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Every day is writing day
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elder one (12.03.09)

„Ja, ich bin gleich soweit. Gott, es ist wirklich ewig her, dass ich so weit gespielt hab'.“ Patrick klemmte sich den Telefonhörer auf die andere Schulter und rieb sich das frei gewordene Ohr. Es schmerzte vom mehrere Stunden daran gedrückten Plastik, so warm und rot wie ein englisches Rumpsteak. Dann wanderte die Hand wieder zum Controller und er sprach weiter in den Hörer. „Aber jetzt kommt wirklich der beste Teil. Echt, ab jetzt wird der ganze Plot sowas von auf Crack.“

Glühende Blitze eines gut gerenderten Animationsvideos illuminierten von der Bildröhre aus den abgedunkelten Raum, durch dessen heruntergelassene Rollläden erste Raster morgendlichen Grauens drangen.

„Zeitkompressiooo~n!“, intonierte Patrick in euphorischer Ironie in den leeren Raum und Telefonhörer. Die Farben einigten sich auf ein himmlisches Blau, was den ganzen Raum mit einer ernüchternden Deutlichkeit verfärbte, sich in Chipstüten und Sodaflaschen brach wie eine interner Sonnenaufgang. „Ja? Ja, genau, die Stelle. Klasse, oder? Ich frage mich echt, wie ironisch mir die Stereotypen in dieser Spielereihe noch aufstoßen müssen, bis ich sie nicht mehr witzig und charmant finde, sondern einfach nur noch hassen werde. Warte, kurz die letzte CD einlegen, ich leg' dich weg.“

Er legte den Hörer auf die Couch und kroch nach vorne zur Konsole, eine Pizzaschachtel bohrte sie ihm ins Knie wie ein müder bissiger Hund ohne Oberkiefer. Er griff nach der Hülle und klappte das Fach mit der letzten CD auf. Stille.

„Fuck. Fuckfuckfuckfuck. FUCK!!“ Ein dumpfes Scheppern hallte durch den Raum, als er die nächstbeste Lebensmittelverpackung in die weitfernste Ecke warf, wo sie abprallte und anderen Plunder auf dem Boden anstieß wie bei einem auf Müll basierenden Gotchaspiel. Patrick griff wieder nach dem Hörer.

„Tobi, du hattest das Game doch auch“, setzte er mit relativ gefasst bebender Stimme an. „Was verkauft? Verdammte Niederhölle, wie kann man so ein Spiel denn verkaufen? Viel Geld, weil es ein Rarität ist? Deine Niere ist auch eine Rarität, du solltest mir besser das Doppelte zahlen, damit ich sie mir nicht gleich hole.“

Die Stimme in der Leitung murmelte irritierte Fragen.

„Der Mistkerl hat nicht darauf geachtet, ob alle CDs in der Hülle sind, bevor er es mir wiedergegeben hat. WIE KANN MAN DAS DENN VERGESSEN! Tobi, es werden jetzt vermutlich Menschen sterben, weil ich mich in eine auf Spielentzug basierende Raserei steigere! Wie konnte er DAS VERGESSEN!!“

Tobias' Stimme suchte belustigt beschwichtigende Worte, doch der leise Tonfluß aus dem Hörer verfehlte seine Wirkung. Das Telefon immer noch zwischen Schulter und Ohr stand Patrick auf und ließ sich einen halben Meter weiter in seinen PC-Stuhl fallen.

„Ich lad' diese vermaledeite letzte CD jetzt runter. Was? Nein, das Ding ist nicht gemoddet. Dann lerne ich eben, wie man das macht! Dazu gibt’s bestimmt irgendwo einen Guide.“ Patricks Finger zuckten hektisch über die Tastatur. „Ach was weiß ich, wo ich die Bauteile dafür hernehmen soll, mein Vater hat einen Hobbykeller, da … ich wette das mit den Chipsätzen, die man braucht damit es funktioniert ist nur so ein Trick, um den Markt zu wahren. Das geht sicher auch ohne. Nein, Tobias, ich drehe nicht durch. Erst recht nicht wegen eines mittelmäßigen Teils einer nostalgischen Spielereihe.“

Ein reflektierendes Grinsen breitete sich wie eine Mondsichel in einer nebligen Nacht über sein Gesicht aus. „Wusste ich es doch. Das ist ganz einfach. Genau genommen sogar zu einfach. Also man braucht einen Schraubzieher“ - mit einem Klacken nahm er selbigen von Schreibtisch - „vier Kronkorken und ein Teppichmesser“ - sammelte die Sachen vom Zimmerboden auf - „eine Rolle Lötzinn, ah da ist er ja, und einen Viertel Liter menschliches Blut.“

Tobias' Stimme war erst belustigt als hätte er einen guten Witz gehört, doch als Patrick sich eifrig daran machte bei laufendem Betrieb die Konsole aufzuschrauben, deren Visualisierung auf dem Bildschirm immer noch die letzte CD verlangte, wurde sie langsam aber stetig lauter und unruhiger. Patrick werkelte seelenruhig weiter und gab gelegentlich abwehrende oder dumme Kommentare von sich, während er die Kronkorken und den Lötzinn in einer eigentümlichen Form auf dem ruhig summenden Prozessor des elektrischen Geräts verteilte.

„So, das müsste alles soweit stimmen“, murmelte Patrick nach einem Seitenblick auf das Diagramm auf dem Computermonitor. Während Tobias' Stimme beinahe hysterisch zu ihm durchdrang, setzte Patrick das Teppichmesser zu einem sauberen Schnitt durch die Armbeuge an und sah seinem Blut gelassen dabei zu, wie es auf den Prozessor der Konsole rann, welche schnell und unglücklich mit dampfenden Gerüchen und Geräuschen darauf reagierte. Es sammelte sich in den Mustern zwischen Kronkorken und Zinn zu einem merkwürdigen Gebilde.

„Letzte CD, mh?“ Die Stimme kam von der Couch, grollend und gelassen. Patrick wandte sich um und seine Augen weiteten sich, als hätte er ins Tageslicht blicken müssen. Schreckliche Vorstellung.

„Tobi, ich muss auflegen. Ruf' dich später an.“ Klick. Stille. Das schmorende Rebellieren der Konsole war wieder zu einem unterschwelligen Summen der Ergebenheit geworden. Die Gestalt saß bequem in die Couch gelehnt, drahtig und groß. Das eine Auge ein großer Kreis, das andere ein dämonisch feiner Schlitz, beinahe eine senkrechte Linie. Als es den Mund wieder zum Sprechen öffnete kamen seine Zähne zum Vorschein, reihenweise Netzwerkports, in jeden ein Kabel eingesteckt, die wie Tentakel von seinem Gesicht hinabhingen.

„Ich biete dir jedes Spiel, das du willst, solange du willst. Nur wenn du keine Lust mehr darauf hast, dann gehörst du mir.“ Es legte den Kopf entspannt in den Nacken und sah ihn aus dem untersten Augenwinkel an. Seine Haarmähne aus USB-Sticks klackerte gegeneinander.

„Das Spiel, was gerade läuft. Solange ich will?“, sagte Patrick mit gleichermaßen Seelenruhe.

„Solange du willst.“

„Wo muss ich unterschreiben?“

„Du hast schon den Eintrittsbedingungen auf der Website zugestimmt. Das reicht.“

Patrick warf einen Blick zur Seite, doch der Monitor des Computers war erloschen. Er grinste.

„Na dann hoffe ich, dass du eine Weile Zeit hast.“
 

Ein Krachen öffnete die Tür zu Patricks Zimmer.

„Hi Tobi. Komm' rein, setz' dich. Eistee steht da vorne.“ Patrick saß auf der Couch, den Rücken in gewohnter Spielhaltung leicht nach vorne gekrümmt und kommandierte mit dem Controller die Geschehnisse auf dem Bildschirm. Neben ihm hatte sich eine große Gestalt auf der Couch breit gemacht. Skeptisch trat Tobias ein und schloss die Tür, dieses Mal ein wenig leiser. Er ging um das Sofa herum und drehte den PC-Stuhl zur Couch hin, ließ sich nieder. Fast peinlich berührt legte er das Stemmeisen aus der Hand.

„Wozu die schwere Artillerie, Tobi?“, fragte Patrick ohne vom Bildschirm weg zu sehen.

„Ich … ahm ...“ Tobias dachte nach und obwohl ihm reichlich Gründe einfielen, zerflossen sie ihm förmlich zwischen den geistigen Fingern. „Deine Eltern meinten das wäre schon alles in Ordnung und wirken irgendwie ein wenig zu ruhig. Die Sache war mir irgendwie nicht ganz geheuer.“

Er betrachtete erst Patrick, der ziemlich munter und gesund wirkte für seine Verhältnisse, dann den Bildschirm, doch schon bald musste er unweigerlich die gewaltige Gestalt auf der Couch anstarren.

„Ist das der große Cthulhu auf deiner Couch, Patrick?“

„Game-Cthulhu“, korrigierte die gewaltige Gestalt. „Und ich sitze hier jetzt schon seit Tagen fest. Das Spiel hört einfach nicht auf.“

Sollte er sein Entsetzen darüber herausbrüllen, dass es Videospieldämonen gab, oder eher darüber, dass Patrick offenbar einen Pakt mit einem geschlossen hatte?

„Entspann' dich, Cu“, murmelte Patrick. „Ich kann ja auch nichts dafür, dass du nicht deine Hausaufgaben gemacht hast. Jedenfalls sind wir bei gerade mal bei zweihundert Stunden Spielzeit und ich hab' nicht einmal die Hälfte aller Secrets erreicht, geschweige denn angefangen mich zu langweilen.“

„Du hast einen Pakt mit dem großen Cthulhu geschlossen, nur um das Spiel zu Ende spielen zu können“, fragte Tobias ungläubig, aber redundant. Patrick nickte.

„Aber als mir auffiel, dass ich jetzt nach seinen Bedingungen soviel Zeit dafür habe, wie ich will, habe ich nochmal von vorne angefangen und darauf geachtet wirklich alle Spielinhalte mitzunehmen.“

„Seit drei Stunden kämpft er gegen diesen Sondergegner!“, platzte der große Cthulhu heraus. „Wenn er ihn fast besiegt hat, dann stirbt er sogar absichtlich, um ihn nochmal zu machen. Wenn du mir doch nur einmal kurz den Controller geben würdest, dann wäre das Spiel binne Minuten zu Ende.“

„Davon steht nichts im Vertrag. Außerdem will ich ihn noch optimaler besiegen. Das verbessert meine Endquote.“

Der Dämon auf der Couch gab ein resignierendes Brummen von sich; Wie das Geräusch, wenn man in einen Ventilator hinein spricht.

„Tobias, kannst du mal in das Fach rechts neben den Externen greifen. Ich glaube, der große Game-Cthulhu braucht einen Drink.“

Tobias griff nach der Whiskeyflasche und reichte sie herüber, wo die Gestalt sie bereitwillig entgegennahm, ohne vom Bildschirm wegzusehen. Es war wirklich ein verdammt gutes Spiel. Das würde eine lange Nacht werden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Ito-chan
2009-07-30T21:41:38+00:00 30.07.2009 23:41
Spielsucht mal anders... Seine eigenen Dämonen auf solch eine Weise verkörpert zu sehen, muss doch unheimlich sein, vor allem, wenn man sie auch noch selbst ins Leben ruft. Spannend und interessant zugleich und erneut bin ich froh, dass Videospiele nichts für mich sind xD
Von: abgemeldet
2009-04-13T21:04:02+00:00 13.04.2009 23:04
Arr! Wunderbar, son Game-Thulu. Schön, es in geschriebener Form zu sehen, hatte viel Freude beim lesen! Ansonsten wenig zu sagen.


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