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Endstation: Psychiatrie

Es war wie im Knast, nur mit dem Unterschied, dass man im Gefängnis hinaus in den Hof durfte, hier nicht.
von

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Psycholeptikerin

Es war merkwürdig in einer Psychiatrie zu sein. Avira hatte immer nur davon gehört und es waren keine guten Dinge, die sie gehört hatte.

Unfreundliches Personal... Eine Patienten, die ehemals in einer Psychiatrie war, sagte einmal, dass dort ein Mädchen geweint habe und eine Schwester kam, doch anstatt sie zu beruhigen, angeschrien habe, sie solle aufhören.

Fürchterlich und nun war sie in solch einer Anstalt! Da war es kein Wunder, dass man es hier nicht leicht hatte. Was würde auf sie warten? Was würde demnächst kommen? Diese Frage beantwortete sich schnell, denn am Schwesternzimmer angekommen, stellten sie Avira einer Schwester vor und verließen anschließend die Geschlossene wieder. Schade, ohne Avira.

Sehnsüchtig sah sie den beiden hinterher und wünschte sich wieder in der Freiheit.

Sie war nicht dumm und wusste was auf sie zukommen würde.

„Setzen Sie sich“, bat die Schwester und während Avira dem nach kam, besorgte die Schwester einen Anamnesebogen aus einer Schublade und setzte sich anschließend zu ihr an den kleinen, runden Tisch.

Eine Anamnese ist eine im Gespräch ermittelte Vorgeschichte eines Patienten in Bezug auf seine aktuelle Erkrankung.

So ein Bogen konnte einige Seiten beinhalten. Dort wurden diverse Dinge als Fragen gestellt. Name, Alter, ob man erblich vorbelastet wäre, Operationen hatte, derzeitige Probleme mit Organen, Sexualität oder Gewicht. Fragen über die eigenen Gewohnheiten; ob man raucht, Alkohol trinkt, ob man einmal Drogen konsumiert hat, ob man Sport treibt und und und.

Einen Bogen, den Avira nicht zum ersten Mal sah. Einmal musste sie so einen Bogen beim Zahnarzt ausfüllen, als sie weiter weg vom Heimatort zum Zahnarzt musste, da sie Zahnschmerzen hatte.

Doch das war jetzt kein Zahnarztbesuch, sondern ein stationärer Aufenthalt in einer geschlossenen Anstalt: Psychiatrie.
 

Als der Bogen ausgefüllt war, hatte Avira anschließend ihre Hände gefaltet und in ihren Schoß gepresst. Es war ihr sichtlich unangenehm hier zu sein. Doch die Schwester lächelte. „Sie brauchen keine Angst haben. Wenn sie freiwillig hier bleiben, stellen wir einen Antrag an die zuständige Versicherung“, erklärte sie und wollte Avira scheinbar ihre Angst nehmen.

„Und wenn ich wieder gehen möchte?“ Avira sah auf.

„Dann werden wir einen gerichtlichen Beschluss einholen müssen.“

Oh, welch Aufmunterung! Avira fühlte sich schon wie Zuhause...
 

Ein plötzliches und schrilles Piepsen war zu hören. Instinktiv griff Avira sich an die Ohren, um diese vor dem Lärm zu schützen. Die Schwester erhob sich blitzschnell und griff an ihren Pager, sah Avira an. Das Mädchen jedoch sah nur, wie sich die Lippen der Frau bewegten und kurz darauf aus dem Zimmer verschwand. Was wohl bedeutete: „Ich bin gleich zurück!“

Zumindest ging der Neuzugang davon aus. Und wenn nicht, würde es Avira auch nicht krumm nehmen. Zu dumm, dass es noch andere Krankenschwestern und Pfleger hier im Schwesternzimmer gab. Sie sah jedoch zur Tür, die die Schwester offen gelassen hatte und bemerkte einen Schatten im Flur, der unweit vom Schwesternzimmer entfernt zu sehen war.

Ihre Augen waren auf den Schatten am Boden gerichtet, wanderten jedoch langsam den Türrahmen hinauf und ertappte einen Patienten, wie dieser gerade ganz dreist in das Schwesternzimmer, mehr oder weniger Avira begutachtete.

Erst als sich ihre Blicke trafen, wich der Patient zurück und auch der Schatten von dem Patienten verschwand.

„Feigling. Dreist rein schauen und abhauen, tz“, dachte sich Avira grinsend.
 

„Eine neue Psycholeptierkin...“
 

„Die Zeit läuft uns davon.

Was getan ist, ist getan.

Und was jetzt ist, wird nie mehr so geschehen.

Es geht kein Weg zurück.“

Lautete nicht so das Lied von Wolfsheim, Kein Zurück? Das Lied kannte Avira nur zu gut und es stimmte sie immer wieder traurig.

Es sprach so viel Wahrheit aus. So viel Aussagekraft hatte kein anderes Lied, das Avira kannte. Manchmal, glaubte sie, es würde ihr Mut zum Neuanfang schenken. Doch dann kam der bittere Rückschlag. Einerseits war es gut zu wissen, dass sie nicht der einzigste Mensch auf der Welt war, der solche Probleme hatte. Andererseits wünschte sie sich ein ganz normaler Mensch zu sein. Doch hatten auch normale Menschen Probleme.

Ein Lächeln, nette Worte und die passende Antwort auf die Frage: „Wie geht es Dir?“

Und kein Mensch würde Dir ansehen, wie es in Dir aussieht. Avira sah diese vier-Wörter-Frage als reinen Höflichkeitsfloskel an. Eine meist nie ernst gemeinte Frage. Wen interessierte es schon, ob es dem Menschen vor einem schlecht oder gut ging? Fragte nicht jeder Mensch aus reiner Höflichkeit?

Eine Frage, um ein Gespräch anzufangen oder in ein Gespräch zu kommen. Eine sehr unbeholfene Frage. Doch wieso kümmerte gerade das Avira? Sie fand es traurig, dass nicht einmal Mitmenschen oder die Gesellschaft an das Wohl anderer, gleichen Schicksalsträgern, die ebenfalls dazu verdammt waren unter ihrer eigenen Rasse das Leben fristen zu müssen, eigentlich ziemlich egal war. Geld, darauf würden sich 95% der Industrieländer stürzen. Geld und Macht.
 

Gerade als sich Avira immer mehr in ihrem Gedankenchaos verlor, betrat die Schwester, die vorhin mit dem Pager aus dem Zimmer gestürzt war, wieder das Schwesternzimmer und unterhielt sich für einen Augenblick mit einem Pfleger der Station, der daraufhin gleich davon brauste. Was wohl geschehen war?

Anschließend setzte sich dieselbe Schwester wieder zu Avira an den Tisch.

„Entschuldige die Unterbrechung.“ War der erste Satz nach ihrer Ankunft zu Avira.

„Keine Ursache“, antwortete Avira. Reine Höflichkeit. Wer würde schon sagen, dass man in der Zeit lieber gegangen wäre? Doch eigentlich war das in einer Psychiatrie nicht belanglos? Die Menschen, die hier arbeiteten, mussten sich sicher schon so einiges von den Patienten anhören.

„Nun, Avira, Sie bleiben vorerst eine Woche hier stationiert. Ihr zuständiger Psychologe wird sich darum kümmern.“

„Um was kümmern?“, hakte sie sogleich nach.

„Um den gerichtlichen Bescheid, dass man sie hier behalten wird.“

Richtig! Gegen den Willen. Wie Tiere, die gegen ihren Willen im Zoo gehalten wurden. „So macht man Heute als Psychologe wohl Geld?“, dachte Avira und schüttelte nur den Kopf.

„Ich zeige Ihnen Ihr neues Zimmer, kommen Sie“, fuhr die Schwester fort und erhob sich, ging aus dem Schwesternzimmer und wartete auf Avira, die dem nach kam. Was blieb ihr auch schon übrig? Vielleicht würde sie die Neugier in Person sehen, die hier vorhin noch stand und herein geschaut hatte. Doch als sie den Flur betrat, war nirgends eine Person zu sehen, die danach aussah, als wäre sie des neugierigen Schauens schuldig.

Das zwei Augen sie jedoch gerade fixierten, bemerkte das Mädchen nicht.
 

„Psycholeptikerin...“, raunte eine kratzige Stimme aus einem Raum, an dem sie und die Schwester gerade vorbei gingen.

„Psycho.. was?“ Avira drehte sich um, um den Täter zu enttarnen, doch fehlgeschlagen.

„Achte nicht auf ihn. Er redet wirres Zeug, erfindet neue medizinische Fachwörter und reizt gerne Patienten“, erklärte die Schwester sogleich.

Genauer betrachtet war die Schwester vor ihr eigentlich sehr hübsch. Kurzes, braunes Haar, schlanke Figur und eigentlich sehr sympathisch.
 

Schließlich kamen sie an dem freien Zimmer an, das ab Heute das neue Zimmer von Avira sein würde. Vorausgesetzt die erste Woche. Hoffentlich würde kein Richter einfach über sie hinweg entscheiden!

Ein komplett weißes Zimmer, mit einem Holzschrank, einer Holzkommode und einem Bett mit einem kleinen Nachttisch, inklusive einer Nachttischlampe. Das Fenster jedoch schenkte dem Raum viel Helligkeit und sah daher sehr einladend und freundlich aus. Auch wenn das Weiß sehr steril wirkte. Aber man konnte hier schließlich keine bunten Wände erwarten.

Während die Schwester alles erklärte, ihr das Bad zeigte, in dem sich eine Dusche, ein Waschbecken und natürlich eine Toilette befand, machte sich Avira indessen Gedanken um ihre Familie. Was sie wohl alle über sie denken würden?

Niemand kannte das Innere von Avira. Niemand kannte ihre Gefühle, Ängste und Freuden.

Avira hatte nicht einmal Freunde. Nein, sie glaubte nicht daran, dass es einen Menschen gab, der ernsthaft an einer Freundschaft interessiert war, ohne abzuhauen, wenn sie in Schwierigkeiten steckte. Eine treue Freundschaft war dass, was Avira wollte. Bisher wurde sie nur belogen und hintergangen. Da blieb man doch lieber alleine.

Auch wenn es manchmal sehr schön gewesen wäre, jemanden zum Reden gehabt zu haben.

Doch welcher Mensch verstand schon solche Probleme, die nicht selbst eine Menge am Hals hatten? Unwichtig.
 

Während Avira die Zeit, die sie auf ein Familienmitglied wartete, im Aufenthaltsraum verbrachte und über das Wort „Psycholeptikerin“ nachdachte, hörte sie das Wort erneut von derselben Person, die diese raue und kratzige Stimme hatte. Sie sah sich um, konnte aber niemanden ausfindig machen. „Wer ist denn da?“

Auch wenn es das zweite Mal war, dass diese Person das Wort scheinbar zu ihr sagte, war es mittlerweile lästig den Menschen, der dies sagte, nicht vor Augen zu haben. Als würde sie Stimmen hören, die nicht existierten.

Ein leises und kurzes Kichern war zu hören, danach Stille.

Gerade wollte sich Avira erheben und nachschauen, wer sie gerade so dermaßen nervte, wurde sie gestört.

„Avira, Ihr Bruder ist gerade angekommen“, informierte sie ein Pfleger der Station, während der Pfleger den Kopf für einen Moment in den Aufenthaltsraum gesteckt hatte und den Neuzugang sofort erblickte, ehe er anschließend die verschlossene Türe mit ihrem Sicherheitsglas aufschloss, um dem Ältesten der Brüder Einlass zu gewähren.

Ein Kofferrolli war zu hören und Avira verließ den Aufenthaltsraum.

„Josh!“, sprang sie ihm gleichzeitig in die Arme.

Besorgt umarmte er seine Schwester und seufzte. „Was ist nur mit Dir los? Ich habe alles eingepackt, wo ich dachte, Du könntest es gebrauchen. Von Kleidung über Bücher und Waschzeug“, erklärte Josh und löste sich langsam wieder von seinem Schützling. Josh sah sich ihr gegenüber als Beschützer an und wirkte enttäuscht, als habe er etwas falsch gemacht, als habe er versagt.

Dies war Avira nicht entgangen, denn immerhin pflegten beide ein gutes geschwisterliches Verhältnis und eigentlich hatte sie ihm als Kind versprochen alles zu sagen, was sie bedrückte. Für einen Moment herrschte ein Schweigen zwischen ihnen.

„Danke“, drückte Avira gezwungen hervor und wirkte bedrückter als zuvor. Sie fühlte sich ihm gegenüber schuldig.

Der Pfleger beobachtete neugierig die beiden für einen kurzen Moment, nachdem er wieder abgeschlossen hatte und ließ beide anschließend alleine und verschwand in Richtung Aviras Zimmer, wo er um die Ecke bog.

„Komm, ich zeig Dir mein Zimmer“, schlug sie ihm vor und nahm den Rolli in die Hand.

Josh folgte ihr schweigend, bedrückend.
 

An ihrem neuen Zimmer angekommen und in diesem verschwunden, setzte sich Avira auf das Bett und klopfte mit einer Hand neben sich, um ihrem Bruder anzudeuten, dass er sich neben sie setzen sollte.

„Es tut mir leid, Josh. Ich würde mir nie etwas antun, wirklich nicht!“, erklärte sie sich ihrem Bruder gegenüber.

„Nein Avira. Es ist in Ordnung. Ich hatte die letzten Jahre nicht viel Zeit für dich und war nicht der Gesprächspartner, der ich eigentlich für dich sein wollte. Ich hatte mich zu sehr mit meinem Studium beschäftigt, anstatt mich um dich zu kümmern.“

Was sollte das denn nun bedeuten? Hieße das etwa, Avira wäre ihm so lästig? Hieße das etwa, dass Avira nur an sich selbst dachte?

„Nein, so meine ich das doch nicht! Du stellst mich dar, als würde ich...“ Sie konnte den Satz nicht beenden, da Josh ihr einen Finger auf ihre Lippen drückte und somit zum Schweigen brachte.

„Du verstehst nicht, Kleines. Ich bin immer für dich da.“ Er erhob sich.

Stumm sah sie zu ihm auf; er ging.

Nicht wissend, was sie davon halten sollte, da sie ihn gerade nicht verstand, blieb sie auf dem Bett sitzend. Nicht ahnend, dass sie bald lernen würde, dass diese Wände Ohren hatten.
 

In derselben Nacht konnte Avira kein Auge zudrücken. An Schlaf war nicht zu denken.

Sie hatte den restlichen Tag damit verbracht ihre Sachen auszupacken, einzuräumen und sich darauf einzustellen, dass sie für eine lange Zeit hier bleiben würde.

Ihre Arme hinter ihrem Kopf verschränkt, lag sie mit dem Rücken auf der Bettdecke und warf einen Blick nach rechts auf die Uhr: 0 Uhr.

Ein Blick nach links: Eine weiße Wand.

Das Abendessen hatte sie ausfallen lassen, ihr knurrender Magen bestätigte dies.

Doch es verging nicht einmal eine Minute, als ein seltsames Geräusch ihre Ohren erreichte. Lautlos setzte sie sich mit einem Schwung auf und sah zur Türe, von dort sie das Geräusch vernahm.

Ein Zettel hatte ihr jemand unter die Türe durch geschoben. Einen Zettel?

Eine Schwester oder ein Pfleger wäre sicherlich in das Zimmer gekommen. Es konnte sich nur um einen Patienten handeln, das war die logische Schlussfolgerung von Avira.

Sie erhob sich und trat zur Türe, die sie abgeschlossen hatte, nachdem es Nachtruhe gewesen war, gegen zweiundzwanzig Uhr. Ihren Oberkörper hinunter drückend, ergriff ihre Hand den Zettel und hob ihn vom Boden auf, richtete sich wieder auf und richtete ihre Augen auf das Geschriebene.

„Psycholeptikerin.“

Was sollte nur dieses Wort bedeuten?

Sie kehrte zum Bett zurück, legte den Zettel auf den Nachttisch und kroch unter die noch kalte Bettdecke. Jetzt würde sie erst nochmal versuchen zu schlafen. Scheinbar erlaubte sich jemand einen blöden Scherz mit dem Wort. Sehr lustig, wenn sie diese Person erwischte, dann Gnade ihr ihr Schöpfer! Mit dieser gedachten Drohung schloss sie wenig später die Augen.
 

Genug für heute, Psycholeptikerin...



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Fitsch
2009-05-28T16:47:53+00:00 28.05.2009 18:47
Mir gefällt das zweite Kapitel wirklich gut.
vor allem Aviras Gedankengänge sind richtig klasse geworden - wie sie über "wie geht es dir" nachdenkt ist wirklich klasse! und auch ihre anderen gedanken sind gut beschrieben.

Ich muss [[Skira]] recht geben, ein Zahnarzt, der nach dem sexuellen befinden fragt ist wirklich etwas sehr seltsam... o.O

Aber sonst kann ich echt nichts bemängeln, dein schreibstil ist einfach schön und man ließt gerne weiter.
Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel =)
Lg, Fitsch
Von: abgemeldet
2009-05-06T10:12:35+00:00 06.05.2009 12:12
[FFK]
Und wieder ein gelungenes Kapitel von dir. Ich finde es beeindruckend, wie du schreibst. Besonders gefallen haben mir Aviras Gedanken über die "Höflichkeit". Sehr treffend. Beschreibt so ziemlich die ganze Menschheit. Aus purer Höflichkeit wird nach dem Befinden gefragt, obwohl man gar nicht wirklich daran interessiert ist und ohnehin nur ein "gut und dir?" hören will!

Wie gesagt, ich bin begeistert.
Nur ein kleiner Punkt. Ich glaube nicht, dass der Zahnarzt nach dem sexuellen Befinden fragt bei der Aufnahme. Oder ist das in Deutschland anders? In Österreich zumindest wäre das ein Grund den Arzt zu wechseln *Perverser!!* ;)

Naja, ich bin trotzdem begeistert und freue mich schon auf das nächste Kapitel von dir!


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