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Das Blut des Königs

Gibt es überhaupt Helden in Zeiten des Krieges?
von

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König Aran stand am Fenster seines Schlafzimmers. Er konnte nicht schlafen, aber das war keine Seltenheit in den letzten Tagen. Das Fenster wies auf die Stadt hinaus, was bedeutete, er konnte sowohl die Gärten, als auch die Stadt, als auch die Ebene überblicken – die Richtung also, aus der sie kommen würden. Er wusste nicht, wie lange er dort schon gestanden hatte, aber zwischenzeitlich hatte er einen nachdenklichen Krieger durch die Gärten wandern sehen. Nach seiner Kleidung zur urteilen war er wohl der Beschützer einer der Magier und deshalb nicht bei den Truppen. Er sah aus wie ein Nordländer, zumindest aus der Ferne.

Ein energisches Klopfen an der Tür riss ihn aus seiner Lethargie.

„Herein!“

Die Tür öffnete sich einen Spalt und einer seiner Soldaten streckte seinen Kopf durch den Spalt. Sein Gesicht wurde von einem Kranz aus Licht umsäumt und war kaum zu erkennen – dennoch wusste Aran um wen es sich handelte: Sein Name war Hauptmann Tam Jardin und er war der Stellvertreter von Athrin Hohenfels.

„Es tut mir leid, Euch so spät noch zu belästigen…“

Aran machte eine beschwichtigende Geste.

„Ihr würdet mich nur bei etwas Dringendem benachrichtigen. Was gibt es?“

Tam trat ein und nickte.

„Ich bringe Kunde von der Front. Der Feind hat sich schneller bewegt als vorhergesehen. Er ist nun keine Tagesreise mehr von der Hauptstadt entfernt.“

„Ich verstehe… Das ist schneller als ich erwartet habe. Zieht alle verfügbaren Männer von der Front ab. Anareana muss um jeden Preis verteidigt werden, alles andere ist nebensächlich. Und lasst sofort nach Sonnenaufgang den Magierrat zusammenrufen. Ihre Unterstützung ist notwendiger als ich gedacht habe. Hätte ich gewusst, dass es schon so schnell so weit kommt, hätte ich nicht gewartet…“

„Ich kümmere mich sofort darum.“

Tam wollte sich gerade abwenden und gehen, als ihm der König noch etwas hinterherrief.

„Wartet – gibt es schon Neuigkeiten von Hauptmann Athrin und meinem Sohn?“

„Nein Herr, aber sie sind auch erst heute losgeritten. Ich veranlasse, dass man Euch sofort informiert, wenn Nachricht eintrifft.“

„Ich danke Euch…“

Aran kannte die Frage, die auf Tams Gesicht stand, aber er unterließ es, darauf zu antworten. Als der Hauptmann gegangen war, wandte er sich erneut ans Fenster.

Es war riskant, seinen besten Mann aus dem Gefecht zu entfernen, aber Jorins Sicherheit ging über alles. Sie war noch wichtiger als die Sicherheit der Hauptstadt und das nicht nur für seine Gefühle als Vater. Selbst wenn Anareana fiel, vermochte Jorin vielleicht das Ruder herumzureißen. Athrin war in jeden Plan eingeweiht worden und wusste was er zu tun hatte. Dennoch hoffte Aran, dass es dazu nicht kommen musste.

Der Magierrat vermochte ihm dabei behilflich sein. Sie würden die Truppen sicher im Kampf unterstützen – aber sie waren auch diejenigen die die Erlaubnis erteilen konnten, die Erlaubnis die Macht der Alten zu entfesseln. Immerhin waren sie bisher die Hüter darüber gewesen…
 

Iain erwachte durch die Leere neben sich im Bett. Es dämmerte, aber die Sonne war noch nicht aufgegangen. Verschlafen richtete er sich auf und erschrak.

Amaryll war bereits aufgestanden und angezogen. Sie kniete vor dem Kamin und sah aus, als ob sie betete. Neben ihr lag ihr abgetrennter Haarschopf und sein Schwert. Nun waren ihre Haare kürzer als schulterlang und nur noch durch ein Stirnband im Zaum gehalten. Er konnte nicht sagen, dass es schlechter aussah als zuvor, nur ungewohnt.

„Was hast du getan?“

Sie wandte sich um, wie als hätte sie jeden Augenblick mit dieser Frage gerechnet.

„Welche Antwort ist dir lieber? Die, dass ich mit meiner Vergangenheit abgeschlossen habe oder die, dass ich unnötigen Ballast abgeworfen habe?“

„Ich hasse sie beide.“

„Meine langen Haare hätten mich im Kampf behindert.“

„Ja, natürlich… Trotzdem werde ich sie vermissen…“

Er schälte sich aus der Felldecke und stand auf. Dann bückte er sich und hob die Haarbüschel auf.

„Bitte erlaube, dass ich das für dich aufbewahre.“

Sie nickte und lächelte.

„Gerne…“ Sie ging ein paar Schritte auf ihn zu und küsste ihn auf die Stirn. Dann blickten sie sich in die Augen, bis sich Amaryll schließlich abwandte.

„Ich… ich muss jetzt gehen.“

„Ich weiß.“

Er lächelte wehmütig, denn er hasste lange Abschiede genauso sehr wie sie es tat. Sie sah ihn noch einmal an und schluckte, bevor sie sprach.

„Auf Wiedersehen, Iain. Bitte pass auf dich auf.“

„Das kann ich nur zurückgeben. Ich werde jedenfalls auf dich warten.“

Sie nickte und ging dann zur Tür hinaus.

Als sie fort war, konnte er nicht verhindern, dass ihm Tränen in die Augen liefen, die er jedoch sofort unterdrückte. Stattdessen packte er und machte sich ebenfalls auf den Weg.

Mochten die Götter Amaryll und Anareana bewahren!
 

Der Ratssaal war bereits voll, als Amaryll eintraf. Sie konnte sich nicht erklären wie das zustande kam. Sie hatte seit ihrer Ankunft keinen ihrer Kollegen gesehen, aber auf der anderen Seite war sie anderweitig beschäftigt gewesen. Hinzu kam die Tatsache, dass der Palast, auch wenn er nun leerer war, immer noch recht groß war. Die Magier saßen um einen ovalen Tisch herum, hinter ihnen standen stoisch ihre Beschützer.

Insgesamt bestand der Magierrat aus zwölf Mitgliedern, die alle aus unterschiedlichen Provinzen kamen. Jeder hatte eine leitende Position an der Akademie der jeweiligen Hauptstadt, denn so wurde gewährleistet, dass nur die Fähigsten einen Platz im Rat innehatten. Außer Amaryll gab es noch eine andere Frau. Sie war schon recht alt, wirkte aber immer noch stolz und kam als Vertreterin der südlichsten Provinz. Ihr Name war Rhiannon Weitblick und war für ihre Strenge bekannt.

Amaryll gab einen knappen Gruß in die Runde und war dann auf dem Weg auf dem für sie vorgesehenen Stuhl platz zu nehmen. Alle Blicke folgten ihr und nach ein paar Sekunden Stille meldete sich Revan Tanarus zu Wort – Erzmagier und Leiter des Rates.

„Amaryll Gunnarsdottir! Wie kannst du es wagen ohne deinen Beschützer hierher zu kommen?“

Sie wandte sich um.

„Mein Beschützer wird nicht kommen. Er ist auf dem Weg zurück nach Jagedal. Ich verspreche jedoch, dass seine Abwesenheit mich in keinster Weise beeinträchtigen wird.“

„Es verstößt gegen den Kodex!“

„Wir leben nun wirklich nicht in einer Zeit, in der es Sinn macht, sich auf irgendwelche Regeln zu versteifen. Ich behaupte, die drohende Invasion ist ein größeres Problem als Iains Fehlen.“

„Gerade in Zeiten des Chaos ist es von größter Wichtigkeit, dass man die Regeln befolgt. Wir müssen weiterhin Geschlossenheit zeigen und dem Volk Mut machen.“

„Ich stimme zu, das Chaos nicht darf überhand nehmen. Aber ich habe diese Entscheidung gründlich durchdacht und bin bereit die Konsequenzen zu tragen. Wäre es nicht ein viel größeres Chaos, wenn Iain hier anwesend wäre, wir jedoch beide später im Kampf um Anareana gefallen wären und meine beiden Söhne zu Vollwaisen geworden wären.“

Ein älterer Magier, den Amaryll nur flüchtig kannte, warf ein: „Wer spricht denn von einem Kampf um Anareana? Soweit es mir bekannt ist, hat der Magierrat nicht zugestimmt…“

„Das genügt!“ Revans Stimme klang durchdringend und duldete keinen Widerspruch. Dann wandte er sich Amaryll zu. „Dein Handeln ist nachvollziehbar. Ich sehe du hast mit Voraussicht gehandelt, um das was kommen mag und die entsprechenden Vorkehrungen getroffen. Ich kann nur hoffen, dass es nicht zum Äußersten kommt. Setz dich, meine Tochter.“

Sie nickte und tat wie ihr geheißen. Noch immer konnte sie die beißenden Blicke auf sich spüren, ignorierte sie aber. Sie hatte sich Revans Unterstützung versichert, was die anderen davon halten mochten, war irrelevant. Sie war es doch, die Iains Fehlen am schmerzlichsten erfuhr… also war es auch ihre Sache…

Sie hatte kaum Zeit gehabt, diesen Gedanken zu Ende zu denken, als sich die große Tür erneut öffnete.

Ein würdevoller, älterer Mann trat ein, gefolgt von zwei Soldaten des Reiches. Sie konnte zu Recht annehmen, dass es sich hierbei um König Aran VII. handelte.

Amaryll war sich nicht sicher, wie sie seinen Auftritt bewerten sollte.

Jeder im Lande hatte von König Aran gehört, dem weisen König, dem milden König, dem würdevollen König. All das mochte auch auf die Gestalt zutreffen, die nun dem Magierrat gegenüberstand, aber in ihren Augen war er nur eines: ein gebrochener Mann.

Egal, was jetzt noch geschehen mochte, er konnte nur verlieren, oder anders gesagt, er hatte bereits so viel verloren, dass es keinen Unterschied mehr machte.

Er nickte Revan und den anderen zu und nachdem sich das latente Gemurmel im Saal in Stille verwandelt hatte, erhob er die Stimme.

„Erzmagier, liebe Ratsmitglieder… ich bin jedem von Euch zu immenser Dankbarkeit verpflichtet, dass Ihr trotz der widrigen Umstände heute hier zusammengekommen seid. Euch allen ist die Situation in der wir uns befinden, wohl bekannt, daher spare ich mir jedwede einleitenden Worte. Ich habe lange gezögert, den Magierrat zusammenzurufen und hoffe, es ist jetzt nicht zu spät, um noch etwas zu unternehmen. Eine Sache dürfte leicht zu erraten sein: Anareana wird angegriffen und wir sind um jede Unterstützung dankbar, die wir bekommen können. Alle hier Anwesenden verfügen über Fähigkeiten, die unserer Verteidigung zugute kommen können. Dennoch kann und will ich niemanden zwingen an einem Kampf teilzunehmen. Jeder sollte die Entscheidung für sich selbst fällen, ob er zur Unterstützung unserer Truppen etwas beitragen möchte, denn ich weiß, dass Magier in erster Linie Gelehrte sind und ihre Kräfte nur selten im Kampf einsetzen.“

Der Lautstärkepegel im Saal stieg, aber das war zu erwarten…

Zwar waren die meisten insgeheim davon ausgegangen, dass es zu einer solchen Bitte kommen könnte, waren aber überrascht, als dieser Fall konkret eintrat.

Kurze Zeit später brachen die Unterhaltungen ab und alle Augen richteten sich auf Revan.

„Majestät, ich danke Euch für das Vertrauen, dass Ihr uns entgegenbringt. Auch wenn diese Bitte möglicherweise etwas kurzfristig kommt, so denke ich, dass fast einstimmig davon ausgegangen werden kann, dass wir unsere Truppen so gut unterstützen, wie es in unserer Macht steht.“

Viele nickten zustimmend, nur einige wenige starrten Revan mit blankem Entsetzen an. Amaryll konnte ihre Blauäugigkeit nicht verstehen. Sie hatten sich alle freiwillig in einen Hexenkessel begeben, den zu verlassen bereits in einigen Stunden mit eindeutigen Schwierigkeiten verbunden sein würde.

Als sich die Unruhe wieder einigermaßen gelegt hatte, ergriff der König erneut das Wort.

„Nein, ich habe zu danken. Aber genau genommen ist all dies nebensächlich… der eigentliche Grund, warum ich Euch alle kommen ließ ist von „größerer“ Natur. Es geht um die Macht der Alten…“

Entsetztes Aufkeuchen.

„…Nur der Magierrat kann mir die Erlaubnis dafür geben. Und um jene ersuche ich Euch hiermit.“

Revan schluckte. Man konnte ihm seine Furcht direkt ansehen, etwas das nicht häufig geschah.

„Niemand weiß genau, was passiert, wenn wir diese Macht befreien. Als unsere Vorfahren die Machtquelle damals versiegelten, schworen sie, sie solle niemals wieder geöffnet werden.“

„Und sie hatten recht damit. Große Macht führt über kurz oder lang zur Korrumpierung des Charakters und gerade die Tatsache, dass nur ein Mitglied der königlichen Familie dazu in der Lage ist, führte bereits einmal zum Größenwahn,“ mischte sich Rhiannon Weitblick ein.

Aran nickte.

„Ich bin mir der Risiken durchaus bewusst, fürchte jedoch, dass diese Macht, so gefährlich sie auch ist, auf lange Sicht unsere einzige Chance ist.“

„Seid Ihr da sicher? Niemand weiß mehr genau, was sie genau bewirkt, immerhin wurden die Aufzeichnungen darüber vernichtet, nachdem man alles versiegelt hatte. Möglicherweise schädigt sie nicht nur die Angreifer, sondern auch uns?“

„Die Möglichkeit besteht, aber auf der anderen Seite basiert alles, was wir wissen auf Legenden und den Inschriften der Alten, die aber bei weitem noch nicht alle entziffert wurden. Was wirklich passiert ist in der Tat ungewiss, aber vermutlich besser, als von den Tamuranern überrannt zu werden.“

Inzwischen schwieg der gesamte Saal. Niemand der Anwesenden war sich im Klaren darüber, was er von der Bitte des Königs halten sollte. Man sah die Logik dahinter, aber eben auch das Risiko.

Es stimmte, man wusste nicht mehr viel über die Alten und was es war, bestand größtenteils aus Legenden. Was man wusste, war, dass das Siegel nach vollbrachter Tat in zwölf Teile zerbrochen wurde, von dem jedem Mitglied des Magierrates eines davon zur Verwahrung gegeben wurde. Jeder trug es in einer Kette um den Hals, was ihn als Ratsmitglied auswies. Diese Methode war fast so alt, wie die Menschheit selbst, aber sie garantierte am Zuverlässigsten, dass niemand auf dumme Gedanken kommen konnte.

Nun also sollten die Teile nach so vielen Jahren wieder zusammengefügt werden.

Revan wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als ein aufgebrachter Soldat in den Raum stürmte.

„Herr, wir werden angegriffen!“

Was daraufhin geschah, daran konnte sich Amaryll später nur noch schemenhaft erinnern. Es ging alles so schnell und war so unwirklich.

Ohne Zweifel war die Debatte um die Macht der Alten damit unweigerlich beendet und wurde, so wie es aussah, in naher Zukunft nicht mehr aufgegriffen.

König Aran stürmte mit seinen Soldaten aus dem Raum, wohin er ging entzog sich Amarylls Kenntnis. Und auch was der Magierrat tat, war uneinheitlich. Einige stürmten ebenfalls hinaus, andere blieben verzweifelt sitzen, die Panik in ihrem Gesicht geschrieben – und daran konnten auch deren Beschützer nichts mehr ändern.

Sie wunderte sich, wie man so kurzsichtig sein konnte. Jeder der hierher kam, hatte mit dem Angriff rechnen müssen, doch schienen es einige verdrängt zu haben.

Sie selbst eilte in die Kammer zurück, die man ihr zugewiesen hatte. Als sie die Tür öffnete schien auf den ersten Blick alles so, wie sie es zurückgelassen hatte.

Iain war fort, aber auf dem Tisch lagen ein Schwert und ein Brief.

Sie nahm ihn hoch und überflog die Zeilen.

„Du wirst es brauchen. Pass auf dich auf. Ich liebe dich. Iain.“

Schmerzerfüllt lächelnd legte sie den Brief zurück und schluckte die aufkommenden Tränen hinunter. Stattdessen hob sie das Schwert auf und schnallte es sich auf den Rücken.

Sie war hier um ihre Pflicht zu tun, nicht in Sentimentalitäten zu versinken. Zwar waren ihre Kampfkünste nur begrenzt, aber möglicherweise konnte sie sich damit verteidigen – ihre Aufgabe war ja nicht der Angriff.

Danach ging sie auf die Knie, kroch unter das Bett und holte von dort eine Ledertasche hervor, die sie vor Iain verborgen gehalten hatte – er hätte es nicht verstanden.

Ja, er wusste nun, dass sie blieb, um die Stadt zu verteidigen, aber vermutlich hatte sie es schon länger gewusst. Sie war eine Heilerin, eine Wissenschaftlerin und ihre Kräfte waren das Einzige was sie zur Verteidigung beisteuern konnte. Wie bei jedem Magier, so gingen die Kräfte zur Neige, wenn die Konzentration erschöpft war, etwas das nach einigen Stunden bei jedem passierte.

Der Trank den sie sich vorsorglich besorgt hatte und der nun in eben dieser Tasche ruhte, verhinderte genau das – natürlich hatte diese Wirkung ihren Preis, aber hatte nicht alles im Leben einen?

Sie schulterte die Tasche, stand auf und rannte aus dem Raum.



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