Yong würde ihm nicht die Schuld geben, dazu war er viel zu gut, aber es reichte schon, dass er sich die Vorwürfe allein machte. Seung-Hyun hatte Angst, dass er ihm nie wieder in die Augen sehen könnte.

Young-Bae wünschte sich nichts mehr, als etwas für die Seele des Älteren tun zu können. Er war der Einzige, der es fertig bringen könnte, Ji-Yong wieder auf die Beine zu helfen. Aber wie sollte dies gehen, wenn er sich selbst nicht mehr vertraute?

Er dachte zurück ans Krankenhaus. Aber nicht bei ihrem Leader waren seine Gedanken, sie lagen bei Seung-Ri. Dessen zu Tode erschrockenes bleiches Gesicht. Wenn er sich nur für eine kurze Zeit vorstellte, dass ihm das selbe zugestoßen wäre, auch ohne vorherige Anzeichen...er wusste, dass er sich ebenfalls dafür hassen würde, nicht besser auf ihn Acht gegeben zu haben. Dies geschah einfach, im Kopf, wenn es einem geliebten Menschen schlecht ging.

Er konnte Seung-Hyun nicht zwingen, seine Selbstvorwürfe aufzugeben. Lieber sollten sie den nächsten Tag abwarten und sehen, was er bringen würde. Vielleicht schaffte es der Ältere, wenn die Dunkelheit vergangen war, nach Vorn zu blicken.

Dies jetzt schon zu verlangen, war Wahnsinn, denn er konnte es selbst nicht.
 

Trotz verweinter Augen setzte sich ihr Ältester letztlich zusammen mit ihnen an den Esstisch, welchen Dae-Sung und Seung-Ri mit einem einfachen Abendmahl eingedeckt hatten. Young-Bae beobachtete den Jüngsten sehr genau und war erleichtert, dass sich dessen Augenringe etwas gelichtet hatten. Er wirkte um Einiges gefasster. Kochen hatte allem Anschein nach eine heilende Wirkung.

Doch leider keine Appetitanregende. Jeder von ihnen war durch die Ereignisse dieses von Schrecken erfüllten Tages vollkommen eingenommen. Wie Dae-Sung es vorrausgesehen hatte, war niemand von ihnen auch nur bereit, seine Stäbchen zu berühren. Sie starrten lediglich auf ihre vollen Teller. Starrten, als wäre in dem Gewirr aus Gemüse, Fleisch und Reis eine Lösung versteckt. Obwohl jeder von ihnen wusste, dass dort nichts für sie verborgen lag.

Dae-Sung sah zu, wie sich alles abkühlte. Der Reis hörte auf zu dampfen, das Gemüse schien zu erschlaffen. Wenn er jetzt nichts tat, wäre die Arbeit umsonst gewesen. Eine Verschwendung von Zeit. Er dachte daran, dass er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Eigentlich müsste er einen gigantische Hunger haben, also selbst wenn er keinen Appetit verspürte, könnte er essen. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass wenn er es täte, er diese Leere in sich überwinden könnte. Er wieder zu etwas fähig wäre. Fähig ihnen allen zu helfen.

Diese letzte Erkenntnis bewegte seine Hand wie von selbst. Dae-Sung packte seine Stäbchen. Sie klapperten leise auf dem Tisch. Aller Augen schlichen sich zu ihm.

Der erste Bissen war noch zaghaft, aber als der Geschmack endich seinen Mund erfüllte, wusste er, dass seine Entscheidung richtig gewesen war.

Jetzt wo sein Magen sich langsam füllte, merkte Dae-Sung wie nötig er die Nahrung gehabt hatte und wie gut sie auch seiner Seele tat. Natürlich löste Essen keine Probleme, aber sie gab ihm Kraft, das Gefühl, dass sie alles schon irgendwie bewältigen koennen wuerden. Noch immer spürte er die Blicke der anderen auf sich.

Und dann tat sich etwas und Dae-Sung spürte eine gewisse Wärme durch seinen Körper fluten. Der Ausdruck in Seung-Ris Augen veränderte sich, wurde entschlossen, fast grimmig und auch er griff nach den Stäbchen. Sie zitterten in wenig in seinen Händen, aber er führte einen kleinen Happen zum Mund und begann ebenfalls zu essen und kurz darauf folgte auch Young-Bae dem Beispiel der beiden Jüngeren.

Noch immer sagte keiner etwas, aber die Stimmung in der unvollständigen Gruppe hatte sich deutlich verändert. Seung-Hyun konnte nicht genau erklären, was hier gerade passiert war, noch betrachtete er die Szene wie durch eine Fensterscheibe, aber er bemerkte die Stärke, die in seinen Freunden erwachte. Er blickte von einem zum anderen, dann lenkte er seine Aufmerksamkeit auf seinen eigenen, noch unangerührten Teller. Wieder ein Blick in die Runde.

Das Klappern der Stäbchen und das fast geräuschlose Kauen erfüllten die Luft.

Schließlich griff auch er nach seinen Stäbchen. Nein, es nützte nichts, sich dem Essen zu verweigern. Nicht ihm und auch nicht Ji-Yong. Er setzte damit kein Zeichen sondern erreichte nur, dass er vor Hunger irgendwann überhaupt nicht mehr klar denken koennen wuerde. Auch wenn er noch immer keinen Appetit hatte und ihm bei dem Gedanken daran, etwas zu essen, fast schlecht wurde, führte er ein Stück Fleisch zum Mund und kaute langsam.

Die anderen hatten für einen kurzen Moment innegehalten, ihre Blicke lagen auf dem Ältesten, der nun endlich auch etwas aß. Dae-Sung lächelte leicht, fast unsichtbar. Das war doch schonmal der erste Schritt in die richtige Richtung und wenn sie den gewagt hatten, konnte auch der Rest des Weges begangen werden.

Jeden am Tisch durchfloss das gleiche Gefühl.

Seung-Hyun kamen die entschlossenen Gesichter seiner Freunde, welche ihre Teller nun fleißig leerten, beinahe wie Kampfansagen vor. Sie würden sich nicht kaputt machen lassen. Sie würden niemandem erlauben, alles zu zerstören, wofür sie gearbeitet hatten und unter keinen Umständen sollte Min-Ho den Sieg über sie davon tragen. Ja, sie würden dafür Sorgen, dass Ji-Yong darüber hinweg kaeme und der heutige Tag in ferner Zukunft nur noch eine blasse Erinnerung sein würde, überdeckt von vielen strahlenden und schönen Zeiten.

Dieser Entschluss stand unausgesprochen zwischen ihnen fest und sie beendeten das Mahl erst, als auch die letzte Schüssel geleert war.

Ja, es war eine Kampfansage.
 

In dieser Nacht schliefen die Vier gemeinsam in Seung-Ris und Dae-Sungs Zimmer. Die beiden Älteren hatten es sich auf dem Boden so bequem wie irgendmöglich gemacht und unterhielten sich leise, nachdem sie das Licht gelöscht hatten. Natürlich hätte Seung-Ri es lieber gesehen, wenn Young-Bae in seinem Bett geschlafen, ihn umarmt und gestreichelt hätte, aber um nicht ungerecht den anderen gegenüber zu sein, entschied dieser sich dagegen und der Jüngere sah es ein. Wenn es einem von ihnen schlecht ging, hatten sie alle ihren Preis zu zahlen.

Noch lange lauschte Seung-Hyun den ruhigen Atemzügen der anderen, als sein Gespräch mit Young-Bae endlich beendet war. Nach dem Essen hatten sie sich Gedanken über ihr weiteres Verhalten gemacht. Speziell darüber, was sie tun sollten, wenn Ji-Yong aus dem Krankenhaus entlassen werden würde. Die beiden Ältesten hatten sich bereits entschieden, aus ihrem Schlafzimmer auszuziehen und auf dem Sofa im Wohnzimmer zu nächtigen. Auch wenn Seung-Hyun seinen Freund lieber im Auge hätte, so hatte ihm dessen Reaktion gezeigt, dass Nähe unerträglich war.

Dieser Gedanke schmerze ihn so sehr, dass er wieder spürte, wie seine Augen heiß wurden.
 

Das Telefon war es, welches ihn am nächsten Morgen als Ersten weckte. Der Älteste war erst viele Stunden später in einen leichten unruhigen Schlaf gefallen, welcher nicht schwer zu durchbrechen war. Fast war Seung-Hyun dankbar, dass ihn etwas zwang, zu erwachen und sich zu erheben. Die Traumbilder in seinem Kopf mussten verschwinden.
 

"Hallo?", fragte er fast heiser in den Hörer. Seine Stimme klang brüchig und fremd. Aber diesen Gedanken vergaß er, als sich der Doktor vom gestrigen Tag meldete. Sofort blickte er auf die Uhr. Es war bereits nach 9 Uhr.
 

"Ich hatte Ihnen ja versprochen, nach meiner morgentlichen Visite anzurufen, um sie zu informieren.", leitete der Mann am anderen Ende vorsichtig ein, da er allein am Klang vom Seung-Hyuns Stimme erkennen konnte, dass dieser eine nicht sonderlich erholsame Nacht hinter sich haben musste. Aber Seung-Hyun war nun hellwach.
 

"Ja, danke, dass Sie sich so schnell melden. Wie steht es um Ji-Yong?"
 

"Nun, sie dürfen nach einer Nacht keine Wunder erwarten. Wir hatten gehofft, dass er wenigstens einige Stunden in Ruhe verbringen könnte, aber..."
 

"Was aber? Was hat er? Sie hatten ihm doch ein Beruhigungsmittel gegeben."

Er umklammerte den Hörer und bemerkte in seiner Angst nicht, dass Dae-Sung ebenfalls aufgestanden und ihm gefolgt war. Als der Jüngere bemerkte, mit wem der Aeltere telefonierte, hatte er die Ohren gespitzt und war unauffällig neben ihn getreten.
 

"Herr Choi, bitte bewahren sie Ruhe. Ja, wir hatten ihm etwas gegeben, aber das Problem hier war, dass Herr Kwons Körper zuviel Adrenalien produziert hat, aufgrund seines Zustandes. Dabei kann es passieren, dass er beginnt, gegen das Beruhigungsmittel anzukämpfen, sodass es unwirksam wird und sein Adrenalienspiegel noch weiter steigt."
 

"Und das bedeutet?"

Er konnte nicht mehr klar denken. Was quatschte dieser Mann da? Er sollte ihm endlich sagen, wie es Ji-Yong ging!
 

"Das bedeutet, Herr Kwon hat in dieser Nacht nicht allzu viel geschlafen, wenn überhaupt. Wir können das natürlich nicht mit Sicherheit sagen, immerhin ist die Schwester nicht 24 Stunden am Stück bei ihm. Aber es geht ihm den Umständen entsprechend gut."

"Den Umständen entsprechend? Was soll das heißen?" Seung-Hyun wollte sich nicht mit Phrasen abspeisen lassen. "Den Umständen entsprechend gut" konnte alles mögliche bedeuten, wie ging es einem denn unter solchen furchtbaren Umständen und wann war gut schon gut?

"Herr Kwon hatte keine weiteren hysterischen Anfälle oder Panikattacken, allerdings hat er auch noch nicht wieder gesprochen. Er wird am heutigen Vormittag zu seiner ersten Therapiestunde gebracht und wir hoffen, wir können damit ein paar erste Erfolge erzielen, aber ich möchte ihnen noch nicht zu viel Hoffnung machen. Die Erfahrung ist noch sehr frisch und es wird sicher noch sehr lange dauern, bis Herr Kwon diese schreckliche Tat verarbeitet haben wird."
 

Seung-Hyun konnte nichts sagen. Einerseits war er erleichtert, dass Ji-Yong keinen weiteres Zusammenbruch gehabt hatte, andererseits machte er sich sehr große Sorgen um seinen Freund. Am liebsten wäre er sofort ins Krankenhaus gefahren um sich selbst davon zu überzeugen, dass es ihm gut ging. Den Umständen entsprechend gut, erinnerte er sich. Die nächste Zeit würde für sie alle schrecklich werden, das wusste er.

Dae-Sung hinter ihm starrte angestrengt auf den Telefonhörer. Er wollte wissen, was der Arzt gesagt hatte.
 

"Herr Choi, sind sie noch da?"
 

"Äh, ja, natürlich."

Seung-Hyun war zusammengezuckt, als die Stimme des Arztes ihn aus seinen Gedanken riss.
 

"In Ordnung. Also ich halte es für angebracht, dass Sie Herrn Kwon heute nicht besuchen kommen, wenn er nicht explizit danach verlangt"
 

Seung-Hyun erwartete fast einen Vorwurf in der Stimme des Arztes zu hören, weil sie Ji-Yong gestern so aufgewühlt hatten, aber er war sich nicht sicher.
 

"Ansonsten werden wir ihn natürlich weiter unter regelmäßiger Beobachtung halten und wenn sich keine weiteren Schwierigkeiten ergeben, können wir ihn morgen entlassen."
 

Ihm rutschten bei diesen Worten fast das Herz in die Hose und gleichzeitig wummerte es wie wild gegen seine Brust. Ji-Yong wieder bei ihnen und das so schnell. Er hatte Angst davor, doch er musste sich zusammenreißen.

Langsam bedankte er sich beim Arzt und hängte den Hörer wieder ein.
 

"Und? Wie geht es Ji-Yong Hyung?!"
 

Er hätte vor Schreck fast aufgeschrieen, als die aufgeregte Stimme hinter ihm ertönte. Er hatte nicht bemerkt, dass Dae-Sung die ganze Zeit hinter ihm gestanden hatte.

Mit seiner Hand auf seinem Herz ließ er sich gegen die Wand neben dem Telefon sinken und schloss für einige Sekunden die Augen und seufzte.
 

"Den Umständen entsprechend gut."

Die Phrase, welche er so hasste, wiederholend sah er den Jüngeren an und bemerkte sofort dessen Stirnrunzeln.
 

"Das ist alles?"
 

"Nein, das ist nicht alles. Lass uns Seung-Ri und Young-Bae wecken, dann erzähle ich es euch allen."
 

Aber sie mussten nicht geweckt werden. Seung-Hyuns Telefongespräch war nicht wirklich zu überhören gewesen, daher fanden sie die beiden schon aufrecht vor, als sie ins Schlafzimmer zurückkehrten. Natürlich waren auch sie wissbegierig. Der Älteste nahm gemeinsam mit den anderen beiden auf dem Bett ihres Jüngesten platz. Es fiel ihm schwer zu berichten, was er gehört hatte. Er war sich nicht sicher, ob er alles zusammen bekam. Aber den wichtigsten Punkt hatte er noch im Kopf.

Und nun rangen auch die anderen nach Atem.
 

"Er soll schon morgen heim kommen?"
 

"Wenn heute alles gut läuft..."
 

"Aber, so schnell...nachdem was gestern...", stammelte Seung-Ri, welcher schon wieder etwas blasser geworden war. Die Aussicht, Ji-Yong derart früh wiederzusehen, schien ihm beinahe Angst zu machen. Eigentlich war er, und nicht nur er, davon ausgegangen, dass ihr Freund noch einige Tage in der Obhut von erfahrenen Ärzten sein würde.
 

"Keine Angst. Wir machen das schon."

Young-Bae versuchte ihn aufzumuntern und streichelte dem Jüngeren mit seinem Daumen über den Wangenknochen. Dieser erwiderte das Lächeln nur schwach und sah dann zu Seung-Hyun hinüber, der abwesend wirkte.
 

"Hyung, vielleicht sollten wir es positiv sehen, dass er wieder so schnell zu uns kommt. Wir können ihm helfen.", meinte Dae-Sung verzweifelt zuversichtlich. Sollte die entschlossene Stimmung vom gestrigen Abend denn so schnell verschwunden sein?
 

"Meinst du, das können wir wirklich?"

Seung-Hyun hatte nicht vor, die anderen wieder runterzuziehen, aber dies war eine Frage, die ihn ernsthaft beschäftigte. Würde es Ji-Yong wirklich gut tun, wieder mit ihnen zusammen zu sein?

"Ich meine, sieh uns doch an, im Moment sind wir nicht mehr als ein bemitleidenswerter Haufen, der sich selbst kaum zu helfen weiß. Und da sollen wir einem anderen helfen können, dem es noch viel schlechter geht?"
 

"Ja!"

Das war Dae-Sungs einzige Antwort und sein Gesichtsausdruck verriet, wie ernst es ihm damit war. Natürlich sah man auch ihm an, wie unsicher er war, aber er vertraute sich und er vertraute seinen Freunden.

Und es half tatsächlich. Langsam gelangte auch Seung-Hyun zu der Überzeugung, dass sie all ihre Schwierigkeiten schon irgendwie meistern würden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  John-Watson
2013-01-09T22:53:35+00:00 09.01.2013 23:53
Das hier ist einer der Traurigsten, Schönsten und Krassesten ffs die ich gelesen habe. Aber mir gefällt es echt sehr und ich frohe mich auf mehr.

Und ja.

ich bin über die Story einfach baff und hoffe das Ji das alles verarbeiten kann was dieser ar** in getan hat ich musste bei den einem kapitel von Mister -.-*' Park über Ji hergefallen war echt ein bisschen weinen. Und ich finde es gut das Ji nicht mehr zu befruchten von dem bedroht zu werden.
Und ich dachte mir schon langer das es Mr. Park war. Und als es so war dachte ich nur das sie dieses Schwein kriegen sollen!
Und ja ich was ich noch in ständig hoffe ist das Seung und Ji wieder zu einander finden werden. Und ja ich verquatsch mich grad wieder voll. ^^'

Und deswegen höre ich mal auf.
lg
fee23

Von:  Sakurya
2011-07-14T17:09:04+00:00 14.07.2011 19:09
FIGHTING!
Sie werden es schaffen. Sie werden diese Zeit bewältigen und Ji-Yong wird alles verarbeiten können.
Egal wie lang es dauert, sie werden es schaffen!

Da fällt mir ein, dass ich dir noch gar keinen Kommentar zu dieser FF hinterlassen habe.
Ich mag seinen Schreibstil sehr gern und ich hoffe, dass du mich (uns xD) noch mit vielen anderen Geschichten beglücken wirst. :3

Danke für das neue, tolle Kapitel!! :)


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