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100 Themes Challenge

every day is writing day
von

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#40 [4:29 PM]

Vollidioten
 

Für den Nachmittag nach einer Probe war es ziemlich ruhig. Und das, obwohl Basket fehlte. Er war vor einer halben Stunde mit Debbie verabredet gewesen - mit einem Fuß in der Tür hatte er noch gesagt: "Macht keinen Unsinn, Jungs." Nicht, dass er jemals daran geglaubt hätte; ohne seine Anwesenheit war der Rest der Truppe die meiste Zeit über ein einziges Pulverfass. Aber dann hatte er sein Taxi erspäht und war hinaus in den Regen gehechtet, statt den Ernst seiner Mahnung spielerisch zu betonen. Irgendwo sind das auch erwachsene Menschen, müsste man meinen.

Eigentlich hatte Pascal fast Lust, die Situation mit der Kamera aufzunehmen. In einer Ecke - dort, wo die Steckdosen waren - hingen Daze und er still an ihren Laptops; Daze hatte konzentriert die Stirn in eine fotogene Steilfalte gelegt und schlürfte neben erratischem Herumschieben auf seinem Touchpad an einem Soja-Latte-Gemisch, während Pascal gegenüber etwas träge in seinem Sessel hing und wie betäubt durch größere Musikblogs scrollte.

Frankie saß am Kopf des Tischs, einen Kopf auf die Hand gestützt, und kritzelte mit der anderen unermüdlich auf kariertem Papier herum. Er hatte sich fast eingekugelt auf dem schäbig-schicken Ohrensessel, die Knie unter der Wolldecke angezogen, und musste sich die Schulter verrenken, um überhaupt schreiben zu können.

Sogar Jeel zeigte sich ungewöhnlich friedfertig und fläzte sich bromantisch mit Wheeler auf der Couch, während sie mit Glimmstängeln in den Mundwinkeln das aktuelle Programm im 46-Zoll-Fernseher kommentierten. In einem Anfall von Großmut - motiviert durch seine stark verbesserte finanzielle Lage - hatte Pascal ihm vor ein paar Tagen angeboten, seinen beträchtlichen Vorrat an Kippen mit ihm zu teilen, und seitdem herrschte zwischen ihnen statt aufgesetzter Animositäten eine Art widerwilliger Waffenstillstand.

Pascal gähnte hinter vorgehaltener Hand und griff zögerlich nach dem Camcorder. Daze war da schon auf der richtigen Spur mit seinem MoccaSin-Becher - es war Zeit für einen Muntermacher - und auf dem Weg zur Küche konnte er zumindest eine kurze Panorama-Aufnahme der Ruhe machen. Irgendwo konnte er die bestimmt gewinnbringend reinschneiden. Oder zumindest Screenshots davon benutzen, wie Frankie erschöpfend niedlich auf seinem Block herumkrakelte. Es war fast nicht fair. Die waren hier alle furchtbar fotogen.
 

In der Küche kramte er mit einer Hand im Hängeschrank neben der Tür herum, mit der anderen hielt er die Kamera, das Display ausgeklappt, und sah sich die Aufnahme von vorhin an. Am Anfang hatte seine Bildwahl noch ziemlich gezappelt, aber langsam wurde seine Hand ruhiger und er verzichtete immer öfter auf ein Stativ. Ah, das war doch ein gutes Bild, mit Daze und Frankie in dem verregneten Licht. Winzig kleine Bewegungen, fast wie Idle-Animationen für irgendein Computerspiel. Vielleicht könnte man--

wha-?

Pascal bekam tatsächlich eine ausgeprägte Gänsehaut und schnaufte überrascht. Mit dem Blick folgte er seiner Hand, die im Schrank ins Leere gegriffen hatte. Ins... ins Leere..?! Aber das kann nicht, das wird nicht, das--!!

Nein. Kein Zweifel. Etwas halbherzig schob er Müslikartons und Teegläser beiseite, aber der Fall war klar. Und so sehr er sich auch ans Herz fassen musste, dafür gab es nur eine Lösung.

Er stürmte aus der Küche.
 

Frankie sah von seinem Zettel auf und erschrak fast. "Wohin willst'n du?"

Pascal brauchte einen Moment lang, um sich zu sammeln; er hatte sich hinunter gebeugt und das Bein angewinkelt, um in seinen zweiten Schuh hineinzukommen - dabei hüpfte er ein, zwei Mal, und endete an den Türrahmen gelehnt, und verkündete von dieser Warte aus seine Hiobsbotschaft:

"Wir haben keinen KAFFEE mehr!"

Bis auf den Fernseher im Hintergrund, und das Plätschern draußen, war es im folgenden Moment ziemlich still.

"Und du rennst jetzt echt los..?" Frankie hob eine Augenbraue und nickte zum Fenster. "Draußen regnet's."

"Es gibt Kleidung!" Mit Schwung, der aus pragmatischer Panik geboren war, schlängelte Pascal sich im nächsten Moment in einen dicken Hoodie.

Eigentlich brauchte Frankie nicht zu überlegen - diese verzweifelte Energie, die ihm entgegen sprühte, rollte ihn in einen gewissen Enthusiasmus ein - aber er tat trotzdem, als müsse er nachdenken, einen Moment lang, bevor er nickte und den Stift weglegte. "Ich komme mit!" Er warf die Wolldecke von sich, sprang auf und drängelte sich zu Pascal in den Windfang.

Wenig später knallte die Tür.

Daze fuhr zusammen und sah auf. Sein Blick schwamm etwas unsicher über die Sitzgruppe neben dem Tisch, die plötzlich so vakant war; bis sein Gehirn nach dem Tape schnappte und die Situation, die an ihm vorbeigerauscht war, aufzurollen begann. "Leute", begann er leise, "es ist doch..."

"Spar's dir." Jeel war heute gnädig. Er drehte sich nicht einmal um.
 

Sie waren von dem Moment an durchnässt, in dem sie draußen standen. Das laute Prasseln vom düsteren Himmel - das Knurren in der Ferne, das sich erst beim Nachdenken anhörte wie Donner - es herrschte Weltuntergangsstimmung, die niedere Instinkte weckte, so dass sie Hals über Kopf in die erstbeste Richtung hetzten. Erst an der Kreuzung blieb Pascal stehen, hielt Frankie an der Schulter.

"Weißt du, wo wir hinmüssen?", fragte er über den Regen hinweg.

"Ich dachte, du wüsstest..!" Weiter musste Frankie nicht sprechen. An seinem Arm bugsierte Pascal ihn unter eine Baumkrone, die zumindest die Hälfte der Tropfen abzuhalten schien. Dann holte er sein Smartphone aus der Hosentasche.

"Wir werden wohl noch den nächsten Supermarkt finden", murmelte Pascal. Sie waren erst vor kurzem hergezogen, und meistens kaufte er auf dem Rückweg von der Arbeit ein - oder Maria brachte etwas mit, oder sie ließen sich etwas liefern. Das hatte er jetzt von dieser tödlichen Vernachlässigung. Eine absolute Krise!

Während er auf sein Smartphone eintippte, und Finger wie Bildschirm immer nasser wurden, reckte Frankie den Hals, um die Straßen der Kreuzung hinunter zu schauen. In einer Richtung sah er eine Post und einen Erotikshop - klang zwar nützlich, aber noch nicht für den Augenblick. In der anderen Richtung führte eine halbwegs leere Brücke über den Kanal, da war bis auf Stahlträger nichts zu sehen. Und geradezu sah er eigentlich nur alte Wohnblöcke, dicht an dicht und mit vom Regeln verdunkelter Fassade.

"R-M-A--", buchstabierte Pascal leise, bevor er etwas lauter fluchte und mit dem Ärmel des Pullovers über sein Handy wischte. Das brachte nichts, und er fluchte noch einmal.

"Es ist zu nass", sagte er, "so kommen wir nicht weiter."

"Ich glaube", erwiderte Frankie unschlüssig und starrte in Richtung Kanal, "auf der anderen Seite der Brücke leuchtet ein Hochmarkt-Schild..." Pascal folgte dem Fingerzeig und nickte.

Natürlich hätten sie auch einfach wieder heim gehen können. Aber die Nässe ging direkt ins Blut und brachte das Herz zum Schlagen, und darunter waren sie warm und entschlossen, und außerdem ging es hier um schwarzes Gold, also war jede weitere Debatte überflüssig.

Sie jagten über die Brücke, durch die Pfützen unter den Stahlseilen, und als das uncool wurde, verfielen sie in eine Art schnellen Trab. Ein Auto raste heran und und Pascal zerrte Frankie beiseite, damit die Spritzfontäne sie nicht erwischte - was reichlich sinnlos war, da Frankie schon bis auf die Knochen durchnässt war. Was er keine zwanzig Meter weiter bezeugte, indem er ausgiebig nieste.

"Du hättest dir was überziehen sollen!", rief Pascal und warf einen Blick auf den dunklen Kanal, der - gepeitscht vom Sturm - brüchig wie Schuppen den dunklen Himmel spiegelte, als wäre eine hungrige Seeschlange aus ihrem Nest gefallen.

"Wir hätten das Auto nehmen sollen!", erwiderte Frankie und breitete die Arme aus; Pascal schnaufte und fühlte sich kurz wie ein Idiot, aber dann wäre es wohl nicht dasselbe gewesen, also lachte er nur und Frankie lachte mit.

"Deine Nase ist schon ganz rot! Warte, lass mich--" Ehe Frankie Einwände erheben konnte, zog sich Pascal sich seinen Pullover über den Kopf, der zumindest nicht ganz bis auf die Innenseite nass geworden war. Dabei rutschte ihm seine Brille von der Nase und fiel zu Boden; er spürte, wie sein Hemd schwerer wurde, als er die Augen zusammenkniff und den Bürgersteig absuchte - bis Frankie ihm die Brille vor die Nase hielt, und Pascal sie gegen den Ball aus Pullover tauschte.

"Du spinnst doch!" Allerdings lag Frankie nichts daran, das Angebot abzulehnen - er fror erbärmlich, und dagegen halfen neben mehr Klamotten wahrscheinlich nur die warmen Aussichten auf nassen Stoff, der an Pascals Haut klebte.

Und Pascal wollte auch keine Einwände erheben. "Jawohl!", verkündete er, und kaum war Frankies Kopf durch den Ausschnitt aufgetaucht, fing der sich einen Kuss auf den Mundwinkel, ehe Pascal an seinem Ärmel zerrte und ihn bedeutsam durch den Regenschleier auf seinen Gläsern ansah. "Wir sollten weiter."
 

Das Schild leuchtete vielsagend von oben auf sie herab - die letzten paar Meter beschleunigten sie wieder, den Unterstand vor der Tür anvisiert - doch als sie im weitestgehend trocken gebliebenen Bereich zum Stehen kamen und auf dem hellgrauen Boden Tropfenspuren verstreuten, fiel vor allem ins Auge, wie dunkel es hinter den Scheiben war.

Frankie stürmte vorwärts. Die Tür war zu - er rüttelte an der Klinke. Nichts.

"Nein!", jaulte er - etwas überdramatisiert - und kratzte mit den Fingern an der dunklen Glastür wie eine frustrierte Katze. "Das könnt ihr uns doch nicht antun! Was ist loooos?"

Und dann wanderte langsam die Frucht der Erkenntnis über Pascals Gesicht; er hielt sich eine Hand gegen die Stirn und spuckte die Kerne aus:

"Kann es... kann es sein, dass heute Sonntag ist?"

Frankie drehte ihm den Kopf zu. Und so sahen sie einander schweigend an, und selbst mit Regen und Verkehr konnte es keinen stilleren Moment geben als den, den sie gerade teilten.

Und dann brachen sie in Gelächter aus.

"Wir sind", begann Pascal, sobald er etwas Luft bekam, "wir sind solche--" Er stolperte nach rechts, als Frankie ihn näher an sich zog, und schaute geradewegs in grau-grüne Augen, und sah verklebte Haare und ein nasses Gesicht und angelte nach einer Wange und weißblonden Strähnen, "-- solche Vollidioten", stellte er fest, und dann, dass Grinsen und Küssen gleichzeitig irgendwie schwierig war, aber dass ihn das nicht daran hinderte. Sie fielen ineinander, unter der Schicht aus Wasser und dem Geruch nach Erde warm, erhitzt; beide hatten immer noch Herzklopfen, und sie küssten und lachten so viel, dass kaum noch Platz war, um Luft zu holen. Sie waren Idioten. Solche Vollidioten.

Schließlich ließen sie schnaufend voneinander ab, auch wenn Pascal immer noch eine Hand zwischen den nassen Strähnen hatte. Er reckte den Hals in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

"Dann müssen wir wohl zurück", seufzte er, seinerseits überdramatisch, und kam gar nicht erst auf die Idee, ein Taxi zu rufen. "Und zu Hause empfängt uns nicht einmal heißer Kaffee! Wie soll ich morgen erst von den Toten wieder auferstehen?!" Er fuchtelte mit seiner freien Hand, und zur Krönung schnappte Frankie forsch nach seiner Unterlippe.

"Morgen bring ich dir was mit, vom MoccaSin. Gleich früh", versprach der im nächsten Moment und ließ sie los, "ans Bett."

"Heh... Ernsthaft?" Pascal neigte sich vorwärts, die Augen auf Halbmast.

"Versprochen." Und die Lippen von Pascal trafen nur Luft, weil sich Frankie nonchalant losgerissen hatte und quietschend zurück in den Regen gestürzt war. "Und jetzt beweg dich, du alter Sack!"

Vor Entrüstung klappte Pascal glatt der Kiefer hinunter. Seine Hand ballte sich zur Faust, und er schüttelte sie Frankie angriffslustig hinterher - ehe er einsah, dass der seinen Vorsprung für ein bisschen Gestikulieren ganz bestimmt nicht opfern würde.

"... Na warte..!!"



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