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Waterheart (adult)

von

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Ein Weg ohne Ziel

Für die Probleme, die Hay Lins Ausraster mit sich gebracht hatte, wurden zum Glück schnell Lösungen gefunden: Lattich zog vorübergehend in die Schale eines alten Vogelbades, das Irma mit Hilfe ihrer Mutter ausdekorierte; und Will verbrachte den Rest der Zeit bis zum Abendessen, in Irmas Zimmer herumzukriechen und die verschwundenen Blätter zusammenzuklauben. Ihr Haargummi fand sich schließlich unter der rollbaren Kommode neben dem Bett.

Die kleinen Schäden am Fensterrahmen und am Putz versprach Irmas Vater noch vor dem Zubettgehen auszubessern.

Nichtsdestotrotz verlief das gemeinsame Abendessen dann doch noch in Ruhe und Frieden. Will, die derlei Ereignisse nicht mehr gewohnt war, passte sich hervorragend in den Familienkreis ein und langte bei den Putensteaks mit Rahmsoße und Preiselbeersahne, die Irmas Mutter auftischte, herzhaft zu.

Verglichen mit der Kochkunst zuhause, die ihre Mutter auch zwei Monate nach ihrer Heirat mit Dean Collins nicht sonderlich hatte ändern können, ging es hier echt paradiesisch zu.

Zum Nachtisch gab es die geplanten Vanilleeisbecher, freilich mit Erdbeerstücken statt mit Brombeersoße, und weil Miss Lair nicht allzu viele davon zur Hand hatte, musste Will sich mit Irma häufig um die schönsten und größten Stücke raufen. Ihr ständiges Gekicher und Geschnatter ging Christopher irgendwann so auf die Nerven, dass er den Appetit verlor und seinen Becher stehenließ, um an seinen Computer zurückzukehren.

„Das nennt man die ‚Abendliche Schlachtplatte’!“ erklärte Irma ihrer Freundin, nachdem sie auch diesen Becher radikal ausgeleert hatten. „Ich will ja nicht angeben, aber ich bin eine wahre Meisterin darin.“

„Glaub ich dir auf’s Wort,“ grinste Will und kratzte mit dem Löffel die letzten Eisreste vom Becherrand ab. Von ihren gewaltigen Kopfschmerzen war nicht mehr das Geringste zu spüren. Es ging ihr besser als jemals zuvor. „Aber da wir nun fertig sind… was wollen wir mit dem Rest des Abends anfangen?“

Sie beschloßen, noch eine Weile raus in den Garten zu gehen, um den warmen Sommerabend zu genießen.

Keine Frage, dass das Irmas Plänen hervorragend entgegen kam! Der Himmel war von einem dämmrigen Blau, in dem dünne, golden scheinende Federwolken schwebten, und der Sonnenuntergang präsentierte sich selbst für sommerliche Maßstäbe atemberaubend.

Alles hätte so schön sein können… hätte nicht Will plötzlich angefangen zu reden. „Was meinst du, was das Ding von vorhin war?“

Irma, die sich innerlich bereits auf das Händchenhalten eingestellt hatte, schreckte hoch. „Wie? Welches Ding?“

Will verdrehte die Augen. „Spiel nicht die Ahnungslose! Ich war fast blind vor Kopfweh, aber sogar ich hab diese seltsame Luftschlange gesehen.“

„Cool, Luftschlangen,“ sagte Irma zwinkernd. „Ist denn jetzt schon wieder Partysaison?“

„IRMAAA!“

„Ach so, du meinst diesen netten, kleinen Tornado, der mein halbes Zimmer in Schutt und Asche gelegt hat! Ja, an den hab ich überhaupt nicht mehr gedacht!“

„Bitte, Irma, das ist nicht komisch! Dieser Wind hatte keine natürliche Ursache, das musst sogar du zugeben! Noch dazu hat das Herz von Kandrakar aufgeleuchtet! Ich schätze mal, das ist ein kleiner Vorgeschmack auf unsere nächste Mission!“

„Und die muss natürlich mit einem Knalleffekt beginnen, und wie immer ohne Vorwarnung!“ Irma seufzte. „Manchmal würde ich dem Orakel echt gerne den Hals umdrehen.“

„Ich glaube nicht, dass er etwas damit zu tun hat. Vielleicht ist das auch einfach ein magisches Problem unserer Welt, so wie mit dem Ragorlang!“

„Muss es wohl sein!“ murrte Irma. Sie konnte ja nicht herausposaunen, dass Hay Lin dahinter steckte. „Aber bitte, Will, können wir damit bis nach dem Aufsatz warten? Das macht mir jetzt bei weitem mehr Sorgen!“

Will nickte verständnisvoll. „Gu, wir besprechen das dann am Donnerstagnachmittag im Hauptquartier! Allein können wir beide sowieso nichts ausrichten. Und solange bis dahin nichts passiert…“

„Danke,“ flüsterte Irma, während sie gleichzeitig versuchte, ihre Finger möglichst unauffällig in Wills herabhängende Hand zu schieben. Seltsamerweise schien Will aber im gleichen Moment beschlossen zu haben, die Arme hinter dem Kopf zu verschränken und sich in einen Gartenstuhl sinken zu lassen.

Widerstrebend setzte Irma sich neben sie, im Gegensatz zu ihr jedoch ziemlich lustlos.

Eine Weile sagte keiner von ihnen irgendetwas. Dann sagte Will, die bisher ruhig atmend in den Himmel hinauf gestarrt hatte: „Hast du eigentlich schon darüber nachgedacht, was du später einmal machen willst – als Beruf?“

Ihre Freundin stöhnte auf. „Momentan denke ich nur darüber nach, ob es überhaupt ein Leben nach dem Donnerstag gibt - schwer zu glauben, aber wahr!“

Diese Antwort genügte Will ganz und gar nicht. „Du hast dir doch bestimmt schon einmal Gedanken darüber gemacht!“ beharrte sie neugierig. „Es ist nur… meine Mutter spricht mich ständig darauf an, wenn es mit meinen Noten nicht zum Besten steht! Das muss bei deinen doch auch so gewesen sein, oder?“

Irma nickte langsam und unwillig. „Sogar regelmäßig! … Und ich habe nicht einmal den Hauch eines Schimmers, was ich ihnen sagen soll!“

„Aber… hattest du nicht irgendwann einen Traumberuf?“ fragte Will weiter. „Irgendetwas, was du dir gerne erfüllen würdest, selbst wenn es noch so unwahrscheinlich ist?“

„Das ist gar nicht so einfach zu beschreiben!“

„Versuch es trotzdem!“

„Nun ja… ganz früher mal, als es in der Schule noch nicht so daneben ging… da wollte ich Sängerin werden!“

„Sängerin… warum denn nicht?“

Irma seufzte. „Es gab keinen Schulchor, in dem ich kostenlos hätte singen können, und Gesangsunterricht konnten sich meine Eltern nicht leisten! Das bisschen Gekrächze, was ich heute noch kann, reicht gerade so, um Karmilla-Songs mitzusingen, zu mehr aber auch nicht!“

„Ich wette, du kannst noch mehr!“ entgegnete Will. „Ich habe dich heute auf dem Weg zur Eisdiele ein paar Lieder aus dem Musical summen hören. Das klang richtig gut!“ Sie rückte näher heran, und legte die Hände auf Irmas Unterarm, der halb auf eine Stuhllehne gebettet vor ihrer Brust baumelte. „Du solltest es mal laut probieren!“

Irma wurde rot und stotterte unter ihrer Berührung: „I-ich? Bist du dir da absolut sicher?“

„Ja! Ich könnte mir vorstellen, der Song, den Lysander als Gute-Nacht-Lied für Hermia benutzt hat, könnte gut zu deiner Stimme passen, wenn du ihn ein bisschen tiefer singst!“

‚Oh Gott, warum ausgerechnet ein Liebeslied?’ dachte Irma bestürzt. ‚So weit bin ich doch noch gar nicht.’ Aber dann sah sie in Wills riesige, erwartungsvolle, braune Augen… und wusste auf einmal, dass, wenn sie schon ein Liebeslied vortragen musste, sie es ganz alleine für Will tun wollte.

‚Nimm’s leicht!’ sagte sie sich. ‚Vogelmännchen müssen schließlich auch für ihre Weibchen singen, bevor sie mit ihnen vö… schniebeln dürfen.“

„Ich würde es wirklich gerne hören,“ beharrte Will weiterhin.

„Okay… aber versprich mir, dass du nicht lachst!“

„Dazu werde ich gar keinen Grund haben,“ sagte Will lächelnd und lauschte gespannt.

Die selbstsichere Art, mit der ihre Freundin das sagte, beeindruckte Irma. Entweder war sie sehr vertrauensselig… oder sie wusste tatsächlich, worauf sie sich da einließ.

Nun gut, dann musste sie aber auch alle Konsequenzen tragen.

Irma räusperte sich noch ein-, zweimal, schluckte die Nervösität herunter und fing dann leise an, die erste Strophe zu singen:
 

„Sind der Schrecken auch so viel an der Zahl,

Lässt die Nacht auch keinen Frieden dir,

Du musst schlafen jetzt, als gäbe es kein anderes Mal!

Nimm den letzten Kuss darum alleine von mir!
 

Schlafe eeein!

Lass die Liebe wachsen wie ein Baum!

Nimm zum Partner dir den Traum,

Doch lass mich bei dir seeein!
 

Schlafe eeein!

Ich bin da, wenn du erwachst!

Bleib mir treu nur diese Nacht,

Dann wird’ ich bei dir seeein!

Bei dir seeein…
 

Leise verklang die letzte Oktave ihres Gesangs in der Abendluft, und ihre Augen, vorher in Konzentration zusammengezogen, öffneten sich und blickten zu Will hinüber. "Und?" fragte sie nach einer Weile.

Will, deren Gesicht auf einmal sehr viel blasser wirkte als zuvor, schluckte. „Das war aber nicht der zweite Vers, wie er im Stück vorkam!“

Ein leichter Rotschimmer glitt über Irmas Wangen, doch sie hatte sich einigermaßen unter Kontrolle, so dass nicht mehr daraus wurde. „Ja... aber diesen Vers könntest du benutzen, wenn du das Lied Matt vorsingen möchtest!“

„Entschuldige, aber ist das nicht ein bisschen zweideutig?“ fragte Will skeptisch. „Das ist ja grade so, als würde ich ihm vorwerfen, er würde mich noch nicht genug lieben.“

„Ich bin sicher, den Teil wird er gar nicht richtig mitbekommen,“ sagte Irma verträumt und wickelte eine ihrer Locken um ihren Finger – eine Bewegung, die Will gerade auch durchführt hatte, jetzt aber abbrach, als sie die Übereinstimmung bemerkte.

Gedankenvoll schaute sie Irma an, doch ihr Bemühen, allein aus diesem Anblick schlau zu werden, scheiterte kläglich.

Stattdessen musste sie sich die Frage stellen, ob Irma wirklich ehrlich zu ihr wahr… zu ihr und zu sich selbst…

Sie berührte Irma noch einmal am Unterarm, nahe der Falten in ihrem Ellbogen, und nur kurz, vielleicht einen winzigen Augenblick lang, fühlte sie einen leichten Schauer, der Irmas Haut mit einer flüchtigen Gänsehaut überzog.

„Und du, Will?“ fragte die Wächterin des Wassers schüchtern, als ob sie etwas von Wills Befürchtungen ahnte. „Was willst du später einmal machen?“

„Ich schätze, irgendetwas mit Computern, so wie Mum,“ antwortete Will ruhig, ohne Irmas Unterarm aus den Augen zu lassen, „Wahrscheinlich mache ich einen Computerfachhandel auf, dann kann ich die kaputten Rechner immer gleich fragen, was mit ihnen nicht stimmt, wenn mir jemand einen in den Laden bringt.“ Sie schob ihren Daumen prüfend über Irmas Haut, die leicht gebräunt und nur mit wenigen, einzeln stehenden Leberflecken verziert war. Dann griff sie nach Irmas Hand, hob sie empor und strich mit den Fingern nachdenklich über ihre Handlinien.

„Oder ich übernehme Mr. Olsens Zooladen,“ fuhr sie dabei fort. „Er hat angeboten, mir vor seinem Tod die Eigentumsrechte zu überschreiben, dann könnte ich ihn zusammen mit Matt weiter betreiben. Natürlich sollte das nur eine Notlösung sein,“ fügte sie hinzu. „Er hat über die Jahre einiges an Schulden gemacht, und wenn ich den Laden genauso selbstlos führen wollte wie er, könnte ich die nie und nimmer abbezahlen.“

„Tschuldigung, aber ich kann mir dich sowieso nicht hinter einer Ladentheke vorstellen,“ kicherte Irma. „Eine Anführerin wie du sollte Präsidentin werden, oder Managerin! Damit könntest du das richtig große Geld machen!“

Doch Will lehnte diese Idee mit einem Kopfschütteln ab. „Da kann ich meine Seele auch gleich dem Teufel verschreiben!“ lachte sie. „Nein… als Verkäuferin in dem Laden habe ich mich eigentlich sehr wohl gefühlt. Mein Beruf sollte schon meinen Interessen entsprechen!“

„Und zur Not kannst du ja immer noch Schriftstellerin werden, eine Romanreihe herausbringen und Milliarden verdienen,“ flachste Irma.

Sie spielte damit auf eine Zukunftsvision an, die das Orakel den Wächterinnen vor einiger Zeit vorgestellt hatte, und Will hatte darin genau dieses seltsame Schicksal verpasst bekommen.

Die Hüterin des Herzens lächelte verlegen, als sie daran dachte, doch es war nur ein halbherziges Grinsen. Die Schriftstellerkarriere war der einzige Lichtblick gewesen, den ihr diese Prophezeiung offenbart hatte. „Du hast das Orakel gehört: es gibt keine Garantie, dass es tatsächlich so eintritt!“ sagte sie schließlich nüchtern.

Irma nickte anerkennend. „Welche Voraussage hast du denn parat, meine kleine Handleserin?“ fragte sie dann verschmitzt.

„Maaaal sehnnn!“ verkündete Will und tippte gut gelaunt auf Irmas Handbergen herum wie sonst auf einem Taschenrechner. Schließlich gab sie kund: „Wie ich mir dachte: ein stattlicher Ehemann mit blondem Igelschnitt, Heerscharen von Kindern und ein trautes Heim im Grünen.“

„Na prächtig! Und ich sehe auf deiner Handfläche…,“ sie studierte kurz Wills schlanke Greifinstrumente, „…dass du mächtig hungrig bist und auf die größte Mahlzeit noch einen Nachschlag brauchst!“

Will lachte auf. „Das hört sich aber eher nach dir an!“

„Bei dir bezieht es sich auf einen… ganz speziellen Fall,“ sagte Irma geheimnisvoll. Ihre großen, türkisblauen Augen zwinkerten Will zu und zeigten ihr an, dass es etwas von umheimlich privater Natur sei.

Ihre Freundin erblasste.

Die Fragen in ihrem Kopf machten auf einmal eine unvorhergesehene Kehrtwendung und drehten sich nun um ihre eigene Befindlichkeit.

Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann…

… ja, dann wollte sie es.

Sie folgte Irmas Blick, zwängte sich bedächtig von ihrem Stuhl herunter unter die Platte des Gartentisches und zog ihre Freundin mit sich. Dort angekommen legte sie die Arme an ihre Hüften und küsste sie, wie zur Probe, leicht auf die Lippen.

Es schmeckte immer noch so gut wie beim letzten Mal, nicht einmal ihre Bedenken hatten etwas daran ändern können.

Widerstandslos ließ sie sich von Irma die kurzen Hosen abstreifen und in das kühle Gras drücken.

Es war ein gefährliches Spiel… aber es machte Spaß.
 

Als sie eine Stunde später ins Bett mussten, war bereits ein fahler Halbmond am Himmel erschienen, und das dämmrige Licht begann, seltsame Schatten auf ihre Gesichter zu malen.

Will war schon kurze Zeit später eingeschlafen, doch Irma blieb noch lange wach liegen und starrte in den schwarzen Nachthimmel hinauf, wie sie es in letzter Zeit öfter tat.

Sie musste noch immer an die vergangene Stunde denken, die sie zusammen mit Will unter dem Gartentisch verbracht hatte. Es war traumhaft gewesen.

Diese Küsse… diese Bewegungen... diese Berührungen…

Nur in Slip und T-Shirt gekleidet hatten sie sich umarmt, geküsst und den Körper des Anderen quälend langsam abgetastet. Mehr als einmal waren Irmas Hände zu den Ansätzen von Wills Brüsten gewandert, hatten aber immer kurz vorher kehrt gemacht, weil sie allein der Gedanke, Wills Brüste anzufassen und mit ihren Brustwarzen zu spielen, überwältigte.

Verdammt, der bloße Anblick hätte sie vermutlich ins Koma fallen lassen!

Aber Will… mehr als einmal hatte es sich so angefühlt, als kenne sie solcherlei Bedenken nicht. Sie hatte ihre Finger immer wieder über Irmas Hintern gleiten lassen, ihre nackten Schenkel und ihren Bauch gestreichelt, und sogar ihre Halswurzel geküsst, in jenem schmalen Bereich, wo der Übergang zu den Brüsten fließend war.

Zum ersten Mal war Irma sich selbst bewusst gewesen, wie gleichmäßig die Fettschicht auf ihrem Körper verteilt war: es gab praktisch keine Rettungsringe an ihr, alles war straff über die Muskeln gelegt und gab ihren Rundungen eine wunderbar geschwungene Note.

Zum ersten Mal glaubte sie, wirklich begehrenswert zu sein.

Halb wünschte sich Irma, sie beide hätten auch den letzten Schritt getan, sich sämtliche Hüllen vom Leib gestreift und sich geliebt, wie noch nie zuvor ein Mädchen ein anderes geliebt hatte.

Aber die Stimme von Miss Lair hatte sie jäh in die Wirklichkeit zurückgerufen. Es würde langsam kalt und sie sollten nur ja reinkommen, bevor sie sich noch erkälteten.

Ein bisschen gab Irma ihr ja Recht. Nach der ganzen Hitze, die sich die beiden gegenseitig erzeugt hatten, wäre eine allzu schnelle Abkühlung reines Gift gewesen.

Das Schlimme an dieser Sache war nur, dass sich bis jetzt noch keine Gelegenheit ergeben, das Geschehene fortzusetzen. Die zwei Mädchen hatten sich gewaschen, die Zähne geputzt und dann gemeinsam in Irmas Bett gelegt…

…um noch eine Weile zu lesen.

‚Shakespeare in Prosa’ war nicht unbedingt Irmas Vorstellung von erotischer Bettlektüre!

Vor ein paar Minuten hatte dann Will ihr Buch weggelegt, ihrer Freundin einen Kuss auf die Stirn gehaucht und war eingeschlummert, ohne die Geschehnisse der letzten Stunden noch ein einziges Mal erwähnt zu haben.

Für Irma war das schlicht und einfach unbegreiflich: sie beide hätten vielleicht den besten Sex ihres Lebens haben können (in Wills Fall sogar den Allerersten ihres Lebens, wenn sich Irmas Vermutungen über sie als wahr herausstellten), aber stattdessen hatten sie an der besten Stelle aufgehört!

Das half natürlich überhaupt nicht, ihre innere Sehnsucht zu befriedigen. Auch jetzt, mitten in der Nacht, konnte sie ihre Augen nicht von Wills kleinen, runden Brüsten losreißen… von ihrem weißen Hals… ihrer Apfelsinenhaut… ihren perfekt abgerundeten Schultern…ihrem weichem, roten Haarvorhang, in dessen Tiefen allein man schon für Stunden eintauchen konnte...

Aber sie durfte es nicht. Will aus dem Schlaf zu reißen und derart zu verführen, war das Schlechteste, was sie momentan tun konnte!

Doch das änderte nichts an ihrem Begehren, das sie wie so oft in letzter Zeit, nicht einschlafen ließ.

Halb dachte sie schon daran, nun doch ein wenig zu masturbieren, um diese Unruhe zu beenden, als Will sich im Schlaf herumdrehte und ihr friedlich schlummerndes Gesicht Irma zuwandte. Ihr Blick flog beinahe sofort zu ihrem schlanken Hals, zu der leicht pochenden Vene der Halsschlagader und dem unbewegt daliegenden Schlüsselbein.

Wie in Trance schwebten Irmas Finger zu Wills Ausschnitt hin und knöpften ihn der Reihe nach auf. Er ging fast bis übers Brustbein und gab, sobald er geöffnet war, einen wunderbaren Anblick preis, der nicht mehr allzu viel versteckte.

Mit mühsamer Zurückhaltung näherte sich Irmas Mund der breiten Einbuchtung zwischen Wills Brüsten und setzte einen leichten Kuss darin ab, der ihre Lippen noch Minuten später wie Feuer brennen ließ.

Will seufzte leise. Ihre Miene, die vorher noch Unbehagen über die große Hitze unter der Decke ausgedrückt hatte, entspannte sich und wurde fast genießerisch, und so fühlte sich Irma praktisch genötigt, noch weitere zarte Küsse auf Wills Oberkörper zu verteilen und jedes mal die süße Haut zu schmecken, den hinreißenden Duft zu riechen und den klangvollen Herzschlag zu hören, alles, was diesem einen Augenblick seine prickelnde Erotik gab.

Doch urplötzlich wurde die nächtliche Stille im Haus von einem lauten Knarren zerrissen.

Irma erschrak und drehte sich schnell wieder zum Fenster hin.

Ihre Befürchtung, Will könnte aufwachen, blieb zum Glück grundlos. Dennoch fuhr Irma ein kalter Schauer über den Rücken, als ein zweites Geräusch, diesmal ein krachendes Pochen, erklang.

Seltsamerweise schien niemand darauf zu achten. Es folgten keine weiteren Geräusche, keine schnellen Schritte oder Fragen wie „Wer ist da?“

Eigentlich eine Schande, wenn man bedenkt, dass ihr Vater behauptete, immer mit einem offenen Ohr zu schlafen!

Es brachte nichts: Irma musste selbst aufstehen und nach dem Rechten sehen.

Leise schlüpfte sie in ihre Pantoffeln und ging auf den Flur hinaus. Vorsichtig ließ sie ihren Blick den Korridor entlang schweifen.

Es gab schon mal keine offenen Türen und auch keine Schatten, die sich die Treppe hinaufbewegten.

Das beruhigte Irma: das Letzte, was sie jetzt wollte, war ein Einbrecher.

Die Geräusche kamen anscheinend aus dieser Etage.

Irma schob sich bedächtig weiter, vorbei an Christophers Zimmer, aus dem ein leichtes Schnarchen ertönte, bis zu einer weiteren verschlossenen Türe.

Da erschallte ein drittes Geräusch, und es schien direkt hinter dieser Tür hervorzukommen.

Es war die Tür des angeblich unbenutzbaren Gästezimmers.

Mit fiebriger Anspannung in der Magengegend schlich Irma in ihr Zimmer zurück und holte aus den Seiten ihres Tagebuchs einen Schlüssel hervor, den sie dort versteckt hatte.

Diesen steckte sie in das Schüsselloch des Gästezimmers und drehte ihn herum. Lautlos schwang sie die Tür auf und trat ein.

Das Zimmer war beinahe so groß wie ihr eigenes, hatte ein eigenes Waschbecken und ein größeres Fenster mit richtigen Fensterladen. Warum dem Architekten des Hauses etwas Derartiges nicht auch bei den anderen Zimmern eingefallen war, blieb Irma rätselhaft, aber im Moment scherte sie sich auch nicht drum.

Vor ihr auf dem vollkommen intakten Bett lagen eine grüne Sportjacke und eine kahl gerupfte Margerite, deren Blütenblätter überall im Zimmer verstreut waren. Jetzt waren nur noch drei Blütenblätter übrig… ganz so wie bei diesem alten Abzählvers, den sie wie jeder andere Mensch irgendwann mal aufgesagt hatte.

Eine kalte, einschneidend leise Stimme ertönte in ihrem Rücken. „Interessant, wie leer es hier ist, meinst du nicht auch?“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  PrincessLia
2009-06-14T15:54:19+00:00 14.06.2009 17:54
Also die beiden Kapis waren echt der hammer ^^
Waaa irwie tut mir irma grad leid xD
okay ich freu mich schon richtig aufs nächste kapi :3

lg des Linchen
Von:  Tombstone
2009-06-14T09:29:30+00:00 14.06.2009 11:29
Zwei sehr gelungene Kapitel muss ich sagen. Ich freu mich schon aufs nächste und hoffe, du lässt dir nicht zuviel Zeit damit. Eine Frage stelle ich mir aber doch: Was ist ein Ragorlang, oder Ragorlang überhaupbt? Wenn es was aus dem Magazin ist, dann kann ich es nicht kennen.

MFG
BlueGhost_89


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