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A bittersweet life

von

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   Es ist später Nachmittag und ich bin wieder einmal auf dem Weg zum Krankenhaus. Das ist inzwischen Routine, seit ein paar Jahren schon. Die Tür öffnet sich automatisch und mit einem leisen Seufzen trete ich ein, laufe den Flur entlang zur Empfangsschwester und spreche sie an.

   "Hideto!", begrüßt sie mich mit einem Lächeln auf den Lippen, so dass auch ich sie anlächeln muss. Schwester Yukiko steckt einfach an, egal wie deprimiert man vielleicht auch ist. Ich kenne sie nun schon seit ich hierher komme und es gab noch nie auch nur einen Tag, an dem sie mir nicht den Krankenhausbesuch ein wenig aufgeheitert hätte. Dafür bin ich ihr dankbar, wirklich. Oft unterhalten wir uns, wenn sie gerade nichts zu tun hat. Sie erzählt dann häufig über ihre Tochter und wie stolz sie auf sie ist. Die Kleine ist inzwischen sieben, richtig süß. Sie kommt ihre Mama manchmal hier besuchen, so dass ich sie auch schon kennen gelernt habe. Ich mag sie richtig und ich glaube, sie mag mich auch. Immer, wenn wir uns sehen, hängt sie mir ein wenig am Rockzipfel und will mit mir spielen oder mir unbedingt etwas ganz wichtiges erzählen. Es stört mich nicht, ich beschäftige mich gern mit ihr. Wie gesagt, ich mag Emi. Heute allerdings ist sie nicht hier und Yukiko versinkt in Arbeit und Papierkram, so dass sie sich nur kurz nach meinem Befinden erkundigt. Ich zucke daraufhin mit den Schultern und grinse ihr ein "Wie immer." entgegen. Sie nickt mir kurz zu und deutet auf den Wartebereich. Auch ich nicke ihr zu und setze mich in dem Raum auf einen der Stühle. Nach nicht einmal einer Minute versinke ich in Gedanken. 'Wie immer.', hm? Hideto, sei ehrlich. 'Wie immer.' trifft die Sache nicht so ganz. Und damit bin ich auch schon wieder bei dem Thema angelangt, an das ich seit nunmehr zwei Monaten fast nur noch denken kann. Diese eine Person, die sich da in mein Leben geschlichen hat und mir nun einfach nicht mehr aus dem Kopf will. Tetsu.
 

   Vor drei Monaten sind wir uns zufällig begegnet. Wir standen uns in einem Schreibwarenladen an einem dieser kleinen Wühltische gegenüber. Es war einer dieser Tische mit kleinen Plüschtieren und wir griffen im selben Moment nach demselben Tier. Da ich nicht mit so etwas gerechnet hatte, stoppte ich und sah verwundert auf. Da sahen wir uns das erste Mal richtig an. Er lächelte mir zu und entschuldigte sich kurz. So kamen wir für ein paar Minuten ins Gespräch und ich überließ ihm das Tierchen. Da ich in den nächsten ein oder zwei Jahren wahrscheinlich eh hops gehe, wäre es schade darum, dachte ich. So würde der kleine Hase wenigstens für länger ein Zuhause bekommen. Und so verließ ich unverrichteter Dinge wieder das Geschäft und ging nach Hause. Ich hätte diesen Vorfall sicher schon längst wieder vergessen, wenn er nicht eine Woche später wieder auf mich zugekommen wäre, während ich an einer Haltestelle auf den Bus wartete. Eigentlich hatte ich es bis dahin sogar wirklich vergessen und musste ihn daher fragen, wer er denn sei. Daraufhin erinnerte er mich an unsere Begegnung in dem Laden und zeigte mir das Häschen, um das es dabei ging. Wir stellten uns einander vor und erzählten ein wenig. Schließlich gestand er mir, dass er mich nur aus einem Grund angesprochen hatte: Er wollte mir den Hasen schenken. Ich versuchte abzulehnen, da ich das wirklich nicht schlimm gefunden hatte, doch er hat sich nicht überzeugen lassen. Ich konnte ihm ja schlecht meinen wahren Grund nennen. Nur meine Familie, die Ärzte und Schwestern - okay und mein ehemaliger Schuldirektor und ein paar Lehrer - wissen von meiner Krankheit. Und es soll auch niemand weiter erfahren. Demzufolge blieb mir nichts anderes übrig, als den Kleinen anzunehmen und mich zu bedanken. Ich versprach ihm, dass wir uns einmal wieder sehen, bevor ich mit dem Häschen in der Hand in den Bus stieg. Und nun habe ich es immer in meiner Tasche als ständigen Wegbegleiter dabei. Ich taufte es 'Tet-chan'.
 

   Ein kurzer Blick in Richtung meiner Tasche, in der sich Tet-chan auch heute wieder befindet, folgt meinen Erinnerungen. Ich habe es mir nicht nehmen lassen, ihm ein pinkes Bändchen um den Hals zu binden, nachdem ich seinen Namensgeber etwas näher kennen gelernt hatte. Tetsu liebt die Farben, erzählte er mir einmal. Er liebe zwar alle, aber rosa, pink und damit auch rot am meisten. Ich fand das ehrlich gesagt irgendwie seltsam, ein Junge, der auf Rosa steht? Aber gut, warum nicht? Gerade will ich Tet-chan hervor holen, als Yukiko auch schon neben mir auftaucht. Das bedeutet, nun geht es los. Sie muss gar nicht erst etwas sagen, damit ich aufstehe, meine Sachen schnappe und ihr in den Behandlungsraum folge. Und da steht sie, diese große, kalte Maschine, die zwar irgendwo lebenswichtig ist, die dir dafür, dass sie dir das Leben rettet, aber auch jegliche Energiereserven, die du noch zusammen kratzen konntest, nimmt. Zwischen uns ist das wahrscheinlich eine Art Hassliebe. Ich weiß auch nicht, aber es ist ja auch eigentlich egal. Ich lege meine Tasche ab und krame nun endlich mein Tet-chan hervor, bevor ich mir die Schuhe und die Jacke ausziehe und mich auf das Bett lege. Yukiko lächelt nur wieder, als sie Tet-chan sieht. Ich war überrascht, dass sie mich nicht auslachte, als ich ihn zum ersten Mal mitgebracht hatte. 'So ein großer Junge und braucht noch Kuscheltiere?', hätten einige andere Menschen sicher mit einem arroganten oder herablassenden Lachen gesagt. Aber sie nicht. Sie hat gelächelt und gefragt, wie er heißt und wo ich ihn herhabe. Einen Moment werkelt sie noch an der Apparatur herum - keine Ahnung, was sie da nun genau macht - und macht die Nadeln bereit. Ich halte ihr meinen linken Arm hin und sie legt mir die zwei Zugänge, durch die mein Blut gleich fließen wird. Wie immer wende ich mein Gesicht dabei ab. Ich kann das einfach nicht sehen. Mir würde nur schlecht werden. Mit der freien Hand drücke ich Tet-chan an mein Gesicht und sehe aus dem Fenster.
 

   Dialyse. Das ist das Zauberwort. Genauer gesagt Hämodialyse. Das bedeutet, dass mein Blut in den nächsten vier Stunden durch diese kleinen Schläuche fließt und in der daneben stehenden Apparatur sauber gewaschen wird. Danach werde ich kaum noch gerade gehen können und hundemüde sein, aber zumindest frei von jeglichen Giftstoffen. Normalerweise würden das die Nieren übernehmen - ohne diese ermüdenden Nebenwirkungen - doch dummerweise machen meine da nicht so ganz mit und streiken. Chronisches Nierenversagen nennt sich das. Über die Jahre hat sich die Nierenfunktion Stück für Stück gesenkt, so dass es zum Überleben nicht mehr ausreicht. Und da dieser Prozess immer noch anhält, wird auch die Dialyse nicht dauerhaft helfen. Ich muss ja jetzt schon aller zwei oder drei Tage hierher. Mein Arzt hat schon den Vorschlag einer Transplantation gemacht. Aber das klingt alles viel einfacher, als es ist. Man braucht einen geeigneten Spender und bisher käme nur Hanako, meine kleine Schwester in Frage. Ich bin sicher, sie würde mir eine ihrer Nieren gern geben, nur funktioniert auch bei ihr nur eine der beiden, da meine Krankheit aus einer angeborenen Krankheit entstanden ist. Würde ich ihr diese eine, gesunde Niere, die sie glücklicherweise hat, noch nehmen, wäre das ihr Tod. Das muss nicht sein. Ich hatte eben Pech, das ist alles. Die Suche nach einer Spenderniere gestaltet sich also so schon als recht schwierig. Dann kommt das Risiko der OP dazu, sowie die Frage, ob mein Körper das fremde Organ überhaupt annehmen würde. So oder so müsste ich sogenannte Immunsuppressiva nehmen, damit mein Immunsystem das Organ nicht angreift. Und ich muss so schon ständig Medikamente um Medikamente schlucken. Wenn ich mir einmal wieder Nachschub hole, komme ich mir wie beim Großeinkauf vor. Es ist selten, dass ich mit nur einer Tüte aus dem Krankenhaus gehe... Ich muss ganz ehrlich sagen, ich weiß nicht, ob sich dieser ganze Aufwand mit der Operation und allem überhaupt lohnen würde...
 

   Ja, ich weiß. Meinen Eltern und Hanako würden diese Gedanken ganz und gar nicht gefallen. Emi wäre wahrscheinlich auch ganz traurig, wenn ich irgendwann nicht mehr da wäre... Aber trotzdem. Mein Leben bringt mir im Moment so rein gar nichts. Aufgrund der eingeschränkten körperlichen und geistigen Belastbarkeit, dem Bluthochdruck, der Herzschwäche und dem ganzen anderen Kram, der aus dem Nierenversagen herrührt, konnte ich nach der Schule nicht mal eine Ausbildung anfangen oder einen Job annehmen. Ich durfte ganz einfach nicht, ist das zu fassen? Es ärgert mich, meiner Familie so ein Klotz am Bein zu sein. Warum also? Warum sollte ich das hier noch weiter unnötig in die Länge ziehen? Wenn es nach mir ginge, läge ich eh schon längst unter der Erde... Hätten die Deppen vom Okinawa Screaning Program damals nicht die Akten vertauscht und mir gleich gesagt, dass ich dieses Nierenleiden habe, sähe das schon anders aus, aber... Sie haben uns gesagt, ich sei kerngesund. Ein schwerer Irrtum, wie sich dann einige Jahre später herausstellen sollte. Mit der Zeit verlor ich meinen Appetit und damit an Gewicht, mein Blutdruck stieg, im Unterricht verschlechterte sich meine Konzentration und eines Tages fiel ich beim Sport einfach um. Im Krankenhaus wurde dann endlich die richtige Diagnose gestellt und der Arzt fragte meine Mutter, ob ich mich als Kind habe untersuchen lassen. Sie erzählte ihm, was die Leute damals gesagt hatten, sowie von der familiären Vorbelastung, die bei uns in dieser Hinsicht gegeben ist. Ich habe mal nachgeschaut, es gab einige in meiner Familie, die sich mit demselben Problem wie ich herumschlagen mussten. Wahrscheinlich hat mich Mama allein deshalb schon zur Vorsorgeuntersuchung geschleift. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie geschockt sie war, als sich herausstellte, dass ich doch krank bin. Sie hat geweint und anschließend getobt.
 

   Hanako wurde daraufhin noch einmal untersucht. Gottseidank hat man sich bei ihr nicht geirrt, so dass zumindest sie weiterhin als gesund leben kann. Und so gestaltet sich mein Leben seit ein paar Jahren: Keine schwere, körperliche Arbeit, wenig Trinken, noch weniger eiweißhaltiges Essen und die regelmäßigen Besuche im Krankenhaus, sowie ein Berg Tabletten. Den Kontakt zu Schulfreunden habe ich auch ganz bewusst abbrechen lassen. Die meisten von ihnen hätte es sowieso nicht groß interessiert. Es waren eben doch nur Schulfreunde, mit denen man sonst nichts unternommen hat. Insofern hat mir das doch ganz gut gepasst, da ich mich an niemanden mehr binden wollte. Und was mache ich Idiot nun? Jetzt, wo ich wirklich nicht mehr allzu lange leben werde? Ich lasse es zu, dass Tetsu mir mehr wert ist, als es gut wäre. Ich lasse zu, dass er sich in mein Herz schleicht, dass ich fast jede Minute an ihn denken muss... Aber was soll ich machen? Er hat mir in den letzten paar Wochen mehr schöne Erinnerungen gebracht, als ich es jemals für möglich gehalten hätte. Allein Tet-chan bedeutet mir unheimlich viel. Ich habe fast die Krise bekommen, als ich dachte, ich hätte ihn verloren, und dabei mein Zimmer beim Suchen komplett auf den Kopf gestellt. Du meine Güte, das war eine Aktion... Meine Eltern hätten mich glatt für verrückt erklärt, wenn sie das mitbekommen hätten. Aber ich glaube, das wäre mir dann auch egal gewesen. Hauptsache, ich hätte Tet-chan wieder gehabt. Wieder muss ich etwas schmunzeln, wenn ich jetzt daran denke. Ein wenig kraul ich dem Hasen eines seiner Öhrchen und schaue weiter nach draußen in den blauen Himmel, als Schwester Yukiko dann endlich mit meinem Arm fertig ist. Sie legt ihn vorsichtig ab und ich wende ihr meinen Blick wieder zu, versuche zu lächeln. Trotzdem durchschaut sie mich, wie jedes Mal. Sie weiß genau, dass mir eigentlich nicht zum Lachen zumute ist und streicht mir leicht über den Kopf. Vielleicht verraten mich auch meine Augen immer, ich hab keine Ahnung.
 

   "Und, wer holt dich heute ab?", beginnt sie noch einmal ein kurzes Gespräch mit mir.

   "Papa.", antworte ich wahrheitsgemäß und sie nickt leicht. Gerade will sie noch etwas sagen, da klopft es an der Tür und sie entschuldigt sich bei mir und verschwindet. Einen Moment starre ich noch die verschlossene Tür an, bevor ich die Augen wieder schließe und Tet-chan an mich drücke. Ja, heute wird mich Papa abholen. Mich holt hiernach immer jemand ab. Nur ganz am Anfang war das anders. Ich schätze, meine Eltern konnten einfach nicht richtig einschätzen, wie sehr die Dialyse den Körper eigentlich belastet. Oder sie haben sich einfach keine Gedanken darum gemacht, ich weiß es nicht. Damals hieß es nur immer, wenn ich allein hin kann, kann ich auch allein nach Hause. Und ich liege die ganze Zeit doch eh nur herum. Also habe ich mich immer nach Hause geschleppt. Und das ist jetzt keineswegs übertrieben, ich habe mich wirklich geschleppt und konnte kaum einen Fuß vor den anderen setzen. Was war ich immer heilfroh, wenn ich zuhause ankam? Ja, und dann war da dieses eine Mal... Ich kam gerade noch so zur Tür herein, habe sie hinter mir wieder zugemacht, den Schlüssel abgelegt und kurz darauf wurde mir schwarz vor Augen. Ich bin einfach mitten im Flur zusammen geklappt, weil ich nicht mehr konnte. Wahrscheinlich kann ich noch froh sein, überhaupt zuhause angekommen zu sein. Man stelle sich einmal vor, das wäre mitten auf der Straße passiert. Meine Mutter hat noch am selben Abend mit dem Arzt und meinem Vater gesprochen. Ich selbst habe davon natürlich nichts mitbekommen, weil man mich schon in mein Bett gebracht hatte. Aber Hanako erzählte mir, Mama sei wieder einmal in Tränen aufgelöst gewesen. So, wie es oft der Fall ist... Seitdem werde ich immer mit dem Auto abgeholt. Und was soll ich sagen? Es ist schon öfters passiert, dass ich dann während der Autofahrt einfach eingeschlafen bin. Es überrascht mich ja selbst immer wieder, wie ermüdend das Ganze eigentlich ist.
 

   Und langweilig. Es ist schlicht und ergreifend langweilig. Zwar ist das mein geringstes Problem, aber es ist eines. Ständig frage ich mich, was ich die ganze Zeit machen soll, wenn ich hier so herumliege. Und nie fällt mir etwas Brauchbares ein. Im Grunde kann ich nur nachdenken. Nachdenken, nachdenken, nachdenken. Dummerweise komme ich letztlich nur immer wieder auf Tetsu. Ja, verdammt. Er beherrscht meine Gedanken irgendwie. Geistert mir ständig im Kopf herum... Unser nächstes Treffen war vielleicht eine Woche, nachdem ich Tet-chan von ihm bekam. Wir gingen ein wenig im Stadtpark spazieren und setzten uns schließlich an den Fluss, der durch diesen fließt. Wir erzählten und erzählten. Es war so wundervoll. Ich habe dabei sogar meine Krankheit ein wenig vergessen können - und das kann ich selten. Sehr selten. Sie ist schließlich immer da, allgegenwärtig. Aber bei ihm ging das irgendwie. Er erzählte mir von sich und seinen Träumen. Er möchte einmal berühmt werden, sagte er. Als Künstler, als Musiker. Er möchte der Welt oder zumindest ganz Japan von sich erzählen und die Menschen an seinen Gefühlen teilhaben lassen. Ich habe ihm gern zugehört. Schon allein seine Stimme hat einen wunderbar beruhigenden Klang. Dann fragte er mich nach meinen Wünschen, meinen Träumen und Zielen. 'Ich möchte gesund sein.', hätte ich fast gesagt. Wenn ich daran denke... Schon beim ersten richtigen Treffen fast verplappert. Manchmal bin ich wirklich ein Idiot. Aber ich konnte mich noch zurückhalten. Statt dessen antwortete ich, mein Ziel sei es, glücklich zu werden, so dass ich eines Tages ohne Reue sterben könne. Ich weiß, das war auch irgendwie eine Anspielung darauf, dass ich nicht mehr allzu lange habe, aber... nicht so eindeutig. Finde ich jedenfalls. Er fragte, was ich dazu tun müsste. Ich konnte nur mit den Schultern zucken. 'Das habe ich noch nicht herausgefunden.', grinste ich. Daraufhin lachte er nur.
 

   Gott, er hat so ein angenehmes Lachen. Sanft und doch gleichzeitig ansteckend und mitreißend. Und sein Lächeln erst. Diese kleinen Grübchen dabei. Und seine Augen strahlen jedesmal nur so vor Freude. Ich liebe es. Ja, ich bin sicher, er wird seinen Traum eines Tages verwirklichen können. Je mehr ich ihn kennen lerne, desto mehr zieht er mich in seinen Bann. Anfangs war mir das gar nicht so bewusst. Doch jedesmal, wenn wir verabredet waren, freute ich mich schon Tage vorher darauf. Ich musste ihn nur sehen, wie er grinsend und winkend auf mich zu kam, und schon war meine miese und deprimierte Laune wie weggeblasen. Schon waren beinahe alle Probleme vergessen oder unwichtig. Und was haben wir alles zusammen gemacht? In den Park sind wir noch viele weitere Male gegangen. Dann waren wir zusammen im Kino, Eis essen, auf dem Jahrmarkt... Er hat mir noch ein paar andere Geschenke erspielt. Ich hab ihn noch genau vor Augen, wie konzentriert er immer war. Und wie enttäuscht, wenn mal etwas nicht geklappt hatte. Ich hab ihn dann immer in den Arm genommen und keine Ahnung wie oft versichert, dass das nicht so schlimm ist. Zwar bin ich abends immer völlig erschöpft ins Bett gefallen, doch das war es mir stets wert. Ich möchte diese wunderbare Zeit nicht missen, wirklich nicht. Ich dachte, so würde es für immer weitergehen können. Doch dann musste ich erfahren, dass dies nicht der Fall ist. Wieder waren wir in unserem Park, saßen auf einer Decke und veranstalteten ein kleines Picknick. Was hab ich da gesündigt? Alles mögliche in mich hineingefuttert und getrunken was das Zeug hielt. Aber was soll man auch machen, wenn man halbverdurstet etwas zu Trinken angeboten bekommt? An diesem Tag erzählte er mir, dass er sich in mich verliebt hatte. Ich weiß noch, ich war vollkommen sprachlos und sah ihn erst einmal eine Weile ziemlich verduzt und überfordert an. Dann wurde mir mit einem Schlag bewusst, was ich getan hatte.
 

   Entgegen dem, was ich mir selbst vorgenommen hatte, hatte ich jemanden an mich heran gelassen. Ich hatte mich mit ihm angefreundet und so viel Zeit mit ihm verbracht, dass ich mir inzwischen ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen kann. Und er sich seines offensichtlich nicht mehr ohne mich. Und genau das ist der Punkt. Irgendwann würde er ohne mich leben müssen. Und im Verhältnis zu einem normalen menschlichen Leben würde uns nicht mehr viel Zeit miteinander bleiben. In diesem Moment machte ich mir noch keine großen Gedanken um meine eigenen Gefühle. Es war damals keine Lüge, als ich ihm sagte, dass ich ihn nicht liebe. Nein, damals noch nicht... Er lächelte mich an und meinte, er hätte das schon erwartet. Er redete irgendwas davon, dass wir ja beide Jungen seien und so weiter. Ich widersprach ihm nicht, auch wenn mich das nicht gestört hätte. Er sollte ruhig glauben, das sei der Grund. Da müsste ich ihm nicht Rede und Antwort stehen und mir vielleicht noch sonst was ausdenken. Es tat mir leid, ihn enttäuschen zu müssen. Aber ich wusste auch, selbst wenn die Wahrheit anders ausgesehen hätte, hätte ich dasselbe gesagt. Wir blieben Freunde, doch ich habe mich seitdem etwas von ihm distanziert. Es war mir wichtig, dass er sich nicht zu sehr an mich bindet. Es war mir einfach wichtig, dass er über meinen Tod, der ja nun einmal mit Sicherheit sehr früh kommen wird, hinweg kommen würde. Nein, es ist mir immer noch wichtig! Tetsu ist mir wichtig, sehr wichtig sogar. Er hat mir richtig gefehlt, als ich es vermieden habe, ihn zu treffen. Meine Laune sank mit jedem neuen Tag nur noch weiter in den Keller. Irgendwann wollte ich gar nicht mehr nach draußen gehen. Meine Familie fing an, sich wieder Sorgen zu machen. Klar, sie waren auch froh, wenn ich öfter mal gelächelt habe als sonst. Das waren sie so von mir auch nicht gewohnt... Und wieder versuchte Mama ständig etwas aus mir heraus zu kriegen, bis ich sie einmal angefahren habe, dass das nervt.
 

   Ich schreie nicht oft oder werde sonst irgendwie laut. Eigentlich bin ich ein recht ruhiger und geduldiger Mensch. Aber auch ich habe so meine Grenzen. Und meine Mutter hat diese schon des öfteren mit ihrer übertriebenen Fürsorge überschritten. Es ist nicht so, dass ich es nicht verstehe. Natürlich macht sich eine Mutter Sorgen um ihr Kind. Mutterinstinkt eben... Aber es engt ein. Es engt ein, es erdrückt einen und geht einem mit der Zeit gehörig auf den Senkel. 'Hideto, tu dies. Hideto, tu das. Hideto, willst du nicht...? Hideto, wie fühlst du dich heute? Hideto, was ist los mit dir? Hideto, nun lach doch mal. Hideto, hast du auch deine Tabletten genommen? Hideto, denk an deine Nierenwerte.' Und so weiter und so weiter... Ich wunder mich wirklich nicht mehr, dass ich mich so oft entweder in mein Zimmer zurückziehe oder irgendwohin nach draußen flüchte. Ihre Mutterliebe in allen Ehren, aber irgendwann ist Schluss. Ich meine, ich bin aus der Schule raus. Ich bin eigentlich erwachsen. Wäre ich nicht krank, wäre ich wahrscheinlich auch schon ausgezogen. Doch sie behandelt mich immer noch wie ein Kleinkind. Wie soll man sich da bitte fühlen? Vor allem tut es mir auch ein wenig um Hanako leid. Für sie muss es ständig so aussehen, als hätten unsere Eltern nur Augen für mich und würden sich kein Stück um sie kümmern. Wir hatten uns da auch schon ganz schön in den Haaren. Sie warf mir sogar an den Kopf, dass sie gern an meiner Stelle wäre. Da ist mir die Hand ausgerutscht. Ich weiß, das war nicht die beste Reaktion, aber... Ich glaube, es hat gewirkt. Sie solle so etwas nie wieder sagen, schrie und flehte ich sie gleichzeitig an, sie solle es nicht einmal ansatzweise denken. Sie solle froh sein, gesund zu sein. Nichts ist es wert, sich dafür zu wünschen, an einer ernsthaften Krankheit zu leiden, gar nichts. Ich hatte mich mit meinem Schicksal abgefunden. Doch seit ich Tetsu kenne und seit ich weiß, was ich für ihn empfinde, wünschte ich mehr und mehr, es wäre doch anders.
 

   Eigentlich hatte ich den Kontakt mit ihm langsam abflauen lassen wollen. So, wie bei all den anderen Freunden, die ich einmal hatte. Man sieht sich nicht mehr, man spricht nicht mehr viel miteinander und irgendwann verliert man sich eben aus den Augen. Doch er ließ nicht locker. Sobald er merkte, was ich vorhatte, rief er mich immer wieder an und bat mich, zu vergessen, was er gesagt hatte. Er würde auch so damit zurecht kommen und es sei ihm klar gewesen, dass es nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Er wolle nur unsere Freundschaft deswegen nicht verlieren. Das sagte er jedes Mal... Es war nicht so, dass ich mich davon belästigt fühlte, aber ein wenig unangenehm war es mir schon. Solange, bis ich es wieder genoss, nur seine Stimme zu hören. Bis ich es wieder genoss, mit ihm zu reden. Und da merkte ich, wie sehr er mir eigentlich fehlte. Da bemerkte ich, was er mir wirklich bedeutete. In dieser Nacht konnte ich kaum einschlafen. Ich dachte an ihn. Ich dachte an uns beide. Ich dachte daran, wie es wohl wäre, wenn ich es ihm einfach sagen würde. Ich dachte daran, wie es wäre, wenn ich es ihm sagen würde und ich nicht krank wäre. Und immer wieder begann ich von neuem zu weinen. Ungerecht. Das war das Einzige, was mir dazu einfiel. Es ist alles so ungerecht. Er liebt mich, ich liebe ihn. Eigentlich sollte alles perfekt sein. Doch das ist es nicht. Ich habe nur noch ein Geheimnis mehr, das es vor ihm zu hüten gilt. Und er? Verknallt sich Hals über Kopf in einen Todkranken... Ich will mir gar nicht vorstellen, was wäre, wenn er jemals dahinter kommt. Oder dahinter, dass der Todkranke ihn auch liebt. Ich konnte einfach nicht anders, ich fing wieder an, mich ein wenig mit ihm zu treffen. Er hat sich so darüber gefreut. Wie ein kleines Kind. Bei ihm ist es auch seltsam, manchmal kommt er mir vor wie ein Fünfjähriger, dann aber sagt er Dinge, die eindeutig zeigen, dass er eigentlich erwachsener ist als er tut.
 

   Aber vielleicht ist es auch mit das, was ich so an ihm mag. Dieses Kind in ihm, das immer noch da ist. Ich mag es nicht, wenn Leute total ernst sind und nicht ein einziges Mal lachen können. Bei unserem nächsten richtigen Treffen hatte er rosa Hasenohren dabei. Wir setzten uns wieder in unseren Park an unsere Stelle und ich hätte mich fast verschluckt, als er sie plötzlich auf hatte. Ich habe gut und gern drei Minuten gelacht und als ich mich endlich halbwegs beruhigt hatte, setzte er mir ein zweites Paar auf den Kopf. Daraufhin holte ich Tet-chan heraus und auf einmal waren wir eine kleine Hasenfamilie. Wir haben uns Geschichten ausgedacht und wieder sehr viel gelacht. Und wieder habe ich mich so frei gefühlt, wie nie. Und wieder tauchte dieser Gedanke, dieser Wunsch auf, dass es für immer so bleiben möge. Dieser bittere Nachgeschmack, wenn man so will. Aber ich glaube, damit kann ich leben, solange ich Tetsu habe. Wahrscheinlich muss ich einfach nur aufhören, ständig dran zu denken. Nur leider ist das nicht so einfach, wie es sich anhört. So einfach kann ich nicht 'nicht daran denken'. Es gibt keinen Schalter, mit dem man Gedanken so einfach an und ausschalten kann. Aber das dürfte wohl jeder kennen, nicht nur ich. Mir bleibt also nur, einfach die Zeit mit Tetsu zu genießen. Und ich habe mir vorgenommen, dies auch weiterhin zu tun. Morgen sehen wir uns wieder und mal sehen, was er diesmal geplant hat. Ich freue mich schon so darauf. Mit einem leisen Seufzer nehme ich zur Kenntnis, dass ich wieder richtig müde bin. Diese verdammte Höllenmaschine. Wenn ich Pech habe, schlafe ich gleich hier auf dem Bett ein. Die letzte Zeit, die ich noch hier liege, bekomme ich nicht mehr wirklich mit. Ich schwebe irgendwie so im Halbschlaf und träume davon, Tetsu zu küssen, bis Schwester Yukiko wieder zu mir kommt und mich wieder weckt. Verschlafen sehe ich sie an und reibe mir die Augen, bevor ich mir die Nadeln entfernen lasse und langsam wieder aufstehe.
 

   Kurz darauf verlasse ich das Zimmer und da steht auch schon mein Vater im Eingangsbereich und wartet auf mich. Er lächelt mich kurz an und erkundigt sich nach meinem Zustand. Ich nicke ihm leicht zu und nuschel irgend etwas vor mich hin. Er spricht noch einmal mit Yukiko und ich gehe langsam vor, nachdem ich mich schon von ihr verabschiedet habe - ich werde wohl sowieso etwas länger brauchen als er. Am Auto hat mich Papa dann eingeholt und wir setzen uns hinein. Den Weg nach Hause bekomme ich kaum mit, wie so oft. Wir schweigen uns an, wie so oft. Als ich zuhause zur Tür hinein komme, überfällt mich Mama wieder halb, wie so oft. Sie umarmt mich und quasselt mich zu. Irgendwie schaffe ich es doch, mich von ihr zu 'befreien' und schleppe mich in mein Zimmer hoch. Dort krame ich wieder Tet-chan hervor und werfe mich auf mein Bett. Gott, bin ich fertig. Ich hasse es. Ich hasse es wirklich. Wenn das alles nicht so nötig wäre, um zumindest etwas unbeschwerter zu leben, würde ich es lassen. Gut, das würde sicher jeder Dialysepatient, aber egal. Jetzt freue ich mich einfach erstmal auf mein Treffen mit Tetsu morgen. Das wird sicher wieder schön. Ich kann ihn schon vor mir sehen, wie er auf mich wartet und sich dann zu mir umdreht, wenn ich ihn rufe. Wie er mich dabei anlächelt und auf mich zu kommt. Er nimmt mich in den Arm und begrüßt mich. Und ich kann wieder dieses Funkeln in seinen Augen sehen, diesen ganz besonderen Glanz. Wir gehen zusammen irgendwo hin und setzen uns da, reden und tun irgendwas Albernes, Lustiges und Witziges. Wahrscheinlich werde ich wieder die Zeit und alles andere vollkommen vergessen. Dumm, ich weiß, aber was soll ich machen? Es ist, als wäre ich bei ihm ein völlig anderer Mensch. In einer völlig anderen Welt. Ein gesunder Mensch. Ein gesunder Mensch in einer wirklich wundervollen Welt. Ja, das wäre schön, so müsste es sein... Mit diesem Gedanken schlafe ich langsam wieder ein.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2010-04-10T20:17:44+00:00 10.04.2010 22:17
Erstmal muss ich sagen, du hast einen sehr lockeren, angenehmen Schreibstil. Mir persönlich stellenweise etwas zu leger, aber er ist gut.
Man merkt, das du gut recherchiert hast, respekt. Der Dialyse-Vorgang und seine Krankheit wird glaubhaft beschrieben ohne in Selbstmitleid abzurutschen.
Seine Gedanken und Gefühle konnte ich gut nachvollziehen, gut gemacht.
Die Idee mit dem Häschen und den Hasenohren finde ich wahnsinnig süß und durchaus vertretbar, schließlich reden wir hier von der japanischen Kultur >D (Bei zwei deutschen Jungs wäre so eine Situation sicher unrealistischer gewesen.)

Alles in allem gefällt mir die FF schon ziemlich gut, bin gespannt wie es weitergeht. *In die Favos nimmt*

LG


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