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Sitting, writing, wishing

Feder und Stift
von

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Übung VII

Der Himmel war strahlendblau, nur zwei, drei vereinzelte Wolken zogen ihren einsamen Weg entlang. Es war ein wunderschöner Tag und gleichzeitig einer der wichtigsten meines bisherigen Lebens.

Also stand ich wartend in der prallen Mittagssonne, es war kurz vor 15 Uhr, und betrachtete die Menschen, die gemütlich den kleinen Platz vor dem alten Rathaus entlang spazierten. Es war ein seltsames Gefühl, einerseits brannte sich wirklich jedes kleine Detail dieser Minuten in mein Hirn ein, andererseits war alles irgendwie unfassbar, unwirklich und ich sah es nur verschwommen. Trotzdem kann ich mich an alles genau erinnern, die vielen kleinen alltäglichen Szenen, die sich abspielten. Da war zum Beispiel dieses junge, verliebte Pärchen, das händchenhaltend über das Kopfsteinpflaster spazierte und nur ein paar Meter vor mir stehen blieb, die Burg betrachtete und dann leise diskutierte, ob es sich lohnen würde, zu diesem malerischen alten Gebäude in den Weinbergen zu wandern. Entscheidungshilfe bekamen sie von einem älteren Ehepaar, das ihnen erzählte, dass sie seit Ewigkeiten jedes Jahr hier Urlaub machen würden und dass sie jedes Jahr den Ausblick von der Burg genossen, da er einmalig schön war. Das kann ich nur bestätigen, immerhin war ich am Tag vorher ebenfalls die engen Gässchen hoch gewandert und trotz Regens war der Blick auf diese wunderschöne kleine Stadt einmalig gewesen.

Auf alle Fälle entschieden die Vier sich gemeinsam den Berg zu erklimmen, so dass die Älteren den Jüngeren einige Anekdoten und kleine Geschichtchen über die Vergangenheit der Stadt erzählen konnten. Ich sah ihnen noch einen Moment hinterher, dann fiel mein Blick auf eine Taube, die zwischen zwei Geranienkästen saß und gierig ihren Durst am Wasser des alten Brunnen stillte. Sie wurde schließlich von dem lauten Fluchen eines Mannes vertrieben, der verzweifelt nach seinem Feuerzeug suchte, es aber nicht fand. Eine junge Frau, eher noch ein Mädchen bot ihm schließlich ihres an und mit einem Lächeln bedankte er sich höflich bei ihr, um weiterzuziehen.

Das sind nur einige dieser kleinen Szenen, die ich noch in Erinnerung habe, die sich tief eingebrannt haben.

So betrachtete ich die gesamte idyllische Szenerie, die vor mir lag, versuchte zu vergessen, was vor mir lag. Ein Blick auf mein Handy sagte mir, dass es zwei Minuten vor 15 Uhr war, bald war es so weit.

Meine Mutter, die sich bereit erklärte hatte, mir beizustehen, lief unruhig auf und ab, zog nervös an ihrer Zigarette. Immer wieder bedeckte sie die Augen mit ihrer Hand, um sie vor der grellen Sonne zu schützen.

Mit einem Seufzer schob ich meine Sonnenbrille zu Recht, die sich auf meiner Nase abwärts bewegt hatte und zog wieder unruhig mein Handy hervor. Noch eine Minute. Mein Herz pochte immer schneller, angesichts dessen, was gleich passieren würde. Auch mein Magen zog sich zusammen und ich bereute, dass ich überhaupt gefrühstückt hatte, mir war schlecht vor Angst.

Dann rannte meine Mutter plötzlich los, auf eine mir völlig unbekannte Frau zu, die beiden umarmten sich, unterdrückten Tränen. Ich stand vor dem Brunnen, fühlte mich etwas verloren und hilflos, blieb mir doch nichts anderes übrig, als die kleine Familie vor mir zu betrachten. Vater, Mutter, Tochter. Eigentlich mir völlig fremd, aber andererseits… mein Onkel, meine Tante, meine Cousine.

Das erste Mal, dass ich meine Verwandtschaft väterlicherseits kennen lernte. Ich kaute nervös auf meiner Unterlippe herum, fragte mich, was ich eigentlich erwartete. Etwa, dass ich diesen Fremden gegenüber auf Anhieb ein Gefühl der Verbindung empfand? Nein, nicht wirklich, eigentlich wusste ich nicht, was nun passieren sollte. Ich war da, sie waren da, noch nicht alle, aber die Ersten.

Sie kamen auf mich zu, stellten sich vor, gaben mir die Hand und dann herrschte ein verlegenes Schweigen. Seltsam, für beide Seiten, nach 21 Jahren die Verwandtschaft kennen zu lernen.

Wieder ein Aufschrei, dieses Mal von meiner Tante, sie deutete die Gasse runter auf eine riesige Menge an Menschen. Nun zumindest erschien sie mir im ersten Moment riesig.

Zwei weitere Tanten, zwei Onkel, drei Cousinen und ein Cousin marschierten als geballte Einheit dem Brunnen und somit auch uns entgegen. Wieder stellten sich alle vor, reichten uns artig die Hände, wie sollte ich mir das nur merken?

Ein seltsames Gefühl, wie wir da vor dem Brunnen standen, auf einer Seite diese elf mir völlig fremden Menschen, mit denen ich verwandt war, auf der anderen Seite meine Mutter und ich. Das war nicht unbedingt ausgeglichen.

Während alle durcheinander redeten, stand ich schweigend da und dachte dabei nur eines: „Das ist ein Neuanfang… Oder?“

Es war schließlich die Tante, die ich als Erstes kennengelernt hatte, die alle zusammen in das Café scheucht, das nur zwanzig Meter von dem Brunnen entfernt lag. Sie hatte einen Tisch reserviert und so konnten wir direkt die breite, gepolsterte Treppe hoch gehen und uns im Obergeschoss hinsetzen.

Unmut kam auf, als sie entdeckten, dass es drei einzelne Tischchen waren und so suchte meine Verwandtschaft sich zwei Tische und schoben sie zusammen. Ein lauter lärmender Haufen.

Bis alle bestellt hatten, hatte ich mir die Einrichtung des Cafes eingeprägt. Wände in den wirklich grausamen Farben Babyrosa und Babyblau, goldene Leuchter, die sowohl an der Decke hingen als auch an den Wänden angebracht waren. Stühle und kleine Eckbänke in goldgrün, Tischdecken mit rosa Blümchen und Spitze, ein paar grüne Pflanzen auf den Fensterbänken und im Raum verteilt. Es sah furchtbar aus, wie später auch meine Cousinen lautstark feststellten.

Zwar kann ich es namentlich nicht mehr festlegen, aber ich weiß noch ganz genau, wer wo saß. Meine Mutter und ich saßen an einem Kopfende. Meine Cousinen und mein Cousin saßen rechts von mir auf zwei Eckbänke gequetscht. Links von mir saß meine Mutter und dann kamen meine drei Tanten und der einzige Onkel, der mit mir blutsverwandt ist. Am anderen Kopfende hatten sich die beiden „angeheirateten“ Onkel hingesetzt.

Noch immer redeten alle durcheinander, von der Arbeit, von der Schule, von Krankheiten, vom Studium. Und von Läusen. Ich weiß nicht warum, aber dieses Thema und die fleischfressende Pflanze haben sich mir eingeprägt.

Es war eine unangenehme Situation, angespannt, nervös, keiner wusste, was er sagen sollte, also wurde geplappert. Ich glaube, ich war die Einzige, die wirklich kein Wort gesagt hat, stattdessen habe ich nur beobachtet. Um ehrlich zu sein, die, die nicht direkt mit mir verwandt waren, also die zwei Onkel und die eine Tante, interessierten mich nicht. Zuerst musterte ich den Onkel, der meinem Vater anscheinend so ähnlich sah, das sagte zumindest meine Mutter. Es war ein seltsames Gefühl ihn zu betrachten, mir war klar, dass er meine einzige Chance war, rauszufinden, wie mein Vater aussieht, den ich nie kennenlernen werde. Dann wanderte mein Blick aber doch weiter zu meinen Tanten, ich suchte Ähnlichkeiten und fand… eigentlich keine. Zu meinem Onkel ja, aber die Frauen waren grundverschieden von uns. Bei meinen älteren Cousinen war auch wenig Ähnlichkeit, vielleicht charakterlich, aber vom Aussehen her nein. Vielleicht unsere Naturhaarfarbe und die Augenfarbe, aber das wars dann auch schon. Meine kleine Cousine und mein kleiner Cousin hingegen, ja, so ähnlich sah ich als Kind auch aus.

Meine Betrachtungen wurden von der Bedienung, die unsere Bestellung brachte, unterbrochen. Ich weiß, dass die meisten Erdbeerkuchen hatten, meine Mutter hat Käsekuchen, aber was hatte ich? Nur an die Schokolade, die ich eigentlich immer trinke, kann ich mich noch erinnern, vielleicht war es Himbeerkuchen, vielleicht auch Johannisbeertorte, ich weiß es nicht mehr. Während des Essens herrschte gefräßige Stille und danach fing es an.

Endlich stellten sie ihre Fragen und dieses Unangenehme, Angespannte wurde ein bisschen weniger.

Insgesamt waren es drei Stunden, die mir wie eine halbe Ewigkeit vorkamen. Dann liefen wir die kleine Altstadt runter, brachten sie zu ihrem Parkhaus.

Ich glaube, was wir dort ansprachen, war der nächste Schritt dieses Neuanfangs: Meine Mutter bot ihnen an, uns mal besuchen zu kommen und meine Tanten waren einverstanden.
 

Wenn ich heute darüber nachdenke, bin ich froh, dass wir dieses Treffen vereinbarten, so konnte ich endlich meine andere Verwandtschaft kennenlernen. Wir gehen in kleinen Schritten voran, einen nach dem anderen, denn es ist ein empfindliches Band, das uns verbindet. 21 Jahre sind eine lange Zeit, es wird also auch seine Zeit brauchen, diese Jahre zumindest ein bisschen aufzuarbeiten, mehr übereinander zu lernen.

Ich hoffe, dass es nicht nur bei diesem einen Treffen bleibt, dass ich mehr über meine Verwandten erfahren kann…
 

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Das hier mache ich normalerweise nicht, aber hier noch eine Anmerkung von meiner Seite: Ja, es ist autobiografisch und genauso geschehen ^^'

Vielleicht sollte ich noch sagen, dass ich meinen Vater noch nie gesehen habe und er keinen Kontakt zu mir haben möchte. Zu dem Treffen kam es nur dadurch, dass meine Großmutter gestorben ist und uns allen Schulden hinterlassen hat. Meine Großmutter war übrigens mit ein Grund für die Ablehnung.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Blanche-Neige
2009-09-26T15:40:12+00:00 26.09.2009 17:40
oha.
also dieses Kapitel hat mich wirklich berührt.
es war total gut beschrieben und ich konnte mich richtig da hinein versetzen.
sie hat mich total gefesselt.
und was mich ehrlich geschockt hat, war deine beschreibung am ende.
aber umso besser ist es gewesen auch wenn es wfür dich kein zuckerschlecken war

hdl *knuff*
Von:  Lysette
2009-07-15T13:43:23+00:00 15.07.2009 15:43
ich habs mir fast gedacht, auch ohne deine beschreibung xD

ich fand die wende am anfang sehr gut, da nichts auf den verlauf der geschichte hingedeutet hat, bis zu dem augenblick.

sehr gut beschrieben und was soll man dazu sagen xD
ich meine du warst ja selber da ^^

hast du auf jeden fall toll gemacht^^

hdgggggdl*knuddel*
Von:  Ditsch
2009-07-05T11:41:58+00:00 05.07.2009 13:41
Hm, ich weiß gar nicht so recht, was ich jetzt schreiben soll^^
Also, stilistisch ist dir diese kleine Geschichte sehr gut gelungen. Es ist wunderbar realistisch geschrieben und es wird eben deutlich, dass es eine Erinnerung ist und eben manches noch hängen geblieben ist und manches nicht... Das trägt irgendwie seinen Teil dazu bei, dass es so realistisch und überzeugend ist.

Das Thema "Neubeginn" ist auch gut umgesetzt, wie ich finde.
Nur wird eben innerhalb der Geschichte nicht klar, warum sie den väterlichen Teil ihrer Familie nie kennengelernt hat und vor allem, warum die jetzt nach 21 Jahren auf einmal so ein Treffen abhalten. In deinem persönlichen Kommentar hast du das zwar erwähnt, aber ich hätte mir gewünscht, dass dieses Thema in der Geschichte zumindest angeschnitten wird.

Ditsch


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