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Ein Teenager auf Abwegen

Die Geschichte eines Jungen. Ob Jesse und Jaden ihm helfen können?
von

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Anhörung im Jugendamt: Narben der Vergangenheit

Anhörung im Jugendamt: Narben der Vergangenheit
 

Vier Tage später war es dann soweit. Die Anhörung im Jugendamt stand bevor und somit auch das erste Aufeinandertreffen mit seinen Eltern.

Alexander machte sich gerade im Bad fertig, als Sopdu ins Badezimmer kam.

„Morgen. Fertig für die große Schlacht?“, begrüßte Sopdu ihn und putzte sich danach erst mal seine Zähne.

„Mmh!“, kam es nur grummelnd von Alexander.

Er hatte seine Morgenhygiene bereits hinter sich gebracht und so band er seine Haare hinten zusammen, da sie in der Zwischenzeit so lang geworden waren, dass sie ihm bis auf die Schulten fielen.

Während Sopdu sich wusch, nutzte der Rotschopf die Zeit, um seine besten Sachen anzuziehen. Während er sich anzog, beobachtete er Sopdus Rücken und beobachtete die Muskeln, wie sie sich auf dem Rücken abzeichneten und wie sich die Sonne auf den Muskeln abzeichnete.

„Ich hoffe, dass es klappt. Ich will ihn nicht verlieren!“, schoss es Alexander durch den Kopf.

Sofort drehte sich Sopdu um und ging auf Alex zu. Er griff nach Alexander Handgelenk und hielt seine Hand fest.

„Es wird klappen, vertrau mir! Wir werden zusammen bleiben, was auch immer kommt!“, versprach ihm Sopdu.

Alexander konnte selbst nicht so wirklich daran glauben und anscheinend spiegelte sich das in seinem Gesicht wieder, denn Sopdu zog ihn in eine Umarmung.

„Ich werde nicht zulassen, dass du oder Ryan zu Personen kommt, die euch schlecht behandeln. Und wenn ich den Mitarbeiter des Jugendamtes beeinflussen muss.“ Sagte Sopdu und drückte Alexander noch mehr.

Alexander erwiderte die Umarmung und sagte mit einem Schmunzeln:

„Danke, aber du solltest dich jetzt fertig machen, oder willst du nur mit Boxershorts ins Jugendamt gehen?!“

Sopdu schmunzelte ebenfalls.

„Wenn du es so möchtest, würde ich auch nur mit Boxershorts im Jugendamt auftauchen!“, sagte Sopdu und machte sich dann weiter fertig.

Alexander lächelte nur schwach, denn er war noch ziemlich müde, da er in der Nacht nicht viel geschlafen hatte.

Nachdem auch Sopdu sich fertig gemacht hatte, verließen sie ihr Zimmer. Auf dem Flur trafen sie Ryan, der auch so aussah, als wenn er in der Nacht nur wenig Schlaf bekommen hätte.

„Morgen! Heute ist es soweit! Wir werden „Sie“ wiedersehen!“, begrüßte sie Ryan mit diesen Worten.

Es war zu sehen, dass ihm diese Situation ziemlich zusetzte. Seine Hände zitterten und er versuchte auch das Zittern in seiner Stimme zu kontrollieren, aber es gelang ihm nicht.

Alexander griff nach Ryans Handgelenk und zog ihn zu sich. Er nahm seinen kleinen Bruder in die Arme und jetzt spürte er auch körperlich das Zittern, das von Ryans Körper ausging.

Alexander brauchte nichts zu sagen, den er streifte beruhigend mit der Hand über Ryans Rücken. Ryan hatte sein Gesicht in Alexanders Hemd vergraben, aber es waren immer wieder kleine Schluchzer zu vernehmen.

Langsam beruhigte sich Ryan und er schniefte ein paar mal.

Sopdu flüsterte Ryan die gleichen beruhigenden Worte ein, die er schon bei Alexander benutzt hatte und es schien so langsam zu funktionieren, denn Ryan hob sein Gesicht.

Sein Gesicht war ein wenig von den Tränen verschmiert, die er schnell mit einem Taschentuch entfernte. Er nickte zögerlich und umschloss dann Alexanders Hand mit seiner eigenen.

„Lasst uns gemeinsam in eine gemeinsame Zukunft gehen!“, sagte Sopdu und sie gingen gemeinsam hinunter in die Lobby.

Dort warteten bereits Friedrich, Lydia, Jesse und Jaden.

„Da seid ihr ja, ich dachte schon, ich müsste auf euch warten und mit das Beste vom Frühstück entgehen lassen.“ Begrüßte Jaden die drei Spätankommenden.

„Du denkst auch nur ans Futtern!“, konterte Sopdu, worauf Jaden entrüstet schnaubte und Jesse sich einen Lacher nicht verkneifen konnte.

Sie gingen in den Frühstücksraum und fanden bereits dort Sora und die Anderen vor, die schon am frühstücken waren. Sie setzten sich dazu und begannen ebenfalls mit dem Frühstück. Alexander selbst bekam allerdings nicht mehr als ein paar Bisse herunter. Er war viel zu nervös, als dass er sich jetzt den Bauch voll schlagen könnte. So nervös war er noch nicht einmal vor seinen Titelkämpfen. Damals hatte er sich immer gesagt, dass es nicht so schlimm wäre, wenn er verlieren würde, aber jetzt stand mehr auf dem Spiel als nur sein eigenes Wohlergehen, sondern das von Ryan und Sopdu. Wenn das heute schief ging, dann würde er und sein Bruder wieder zu ihren Eltern zurückkehren müssen und er müsste Sopdu wieder verlassen. Das wollte er auf keinen Fall.

Alexander war so in seine Gedanken vertieft, dass er noch nicht einmal merkte, wie ihn jemand mit einer Gabel in die Hand stieß. Erst nachdem er ein paar mal mit der Gabel gepickst wurde, schaute er auf und sah Riku, der ihm gegenüber saß und sich über den Tisch gebeugt hatte, um ihn mit der Gabel in die Hand zu piksen.

„Hey, was soll das?“, fragte Alexander und zog seine Hand weg, damit Riku nicht mehr in sie stechen konnte.

„Ein Jäger sollte niemals sein Ziel aus den Augen verlieren, denn sonst wird der Jäger zum Gejagten!“, sagte dieser.

Alexander sah ihn verärgert an, sah dann aber zu Sopdu herüber.

„Ausnahmsweise muss ich Riku zustimmen. Wenn du dein Ziel aus den Augen verlierst, wirst du deine Freiheit verlieren.“, sagt Sopdu und trank einen Schluck Kaffee aus seiner Tasse.

Alexander schüttelte nur den Kopf, sagte aber nichts dazu. Nachdem sie mit dem Frühstück fertig waren, gingen sie zurück in den Eingangsbereich, von wo aus der Hotelmitarbeiter ein Taxi rief. Nach nur kurzer Wartezeit verließen Friedrich, Lydia, Alexander, Sopdu und Ryan das Hotel und stiegen in das Taxi. Die Anderen blieben im Hotel zurück und verbrachten die Zeit mit warten.

Währenddessen fuhren Alexander, Sopdu, Ryan, Friedrich und Lydia zum Jugendamt Berlin Mitte. Als sie am Jugendamt angekommen waren, stiegen sie aus und Alexander sah das graue Gebäude hoch.

„Grau, wie ein Gefängnis!“, schoss es ihm durch den Kopf.

Sopdu legte ihm eine Hand auf die Schulter und langsam betraten sie das Gebäude, indem über seine und über die Zukunft seines Bruders entschieden werden sollte.

Die Eingangshalle des Jugendamtes war in einem schlichten grau gehalten. Friedrich steuerte auf einen Fahrstuhl, der sich an der rechten Seite der Halle befand, zu und holte ihn herunter.

Als der Fahrstuhl angekommen war, traten sie beiseite und ließen erstmal die Leute aussteigen, die sich im Fahrstuhl befanden. Als alle Personen aus dem Fahrstuhl ausgestiegen waren, stiegen sie ein und Friedrich drückte den Knopf für den dritten Stück. Die Fahrstuhltüren schlossen sich und der Fahrstuhl setzte sich ratternd in Bewegung. Es dauerte nicht lange und der Fahrstuhl hielt ratternd im dritten Stock und die Türen öffneten sich. Langsam stiegen sie aus und sahen sich im Gang um. Dieser Gang war vollkommen weiß gestrichen und überall an den Wänden hingen Pinnwände, an denen Kinder Zeichnungen und Basteleien angepinnt waren. Neben jeder Tür waren Stühle aufgestellt worden, damit man sich hinsetzen konnte, wenn man warten musste. Auch waren so einige Pflanzen aufgestellt worden und im Gegensatz zum Eingangsbereich des Jugendamtes wirkte es hier schon fast gemütlich. Alexander sah sich nach seinen Eltern um, doch er sah niemanden, der ihm bekannt vorkam.

„Komm mit! Die Sachbearbeiterin hat dort hinten ihr Büro. Ihr Name ist Engel!“, sagte Lydia und deutete auf eine Tür am Ende des Ganges. Sie gingen auf die Tür zu und als sie davor standen, klopfte Lydia an die Tür.

„Herein, bitte!“, sagte eine Frauenstimme.

Lydia öffnete die Tür und sie betraten das Büro. Als Alexander ins Büro trat, sah er sich erstmal erstaunt um. Es sah nicht wirklich aus wie ein Büro, sondern eher wie ein kleines Wohnzimmer. Im Büro standen eine kleine Couch, zwei Sessel und ein kleiner Tisch. Um dem Büro wenigstens ein wenig bürokratischen Flair zu geben, war ein kleiner Schreibtisch in eine Ecke gestopft worden. In einem der Sessel saß eine Frau Mitte 40. Sie sah auf und lächelte die Neuankömmlinge an. Sie hatte braunes Haar, olivgrüne Augen und eine unzählbare Menge an Lachfältchen. Sie stand aus dem Sessel auf und sagte mit eine angenehmen, melodischen Stimme:

„Ah, Sie müssen die Familie zu Falkenstein sein. Und ihr Beiden seid dann Alexander und Ryan Rhiemer. Sehr schön. Am Besten, ich beginne das Gespräch zuerst mit dem älteren der Beiden Brüder. Darf ich dann Sie bitten, draußen zu warten?!“, sagte sie freundlich.

Lydia und Friedrich nickten und verließen dann mit Ryan und Sopdu das Büro.

Die Sachbearbeiterin lächelte Alexander freundlich an. Dieser versuchte ihr Lächeln zu erwidern, doch es gelang ihm überhaupt nicht.

Sie reichte ihm die Hand und sagte:

„Hallo, ich bin Claudia Engel. Ich bin die Sachbearbeiterin, die mit dieser Angelegenheit vertraut wurde. Möchtest du, dass ich dich duze oder sieze?“, stellte sie sich vor.

Alexander war vollkommen verdutzt darüber, dass die Sachbearbeiterin ihm gegenüber so offen war.

Er ergriff ihre Hand und schüttelte sie.

„Ich bin Alexander. Sie können ruhig du zu mir sagen. Wie wird es jetzt weiter gehen?“, fragte Alexander.

Die Sachbearbeiterin lächelte ihn noch immer an.

„Nun, zuerst möchte ich wissen, welche Teesorte du trinken möchtest, dann werden wir über dich und deine Familienverhältnisse reden. Du kannst mir alles erzählen, was du möchtest. Wenn es nötig ist, werden wir solange reden, bis dir entweder die Worte ausgehen oder uns der Reinigungsdienst irgendwann in der Nacht kurz aus dem Büro schmeißt. Egal wie lange es dauern wird, ich höre die solange zu, wie es nötig ist. Aber am Besten wir setzen uns erstmal, denn im Stehen ist es doch etwas unbequem!“, sagte sie und setzte sich in einen der Sessel.

Alexander setzte sich in den anderen Sessel. So ganz kam ihm aber die Situation nicht geheuer vor. Die Sachbearbeiterin war ihm ein wenig zu aufgeweckt. Anscheinend hatten sich seine Bedenken auf seinem Gesicht abgezeichnet, denn Frau Engel riss ihn aus seinen Gedanken.

„Anscheinend hast du mit einer verstaubten und alten Sachbearbeiterin gerechnet, die nur noch das Nötigste macht und sonst nur noch auf ihre Rente wartet. Aber so bin ich nicht. Ich bemühe mich für jede Seite die bestmöglichste Lösung zu finden, worauf ich aber zuerst immer darauf achte, was das Kind möchte. Ich muss zugestehen, dass ich unbedingt diesen Fall haben wollte, denn du bist meinem Sohn ein großes Vorbild. Aber jetzt genug zu mir. Welche Teesorte möchtest du trinken?“ sagte sie und nannte noch ein paar Teesorten.

Alexander entschied sich für den Früchtetee und als er dann den Tee vor sich stehen hatte, begann Frau Engel das Gespräch.

„Also, Alexander, wie war es bei dir zuhause?“, fragte sie und nahm sich einen Notizblock zur Hand.

Sofort flogen in Alexanders Gedächtnis Erinnerungsstücke herum.

„In einem Wort gesagt: Scheiße! Mein Vater ist Rechtsanwalt und er war so gut wie nie zuhause. Wenn er mal da war, dann hat er immer verlangt von meinem Bruder und mir die Arbeiten und Hausaufgaben zu sehen. Er hat uns immer darauf gedrillt, gute Noten von der Schule zu bringen, weil er wollte, dass wir später mal seine Kanzlei übernehmen. Wenn wir mal eine Note nach Hause gebracht haben, die schlechter als eins war, dann gab es schon Fernsehverbot und Nachhilfe. Dafür hat er immer einen Nachhilfelehrer nach Hause geholt. Vater war es auch, der mich im Alter von sechs Jahren zum Judo angemeldet hat. Als ich ihn dann mit 13 gefragt habe, warum ich denn das machen müsste, meinte er, dass er kein Weichei als Sohn haben wolle. Ich musste in meiner Schule auch das Amt des Schülersprechers annehmen, weil ich als Sohn etwas darstellen sollte. Ich wollte es nicht, aber Vater bestand darauf. Mit ungefähr 14 habe ich mich dann zum ersten mal verliebt und damit begannen die Probleme.“, erzählte Alexander.

Frau Engel kritzelte auf ihrem Notizblock herum und sah auf, als Alexander nicht mehr sprach.

„Was für Probleme waren es denn damals?“, fragte sie.

Alexander überlegte, wie viel er ihr erzählen konnte und wie tolerant sie wohl war. Dann entschloss er, ihr eine Gegenfrage zu stellen.

„Haben sie den Jungen gesehen, der noch reinkam?“, fragte der Rotschopf.

Frau Engel überlegte einen Moment, doch dann hellte sich ihre Miene auf.

„Meinst du den jungen Mann mit den blonden Haaren, der blassen Haut und den stechend roten Augen? Nun ja, den habe ich gesehen.“, sagte sie.

Alexander holte tief Luft, ganz so, als wenn er gleich von einer riesigen Klippe springen würde.

„Ich bin mit diesem jungen Mann zusammen. Und da ist das Problem. Mein Vater hat ein gewaltiges Problem damit, dass ich mit einem Jungen zusammen bin und deshalb hat er mich damals von meiner Schule genommen und mich auf die Nordakademie geschickt, damit ich nach seinen Worten dort wieder zur Besinnung komme. Damals war ich noch nicht mit Sopdu, so heißt der junge Mann von eben, zusammen, sondern damals ist vor kurzem mein erster Freund verstorben. Ich glaube jedoch nicht, dass der Unfall, wodurch er ums Leben kam, seine eigene Schuld war.

Nach seinem Tod war ich so niedergeschlagen und erzählte meinen Eltern, was los war. Mein Vater ist total ausgerastet und hat mich beschimpft. Dann schickte er mich auf die Nordakademie. Einige Zeit ging das auch gut, bis zu dem Zeitpunkt, an dem die anderen Mitschüler herausgefunden haben, dass ich schwul bin. Ab diesem Zeitpunkt lief ich nur noch Spießruten. Es war so schlimm, dass die Schulleitung eingeschaltet wurde und diese sich mit meinen Eltern in Verbindung setzte. Daraufhin arrangierte mein Vater meinen Wechsel zur Duellakademie. Da war ich zuerst sehr skeptisch. Es gab viele Schüler, die sich mit mir anfreunden wollten, doch ich war vorsichtig geworden, denn auf der Nordakademie hatte ich mich auch mit ein paar Jungs angefreundet und als ich ihnen offenbarte, dass ich auf Jungs stehe, haben sie es in der ganzen Schule publik gemacht.

Nun, da war ich dann in der Duellakademie und lebte mich doch Recht schnell ein. Grund dafür waren besonders zwei Schüler, die mir alles zeigten. Was ich später herausfand war, dass sie auch ein Geheimnis hatten. Ich absolvierte meinen schulischen Alltag und freundete mich mit immer mehr Schülern an. Dann machten wir in der Mitte des Jahres eine Klassenreise und dort lernte ich dann Sopdu kennen. Auch er war in ungefähr der gleichen Lage wie ich. Wir lernten uns näher kennen und verliebten uns in einander.“, sagte Alexander und wartete solange, bis Frau Engel ihre Notizen auf den Notizblock gekritzelt hatte.

Als sie damit fertig war, nahm sie einen Schluck von ihrem Tee. Dann fragte sie:

„Wie sah dein Alltag zuhause aus?“

Der Rotschopf kratzte sich an der Stirn.

„Mein Alltag sah so aus, dass ich morgens aufstand, mich fertig machte und zur Schule ging. Nach der Schule waren sofort lernen und Hausaufgaben an der Reihe. Vier mal die Woche ging ich zum Judounterricht. Nach dem Judounterricht musste ich noch bis 22 Uhr lernen und dann durfte ich ins Bett gehen. Wenn es ein Wort gibt, von dem ich nicht wusste, was es ist oder wie es geschrieben wurde, dann war es das Wort „Freizeit“!“, erklärte Alexander und diesmal breitete sich ein unangenehmes Schweigen aus, während Frau Engel ihre Notizen machte.

Als sie fertig war, sah sie Alexander ernst an und stellte dann eine Frage, deren Schwere sich noch herausstellen sollte.

„Was passierte, wenn du etwas gemacht hast, was deinen Eltern missfallen hat? Welche Strafen gab es?“, fragte sie.

Bei dieser Frage musste Alexander schlucken.

„Da hatte mein Vater immer eine ganz klare Vorstellung. Es kam natürlich immer auf die Schwere des „Vergehens“. Wenn wir eine zwei in irgendetwas mit nach Hause brachten, durften wir entweder kein Fernsehen gucken oder es gab kein Abendbrot. Haben wir einen Eintrag ins Klassenbuch bekommen, und damals war es so, dass wenn man einen Eintrag ins Klassenbuch bekommen hat, auch gleich ein Eintrag ins Hausaufgabenheft erfolgte, dann bekamen wir Hausarrest. Jede Note unter eins war bei uns vollkommen tabu. Als Ryan mal eine drei mit nach Hause brachte, schickte Vater ihn auf eine Militärschule.“, sagte Alexander und er hatte vor unterdrückter Wut seine Finger so stark in die Stofflehnen gekrallt, dass deren Füllung so langsam hervorquoll.

Wieder machte Frau Engel sich so einige Notizen. Als sie dann damit fertig war, sah sie ihn mit einem Ausdruck an, als wüsste sie nicht, ob sie ihm weitere Fragen stellen sollte. Anscheinend entschied sie sich dafür, denn sie fragte:

„Hat euer Vater dich oder deinen Bruder irgendwann einmal geschlagen?“

Alexander biss so fest die Zähne aufeinander, dass sich seine Kiefermuskeln verspannten. Seine Hände krallten sich immer mehr in die Sitzlehnen. Die Worte blieben ihm im Hals stecken und so konnte er nichts andere tun als zu nicken.

Nun war es passiert. Sein dunkelstes Geheimnis, was er Jahre lang mit sich herumgetragen hatte und von dem noch nicht einmal Sopdu etwas wusste war heraus.

Irgendwie war er erleichtert, aber er verspürte den Drang, zu erklären, wie es dazu gekommen war.

„Ja, er hat mich einmal geschlagen. Es war an einem Freitagabend. Ryan hatte die drei mit nach Hause gebracht und sie unserem Vater gezeigt. Vater war damals total ausgerastet und hat gegenüber Ryan die Hand erhoben. Ich bin dazwischen um Ryan zu beschützen und er hat mir statt Ryan ein geknallt. Er sagte zu mir, dass ich für eine Schwuchtel ja doch etwas einstecken konnte und hat gelacht. Mutter war auch anwesend, doch sie hat nichts unternommen. Sie war mal wieder damit beschäftigt den Champagner zu leeren. Danach hat Vater mich auf die Nordakademie und Ryan auf die Militärschule geschickt. Vater hatte für mich die Nordakademie rausgesucht, weil es hieß, dass man dort junge Leute zu verantwortungsvollen, jungen Männern heranziehen würde, die jeden Hang zu Abnormalität verloren hätten.“, erzählte er.

Sein ganzer Körper zitterte und sein Gesicht glänzte vor Schweiß.

Frau Engel notierte sich ihre letzten Worte und sah Alexander nun genau an. Ihr freundliches Lächeln war verschwunden. Stattdessen hatte ihr Gesicht einen ziemlich grimmigen Ausdruck angenommen.

„Nur noch eine letzte Frage! Wenn du entscheiden könntest, wo würdest du dann am liebsten wohnen?“, fragte sie.

Zitternd und langsam antwortete Alexander:

„Bei meiner Tante und meinem Onkel. Aber nur zusammen mit meinem Bruder!“

Frau Engel nickte und machte sich auch dazu noch eine Notiz.

„Ich werde mich jetzt noch mit deinem Bruder unterhalten.Nach dem Gespräch mit deinem Bruder werde ich mich noch mit deiner Tante und deinem Onkel unterhalten. Danach könnt ihr gehen. Ich werde mich aber noch mit deinen Eltern unterhalten müssen.“, sagte sie.

Alexander erhob sich ebenfalls, schwankte jedoch ein wenig. Nichts brachte ihn mehr aus der Fassung als seine eigene Vergangenheit, die er jetzt noch einmal aufleben lassen musste. Frau Engel legte ihm eine Hand um die Schulter, um ihn zu stützen und mit der anderen Hand drückte sie ihm die nun eiskalte Teetasse in die Hand.

Sie begleitete ihn nach draußen und rief dann Ryan herein.

Alexander setzte sich auf einen der Stühle und lehnte den Kopf gegen die Wand.

„Wie war es?“, fragte Sopdu und sah Alexander besorgt an.

Langsam berichtete Alexander ihm alles, was Frau Engel ihn gefragt und was er erzählt hatte. Als Alexander zu der Stelle kam, an der er erzählt hatte, dass sein Vater ihn geschlagen hatte, explodierte Sopdu:

„DIESES SCHWEIN HAT DICH GESCHLAGEN? WARUM SAGST DU MIR DAS NICHT FRÜHER? WENN ICH DIESES ARSCHLOCH IN DIE FINGER KRIEGE MACH ICH IHN KALT!“, schrie Sopdu so laut, dass es mit Sicherheit im gesamten Jugendamt zu hören war.

Sofort öffneten sich einige Bürotüren und auch die Tür von Frau Engel öffnete sich und sie selbst kam heraus.

„Wenn sie sich nicht zu benehmen wissen, muss ich sie des Hauses verweisen. Habe ich ich klar ausgedrückt?!“, sagte sie und ihre olivgrünen Augen blitzen vor Wut.

Alexander zog Sopdu zurück auf seinen Platz.

„Ja, habe ich!“, knurrte Sopdu und verschränkte die Arme vor seinen Brustkorb.

Frau Engel kehrte in ihr Büro zurück und schloss die Tür hinter sich.

„Beruhige dich, sonst geht das hier noch schief!“, rückte Lydia Sopdu den Kopf zurecht.

Dieser sah sie nur finster an, sagte aber nichts mehr dazu.

„Wie lange war ich denn da drin?“, fragte Alexander, um die bedrückende Situation aufzulösen.

Friedrich seufzte.

„Dreieinhalb Stunden.“, antwortete Friedrich.

Alexander machte sich bewusst, wie lange die anderen auf ihn gewartet haben mussten. Er nippte an seinem kalten Tee.

„Gib mal her, ich zeig dir jetzt mal was!“, sagte Sopdu und streckte die Hand aus.

Alexander reichte ihm seinen kalten Tee und warte ab, was Sopdu nun tat.

Sopdu vergewisserte sich zuerst, dass Friedrich und Lydia nicht auf ihn achteten, dann steckte er einen Finger in den Tee und rührte einmal um. Sofort begann der Tee wieder zu dampfen an und Sopdu reichte Alexander den nun wieder heißen Tee.

„Ein bisschen zaubern kann ich auch!“, sagte Sopdu.

„Danke!“, sagte Alexander und ein schwaches Lächeln zeigte sich an seinen Mundwinkeln ab.

„Ha, 1:0 für mich. Ich hab dich zum Lächeln gebracht!“, sagte Sopdu triumphierend und stellte sich noch dazu in eine absolut lächerliche Siegerpose.

Alexander konnte nicht anders und musste über Sopdus Gehabe einfach nur Lachen. Dabei hatte er die Augen geschlossen und konnte so nicht sehen, wie Sopdu Lydia und Friedrich zuzwinkerte.

Insgesamt dauerte Ryans Gespräch mit Frau Engel fast genauso lange wie das von Alexander und als er aus dem Büro kam, war er genauso fertig wie Alexander zuvor. Nach Ryan waren noch Friedrich und Lydia an der Reihe. Frau Engel bat zuerst Lydia in das Büro. Ihr Gespräch dauerte nicht länger als eine Viertelstunde und als sie dann das Büro wieder verließ, bat Frau Engel sofort Friedrich als Nächsten einzutreten. Auch sein Gespräch dauerte nicht länger als 20 Minuten und als er endlich rauskam, verabschiedeten sie sich von Frau Engel und verließen das Jugendamt. Draußen auf der Straße stauchte Friedrich erstmal Sopdu für sein unmögliches Verhalten im Jugendamt zusammen. Sopdu ließ sich davon aber nicht beeindrucken und erwiderte:

„Ist doch wahr. Wenn ich diesem Bastard begegne, dann werde ich dafür sorgen, dass er in seinem Leben keinen Fuß mehr auf die Erde bekommt!“

Friedrich sah Sopdu nur wütend an, sagte aber nichts mehr dazu, um das Gespräch nicht weiter zu einem Streit ausufern zu lassen.

Stattdessen bestellte er ein Taxi, das schon nach wenigen Minuten vor ihnen hielt. Im Taxi fuhren sie zurück zum Hotel und stiegen aus. Sie betraten das Hotel und Alexander ging sofort hoch in sein Zimmer. Er hatte jetzt einfach nicht den Nerv dafür den Anderen Rede und Antwort zu stehen. In seinem Zimmer angekommen öffnete er seine Kleidung und ließ sie einfach zu Boden fallen und legte sich nur mit seiner Boxershorts bekleidet in sein Bett. Er war so müde, dass ihm sofort die Augen zufielen, als sein Körper die Matratze berührten.

Hinter ihm kam Sopdu ins Zimmer und sah noch, wie Alexander sich auf das Bett legte und sofort einschlief. Er hatte es nicht mal mehr geschafft, sich zu zu decken und so deckte Sopdu seinen Gefährten mit der Decke zu. Er beugte sich zu Alexander herunter und küsste ihn auf die Wange.

„Halte noch ein Wenig durch. Bald haben wir es geschafft!“, flüsterte Sopdu dem schlafenden Rotschopf ins Ohr und verließ dann wieder das Zimmer, um den Anderen zu berichten, was im Jugendamt passiert war.
 

Ende des 54. Kapitels



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  SakuraxChazz
2012-10-23T18:35:49+00:00 23.10.2012 20:35
Das Kapitel hat mich seit langem mal wieder wirklich bewegt. Wie Alexander dort von seiner Familiensituation berichtet. Und der Frau Engel wirklich sein Herz ausschüttet. Anders kann man das ja eigentlich nicht bezeichnen.
Ich finde es wirklich beeindruckend, wie schnell er sich ihr öffnen konnte und das er wirklich alles erzählt hat. Mich hätte ja schon auch ein bisschen interessiert, was die Frau Engel noch mit den anderen so besprochen hat. Wie es Ryan so ging dabei.
Allerdings gefällt mir die Aktion von Sopdu nicht so gut. Die bringt die ganze Sache etwas ins Wanken. Da hätte Alexander etwas vorsichtiger sein sollen. Oder aber ihn vorwarnen sollen, das er sich nicht aufregen soll und ihm das als Versprechen abnehmen. Auch wenn ich Sopdu voll und ganz verstehen kann. Ich bin bei sowas auch immer direkt auf 180. Klar rutscht einem hin und wieder mal die Hand aus, auch wenn es nicht sein sollte. Ich steh dazu. In meinem Zimmer wäre schon einiges zu Bruch gegangen, wenn ich keine Kissen oder Kuscheltiere in meiner Trotzphase gehabt hätte. Aber als Elternteil die Hand gegen sein Kind zu erheben, nur weil es mal eine drei mit nach Hause bringt. Und diese ganzen Regeln. Der Vater gehört in eine Anstalt. Und die Mutter kippt sich immer schön eins hinter die Binde. Das ist ja dann die perfekte Kombi -.- Bin ich froh das ich nicht in solch einer Familie groß geworden bin. Ich hoffe ja auch für mich, das ich nicht so einen Griff ins Klo tätigen werde, wie die Mutter von Alex und Ryan. Aber wer weiß... vielleicht war er ja mal ganz anders. Aber was hat ihn dann so verändert? Die Kanzlei? Aber wieso so drastisch? Na ich denke mal, das werden wir nie erfahren. Denn dazu müsste man ja doch sehr weit ausholen.
Das Kapitel hat mir auf jedenfall sehr gut gefallen. Ich hoffe für die beiden geht die Sache gut aus und sie können zu Sopdu ziehen. Oh und ich hoffe, das sich Sopdu und Alex Onkel wieder vertragen werden. Da krieselt es ja jetzt doch ein bissl dank Sopdus lautstarkem Auftritt.

LG Saku^^


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