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Im Namen Gottes

Im Namen Gottes
 

Mit einem leisen Geräusch verschwand das letzte Wasser im Abfluss, bevor sich Stille über die Szenerie legte. Hundertfach wurde die erstickende Lautlosigkeit von den weißen Wänden und Kacheln zurückgeworfen. Inmitten des Schweigens saßen die zwei jungen Männer in der Duschkabine, durchnässt bis auf die Knochen, die Kleidung schwer und kalt auf ihrer Haut. Wasser tropfte von ihren Haarspitzen. Nicht einmal ihre Atmung war zu hören.

Light hielt den Kopf gesenkt, die Stirn im Arm vergraben und wagte es nicht, den Blick zu heben. Langsam setzte sich L in Bewegung und zog aus seiner hinteren Hosentasche einen Schlüssel hervor, mit dem er die Metallfesseln löste. Seine Hände waren ruhig, doch seine Lippen zitterten.

„Es ist erstaunlich“, setzte er endlich an und richtete die dunklen Augen auf seinen Ermittlungspartner, „dass du mal die Kontrolle verlierst, Light-kun. Und es im Nachhinein sogar bereust.“

„Erstaunlich ist eher, dass du es zugelassen hast.“ Light war froh, dass das Schweigen gebrochen wurde. Er selbst hatte nicht die Stimme und den Mut dazu gefunden.

„Manchmal lasse ich Dinge einfach geschehen“, erklärte L und kaute dabei gedankenversunken an seinem Daumennagel, „um zu sehen, was sich daraus entwickelt. Man kann nie wissen, welche Situationen später noch von Nutzen sein werden.“

Eine solche Antwort hatte Light erwartet. Kommentarlos erhob er sich, wobei weiteres Wasser aus seiner Kleidung auf den gefliesten Boden fiel. Er zögerte nicht lang und öffnete sein Hemd, um sich die kalten Kleider vom Leib zu streifen. Währenddessen hatte L die Beine an den Körper gezogen und starrte an seinen Knien vorbei ins Unbestimmte.

Nachdem sich Light seiner Sachen entledigt und sie achtlos hatte fallen lassen, band er sich locker ein Handtuch um die Hüften. Von außerhalb der Duschkabine hielt er seinem Freund die Hand entgegen.

Dieser reagierte im ersten Moment jedoch nicht. Ohne den Arm zu senken, sagte Light seufzend:

„Du kannst es wirklich nicht akzeptieren, dass ich nicht dein Gegner bin, oder?“

L hob den Kopf und starrte Light mit einem nichtssagenden Gesichtsausdruck an, bevor er sich kurzentschlossen von ihm hinaufziehen ließ und mit triefender Kleidung mitten im Badezimmer stehen blieb.

„Vielleicht liegt es an meiner Position“, murmelte L, „und meiner Stellung gegenüber Kira.“

„Es ist kalt hier drin.“

„Auch wenn ich vorher nicht daran gedacht habe.“

„Du solltest deine Sachen ausziehen.“

„So scheint es, als hätte mich mein eigener Name vergöttlicht.“

„Ryuzaki“, sprach Light plötzlich eindringlich, um dessen Aufmerksamkeit zu erlangen, „du solltest deine nassen Sachen ausziehen, sonst erkältest du dich noch. Und wenn wir schon dabei sind, können wir gleich warm duschen.“

Mit unbewegter Miene rang sich L ein Nicken ab und zog daraufhin ungelenk sein Oberteil aus. Light holte seine eigene nasse Kleidung aus der Dusche und warf sie zu der seines Partners. Auf den Kacheln hatte sich die Feuchtigkeit ohnehin schon ausgebreitet. Sobald Light die Handschellen, die auf dem Boden vor der Kabine lagen, mit dem Fuß beiseitegeschoben und sein Handtuch darüber geworfen hatte, drehte er das heiße Wasser auf, um sich die Kälte vom Körper zu waschen. Er schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken.

Nach einiger Zeit schaute er durch das beschlagene Glas zu seinem Freund hinüber, der sich ein Handtuch um den dünnen Körper gebunden und an den Rand der Badewanne gelehnt hatte, wobei er undurchdringlich auf seine Füße starrte. Light stieg aus der Duschkabine, damit er dem Anderen die Möglichkeit geben konnte, sich ebenfalls aufzuwärmen.

Beim Abtrocknen dachte Light über Ls Worte nach und fragte schließlich unvermittelt:

„Was meinst du damit, dass dich dein Name vergöttlicht hat?“

L stellte das Wasser ab, drehte sich jedoch nicht herum, als er entgegnete:

„Der Gedanke kam mir, als ich die verschlüsselten Nachrichten von Kira erhielt.“

„Diese bedeutungslosen Hinweise, die von den Verbrechern hinterlassen wurden und die uns gezeigt haben, dass Kira Menschen vor ihrem Tod manipulieren kann?“ Verwundert zog Light die Augenbrauen tiefer ins Gesicht. „Du hast sie mir gezeigt, was war das noch...?“

Vorerst ohne eine Antwort zu geben ging der Detektiv an ihm vorbei zum Spiegel und schrieb mit dem Finger ein „L“ auf die beschlagene Scheibe.

„Wer hätte das gedacht“, sagte er mit monotoner Stimme, malte ein paar weitere Schriftzeichen auf das Glas und setzte zwei lateinische Buchstaben daneben.

„El?“, las Light fragend vor.

„Ursprünglich stammt es aus dem Hebräischen“, erläuterte L.

„Du kannst Hebräisch?“

„Nein, ich habe mich nur ein wenig damit beschäftigt.“

„Einfach so?“

„Mein Mentor hat mich dazu angehalten, alte Sprachen zu lernen“, erwiderte L ungeduldig, „Latein und Altgriechisch gehören zur Grundausbildung. Erstens bekommt man dadurch ein erweitertes Gespür, um Codes zu entschlüsseln, und zweitens wird das Denkvermögen durch das Erlernen einer Sprache gefördert.“

„Dein Mentor? Was für eine Ausbildung meinst du denn?“

„Du erwartest nicht ernsthaft, dass ich dir auf diese Frage eine Antwort gebe, Light-kun.“

„Oh, Verzeihung.“ Light lächelte entschuldigend. „Fahr fort.“

„Wie gesagt, zwar liegt der Ursprung in den semitischen Sprachen, doch auch heute findet man das“, L zeigte auf die beiden Buchstaben, „an vielen Stellen wieder, zum Beispiel in der christlichen Religion.“

Light überlegte einen Moment, während er die Zeichen auf dem Spiegel betrachtete, und fragte dann:

„Du meinst die Namen der Engel?“

„Genau. Mit dem El am Ende ihrer Namen wird stets auf ihre höhere Verbindung hingewiesen.“

„Ihre Verbindung zu Gott.“

„Korrekt.“ Der Detektiv richtete die schwarzen Augen auf seinen Partner. „Bereits in den ältesten Sprachen der Welt bedeutete El Gott.“

Light blinzelte irritiert und musterte die Linien der unterschiedlichen Schriften, die auf dem beschlagenen Glas geschrieben standen. Es dauerte lang, bis er nachdenklich meinte:

„Daran wird Kira sicher nicht gedacht haben. Er würde L nicht als Gott sehen, sondern ihn unter sich stellen. Wie auch L Kira nicht als Gott, sondern als ganz normalen Menschen sieht, allenfalls als Kind, dem man göttliche Kräfte in die Hand gelegt hat.“

„So scheint es wohl zu sein.“ Der Detektiv hatte nach einem weiteren Handtuch gegriffen, um sich die schwarzen Haare zu trocknen. „Aber ein Krieg auf selber Höhe gegen einen Gott gibt dem Kampf gleich viel mehr Wert, nicht wahr? Deorum iniuriae Diis curae.“

„Das kommt mir bekannt vor.“

„Ja, ein lateinisches Sprichwort. Beleidigung der Götter ist Sache der Götter. Menschen müssen sich nicht darum kümmern, das Recht einer übergeordneten Instanz zu verteidigen, denn das wird sie selbst übernehmen. Man kann nur von einem wirklichen Krieg sprechen, wenn beide Parteien gleichwertig sind. Nur dann ist der Kampf interessant.“ L ließ das Handtuch teilnahmslos fallen, sodass ihm die feuchten Haare wirr vom Kopf abstanden. „Und was ist der Unterschied zu Gott schon, wenn die menschliche Rasse bereits genügend qualitative Abstufungen aufweist?“

Die Arme vor der Brust verschränkend wandte Light den Blick vom Spiegel ab und ließ ihn auf dem Meisterdetektiv ruhen, als er nüchtern feststellte:

„Dir ist ein intelligenter Gegner also lieber als ein beschränkter Freund, Ryuzaki.“

Unbestimmt und scheinbar gelangweilt zuckte L mit den Schultern und sagte nichts dazu, sodass Light kühl fortfuhr:

„Letztendlich ist ein Name doch nur Schall und Rauch. Er existiert nur durch die Menschen, die ihn uns geben. Ohne sie hätten wir keine Gewissheit, ob wir wirklich das sind, was sich hinter dem Namen verbirgt.“

„Aus diesem Grund kann durch einen Namen auf eine Person Kontrolle ausgeübt werden“, erwiderte L und starrte den Buchstaben auf dem Glas an. Als Light dem Blick folgte, verlor sein Gesicht den distanzierten Ausdruck. Behutsam fragte er:

„Du meinst als selbsterfüllende Prophezeiung?“

„Wenn jemand sein Leben lang nur als Monster bezeichnet wird, dann kann er gar nichts anderes werden als das.“

„Und wenn jemand als Gott bezeichnet wird?“ Light konnte sich den Schmerz kaum erklären, der plötzlich in seiner eigenen Stimme mitschwang. Er erinnerte sich an eines ihrer älteren Gespräche. Hätte Kira überhaupt etwas anderes werden können? Konnte L etwas anderes sein?

„Auch Light-kun trägt das Zeichen Gottes in seinem Namen“, unterbrach L die Gedanken seines Ermittlungspartners und schrieb mit dem Finger die Schriftzeichen für „Yagami Light“ auf die Spiegelscheibe, direkt unter seinen eigenen Namen.

„Wenn der Gott einer neuen Weltordnung existierte“, sagte L leise, „dann würde ich ihm deinen Namen geben.“

„Verarsch mich nicht.“ Lights Stimme blieb beherrscht. „Welche Reaktion meinerseits würde dir denn jetzt bestätigen, dass ich Kira bin?“

„Nimm nicht alles so ernst, Light-kun“, entgegnete L schlicht und wandte sich ab, um das Badezimmer zu verlassen. Mit schlurfenden Schritten durchquerte er das Zimmer und öffnete den Kleiderschrank. Die Jeans, die er daraus hervorzog, sah genauso ausgewaschen und zerbeult aus wie alle seine anderen.

Light war ihm seufzend gefolgt. Er streifte sich soeben einen Pullover über, wobei er das Handtuch, mit dem er sein braunes Haar abgetrocknet hatte, über die Schultern legte.

„Ein Name hat nicht nur Bezeichnungsfunktion“, sagte L, nachdem er sich vollständig angezogen hatte. Er hob die Hand und deutete direkt auf Lights Gesicht, in welchem sich Ernst und Aufmerksamkeit widerspiegelten. „Ein Name ist mehr als ein Finger, der auf jemanden zeigt. Ich verwende einen Buchstaben, der einer bestimmten Reihe an Zuschreibungen von Prädikaten entspricht, beispielsweise als Meisterdetektiv oder als Leiter der Ermittlungen gegen Kira. L liegt zwischen den beiden Polen der Beschreibung und der Bezeichnung. Sicher weist der Buchstabe eine gewisse Verknüpfung mit dem auf, was er benennt, aber weder ganz im Sinne des Bezeichnens noch ganz im Sinne des Beschreibens, weil es sich vielmehr um eine spezifische Verknüpfung handelt. Die Verknüpfung des Eigennamens mit dem benannten Individuum und die des Detektivs, der durch L benannt wird, sind nicht isomorph und funktionieren nicht auf dieselbe Weise. Ich trete gewissermaßen hinter dem zurück, was ich bin.“

„L“, sagte Light mit brüchiger Stimme und merkte, dass sein eigenes Herz unerklärlicherweise raste. Der Detektiv sah ihn ein wenig erstaunt aus großen Augen an. „Das klingt, als sei es nicht nur ein Pseudonym.“

Der Blick, mit dem L diese Feststellung seines Ermittlungspartners quittierte, war schwer einzuordnen; auf der einen Seite wirkte er noch durchdringender und stechender als sonst, auf der anderen Seite stellte er ein Abbild perfekter Gleichgültigkeit dar. Ebenso war aus Ls tonloser Stimme kaum ein Rückschluss zu ziehen.

„Glaubst du wirklich, ich würde dir das sagen, wenn es so wäre, Light-kun?“

„Glaubst du denn, dass ich dich das fragen würde, wenn ich Kira wäre?“

„Es ist zumindest keine Falsifikation.“

L drehte sich um, schob die Hände in die Hosentaschen und ging erneut auf das Badezimmer zu. Mit einem leichten Lachen schüttelte Light den Kopf und meinte:

„Irgendwie bekomme ich dich einfach nicht zu fassen.“

„Geht mir genauso“, entgegnete L, ohne sich noch einmal umzuwenden.

Light sah ihm einen kurzen Moment nachdenklich hinterher. Nur noch die Abenddämmerung erhellte den Raum, sodass der Sohn des Polizeiinspektors kurzerhand das Licht einschaltete. Als er aus dem Fenster schauen wollte, erkannte er nicht mehr die Silhouette der Stadt, sondern bloß sein eigenes reflektiertes Ebenbild als Gegenstück seiner selbst.

„Und Kira?“, fragte er ruhig, als L schweigend und mit den Metallfesseln in der rechten Hand neben ihm erschienen war. „Sein Name sagt nur etwas darüber aus, was er tatsächlich ist.“

„Ein Killer“, bestätigte L mit einem Nicken.

„Ob sich Kira seinen Namen selbst gewählt hat?“

Die beiden Männer starrten ein paar Sekunden auf die Glasscheibe des Fensters, bevor sie gleichzeitig sagten:

„Nein, sicher nicht.“

Light warf seinem Freund einen überraschten Blick zu. Anstatt weiter darauf einzugehen, entschied er sich jedoch, ein anderes Thema anzuschneiden, das ihm nicht mehr aus dem Sinn ging.

„Eines verstehe ich nicht, Ryuzaki“, begann er vorsichtig. „Bezeichnest du dich etwa selbst als Gott? Der Gott der Gerechtigkeit, der keinen Namen besitzt, da das Aussprechen dieses Namens Blasphemie bedeuten würde?“

„Kira ist selbst der Meinung, der Gott der Gerechtigkeit zu sein.“ Nach wie vor blieb Ls Blick starr auf das Fensterglas gerichtet. „Wer am Ende diese Position einnimmt, das wird allein über Sieg oder Niederlage entschieden.“

„Ich bin mir sicher, Kira würde es ganz genauso ausdrücken.“ Mit bitterer Miene wandte sich Light ab. „Die Ähnlichkeit eurer Gedanken ist manchmal erschreckend.“

Er wollte eben das Zimmer verlassen, als L ihn am Handgelenk festhielt und meinte:

„Aber ist nicht auch die Ähnlichkeit der Gedanken von L und Light-kun erschreckend?“

Bevor sich der Jüngere von dem Meisterdetektiv losmachen konnte, hatte dieser ihm bereits die Handschellen umgelegt und damit die Verbindung erneut zwischen ihnen hergestellt. Abwehrend protestierte Light:

„Du weißt, dass ich das...“

„...nicht hören will?“, beendete L den Satz unbeteiligt. „Ja, ich weiß.“

„Ich meine damit aber nicht uns, Ryuzaki.“

„Uns?“ Interessiert legte L den Finger an die Lippen.

„Unser Verhältnis zueinander“, versuchte sich Light zu erklären. „Wie ähnlich wir uns auch sein mögen, das stört mich nicht. Ich will nur nicht ständig mit Kira verglichen werden.“

„Ah, so ist das.“

„Tu bitte nicht so, als würdest du das zum ersten Mal hören“, entgegnete Light abschätzend und runzelte dabei die Stirn, „außerdem gibt es noch eine andere Sache, die mir Kopfzerbrechen bereitet, wenn nicht sogar Unbehagen... dieser Bezug zu Gott.“

„Wieso?“, fragte L unbekümmert. „Du tust gerade so, als würdest du das zum ersten Mal hören.“

Light überging die spöttische Aussage seines Partners und führte seine Kritik weiter aus.

„Mich stört einfach diese Verbindung mit einer übermächtigen Instanz. Als Mensch scheint man dagegen nichts ausrichten zu können, weil Gesetze schon immer von Göttern gemacht wurden. Aber gerade das hat dazu geführt, dass höhere Mächte und göttliche Fügung oft zur Legitimation missbraucht wurden.“

„Sind wir also wieder bei der Monotheismusdebatte?“ Die eine Hand in der Hosentasche kratzte sich L mit der anderen am Hinterkopf. „Ein Problem, mit dem sich Japan kaum herumschlagen muss.“

„Du meinst, weil im ostasiatischen Kulturraum viele Glaubensrichtungen nebeneinander existieren, sodass bei der hier herrschenden Toleranz die religiösen Konflikte des Westens alles andere als verständlich erscheinen. Die drei großen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam entstammen alle derselben Wurzel und verehren gleichermaßen einen einzigen Gott. In Japan würden wir wohl einfach sagen, dass sie alle den gleichen Gott anbeten und ihm nur einen anderen Namen gegeben haben.“

„Aber genau dieser Gott ist ein eifersüchtiger Herrscher“, fügte L mit einem Schulterzucken hinzu, „zumindest ist er es durch die Menschen geworden, die an ihn glauben. Das kehrt in der gesamten Menschheitsgeschichte wieder. In den alten polytheistischen Anschauungen gab man sich oft damit zufrieden, die Verehrung der Götter mit der Vorstellung eines einzelnen Gottes zu teilen. Doch etliche Religionskriege, die selbst bis heute andauern, sind ein Beleg jener Eifersucht, die ein einzelner Gott mit sich bringen kann. Als letztes Zeugnis weisen nur die geplünderten und zerstörten Tempel der alten Götter anklagend in den Himmel.“

„Durch Religion wurde oft festgelegt, was gut und was böse ist, was richtig und was falsch.“

„Um diese Frage geht es im Fortbestand der Menschheit schon seit geraumer Zeit. Wie ein roter Faden zieht sich das durch die Geschichte... oder noch eher wie eine rote Linie.“ L deutete zu Boden und zeichnete mit seinem Finger eine imaginäre Grenze von links nach rechts, die genau zwischen den sich gegenüberstehenden Männern verlief. „Ein Limes, der die Gerechtigkeit bestimmt. Stets muss entschieden werden, wer auf der richtigen Seite steht.“

Light schaute hinab. Doch sein Blick fiel nicht auf den Boden zu seinen Füßen, sondern auf die Metallkette, die ihn mit dem Anderen verband. Mit Gewissheit sagte er:

„Damit kann unser Zusammenleben gesichert werden.“

„Wobei aber immer auch solche ihr Leben lassen müssen, die keine Verbrecher sind“, gab L zu bedenken. „Für die höhere Sache Gottes wurden oft wissentlich Menschen gerichtet, die eigentlich unschuldig waren.“

„Darum ist es gleichzeitig ein Mittel zur natürlichen Auslese, quasi die humane Variante des unbarmherzigen Gesetzes der Natur. Unsere Gesellschaft ist nicht perfekt, sie hat unzählige Makel und erscheint für den Einzelnen kalt und skrupellos.“ Zwar konnte sich Light mit seinen eigenen Gedanken nur schwer anfreunden, dennoch sprach er den nächsten Satz unverhohlen aus. „Kira wollte womöglich nur zeigen, dass hier etwas gehörig falsch läuft.“

„Aber ist das, was Kira tut, nicht ebenfalls ein Ausleseverfahren?“ L schob beide Hände zurück in die Hosentaschen und starrte Light direkt in die Augen. „Wie will man der Menschheit einen Spiegel vorhalten, um ihr zu zeigen, wie sie ist und was in ihr falsch läuft? Dafür müsste man die gesamte Welt darstellen und sichtbar machen. Doch nur die Allwissenheit eines Gottes ist dazu fähig. Ein Gott könnte die Menschen allerdings nicht berühren, wie sie sind, weil er dafür zu perfekt, im wahrsten Sinne des Wortes zu unmenschlich ist. Je näher man also versucht, den Menschen zu sein, desto weiter entfernt man sich von ihnen. Man kann nicht beides sein. Nicht gleichzeitig Gott und doch Mensch.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Das lateinische Sprichwort stammt von Tiberius, dem zweiten Kaiser des Römischen Reiches. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Yuiki
2014-03-19T00:26:11+00:00 19.03.2014 01:26
Nach den letzten beiden Kommentaren, vor allem dem vom 20.07.2009, kann eigentlich alles was ich sage nur noch unvollständig klingen, daher lasse ich es bleiben.
Nur so viel: Ich bereue es absolut nicht das Lesen dieser Geschichte wieder aufgenommen zu haben.
Antwort von:  halfJack
29.03.2014 18:57
Im ersten Teil von 24/7, also bis zu "Halbes Ende", habe ich mir bei diesem Kapitel am meisten Gedanken gemacht und mir sehr viel Mühe gegeben. "Im Namen Gottes" liegt mir daher sehr am Herzen. Ich verstehe, dass man nichts mehr hinzufügen kann, nachdem bereits so viel dazu geschrieben worden ist. Danke, dass du dich trotzdem noch dazu geäußert hast. Der Kommentar vom 20.07.2009 stammt von FrauKrähe, mit der ich bis dato, ähnlich wie du mit deiner Freundin, über diverse Inhalte von Death Note diskutieren konnte. Es war leider ihre letzte Stellungnahme, bevor sie sich abgemeldet hat und nie wieder etwas von sich hören ließ. :/
Von:  Blaetterklingen
2010-11-19T22:25:42+00:00 19.11.2010 23:25
Diese Kapitel gefällt mir am bisher am besten. Auch wenn es mir etwas peinlich ist, meine Unqualifiziertes Kommentar nach der Mamutinterpretaion meiner Vorgängerin zu schreiben, versuche ich es trotzdem mal.
(O mein Gott, nach dem lesen ihres Kommentar komme ich mir erstaunlich Blind und ignorant vor.Auch wenn ich nicht immer ganz ihrer Meinung bin. Vor allem was den Gerechtigkeitsgedanken angeht. Es würde einfach keinen Unterschied machen, ob L oder Light in der Kiras Position wären, reagieren würden sie gleich. Light ist grob betrachtet nur ein beschnittener Kira. Von Unterschiedlichen Meinungen zwischen L und Kira Light kann man also wirklich nur sehr schwer sprechen)

Der Kapitalname hätte nicht besser gewählt werden können. Er umschließt alle Themen und die daraus resultierenden Gedanken. Wirklich erstaunlich gut. Da fragt man sich natürlich, hast du die Themen im Kapitel den Namen angleichen oder in einem Geniestreich nach Vollendung des ganzen diesen Titel gefunden. Wahrscheinlicher ist es natürlich das es ab einen bestimmten Punkt Hand in Hand ging und Titel und Geschichte aufeinander aufbauten. Aber schon bei Zwischenmenschen sind die Titel so unglaublich präzise. Egal wie sie entstanden sind. Sie passen einfach ideal-
Die Sexuelle Aufdringlichkeit von Light wird immer offensichtlicher, wirkt fast schon bedrohlich. Die "feuchten" Träume und die Intimität die sich langsam aufbaut, scheint körperlich fast ausschließlich von Light auszugehen. Was ich interessant finde, da in andere Dethnote Auslegungen immer L als der verliebte dargestellt wird. Obwohl das Körperliche selbstverständlich nur ein Aspekt ist. Viel wichtiger für L ist die Geistige nähe und die ist extrem. Sie verstehen sich so gut, es scheint immer nur an Definitionsradien einzelner Worte und moralischen Ansichten zu scheitern. Aber Reibung erzeugt ja bekanntlich Wärme. Obwohl es dann wieder den Eindruck macht, als ob sie sich völlig im klaren über jedes Wort sind, was sie damit Assoziieren und was der andere damit verbindet. Und es dann wirklich nur noch um den Sinn und die Ansichten geht.
Dieser Streit um den Gott begriff und die Namen finde ich total faszinierend. Was denken? was glauben? Wollte uns nicht jemand einst den Übermenschen lernen. Was ist ein Gott, wenn es nur ein von Menschen erdachtes Abstraktum ist mehr, als eine Wunschvorstellung von sich selbst.
Und doch ist es ein Käfig. Ein gemütlicher Schützender Käfig, der einen vor der Leere, der Sinnlosigkeit und der Bosheit des eigenen Denkens behütet.
Doch was wäre ein besserer Feind, als ein Gott, wenn man doch selber einer ist. Das Spiegelbild, der den Eckel vor sich selbst du die Langeweile vergessen macht. Es ging nie um Gerechtigkeit und die Rollen sind beliebig austauschbar, weil sich die beiden so unwahrscheinlich wenig nehmen. Beide so genial und mit den Veranlagungen geboren, das sie unmenschliche Götter werden können. Und es vielleicht auch sind. Nur das kommt von den den philosophischen Standpunkt an. Was macht einen Gott aus? Arroganz? Unerreichbarkeit? Kaltblütigkeit? Das erfüllen die beiden ja nur zu gut.
Die Wiederlesbarkeit deiner Geschichten ist fantastisch. Was man alles aus ihnen herauslesen kann. Jedes Wort macht Sinn. Keinen Sinn würde es aber machen noch genauer darauf einzugehen, denn dazu wurden ja schon Romane geschrieben.
Auf jeden Fall ist meine Anfängliche Skepsis der ersten Kapitel verschwunden. Gerade ihre ausgespielte Intelektualität in den Anfangskapiteln ergibt jetzt viel mehr Sinn. Wie eine erstes Kräftemessen was nun immer emotionaler und irrationaler, eben menschlicher wird. Ihr handeln scheint ihre Worte nur noch zu unterstützen. Sie haben angefangen sich als Götter weit über allen Dingen zu bekriegen, aber jetzt, sind es Menschen, die ihren Trieben, Bedürfnissen und Gefühlen ausgeliefert sind. Im Kampf gegeneinander gefallene Götter. Oder vielleicht auch nur ein Intermezzo, aus dem sie göttlicher als zuvor ersteigen werden. Mal sehen, was die nächsten Kapitel so bieten. Ich bin gespannt und ich denke das ich kann ich auch sein.

Von: abgemeldet
2009-07-19T22:11:30+00:00 20.07.2009 00:11
Ich versuche schon so lange, zusammenzufassen, was ich hierzu denke, (seit dem Tag deines Hochladens) aber ich könnte einfach zu jedem Satz etwas sagen und darum fällt mir die Ordnung so schwer, und ich sehe auch so viel Dinge gleichzeitig...
Die Geschichte hat sich in den letzten Abschnitten inhaltlich ziemlich 'weiterentwickelt', das wird hier besonders deutlich. Es gibt da zwei Hauptaugenmerke, mit denen du dich im Allgemeinen beschäftigst (abgesehen vom Liefern eines weltanschaulichen Hintergrundes zu verschiedenen DN-Problemen, wie es im Original bewusst ausgeklammert wurde) und die miteinander verwoben sind, sich beeinflussen und auch gleichzeitig stattfinden, die aber zu unterschiedlichen Zeiten ihre Höhepunkte haben. Ich glaube, wenn ich von Wandel spreche, dass einer davon inzwischen überschritten ist und der andere sich gerade aufbaut.

Einmal ist da dein Ansatz, Kira in Light zu erklären. Die Ermittlung Ls, die Suche nach der faktischen Wahrheit, die er nach Lights Erinnerungsverlust in all diesen Gesprächen weiter führt und die solange währt, bis L sich Kiras Identität so gut wie sicher ist (in Kapitel 6, von der gefundenen Sicherheit wird ihm ja erst einmal schlecht, bevor er nüchterner weitermachen kann) und er Light infolgedessen seine nun 'abgeschlossene' Taktik und Verdachtsbegründung mehr oder weniger offen darlegt (Kapitel 7, 'verschlüsseltes' Diskussionsergebnis, dass Kira in Lights Einstellungen und seinem Wesen immer potentiell gegeben und daher auch auffindbar war/ist und er sich bei der Versuchung kaum hätte anders entscheiden können. Gründe, die Light unliebsam einleuchten und unterschwellig beunruhigen). Diese beiden Kapitel 6 und 7 sehe ich also als Höhepunkt dieser speziellen Entwicklung und auch als den Wendepunkt der Geschichte, ab dem die Fronten fast schon 'geklärt' sind und die Wahrheit im Prinzip bekannt ist - wenn ihrem Beweis auch zahllose Rätsel und fehlende Erinnerung im Weg stehen und noch lange nichts vorbei ist. Gewissheit ist jedenfalls auf Ls Seite da.

Nun können auf dieser Basis andere Konflike ausgetragen werden. Wie hier, wo Light und (privater)L fast schon offen über sich als (öffenlichen)L und Kira sprechen, wenn auch ohne dass Light sich dessen voll bewusst ist. Da ist nämlich als zweites Augenmerk der Geschichte das Problem der persönlichen, schicksalhaften Verstrickung, in die die beiden zuerst während ihres Duells und dann während der erinnerungslosen Zeit geraten, jeweils privat als Lawliet und Light und öffentlich als L und Kira. Auf diese Verstrickungen legt dieses Kapitel seinen Schwerpunkt, wie auch schon das davor. Du thematisierst das Problem ihrer "freundschaftlichen" (...) sowie rivalisierenden Beziehung zueinander, das ihres Selbstverständnisses (das Gespräch über Namen), ihrer jeweiligen 'höheren' Funktion für die Welt (das Gespräch über Götter) und füreinander. Du charakterisierst die beiden und ihre Beziehung in vielerlei Hinsicht, zeigst deren Verranntheit und greifst so einige Themen aus vorangegangenen Kapiteln auf, wie zum Beispiel Lights Ärger über die Idealisierung Kiras durch L, seine Enttäuschung darüber, dass L nicht mit ihm zusammenarbeiten will und ihm nicht vertraut, gewisse körperliche Dinge, den Erwartungsdruck, der auf L durch seinen Namen lastet, die Berechtigung von Gesetzen/der gerade vorherrschenden Idee von Gerechtigkeit, die eigentlich willkürlich gesetzt sind usw.. Stellenweise erscheint mir dieses Kapitel wie eine Zusammenfassung und Bearbeitung aller bisher verstreuten persönlichen Vorgänge zwischen Light und L sowie eine erste, direkte Gegenüberstellung von L und Kira als Götter der Gerechtigkeit. Letzteres übrigens mit unglaublich toller Symbolik.... aber dazu später.

Erst einmal das, was man hier über ihre Beziehung Interessantes findet.
Als erstes fällt einem natürlich dieser eindeutige körperliche Bezug auf, vor allem, wenn man ein quietschendes Fangirl in seinem Kopf hat, so wie ich. Lights Beharren auf dem Ausziehen und Duschen (ich bin sicher, es war intendiert, dass einem bei Lights Kommentar eher 'zusammen' als 'nacheinander' in den Sinn kommen sollte? *lach*) und die Tatsache, dass sie die den Großteil der Szene halbnackt verbringen. Obwohl Light L gerade eine Frage gestellt hat, die dieser ihm beantwortet, hört Light ihm gar nicht zu und unterbricht ihn ständig mit dieser Aufforderung, die nassen Kleider abzulegen. Das wirkt auffällig 'aufdringlich'. Das ist wohl einerseits der von dir angekündigte Light, der tatsächlich langsam ein Opfer seiner Hormone wird (keine Kritik, wie gesagt, ich finds gut aufgebaut und absolut berechtigt), andererseits möchte ich da gleich wieder viel hineininterpretieren. In diesen hm... forschen und direkten, immer weniger zurückhaltenden Ton, den Light gegenüber L immer öfter an den Tag legt und der an Kiras Arroganz und Herrschsucht erinnert. Seine Aufforderung hat in ihrer Beharrlichkeit einfach was von einem Befehl, ein 'mach jetzt, was ich sage', und du hast seine Stimme hier auch mehrmals als 'kühl' beschrieben, sie wurde nüchtern an Stellen, wo ich einen 'unschuldigen Jungen' eher emotional hätte reagieren sehen. Das bei Themen, bei denen Light zuvor auch eher verzweifelt reagierte als so ruhig ("Dir ist ein intelligenter Gegner lieber als ein beschränkter Freund" usw). Dazu kommt überhaupt dieser Ausbruch, L ins kalte Wasser zu zerren. Natürlich kann es sein, dass Light einfach auf all die Frustration hin, die L ihm immer wieder bereitet (er ist ja ab und an ziemlich provokant), langsam aggressiv bzw. einfach pampig wird, andererseits meint man auch, dass hinter all dem ein Bestreben der Autorin steckt, ihn ohne Death Note ein Stück weit wieder zu Kira werden zu lassen. Dass du Kira nicht nur als in ihm veranlagt und möglich zeigen möchtest, sondern als auch noch von vorher tatsächlich vorhanden. Als ob all die unnatürlichen Dinge, die mit seinem Kopf passiert sind, nun ihre 'Nebenwirkungen' zeigen sollen, dass man ihn nicht einfach zum gewaltigsten, freiest auslebbaren Größenwahn der Menschheitsgeschichte verführen und dann alles auslöschen kann, als sei nichts gewesen, ohne dass es Folgen für ihn hätte. Kira bricht ab und an ja sogar direkt aus ihm hervor, als wäre er noch da (dieser Satz in Kapitel 5), dann wieder zeigt sich der unschuldige Light reuig über seine Aggressionen. Man ist sich als Leser an dieser Stelle überhaupt nicht mehr sicher, ob der unwissende Light wirklich noch so ein grundguter Junge ist und ob in seinem Kopf alles gerade läuft. Irgendwie werden Kira und Light immer mehr eins, ohne dass es der Erinnerung bedarf. Und das alles versteh bloß nicht als Kritik (möchte ich wegen der Missverständnisse betonen), sondern ich möchte diese Entwicklung sehr loben, weil ich sie sehr interessant und gut gemacht finde.

Da gibts noch andere Dinge, die eine Änderung in Lights Verhalten markieren. Ich meine zum Beispiel dieses Nachfragen nach Ls Ausbildung oder ob es sich bei "L" um mehr als ein Pseudonym handelt. Das geschieht zwar nur beiläufig, aber vielsagend beiläufig. Sie haben nie über Privates bezüglich L gesprochen, nicht im Sinne von konkreter biographischer Information, die ihn greifbar machen würde (höchstens im Sinne von psychischer, wenn man an die Thematisierung der Berührungsangst zurückdenkt). Nicht einmal, als Light in 'Verwandt' bemerkt, dass die 'elternlosen Identitäten' für L eine Rolle spielen, fragt er weiter nach, ob er selbst eine sei und warum wieso weshalb, obwohl diese Worte Ls auch genügend Angriffsfläche für Neugier bieten. Nun hingegen fragt er doch weiter. Ls Wohlbefinden (Berührungsangst usw.) interessiert zuvor den Freund Light, Ls handfeste Daten, die ihn greifbar machen, interessieren eher den Gegner Kira. Zumindest wusste Light zuvor immer Distanz zu wahren und jetzt nicht mehr. Dieses Interesse Kiras an L kommt da also ein wenig hoch (du betonst es ja auch mit dem beschleunigten Herzschlag bei dem Gedanken an Information über Ls wahren Namen). Man merkt, dass hier nichts so harmlos ist wie es scheint, dass sie sich auf so einer hm... 'geschauspielerten', unwirklichen Ebene fernab der wahren Tatsachen bewegen, dass sie miteinander reden, die Dinge aber gleichzeitig ganz andere Bedeutungen haben, als man augenscheinlich meint. Dass das ganze eben eine Farce ist. "Ich kriege dich einfach nicht zu fassen"-"Geht mir genauso" bringt das auf den Punkt. Diese Aussagen klingen sarkastisch, auch wenn dieser Sarkasmus nur von L wirklich beabsichtigt und bei Light eher unfreiwillig ist. Mit ihrer Zweideutigkeit sind diese Aussagen die Essenz der Situation, die man hier vorfindet.

Dieses Nachfragen nach Ls Geschichte charakterisiert die Beziehung der beiden aber auch noch in einem anderen Sinn. Es ist ein Zeichen dafür, wie sehr diese dauerhafte Nähe sich auf die beiden inzwischen auswirkt. Hier besonders auf Light. Wie sehr sich Light an L gewöhnt hat. So sehr nämlich, dass die unsichtbaren Grenzen verwischen, die ihren Umgang bisher geregelt haben, dass er glatt vergisst, dass diese Freundschaft keine normale ist, in der man sich selstverständlich nahesteht und mal eben über Privates redet. L ist DER Detektiv schlechthin, das Mysterium, das sich selbst streng hütet in Anbetracht seiner Wichtigkeit für die Welt. Dass Light mit ihm umgehen darf ist eine absolute Ausnahme und ihr Umgang ist eigentlich die Überwachung eines Verdächtigen durch einen Ermittler. Das Bewusstsein um diese Situation und um die angebrachte Verhaltensweise, die Zurückhaltung, scheint Light bei all der Nähe langsam zu entgleiten, während L auf dem Boden bleibt und ihn hier durch seine Weigerung, Informationen zu geben, daran erinnert, wo sie sich befinden. Ein Zeichen für die typische Vorsicht und niemals vernachlässigte Deckung Ls, für seine ihm ureigene kühle Berechnung... wunderbar, dass du ihn nie nachlässig werden lässt und an anderen Stellen dennoch sehr glaubwürdig zeigst, dass er innerlich nicht gefühlskalt und von allem unberührt ist.

Zusammenfassend fragt man sich, was hier geschieht, ob Light sich in der Freundschaft verliert ("Uns?" "Unser Verhältnis zueinander") - wegen *ihr* wütend wird, wegen *ihr* mehr von L wissen will - oder ob Kira da wieder auflebt. Vielleich ist es auch beides zugleich, so wie ja auch L noch der offizielle Detektiv L ist, gleichzeitig aber auch der inoffizielle, menschlichere 'Rivalenfreund' L (die beiden Aspekte, die sein Name, L, 'bezeichnet'... aber dazu später). Das ist ihr verzwicktes gleich-sein-und-zugleich-gegeneinander-sein-Dilemma. Du symbolisierst das alles auch sehr schön durch die Handschellen. Die haben in diesem Kapitel ja einen interessanten Werdegang. Erst werden sie nach Lights Ausbruch geöffnet und unter den Handtüchern begraben, mit dem Fuß unliebsam beiseite gescharrt und eine Zeit lang vergessen. Dann, ganz plötzlich und überraschend, in einem Moment, in dem Light, als wäre das alles eine ganz normale Situation zwischen zwei ganz normalen Freunden, einfach den Raum verlassen möchte - werden sie plötzlich wieder geschlossen. Die Überwachung, die für einen emotionalen Moment in den Hintergrund geriet, ist plötzlich wieder da. Man hat als Leser fast selbst vergessen, dass er diesen Raum gar nicht so einfach verlassen kann, das war einfach nur ein.... übelst genialer Kniff. Das hat einen richtig erschrocken und hatte denselben Effekt wie auch auf Light. Und es ist ein Faust-Aufs-Auge-Symbol für die ganze zwischenmenschliche Situation, die immer wieder entgleist bis sie wieder in ihre Grenzen, in die Realität verwiesen werden muss.

Das war glaube ich das, was mir zu den privaten Verstrickungen in den Sinn kam. Dann wäre da also noch die öffentliche Verstrickung, die Gegenüberstellung der Götter und die Sache mit dem Namen.
'Im Namen Gottes' kann man als das verstehen, was im Namen Gottes selbst liegt, welche Bedeutung dieser Name also hat, oder als das, was im Namen Gottes geschieht, was also getan und mit Gottes Willen gerechtfertigt wird. Die beiden Dinge, um die es hier eigentlich geht. Wie soll ich würdigen, was du da gemacht hast...es ist einfach vollendet und rund. Wir haben schon einmal über die Bedeutung des Detektiven L für die Welt gesprochen und über sein Selbstverständnis, hier lässt du L selbst diese Dinge erkennen. Er ist sich seiner Position bewusst, all der Dinge, die für die Welt mit dem scheinbaren Pseudonym "L" zusammenhängen, eben der offiziellen 'Bedeutungsfülle' seines Namens, der Bedeutung dieses öffentlichen Symbols, des Inhalts dieser Verknüpfung in den Köpfen der Menschen - und auch der Vergöttlichung durch denselben, die ihm zwar auch ohne die zusätzliche hebräische Bedeutung von "EL" als Gott widerfahren wäre, (und zwar aufgrund seiner nahezu 'übermenschlichen' Fähigkeiten und seinem ebenbürtigen Kampf gegen Kira, den anderen Gott) die du aber mit dieser Verknüpfung von Informationen einfach.... genial ergänzend erklärst. In dem Sinne, dass L sich dagegen so wenig wehren kann wie gegen seinen Namen. Der offizielle L ist in der Tat nichts anderes als ein weiterer Gott der Gerechtigkeit ('Ich bin die Gerechtigkeit' - es ist ihm durchaus bewusst, genauso wie Kira), der lediglich etwas anderes vertritt als derjenige, der sich da anschickt, ein neuer zu werden und nicht nur ihn, sondern alle anderen außer sich zu verdrängen. Gleichzeitig ist er aber auch das menschliche Individuum, das mit 'L' bezeichnet wird und von dem die Welt nichts weiß. Daher meint L, diese Verknüpfungen seien nicht dieselben. Wie ironisch, dass ausgerechnet er sagt, man könne nicht Gott und Mensch gleichzeitig sein, wo doch sein Name, der beides vereint, ihm so etwas aufzwingt. Ich sehe ihn daher zerrissen (aber ich denke, er hat sich mehr der Göttlichkeit als dem Menschsein verschrieben, genauso wie Kira...). Auch als er meint, dass auch Light einen Gott im Namen trage und er dem Gott einer neuen Welt, wenn es ihn gäbe, eben diesen Namen geben würde, oder als er zugibt, dass man mit einem Namen auf einen Menschen wie mit einer selbsterfüllenden Prophezeihung Kontrolle ausüben kann, da man ihm das aufnötigt, was dieser Name an Verknüpfungen beinhaltet, bemerkt man diese Zerrissenheit. Man bemerkt das schon öfter thematisierte 'es hätte gar nicht anders mit uns kommen können, wir hätten uns nicht anders entscheiden und verhalten können' und zugleich die Ahnung, dass L selbst das so vielleicht nicht gewünscht hätte - unter anderen Umständen. Darin, was L sagt, schwingt mit, dass Kira und L als gezeichnete Götter dazu prädestiniert sind, zu handeln, wie sie handeln, gegeneinander eifersüchtig zu sein und nur die eigene Existenz zulassen zu wollen, nicht verlieren zu wollen, dass sie aber gleichzeitig auch dazu gemacht wurden und es zumindest L nicht ausschließlich angenehm zu sein scheint. Kira, der noch seine Erinnerungen hat, würde wahrscheinlich nicht so denken, aber Ls Ambivalenz blitzt hier wieder hervor, und ich frage mich, wie Light das sehen wird, wenn er sich wieder erinnert, nach allem, was zwischenzeitlich geschehen ist. Ob er dann auch ambivalent sein wird? Man meint jedenfalls, L bedauere hier ein wenig sein Schicksal und wüsste gleichzeitig, dass er doch nicht anders kann, als ihm zu folgen. Dass weder er noch Kira anders können, als aufeinander zu reagieren, da sie so konzipiert sind. L hat Spaß am gleichwertigen Gegner und will zugleich nicht verlieren, Kira auch nicht, er möchte allein herrschen. Lights Ärger über die Idealisierung und Vergöttlichung Kiras durch L ist hier auch interessant, sie lässt den erinnerunglosen Light genauso eifersüchtig erscheinen wie sein verzerrtes Alter Ego, als würde er L keine 'anderen Götter neben sich' erlauben wollen. Da ist der Drang Lights, von L anerkannt und gewürdigt zu werden, der an das Bedürfnis Kiras erinnert, dass L seine Größe erkennen und daran verzweifeln möge, bevor er ihn zugrunde richtet, dass er im letzten Moment seines Lebens erfährt, wer Kira ist, damit er weiß, dass er und gegen wen er und wie schmerzhaft er verliert, um dessen Sieg noch volkommener zu machen.

So viel zu Namen. Jetzt zum Handeln.
Was getan wird im Namen Gottes ist 'richtig'. Es wird vom jeweiligen 'Gott' (oder Herrscher beliebiger Art) bzw. den Menschen, die ihn einsetzen, als erstrebenswertes Handeln festgelegt, grenzt Gut und Böse ab, genau so wie du L das hier ausführen lässt. Dabei wird klar, dass diese Festlegung im Prinzip reine Willkür und keine absolue Wahrheit ist, sie ist ein Axiom, eben ein nicht weiter herleitbarer Satz/Wille, den man auch durch einen anderen ersetzen könnte, das ist egal, von dem sich dann aber alles weitere verpflichtend ableitet. Der Gewinner-Gott macht sozusagen die Regeln. Zwei Seiten. Eine Linie, willkürlich gesetzt. Und das ist es, was ich mit der Symbolik meine, die mich umhaut. Diese Situation, wie L die Linie zwischen sich und Light zieht, zwischen diesen zwei Göttern, die neurtral betrachtet einfach verschiedene Meinungen vertreten, deren Sieg aber darüber entscheidet, wessen die richtige und wessen die falsche ist - die zugleich aber austauschbar wären, da es eben so willkürlich ist, welcher von beiden Recht hat. Eine Ansichtssache, eine Entscheidungssache des Stärkeren, keine Tatsache. Daher sind sie über die Linie hinweg noch mit den Handschellen verbunden. Das zeigt, dass sie nicht grundverschieden, sondern ähnlich, gleich gut, gleich schlecht, sind, dass es nur ums Recht haben geht. "Stets muss entschieden werden, wer auf der richtigen Seite steht", wobei die Seiten austauschbar sind, wie diese zwei Männer, verbunden durch eine Kette, getrennt durch eine willkürliche Linie, symbolisch rot wie das Blut, das der Kampf sie und alle Beteiligten kostet. Wie die erwähnten Religionskriege.
Überhaupt ist es toll, wie sie vor diesem Fenster stehen und die Stadt, die Öffentlichkeit dahinter nicht mehr sehen können, sondern nur ihre darüber gelegten Spiegelbilder. Sie betrachten sie, wie sie auch ihre offentlichen Funktionen betrachten und besprechen. Hinter den Abbildern, hinter Kira und dem öffentlichen L auf dem Glas, erstreckt sich die Stadt, die Welt, die diesen eigentlich leeren, substanzlose Projektionen ihren Inhalt zuweist (das Dasein eines Gottes, den Namen Kira, all das, was das öffentliche "L" bezeichnet usw), während die Menschen Light und privater L, die diese Spiegelungen werfen, in diesem kleinen Raum verweilen und sich vor der Welt verbergen. Diese Szene ist so unglaublich genial und symbolisch... ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll.
Ich liebe, liebe, liebe diese Geschichte und sehe sie inzwischen als den unausgesprochenen, aber immer mitgedachten Teil von DN an, sie ist einfach perfekt.

Von: abgemeldet
2009-07-14T10:47:19+00:00 14.07.2009 12:47
echt qeil..du schreibsd richtiq qudd..--> briliant(oda wie imma man das wort schreibt O_o)
Echt ich freu mich auf die nächstn Kappi´s
Lq
Hony
Von:  angeljaehyo
2009-07-10T14:50:00+00:00 10.07.2009 16:50
Oh, okay, ich hab hier irgendwie Kapitel 8 und 9 sehr miteinander vermischt. Nimm den letzten Kommentar auch zu diesem Kapitel mit dazu :D


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