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Hinter dir, wenn du dich umdrehst

Yui x Midori, Mayu x Akira
von

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Mayu öffnet die kleine Schachtel. In dieser befinden sich zwei Ringe. Mayu betrachtet sie. Mit einem Seufzen schließt sie die Schachtel wieder.

"Hallo, Mayu."

Das Mädchen dreht sich um. Ihr Blick trifft den eines Jungen mit kurzen schwarzen Haaren.

"Midori", sagt sie, "was willst du hier?" Ihre Stimme ist abweisend. Überheblich wendet sie den Kopf von ihm ab.

"Ich wollte", sagt Midori verlegen, "zu Akira. Es geht ihr doch nicht gut."

Mayu starrt ihn wütend an. Die Hände hat sie zu Fäusten geballt.

"Warum, verdammt? Ich habe dir doch gesagt, du sollst dich von ihr fernhalten."

"Komm schon", meint Midori, "ich wollte schließlich auch dich besuchen. Vielleicht können wir reden." Er geht auf das Haus zu. Neben der Haustür bleibt er stehen. Mayu schließt zu ihm auf. Der wütende Ausdruck liegt noch immer auf ihrem Gesicht. Doch nun senkt sie den Blick. Sie kramt den Schlüssel hervor.

"Meinetwegen", willigt sie ein. "Hast du endlich eine Entscheidung getroffen?"

"Ich denke schon", antwortet er.

Hinter den beiden Jugendlichen fällt die Tür zu.

"Akira, ich bin wieder da!", ruft Mayu.
 

Hinter dir, wenn du dich umdrehst
 

"Midori, ich bin wieder da!", rief Yui.

Er schloss die Tür hinter sich. Aus der Wohnung antwortete niemand. Die Sonne des Nachmittags fiel durch die Vorhänge herein.

Midori war nicht da.

Yui verzog das Gesicht. Für einen Moment blieb er im Flur stehen. Dann zog er sich seine Schuhe aus. Er stellte sie neben die Wohnungstür. Die Jacke hängte er an einen Haken.

Er ging durch die Wohnung. Ein paar Mal warf er einen Blick in die anderen Zimmer. Midori war nicht da.

Schließlich kam Yui in der Küche an. Am Kühlschrank hing ein kleiner Zettel. Darauf stand mit Midoris Schrift etwas geschrieben:

"Ich bin beim Einkaufen. Der Kühlschrank ist leer."

Yui öffnete den Kühlschrank. Er war leer. Midori war beim Einkaufen.
 

"Ich habe sie zum Einkaufen losgeschickt", sagte Shoko zu ihrer Tochter, "Akira kommt bald zurück."

Mayu setzte einen beleidigten Gesichtsausdruck auf.

"Wieso hat sie nicht auf mich gewartet?", fragte sie.

"Du solltest Akira nicht immer so bedrängen", meinte Shoko ärgerlich, "Merkst du nicht, dass du ihr damit ziemlich auf die Nerven gehst?"

"Das ist nicht wahr!" Tränen der Wut standen in Mayus Augen. "Du gehst Akira auf die Nerven, nicht ich! Ständig soll sie dir Modell stehen. Dabei hast du gar kein Talent. Deine Bilder sind hässlich und widerlich!"

Shoko erteilte ihrer Tochter eine Ohrfeige.

Erschrocken starrte Mayu sie an. Dann rief das Mädchen:

"Ich hasse dich!" Damit drehte sie sich um. Hinter ihr fiel die Zimmertür mit einem heftigen Knall ins Schloss.
 

Ein lauter Knall war im Flur zu hören.

"Entschuldigung. Das muss der Wind gewesen sein", klang Midoris Stimme von der Wohnungstür durch die Räume. Er stellte die Einkaufstüten an die Seite. Yui sprang sofort auf. "Hast du irgendwo ein Fenster offen gelassen? Es zieht ga-" Weiter kam Midori nicht.

"Midori!" Yui fiel ihm um den Hals. Beinahe wäre der Schwarzhaarige gefallen.

"Was soll das?" Midori unterbrach sich. Er musste husten. Yui griff nach seinem Gesicht. Sanft fuhr er ihm durch das schwarze Haar.

"Ist alles okay, Midori?" Er strich mit den Fingerspitzen seine Wange entlang. Dann fasste er ihn am Kinn. Ihre Augen trafen sich. Midori entwand sich seinem Freund. Er schaute zur Seite.

"Klar. Was soll auch los sein?", meinte der Kleinere. "Jetzt lass mich los. Das machst du jedes Mal. Es nervt."

Yui schaute ihn weiterhin an. Ein glückliches Lächeln lag auf seinem Gesicht.

"Was ist denn?", fragte Midori.

"Du bist da", sagte Yui verwundert, "ich bin nur glücklich."

Midori schaute ihn abgeneigt an.

"Unsinn", meinte er verlegen. "Weißt du, wie sich das anhört? Komm jetzt. Lass uns essen."
 

"Wir können danach ja noch essen gehen. Wenn der Unterricht vorbei ist. Was meinst du?" Erwartungsvoll sah Mayu Akira an.

"Von mir aus", antwortete diese desinteressiert. Sie fuhr sich durch ihr kurzes schwarzes Haar. Mayu lächelte.

Die beiden Mädchen gingen weiter den Weg zur Schule. Nach einer Weile meinte Akira:

"Es ist schön, dass du wieder bessere Laune hast."

"Wie?", fragte Mayu.

"Gestern", gab Akira zurück, "warst du wegen irgendetwas wütend." Das blonde Mädchen seufzte.

"Shoko", sagte sie dann knapp.

"Mutter", berichtigte Akira.

"Shoko", wiederholte Mayu fest, "ich sehe sie nicht als meine Mutter an."

"Was hast du nur gegen sie?"

"Du weißt genau, was ich gegen sie habe! Dir geht es doch genauso, Akira, aber du tust nichts dagegen!"

"Sei still." Damit beendete die Größere das Thema.

"Akira!", rief hinter ihnen die Stimme eines Jungen. "Mayu!"

Sie drehten sich um. Hinter ihnen waren Midori und Yui. Midori hatte gerufen.

Mayu wandte sich wieder ab. Genervt sagte sie zu der Anderen:

"Komm." Damit griff sie nach Akiras Hand.
 

Ohne Umschweife griff Yui nach Midoris Hand.

"Ich helfe dir", sagte er lächelnd. Die beiden Jungen standen auf den Stufen im Treppenhaus. Sie waren in der dritten Etage der Schule. Midori atmete schwer.

Der Hellhaarige zog ihn sanft an der Hand die Stufen hinauf.

"Hey!", protestierte Midori. Ein kurzes Husten folgte. "Lass los!"

Yui reagierte nicht darauf. Einige Jungen gingen an ihnen vorbei nach oben. Sie bedachten die beiden mit missbilligenden Blicken. Ein paar Mädchen kicherten hinter vorgehaltener Hand. Midori versuchte sich aus dem Griff des Größeren zu befreien. Yui zog ihn jedoch weiterhin mit sich.

"Yui." Die Stimme des Schwarzhaarigen war eindringlich. "Hör auf. Was soll man da denn denken?"

"Wieso?", fragte Yui. Er drehte sich nach hinten zu seinem Freund um. Ein aufrichtiges Lächeln zierte seine Lippen.

Midori wurde wütend. Mittlerweile waren die beiden in der obersten Etage angelangt. Heftig machte sich der Schwarzhaarige los. Er taktierte Yui mit einem aufgebrachten Blick. Wortlos betrat er dann ihren Klassenraum.

Verwirrt schaute Yui ihm nach. Schließlich folgte er seinem Freund.

"Midori", versuchte er sich an den Kleineren zu richten. Doch dieser schaute nur abweisend aus dem Fenster. Mit gesenktem Kopf setzte sich Yui neben ihn.

Nach einer Weile klingelte es.
 

Das Klingeln tönte über den Schulhof.

Schweigend gingen Midori und Yui die Treppe hinunter. Verunsichert sah Yui immer wieder zu dem anderen Jungen hinüber. Der bedachte ihn jedoch mit keinem Blick.

Draußen bemerkten sie Mayu. Sie stand neben der Tür. Anscheinend wartete sie.

Midori blieb bei ihr stehen.

"Geh schon mal vor", meinte er zu Yui. Dieser hielt nun ebenfalls inne.

"Nun, geh schon", wiederholte Midori barsch.

"Aber...", fing Yui an. Der Andere unterbrach ihn:

"Geh, oder ich rede den ganzen Tag nicht mehr mit dir."

Erschrocken erwiderte Yui nichts. Nach langem Überlegen drehte er sich traurig um. Mit hängenden Schultern trottete er davon.

"Er mag dich", sagte Mayu nur.

"Ja", entgegnete Midori schwach. Er blickte Yui hinterher. "Leider."

Mayu schnaubte.

"Du hast so ein Glück, machst dir aber alles schwerer, als es ist. Was denkst du eigentlich, was ich von Akira will? Bei euch beiden ist es doch genauso! Einer wird immer hinter dem anderen stehen."

Ein verzweifelter Gesichtsausdruck lag auf Midoris Gesicht. Er hustete unterdrückt. Eine Antwort kam nicht von ihm.

"Ihr Männer seid alle gleich!", fuhr Mayu beleidigt fort. "Ihr denkt immer nur an das Eine. Was erwartest du denn, Midori? Das ist doch keine Intoleranz, sondern nur Feigheit. Und du bist nicht nur feige. Ein Idiot bist du, ein blinder Idiot!"

"Mayu." Das war Akiras Stimme. Die Schwarzhaarige trat in die Sonne hinaus. "Halt dich zurück. Was ist denn los?"

"Ich rege mich nur auf", meinte Mayu knapp. Sie legte die Hand an Akiras Arm. "Manchen Leuten wird alles in den Schoß gelegt, aber sie sind zu dumm, um das zu begreifen." Mit diesen Worten zog sie ihre Freundin mit sich. Akira drehte sich noch einmal irritiert um.
 

Irritiert drehte sich Midori um.

"Ja, mit dir rede ich", wiederholte ein großer Schüler aus seiner Klasse abfällig grinsend, "du bist doch der kleine Günstling von unserem Supermodell. Bist wohl gerade auf dem Weg zu ihm."

"Meinst du Yui?", fragte Midori. Der Andere ging nicht darauf ein.

"Gesicht wie ein Mädchen, alle beide." Der Schüler spuckte aus. "So was kann ich leiden." Er knackte ungesund mit den Fingerknöcheln. Midori wich einen Schritt zurück. Doch der größere Junge packte ihn schon beim Kragen. Hart wurde der Schwarzhaarige gegen einen Briefkasten gestoßen. Der Schläger lachte. Midori hustete.

Plötzlich verstummte das Lachen. Stattdessen war ein dumpfer Laut zu hören. Der Schläger röchelte. Midori sah auf.

Zusammengekrümmt lag der Schüler am Boden. Über ihm war Yui. Der Hellhaarige starrte hasserfüllt auf ihn herab. Das Weiß in Yuis Augen war deutlicher als die Iris.

Noch einmal schlug Yui zu. Noch einmal. Schützend hielt der Schüler seine Hände vor das Gesicht. Noch einmal. Blut schoss aus seiner Nase. Noch einmal.

"Yui!" Midori eilte neben seinen Freund. Er hielt ihn an der Hand fest. Yui hörte auf. Sofort tastete Yui über Midoris Körper. Widerwillig protestierte dieser nicht. Der Blonde klopfte seinem Freund den Staub vom Hemd.
 

Das Hemd war nur ein paar Mal von Midori getragen worden. Yui saß im Badezimmer. Er hörte seinen Freund in der Küche.

Yui schob die weißen Handtücher und T-Shirts in die Waschmaschine. Kurze Zeit später warfen die Kacheln das dröhnende Geräusch der Maschine zurück.

Der Blonde saß auf dem Rand der Badewanne. Sein Blick fiel in den Spiegel vor sich. Er schenkte seinem eigenen Gesicht nur einen kurzen Augenblick. Dann schaute er zur Erde. Dort lag noch immer Midoris Hemd.

Langsam beugte sich Yui hinab. Er hob das Hemd auf. Für ihn war der Stoff weicher in den Händen als in Wirklichkeit.

Leicht drückte Yui das Hemd an sein Gesicht. Er nahm den warmen Geruch seines Freundes wahr. Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht.
 

Mayu lächelte.

Sie saß im Zimmer auf dem Bett. Ein paar Sachen waren um sie verstreut. Heller Stoff lag in ihren Händen. Das Oberteil roch nach Akira. Das junge Mädchen drückte es fest an seinen Körper.

"Was tust du da?"

Akira war hinter Mayu aufgetaucht. Der Blick der Größeren war wütend. Sofort langte Akiras Hand nach vorn. Grob nahm sie Mayu das Oberteil weg.
 

Das blonde Mädchen nahm Midori die Speisekarte weg.

"Mayu? Was soll das?", fragte dieser.

"Was das soll?", entgegnete sie ärgerlich. "Wenn du Essen bestellst, liegst du mir ja noch länger auf der Pelle. Darauf kann ich verzichten."

"Aber", fing Midori irritiert an, "du hast mich doch zu diesem Treffen eingeladen."

"Ja, und du hast nur angenommen, damit du Yui ausweichen kannst."

Midori senkte den Kopf.

"Hast du Angst vor ihm?", fragte Mayu. Sie ließ ihn jedoch nicht antworten. "Du und dein Schoßhund gehen mir ganz schön auf die Nerven. Lasst die Finger von Akira - alle beide!"

"Was soll das?", setzte Midori wütend an.

"Du wiederholst dich", entgegnete Mayu nur. "Ich will, dass du dich um deine eigenen Angelegenheiten kümmerst." Das Mädchen strich mit der Hand eine blonde Haarsträhne aus ihrem Gesicht. Sie senkte die Hand nicht. Unüberlegt begann sie an ihren Fingernägeln zu kauen.

"Das musst du gerade sagen", antwortete Midori schließlich leise, "du bist doch diejenige, die sich einmischt."

"Dann kannst du mir ja auch sagen, was eigentlich los ist. Was ist dein Problem? Oder kannst du Yui echt nicht ausstehen?"

Energisch schüttelte Midori den Kopf.

"Was dann?", fragte Mayu genervt.

Midori schwieg. Dann hustete er unterdrückt.

Nach einer Weile stellte Mayu fest:

"Was ist das eigentlich? Du bist doch krank, oder? Ist es deswegen?"

Midori blieb stumm.

"Wie schlimm ist es denn?"

Sein Blick verriet es ihr.

Mayu kaute nur noch auf dem Stumpf eines Fingernagels. Ihr Daumen blutete leicht.

"Na ja", sagte Mayu, "ist nicht meine Sache." Sie stand auf.

Zum Abschied winkte sie pflichtbewusst.
 

Akiras Winken war knapp.

Es war Abend. Mayu saß auf dem Bettrand. Sie sah der Größeren nach. Akira folgte Shoko in deren Atelier. Wie immer.

Einige Zeit verging.

Nervös kaute das blonde Mädchen auf seinen zernagten Fingernägeln. Letztendlich erhob sie sich. Nach kurzem Zögern verließ Mayu leise das Zimmer. Sie ging den Weg zum Atelier. Vor der halb angelehnten Tür blieb sie stehen.

"Beuge dich ein wenig nach hinten", hörte Mayu die Stimme ihrer Mutter.

Vorsichtig durch den Spalt spähend erblickte Mayu den nackten Körper Akiras. Shoko wandte der Tür den Rücken zu. Die ältere Frau hielt einen Zeichenblock in der Hand. Akira richtete die Augen zur Decke.

Mayu betrachtete die vom Licht des Mondes beleuchteten weichen Rundungen. Akira hatte einen schlanken Hals. Er ging sanft in Schlüsselbein und Nacken über. Ihre leicht geöffneten Lippen sahen zart aus.

Shoko legte den Zeichenblock zur Erde. Sie ging auf Akira zu.

Mayus Atem verschnellerte sich. Sie kaute unbedacht auf den schon längst wunden Fingern.

"Drück dein Rückgrat mehr durch", diktierte Shoko der Schwarzhaarigen. Sie fuhr mit der Hand Akiras Rücken hinab. Fast unbeabsichtigt berührte sie dabei ihren Po.

Mayu beobachtete alles. Zitternd hielt sie sich an der Türklinke fest.
 

Die Hand auf der Türklinke hielt Yui inne. Aus dem Bad drang ein leises Husten.

Yui drückte die Klinke durch.

"Yui? Geh raus!" Midori stand vor dem Waschbecken. Sein Blick war erschrocken und wütend. Von seinem nackten Körper tropfte warmes Wasser. Rasch wollte sich der Kleinere ein Handtuch aus dem Schrank über dem Waschbecken holen. Er streckte sich. Doch je zuckte er zusammen. Ein heftiger Schmerz kroch von seinen Lungen den Brustkorb hinauf. Midori hustete.

Augenblicklich war Yui bei ihm.

"Was ist los, Midori?", fragte der Blonde. Er hielt seinen Freund an der Schulter fest. Der Blick aus Yuis Augen war starr.

Reflexartig schlug Midori die Hand auf seiner Schulter fort. "Lass das", sagte er nur verlegen. Er schaute zur Erde.

Yui ging jedoch nicht.

Ein scheinbar ewiger Moment verstrich.

"Ich weiß nicht", sagte Yui schließlich, "was das ist." Er machte eine Pause. "Ich denke auch nicht weiter darüber nach, denn eigentlich spielt es doch keine Rolle, oder? Midori?"

"Wovon redest du?"

"Nur meine Gefühle", nuschelte Yui, "der Affekt. Das kann doch nicht falsch sein." Es klang wie eine Frage. Wieder machte er eine Pause. "Egal, wem ich es entgegenbringe. Wozu soll ich mich rechtfertigen?"

"Yui?" Völlig verwirrt sah Midori zu seinem Freund auf. Dieser öffnete seine bis dahin geschlossenen Augen. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen. Es verblasste schnell.

Yui beugte sich vor. Sanft küsste er Midori auf die Stirn und die Lider. Dann liebkoste er dessen Hals. Währenddessen fuhren seine Fingerspitzen die sich abzeichnenden Rippen von Midoris Brustkorb entlang. Der Körper des Kleineren war starr vor Schreck. Er atmete nur stockend. Die Hand des Blonden strich leicht über Midoris Lenden. Dieser zuckte zusammen. Doch sofort drückte Yui seinen gesamten Körper gegen den nackten Leib seines Freundes. Sein Mund suchte Midoris.

In diesem Moment machte sich Midori von ihm los. Er starrte Yui an. Etwas Seltsames lag in seinem Blick. Vielleicht Verzweiflung. Sein Atem ging rasend. Doch er hustete nicht.

Langsam hob Yui die Hand zu Midoris Gesicht. Dieser stieß sie sofort von sich.
 

Der Stoß war hart. Mit einem unangenehmen Lärm fiel Shoko die Stufen hinab. Mayus Augen folgten ihr unbarmherzig.

Schließlich kehrte Ruhe ein. Und Stille.

Shokos Beine lagen halb auf dem unteren Treppenabsatz. Das Gesicht der älteren Frau war nach oben gekehrt. Doch ihre Augen waren verschlossen.

Mayu stand oben. Sie schaute zu ihrer Mutter hinunter. Nichts rührte sich. Nur leicht zeichnete sich ein freudiger Ausdruck auf Mayus Gesicht ab.

Langsam lief Blut von einer unbestimmten Stelle oberhalb des Haaransatzes über Shokos Wange. Shoko war tot. Doch sie atmete noch.

"Bist du gestorben?", fragte Mayu.

Die Frau am Treppenabsatz antwortete nicht. Sie bewegte sich auch nicht.

Nach schier endloser Zeit rührte sie sich jedoch kaum merklich. Ihre Lider zuckten leicht. Dann hörte man ein Stöhnen. Vorsichtig richtete sie sich auf.

"Nur gestürzt", nuschelte Shoko unverständlich, "nur... gestolpert. Bin dann... bin ich nicht runtergestürzt? Wie dumm, dumm von mir."

Das Lächeln auf Mayus Lippen verschwand.

Shoko zuckte zusammen. Im nächsten Moment übergab sie sich auf den Teppich vor den Stufen. Rasch ging Mayu die Treppe hinunter.
 

Akira kam die Treppe des Krankenhauses rasch herauf. Mayu kam ihr entgegen. Die Blonde zwang sich zu einem besorgten Blick.

"Was ist passiert?", fragte Akira

"Sie ist gestürzt."

"Und wie geht es ihr?"

"Gehirnerschütterung. Und eine kleine Platzwunde am Kopf. Der Rest sind nur blaue Flecke. Sie wird wieder."

Beide schwiegen.

Akira musterte Mayu. Diese hielt dem Blick stand. Dennoch konnte sie nicht verhindern an ihren Fingernägeln zu kratzen.

Unvermittelt nahm Akira Mayus Hand in ihre eigene. Sie betrachtete sie mit einem undefinierbaren Blick. Dann küsste sie sanft die Fingerkuppen. Die Augen der Blonden weiteten sich.

"Du hast gehofft, sie stirbt", sagte Akira mit einem seltsamen Ton in der Stimme, "aber es hat nicht gereicht. Sie ist nicht tot."

Schweigen breitete sich wieder zwischen ihnen aus.

Dann sagte Mayu leise:

"Sie hätte dir das nicht antun dürfen. Ich wollte doch nur mit dir allein sein. Dich ganz für mich haben."

Akira zog die Augenbrauen zusammen. Kurz nach dieser Aussage ging sie an Mayu vorbei. Sie warf keinen Blick zurück.

Mayu starrte auf die leere Stelle vor sich.
 

Akiras Sitzplatz in der Schule war leer. Mayu starrte abwesend auf das Pult. Sie hatte es gewusst. Akira würde nicht kommen. Wahrscheinlich blieb sie bei ihnen daheim. Wahrscheinlich wollte sie auf Abstand gehen. Wahrscheinlich machte Mayu ihr Angst.

"Vielleicht hasst sie mich", flüsterte sie gedankenversunken vor sich hin.

"...san!"

"Wie?", rief Mayu aufschreckend. Die Stimme des Lehrers war durch ihre Gedanken gedrungen. War das eben ihr Name gewesen?

"Ja, mit dir rede ich", meinte der Lehrer wütend, "Schlaf nicht im Unterricht. Sonst kommst du mir nach der Stunde nach vorn."
 

"Komm bitte nach vorn", sagte der Lehrer zu Midori, "der Klassensprecher kann dir den Schlüssel für den Raum geben. Aber melde dich später damit im Sekretariat; ich muss noch rasch zu einer Besprechung. Der Klassendienst bleibt leider an dir allein hängen, weil dein Mitschüler krank ist."

"Das ist schon in Ordnung. Es macht mir nichts", entgegnete Midori lächelnd.

"Midori!"

Der Dunkelhaarige drehte sich um. Sein bester Freund stand hinter ihm. In Yuis blauen Augen lag ein Ausdruck der Verzweiflung.

"Warum gehst du mir aus dem Weg?"

"Das fragst du noch?", flüsterte Midori energisch zurück. Die Verzweiflung wich nicht aus Yuis Gesicht. Midori hielt inne. Er hatte ein bedrückendes Gefühl im Magen. Als könnte er seinen Freund nicht mehr erreichen. Als würde Midori meilenweit hinter ihm zurückliegen. Ihn nicht mehr einholen. Und ihn für immer verlieren.

Etwas freundlicher sagte er dann:

"Hör zu... das geht so nicht. Ich kann einfach nicht, verstehst du, Yui? Bitte... sei vernünftig."

Yui schien nicht zu verstehen. Auch Vernunft schien er nicht zu verstehen.

"Geh bitte", sagte Midori schließlich. Damit wandte er sich an einen anderen Schüler. Dieser hielt bereits den Schlüssel für den Klassenraum in der Hand.
 

Mit dem Schlüssel in der Hand schloss sie die Glasvitrine auf.

"Diese beiden Stücke sind sehr schlicht, aber sehr schön."

Die rot lackierten Fingernägel hielten Mayu ein kleines Samttablett mit zwei einfachen Silberringen entgegen.

Mayu überlegte. Sie musste Akira alles erklären. Das durfte sie nicht zulassen. Akira sollte sie nicht hassen. Akira brachte sonst solche Zuneigung für die Blonde auf. Als wären sie echte Geschwister. Aber Mayu wollte keine Schwester. Sie wollte Akira. Ganz und gar. Nicht als Schwester. Auch wenn diese das nicht wollte. Aber irgendwann.

"Ja, die nehme ich."

Froh über ihren Entschluss verließ Mayu den Laden. Die Glocke über dem Eingang klingelte hell.
 

Das Klingeln klang hell durch die Wohnung.

Akira lief die Treppe hinunter. Vor der Eingangstür stand Yui auf dem rostigen Eisenfußabtreter.

"Ich wusste nicht, wohin", sagte er leise.

"Yui...", meinte Akira. Ohne weitere Worte ließ sie ihn eintreten.

Still schweigend saßen sie darauf im Wohnzimmer auf demselben Sofa. Sie sahen sich nicht an. Letztendlich begann Yui zuerst zu reden.

"Ihr beide... Warum läuft Midori mir davon? Lässt mich allein, als wollte er mich nicht mehr? Das ist nicht wahr, aber vielleicht ja doch. Ich möchte ihn doch immer bei mir haben. Wer bin ich sonst?"

Akira verstand Yuis Worte nicht ganz. Aber sie sagte besser nichts. Sonst verletzte ihn das vielleicht.

"Er darf mir nicht weglaufen", fuhr er fort, "weil ich ohne ihn nichts bin. Ohne euch beide. Aber bei ihm..."

Yui redete nicht weiter.

"Von manchen Menschen", erwiderte Akira schließlich, "ist die Liebe irgendwie zu kompliziert. Oder zu einfach. Ich weiß es auch nicht."

Beide schwiegen.

"Man kann doch nicht", fuhr sie fort, "solche unüberlegten Sachen tun. Den Anderen mit Dingen erdrücken, die ihm etwas beweisen sollen, die ihn aber einfach in die Enge treiben."

Yui sagte nichts. Er wusste nichts zu antworten. Sonst verletzte er sie vielleicht.

"Ich kann einfach nicht mehr."

Sie sprachen diesen Satz gleichzeitig aus. Doch keiner von beiden bemerkte das.

Schließlich sah Akira zu Yui hinüber. Sie erhob sich. Vor ihm ging sie auf die Knie. Mit der Hand strich sie weich den Weg seiner Tränen auf den Wangen nach. Dann küsste sie ihn auf die Lippen. Er wich nicht zurück. Er hob nur ebenfalls die Hand. Ohne einen Gedanken fuhr er unter Akiras Shirt. Yui fand die Haut des Mädchens angenehm weich.

"Ich habe", seufzte Yui leise, "Midori so lieb."

"Ich weiß", entgegnete Akira. Sie zog Yui sein Shirt über den Oberkörper. Er tat es ihr gleich.

Einige Minuten später lagen sie bereits auf dem Sofa.

"Irgendwie glaube ich..." Yui unterbrach sich. Nach einem kurzen Kuss von Akira sprach er weiter. "Irgendwie glaube ich, dass Midori mich gar nicht sieht. Er dreht sich einfach nicht um. Er ist schon so weit weg."

Die Sachen der beiden Jugendlichen lagen auf dem Boden neben dem Sofa. Nach einer Weile sagte Akira:

"Ich liebe auch jemanden."

"Liebe?", fragte Yui irritiert.

"Ja", meinte Akira nur, "Liebe."

In diesem Moment fiel die Wohnungstür zu.

"Akira, ich bin wieder da!", rief Mayu.



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