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Waterheart (adult)

von

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Ein Nachmittag mit Will(iam)

Was im letzten Kapitel geschah: Auch Taranee weiß nun über Hay Lins und Irmas heimliche Beziehung Bescheid, aber im Gegensatz zu Cornelia ahnt sie, dass dieses noch schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen könnte. Während sie und ihre Freundinnen verzweifelt einen Ausweg aus der Krise suchen, kommen Irma und Will auf ihren Fahrrädern die angrenzende Straße entlang.

Will bedenkt gerade ihre bisherige Beziehung zu Irma und bekommt so nur teilweise mit, wie diese in einem -mehr oder weniger intimen- Anfall vom Sattel fällt.

Zufällig fährt gerade auch noch Joel Wright vorbei, der Junge, den man ehesten als Irmas Schwarm bezeichnen könnte. Will bringt ihn dazu, der durch den Sturz leicht verletzten Irma nach Hause zu helfen, und lässt die Zwei dann allein auf dem Wohnzimmersofa zurück.

Ein kleiner, unschuldiger Flirt zwischen den Beiden wächst sich zu einem wilden Kuss aus und droht beinahe zu eskalieren... bis Irma im letzten Moment doch noch einen Rückzieher macht...
 

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„Also dann, auf Wiedersehen, Joel! Danke, dass du diese kleine Simulantin nach Hause geschleppt hast!“ sagte Mrs. Lair und schüttelte dem jungen Mann dankend die Hand.

„Keine Ursache! Sie war auch nicht schwerer als mein kleiner Bruder… und wesentlich handzahmer!“

„Schönen Tag noch, Jay!“ sagte Irma sanft, aber endgültig, als hätte es seinen letzten Kommentar gar nicht gegeben.

Sie konnte nicht vergessen, was vorhin im Wohnzimmer geschehen war, aber sie konnte vor Joel - und vor sich selber - auch nicht so tun, als wäre das ganz in Ordnung gewesen.

Immerhin hatte sie sich Prioritäten gesetzt, und die lagen, so sehr sie es auch bedauerte, nicht bei ihm.

Dennoch küsste sie ihren Freund leicht auf die Wange, einfach um ihm zu zeigen, dass er hier immer noch willkommen war.

Was er sich sonst dabei denken mochte - darüber konnte sie auch später noch nachgrübeln.

Will hielt sich während dieser ganzen Verabschiedung etwas im Hintergrund. Nicht, dass sie Joel nicht leiden konnte - ganz und gar nicht - sie kannte ihn nur nicht so besonders genau, deshalb wurde von ihr auch nicht erwartet, dass sie ihm überschwänglich ‚Lebwohl’ sagte.

Darüber hinaus hatte sie weiß Gott andere Sorgen - obwohl sie im Moment auch nicht sicher war, von welcher Art diese Sorgen waren.

Für den Kuss konnte sie Irma keinen Vorwurf machen - sie hatte es ja selbst darauf angelegt, dass die Zwei einen intimen Augenblick nur für sich bekamen.

Irmas Aussehen dagegen, als sie danach in die Küche gekommen war - halb ausgezogen und mit hochrotem Gesicht - hatte sie absolut nicht erwartet.

Sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, aber in ihrem Magen regte sich ein winziger Anflug von Eifersucht… und Sehnsucht…

Wahrscheinlich schmerzte sie nur der Anblick eines verliebten Paares, denn Joel und Irma waren definitiv eines: sie behandelten sich mit der gleichen schüchternen Rücksichtnahme und versteckten Sympathie füreinander, wie Will es früher auch bei Matt gekannt hatte.

Matt, den sie nun schon so lange nicht mehr in die Arme geschlossen hatte...

...seit so langer Zeit...
 

„Will?“

Dieselbige fuhr aus ihren Gedanken auf. Joel hatte die Frage an sie gerichtet.

„Entschuldigung, war ich gerade weggetreten?“ entgegnete sie verwirrt. „Das wollte ich nicht-“

„Ist schon okay, ich sollte dir nur noch etwas ausrichten. Es hat mit Matt zu tun!“

Während Irma vor Schreck über diese Nachricht die Augenbrauen runzelte, breitete sich auf Wills Gesicht ungläubiges Staunen aus, dass leider allzu eindeutig ihre Freude verriet.

Geistesgegenwärtig wandte sie sich an Irma.

„Könntest du bitte schon mal hochgehen und die Bücher heraussuchen? Das hier könnte etwas länger dauern.“

Irma wollte protestieren, doch Wills bittender Blick ließ ihr das Wort im Munde stecken bleiben.

„Oh,… klar, sicher, kein Problem!“ versicherte sie, streckte Selbstbewusstsein vortäuschend den Rücken durch und trampelte mit möglichst lauten Schritten die Treppe hinauf, um das nachfolgende Gespräch auch ja nicht hören zu müssen.

Ironischerweise hörte sie es doch, sie spitzte geradezu die Ohren deswegen.

„Also… Matt hat heute schon mehrere Male versucht, dich anzurufen, aber du bist anscheinend niemals ran gegangen!“

„Kann sein! Ich hab’ das Handy heute nicht mitgenommen. Es müsste immer noch in meinem Rucksack liegen. Wieso? Was wollte er mir sagen?“

„Nun, hauptsächlich – und das sollte die große Überraschung werden - wollte er dir sagen, dass er mit Karmilla’s Tournee gerade in Midgale ist. Sie geben dort heute abend ein Konzert, reisen aber erst am Donnerstag Morgen wieder ab. Er meinte, er könnte es vielleicht so arrangieren, dass er morgen mit dem Zug hierher kommen und dich treffen könnte.“

„Er... will… morgen... aber...“ Die Aufregung in Wills Stimme war unüberhörbar und stach Irma ins Herz wie eine Lanze aus Stahl.

Sie ahnte jetzt schon, worauf das hinauslief.
 

Als Will wenige Minuten später in Irmas Zimmer hochging, war sie bester Laune, wie Irma mit heißer Wut im Bauch feststellte.

Sie hatte sich bereits mit dem Literaturbuch in den Drehstuhl vor ihrem Schreibtisch gesetzt, um die Einführungskapitel zu Milton, Shakespeare und den Werken der Aufklärung noch einmal durchzulesen...

Eine sterbenslangweilige Angelegenheit – wären da nicht diese hübschen Gedanken über Matt und seinen völlig unerwarteten Tod zwischen die Zeilen gekrochen.

„Gut, du hast schon angefangen,“ stellte Will fest und blickte über Irmas Schulter auf die Stelle des Textes, wo gerade ihr Zeigefinger lag.

‚Na klar, je schneller wir anfangen, desto schneller sind wir am Ende!’ dachte Irma zynisch.

„Kommst du bis jetzt damit zurecht?“

‚Oh ja, prima! So gut, wie du immer mit Matt zurechtkamst... bevor du ihm unser Geheimnis verraten hast!’

„Du hast noch nicht einmal angefangen zu lesen, ist es nicht so?“

„Doch, hab ich, ob du's glaubst oder nicht…,“ entgegnete Irma scharf und rückte von ihrer Freundin weg. "Ist zwar nicht so, dass ich auch nur irgendein Wort verstehen würde, aber es ist auf jeden Fall noch übersichtlich! Warte nur, bis der Teil über die Aufklärung kommt! Da werd' ich dann erst so richtig Luftsprünge machen!“

„Sieh nicht so schwarz,“ sagte Will gelassen und ließ sich auf Irmas Bett fallen. „Die Clarkstone kann unmöglich erwarten, dass ihr alle diese Autorennamen mitsamt ihrer Werke von A bis Z runterbetet!“

„Doch, genau das erwartet sie!“ schrie Irma und schmetterte das Buch frustiert auf den Tisch. „Das und noch viel mehr! Fragt mich also bitte nicht, wie ich den morgigen Tag zu überleben gedenke!“

„Nun, es reicht eigentlich, wenn du dir ein paar Eckdaten merkst, die bei der Interpretation der literarischen Werke nützlich sein können!“ antwortete Will vorsichtig und zählte auf.

„Besondere Lebensdaten des Autors, seinen Charakter, die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe seiner Zeit, geschichtliche Ereignisse, die Einfluss auf ihn genommen haben…“

‚Wow, toll… das ist ja wirklich ein Katzendreck! Warum hab ich mir nur darüber Sorgen gemacht?’ kommentierte Irma in Gedanken.

„…Und das ist im Prinzip bei jedem dieser Autoren dasselbe! Wenn man die einzelnen Fakten übersichtlich zusammenstellt und miteinander verbindet, ist alles ganz einfach!“ erläuterte Will. „Schau dir zum Beispiel mal Shakespeare an. Über sein Leben ist so wenig bekannt, dass du dich im Grunde auf die Geschi-“

„Bravo – du hörst dich wirklich schon wie dein Stiefvater an!“ rief Irma aufbrausend und drehte zu ihr hin. „Es wäre schön, wenn die Clarkstone uns nur mit Shakespeare gequält hätte, aber das hat sie nun mal leider nicht! Schau dir doch einmal an, wie viel Text das sonst noch ist! Gib's doch zu, Will... ich hab’ nicht die geringste Chance!“

„Sag sowas nicht!“ rief Will entsetzt. „Die Anderen-“

„Die Anderen schaffen das auch, klar! Aber ich bin nicht die Anderen!“ Irma warf verzweifelt den Kopf in die Hände. „Ich bin die Einzige in der Klasse, die steif und fest behauptet hat, Lord Tennyson wäre der Erfinder des Tennisspiels!“

Trotz Irmas düsterem Blick musste Will lachen. „Aber das hast du doch sicher… nicht… ernst… ge…“

Sie verstummte, als Irma bitter den Kopf schüttelte. „Du… hast das…?!“

„Nein... aber ich habe es während einer Leistungskontrolle gesagt, und die Clarkstone hat das natürlich sofort für voll genommen! Sie hat mir keine zweite Chance gegeben und gesagt, ich wäre ein hoffnungsloser Fall!“ Sie ließ den Kopf hängen. „Und das denkt sie auch jetzt noch!“

„Das ist absoluter Schwachsinn!“ sagte Will aufgebracht. „Du hast genauso große Chancen wie alle anderen auch! Wenn du dich nur anstrengst-“

„Was denkst du, wie oft ich mich schon angestrengt habe?!“ knurrte die Wächterin des Wassers erzürnt. „Ich habe schon vor so vielen Klassenarbeiten bis zum Erbrechen gelernt, nur damit ich dann am Ende eine Drei oder Vier auf dem Zeugnis vorweisen konnte! Manchmal habe ich es sogar hingekriegt. Aber dann mache ich im Unterricht irgendwelchen Unsinn, die Lehrer nehmen mich zur Strafe dran und ich weiß mal wieder überhaupt nichts! Meine Eltern sind enttäuscht von mir, die ganze Schule lacht über mich, und am Ende kriege ich sogar noch eine schlechte Note im Betragen - das ist doch alles zuviel für einen einzelnen Menschen.“ Sie sah zu Will auf, die sie entgeistert anstarrte. „Du bist völlig umsonst hergekommen,“ flüsterte sie hoffnungslos. „Ich pack das nicht!“

Wills Gesicht war in der Zwischenzeit rot angelaufen. „Bist du jetzt fertig mit diesem Unsinn?“ sagte sie mit heiserer Stimme. „Hör zu, ich bin nicht hergekommen, damit du hier zusammenbrichst, noch bevor du überhaupt angefangen hast! Da wüsste ich viele Sachen, die mir besser gefallen würden!“

Da!! Irma hatte es geahnt. Irgendwann!!! Es war nur eine Frage der Zeit.

„Ach, du meinst also, dass du mit mir deine Zeit verschwendest?“ zischte sie gefährlich leise. „Schön! Geh nur und tu, was immer du lieber machen würdest! Wen interessiert's schon, dass heute mein letzter Tag ist, wenn männliches Fleisch auf ihn wartet!“

Will hielt den Atem an. Daher wehte also der Wind!

„Nur zu deiner Information - das Treffen mit Matt habe ich abgesagt!“ erwiderte sie kühl.

„Ja, notgedrungen!“ murrte Irma. „Schon heute Abend wirst du dir wünschen, du hättest es angenommen, denn dann müsstest du nicht mit mir hier drin versauern!“

„Sag mal, was bildest du dir eigentlich ein?!“ schrie Will wutentbrannt und stampfte so zornig mit dem Fuß auf, dass der ganze Boden bebte. „Ich dachte eigentlich, du würdest mich besser kennen! Schön, ich hab einen kleinen Moment darüber nachgedacht, ob ich es annehmen soll, aber dann dachte ich an dich und hab mich gleich anders entschieden."

Will hielt inne und keuchte heftig, so unbeherrscht hatte sie gestikuliert. Sie machte eine kurze Pause, um zu schlucken und die heißen Lippen mit neuem Speichel anzufeuchten. Dann redete sie weiter: "Und weißt du auch, warum? Nicht, weil das Lernen mit dir endlos lang dauern wird,... sondern weil ich in dem Glauben war, es würde die Zeit wert sein! Weil ich geglaubt habe, du hättest etwas mehr von dem Kampfgeist in dir, den du immer bei unseren Missionen zeigst! Weil ich geglaubt habe, bei dir zu sein und dir zu helfen würde mich mehr befriedigen als jeder Augenblick zusammen mit Matt!“

Wills Stimme war mit jedem Moment leiser und brüchiger geworden, und mit diesen letzten Worten kam sie fast vollständig zum Erlöschen. Nur einen einzigen Satz konnte sie noch hervorpressen, unter Aufbietung all ihrer Enttäuschung und Wut.

Sie sagte: "Und egal, was du sonst denkst: ich glaube es immer noch!“

Damit ließ sie sich wieder aufs Bett sinken und schwieg.
 

Irma hatte in der Zwischenzeit vollkommen aufgehört zu atmen.

Wenn man wollte, konnte man ihr Herz jetzt mit einem Napf voller Quark vergleichen, oder mit einem Tropfen Wasser, der auf eine heiße Herdplatte gefallen war und nun zischend verdampfte.

Die Zeit mit dir ist mehr wert als jeder Augenblick mit Matt - war das wirklich so gemeint? Hielt Will sie für dermaßen wichtig, für so wertvoll, dass sie diesen Satz zu sagen bereit war?

Sie mochte es kaum glauben: das konnte doch wirklich nicht von einem einzigen, unschuldigen Kuss herrühren.

Wie viel davon war echt, wie viel davon authentisch?

Was kam aus ihrem eigenen persönlichen Empfinden, und was war einfach nur ein Motivationstrick?

Diese Fragen stellte sich Irma, viele eher unbewusst.

Und dabei kam ihr, ohne dass sie es wollte, auch der Gedanke, ob es beim Interpretieren eines Textes nicht genauso war: es blieben im Grunde dieselben Fragen…

Es fühlte sich an wie Gedankenlesen auf höherem Niveau!

Und konnte diese ganze Arbeit denn so schrecklich werden, wenn Will bei ihr war?

Sie verließ den Drehstuhl und setzte sich neben Will aufs Bett. „Was genau muss ich tun?“ fragte sie mit etwas, das hoffentlich wie neue Entschlossenheit klang.

Wills schniefte laut, so als hätte ihre Nase zu laufen begonnen, und blickte Irma tief in die meergrünen Augen. Ein merkwürdiges gelbes Schimmern lag auf ihren Pupillen. Waren es Tränen… oder etwas anderes?

Ihre Hand zuckte merkwürdig nach vorn und blieb nur wenige Zentimeter neben der von Irma liegen.

„Schau dir die Geschichte von Shakespeares Zeit an,“ sagte sie monoton, „und vergleiche sie mit seinen Werken! Dann schreib auf, was dir dazu einfällt! Das ist alles…“

Irma nickte, nahm den Blick von Wills Augen und wandte sich wieder ihrem Buch zu, das noch immer auf dem Schreibtisch lag.

Einen Ansatzpunkt… irgendeinen Ansatzpunkt brauchte sie…

Mal sehen… Shakespeare hatte eine Reihe von Dramen über englische Könige geschrieben, bis hin zu Heinrich VIII. , dazu einige über berühmte Feldherren und Schlachten… seine Königin, Elisabeth I., war die Tochter Heinrich VIII.’s gewesen, sie hatte eine Reihe von Günstlingen wie Sir Francis Drake gehabt, die ebenfalls große Feldherren waren, und sie baute mit Hilfe von Kriegen und Intrigen England zu einer Weltmacht auf…

Verdammt, eigentlich gab es wahnsinnig viele Parallelen!

Mal sehen, was es sonst noch zu finden gab!

Irma schaute sich die Aufgaben unter dem Text genau an.

Ein Lächeln flog über ihre Lippen. Sie setzte den Stift an und schrieb, immer den oberen Textblock im Auge behaltend.

Das emsige Kratzen ihrer Feder ließ sogar Will aus ihrer Depression hochfahren.

Der Anblick von Irma, die angestrengt mit dem Finger auf vielversprechende Textstellen tippte und dann in zittrigen Buchstaben mehrere Zeilen dazu schrieb, rührte sie. So suchte sie schleunigst einen Textmarker, drückte ihn Irma in die Hand und erklärte ihr dann, wie sie damit die wichtigsten Informationen farblich passend kennzeichnen konnte.

Nach einigen Minuten überzogen zeilenlange Neonstreifen das Papier.

Mit der Zeit wurden sie immer kürzer.

Und irgendwann, nach mehreren Stunden angenehmer Arbeit, erschien in der Randspalte des Lesebuchs ein rosanes Herz – mit einem ‚W + I’ in der Mitte.

Immer wieder erklärte Will, zeigte mit dem Stift auf Textstellen, die Irma übersehen hatte und lobte Passagen, in denen Irma eine Beziehung besonders gut nachvollzogen hatte.

Bis schließlich…

KRACKS…

Will, die gerade mit den Augen über dem Buch hing, schreckte auf. „Was war das? Ist dein Stift auseinandergebrochen?“

„So wie’s sich angefühlt hat, war’s eher mein Handgelenk,“ antwortete Irma japsend. Sie lag schon halb über dem Tisch, ihre Stirn glänzte rot und ihre Augenlider hingen schlaff herab. „Ich kann nicht mehr!“

Will grinste. „Dann machen wir mal lieber für heute Schluss. Es ist ja auch schon fünf vor Sieben!“

Sie stand auf, ebenfalls ziemlich müde dreinblickend, und dehnte sich nach Leibeskräften. „Kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergeht, wenn man sich amüsiert!“

Irma schmunzelte schal. „Das war ja jetzt wohl als Scherz gemeint!“

„Nö! Ich wette, wenn Dean jetzt hier wäre, hätte er noch gut zwei Stunden weitergemacht!“

Irma lachte, erhob sich ebenfalls und ging zu ihrem Bett hinüber, um sich hinein plumpsen zu lassen. „Ich hab’s ja gesagt: du wirst ihm immer ähnlicher. Da kann sich deine kleine Schwester wirklich auf einige Überraschungen vorbereiten!“

„Wieso bist du dir so sicher, dass es ein Mädchen wird?“ fragte Will schmunzelnd und lehnte sich an die Schreibtischkante.

„Ich hoffe es - für deinen Seelenfrieden! Ein kleiner Bruder würde dich deinen so wunderbar arbeitenden Verstand kosten, und deinen Lebensmut…“ Mit diesen Worten drehte sie sich bäuchlings, stützte ihr Gesicht in die Hände und lächelte sanft. Ihre Stimme wurde weicher, ihre Augen glänzten feucht. „Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn täte…“

Will betrachtete ihre Freundin reichlich verwirrt.

Sie kannte diesen Gesichtsausdruck von früher.

Doch damals hatte Irma ihn einem Jungen gezeigt, mit dem sie hatte flirten wollen, und sie war in ihrer etwas erwachsener wirkenden Wächterinnengestalt gewesen.

‚…Dabei ist sie in ihrer echten Gestalt eigentlich viel hübscher…’

Hoppla, woher war der Gedanke denn auf einmal gekommen?

Als hätte er nur darauf gewartet, hervor zu springen und sie zu überraschen…

‚Nein, Augenblick mal!’ dachte Will. ‚Das ist eine rein objektive Feststellung! Ich meine… sind ihre Augen denn in ihrer natürlichen Gestalt weniger groß und klar? Sind ihre Lippen nicht ähnlich rot? Sind ihre Kurven nicht genauso rund? Verdammt noch mal, es gibt doch zwischen den Erscheinungen keinen wesentlichen Unterschied, außer der Größe, oder?’

Will bejahte all dies im Stillen und fragte sich, warum die meisten Jungs trotzdem diese große, supermodellhafte Wächterin des Wassers so viel attraktiver fanden. Nicht einmal Andrew Hornby, Irmas erste große ‚Liebe’, hatte je über diese Fassade hinweg sehen wollen. Er hatte sich erst an sie herangemacht, als sie damals, kurz nach der Offenbarung ihrer Kräfte in ihrer damals neuen, reiferen Form in der ZOT-Disco am Marktplatz aufgetaucht war und dort allen Jungs der Oberstufe den Kopf verdreht hatte.

Sie hatte mit ihm getanzt, mit ihm geredet… und sich sogar dazu überreden lassen, in seinem Auto mitzufahren!

Dann hatte er an irgendeiner einsamen Stelle angehalten und versucht, sie zu einem Kuss zu zwingen.

Zu einem Kuss!!! Möglicherweise sogar zu mehr!

Er hatte es mehr als verdient, dafür in eine Kröte verwandelt zu werden!

Wäre Irma wenigstens daraus schlau geworden… aber nein, sie versuchte es noch einmal mit ihm - mit dem gleichen Trick und mit ähnlich katastrophalen Folgen!

Will war damals mächtig sauer auf sie gewesen, nicht nur, weil sie so egoistisch gehandelt hatte… sondern vor allem deswegen (und das hatte sie gegenüber Irma niemals erwähnt), weil sie sich ihrer Meinung nach unter Wert verkaufte. Sie hatte solche verzweifelten Tricks nicht nötig.

Aber sei’s drum - das war damals eine ganz andere Irma gewesen, und die Jetzige gefiel ihr viel besser!

Joel kennenzulernen, der über Äußerlichkeiten hinweg auf ihre anderen Qualitäten sehen konnte, war wirklich das Beste, was ihr jemals passieren konnte…

Und deshalb gab es auch keinen Grund, eifersüchtig zu sein… absolut keinen…

Ob sie ihn auch so angesehen hatte…?

„Setz dich ruhig, Will!“ flüsterte Irma nachdrücklich und unterbrach damit Wills Gedankenfluss. „Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit bis zum Abendessen! Bis dahin sind wir… ungestört.“

Sie legte den Kopf ein wenig schief und ließ gekonnt eine ihrer Locken über ihr Gesicht fallen.

Will empfand tatsächlich ein gewisses Unbehagen, als sie das sah, doch es konnte wohl nicht wegen Irma sein.

Mit einem Mal befiel sie ein tierischer Schlaganfall!
 

Alles vor ihren Augen wurde abwechselnd schwarz und rot, und als sie noch tiefer einzuatmen versuchte, verkrampfte sich ihre Herzklappe und schnitt ihr die Luft ab.

Sie hustete, bis ihr das Blut in den Kopf stieg, doch als sie es endlich zum Stoppen gebracht hatte, strömte das Blut nicht gleichmäßig in ihre Adern zurück, sondern begann in ihren Lungenflügeln zu gluckern und zu brennen - gerade so, als würde es dort Blasen schlagen.

Irma erschrak nicht gering über dieses Verhalten. „Oh Gott, Will… was ist mit dir? Bist du krank? Oder ist das… du-weißt-schon-was?“

Will schüttelte den Kopf und legte die Hände über die Brust, um durch sanftes Reiben den Schmerz etwas zu lindern, doch sie hatte es noch gar nicht lange getan, als es schon wieder nachließ.

Dafür fingen nun eine Reihe von Nerven hinter ihrer Schädeldecke an zu pochen, und eine dumpfe, schwere Mattigkeit legte sich über ihr Hirn, die sie fast zu Boden fallen ließ.

„Um Gottes Willen, was ist denn los mit dir?“ dröhnte Irma erneut.

Will zuckte zusammen. „Nicht… so… laut!“ flehte sie quengelig und betastete sich die Stirn.

Sie schwankte nicht, aber ihre Kopfschmerzen waren für Irma dennoch nicht zu übersehen.

Leise und rücksichtsvoll rappelte sich Irma auf, schob sich vom Bett und eilte auf ihre Freundin zu. All das aufreizende Getue war von ihr abgefallen, und sie wirkte nur noch besorgt.

Sie bedeutete Will, sich hinzulegen, doch diese grummelte nur abweisend. „Bestimmt bin ich bloß überarbeitet. Zuerst die ganzen Hausaufgaben, dazu noch diese Texte hier und das Stück… das ist ziemlich viel an Eindrücken für einen Tag!“

Irma schüttelte den Kopf. „Will, ich weiß was ich gesehen hab’, und das ist nicht nur ’ne einfache Reizüberflutung! Du brauchst unbedingt Ruhe!“ Sie langte nach ihrer Kommode und zog einen Walkman aus der Schublade hervor. „Du bleibst erst mal hier liegen… ruhst dich aus… hörst ein bisschen Musik… lässt dich fallen… dann bist du bis zum Abendessen vielleicht wieder fit. Irgendwelche Musikwünsche?“

„Einfach etwas ohne Text,“ stöhnte Will. „Wenn möglich Soul oder Ethno!“

„Da hast du Glück! Ich müsste noch die CD mit peruanischer Musik haben, die mir Taranee letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hat.“ Während Irma die CD suchte, machte es sich Will auf der Decke bequem, streckte die Arme und Beine von sich und machte ihren Kopf frei.

Das unbehagliche Gefühl blieb und kehrte in unregelmäßigen Abständen wieder, aber sie ließ es links liegen und drückte ihren Schädel noch tiefer in die weichen Daunen.

Irmas Gesicht schob sich, wie auf dem Kopf stehend, in ihr Blickfeld und starrte sie fürsorglich an.

Wahrscheinlich bot Wills Antlitz ein genaues Spiegelbild ihres Leidens. Sie spürte, wie Irma ihr sanft die Haare von den Ohren strich und ihre Stirn in Wills dichten Pony drückte. Eine von Irmas Locken baumelte über ihrer Nasenspitze und kitzelte sie sachte.

Leise, langsam ansteigende Klänge von Panflöten umfingen sie und begannen mit Geigen, Hackbrettern und Synthesizern eine leichte, fließend dahingleitende Melodie.

Wills Herz beruhigte sich und schlug nun wieder kräftiger. Das Schwindelgefühl verschwand zwar nicht vollständig, aber es stagnierte und ging ein bisschen zurück.

Sie seufzte innig.

„Will?“ fragte Irma tonlos, fast unhörbar gegen die Musik.

„Hhhm?“ brummte diese im Halbschlaf.

„Fandest du meinen Kuss… vorhin vor dem Theater… nun, irgendwie… abstoßend?“

Will schüttelte leicht den Kopf. Wie nur Irma jetzt auf dieses Thema kam…

„Nein, warum fragst du?“

„Rein wissenschaftliche Neugier!“ beeilte sie sich zu erklären. „Wie hat er sich angefühlt? ...Gut?“

Will grinste ein bisschen und nickte. „Heiß,“ flüsterte sie. „Feucht. Weich. Und Sanft.“ Sie zögerte. „Aber… ja, es fühlte sich gut an… das kannst mir glauben… und auch irgendwie… stark!“

Verwunderung blitzte in Irmas Augen auf. „Stark? Inwiefern?“

„Es lag… Kraft hinter diesem Kuss. Er war nur kurz, aber… trotzdem hatte er dieses gewisse… Etwas, diese eigenartige Leidenschaft!“ sagte Will, ein argwöhnisches Funkeln in ihren halb niedergeschlagenen Augen.

„Meinst du?“ fragte Irma zurückhaltend.

„Hhhm…“ Will nickte wieder, unendlich langsam, und ihr Lächeln wurde geradezu frech, doch ihre Stimme blieb leise und andachtsvoll. „Es hat dir mehr Spaß gemacht, als du zugeben willst… hab ich Recht?“

Irma zuckte alarmiert zurück und wollte schon ihr Gesicht von Will wegdrehen, um ihre Schamesröte zu verbergen, hielt aber noch mitten in der Bewegung inne.

Deuteten dieses kecke Grinsen und diese nachgemacht-vorwurfsvolle Beschuldigung nicht in eine ganz andere Richtung?

Und dieses Lächeln… es kam ihr… vertraut vor…

Sie ließ sich wieder zu Wills Nase herabsinken und schob ihre eigene zärtlich daran vorbei, bis ihr Mund in der Nähe von Wills Ohr war.

„Dir etwa nicht?“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Seisho
2009-05-21T15:48:34+00:00 21.05.2009 17:48
whaaaaa Q__Q wie kan das ganze jetzt schon vorbei sein? Q____Q nicht jetzt nicht jetzt nicht jetzt *will das es weiter geht* >//<
Von:  PrincessLia
2009-05-21T13:47:06+00:00 21.05.2009 15:47
Coooooooool ^^
Okay das Ende war jetzt so richtig geil x3


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