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Game

Alles nur ein Spiel?
von

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Hauptteil

Vorwort
 

Ich bin Lia Ive, mein Nachname spielt keine Rolle.

Ich möchte eine Geschichte aus meinen Leben erzählen, von der nur die Leute wissen, die direkt involviert waren. Ich weiß nicht, warum ich diese Geschichte veröffentliche, aber ich glaube, ich möchte, dass alle, die damals damit zu tun hatten, meine Gefühle nachvollziehen können. Auch wenn es schon lange her ist.

Wir haben damals in einer Dörferkette gewohnt, die sich um eine größere Stadt zog, also wundert euch nicht wenn ich es zu natürlich schildere, dass wir mit dem Bus zu irgendeinem Dorf gefahren sind, für mich ist es halt damals natürlich gewesen.
 

***
 

Es kann vorkommen, dass ich einige Charaktere gar nicht oder erst später vorstelle, aber dennoch nenne – macht euch nichts draus, sie sind nicht für die eigentliche Geschichte wichtig.

Ich weiß nicht, warum ihr meine Geschichte lest oder lesen wollt, aber ich wünsche euch auf jedenfall, dass ihr niemals so reagiert wie ich es getan habe.
 

Von allen Menschen, denen ich begegnet bin, war meine zweite große Liebe wohl die Person, die mein Schicksal am meisten beeinflusst hat.

Wir lernten uns damals auf der Gestaltungsschule kennen - doch erst im zweiten Schuljahr hatten wir richtig miteinander zu tun. Im ersten Schuljahr hing ich die meiste Zeit mit meinem Freund herum. Er hieß Jonas und wir hatten uns auf dem Gymnasium kennen gelernt. Er folgte mir auf die Gestaltungsschule, obwohl er eigentlich nichts mit Gestaltung machen wollte - eigentlich ist es töricht so etwas zu tun - aber ich fand es damals unheimlich süß von ihm. Als das Aus kam, war ich ziemlich niedergeschlagen. Es war ja nicht nur so, dass er einfach nicht mehr mit mir zusammen sein wollte. Nein, seine letzten Worte zu mir waren sogar ‚Wir sehen uns dann Morgen, mein Engel, ich hab dich lieb!’ gewesen. Danach sprach er mich aber niemals wieder an und wenn ich ihn ansprechen wollte, ging er mir aus dem Weg. Den Grund erfuhr ich erst einige Wochen später, als er und eine Klassenkameradin plötzlich die Schule verließen – er hatte sie geschwängert und nun wollten die beiden heiraten. Warum er mich betrogen hatte, weiß ich nicht - ich weiß auch nicht, ob sie die Einzige war, die er neben mir hatte – aber eigentlich wollte ich das auch nie so genau wissen.

Ich glaube, ich hätte mich damals nicht so schnell wieder gefangen, wenn nicht Maya und ihre Clique mir geholfen hätten, darüber hinweg zu kommen. Tatsächlich haben mir die Mädchen gleich nachdem Jonas die Schule verlassen hatte mitgeteilt, dass dieses Mädchen allseits bekannt dafür war, eine Bettmatratze zu sein – tatsächlich hatten auch sie selbst schon den einen oder anderen Freund an sie verloren. Männer… achten eben doch nur auf Äußerlichkeiten. Zumindest halfen die Mädchen mir, über diese Zeit der Trauer und Enttäuschung hinwegzukommen.

Dann kamen wir allerdings alle in den Prüfungsstress und hatten keine Zeit mehr für uns oder irgendetwas anderes.
 

Nach den Schulferien geschah etwas, was ich nicht erwartet hätte - ich war auf einmal fester Bestandteil der Clique. Gleich am ersten Tag wurde mir das klar gemacht, in dem ich herzlich begrüßt wurde. Anfangs kannte ich noch nicht die Namen der acht Mädchen, nur Mayas Name war mir ein Begriff - schließlich war sie der Star der Clique. Maya war definitiv eines der attraktivsten Mädchen unserer Schule. Sie zwar mit ihren 1,64 nur durchschnittlich groß, aber sie war gut gebaut und wusste, welche Kleidung ihre Figur am besten betonte. Auch ihre rot gefärbten Haare standen in einem schönen Kontrast zu ihren dunkelgrünen Augen. Viele Jungs hatten ein Auge auf Maya geworfen, doch sie interessierte sich nicht wirklich für die Jungs, der einzige, mit dem sie überhaupt rumhing, war Kai und es war schwer zu übersehen, dass die beiden zusammen waren.

Doch die Namen der anderen lernte ich recht schnell kennen, wenn wir abends in der Disco waren, oder zusammen einen Tee trinken gingen oder einfach nur in der Schule zusammen waren. Eigentlich waren wir fast immer zusammen unterwegs, nur samstags war ich nicht dabei. Samstag ist in meiner Familie seit eh und je ein heiliger Tag, an diesem Tag unternahmen wir immer etwas zusammen und wenn doch mal das Konzert der Lieblingsband auf einen Samstag fiel, dann gingen wir halt alle zusammen hin. Wir brauchen uns nie für einander zu schämen, denn meine Familie ist Klasse. Auch heute noch treffen wir uns mindestens einen Samstag im Monat.
 

Ich habe nur einen einzigen Samstag - den Familientag - sausen lassen und das war jener Samstag, an dem alles irgendwie begann.

Die Mädels wollten ins Kino gehen, in einen Film der mich sehr interessierte und den ich unbedingt sehen wollte, leider war der einzige Tag an dem jeder –außer ich- Zeit hatte und so einigte man sich auf Samstag. Und ich konnte nicht widerstehen und bin an diesem Samstag mit ins Kino gegangen. Der Film war einer der besten den ich je gesehen habe (ich bin auch heute noch der Meinung, dass er einer der besten ist) und im Taumel des Glücksgefühls, den der Film mir übermittelte, stimmte ich zu, noch in ein Café zu gehen und ein Stück Kuchen zu essen. Wir wählten ein Café in dem Dorf aus dem Maya kam, da es das Beste weit und breit war – der Kuchen war perfekt und die Auswahl an Getränken war auch beachtlich. Und so setzten wir uns in den Bus und fuhren von der Stadt ins Dorf, wir waren alle gut aufgelegt und nervten wohl mit unseren Rumalberein alle anderen Fahrgäste, aber das störte uns wenig. Als wir im Dorf ankamen, hatten wir so einen Lachkrampf, dass wir kaum aus dem Bus raus kamen. Linda mussten wir sogar auffangen, weil sie beim lachen umknickte und aus dem Bus heraus fiel. Weiter lachend gingen wir zum Café und gaben uns Mühe, die Beherrschung wieder zu erlangen - leichter gesagt als getan. Doch am Ende schafften wir es wieder, uns zu fangen. Ich bestellte mir einen Vanillecappuccino und einen Mohnkuchen. Die anderen zogen mich damit auf, das ich Mohn essen wollte, da sie alle zusammen Mohnfeinde waren. Außer Maya, die bestellte genau das gleiche wie ich und zwinkerte mir zu.

„Ich werde nie verstehen wie ihr etwas so unglaublich leckeres wie diesen Mohnkuchen nicht essen könnt“ sagte Maya.

„Genau!“ stimmte ich ihr zu „Dieser Geschmack ist einfach einmalig!“

“Ach, ihr beiden habt einfach verdrehte Geschmacksnerven“ meinte Anna-Sophie und rollte gespielt mit den Augen.

„Das sagt uns jemand, der Lakritzkaffee trinkt?!“ fragte Maya sie und schaute sie herausfordernd an.

„Das ist aber wahr, Lakritzkaffee klingt schon irgendwie ekelerregend!“ sagte Linda und nippte an ihrem Apfelsaft.

„Aber Apfelsaft passt wohl zum Kuchen?“ meinte Anna-Sophie, immer noch gespielt böse, aber doch mit leicht aggressiven unterton.

„Apfelsaft kann man immer trinken.“ Sagte Linda, die tatsächlich immer und überall Apfelsaft mithatte und trank. Sie war ein richtiger Apfelsaft-Junkie!

„Das ist wie Ketchup,“ warf Alex ein „den kann man sich auch überall drauf machen und es schmeckt trotzdem noch!

Ich glaube, ich bin nicht die Einzige, die in dem Moment daran denken musste, wie sich Alex Ketchup über ihre Eierkuchen gemacht hatte…

“Leute.. müsst ihr euch übers Essen streiten?“ fragte Marie, unser Ruhepool, die sich relativ selten äußerte.

„Ja, müssen wir!“ sagte Anna-Sophie und trank provokativ den Rest ihres Kaffees mit einem Zug aus.

Aber es war der letzte Kommentar zu dem Essenskonflikt gewesen und unser Thema ging zur Schule über. Wir redeten über die Fächer und im Endeffekt über die große Hausaufgabe, die wir in der Woche abgeben mussten. Sie hatte darin bestanden, dass wir Bilder, Zeitungsausschnitte, Fotos, Texte und sonstiges zu einem Thema finden mussten und dann eine Collage erstellen mussten, die aussah wie das, worüber unser Thema war. Zum Beispiel hatte ich als Thema Vanille gewählt und meine Collage sah aus wie eine Vanilleblüte.

“Ich muss sagen, dass mir die Aufgabe viel Spaß gemacht hat.“ Sagte ich zu den anderen.

„Das sah man! Deine Arbeit sah wirklich Klasse aus!“ meinte Linda.

„Ja auf jeden Fall!“ stimmte auch Lily zu.

Auch die anderen komplimentierten meine Arbeit, was mich stolz machte.

„Vor allem, dass du die Bilder und Texte so gewählt hast, als wäre es eine richtige schattierte gelbe Vanilleblüte hat mich sehr beeindruckt. Und die Texte, die du gewählt hast waren auch alle total interessant. Und du hast es außerdem geschafft, alle Themen irgendwie in Gruppen zu fassen. Ich fand die Arbeit einfach unglaublich!“ war Mayas Kommentar zu meiner Arbeit – dass ihr alle diese Dinge aufgefallen waren, beeindruckte mich, ich dachte, es würde niemand sehen. Über ihr Kompliment freute ich mich am meisten. Tatsächlich freute ich mich sogar ziemlich sehr über den Kommentar, ich glaube, mein Herz begann sogar schneller zu klopfen.

Aber das war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht bewusst gewesen. Aber wenn ich heute darüber nachdenke, dann war es tatsächlich so, dass ich von Maya Herzklopfen bekam. Deshalb sehe ich es als den Anfang von all dem, was folgte.
 

Zuhause bekam ich Ärger wie noch nie, meine Eltern waren so sauer, dass sie gleich nach der Standpauke zu ihrer Arbeit verschwanden und mein Bruder sprach überhaupt kein Wort mit mir. Das war die Strafe für das brechen der heiligen Gesetze. Das und der folgende Samstag, an dem wir uns ein Handballspiel angucken gingen. Meine Familie vermied es mit mir zum Handball zu gehen, weil ich diesen Sport noch nie abkonnte. Allerdings waren sie alle außer ich eingefleischte Fans und wussten immer genau über alles in der Handballszene bescheid – früher war meine Mutter sogar selbst Handballspielerin gewesen. Handball war auch mit verantwortlich, dass meine Eltern sich kennen gelernt hatten. Aber wie meine Eltern sich kennen lernten ist dann doch eine ganz andere Geschichte, die damit beginnt, dass meine Mutter von einem Mann gefragt wurde, ob sie nicht Interesse daran hätte, in einem Film mitzuspielen. Der Film handelte von einem jungen Handballtalent, das aus armen Verhältnissen kam, und deswegen nie in einem Verein spielen konnte… aber am Ende schafft sie doch in einen Verein, wird Profi und… das Übliche halt. Mein Vater war der Regisseur dieses Filmes und die beiden lernten sich am Set kennen. Liebe auf den ersten Blick. Meine Mutter bekam nach dem Film viele Angebote für Filme, denn es hatte sich herausgestellt, dass sie nicht nur ein Handballtalent war, sondern auch eine überaus begabte Schauspielerin. Und um es gleich zu sagen – es ist nicht nur so, dass alle in meiner Familie Handballfans waren – nein, mein Bruder war ebenfalls Schauspieler. Ich weiß, das klingt jetzt total cool, weil aus meiner Familie alle in der Filmbranche sind und wir dadurch verdammt viel Geld haben und so… aber eigentlich sind wir trotzdem nur eine kleine Familie, die in einem kleinen Dorf lebt, in dem sie nicht von jedem aufgrund ihrer Berühmtheit belästigt werden, und die es irgendwie schafft, trotz ihrer stressigen Berufswahl, sich jeden Samstag zu treffen. Obwohl es cool ist, wenn man so oft sturmfrei hat. Sonst wäre ich sicher früher ausgezogen, schließlich war ich damals schon 19 Jahre alt.
 

Wir hatten in jenem Jahr einen sehr warmen Frühherbst, der dem Sommer in nichts nachstand und so trafen wir uns an einem Sonntag im Freibad. Es waren bestimmt 25°C und die Wassertemperatur lag auch bei 20°C. Ich bin ein Sommertyp – ich mag warme Temperaturen und ich bin gerne an der frischen Luft. Ich hatte mir einen Badeanzug eingepackt - auch wenn die anderen immer meinten, dass ich eine gute Bikini Figur hätte – ich fand Bikinis unbequem und kam mir immer vor, als würde ich in Unterwäsche herum laufen.

Nachdem ich mich umgezogen hatte, ging ich zu dem Baum, an dem wir immer unsere Handtücher und Taschen ablegten. Wie erwartet war noch niemand zu sehen, da ich früher los gegangen war, weil ich noch einkaufen wollte – leider bemerkte ich auf dem Weg, dass ich meine Geldkarte vergessen hatte.

Da auch in den nachfolgenden zehn Minuten niemand kam, legte ich mein Handtuch in den Schatten und lauschte mit geschlossenen Augen dem allgemeinen Schwimmbadlärm und dem leisen Rauschen des Windes im Blattwerk des Baumes über mir. Ich bin mir nicht sicher, wie viel Zeit vergangen war, doch irgendwann hörte ich Schritte und richtete mich auf. Maya war angekommen - in einem roten Bikini. Als ich sie so sah fiel mir auf, dass sie im Bikini noch viel attraktiver wirkte als sonst. Sie hatte eine reine und sonnengebräunte Haut. Ich starrte sie wie hypnotisiert an, und als mir endlich auffiel, dass sie versuchte, mich ins Diesseits zurückzuholen, war mir das ganze sehr peinlich und ich bekam rote Ohren. Ich bekam immer rote Ohren, wenn mir etwas peinlich war - was ich eigentlich nicht schlimm fand, da ich meine Haare am liebsten offen trage und sie mir dadurch über die Ohren fallen. Besser als knallrot im Gesicht zu werden. Dann würde es alles noch peinlicher werden.

„Hey, Maya!“ sagte ich möglichst normal.

„Ah! Lia weilt endlich wieder unter uns - was war denn mit dir? Ist gerade dein Traumprinz vorbei gekommen?“ Maya kicherte und zwinkerte. Dann fiel mir auf, dass inzwischen auch Marie und Lily da waren. Lily laberte irgendwas über ihren neuen Freund und Marie, die mich eindeutig aus den Augenwinkeln heraus ansah, hörte ihr zu. Glaube ich zumindest.

„Nein, mir ist nur… ach, mir ist nur was Gutes für den Aufsatz eingefallen, den wir für Englisch schreiben müssen!“ log ich schnell. „Du weißt schon, dass den du Aufsatz morgen abgeben musst?“ fragte mich Maya mit vorwurfsvoller Stimme.

„Eh… tatsächlich? Na dann habe ich heute Abend ja noch viel zu tun. Haha!“ Natürlich wusste ich das, ich hatte meinen Aufsatz zu diesem Zeitpunkt allerdings auch schon lange fertig gehabt.

Unser Gespräch wurde je unterbrochen, als Anna-Sophie zusammen mit Alex und Kathleen, (ich mag die Abkürzung ‚Kathi’ die sie bevorzugt, nicht besonders) auftauchten.

Als auch der Rest auftauchte, gingen wir zusammen zum Becken aber ich beteiligte mich nicht wirklich an den Dingen, die die anderen machten. Ich lies mich die meiste Zeit im Wasser herumtreiben oder saß am Beckenrand und beobachtete die anderen. Und Maya. Gott, sie sah in diesen Bikini einfach… gut aus. Ja dieser Anblick ist eine schöne Erinnerung.

Später machten wir uns dann auf, nach Hause zu gehen, die meisten waren ziemlich fertig und wollten gleich gehen. Am Ende blieben nur Marie, Maya und ich.

„Marie, ich komm nachher mit zu dir nach Hause!“ sagte Maya.

„Mach nur.“, meinte Marie.

„Hey, Lia, willst du nicht auch mitkommen? Natürlich nur wenn das Okay ist, Marie.“ Fragte mich Maya.

„Sie kann ruhig mit. Aber ich…“ begann Marie, doch beendete ihren Satz nicht.

„Aber?“ fragte Maya nun Marie.

“Nichts, ich müsste nur mein Zimmer aufräumen, wenn sie mitkommt, aber das geht schon.“, antworte Marie.

„Ach komm, Marie, als ob dein Zimmer jemals dreckig wäre!“ sagte Maya und klopfte ihr lachend auf die Schulter. „Na, was ist, Lia?“

Ich überlegte, für meine Ausrede von vorhin wäre es wohl besser wenn ich nein sagte. Allerdings hatte ich ja in Wirklichkeit gar nichts zu tun und ich wollte gerne noch ein bisschen mit den beiden zusammen sein.

„Ja, ich komme mit.“
 

Marie wohnte im selben Dorf wie Maya, also fuhren wir mit dem Bus dorthin. Neben uns saßen zwei besoffene alte Männer, die meinten, uns dumm anmachen zu müssen. Wir versuchten, sie zu ignorieren, setzen uns dann aber doch nach vorne. Sie kamen uns nicht hinterher und wir waren froh, dass wir unsere Ruhe hatten. Wir redeten kaum im Bus und ich dachte über meine Träume nach, Gestalterin zu werden. Wofür, war mir eigentlich egal, Hauptsache ich konnte mich auch bisschen praktisch betätigen. Maya und Marie wohnten von der Stadt recht weit weg, weshalb wir eine Weile fuhren, aber irgendwann kamen wir doch an. Als wir ausstiegen, lästerten wir erst über die beiden betrunkenen Opas und gingen dann zu Marie nach Hause.

Marie wohnte direkt neben Maya, bei der ich schon öfter zuhause gewesen war, da wir uns manchmal bei ihr trafen. Als wir ankamen, schloss Marie nicht die Tür auf, sondern Lia klingelte und heraus kam ein Junge mit braunen Haare und einem Kinnbart. Ich brauchte einige Sekunden, um zu realisieren, dass es Kai war.

Maya gab ihn einen Begrüßungskuss und Marie winkte mir zu das ich hereinkommen sollte.

„Hey Mädels.“ sagte Kai und grinste lässig.

„Hi Schatz.“ Sagte Maya.

„Tag Horst.“ Marie streckte Kai neckisch die Zunge raus.

„Marie! Hör endlich auf, mich Horst zu nennen!“ Kai fing Marie und tat so als wollte er sie wieder vor die Tür setzen.

„Aber Hooooorst~~“ sagte Marie und prustete los.

Dieses Schauspiel war… nun… Marie war eher eine ruhige Person, die das Geschehen um sich herum analysierte und nur das Nötigste im richtigen Augenblick sagte. Ich hatte sie noch nie so herumspielen sehen und das hatte mich sehr überrascht. Ich glaube, es hatte mich sogar ein wenig verstört.

„H- hi, Kai.“ Sagte ich, als Marie sich endlich von Kai gelöst hatte.

„Warum ist Lia dabei, Liebling?“ Die Frage war direkt an Maya gerichtet. „Marie bringt doch sonst nie Besuch mit.“

„Ich habe sie mitgebracht, sie ist schließlich auch eine Freundin von mir.“

„Ach so.“ Kai mochte mich nicht besonders. Oder eher… er war eifersüchtig auf mich. Man muss wissen ich bin 1,76m groß... und Kai war 1,72m… es wurmte ihn einfach, dass ein Mädchen größer war als er. Und auch noch die Größte der Klasse. Ich fand die Größe ganz okay, aber ich wünschte mir doch manchmal, kleiner zu sein. Man wird doch manchmal ziemlich angestarrt. Und ich glaube Lily hat Angst vor mir, da sie selbst nur 1,52m groß ist.

Ich ging mit Marie die Treppe hoch und in ihr Zimmer. Maya und Kai blieben unten und warfen sich verliebte Blicke zu. Ihr Verhältnis war halt etwas besonderes, auch wenn sie sich oft stritten. Wenn sie sich mal wieder stritten, nannten wir das Ehestreit, um Maya aufzuziehen. Aber als ich die beiden so sah wie sie sich ansahen, da merkte ich ein Stechen in meiner Brust, und dass ich mich irgendwie traurig fühlte. So, als würde ich niemals meine Träume erreichen. Ich spürte, dass Marie mich wieder von der Seite beobachte.

„Hey Maya, schläfst du heute Nacht auch hier?“ Marie holte ein Bettbezug für Maya aus dem Schrank.

„Das geht doch nicht, du hast doch nur 2 Betten, und Maya schläft hier.“ sagte ich naiv-unschuldig.

„Maya… die schläft doch bei Kai drüben.“

„Ich wusste gar nicht, dass du und Kai Geschwister seid?“

„Wir sind sogar Zwillinge.“

„Oh. Tatsächlich? Das hätte ich nie erwartet!“

„Das glauben uns die meisten nicht. Das liegt an diesem Zwillinge-kleben-immer-aneinander-Image. Klar verstehen wir uns super, aber wir hängen hauptsächlich zuhause zusammen rum. Auf der Straße grüßen wir uns maximal.“

„Ach so… wenn ich meinen Bruder auf der Straße treffe, begrüßen wir uns immer überschwänglich, aber wenn er mal zuhause ist, reden wir eigentlich kaum miteinander, außer an den Samstagen versteht sich.“

„Deine Familie scheint nicht oft zuhause zu sein?“

„Ja, sie sind alle von ihrem Beruf sehr eingenommen.“ Ich sagte nichts darüber, dass sie Filmstars waren, ich wollte nicht an die große Glocke hängen, dass ich das Kind berühmter Eltern war. Leute, die so was machten, fand ich ätzend.

„Du Lia, darf ich dir mal eine persönliche frage stellen?“ Marie schaute, als würde ihr das, was sie mich fragen wollte, peinlich sein.

„Ja klar darfst du - was denn?“

„Stehst du auf Mädchen?“ Schock. Was war los?“ War Marie lesbisch? Wollte sie womöglich was von mir? Oder war die Frage einfach so gestellt?

„Ehm.. eigentlich nicht. Nein.“ Sagte ich irritiert.

„Ah.. bist du dir da… ganz sicher? Weil… oh Gott, das ist mir peinlich….“ Sie lief rot an. Sie war eindeutig einer dieser Menschen, die im ganzen Gesicht knallrot wurden, wenn ihnen etwas peinlich war. Die Arme. „…weil … du starrst Maya immer an. Auch heute den ganzen Tag, zum Beispiel, als wir im Schwimmbad angekommen waren. Ich meine… das mit den Vortrag war auch eine schlechte Lüge, weil du mir ja erzählt hast, das du ihn schon am nächsten Tag fertig gehabt hättest weil du das Thema so interessant fandest.“

Urghs. „Ich.. was…?“ Tatsächlich. Tatsächlich – als sie es sagte, fiel es mir selbst auf. Ich fand Maya attraktiv und starrte sie die ganze Zeit an. Ich war niemals auf die Idee gekommen, dass ich vielleicht auf sie stehen könnte. Aber vielleicht war das davor dann… so was wie Eifersucht gewesen?

„Naja … vielleicht kommt mir das auch nur so vor, aber ich hatte irgendwie das Gefühl, dass du Maya anstarrst…“

„Ich… ich glaube… oh... ich glaube du hast recht.“ Ich weiß nicht, warum ich es damals direkt zugab, es war ja so etwas wie ein Coming Out, aber ich glaube, ich war einfach schon damals mit Marie auf einer Wellenebene gewesen, obwohl wir uns noch kaum kannten. Eigentlich war das auch der Tag, ab dem wir uns immer besser kennen lernten und beste Freunde wurden.

“Keine Sorge ich werde weder Maya, noch Kai, noch sonst wem was davon erzählen.“ Marie lächelte mir aufmunternd zu.

„Ich hoffe für dich, dass es nicht tatsächlich Liebe wird, Kai und Maya sind schon seit 10 Jahren so etwas wie ein Liebespaar.“
 

Aber es wurde schlimmer, ich wollte es nicht, aber ich konnte es nicht aufhalten. Ich bemerkte wie mir immer mehr Details an Maya auffielen, ihre kleinen Grübchen wenn sie lachte, ihre schmalen Augenbrauen oder ihren Tick, wenn sie Vorträge machte, den Tafelschwamm auf den Tisch zu legen. Kleinigkeiten – Unwichtigkeiten - aber dennoch bekam ich sie nicht aus dem Kopf. Was wäre gewesen, hätte Marie mich nie darauf hingewiesen, dass ich gefallen an Maya gefunden hatte? Wäre es dann auch so gekommen gewesen? Hätte ich es dann auch realisiert? Oder hätte ich einfach nur gedacht, dass mir Maya sehr sympathisch ist? Oder war das alles nur Einbildung, beruhend auf Maries Aussage? War ich verknallt? War ich es nicht? Was sollte ich nur tun? Ich war so verwirrt, bei Jonas war es doch so einfach. Ich fand ihn toll, er lud mich zum Essen ein und sagte mir, dass er mich auch toll fand. Ende. Natürlich hatte ich mir auch bei ihm immer wieder törichte Fragen gestellt, doch tief in mir wusste ich, dass ich ihn liebte. Aber bei Maya war ich nur verwirrt.
 

Und dann war Schluss zwischen Maya und Kai. Er hatte wohl etwas mit einer anderen gehabt. Nach eigener Aussage hatte er das nur gemacht, um festzustellen, ob er vielleicht nur mit Maya zusammen war, weil er es seit kleines Kind gewohnt war oder ob er tatsächlich etwas für sie empfand. Und weil er sich danach immer noch nicht sicher gewesen war, hatte er Schluss mit Maya gemacht. Und daraufhin hatten die beiden einen Streit, wie ich ihn noch nie erlebt hatte - wenn sie sich in der Schule sahen flogen die fetzen, wenn ein Lehrer versuchte, sie in eine Gruppe zu stopfen, protestierten sie solange, bis der Lehrer aufgab und die Gruppen neu einteilte.

Zu meiner grenzenlosen Freude wählte Maya mich als ihren Seelenklempner. Sie heulte sich bei mir aus und sie vertraute mir die ganzen kleinen Geheimnisse an, die sie und Kai verbanden.

Ja, es freute mich.
 

Irgendwann in dieser Phase war es Dezember geworden, Kai und Maya waren schon seit einem Monat getrennt. Kai hatte etwas mit einer Frau, die wir alle nicht kannten, und Maya schien sich inzwischen wieder recht gut gefangen zu haben – doch sie stritten immer noch ab und zu. Ich und Marie hatten inzwischen schon eine enge Freundschaft aufgebaut und ich hätte nie gedacht, dass sie auch herum spinnen kann wie alle anderen – ich dachte sie wäre immer so ernst. Dennoch konnte sie besser zuhören und trösten als die meisten Menschen, die ich je kennen gelernt habe.

Ich mochte die Weihnachtszeit nie besonders, alle waren irgendwie gestresst, immer darauf erpicht, die letzten Geschenke zu erbeuten und in meiner Familie gab es häufig streit- weil wir so unter Spannung standen und weil Weihnachten immer dieses 'man muss sich lieb haben ob man nun gerade will oder nicht’ feeling herrschte. Ich war noch dabei, meine Weihnachtsgeschenke zu basteln – ich machte für jeden ein Püppchen, das aussah wie die Person die ich es schenken wollte. Ich war handwerklich schon immer sehr geschickt gewesen und war sogar beidhändig veranlagt und diese Püppchen waren meine geheime Spezialität. In Wahrheit hatte niemand außer mir je eines der Püppchen gesehen, aber dennoch war ich der Meinung, dass sie klasse waren.

Ja, es war Dezember gewesen, ein Dezember, in dem der Schnee schon früh fiel. Ich mochte keinen Schnee und so zog ich mich so gut es ging in unserer Wohnung oder die Wohnung meiner Freunde zurück. Oft war ich bei Marie oder Maya zuhause oder wir gingen zu dritt ins Café, die anderen kamen zwar auch manchmal mit, aber sie wohnten alle näher an der Stadt als wir und so trafen wir uns seltener – hauptsächlich wenn nicht wieder irgendjemand von uns eingeschneit war.

Kurz vor Heilig Abend konnte man überall diesen süßen Geruch vernehmen, den man nur an Weihnachten riechen konnte. Das einzige, was ich an Weihnachten wirklich liebte. In Mayas Haus roch an es an jeder Ecke nach dieser Mischung aus Bratapfel, Vanille, Kerzen und was dazugehörte. Es war kuschelig warm und der Ofen flackerte. Es war gemütlich mit Maya und Marie zwischen Kissen auf dem Boden zu sitzen, den Weihnachts-Geruch einzuatmen und den knistern des Ofens zu lauschen. Maya hatte Sturmfrei und wir schwätzten über belanglose Themen. Es schneite draußen stark und es war absehbar, dass ich an diesem Tag nicht mehr nach Hause kommen würde. Marie ging schon um 21 Uhr, weil sie noch verabredet war. Ich brauchte nicht zuhause anrufen um zu sagen, dass ich nicht kommen würde – meine Familie war für einen Dreh nach Australien geflogen und würde wie immer erst Samstagmorgen zurückkommen.

Als Marie gegangen war, wurde es ruhig. Maya sagte nichts und ich genoss die Atmosphäre de Raums.

„Kai scheint mit seiner neuen Freundin glücklich zu sein.“ Sagte Maya plötzlich ins Leere.

„Ich finde er ist genau wie immer… wenn du das als glücklich einschätzt...“ sagte ich. Ich achtete nicht sonderlich auf Kais verhalten.

„Naja, es ist ja eh aus zwischen uns, er kann mich mal.“

„Hm-hm“

„Dachtest du, nach dem es mit deinem Ex Schluss war, auch noch solange an ihn?“

„Geht so. Manchmal denk ich noch an in.“

„Ach so.“

Dann sagte sie erst mal nichts mehr und ich schloss wieder die Augen um erneut die Atmosphäre des Raumes zu genießen.

„Sag mal Lia…“ fing Maya einen neuen Satz an und holte mich dadurch zurück aus meiner Trance.

“Was ist Maya?“

„Sag mal interessiert du dich auch für Mädchen?“ Schock. Déjà-vu – war ich so leicht zu durchschauen?

„Eh..?“

“Ich.. also weißt du. Weil ich interessiere mich auch für Mädchen…“ Oh mein Gott! Mein Herz begann wie wild zu schlagen. Ich starrte in die Flammen und versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.

“Ich…“ ich konnte diesen Satz unmöglich beenden. Lia schien auch recht verlegen zu sein. Ich drehte mich zu ihr um, um zu sehen wie sie aussah. Bei dem schwachen Feuerschein erkannte ich wenig aber auf jeden Fall schaute sie mich direkt an..

„Weil ich finde dich... sehr nett…“ sagte Maya. Bumm bumm, mein Herz pochte wie wild. Ich merkte wie mir das Blut in die Ohren schoss. Ich versuchte, mich auf ein Bild hinter Maya zu konzentrieren. Natürlich konnte ich es kaum erkennen, es war viel zu dunkel.

Und dann.. küsste sie mich. Einfach so. Keine Chance, an Widerstand zu denken. Ich erwiderte ihren Kuss, ich hätte mich nicht wehren können, selbst wenn ich es gewollt hätte. Als wir uns wieder von einander lösten, war es uns beiden sichtlich peinlich.

„Ich.. mag dich auch…“ sagte ich zu Maya. Oder eher zu dem Bild hinter ihr.

Danach gingen wir ins Bett und sagten nichts mehr zueinander. Aber am nächsten Tag war etwas zwischen uns. Ja, ab dem Tag waren wir ein Paar.
 

Weihnachten kam und ging. Die Püppchen erfreuten sich großer Beliebtheit und alle, die keins von mir gekriegt hatten, waren sauer auf mich – tatsächlich bekam ich bald Angebote, Püppchen gegen Geld zu nähen und so hatte ich meinen ersten eigenen Verdienst. Maya hatte mir 2 Handyanhänger geschenkt, 2 Geister von dem der eine traurig und der andere glücklich guckte, sie sind mir bis heute ein wertvoller Schatz.

Die Schule hatte schon wieder begonnen und ich und Maya… tja wir gingen öfter gemeinsam aus. Es war eine schöne Zeit.
 

„Du, Lia? Du erzählst doch niemanden etwas von uns?“ fragte mich Maya eines Tages als wir aus dem Kino kamen.

„Ich erzähle nie jemanden viel über mich, ich habe auch nie viel über Jonas erzählt“ antwortete ich.

„Ich möchte nicht, dass es jemand erfährt, es wäre mir unangenehm. Ich denke, du weißt, was ich meine.“

„Nein. Ich erzähle niemanden davon.“ Ja, ich wusste, was sie meinte. Ich hatte mir schon gedacht, dass sie das irgendwann zu mir sagen würde, die Einzige, der ich von uns erzählt hatte, war Marie. Mir war es egal ob es jemand erfuhr, aber wenn es Maya unangenehm war, dann ging mir das über alles.

„Danke, du bist echt ein Schatz.“

Das zu hören freute mich.
 

Marie sagte, dass mich diese Beziehung in ein Unglück steuern würde. Sie sagte es mir ganz deutlich, aber ich war verliebt und ich war glücklich. Irgendwann endete jede Beziehung mit einem Unglück und natürlich würde auch irgendwann die Beziehung mit Lia ein Ende haben, doch daran wollte ich nicht denken.

Marie traf sich in dieser Zeit oft mit einem Jungen aus ihrem Dorf, sein Name war Toby und nach Maries Aussage war er… schwul. Anscheinend fanden sich die beiden trotzdem gegenseitig anziehend. Marie sagte immer – es gab für jede Person genau zwei Menschen, die zu ihm gehörten. Eine davon ist ein Mann und die andere ist eine Frau. Und jede Person hatte ein Geschlecht, das sie bevorzugte. Vielleicht stimmte das ja… wer weiß?
 

Die Zeit seit Weihnachten war wie im Flug vergangen und ich schwebte immer noch irgendwo auf Wolke sieben. Es war mit Maya so schön. Wir konnten über alles offen reden und uns aneinander anlehnen, wenn es uns nicht gut ging. Wir fuhren fast immer gemeinsam zur Schule oder übernachteten bei dem jeweils anderen, ohne dass zu der Zeit zwischen uns was Intimeres als küssen und kuscheln gewesen wäre. Die anderen wunderten sich zwar, warum wir auf einmal so sehr aneinander hingen, aber sie stellten keine Fragen. Kai interessierte weder Maya noch mich – wir hatten uns.

Ich hatte ihr für ihren Geburtstag ein Silberarmband mit einem kleinen rosafarbenen Herz daran gekauft, da ich wusste, dass sie Armbändchen mochte. Sie feierte ihren Geburtstag an einen Sonntag, obwohl sie sonst immer nur samstags feierte und das nur, damit auch ich kommen konnte.

Es war Mayas 20. Geburtstag und deswegen feierte sie groß – sie hatte die meisten Leute, die sie kannte eingeladen und das waren verdammt viele. In dem kleinen Haus fanden sich bestimmt 30 Menschen wieder, wenn man unsere Clique und Mayas Familie nicht mitzählte. Vom Vorgestellt werden schwirrte mir schnell der Kopf und der Wein, den ich getrunken hatte, half mir nicht dabei, klar zu denken. Die Geburtstagsfeier war furchtbar, ich saß die meiste Zeit alleine rum, denn Marie war mit ihrem Toby zusammen und die anderen Mädels tanzten zu einer Disco Hits CD. Maya war mit ihren Gästen beschäftigt und schenkte mir nur selten Aufmerksamkeit, doch es gab wenige Augenblicke, in denen sie mir dennoch schnell einen lieben Blick zuwarf oder an mir vorbeilief, nur um mir zu sagen, dass sie es toll fand, dass ich da war. Aber so schnell die Augenblicke kamen, so schnell gingen sie auch wieder. Wäre es nicht Mayas Party gewesen, wäre ich viel früher nach hause gegangen und nicht bis zum Schluss dageblieben. Aber es war Mayas Party.
 

Das Einzige, was am Winter wirklich schön war, war Schneeengel machen. Das war etwas, das ich schon als kleines Kind geliebt hatte und was ich bis heute jedes Jahr gemacht habe. Die meisten meiner Freunde und auch meine Familie sagten, es wäre kindisch, sich im Schnee zu wälzen, nur um eine langweilige Form zu hinterlassen, welche sowieso bald zertrampelt werden würde. Oder wahlweise zugeschneit. Maya teilte allerdings auch diese Leidenschaft mit mir. Manchmal tollten wir stundenlang im Schnee herum und gingen dann ins Café, tranken eine Tasse Vanillecappuccino und aßen dazu ein Stück Mohnkuchen.

An einem dieser Tage - es war im Februar - kamen wir total durchnässt bei ihr zuhause an. Wir hatten eine Schneeengelarmee im Garten zurück gelassen, die Mannstark genug war, um uns vor dem nächsten Krieg zu schützen. Außer die Sonne würde sie vorher schmelzen.

Als wir ins Haus kamen, setzten wir uns vor den Ofen und wärmten unsere erstarrten Gliedmaßen. Ich lehnte mich an Maya und erzählte ihr, wieso ich so fasziniert von Schneeengeln war (eine langweilige Geschichte, mit der ich euch hier nicht belästigen möchte). Ab und zu küssten wir uns. Wir hörten ruhige Musik und tranken warmen Tee. Die Stimmung war sehr entspannt.

In dieser Nacht schliefen wir das erste Mal miteinander.
 

Ich könnte haufenweise solcher Erinnerungen erzählen, ich könnte euch erzählen, wie wir gemeinsam ins Disney Land gefahren waren oder wie wir über Nacht in der Schule eingesperrt worden waren. Ich könnte euch erzählen, wie wir in den Winterferien zusammen mit Marie nach Paris geflogen waren, oder davon, wie süß Maya im Zoo geschaut hat, als die neuen Pandabärenjungen vorgeführt worden sind. Ja, ich könnte euch so viel erzählen, so viele kleine Begebenheiten die für mich schöne Erinnerungen sind. Doch ich werde es nicht tun, denn wie es in einer Beziehung ist, wisst ihr sicher alle selbst - oder werdet es irgendwann erfahren. Insgesamt waren wir 5 Monate zusammen, doch im April begann alles, kaputt zu gehen.
 

In unserer Klasse waren Maya und ich allgemein als Liebespaar angesehen, auch wenn wir nie etwas dazu gesagt hatten. Aber es gab niemanden, der uns dafür diskriminierte, was ich niemals erwartet hätte, bei 20 Leuten. Der einzige, der uns missbilligend kam, war Kai. Er hatte schon im März mit seiner Freundin Schluss gemacht und die Streitereien zwischen ihm und Maya hatten längst aufgehört. Die beiden verstanden sich eigentlich wieder recht gut, was in mir Eifersucht auslöste, die nicht niederkämpfen konnte. Ich verbarg sie so gut ich konnte vor Maya, doch Marie konnte ich nichts vormachen. Sie sagte immer nur, sie hätte es mir gesagt. Sie war inzwischen fest mit ihrem Toby zusammen, obwohl sie beide auch etwas mit anderen Männern hatten. Ich werde die Beziehung zwischen ihr und Toby wohl niemals verstehen können.

Im März trafen ich und Maya uns nicht mehr sooft wie noch im Januar oder Februar, aber meine Gefühle für sie waren nicht schwächer geworden. Ich fand es schade, dass wir uns nicht mehr so oft trafen, aber wenn Maya keine Zeit und Lust dazu hatte, dann wollte ich sie zu nichts drängen.

Es war Kai anzusehen, dass er Maya zurück wollte, und dass es ihm überhaupt nicht passte, dass sie anscheinend mit mir was hatte, auf die er schon immer ein Groll hegte. Aber er versuchte nie ernsthaft, einen Keil zwischen uns zu treiben. Zumindest nicht, wenn ich dabei war.

Doch im April… im April fing Maya an, sich wieder von mir abzuwenden. Sie war teilweise viel öfter bei Kai als bei mir. Wenn ich sie fragte, was los sei, sagte sie nur, dass sie ab und zu auch etwas Abstand bräuchte, ich solle mir keine Sorgen machen. Aber ich machte mir Sorgen - immer mehr Sorgen. Ich hatte so panische Angst davor, sie zu verlieren, dass ich mein bestes tat, um ihr zu zeigen, wie viel sie mir bedeutete.

„Maya möchtest du am nächsten Donnerstag mit mir zur Kinopremiere gehen? Ich habe noch 2 Karten ergattern können.“ Fragte ich Maya, nachdem ich stundenlang Mama angebettelt hatte, mir noch eine 2. Karte für die Prämiere von Paps neuem Film zu besorgen.

„Nein tut mir leid, am Freitag geh ich mit Kai und ein paar Freunden von ihm in die Disco, weil er hat Geburtstag und so.“ Ich fühlte mich, als hätte ich einen Korb gekriegt.

„Maya, warum verbringst du soviel Zeit mit Kai?“ Ich versuchte, die Enttäuschung in meiner Stimme zu unterdrücken.

„Weil er ein Kumpel von mir ist? Außerdem hat er Geburtstag, da kann ich ja wohl mit ihm feiern gehen.“

„Es ist ja nicht nur der Donnerstag… du bist so viel mit Kai zusammen.“ Ich spürte wie Tränen anfingen, meine Augen zu benetzen.

„Bist du Eifersüchtig, oder wie? Jetzt übertreib mal nicht!“

„JA! Ich BIN Eifersüchtig! Darf ich nicht Eifersüchtig sein, wenn die Person, die ich liebe, mit der ich zusammen bin, keine Zeit für mich hat? Nie?“

„Was heißt hier nie? Sind wir nicht gerade hier zusammen? Und du nutzt die Zeit aus um zu streiten?“

„Wir wären auch nicht zusammen, wen ich dich nicht nach Hause bringen dürfte!“

„Aber du darfst es! Denkst du, das erlaube ich jedem?“

„Du tust so, als wäre es etwas Besonderes, dich nach Hause bringen zu dürfen!“ sagte ich. Und dann stieg ich aus dem Bus aus, denn es war meine Haltestelle. Sie wusste den Weg nach hause auch alleine. Gut, dass im Bus niemand außer Maya, dem Busfahrer und mir gewesen war.

Die Karte schenkte ich Marie, wir gingen an ihrem Geburtstag zusammen zur Premiere, doch ich konnte mich für den Jubel um den Film nicht freuen.
 

Ab dem Tag sprach Maya nicht mehr mit mir. Ich versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu erringen, versuchte, mich für meine gemeinen Worte zu entschuldigen. Ich schickte ihr SMS, ich rief bei ihr an, ich klingelte an der Haustür. Doch sie redete nicht mehr mit mir. Ich konnte tun, was ich wollte, sie wollte anscheinend nichts mehr von mir wissen. Ich weinte viel und selbst Marie vermochte mir kein lächeln auf die Lippen zu zaubern.
 

An dem Tag, als ich erfuhr, dass Maya und Kai sich zu zweit im Park verabredet hatten, versuchte ich ein weiteres mal, Maya anzurufen, um wenigstens zu wissen, was zwischen uns war. Ob da noch etwas zwischen uns war. Und warum sie mich auf einmal so sehr ignorierte? War das nur wegen meinen Worten gewesen? Oder war Kai schuld?

An diesem Tag bekam ich das erste Mal seit langem eine SMS von Maya. Doch der Inhalt war nicht das, was ich erwartet hatte.

Lia, hör endlich auf, mich zu nerven.

Das war, was sie schrieb, ich habe diese SMS immer noch, auf meinem alten Handy. Nachdem ich diese SMS bekommen hatte, heulte ich solange, bis einfach keine Tränen mehr nachflossen. Das bedeutete wohl das Aus. Ich hätte nie gedacht, dass es mich so mitnehmen würde, wenn mich noch mal jemand auf diese Weise verlassen würde. Bei Jonas war ich nicht annähernd so deprimiert gewesen, wie es bei Maya der Fall war. Ich wollte nicht mehr. Ich musste mich zwingen zur Schule zu gehen, doch ich wollte nicht, denn da würde Maya sein.
 

Ein letztes Mal versuchte ich Maya anzusprechen, als ich sie zufällig beim spazieren traf. Und endlich wich sie mir nicht aus.

„Hallo, Maya.“

„Hallo, Lia.“

„Wie geht es dir?“

„Super! Ich bin jetzt wieder mit Kai zusammen! Und dir?“ Es tat weh als sie es sagte, doch ich konnte es verkraften. Für den Moment.

„Mir geht es absolut beschissen. Aber so Zeiten gibt es ja im Leben.“

„Ach komm, das waren doch nur ein paar Monate, die wir was miteinander hatten!“

„Nur ein paar Monate.. ja. Natürlich.“

„Mein Gott, Süße, zwischen Frauen ist es eh nicht das Wahre. Ich habe rumexperimentiert und bin zu einem Entschluss gekommen - zwischen Mann und Frau wird es immer besser bleiben.“ Experimentiert… ich fühlte mich auf einmal wie ein Meerschweinchen…

„Das finde ich sehr nett von dir, dass du so darüber denkst. Denn ich habe dich Gott verdammt noch mal geliebt. Und - verdammte Scheiße - diese Gefühle kann man nicht einfach so auslöschen.“ Wie konnte sie nur so einfach daher reden, als wäre es alles nur ein Spiel gewesen. Eine Partie Mensch ärgere dich nicht, in der ich mich ärgere, obwohl gar nix passiert ist?

„Weißt du, warum ich überhaupt erst auf die Idee kam, etwas mit dir anzufangen?“ fragte Maya, mit herablassendem Blick „Ich hab dich und Marie gehört, wie ihr darüber geredet habt, dass du Gefühle für mich hast. Und außerdem war es der perfekte Weg, um Kai richtig eifersüchtig zu machen, schließlich war er schon immer eifersüchtig auf dich, wegen deiner Größe. Natürlich war es für eine Zeit auch ganz nett, sonst wäre ich niemals solange mit dir zusammen gewesen und außerdem wollte ich erst deine Gefühle nicht verletzen. Aber inzwischen ist es mir egal, du gehst mir auf die Nerven, wie du mich die ganze Zeit verfolgst und tust, als wäre ich höchstpersönlich verantwortlich für den Weltuntergang.“

Ich sagte nichts mehr.

„Hätten wir jetzt alles geklärt? Ich muss weiter, mein FREUND wartet auf mich. Bye, Süße.“

Und sie ging davon. Das Armband hatte ich schon vor Wochen im Schuleimer gesehen.
 

Ich bin nach Hause gegangen. Ich wollte weinen, doch ich konnte es nicht. Ich wollte alles ausheulen, doch es blieb wie ein Kloß im Hals stecken. Ich erstickte fast an meiner Verzweiflung. Ich war nur ein Objekt gewesen. Ein Zeitvertreib. Ich war nie etwas Wichtiges für sie gewesen.

Ich saß im Bad und hatte mich eingeschlossen. Ich saß da, mein Kopf wummerte. Ich fühlte mich wie der letzte Idiot. Eigentlich brauchte mich doch sowieso keiner? Meine Familie war nie zuhause, Marie hatte ihren Toby, Maya hatte Kai und der Rest der Clique hatte sich von mir abgewandt, nachdem Maya irgendwelche falschen Dinge über mich gesagt hatte. Nein. Mich brauchte keiner mehr.

Auf dem Waschbecken lag eine Packung Rasierklingen. Ich weiß nicht, ob mein Vater oder mein Bruder hatte sie unachtsam liegen lassen.
 

Warmes Wasser… ein Bad.

Längsschnitte… gefährlich.

Querschnitte… dekorativ.

Schmerzen, denen ich nicht widerstehen konnte - und dann wurde alles schwarz.
 

Danke ann queermatcha für die Korrektur x3



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