Zum Inhalt der Seite

Assoziatives Schreiben

Gefühle im Ausverkauf - Alles muss raus! % % %!!
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Satz 10 - Reiche Beute

Er gab sich ernsthaft Mühe und schien nicht zu begreifen, was für einen lächerlichen Anblick er bot.

Konnte einem fast schon Leid tun. Aber auch nur fast. Armer Irrer. Arme Irre. Alle hier.

Sein Blick schwenkte durch den vereinsamten Saal, ein Geruch längst vergangener Lacher vermischt mit einem unterschwelligen Hauch Meister Proper hing noch in der Luft, obwohl seit Wochen nicht mehr gelacht oder gewischt worden war. Oder geweint. Geschmunzelt, Saiten gestreichelt oder auch nur abfällig geschnaubt - oder abgestaubt. Haha.

Seinen Fuß hatte er auf das Polster vor ihm gestemmt, ein weicher, roter Samtbezug. Wie alle weichen, roten Samtbezüge in derartigen Gebäuden auf der ganzen Welt. Unzählige - und ungefähr die Hälfte davon hatte er schon gesehen. Kam es ihm zumindest vor.
 

Mit Daumen und Zeigefinger massierte er sich die Nasenwurzel und versuchte das wirre Krächzen und alberne Herumgehampel da vor ihm auszublenden, das seine Ohren wie auch Augen gleichermaßen beleidigte. Er war doch Masochist erster Güte. Ließ sich immer wieder breitschlagen, seine unsägliche Genialität an die solide, allerdings auch strohdumme Basis ihrer Gesellschaft zu verschwenden. Mittelstand, äääch. Nichts Halbes und nichts Ganzes. Mit den ärmlichen, am Existenzminimum herumkrebsenden Menschen konnte er wenigstens noch in soweit etwas anfangen, als dass er sie zu einer Groteske verwursten konnte.
 

"Ist gut, ist gut, das reicht", dröhnte seine tiefe, schnarrende Stimme genervt durch die staubige Luft der Bühne entgegen und die klägliche Gestalt, die bis eben noch versucht hatte, die Bedeutung der Bretter unter sich zu erspielen, erschlaffte auf diesen Freibrief hin. Er sah sich dieses Bürschchen nur eben solange an, um zu bemerken, dass der Kerl nun schon fast erleichtert schien, endlich aufhören zu dürfen. Na, wer weiß, vielleicht hatte er selbst bemerkt, auf welch peinliche Art und Weise er seine kostbare Zeit vergeudet hatte. Immerhin ein Anfang.
 

Er ließ das Knäblein noch ein bisschen in seinem eigenen Saft schwitzen, während er ein wohlgeordnetes Blätterchaos auf dem Tischchen zu seiner Rechten noch ein wenig verteilte und auf dem Rückweg nach seiner Zigarette angelte, die da gutmütig in einem leeren Schnapsglas vor sich hin schwelte. Nach einem tiefen Zug und einer bis zur Schmerzgrenze hin gerunzelter Stirnmuskelbewegung, atmete er das lichtgraue Gewölk aus seiner Lunge und maß den blonden Lulatsch mit einem Seufzen, das man sich normalerweise für den Moment aufspart, in dem man bemerkt, dass das Leben nach siebzig Jahren keine Überraschungen mehr für einen bereithält.

"Paul Kowalski, mh?", brummte er nach einer gefühlten Dreiviertelstunde und schielte über seine ungerahmte Halbmondbrille hinweg auf den Tisch zurück, wo seine verdrießliche Hand einen einzelnen Zettel herausgefischt hatte und an einer Ecke hochhielt.

"Ja, Sir."

Wieder Pause. Und wieder griff er sich, diesmal nur mit dem Ringfinger - und die glühende Zigarette kam dabei seinen aschgrauen Strähnen gefährlich nahe - an die Nasenwurzel hinauf und schob dabei das filigrane Metallverbindungsstück zwischen den Gläsern mit sich, während er die Buchstaben auf dem Papier neben sich entzifferte. In aller Ruhe.

Etwas, das ganz entfernt an ein Lächeln erinnerte, nahm danach auf seinen brüchigen Zügen Platz, als er den Blick wieder auf Paul richtete, der auf dieser großen, leeren Bühne wie ein neuer Besen wirkte. Zu neu, um zu wissen, was er eigentlich darstellen sollte und im Grunde nicht zu mehr zu gebrauchen, als die Bühne damit zu fegen.

Zu dürr, zu unsicher, stand der junge Mann da herum, verlagerte das Gewicht von einem auf den anderen Fuß und sah einfach nur sehr unglücklich aus. Was für ein Tran.

"Paul also."
 

Er genoss es regelrecht, die Bohnenstange leiden zu sehen, aber er hatte ja auch genug gelitten bei dieser "Darbietung" oder wie man das nennen sollte.

Miese Laune machte sich in ihm breit. Kein Vergleich zu der spröden Genervtheit, die schon zu seiner alltäglichen Grundhaltung mutiert war; allseits bekannt, allseits geliebt; das Markenzeichen eines Künstlers, der die Trivialität des Lebens kennengelernt hatte und dieses Wissen zu jeder Stunde im Hinterkopf mit sich herumtrug.
 

"Okay Paul. Erzähl mir mal, was du dir erwartest vom Leben. Dann lachen wir beide herzlich darüber – und dann erzähle ich dir, wie die Realität aussieht." Ungeachtet der Tatsache, dass hinter der Bühne umgerechnet noch ein Dutzend dieser Grünschäbel saß und sich vor Lampenfieber die Hosen einnässte, nahm er sich Zeit, jeden einzelnen davon genüsslich zu desillusionieren. Damit beugte er vor, dass sie beim nächsten Mal, wenn er ein Vorsprechen veranschlagte, schon wieder hier antanzten und meinten, ihn von ihrem "Talent" überzeugen zu müssen.

"Ich erwarte garnichts, Sir", kam es nach einigem Zögern, die Stimme dünn und zerbrechlich wie das Reispapier eines auf asiatisch getrimmten Ikea-Lampenschirms.

"Ich will nur schauspielern."

"Dein Talent dafür hält sich aber erstaunlich in Grenzen", bemerkte er lakonisch und schnippte die Asche seiner Zigarette knapp am Schnapsglas vorbei, wo sie einen weißen Bewerbungsbogen mit ein paar winzigen, blassbraunen Flecken schmückte. Daneben ging gerade ein roter Pappumschlag eine klebrige Verbindung mit dem Tisch unter sich ein, während eine Hand über das dunkle Holz irrte und nach einem halb mit bernsteinfarbener Flüssigkeit gefüllten Glas griff, das dort lauerte.

Er führte es zu den Lippen, sog einen guten Schluck der streng riechenden Flüssigkeit in den Mund und kaute einen Moment darauf herum, bevor er ihn den Rachen hinuntergleiten ließ. Brennende Hitze, zwei Sekunden lang und das wohlige Gefühl von vertrautem Genuss.

"Wieso bist du hier? Mit deinem schauspielerischen 'Talent' könntest du nichtmal mit einem Grinsen an der McDonald's-Kasse überzeugen."

"Ich weiß, Sir." Das eben noch so wirre, hektische Vieh, das um die Rolle des Gino gebalzt hatte, hüllte sich nun in unaufdringliche Depression und ließ die schlacksigen Gliedmaßen hängen.
 

Erstaunlich ruhig schwenkte er das Gesöff in seinem Glas, das am Rand daraufhin Schlieren zog, als es wieder zur Ruhe kam. Mit leiser Faszination beobachtete er, wie der junge Mann, so nichtssagend seine äußere Erscheinung war, auf der Bühne stand wie angewurzelt. Sah durch ihn durch, machte sich vor Nervosität wohl gerade in die Jeans, grinste aber nicht verlegen und seufzte auch nicht dramatisch frustriert.

Und strahlte eine Unsicherheit aus, die es ihm unmöglich machte, sich einfach nur zu schämen und die Bühne freiwillig zu verlassen. Fragte nicht nach dem obligatorischen "Wie war ich" oder "Kann ich jetzt gehen?", fing nicht an zu flennen, warf ihm aber auch kein selbstsicheres Gebahren entgegen, um mit Präsenz zu glänzen. Stand einfach nur da, wie die Maus vor der Schlange, unfähig, sich zu rühren.
 

"Wieso bist du dann hier, wenn du selbst weißt, dass du grottenschlecht bist?"

Ein verzögertes Schulterzucken erschütterte das Knochengestell. Die Zigarette verqualmte derweil ungehindert in dem zweckentfremdeten Gläschen, rote Pappe klebte an den Tisch, hagere Finger schlossen sich unnötig fest um den dicken Glassockel .

Seine Augen stierten lange Zeit geradeaus, fraßen sich an der großen, unendlich kleinen Gestalt auf den durchgewetzten Brettern fest.

"Paul?"

"Ja Sir?"

Und wieder Stille. Das filligrane Stimmchen in diesem langen Körper irritierte ihn, war sie doch laut genug, noch sehr deutlich zu ihm durchzudringen. Er schloss für einen Moment die Augen und sah den prallgefüllten Saal vor sich, leises Geraschel, das unterschwellige Summen von vierhundert Herzschlägen, leisen Atemzügen und gelegentlichen unterdrückten Hustlauten. Und dazwischen gespannte, aufmerksame Stille - und eine kleine, schwach wirkende Stimme, die dennoch die hintersten Winkel des alten Theaters erreichte, jeden Gehörgang, der nicht einmal zu lauschen brauchte, um sie zu verstehen.

"Sag einen Satz, Paul", verlangte er, noch immer die Augen geschlossen haltend, aber seine alten, faltigen Lider zuckten sachte.

"Irgendeinen Satz, der dir grade einfällt. Aber keinen aus dem Textbuch da."

Stille. Er würde sich nicht anstrengen, einfach nur hören.
 

"Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad."

Die blutarmen Lippen verzogen sich zu einem Grinsen, die Augenlider zuckten auch weiterhin. Kein Funken Humor in der Stimme, genauso schüchtern, unsicher und papierdünn wie zuvor. Und hatte trotzdem eine ungewohnte Wirkung auf ihn, rauschte überdeutlich in seinen Ohren, sprach dort von lebensgefährlicher Verletzlichkeit und exhibitionistischer Sensibilität, die den eigenen, destruktiven Wunsch nach Mißbrauch und Ausbeutung anstachelte.
 

Als er die Augen wieder öffnete, verpuffte der Raum voller verstörter Menschen, die ihren Drang nach Vernichtung nur mühsam in Zaum halten konnten und ein seltenes Geräusch fand den Weg aus seiner Kehle.

Respekt. Was für ein Junge.

"Gut, Paul. Du kannst nächste Woche Montag wiederkommen, Proben beginnen um sieben. Und schick beim Gehen den Rest der Leute weg."

Pauls Gesicht war ein Quell ungeahnter Faszination. Erstaunlich, wie wenig Muskeln er benötigte, um von einem Ausdruck zum nächsten zu kommen, der eine vollkommen andere Intention beschrieb.

"..ich hab die Rolle?"

"Nein."

Unverständnis machte sich auf dem jugendlichen Gesicht breit, jeweils nur eine Nuance entfernt von Freude und Beleidigtsein. Unglaublich dezent, aber sehr aussagekräftig, diese Mimik, dachte er begeistert und schmunzelte.

"Nicht für diese Rolle, du bekommst eine andere."

"Oh. Welche denn?"

"Ich weiß nicht, ich werde sie erst noch schreiben."

Er beobachtete Pauls Bewegungen, wie dieser hilflos seinen Arm mit dem Textauszug anhob, den er nur halbwegs auswendig gelernt und hier vorgetragen hatte. Seiner ganzen Gestik mutete etwas irritierend Unbeholfenes an, das unterschwellig sehr aggressiv machte. Erschreckend. Faszinierend.

"Nein, nicht in diesem Stück, Paul. Du bekommst dein eigenes. Ich werde es bis nächste Woche schreiben", lachte er rau und leerte sein Glas in einem Zug.
 

- Rechtschreibfehler gibt's heut gratis mit dazu :D -

- Bla und blubb, ist mein erster Beitrag, deshalb habt ein Einsehen mit moi. -



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (4)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Technomage
2008-12-26T11:29:29+00:00 26.12.2008 12:29
Ich hatte dir noch ein Kommentar versprochen und selbst wenn ich zu sonst nichts komme, stehe ich zu meinem Wort. Auch wenn ich die komplette kunstwissenschaftliche Analyse weglasse :D *kunstwissenschaftliche Analyse Dance*

Ich fand wirklich beeindruckend, wie subtil du die Stimmung in der Geschichte gewendet hast. Kein schüchternes Mäuschen, das auf einmal aus sich rausgeht und den Raum beglitzert, sondern eine Szene, die ihre Banalität und Sprödigkeit behält, während sich die Verhältnisse komplett wenden. Man spürt die Umkehr wie ein Ziehen im Hinterkopf, ohne dass es ausgesprochen wird und dann kommt ein Donnerschlag wie "Ich werde ein eigenes Stück für dich schreiben". Einfach wahnsinnig gewaltig in seiner Schlichtheit.

Also ich bin jetzt schon heilfroh, dass du hier dabei bist und ich hoffentlich regelmäßig solche Sachen von dir lesen darf ^__^.
Von:  Ito-chan
2008-12-21T18:52:14+00:00 21.12.2008 19:52
WOW... das ist das Leben... Hart und (un)gerecht.
Es ist echt genial und echt bewegend ^^
Ich mags total ^^
Von:  kumquat
2008-12-21T16:32:39+00:00 21.12.2008 17:32
Ich hab nichts Produktives zu sagen, muss ich gestehn. Du kennst ja meine Einstellung zu Kritik an assoziativen Geschichten. :o Und der Lesefluss ging halt auch runter die Butter, da sind mir jetzt keine offenen Stolpersteine aufgefallen.
Wobei ich im ersten Moment doch den Auditor mit Pascal assoziiert habe. So 'n bisschen. Aber spätestens beim Brillenpart hab ichs dann doch kapiert.

... Wenn ich Paul das nächste Mal treffe, frage ich ihn, ob er für mich brüchig "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad" sagen kann, und dann nehm ich ihn dabei auf. :D

P.S.: Meins.
Von:  Chimi-mimi
2008-12-21T13:23:06+00:00 21.12.2008 14:23
Interessante Idee und interessante Wendung.
Damit hätte ich nicht gerechnet, aber mir gefällt das Ende ziemlich gut.
Dein Schreibstil ist auch interessant XD
Am Anfang hatte ich meine Probleme, aber am Ende hat er mir ziemlich gut gefallen. Er passt zu der Story.
Paul hast du sehr gut rübergebracht, ich konnte ihn mir bildlich vorstellen und er tut mir auch ein bisschen Leid >.<
Fehler hab ich auch nicht wirklich gesehen.
Hat mir gefallen ^.^
Schöne Umsetzung des Satzes.

Chimiko


Zurück