In der Stille
Jetzt ist es still, du liegst bei mir
Und nichts muss ich dir sagen.
Wir kreisen um denselben Stern,
Von Schwerkraft fort getragen.
Uruha sitzt am Rande seines großen Bettes, betrachtet den schlafenden Aoi und realisiert so langsam, was in den letzten Stunden eigentlich geschehen ist. Er hatte Sex gehabt ... nicht, dass das ein Problem für ihn wäre, aber er hat mit seinem besten Freund geschlafen, für den er doch schon seit längerem Gefühle hegt. Doch das ist vielleicht nicht einmal das Schlimme daran, eher ist es das, dass sie in einer Band spielen, sich täglich über den Weg laufen und miteinander auskommen müssen, denn sonst könnte man the GazettE in nächster Zeit abschreiben und das würde keiner von Beiden wollen. Uruha sieht schon die Schlagzeilen der Presse: „J – Rock Band the GazettE trennen sich aufgrund von Liebeskummer zwischen den Gitarristen.“ oder „Uruha (Leadgitarrist) verlässt die Band the GazettE, weil er mit seinen Gefühlen für Aoi (Rhythmusgitarrist) nicht klarkommt.“ oder „Sie sind doch schwul! Gitarristen der Band the GazettE verbrachten eine heiße Nacht zusammen!“
Soweit darf es auf keinen Fall kommen, denn die Band ist sein Ein und Alles und auch das Leben von Aoi.
Uruha legt sein Gesicht in seine Hände und seufzt auf, kann er sich doch nicht so wirklich daran erinnern wie sie heute zusammen im Bett gelandet waren. Es hat mit einer Massage angefangen, weil Aoi in letzter Zeit ziemlich verspannt ist, und dann kam das Eine irgendwie zum Anderen. Er weiß, dass es Aoi gefallen hat, schließlich hat er immer wieder seinen Namen gestöhnt und sich nicht dagegen gewehrt, im Gegenteil; er hat sogar nach mehr verlangt.
Jetzt ist es still, du liegst bei mir,
Nur einen Wimpernschlag weit fort
Und doch so unerreichbar fern
Für jede Geste, jedes Wort.
Er nimmt seine Hände wieder vom Gesicht und betrachtet den schlafenden Aoi, wie er da liegt und ein zufriedenes und glückliches Lächeln seine Lippen ziert. „Was machst du nur mit mir?“, flüstert Uruha leise zu sich selbst, versteht er seine Gefühle doch selbst kaum noch. Er wollte seit Längerem die Hoffnung aufgeben, dem schwarzhaarigen Gitarristen doch noch irgendwie näher zu kommen, aber erstens kommt es immer anders und zweitens als man denkt. Den ganzen Tag schon war alles anders als sonst. Aoi war schon den ganzen Tag nicht so wie sonst gewesen, war anhänglich und kuschelbedürftig und machte weniger Quatsch als sonst immer. Und dann kam die Frage nach der Massage. Uruha hätte sie ablehnen müssen, doch er wollte die weiche Haut des anderen unter seinen Fingern spüren ... wollte besonders sanft sein und seinem Kollegen zeigen, wie gern er ihn doch hat ... was dann irgendwie ausgeartet war. Doch Aoi hat sich nicht beschwert, er hat es genossen, da war keine Spur von Angst oder Verwirrtheit im Gesicht, das hätte Uruha sofort bemerkt. Und doch schmerzt es gerade tief in seiner Brust. Diese Nacht hat seine Hoffnung bestärkt, sein Verlangen entfacht, obwohl er doch weiß, dass der andere hetero ist. Aoi mag nicht mit anderen Männern intim werden und er mag auch dieses ganze Visual Kei Zeug nicht, dass hat er mehr als oft gesagt. ‚Ich mag nicht als schwul abgestempelt werden!’ Das waren seine Worte und trotzdem hat er sich auf den Fanservice eingelassen ... und auch auf die letzte Nacht.
Du kennst den Schmerz in meinem Bauch,
Die Fäden, die sich um mich ziehn,
Sind zu verwirrt um zu entfliehn,
Doch meine Sehnsucht kennst du auch.
Doch Uruha hat einen kleinen Fehler begangen, der eine große Wirkung nach sich zog. Er hat seine Gefühle Aoi mitgeteilt, nach dem Sex, als sie noch etwas Zärtlichkeiten austauschten, ist es ihm einfach so rausgerutscht. Er hat es ja selbst nicht verstanden, konnte er sich doch die ganze Zeit beherrschen. Aois Gesichtszüge sind in dem Moment eingleist, er ist aufgesprungen, hat ihm Vorwürfe gemacht, dass Uruha ihn doch die ganze Zeit hintergangen hätte, dass er ihn sogar zu dem Sex gezwungen hat, weil er Uruha nicht ablehnen konnte und dieser sich sowieso nicht gezügelt hätte. Dass ihm diese Nacht wirklich gefallen hatte, ignorierte Aoi in dem Moment, er ist doch viel zu überrascht über diese drei Worte seines Kollegen gewesen. Doch nach seinem kleinen Rageanfall ist er ruhig geworden und ist auf dem Balkon eine Zigarette rauchen gegangen. Er hat nachgedacht, über Uruha und über die Freundschaft, die sie führen. Jetzt, wo er einige Episoden von ihnen vor sich sah, wurde ihm bewusst, dass die Gefühle schon länger da sein müssen. Wie oft hat Uruha traurig ausgesehen und das dann einfach mit einem Lächeln überspielt? Wie oft wollte er nicht mit Aoi allein sein, wahrscheinlich hat er wirklich Angst gehabt, die Kontrolle zu verlieren und heute ist es wohl passiert. Aoi wollte mit Uruha allein sein, wollte, dass dieser ihn massiert und nicht so eine blöde Massagetussi aus dem Staff, denn Uruhas Hände sind so unsagbar weich und haben eine besonders entspannende Wirkung auf ihn. Ja, so langsam konnte er die Handlung von Uruha nachvollziehen, irgendwann kann man sich nicht mehr beherrschen, auch wenn man es noch so sehr versucht und die Massage war ziemlich einladend gewesen. Wenn er wirklich schon seit einiger Zeit die Gefühle für Aoi hat, muss die Sehnsucht irgendwann so groß geworden sein, dass er die sich bietende Chance nutzen musste ... und das war die Massage.
Jetzt ist es still, du liegst bei mir,
Ein dunkler Mond zieht seine Bahn.
Gedanken scharf wie Krallen
Fallen mich wie Wölfe an.
Der Himmel ist aufgeklart, der Regen der letzten Stunden verzogen. Fast schon vorsichtig wirft der Mond sein Licht in das sonst so dunkle Zimmer, wirft einen leichten Schimmer auf Aois nackte Haut, die immer noch so verführerisch und verheißungsvoll glänzt. Still betrachtet Uruha den schlafenden Körper, würde ihn am liebsten noch einmal berühren, wenn nicht sogar noch einmal verführen. Aoi noch einmal so zu sehen, wie vor zwei Stunden, unter sich, die Augen geschlossen, den Mund offen, eine Röte im Gesicht und mit einem deutlich erhöhten Herzschlag. Doch er darf es nicht, nicht noch einmal, wenn ihm an der Freundschaft etwas liegt und das tut es ungemein. Soll er sich für das Geschehene entschuldigen? Soll er Reue zeigen und Aoi versprechen, dass das nicht noch einmal passiert? Nein, dass kann er nicht. Auch wenn es vielleicht der letzte Ausweg ist, die Freundschaft überhaupt zu retten, so möchte er seine Gefühle nicht länger unterdrücken. Er ist sogar ganz glücklich und erleichtert darüber, sie ihm endlich mitgeteilt zu haben, auch wenn die Antwort vorher abzusehen war. Trotzdem ist er verletzt, hat er doch wegen dieser Gefühlsduselei die Freundschaft zerstört und wahrscheinlich auch sein Leben. In die Band kann er nicht mehr zurück, müsste er Aoi doch täglich sehen und das würde ihn nur noch mehr verletzen, gerade jetzt wo er von ihm gekostet hat. Es gibt keinen anderen Ausweg als die Band zu verlassen und sämtliche Kontakte abzubrechen, auch wenn er dadurch alleine sein wird, körperlich und seelisch allein, aber das ist immer noch besser als ein Leben in einer Band, in der er vielleicht nicht mehr akzeptiert wird und wie ein Außenseiter dasteht. Die Schmach wäre zu groß, auch wenn sie vor der Presse zeigen würden, dass sich die Band besser denn je versteht. Aber auf Heuchelei hat Uruha keine Lust, lieber verlässt er die Band und baut sich ein neues Leben auf, fernab von den anderen.
Du kennst den Schmerz in meinem Bauch,
Die Fäden, die sich um mich ziehn,
Sind zu verwirrt um zu entfliehn,
Doch meine Sehnsucht kennst du auch.
Erste Tränen kullern Uruha an den Wangen herab, doch er versucht sie wegzuwischen, will nicht, dass Aoi mitbekommt wie sehr es ihn doch mitnimmt. Er ist zwar nicht direkt abgewiesen worden, doch die Reaktion von Aoi danach hat ihm klar gemacht, wie wenig dieser von Bisexuellen hält. Ob er Uruha bewusst oder unbewusst verletzt hat, weiß er nicht, doch es schmerzt in seiner Brust. Dabei müsste doch gerade Aoi den Schmerz nachvollziehen können, immerhin hat seine Freundin ihn die ganze Zeit der Beziehung nur betrogen und belogen, von Anfang an. Uruha ist sich sicher, dass Aoi weiß, wie er sich gerade fühlt. Doch er kann auch Aois Reaktion verstehen, fühlte er sich doch überrumpelt und wusste nicht so recht, wie er mit der Situation umgehen sollte. Also hat er sich darauf eingelassen, wusste er doch, dass Uruha ihm nicht weh tun würde, da vertraute er voll und ganz seinem Kollegen und in der Tat war Uruha mehr als nur sanft gewesen, erst als Aoi nach mehr verlangt hatte, ist er wilder geworden. Kuschelsex ist halt noch nie Aois Ding gewesen.
Uruha setzt sich näher zu dem schlafenden Aoi, streichelt vorsichtig über dessen Oberarm, beinahe so, als wäre er aus Glas, merkt nicht wie ihm dabei einige Tränen auf eben diesen tropfen. Wie gern würde er öfter mit Aoi in einem Bett liegen und sich gegenseitig Streicheleinheiten zukommen lassen? Dass wird heute das letzte Mal gewesen sein und alleine bei dem Gedanken daran, breitet sich eine unglaubliche Kälte in Uruhas Herzen aus.
Meine Arme breiten sich
Um dich aus wie Flammen.
In die Sonne stürzen wir,
Aus der wir beide stammen.
Durch Uruhas Tränen auf dem Oberarm wird Aoi leicht wach, weiß im ersten Moment nicht, wo er ist und warum Uruha eigentlich weint, bis es ihm nach ein paar Sekunden wieder einfällt. Uruha sackt über seinen Oberkörper zusammen, weint hemmungslos, doch Aoi schubst ihn weg, kann solch eine Nähe von Uruha nicht ertragen, zumindest nicht im Moment. „Geh einfach ...“, sagt er leise, obwohl es ihm schmerzt seinen besten Freund so zu sehen, doch in ihm überwiegt einfach die Enttäuschung, dass Uruha all die Zeit nichts darüber gesagt hat, es wahrscheinlich nicht für nötig gehalten hat, seine Gefühle für Aoi eben diesem mitzuteilen.
„Ich ... nein ... ich kann nicht ... gehen ...“, schluchzt er, würde das ihrer Freundschaft mit Sicherheit nicht helfen. Jetzt haben sie die Möglichkeit miteinander zu reden und die Sache zu klären, wenn Uruha erst einmal weg wäre, würde es schwer werden wieder über diese Sache zu reden, denn Aoi würde ihm nur ausweichen, dass wissen beide und gerade deswegen möchte Uruha nicht gehen und Aoi hat Angst vor dem Gespräch.
„Was willst du noch?“, versucht Aoi in einem kalten Ton zu fragen, doch Uruha weiß, dass er verletzt ist, mehr als das. Regelrecht krallt er sich in die Bettdecke, die vor seinem Körper liegt, bedeckt damit seinen Körper, denn er friert und das im Sommer. Als er seine Atmung beruhigt hat und seine Tränen versiegt sind, beginnt er zu reden.
„Was ich hier will? Ich möchte mit dir reden, Aoi. Wir sind Freunde, wir sind über Jahre die besten Freunde und das soll jetzt vorbei sein? Nein, das glaube ich nicht. Aber zu sagen, dass mir die Sache leid tut, wäre eine Lüge, deswegen entschuldige ich mich nicht dafür, weil ich weiß, dass du es genossen hast, schließlich habe ich es in deinen Augen gesehen und auch durch deinen Körper gespürt. Vielleicht fühlst du dich überrumpelt und auch verletzt, weil ich dir nichts gesagt habe, aber hättest du es mir erzählt, wenn du für mich Gefühle hättest? Ich glaube nicht.“, sagt Uruha sanft und sein Blick ist auf das Fenster gerichtet, in dem sich der Mond spiegelt, zum einen findet er den Anblick wunderschön und zum anderen kann er Aoi gerade nicht in die Augen sehen, nicht ohne wieder anfangen zu weinen.
Deine Arme halten mich,
Ach, wir werden Licht im Licht.
In die Sonne stürzen wir,
Aus der wir beide stammen.
Ein Schweigen erfüllt den Raum und Uruha weiß, dass Aoi gerade den Kopf gesenkt hält und über seine Worte nachdenkt. Er ist sich sicher, dass Aoi ihn nicht anspringt und sagt ‚Ich liebe dich auch’, wäre das doch auch zuviel verlangt, ebenso wie eine Beziehung aus Mitleid. Er möchte einfach Verständnis von Aoi, Verständnis dafür, dass er nun mal so ist, wie er eben ist – bisexuell und in seinen besten Freund verliebt. Doch er will diese Freundschaft nicht aufgeben, viel eher möchte er, dass sie wieder so wird wie am Anfang, einfach füreinander da sein, Nähe geben, wenn sie wieder so lang unterwegs sind und ihre Familien nicht sehen können, aber auch gar nichts sagen zu müssen und nur zu wissen, dass der andere immer erreichbar ist. Uruha möchte nicht, dass sich einer der beiden erleichtert fühlt, wenn der andere nicht da ist, denn das wäre der größte Verrat an ihrer Freundschaft und er ist sich sicher, dass Aoi das auch nicht will, verbindet die beiden über die ganzen Jahre doch eine ganze Menge.
„Ach man ... warum ist das alles so kompliziert?!“, sagt Aoi und greift sich an den Kopf.
„Ich verlange nichts von dir, Aoi, außer deine Freundschaft. Ich werde dich nicht noch einmal anrühren, solange wie von dir keine eindeutigen Signale kommen, ich werde dich nicht zwingen, eine Beziehung mit mir zu führen, weil du dich zu irgendwas verpflichtet fühlst und ich werde die Sache auch für mich behalten, aber ich möchte, dass es wieder so wird wie es vorher zwischen uns war. Einfach dieses blinde Vertrauen, was es zwischen uns gegeben hat. Du bedeutest mir soviel, Aoi und ja, ich liebe dich, aber gerade deswegen möchte ich unsere Freundschaft erhalten. Das heute war ein Ausrutscher von mir, den ich nicht leugnen und auch nicht verdrängen werde, denn dazu war es einfach zu schön gewesen und ich werde mich sehr gerne an dein Gesicht dabei zurück erinnern, an deine Laute, die du von dir gegeben hast, denn das war so unbeschreiblich schön. Ich hätte nie gedacht, dass du so verdammt sexy und erotisch sein kannst, aber nun weiß ich es. Vielleicht wirst du eines Tage meine Gefühle erwidern können und ich werde auf den Tag warten.“, redet Uruha leise und wählt seine Worte bedacht aus, möchte nicht, dass Aoi sich von ihm fernhält, doch das tut er nicht, stattdessen schleicht er auf Uruha zu und umarmt diesen, sodass dieser wieder beginnt zu weinen.
„Ich habe dich doch auch lieb, du Baka, auch wenn es nicht das Gleiche ist, was du für mich empfindest, aber ich werde dich nicht anders als vorher behandeln, das ist es doch, was du möchtest.“, flüstert er und streicht Uruha beruhigend über den Kopf, welcher zur Antwort nickt.
Meine Arme breiten sich (Halte mich)
Um dich aus wie Flammen. (Halte mich)
In die Sonne stürzen wir,
Aus der wir beide stammen.
Song: "In der Stille" von Subway to Sally