Kapitel 10
Das Gefühl, das er verspürte, war unerträglich. Unbekannt. In solch quälender Intensität völlig fremd. Es zerfraß sein Innerstes wie ein tödliches Krebsgeschwür. Wut und Hass - er hatte geglaubt, Gefühle solcher Art waren es, die Menschen in den Wahnsinn, an den Rand des Abgrunds trieben.
Er hatte geglaubt, ein schlimmeres Gefühl könne es nicht geben. Doch er hatte sich getäuscht.
Noch einmal zog die vergangene Stunde an ihm vorüber. Es konnte nicht geschehen sein. Noch einmal jagte ihn die Vorstellung, seine Eingeweide würden sich unnatürlich ineinander verknoten, unter dem dadurch verursachten Druck zerplatzen und in seinem Inneren ausbluten.
Jeder einzelne Moment brannte sich in sein Gedächtnis ein.
Alles. Jede unerwartete Bewegung, jedes sich in ihn bohrende Wort, jede qualvolle Sekunde lag vor ihm wie ein grauenhaftes Bild, das er nie hatte sehen wollen. Er selbst lag vor sich. In einer Lache - seinem eigenen Blut. Es zog sich rot aufflammend wie ätzende Säure durch sein Dasein und hinterließ einen tiefen Riss. Im ganzen Leben hatte er sich noch nie so ohnmächtig gefühlt.
Es durfte nicht geschehen sein. Er war als das Vorbild seines kleinen Bruders immer stark und beherrscht gewesen. Jeder hatte ihn bewundert. Er hatte, als das beste aller Sacrifices seiner tatsächlichen Makellosigkeit wegen über Jedem gestanden.
Unbesiegbar.
Unberührt.
Unerreicht.
Unsterblich.
Bis man ihm innerhalb einer einzigen Stunde alle Ehre geraubt und seinen Stolz gebrochen hatte.
Es schien so unwirklich - kaum fassbar. Er hatte es nie auch nur in Betracht gezogen. Und nun hatte es ihn getroffen und zerstört. Wie sollte er seinem Fighter je wieder in die Augen sehen können?
Nach allem, was er gesagt hatte?
Nach allem, was er getan hatte?
Es war unmöglich. Er sah vor seinem inneren Auge leise Verachtung in das leuchtende Grün fließen. In das gebrochene Stahlblau. Das tiefblaue Violett. In den Augen der ganzen Welt konnte er Verachtung lesen. Sie war wie eine Sprengmine, auf die er hatte treten müssen, als man ihn brutal und ohne Gnade in ihre Richtung gestoßen hatte.
Es war vorbei.
Das Bild des stolzen, kühlen Sacrifices war übermalt, zerknüllt, zerrissen und zerfetzt. Was ihn ausgemacht, ihm seinen distanzierten, überlegenen Charme erlaubt hatte, war zerbrochen wie eine Porzellanpuppe.
Er selbst war zerbrochen. Seine Würde hatte ihm ins Gesicht geschlagen. Ihn angespuckt und sich mit echoendem Hohngelächter von ihm abgewandt. Wie hatte ihm die Kontrolle derart entgleiten können? So schnell?
Es war wie ein Alptraum. Sein Selbst lag in Trümmern vor ihm, während sich bleierne Schwere durch seinen Körper zog.
Nie wieder konnte er Nisei in die Augen sehen.
Er war nicht nur geschlagen. Er war entwürdigt. Unterworfen.
Gedemütigt. Zerstört.
Die ihn durchglühende Scham narkotisierte ihn. Betäubte selbst den körperlichen Schmerz. Sie war das schlimmste Gefühl, das er jemals hatte ertragen müssen.
Er konnte und würde seine Waffe nicht wieder sehen.
Nie wieder.