Albtraum
Ich sehe sie…
Egal wo ich hingehe, ich sehe nur sie. Ihr Haar. Ihre Augen. Ich sehe ihren mackelosen Körper, wie sie ihn bewegt. Wie sich ihr Haar um ihre Hüfte legt.
Ich höre sie…
Jeder Windhauch ist für mich wie ihre zarte Singstimme, die in mir widerhallt. In mir, die leere Hülle. Ein Hauch des Selbst, das ich einmal war. Vor langer Zeit. Ich höre ihr Lachen, so zuckersüß und gellend klar.
Ich rieche sie…
Ihr Geruch hängt überall in der Luft. Egal wo ich hingehe, ihr Duft hängt in meiner Nase. Dieser für mich unbeschreibliche Duft, der mich einst verzaubert hatte. Wo ich ein Mensch gewesen war. Einst…
Ich spüre sie.
Ihre Gefühle scheinen ein Teil von mir zu sein. Ich spüre sie, egal was ich tue. Egal wo ich bin. So, als wäre ich sie. So, als würde ich ihr gehören. Für immer.
Es ist ein Albtraum. Eine Qual.
Ich will sie nicht sehen. Nicht hören. Nicht riechen. Nicht spüren. Und doch kann ich ihr nicht entfliehen. So als würden mich Fesseln an sie binden, die sie einst knüpfte, als sie mein Ende besiegelt hatte.
Meinen Tod.
Oder doch ein Anfang? Ich glaubte einst, dass es so war… Es ging etwas zu ende, jedoch ging mein Leben… nein, wenn ich recht bedenke, ist das hier kein Leben… jedoch ging meine Existenz mit dem ersten Sonnenstrahl wieder auf und erglühte in ihrer Schönheit. Es wäre fast so, als würde ein Regentropfen die Wolken teilen, einsam fliegen, durch die Luft, so schwer zu durchdringen, das man glaube, es nicht schaffen zu können. Diese Dunkelheit durchdringen zu können. Diesen Schmerz. Alles ist verlangsamt, und doch geht alles zu schnell.
Wenn der Tropfen auf die Erde fällt, einsam, und in tausende Diamanten zerspringt… So ist es doch, oder?
Nein… ich will es nur so sehen… Daran glauben. Daran festhalten.
Leben.
Doch so sehr ich mich bemühe, es ist nicht wie früher… Und es würde nie wie früher sein.
Wegen ihr.
Mein Albtraum, der zu mir gehört, wie das Haar zu meinem Kopf. Wie die Haut über meine Muskeln. Wie das tote Herz in meiner Brust. Es gehörte zu mir. Und es war so schwer es loszuwerden.
Ihre Augen.
Ihre Stimme.
Ihre Gefühle.
Sie.
Maria.
Ich renne.
Oh, ich versuche es so sehr. Fortzurennen. Sie vergessen.
Leben.
Nicht sterben. Leben.
Doch wieso geht es nicht?
Wieso zerbricht das Leben in meinen Händen, wenn ich es berühre? Wenn ich danach greife und es halten will. Für immer. Es bereitet mir Schmerz zu sehen, wie ich den Menschen weh tue. Wenn ich sie berühre… Wenn mein Blick auf ihnen liegt.
Und ich es mir vorstellen muss.
Wie fest der Drang nach leben auch sein mag. Etwas in mir ist stärker.
Der Durst.
Der Durst nach Blut.
Menschenblut.
Jedes Mal aufs Neue beuge ich mich vor, streiche das zarte Haar zurück, das auf der Schulter der Frau wie Seide hinab fließt und ihr Gesicht zart umrundet. Sie denkt, dass ich ihr etwas zuflüstern will. Still. Leise. Geheim. Eine Gänsehaut überfällt sie, als ich meine Lippen auf ihren zarten Hals lege. Sie schmecke. Oh, sie schmecken immer so süß. So verlockend. Verführerisch. Ich spüre den schnellen Puls. Es berauscht mich, taucht mich in ein unsichtbares Tuch und trägt mich in die sinnliche Welt, die ich verabscheue und doch liebe zugleich. Ich öffne meinen Mund…
Und gebe ihr den tödlichen Kuss…
Oh, ich renne. Ich renne fort. Weg! Bloß weg!
Ich muss hier weg… Weg von diesen Fantasien. Vor Maria. Vor dem Durst, der mich beherrscht.
Ich will es doch so sehr!
Wieso geht es dann nicht?
Ich bin verloren. Es ist vorbei.
Ich bin allein.
Ich habe versagt.
Die Leere verschluckt mich…