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Große Möhren, die das Herz bewegen

von

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Erstes Inning

„Mihashiiiiiiiiiii...“

Mihashi zuckte zusammen, als er Tajimas laute Stimme hörte. Er drehte sich in die entsprechende Richtung um, und sah das Baseball-Genie ihres Teams breit grinsend auf ihn zukommen. Dieser trug eine kurze grüne Sporthose und dazu ein ärmelloses rotblaues T-Shirt. Auf dem Kopf saß zudem das obligatorische Baseballcape, und ein schwarzgrauer Rucksack hing locker über dessen rechte Schulter.

Mihashi, der schon seit geraumer Zeit im kühlen Schatten des Baumes ihres ausgemachten Treffpunktes gewartet hatte, winkte Tajima freudig zu. Er war als Folge seines verrückten nächtlichen Traumes besonders früh hierher aufgebrochen, um auf keinen Fall zu spät zu kommen. Mihashi befürchtete, dass seine Verspätung eine Reihe seltsamer Ereignisse in Gang setzen würde – oder besser gesagt, dass er zum krönenden Abschluss am heutigen Tag von irgendeiner Person geküsst werden würde.

Mihashi schüttelte seufzend den Kopf, in der Hoffnung, die unangenehmen Traumbilder herausschütteln zu können, aber hatte keinen Erfolg damit. Er schenkte Tajima anschließend ein frustriertes Lächeln.

„Ta- Tajima...“

Tajima, der inzwischen vor Mihashi zum Stehen gekommen war, klopfte diesem freundschaftlich auf die Schulter und lächelte verschmitzt.

„Sag bloß, du wartest schon länger?!“, fragte Tajima neugierig, der sich mit dem Handrücken über die Nasenspitze fuhr, um sie von den sich immer wieder neu bildenden Schweißperlen zu befreien.

„Noch nicht sehr lang.“, entgegnete Mihashi kleinlaut, der nicht preisgeben wollte, dass er hier schon seit einer halben Stunde gedankenverloren rumstand – zwar im Schatten, aber dennoch durchgeschwitzt.

„Hmmm... Konntest es wohl nicht abwarten, mich, das Ass am Schläger, zu sehen, was?“

Tajimas scherzhaft dahergesagte Frage führte dazu, dass Mihashis Gesichtshaut eine ungesunde Farbe annahm, und dieser unverständlich vor sich hin stammelte.

„Hä?! Was hast du denn jetzt verstanden? Habe ich etwas Falsches gesagt?“, wollte Tajima sorglos wissen, der Mihashi einen fragenden Blick zuwarf. Er sah, dass Mihashi daraufhin hastig den Kopf schüttelte, und klopfte ihm beruhigend auf den Rücken.

„Na dann, auf-“

„Ich habe geträum-“

Mihashi schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund und starrte überall hin, nur nicht in Tajimas Augen, die ihn irritiert ansahen.

Jetzt ist es mir beinah rausgerutscht... Hilfe! Wie bescheuert bin ich eigentlich?

Mihashis Gedanken rasten, und er war sich nicht sicher, ob er aus dieser Situation unhinterfragt herauskommen würde, als Tajima ihm diese Sorge prompt nahm.

„Geträumt?! Was? Von unserer Niederlage? Vom Essen? Apropos Essen, ich habe Hunger! Wir sollten schleunigst unsere Zeitschriften kaufen gehen, um sie uns dann gemütlich beim Nudelschlürfen anzusehen. Was meinst du?“, drängte Tajima hungrig, der Mihashis angefangenen Satz völlig ignorierte, und ihn nun hinter sich her zum nächsten Geschäft schleifte.
 


 

Mihashi war froh gewesen, dass sich Tajimas Gehirn auf Nahrungssuche umgeschaltet hatte, und er somit keine unangenehmen Fragen auf dem Weg zum Laden beantworten musste. Er hätte auch gar nicht gewusst, wie er Tajima erklären sollte, dass dieser in seinem Traum den Reserve Catcher von Tosei auf dem Schoß sitzen hatte – und zu allem Überfluss dabei auch noch glücklich aussah.

Bei diesem letzten Gedanken begann ein schiefes Lächeln Mihashis Lippen zu umspielen, der inzwischen an Regalen mit Unmengen an Zeitschriften entlang lief. Tajima konnte er zwar nirgends sehen, ihn dafür aber lautstark hören. Dieser schien wohl etwas Lustiges entdeckt zu haben, denn er teilte seine Freude darüber ungefragt dem ganzen Laden mit. Mihashi schmunzelte leise.

Er ließ seine Augen prüfend über das angesteuerte Regal wandern, und blieb direkt vor der gesuchten Zeitung stehen. Er wollte gerade nach ihr greifen, als unerwartet Tajima neben ihm auftauchte, und ihm aufgeregt plappernd eine Zeitung vor die Nase hielt.

Während Tajima begeistert auf die verschiedenen Seiten blätterte, um Mihashi so an jeder einzelnen teilhaben zu lassen, spürte dieser Hitze in sich aufsteigen – Mihashi sah nichts weiter als nackte Haut.

Verlegen versuchte er von Tajima abzurücken, aber ohne Erfolg. Dieser folgte ihm munter, und redete nun auch noch mit lauter Stimme über den Erfolg beim Onanieren mit Hilfe solcher Zeitschriften.

„Taji- Tajima...“, brachte Mihashi leise gequält hervor, der diesen unbedingt vom Weiterreden abhalten wollte.

„...zu laut. Du bist zu laut...“

Tajima hielt für einen Moment inne, und sah Mihashi fragend an.

„Was?“, entgegnete dieser gelassen, der nun begann, das Faltposter zu öffnen. Mihashi spürte Panik in sich aufsteigen. Er hatte das Gefühl, Tajima mit nichts stoppen zu können, und entschied sich daher für einen überstürzten Rückzug zur Kasse. Aber daraus wurde nichts, denn eine bekannte Stimme hinter ihnen ließ ihn mitten in der Bewegung erstarren.

„Aha! Das macht er also, wenn er nicht mit dir trainiert, Takaya?! Sehr interessant!“
 

Mihashi glaubte, er müsse sterben. Das war nun definitiv schlimmer als sein Traum – nein, schlimmer als alles, was er sich vorstellen konnte! Während seine Ohren vor Scham glühten, spürte er sein Herz wie wild schlagen. Takaya stand hinter ihm, und nicht nur dieser. Haruna Motoki, das Ass des Musashino Baseballteams, stand direkt daneben.

„Ich glaube eher, dass das Tajima macht, wenn er nicht trainiert, Motoki! Hallo ihr zwei!“, sprach Abe begrüßend, der darauf wartete, dass sich seine zwei Teammitglieder zu ihm umdrehten.

„Oh?! Abe und Haruna! Was führt euch denn hierher, aber vor allem, zusammen? Ich dachte, du magst Haruna nicht, Abe?!“

Tajima, der sich als erster umgewandt hatte, stellte unverblümt seine neugierige Frage, die Mihashi zusammenzucken ließ. Es fiel ihm nun noch schwerer, sich ebenfalls umzudrehen.

„So? Hat er das wirklich gesagt?!“

Mihashi hörte Harunas fragende Stimme, der ein gefährlicher Unterton anhaftete, während er es endlich schaffte, seinem Körper eine Drehung abzuringen. Er sah, dass Haruna Abe in den Schwitzkasten genommen hatte und darauf wartete, dass dieser Tajimas Aussage entkräftete.

„Hey... Mo- Motoki! Lass mich los! Du Blödmann! Was soll das?“, stieß Abe wütend hervor, der Mühe hatte, sich aus Harunas Arme zu befreien. Wäre Mihashi nicht zu angespannt gewesen, hätte er vermutlich bei dem Anblick gelacht, denn selten bekamen sie solch ein Gesicht von Abe zu sehen.

„Ha- hallo A- Abe. Hallo Haruna...“, stotterte Mihashi, der es vermied, Abe in die Augen zu sehen.

„Och nein, der ist ja noch niedlicher als beim letzten Mal! Aber du solltest dir echt mal Gedanken machen, Takaya! Denn im Gegensatz zu deinem, konnte er meinen Namen zusammenhängend aussprechen. Wie das wohl kommt?!“, meinte Haruna aufziehend, der Mihashi nicht aus den Augen ließ. Dieser wollte nun vollends in einer Erdspalte verschwinden, aber dieses Glück wurde ihm nicht gewährt. Mihashi ließ betroffen den Kopf hängen.

„Motoki! Lass Mihashi mit deinen blöden Sprüchen in Ruhe!“, herrschte Abe Haruna an, der so tat, als würde er diesen nicht hören.

„Stimmt es, dass du mich toll findest? Als Pitcher, meine ich? Takaya hat nämlich so etwas erwähnt...“

Mihashi hob den Kopf und sah überrascht, aber gleichzeitig alarmiert zwischen Abe und Haruna hin und her, und wusste nicht, was er sagen sollte. Natürlich fand er Haruna als Pitcher klasse, aber dass Takaya anscheinend mit diesem über ihn sprach, löste ein seltsames Gefühl in ihm aus. Tausend Fragen schossen ihm auf einmal durch den Kopf, aber nicht eine einzige konnte er stellen – dazu fehlte ihm der Mut. Stattdessen grinste er befangen und hoffte, dass ihm irgendjemand zur Rettung kam.

„Los komm, Motoki! Lass uns gehen! Du hast hier genug Unsinn von dir gegeben!“, meinte Abe bestimmend, der Haruna mit seinen Händen energisch umdrehte. Dieser ließ es mit Murren geschehen, rief aber noch die ein oder andere unverschämte Bemerkung den drei Zurückgebliebenen über die Schulter zu, während er zum Ausgang ging, um dort auf Abe zu warten.

„Tut mir leid! Motoki benimmt sich manchmal einfach, nein, eigentlich immer, völlig daneben.“, sprach Abe betreten, der erst Tajima, dann Mihashi einen entschuldigenden Blick zuwarf. Mihashi konnte den Blick nicht erwidern. Er sah aufgewühlt an Abe vorbei auf das Zeitschriftenregal, wo seine Augen bei der passenden Überschrift ‚Wenn heute nicht Ihr Tag ist, dann helfen wir Ihnen, diesen wieder zu Ihren zu machen! – Tipps und Tricks für den alltäglichen Gebrauch’ hängen blieben, und er sich beherrschen musste, nicht laut aufzustöhnen. Er zwang sich, Abe letztendlich doch anzusehen, aber dieser wandte ihnen gerade den Rücken zu.

„Also, wir sehen uns dann am Freitag!“

Mit diesen letzten Worten verließ Abe sie, der zum wartenden Haruna schlenderte, und sich dort prompt eine Kopfnuss einfing. Mihashi konnte noch Abes ärgerliche Stimme hören, bevor sie verstummte, da die beiden den Eingangsbereich des Geschäftes verließen.
 


 

Eine Kopfnuss... Genau! Ich sollte es wie Haruna machen!, dachte Mihashi unleidlich, der Tajima neben sich mit einem unentschlossenen Blick beäugte. Dieser blätterte gerade zufrieden in einer seiner drei gekauften Zeitschriften, und schlürfte genüsslich seine Nudeln.

Mihashi hatte an der Kasse des Buch- und Zeitschriftenladens mit Erleichterung feststellen können, dass Tajima lediglich vorgehabt hatte, Sportzeitschriften zu kaufen, und war daher innerlich in Jubelschreie ausgebrochen. Dennoch wollte er diesem die peinliche Situation dort nicht so schnell vergeben, und starrte noch immer erwägend auf dessen Kopf.

Mir wird es danach bestimmt besser gehen... Nein, ich kann das nicht... Er kann ja auch nichts dafür, dass Abe und Haruna so plötzlich aufgetaucht sind... Hm, aber er hätte mir auch diese dämliche Zeitschrift nicht vor die Nase halten müssen... Dennoch, was für ein Glück! Ich konnte Takaya schon vor Freitag sehen! ... Wenn der wüsste, dass ich ihn in meinen Gedanken beim Vornamen nenne, würde er bestimmt wütend werden... Aber Haruna spricht ihn mit Vornamen an... Ich frage mich, ob ich das auch irgendwann darf... Wohl eher nicht, denn ich bin nicht so ein vortrefflicher Pitcher wie Haruna...

Mihashi ließ seufzend den Kopf hängen, und beobachtete fasziniert die obere Kamaboko-Scheibe in seiner Suppe, die fröhlich seinen rührenden Stäbchen im Kreis folgte.

Während er das in Form gepresste Fischfleisch mit seinen Augen verfolgte, drehte sich in seinem Kopf weiterhin alles um die unvorhergesehene Begegnung mit Haruna und Abe.

Takaya..., dachte Mihashi begeistert, der sich auf die Lippe beißen musste, um den Namen nicht laut auszusprechen. Allein schon der Gedanke an seinen Catcher genügte, um das ihm vertraute Bauchkribbeln auszulösen. Er fühlte Wärme in sich aufsteigen und unterdrückte den Drang, vor Entzücken loszubrüllen, während sich ein verliebtes Lächeln auf seinem Gesicht breit machte.

Mihashi sah verstohlen aus dem Augenwinkel heraus zu Tajima rüber, um sicher zu gehen, dass dieser seine schmachtende Stimmung nicht bemerkt hatte, und langte anschließend beruhigt mit seinen Essstäbchen nach der nun ruhenden Kamaboko-Scheibe, um sich diese verträumt in den Mund zu stecken.

Er musste sich inzwischen eingestehen, dass das Bauchkribbeln um Weitem besser war, als einen Sieg auf dem Hügel zu erleben – vielleicht nicht besser, dafür aber einfach anders überwältigend. In jedem Fall eine definitive Steigerung dessen, denn im Gegensatz zum Gefühlsrausch des Verliebtseins, konnte er den Sieg auf dem Sandhaufen ja nur erfahren, weil er eine wunderbare Mannschaft hinter sich, vor allem aber einen hervorragenden Catcher vor sich hatte. Dass dieser aber zugleich der Grund für das neue betörende Gefühl war, schloss auf spannende Weise seinen Gefühlskreislauf, und führte daher zu einer Hochstimmung im doppelten Sinne – Mihashi befand sich also, ob im Training oder außerhalb, ununterbrochen auf Wolke Sieben und es gab zurzeit nichts und niemanden, der ihn von dort vertreiben konnte.
 

„Mihashi, gibt es einen Pitcher, den du besonders magst?“

Tajima blickte fragend zu Mihashi, der ihn aber nicht zu hören schien. Stattdessen sah er, wie dieser mit einem bizarren Grinsen im Gesicht die Nudeln aß.

„Mi-ha-shiiiiiiiii...“, rief Tajima ein zweites Mal, der zur Unterstützung seines Rufens den Ellbogen einsetzte, um diesen harmlos in Mihashis Seite zu rammen.

„Hä? A- Wa- was ist, Ta- Tajima?”, entgegnete Mihashi erschrocken, dem dabei die Stäbchen aus der Hand fielen. Hastig griff er nach ihnen, und schaute sich dabei verlegen um.

„Ich habe dich gefragt, ob es einen Spieler gibt, den du anhimmelst?!“, wiederholte Tajima, der begeistert die aufgeschlagene Zeitschrift in die Mitte schob.

„Schau, Hideki Matsui und Suzuki Ichirō! Die sind einfach klasse! Sie spielen zwar im Ausland, aber ich bin ein großer Fan von ihnen... Was ist mit dir?“

Mihashi sah interessiert auf die Doppelseite. Die beiden Baseballspieler waren ihm nur wage ein Begriff, dennoch nicht gänzlich unbekannt. Er nickte mit dem Kopf.

„Ah! Die kenne i- ich au-“ Mihashi konnte seinen Satz nicht beenden, da ihm Tajima aufgeregt dazwischen fuhr.

„Ja?! Nun, und als großartigen Pitcher im Ausland dürfen wir natürlich nicht Matsuzaka Daisuke-“

„Ha- Ha- Haruna!“, stammelte Mihashi entflammt, während ihm Tajima einen zweifelnden Blick zu warf.

„Der zählt nicht! Ich habe nach Profispielern gefragt. Aber ich muss zugeben, dass ich schon drauf brenne, seine schnellen Bälle zu schlagen. Wir sollten ein Übungsspiel organisieren... Vielleicht kann ja Abe was drehen, immerhin sieht es so aus, dass er sich mit Haruna inzwischen besser versteht. Warum sonst würden sie sich wohl treffen, und gemeinsam etwas unternehmen...“, meinte Tajima gedankenverloren, der die Zeitschrift wieder zu sich zog und weiter blätterte.

Mihashi sah Tajima für einen Moment verunsichert an, bevor er wieder in seine Suppenschüssel starrte, und seine Gedanken ebenfalls zu den beiden wandern ließ.

Seltsam... Was für einen Grund könnte es geben, dass sich die beiden treffen? Ist Abe etwa von mir als Pitcher gelangweilt?! Geht es ihm zu langsam, was meine Geschwindigkeitssteigerung angeht?! Nein. Das kann es nicht sein, denn er war ja von Beginn an eher dagegen. Dennoch... Oder will er etwa die Schule wechseln, und womöglich mit Haruna wieder ein Team bilden?! Das kann nicht sein... Was wird dann aus mir?

Mihashis Gedanken rasten. Er fühlte Angst in sich aufsteigen, die es ihm beinah unmöglich machte zu atmen, während sich seine Hand um die Essstäbchen verkrampfte. Er versuchte sich zu entspannen, aber ohne Erfolg. Mihashi spürte, dass ihn seine Furcht zu lähmen begann, und er nicht in der Lage sein würde, sich später von diesem Stuhl erheben zu können, wenn er sie hier und jetzt nicht mit Tajima teilte. Ihm war durchaus bewusst, dass er dabei von diesem höchstwahrscheinlich keine beruhigende Antwort erhalten würde, vielleicht sogar noch eine zweifelnde Gegenfrage erhielt. Dennoch, er musste seinem Gefühl Raum schaffen, da er sonst platzen würde.

„Ta- Tajima...“, begann Mihashi leise, der kaum zu verstehen war. Er sah, dass Tajima sich nicht rührte, und versuchte es etwas lauter.

„Glau- glaubst du, Abe we- we- we- wechselt d- d- die Schule?“, brachte er stotternd hervor und sah, dass Tajima sich langsam zu ihm umdrehte.

„Wie? Abe will die Schule wechseln?“, fragte Tajima ungläubig, für den diese Frage völlig überraschend kam.
 

„Wie kommst du denn darauf?“

Mihashi ließ deprimiert die Schultern hängen und wusste nicht, wie er Tajima seine Befürchtungen anvertrauen sollte, ohne dabei seine Gefühle zu verraten. Wäre Tajima nicht so eine offene Frohnatur gewesen, hätte Mihashi es sich durchaus vorstellen können, diesem seine tieferen Empfindungen Takaya gegenüber zu offenbaren – aber die Realität sah nun mal anders aus. Er hatte keine Lust, erleben zu müssen, wie ihm Tajima fröhlich und frei vom Dritten Base aus unangebrachte Ermutigungen zurief, die mit Baseball rein gar nichts zu tun hatten. Allein der Gedanke daran ließ ihn erblassen.

Mihashi sah wage in Tajimas Richtung, und zuckte ratlos mit den Schultern.

„Wie jetzt? Es muss doch einen Anlass für deine Frage geben?!“, sprudelte es Tajima neugierig aus dem Mund.

„Ich mein, wieso sollte er gerade jetzt die Schule wechseln wollen, wo er doch einen so talentierten und hörigen Pitcher gefunden hat?!“, entgegnete Tajima verwundert.

Mihashi spürte, dass sich bei dem Gesagten Wärme in ihm ausbreitete, die nicht nur von der darin enthaltenen Anerkennung verursacht wurde.

Das Wort ‚hörig’ löste allerlei Assoziationen in ihm aus, die durchaus mit der von Tajima im Laden vorgeführten Zeitschrift mithalten konnten – eigentlich diese sogar um Längen übertrafen, denn vor seinem geistigen Auge erschien Takaya, der nur mit einem um die Hüfte gewickelten Handtuch bekleidet war, und ihm lasziv einen Kussmund zuwarf. Mihashi schlug alarmiert die Hände vors Gesicht.

Er stellte mit Entsetzen fest, dass seine Gedanken einen unerwünschten Weg eingeschlagen hatten, der ihn hier in eine äußerst prekäre Lage bringen würde. Mihashi musste diese Straße schleunigst zu einer verkehrsfreien Zone erklären, damit er keinen unnötigen Unfall baute –

würde er sich jetzt allein zu Hause in der Badewanne befinden, sähe die Sache ganz anders aus. Dann hätte er nichts dagegen, seine erregenden Gedanken bereitwillig auf diesem Weg zu begleiten...
 

„Mihashi?! Alles in Ordnung?“

Mihashi nahm seufzend die Hände runter und sah Tajima in die Augen. Dieser begegnete seinem Blick mit besorgter Miene, und kam sogar mit seinem Gesicht ein Stück näher.

„Habe ich etwas Falsches gesagt? Dein Gesicht glüht ja förmlich!“

„Ne-nein, ich bin o-okay. Die Suppe ist nur etwas zu heiß...“, murmelte Mihashi verlegen, der hoffte, dass sich Tajima mit dieser Aussage zufrieden gab. Er sah, dass dieser skeptisch die Augenbrauen nach oben zog, aber nichts weiter dazu sagte.

„Du glaubst also nicht, dass A-abe die Schule wechseln will? Ich m-mein, warum würde er sich sonst mit Haruna t-t-treffen...“, äußerte Mihashi immer leiser werdend, der angespannt auf seine Hände im Schoß starrte. Er wusste, dass seiner Frage jegliche Logik abhanden gekommen war.

Tajima kratzte sich nachdenklich am Kopf, und riss einen Augenblick später erstaunt die Augen auf.

„Halt! Bist du etwa auf Haruna eifersüchtig, also, als Pitcher jetzt?“

Mihashi blickte nun bestürzt zu Tajima rüber, und versuchte mit heftigem Kopfschütteln dessen ins Schwarze getroffene Aussage zu entkräften. Tajima lachte bei Mihashis Anblick laut auf, wurde aber sofort wieder ernst.

„Warum sonst würdest du so eine völlig aus der Luft gegriffene Vermutung aufstellen?“

Mihashi rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, und überlegte fieberhaft, was er darauf antworten sollte.

„Du hast überhaupt keinen Grund dazu, Mihashi. Weder bist du ein schlechterer Pitcher, noch wird Abe unser Team verlassen. Darauf würde ich sogar meine geliebte vierte Position beim Schlagen verwetten. Schau, so sicher bin ich mir da! Also, Kopf hoch, und überleg lieber mal, wie du diesem heimlichen BOSS des Teams ein paar nette Seiten antrainieren kannst! Diese hat der nämlich dringend nötig. Ist echt übel, wie der einen rumkommandiert. Ich frage mich manchmal, wie du das nur mit ihm als Partner aushalten kannst...“

Während Tajima sprach, nahm er seine vergessene Zeitschrift wieder zur Hand, und blätterte interessiert durch die bunten Seiten.

Mihashi blickte Tajima perplex von der Seite an. Es schien, als hätte dieser alles Nötige gesagt, und erwartete keinerlei Antwort mehr. Dieses unkomplizierte Verhalten ließ Mihashi in zweifacher Hinsicht erleichtert aufatmen. Zum einen ersparte es ihm eine umständliche Erklärung, und zum anderen erfüllte ihn Tajimas grenzenlose Zuversicht mit neuem Mut.

Tajima hat recht. Wieso sollte Takaya auch gehen wollen? Immerhin er hat versprochen, mir drei Jahre lang als Catcher gegenüber zu stehen. Er würde nicht einfach sein Versprechen brechen. Ich sollte mich lieber auf das Wochenende freuen... Aber warum geht mir Haruna nicht mehr aus dem Kopf?! Mich niedlich zu nennen, was denkt der sich eigentlich... Dennoch, als Pitcher ist er toll, aber wenn er den Mund aufmacht... Takaya sollte lieber nicht zu viel Zeit mit ihm verbringen, dass färbt bestimmt nur weiter ab...

Um sich von seinen Gedanken an Haruna und Abe abzulenken, griff Mihashi so beherzt nach seiner Nudelschüssel, dass er deren Inhalt beinah verschüttet hätte. Dafür erntete er ein unverschämtes Grinsen von Tajima, der ihm zudem belustigt auf die Schulter klopfte, was dazu führte, dass die Suppe dem Rand ein weiteres Mal gefährlich nahe kam.

„Ich SOLL sie a-also verschütten?!“, fragte Mihashi grinsend, der fröhlich in Tajimas Lachen einstimmte. Dieser ignorierte Mihashis scherzhafte Frage, und schob stattdessen erneut seine Zeitschrift in die Mitte des Tisches, um Mihashi etwas zeigen zu können.
 


 

„Reeeeeeeeeen!?“

Mihashi schaltete gerade die Beleuchtung seines Übungsplatzes ein, als seine Mutter suchend nach ihm rief. Er überlegte einen Moment und beschloss kurzerhand, das Rufen nicht gehört zu haben. Stattdessen überprüfte er akribisch seine selbstgebaute Zielscheibe und stellte fest, dass er an einigen Stellen das Tape erneuern musste. Er lief also zum Haus, um das benötigte Material aus seinem Zimmer holen zu können, und traf am Eingang auf seine Mutter, die dabei war, sich die Schuhe anzuziehen.

„Ah, da bist du ja. Hast du mich nicht rufen gehört?“

Mihashi schlüpfte der Frage ausweichend aus seinen Schuhen, und murmelte etwas Unverständliches.

„Hey! Ich rede mit dir!“

Mihashi warf seiner Mutter einen dümmlichen Blick zu, der ihr einen genervten Ton entlockte.

„Manchmal frage ich mich echt, ob du zwischen deinen beiden Ohren nur Luft beherbergst.“, brummte sie leise.

„Wie dem auch sei, ich gehe jetzt. Ich habe dir ja schon gesagt, dass es spät werden wird bei mir, und du daher allein essen musst. Du findest alles im Kühlschrank.“

Seine Mutter schulterte ihre Tasche, trat hinaus, und drehte sich noch einmal zu ihm um.

„Und mach nicht zu lang...“

Um ihrem letzten Satz Nachdruck zu verleihen, warf sie einen mahnenden Blick in die Richtung, aus der er eben gekommen war.

„Mache ich schon nicht...“, grummelte Mihashi gereizt, der Tajima in seinen Gedanken einen Tritt versetzte. Diesem war nämlich irgendwann bei einem seiner zahlreichen Besuche zum Essen herausgerutscht, dass Mihashi die Anweisung bekommen hatte, daheim nicht mehr so viele Bälle zu werfen.

Seine Mutter nahm diese Anweisung äußerst ernst – deutlich ernster als er selbst – und es war seit dem kein Tag vergangen, an dem sie ihn freundlicherweise daran erinnerte.

„Keine Sorge! Ich wünsche dir viel Spaß!“, rief Mihashi laut, während er sich umdrehte, und hoch in sein Zimmer rannte.
 

Abe steckte das Handy zurück in die Hosentasche und fluchte lautlos. Er konnte das große Haus der Eltern seines Pitchers schon von Weitem sehen und spürte, dass sich Unruhe in ihm ausbreitete. Es war das erste Mal, dass er allein hierher kam. Zudem zerbrach er sich über den Grund seines Besuches schon die ganze Zeit den Kopf.

Was mache ich hier?! Warum will ich mich unbedingt ein weiteres Mal bei ihm für Harunas unverschämtes Verhalten entschuldigen... Das versteh mal einer! Ich tue es nicht...

Gedankenverloren strich er sich durch die Haare, und griff erneut nach seinem Telefon. Dieses zeigte ihm noch immer null empfangene Nachrichten an. Er knurrte unzufrieden.

„Wo steckt der bloß? Wenn er noch mit Tajima unterwegs ist, und ich umsonst hierher gelaufen bin, dann kann er was erleben...“
 

Mihashi legte die Schere zur Seite, und richtete sich wieder auf. Er trat ein paar Schritte zurück, und begutachtete sein vollendetes Werk. Er steckte seine Hände in die Jackentaschen, und nickte zufrieden.

„Das sollte gehen...“, sprach er leise.

„Ich hoffe, du hältst dich an die Anweisung?!“

Die plötzlich auftauchende Stimme ließ Mihashi so heftig zusammenzucken, dass er das Gleichgewicht verlor, und in den Teich zu fallen drohte.

„Hey! Pass doch auf...“

Mihashi musste mit Grauen ansehen, wie Abe waghalsig auf ihn zusprang, um ihn am Fallen zu hindern, aber in genau der gleichen Situation endete. Er konnte für einen Moment Abes vor Überraschung geweitete Augen sehen, bevor ihn das kühle Nass umschloss.



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