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Life of a Turk

von

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Mission 1.1

Reno lief, so schnell ihn seine Beine tragen konnten. Kalter Regen fiel auf ihn hinab und durchnässte ihn. Noch wenige Schritte und er würde sein Ziel erreicht haben. Der Rotschopf bog um eine Ecke, eine schaurige Szenerie spielte sich vor ihm ab. Sarah, eine der Neuen, lag blutüberströmt auf dem Boden. Die junge Frau regte sich nicht, Reno vermutete, dass seine Kollegin das Bewusstsein verloren hat. Er wünschte es ihr sogar. Ein abscheuliches Biest bedrohte die Frau. Nur noch Jin, ebenfalls einer der neuen Turks, hielt es mit seinem Katana zurück. Doch Reno erschien es wie ein aussichtsloser Kampf. Er verschwendete keinen weiteren Gedanken mehr an das Für und Wider, sondern setzte sich mit einem Kampfschrei in Bewegung.

Das Monster riss ruckartig seinen Kopf herum und fixierte den Angreifer aus grün leuchtenden Augen. Geifer troff aus dem aufgerissenen Maul und verschmierte die Straße. Das Monster wandte sich nun ganz zu Reno um und dieser holte zum Schlag mit seiner EMR aus. Das Biest wich geschickt aus, wartete, bis der Rotschopf vorbeigerauscht war und setzte dann zum Gegenangriff an. Es verletzte Reno mit seiner Klaue an der Wange, noch bevor dieser seinen Schlagstock zwischen sich und das Monster bringen konnte. Reno keuchte und wich einen Schritt zurück. In jedem Fall hatte er sich selbst zwischen das Monster und seine Kollegen gebracht, doch er beachtete die Neulinge nicht weiter. Abschätzig schaute Reno das Monster nun an, wog verschiedene Angriffsmöglichkeiten ab und entschied sich dann für eine Finte. Er täuschte den selben Angriff wie zuvor an, das Monster fiel darauf herein, indem es sich keifend auf Reno stürzte. Im letzten Moment sprang der Turk nach links, vollführte eine Drehung und schlug seinem Gegner mit Schwung auf den Hinterkopf. Ein Knacken war zu hören, Reno musste dem Biest wohl den Schädel eingeschlagen haben, denn es fiel wie ein Mehlsack auf den Boden. Kurz blickte Reno noch auf sein Opfer hinab, bevor er sich dann zu den anderen Turks umdrehte. Jin hatte sich über Sarah gebeugt und wischte ihr gerade mit dem Taschentuch das Blut aus dem Gesicht. Reno lief zu den beiden hinüber und machte eine besorgte Mine, als er Sarah genauer anschaute.

"Was ist mit ihr?"

Jin zuckte kurz zusammen, schüttelte dann aber nur traurig den Kopf.

"Sie ist bewusstlos. Das Monster hat sie ziemlich übel erwischt!", antwortete er dann sachlich aber nicht ohne Gefühl.

"Hm, Tseng hat euch doch gesagt, ihr sollt nicht alleine auf Streife gehen! Und vor allem solltet ihr nie alleine ein Monster jagen, das aus Prof. Hojo's Labor entwischt ist."

Der Rotschopf wartete erst gar nicht auf eine Antwort, sondern zückte sein Handy, um im ShinRa Headquater anzurufen.

"Hey? Jo Tseng, ich bin's, Reno! Wir haben hier einen Notfall. Einen der Frischlinge hat's schwer erwischt!"

Stille schlich sich durch die Straßen, während Reno seinem Boss zuhörte. Danach klappte er sein Telefon zu und steckte es wieder ein.

"Tseng schickt 'nen Heli her."

"Okay..."

Jin's Stimme klang piepsig. Er stand noch immer unter einem Schock. Sarah und er waren, entgegen den Befehlen Tsengs, einzeln auf Streife gegangen. Er in Sektor 5 Midgars, sie in Sektor 8. Später am Abend war eine SMS aus dem Turk-Büro gekommen, ein Monster sei aus den Versuchslabors entwischt. Die Turks sollten es entweder einfangen oder eliminieren. Es hatte einige Zeit gedauert, bis Jin das Monster aufgespürt hatte. Zu dem Zeitpunkt hatte seine Kollegin Sarah es bereits gestellt, doch sie war dem Biest nicht gewachsen. So musste Jin mit ansehen, wie Sarah brutal zu Boden geschleudert wurde und sich nicht mehr regte. Entsetzt hatte er Verstärkung angefordert und war dann auf das Monstrum losgegangen.

"Hey, lass den Kopf nicht hängen! Sarah wird bald wieder auf den Beinen sein."

Reno hatte den Neuling still beobachtet und versuchte jetzt, ihm etwas Trost zu spenden. Er konnte sich in etwa denken, was in Jin vorging. Die beiden hatten ihr Leben auf's Spiel gesetzt, um ihrer Pflicht nachzukommen. Der Senior-Turk bewunderte das. Ihm selbst war es damals, als er bei der Turks angefangen hatte, zuwider. Befehle musste er bis dato nie befolgen und hat meist auch nie getan. Doch Verdot's Einschüchterungstaktik und vor allem seine Drohungen hatten den Rotschopf damals davon überzeugt, lieber doch zu spuren.

Die Geräusche von Rotorblättern hallten leise durch die Gassen. Reno nickte Jin kurz zu und hielt dann nach dem Helikopter Ausschau. Jin seinerseits strich Sarah kurz über ihre blutverschmierten Haare und hob sie dann noch. Scheinwerfer tauchten suchend in der Straße auf und ein großer dunkler Schatten schwebte dahin. Der Helikopter senkte sich langsam dem Boden entgegen und setzte auf. Das Seitenfenster öffnete sich und Tseng steckte den Kopf heraus, mit der freien linken Hand Gesten machend. Reno und der Frischling liefen auf den Helikopter zu und dieser verschwand brummend in der Nacht.

Feierabend

Jin saß im Turk-Büro vor seinem Bildschirm. Ein kurzer Blick auf die Uhr genügte ihm um festzustellen, dass er schon viel zu lange im Büro war. Doch der Bericht über die Mission, bei der der junge Mann so glänzend versagt hatte, wollte ihm einfach nicht von den Fingern gehen. Obwohl Jin sich ansonsten gerne an seinen Schreibtisch setzte und Missions-Berichte tippte. Er stöhnte und nahm sich dann den Becher Kaffee, den er sich vorhin am Automaten geholt hatte. Leer. Ein Seufzen entwischte ihm und er stand auf, um sich neuen Kaffee zu holen.

Im Gang traf er auf seinen Vize-Chef, Tseng, der gerade mit einer Akte aus Verdot’s Büro kam.

„Du bist ja noch da?“, sprach der Turk ihn an.

„Ja, ich... Mir macht der Missions-Bericht Probleme.“

„Verstehe. Das hat aber auch noch Zeit bis morgen. Am besten gehst du jetzt nach Hause und schläfst eine Nacht drüber.“

Tseng schaffte es wie immer, einen einfachen Vorschlag wie einen Befehl klingen zu lassen. Jin nickte nur kurz, selbst wenn er sich weigerte, würde Tseng doch im Recht bleiben. Und so übermüdet wie er momentan war, brachte er heute sowieso nichts Brauchbares mehr zustande. Der junge Mann mit der Brille auf der Nase schlurfte also ergeben zu seinem Terminal zurück und fuhr den Rechner hinunter.

Doch bevor er das ShinRa Headquater verließ, besuchte er Sarah auf der Krankenstation. Die Nachtschwester führte ihn zu einem Zimmer ganz am Ende des Ganges. Leise klopfte er an und trat dann ein. Sarah schlief. Leise, um sie nicht zu wecken, schlich Jin zum Bett hinüber und setzte sich auf den Stuhl, der daneben stand.

Jin betrachtete Sarah gedankenverloren. Ihr Kopf war mit einer Bandage eingewickelt. Die Schwester hatte ihm vorhin erklärt, dass die Patientin ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma hatte, aber sicher in einigen Tagen wieder entlassen werden könne. Sarah’s Gesicht wirkte entspannt, vermutlich hatte man ihr Schmerzmittel verabreicht. Die Brust hob und senkte sich gleichmäßig beim Atmen. Schüchtern beugte Jin sich vor und strich seiner Kollegin über das Gesicht. Er mochte sie, hatte sich von Anfang an gut mit ihr verstanden. Ihre sachliche Art und die Tatsache, dass seine Kollegin in jeder Situation das richtige Benehmen traf, beeindruckten ihn.

Der junge Mann, der ursprünglich aus Gongaga stammte, stand auf und verließ das Zimmer. Er grüßte die Nachtschwester noch einmal und fuhr dann mit dem Aufzug ganz hinab. Jin kam es wie eine halbe Ewigkeit vor, bis sich die Fahrstuhltüren endlich summend auseinander schoben. Das Licht im Eingangsbereich kam dem Turk blendend grell vor. Ein Zeichen mehr dafür, dass er dringend sein Bett aufsuchen musste. Aber er stöhnte nur, als er Reno vorm Eingang wartend sah.

„Was gibt’s?“, fragte Jin nur.

„Hey, hab mir gedacht, du könntest mal ’ne Auszeit gebrauchen? Lass uns was saufen gehen!“

Reno schnappte sich einfach nur den Oberarm seines Kollegen und zog ihn mit. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein, dachte sich Jin. Tseng hatte ihm doch gesagt, er soll sich ausschlafen und jetzt kommt dieser Chaot von einem Turk daher. Zumal Jin eh nicht der Partylöwe von Nebenan war.

„Warte mal...!“

Doch Jin’s Einwand blieb ungehört. Reno schleifte ihn einfach weiter und nach kurzer Zeit saß der Junior-Turk auch schon in einer Bar an einem Tresen und hatte einen Bierkrug vor sich stehen. Rude war ebenfalls da. Der Glatzkopf hatte Jin zur Begrüßung nur kurz zugenickt und sich dann wieder seinen eigenen Gedanken gewidmet.

„Lass dich nicht so hängen!“, meinte Reno dann breit grinsend und knuffte Jin in die Seite.

„AUA! Ich bin wirklich nicht in der Stimmung, um...!“, beschwerte sich der Neuling

„Ach was, sei nicht so verklemmt.“

Reno nahm einen tiefen Schluck aus seinem Krug und schaute Jin dann aufmunternd an. Dieser ergab sich widerwillig in sein Schicksal und trank ebenfalls einen Schluck. Wenn Reno sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er nur noch selten davon abzubringen. Das hatte Jin schon sehr früh gelernt. Überhaupt war Reno viel zu chaotisch, um als Turk ernst genommen zu werden. Das fand zumindest Jin, wenn er an den Schreibtisch des Rothaarigen dachte. Reno hatte es scheinbar nicht so mit Büroarbeit und Ordnung, weshalb sich die Akten und Unterlagen haufenweise auf seinem Platz türmten. Wie jemand in so einem undefinierbaren Haufen vernünftig arbeiten konnte, war für den jungen Turk ein Rätsel. Doch Reno’s nicht vorhandene Ordnung schien nicht der Ausschlag dafür gewesen zu sein, warum Verdot ihn in sein Team holte. Denn wenn Reno auf einer Mission war, war er wie eine tödliche Axt, die alles hinwegfegt.

Vielmehr schätzte Jin die ruhige und besonnene Art, wie sie Rude an den Tag legte. Auch wenn Rude ab und zu ein wenig zu wortkarg war. Jin war es lieber, niveauvolle Gespräche mit dem Glatzkopf zu führen, als sich mit Reno herumzuärgern. Weshalb er seinen Bierkrug leerte und dann aufstand.

„Heyheyhey!“, fing Reno dann auch gleich zu meckern an, „Du willst uns doch wohl noch nicht verlassen?“

„Doch. Ich bin hundemüde und mir tun die Knochen weh. Also nichts für ungut. Rude.“

Jin verabschiedete sich höflich von den beiden und verließ dann die Bar, während Reno ihm leicht verdattert nachblickte.

„Also, manchmal versteh ich den Jungen echt nicht.“, meinte er dann zu Rude.

Auftrag 1.2

Die Sonne schien zum Fenster herein. Eigentlich war der Tag viel zu schön, um ihn in einem Büro zu verschwenden. Nicht jedoch, wenn man Tseng hieß. Der Second in Command des Department of Administrative Research oder auch Turks genannt, stellte gerade ein Memo für das Tagesgeschehen zusammen. Kurz zuvor noch hatte Verdot ihm einige Informationen zukommen lassen. Aus diesen zog Tseng sich nun die für den Tag anstehenden Missionen raus. Ein Klopfen ertönte von der Tür her. Der Wutainese wunderte sich, dass ihn zu so früher Stunde bereits jemand anderes als sein Mentor sprechen wollte.

"Herein!", war seine knappe Aufforderung.

Schnell öffnete sich die Tür und Jin kam herein. Tseng war überrascht, verzog jedoch keine Mine. Er konnte sich denken, warum der Junge hier war.

"Guten Morgen, Sir!", grüßte Jin seinen Chef, "Ich hab den Bericht endlich fertig."

Er ging zu dem Schreibtisch und reichte eine Mappe an Tseng weiter.

"Gut. Etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet. Hier ist deine Mission für den heutigen Tag. Du wirst sie zusammen mit Reno durchführen. Gibt’s noch Fragen?"

Jin überflog kurz das Blatt Papier, das ihm gegeben wurde und nickte dann.

"Nein, keine Fragen, Sir."

Kommentarlos wandte er sich zum Gehen um. Als er bei der Tür war, sprach Tseng ihn noch mal an:

"Und Jin, du musst nicht den Helden spielen. Rufe Verstärkung, wenn du alleine nicht klar kommst."

"Verstanden!", war die Antwort und Jin verschwand schnell aus dem Zimmer.

Na super. Tseng hielt ihn bestimmt für einen Anfänger. Okay, letztendlich war er genau das. Jin sehnte den Tag herbei, an dem er endlich zum Senior-Turk befördert wurde. Doch bis dahin war es noch ein weiter und steiniger Weg. Der Brillenträger seufzte und machte sich auf die Suche nach Reno, seinem Partner für diesen Tag. Der würde vermutlich gerade das Gebäude betreten oder den Kaffee-Automaten belagern. Und genau da fand er den Rotschopf auch.

"Guten Morgen, Sir. Wir gehen heute zusammen auf Mission."

Jin gab den Zettel, den er von Tseng bekommen hatte, an Reno weiter und nahm sich dann ebenfalls Kaffee. Der Wachmacher war eine Sucht, derer er nachging, seit er das Turk-Dasein fristete. Und wenn er darüber nachdachte, trank jeder in der Abteilung Kaffee.

"Also ein Infiltrationsteam aus Wutai aushebeln?", fragte Reno etwas gelangweilt.

"Ja Sir."

"Auch gut, an solchen kann man sich hervorragend abreagieren, ohne groß Nachdenken zu müssen. Merk dir das, Jin!"

Der nickte nur und folgte Reno dann zum Ausgang. Die Turks hatten einen Tipp darüber erhalten, dass eine terroristische Vereinigung einen Angriff auf ein ShinRa Inc. Waffenlager plant. Woher der Hinweis kam oder was genau die Terroristen mit den Waffen anstellen wollten, wusste man wohl nicht. Doch die wirklich wichtigen Leute in der Firma gingen lieber kein Risiko ein. Deshalb schickte man die Turks los, die für solche Aufgaben hervorragend geeignet waren.

"Wie kommen wir in die Slums?", fragte Jin.

"Über den Bahnhof, warst du noch nie da?"

Reno war mehr als erstaunt, als Jin tatsächlich den Kopf schüttelte.

"Hm, gut, wenn das so ist, sollte ich dir vielleicht mehr darüber erzählen."

Und so unterrichtete der Rotschopf seinen Kollegen über das wichtigste, was er über die Slums wissen musste. Eine gute viertel Stunde später erreichten die beiden den Bahnhof. Reno erzählte immer noch.

"Also, wunder dich nicht, wenn die Bewohner in den Slums unfreundlich zu dir sind. Die sind nicht besonders gut zu Sprechen auf die Plattform-Bewohner. Doch die Turk-Anzüge haben sie bisher immer abgeschreckt, weshalb sie einen behandeln, als wäre man gar nicht anwesend."

"Ach so..."

Jin hatte die ganze Zeit über nur zugehört und ließ sich jetzt alles noch einmal durch den Kopf gehen. Reno löste zwei Zugtickets. Normalerweise würde der Rotschopf mit einem Helikopter zur Mission anrücken, doch in diesem speziellen Fall war Unauffälligkeit gefragt. Nicht gerade eine der Stärken des Senior-Turks, doch er war anpassungsfähig. Also fuhren die beiden mit dem Zug in die Slums und stiegen am Bahnhof aus. Reno blickte sich kurz um.

"He, sieht so aus, als wären wir unbekannt geblieben. Lass uns mal lieber verschwinden von hier, der Bahnhof ist zu auffällig. Wir gehen am besten direkt nach Wall Market in Sektor 6. Dort hat Don Corneo seine Basis, wie ich dir erzählt hatte. Wenn einer was weiß, dann er."

"Okay, alles klar."

Reno lief voran, gemeinsam verließen sie den Bahnhof im Süden, durchquerten Sektor 5, um über einen kleinen Spielplatz Wall Market in Sektor 6 zu betreten.

Mission 1.2

„So, da wären wir.“, meinte Reno knapp.

Er blickte sich um. In Wall Market war momentan viel los, was Reno nicht wunderte und auch nicht ungelegen kam. So würde es leichter sein, ungesehen zu Don Corneo zu kommen.

„Wenn du von hier aus nach rechts gehst, kommst du zur Honigbiene!“, erklärte Reno seinem Kollegen, „Das ist das Massage-Haus, das unserem Kunden gehört, doch oft werden da auch Intrigen geschmiedet. Wir werden direkt zum Don gehen.“

„Verstanden, Sir.“, antwortete Jin lahm.

Er hatte die Zugfahrt über geschwiegen und war auch auf den Weg nach Sektor 6 ziemlich still geblieben. Jetzt blickte er sich um, verwundert darüber, dass sich so viele Menschen an einem Ort befanden. Auf der Plattform hatte Jin so etwas noch nicht beobachtet. Dort versuchten die Bewohner immer nur, möglichst schnell und ungesehen von A nach B zu kommen, nahmen sich kaum Zeit für das Zwischenmenschliche. Hier in Wall Market schien jeder jeden zu kennen. Doch um die beiden Anzugträger machten sie einen Bogen, während sie den Markt passierten. Vorbei an Läden und Restaurants führte sie ihr Weg in den nördlichen Teil des Marktes, an dessen Stirnseite sich ihr Ziel befand.

„Hey, Jin. Komm mit, wir schleichen uns von hinten rein.“, meinte Reno.

Die beiden bogen hinter einem Restaurant nach links und schlichen durch eine finstere Gasse fast bis an die Rückseite des Gebäudes. Hinter einer großen Holzkiste suchten sie Schutz, um die Lage zu sondieren. Fenster waren hier keine zu sehen, nur eine massiv aussehende Stahltür gewährte Einlass zum Gebäude. Dort stand eine Wache, ein schwarz gekleideter Brocken von einem Mann. Er sah nicht so aus, als könnte man mit ihm Spaß haben.

„Jin, den übernimmst du!“, sagte Reno, „Schalte ihn aus, ohne viel Lärm zu verursachen.“

„Jawohl, Sir!“

Jin zog sein Katana. Kurz warf er noch einmal einen Blick auf den Bereich vor dem Rückgebäude. Dann schlich er sich auf die andere Straßenseite hinter weitere Kisten. Sich immer in den Schatten haltend schaffte der Turk es, sich bis nahe an die Wache heranzuschleichen. Jin wartete. Bei näherem Hinsehen fiel ihm auf, dass die Wache zeitweise unachtsam war. Der Mann schaute hin und wieder auf seine Uhr. Jin entschied sich, die Wache im Augenblick seiner nächsten Unaufmerksamkeit auszuschalten. Und sie kam früher als erwartet.

Der Mann wandte sich um und stand nun mit dem Rücken zu Jin. Besser konnte es gar nicht laufen, dachte er sich, packte seine Waffe und stürmte los. Die Wache bemerkte ein Geräusch und sah sich um. Doch es war zu spät. Jin’s Gegner wollte gerade in seine Jacke greifen und eine Waffe herausziehen, doch längst hatte Jin ihm sein Katana in den Magen gerammt. Schnell ließ der Turk seine Waffe los und griff sich den Arm seines Opfers, um ihn lautlos zu Boden sinken zu lassen. Reno kam von seinem Versteck hervor und sah ihn anerkennend an.

„Gut gemacht! Wir gehen rein.“

„Okay.“

Jin steckte sein Katana weg und besah sich die Tür. Sie war schwer und sah stabil aus, schien jedoch nur durch ein Schloss gesichert zu sein.

„Lass mich das machen!“

Reno schob seinen Kollegen zur Seite und holte verschiedenes Werkzeug zum Türenöffnen raus. Darin war er spitze, hatte er doch das Talent zum Schlösser knacken schon beherrscht, bevor die Turks ihn unter ihre Fittiche nahmen. Das Leben des rothaarigen Senior-Turks bestand zumeist aus Einbrüchen und Diebstählen, um sich überhaupt über Wasser halten zu können. Aus diesem Grund gelang es Reno schnell, das Schloss zu knacken.

„So, das hätten wir.“, flüsterte Reno.

Schnell schlichen sie sich hinein. Rechts von sich sah Jin einen Empfangsbereich mit einer Theke, die jedoch nicht besetzt war. Links führte eine Treppe nach oben zu einer Galerie, die sich über ihnen befand. Reno deutete mit einem Fingerzeichen an, dass sie die Treppe hochgehen würden und Jin folgte ihm lautlos. Reno ließ sich nicht anmerken, dass er bereits einmal in diesem Gebäude war, doch war das lange Zeit her. Er führte Jin zum Ende der Galerie, wo eine steile Treppe nach unten führte. Sie versicherten sich kurz, dass von dort kein Angriff zu erwarten war, dann wandten sie sich zu der Doppeltür um, die man ebenfalls über die Galerie betreten konnte. Reno zog seinen Schlagstock, gab Jin ein kurzes Zeichen und trat sodann die Tür ein.

In dem Zimmer befanden sich zwei Leibwächter Don Corneo’s. Doch diese stellten keine wirkliche Gefahr für Reno und seinen Begleiter da. Die Turks schalteten ihre Gegner mit einigen gekonnten Hieben und Schlägen aus und gingen dann auf die Tür zum Hinterzimmer zu. Dort musste sich der Chef des Hauses befinden, wie der Rotschopf vermutete. Erneut trat er die Tür ein und stürmte in das Zimmer. Der Don saß erschrocken auf seinem Bett, lediglich mit einer Unterhose bekleidet und starrte Reno fassungslos an.

„Reno?! Was für eine ... unerwartete Überraschung! Was kann ich für dich tun?“

Don Corneo war um Fassung bemüht und bewegte sich langsam zur Bettkante hin. Doch wenn er dachte, die Turks hereinlegen zu können, lag er falsch. Der Senior-Turk schubste Jin auf die linke Seite des Bettes und weg von dem Läufer-Teppich, unter dem eine Falltür angebracht war. Er selbst ging auf die rechte Seite des Bettes, dorthin, wo Don Corneo sich befand. Schnell packte Reno den Don am Ohr und zog ihn ganz vom Bett herunter. Tödlich meinte er nur:

„Du wirst uns jetzt begleiten!“

Verhör

Der Raum war klein und nackt. Nur ein Tisch und zwei Stühle befanden sich darin. Eine flackernde Deckenlampe spendete kaltes Licht. Don Corneo saß seit etwa zwei Stunden eingesperrt in diesem Raum, ohne dass sich jemand zeigte. Man hatte ihm nicht einmal etwas zu trinken gegeben. Anfangs hatte er, wütend über diese Art der Behandlung, herumgebrüllt, es dann aber aufgegeben. Die Tür öffnete sich und Reno kam mit einem weiteren Turk herein. Diesen kannte Don Corneo nicht. Der Turk war groß gewachsen und hatte längere schwarze Haare, die zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst waren. Auf der Stirn hatte er einen schwarzen Punkt. Der Schwarzhaarige blieb gegenüber Don Corneos stehen, während Reno sich hinter ihm postierte.

„Verdammt, ihr verfluchten Ar...“

Doch weiter kam Don Corneo nicht mehr, den Reno holte aus und schlug ihm mit der flachen Hand auf den Hinterkopf.

„Benimm dich gefälligst!“, schimpfte der Rotschopf.

Tseng nickte Reno zu und wandte sich dann an Don Corneo. Er sah ihn mit seiner üblichen nichts sagenden Mine an und trieb seinen Gegenüber damit fast in den Wahnsinn. Doch der Don beherrschte sich.

„Also,“, fing Tseng an, „uns sind Berichte zu Ohren gekommen, dass du eine Revolte gegen ShinRa Inc. planst.“

„WAS??! Ihr ...“, wollte Don Corneo aufbegehren, wurde aber durch einen neuerlichen Schlag des Rotschopfs zum Schweigen gebracht.

„Dir ist wohl nicht klar, wo du dich befindest? Also, was hast du vor?“

„Nichts, ich ... Verdammt, wie kommt ihr darauf, dass ich etwas plane? Ehrlich, ich führe überhaupt nichts im Schilde“, versuchte Don Corneo, sich herauszureden.

Er konnte schließlich nicht ahnen, dass dies eine Zermürbungstaktik der Turks war, um Informationen aus ihm herauszupressen. Tseng sah ihn mit einem prüfenden Blick an, er wusste, dass der Don bei diesem speziellen Fall eine weiße Weste hatte. Doch lag die Vermutung nahe, dass ihm Gerüchte zu Ohren gekommen waren. Und auf die hatten es die Turks abgesehen. Tseng öffnete sein Jackett, eine Geste, die er sonst eigentlich nie im Beisein eines anderen machte, und gab den Blick auf seine Waffe frei.

„Du klingst nicht sehr überzeugend, also raus mit der Sprache!“, meinte Tseng nur.

Die eiskalte Stimme des Schwarzhaarigen und sein mörderischer Blick sowie die Tatsache, dass er eine Waffe trug, ließen Don Corneo weich werden. Etwas weinerlich versuchte er, sich aus der enger gezogenen Schlinge zu ziehen:

„Ehrlich. Ich plane überhaupt nichts, was ShinRa Inc. schaden könnte! Wir waren doch bisher immer so etwas wie Geschäftskollegen.“

„Ach ja, waren wir das?“

„Ich dachte immer ... Wie kommt ihr überhaupt auf diese absurde Idee?“

„Also gut, ganz wie du willst.“

Tseng verließ das Verhörzimmer zusammen mit Reno und die Tür wurde wieder abgeschlossen. Beide gingen in das Zimmer nebenan, von wo aus sie mittels einer Kamera den Gefangenen beobachten konnten.

„Ich denke, er will uns über’s Ohr hauen, Sir!“, platze es aus Reno heraus.

„Hm, vermutlich hast du Recht. Lassen wir ihn schmoren“, entschied der Second in Command der Turks.

Weitere zwei Stunden verstrichen, in der Don Corneo alleine war. Nicht nur, dass es in dem stickigen, fensterlosen Raum viel zu heiß war, nein, ShinRa schien überhaupt vergessen zu haben, dass er noch da drin saß. Eine lange Zeit später, Don Corneo kamen es wie Stunden vor, öffnete sich die Tür und die beiden Turks kamen wieder herein. Reno stellte eine Wasserflasche auf den Tisch, doch stand sie außerhalb der Reichweite des Dons. Verlangend starrte er darauf, doch keiner machte Anstalten, ihm einen Schluck zu gewähren.

„Also, wir haben einen Tipp bekommen, dass eine wutainesische Terroristenvereinigung ein ShinRa Waffenlager überfallen will. Was weißt du darüber?“, fragte Tseng.

Don Corneo überlegte gut, bevor er antwortete:

„Nicht viel, meine Leute haben so dies und das aufgeschnappt. Nichts wirklich Weltbewegendes, aber ...“

„Wir wollen wissen, wo ihr Versteck ist!“

Tseng war etwas lauter geworden, doch sonst deutete nichts darauf hin, dass er innerlich brodelte. Wenn Don Corneo meinte, Spielchen spielen zu können, dann sollte er das haben.

„Entweder, du sagst uns jetzt, was du weißt, oder ...“

Der Wutainese ließ den Satz unbeendet. Sollte sich ihr ‚Kunde’ selbst ausmalen, was passiert, wenn er nicht spurte.

„Verd... Ist ja schon gut, ich sage, was ich weiß. Zweien meiner Jungs sind neulich ein paar seltsame Typen aufgefallen. Die haben sich ständig umgesehen, vermutlich waren sie vor jemandem auf der Flucht oder so. Ich hab sie eine Weile beschatten lassen, doch irgendwann haben sie die Idioten von Leibwächtern verloren.“

Der Don versuchte, einen Witz zu machen und Tseng zum Lachen zu bringen, doch als dieser keine Mine verzog, fuhr er fort.

„Wir glauben, dass sie sich in Sektor 5 in den Slums aufhalten.“

„Na also, geht doch!“, meinte Tseng.

Gemeinsam mit Reno verließ er das Zimmer um sofort eine Besprechung mit Verdot abzuhalten. Der Don blieb alleine zurück.

Erinnerungen

„Wie geht es dir?“, fragte Jin.

Er war wieder auf der Krankenstation, besuchte Sarah. Sie war wach und schaute ihn aus ihren großen haselnussbraunen Augen an. Ein schwaches Lächeln zogen Sarahs Mundwinkel nach oben.

„Gut, vielen Dank. Wie sieht es in der Abteilung aus?“, fragte sie dann.

Jin seufzte kurz. Die Arbeitsmoral seiner Kollegin war das noch nicht statuierte Example für alle in der Abteilung. Sarah trennte Arbeit und Privatleben wie keine andere.

„Etwas drunter und drüber, aber das ist normal“, erzählte Jin, „Heute war ich mit Reno auf einer Mission in den Slums von Sektor 6. War ganz interessant, aber da unten leben könnte ich vermutlich nicht.“

„Warum?“, fragte Sarah munter.

„Dort geht alles total hektisch zu. Viele Leute befinden sich auf einem Haufen. Es ist zwar faszinierend zu sehen, wie alles seinen Platz zu haben scheint, aber mir wäre es dann doch etwas zu chaotisch“, antwortete Jin.

Seine Kollegin lächelte wieder. Der junge Mann ließ sich ebenfalls zu einem Grinsen hinreißen. Am liebsten würde er den ganzen Nachmittag bei Sarah auf der Station verbringen. Doch jederzeit konnte sein Handy einen Pieps von sich geben und dann musste er wieder zurück. Zurück zu seinem Job, den er sich nicht ausgesucht hatte.

Jin kam ursprünglich aus Gongaga. Dort war er angesehen, hatte er sich doch nie etwas schlechtes zu Schulden kommen lassen. Doch wie es der Zufall wollte, waren irgendwann ShinRa-Funktionäre aufgetaucht und wollten einen Mako-Reaktor bauen. Die Bewohner aus Jins Heimatdorf waren strikt dagegen und scheuten auch nicht vor Überfällen auf ShinRa-Patrouillen zurück. Nur Jins Eingreifen gelang es damals, einige Aktivisten entkommen zu lassen, doch er selber wurde von ShinRa verhaftet. Jin saß lange Zeit im Gefängnis, bis die Turks auf ihn aufmerksam wurden. Man garantierte ihm volle Straffreiheit, im Gegenzug dafür jedoch musste er sich dem Department of Administrative Research anschließen und die so genannte Drecksarbeit übernehmen.

„Weißt du denn schon, wann du entlassen wirst?“, fragte Jin, um von seinen trüben Gedanken abzulenken.

„Hm, der Arzt hat gemeint, in ein bis zwei Tagen. Ich halte das hier irgendwie gar nicht mehr aus. Die ganze Zeit liege ich nur im Bett, nicht mal herumgehen darf ich ohne Aufsicht. Ich bin froh, wenn ich wieder in die Arbeit kann“, meinte Sarah trübe.

Das nutzlose Herumhocken lag ihr überhaupt nicht. Müsste Sarah länger bleiben, würde sie Jin bitten, ihr Missionsberichte zu bringen, damit sie wenigstens auf dem Laufenden war. Doch wenn sie eh in zwei Tagen entlassen wurde, würde sich das nicht rentieren. Sarah erinnerte sich an die Zeit vor den Turks zurück.

Ihre Eltern hatte sie früh verloren, also wuchs sie bei Verwandten im Gasthaus zum Eiszapfen auf. An ihre Kindheit erinnerte sie sich eigentlich kaum noch, nur noch ganz selten spielten sich Szenen aus ihrem früheren Leben vor ihr ab. Als sie älter wurde, entschied sie, Söldnerin zu werden. Durch diesen Beruf lebte sie meist in einem sehr maskulinen Umfeld, was ihrem eigenen Verhalten aber nicht schadete. Irgendwann einmal bekam sie Besuch von zwei Anzugträgern. Der Ältere von beiden hatte sich damals als Verdot vorgestellt und ihr ein Angebot unterbreitet. Ein Angebot, das sie in ihrer damaligen Lage nicht ablehnen konnte.

„Woran denkst du gerade?“, fragte Jin neugierig.

„Ach, nichts, nur an meine Vergangenheit. Wie läuft es sonst so in der Arbeit.“

„Das übliche, Reno ist chaotisch wie eh und je, von den anderen sehe ich kaum welche. Ich bin schon gespannt, ob ich heute noch einmal ran muss. Aber was ich gerne wissen würde ist, was bei dem Verhör heute raus kam. Bei der heutigen Mission haben wir so etwas Ähnliches wie einen Mafia-Boss dingfest gemacht. Na ja, das größte Problem stellten eigentlich seine Leibwächter dar, doch selbst die machten keine nennenswerten Schwierigkeiten. Ob die den Mann schon wieder haben laufen lassen?“, überlegte Jin.

„Jin, mach dir doch darüber keine Gedanken. Wir sind doch nur Werkzeug für die hohen Herren in der Chefetage. Und solange mit der Bezahlung alles stimmt, ist mir das ganz recht.“

„Na du bist mir ja eine. Machst du dir denn nie Gedanken darüber, was genau unsere Arbeit ist? Ich mein, ab und zu ist es ja doch ziemlich schmutzig.“

„Ja, stimmt schon“, antwortete Sarah, „Ach, ich weiß auch nicht, warum ich da so kalt und herzlos bin.“

Jin sagte nichts mehr. Er wunderte sich wirklich, wie Sarah ab und zu so eiskalt sein konnte. Eben wie eine richtige Killerin. Waren die Turks genau das? Killer? Der Brillenträger wollte das im ersten Moment nicht wahrhaben. Er schwieg eine Weile, bis ein Klingeln die entstandene Stille zerriss. Jin zog sein Handy aus der Tasche und blickte auf das Display. Eine Teambesprechung in einer halben Stunde. Er seufzte.

„Ich muss gleich weg. Tseng will mich bei einer Besprechung dabei haben“, erklärte Jin.

„Na, dann nichts wie los.“, meinte Sarah nur, „Und pass auf dich auf.“

„Ja ...“, kam es zögerlich, „Gute Besserung. Vielleicht schau ich heute Abend noch einmal rein, je nachdem, ob man mich lässt.“

Jin verabschiedete sich von Sarha und verließ dann die Krankenstation.

Auftrag 1.3

Reno holte sich gerade eine übliche Tasse Kaffee, als sein Handy ihn auf die Besprechung in einer halben Stunde im Büro des schwarzhaarigen Wutainesen aufmerksam machte. Er seufzte. Nachdem sie heute Morgen Don Corneo hergeschafft hatten und er dann bei dem Verhör anwesend war, das Tseng durchführte, gönnte man dem Rotschopf auch jetzt keine Verschnaufpause. Er ließ den Kaffee stehen und lief los. Herrje, wieso musste Tseng’s Büro auch am anderen Ende des Ganges sein? Als Reno bei den Aufzügen vorbei kam, schoben sich gerade die Türen des linken Fahrstuhls summend auf und eine Blondine, ebenfalls Mitglied im Team, schob sich heraus. Es war Rosalinde, oder einfach nur Rose.

„Hallo“, grüßte sie kurz angebunden und folgte dem Senior-Turk dann.

Reno sagte nichts. Überhaupt sprach er selten mit den Neuligen, soweit es nicht gerade um eine Mission ging. Denn von den Neuen hielt der Rotschopf nicht viel, vor allem, wenn es Frauen waren. Er fragte sich eh schon laufend, warum Verdot in letzter Zeit hauptsächlich Frauen ins Team holte. Reno’s Meinung nach war das Turk-Dasein eine Männerdomäne und sollte es auch bleiben. Doch leider hatte er da nichts zu entscheiden und so musste er wohl oder übel in den sauren Apfel beißen.

Der Senior-Turk kam als erstes bei der Tür an und öffnete, ohne zu Anzuklopfen. Eben genau so, wie es seine Art war. Er trat schnell ein und blieb stehen, erstaunt darüber, dass das restliche Turk-Team, das für die kommende Mission benötigt wurde, scheinbar schon vollzählig anwesend war. Rude stand gelangweilt an der rechten Wand, während Jin auf einem Sofa Platz genommen hatte. War Reno etwa schon wieder der letzte gewesen?

„Entschuldigung?“, kam es ungehalten aus seinem Rücken.

Ach nein, Rosalinde war ja die letzte. Kichernd trat er zur Seite und gewährte der Blonden Einlass. Verdot saß an Tseng’s Schreibtisch und hatte das Haupt über einen Bericht gebeugt, der vor ihm lag. Tseng flüsterte seinem Mentor kurz etwas ins Ohr und dieser erhob sich.

„Also, wenn alle anwesend sind, können wir ja beginnen“, begann der Chef der Turks, „Wie sicher einige von euch mitbekommen haben, wurde heute Don Corneo von uns verhört. Es ging dabei in erster Linie um die Gerüchte, die uns über terroristische Aktivisten zu Ohren gekommen sind. Viel konnte der Don nicht beisteuern, jedoch hat es gereicht, um den geheimen Versteckpunkt der Aktivisten ausfindig zu machen. Und das wird unsere nächste Aufgabe sein. Das war es von meiner Seite aus.“

Verdot blickte den Turks einem nach dem anderen in die Augen und verschwand dann in sein eigenes Büro. Tseng seinerseits nahm den Platz hinter seinem Schreibtisch ein und zog eine Karte heraus, auf der die Slums von Sektor 6 abgebildet waren. Er winkte die Turks heran, um mit ihnen die Vorgehensweise zu besprechen.

„Also, wir bilden zwei Teams zu je zwei Personen. Jin zusammen mit Rude und Rosalinde zusammen mit Reno.“

Reno seufzte. Wieso musste ausgerechnet er mit Rose zusammenarbeiten?

„Hast du etwas zu sagen?“, schnauzte Tseng ihn fast an.

„Nein, Sir!“, kam es kleinlaut von dem Senior-Turk.

Der Second in Command fuhr fort:

„Nach unseren derzeitigen Informationen befindet sich das Aktivisten-Nest genau hier in diesem Gebäude.“

Tseng zeigte mit dem Finger auf ein Gebäude, das etwas alleine und am Rand des Sektors stand. Offensichtlich gab es nur wenige Möglichkeiten, sich unbemerkt an das Gebäude heranzuschleichen, was ein großes Hindernis darstellte. Doch für die Turks war dies kein Ding der Unmöglichkeit. Der Wutainese erklärte weiter, wie sie vorgehen würden:

„Am besten versucht ihr, über das etwas kleinere Gebäude im Hintergrund rein zu kommen. Wir wissen leider nicht, wie viele Leute sich darin aufhalten. Also geht davon aus, dass ihr in der Unterzahl seid. Ziel der Mission ist es, so viele Gefangene wie möglich zu machen. Aus diesem Grund wird eine kleine Kompanie der Armee in der Nähe bereitstehen. Die Aufgabe der Turks besteht darin, die Aktivisten-Zelle auszuspionieren und wenn möglich einzudringen. Setzt euch mit dem Kompanie-Chef in Verbindung, sobald ihr eingedrungen seid. Das Militär wird dann zu bereits bestimmten Schlüsselpositionen vordringen und sich dort bereithalten.“

Eine Pause entstand, in der Tseng sich vergewisserte, dass jeder der Anwesenden das Gesagte verstanden hatte. Dann fuhr er fort:

„Geht kein unnötiges Risiko ein. Wenn ihr euch der Sache nicht sicher seid, ruft Verstärkung. Gibt es noch Fragen?“

Die Turks schüttelten kollektiv den Kopf.

„Gut, wegtreten!“, waren Tseng’s letzte Worte.

Rosalinde verließ als erste das Zimmer, um sich für die kommende Mission vorzubereiten. Reno blickte ihr kopfschüttelnd nach. Ihm war es zuwider, mit ihr zusammenarbeiten zu müssen, aber es hatte wohl keinen Sinn. Mit einem Laut der Resignation folgte er ihr und holte sie auf dem Gang ein.

„Ey, wieso hast du es denn so eilig?“, fragte er sie.

„Ich habe eine Mission bekommen und möchte mich noch vorbereiten, Sir“, antwortete sie.

In Reno’s Ohren hörte sich das ziemlich kühl an. Rosalinde war wohl ebenfalls nicht davon begeistert, mit ihm zusammenarbeiten zu müssen, so wie es umgekehrt der Fall war. Der Senior-Turk seufzte erneut und übernahm dann die Führung.

Mission 1.3.1

Rosalinde war in ein Gasthaus in Sektor 6 gegangen, während Reno davor Wache hielt. Der Senior-Turk hatte sie angewiesen, Informationen zu sammeln und genau das tat sie. Der Blondine gegenüber stand der Gastwirt und musterte sie von oben bis unten. Sein abfälliger Blick drückte alles aus, was er von ihr dachte. Doch so leicht gab Rosalinde nicht auf. Mit einem eiskalten Blick fragte sie ihn noch einmal, ob er in letzter Zeit etwas Auffälliges in den Slums bemerkt hätte. Größere Menschenansammlungen, mehr Diebstähle als sonst. Doch der Wirt verneinte erneut. Er schien wohl tatsächlich nichts zu wissen. Rosalinde verließ das Gasthaus wieder und zusammen mit Reno ging sie um die Hausecke.

„Und? Konntest du etwas herausfinden?“, fragte der Rotschopf.

„Nein Sir, der Wirt hat in letzter Zeit nichts Auffälliges bemerkt“, antwortete sie pflichtergeben.

„Nun, dann wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als in Sektor 5 zu gehen und selbst Nachforschungen anzustellen. Komm mit“, sagte Reno.

Er lief los, vergewisserte sich nicht einmal, ob die Blonde ihm folgte. In Sektor 5 angekommen, gingen die beiden gleich zu einem Einkaufsstand weiter, um nicht viel Aufsehen zu erregen. Sektor 5 war bei weitem nicht so belebt, wie der Wall Market. Das Zielobjekt selbst stand, wie auf der Karte eingezeichnet, etwas abseits in einer finsteren Ecke. Rosalinde warf einen Blick hinüber. Vor dem Gebäude befand sich niemand. Als sie ihre Augen in eine andere Richtung wandte, bemerkte sie Jin zusammen mit Rude. Die beiden hatten sie ebenfalls bemerkt, ließen es sich jedoch nicht anmerken.

„Vor dem Haus ist alles ruhig, Sir!“, erzählte sie Reno.

„Sehr gut, dann sollten wir uns langsam auf den Weg machen!“, meinte der Rotschopf.

Die Beiden wandten sich um, gingen noch etwas in Sektor 5 herum, um einen unauffälligen Eindruck zu erwecken und standen ziemlich bald bei dem Gebäude. Bei näherem Hinsehen viel Rosalinde auf, dass die Fenster mit Brettern vernagelt waren. Kein noch so kleiner Lichtschimmer drang durch die Ritzen in den Brettern.

„Vermutlich gibt es einen Keller“, schätzte Reno, „Jin und Rude gehen von hinten rein, wir versuchen, über das Dach reinzugelangen. Siehst du die Regenrinne dort? An der werden wir hochklettern.

„Ist das dein Ernst?!“, fragte Rosalinde erschrocken.

„Klar!“

Reno grinste die Blondine nur an, es ganz übersehend, dass sie gerade den angebrachten Respekt übersehen hatte. Der Rotschopf schlich zu der Hausecke hin und wartete, bis Rosalinde zu ihm gestoßen war. Wortlos machte er eine Räuberleiter, um ihr hoch zu helfen. Rose setzte den Fuß an und zog sich an der Regenrinne nach oben. Es war seltsam, sie ging niemals davon aus, irgendwann einmal wo einbrechen zu müssen. Und vor allem nicht so. Es war ziemlich anstrengend für sie, sich an dem glatten Rohr hochzuziehen, mit den Beinen Halt zu finden und sich weiter nach oben zu schieben. Als die junge Frau oben ankam, stand ihr der Schweiß auf der Stirn.

Etwas klapperte metallisch. Rosalinde riss erschreckt den Kopf herum, doch das konnte nur Reno sein, der nun ebenfalls die Dachrinne hochkletterte. Wahnsinn. Er hatte viel weniger Zeit dafür benötigt, als sie selber.

„Was guckst du denn so?“, fragte der junge Mann.

„Ach nichts. Vielleicht sollten wir versuchen, dort drüben hinein zu kommen?“

Rose deutete auf etwas, das wie ein kleiner Fensterverschlag aussah. Die beiden Turks schlichen sich hinüber und untersuchten es.

„Okay, das ist ziemlich eng“, bemerkte Reno, „Wie gut, dass wir zwei hier rauf geklettert sind.“

Er zog eine Taschenlampe aus dem Jackett und leuchtete in den Verschlag. Der Hohlraum darunter sah nicht so aus, als könne man aufrecht darin stehen. Doch kriechen schien möglich zu sein.

„Ladies first!“, meinte Reno grinsend.

Rose starrte ihn nur an, setzte sich dann an das Loch und ließ sich vorsichtig mit den Füßen voran gleiten. Sie bekam Boden zu fassen, testete zuvor jedoch die Stabilität mit einigen Tritten. Als sie sicher war, nicht durchzubrechen, kroch sie ganz hindurch. Reno reichte ihr die Taschenlampe durch und kroch dann selbst hinterher. Der Rotschopf wollte sich aufrichten, stieß sich aber an einem Deckenbalken den Kopf. Rosalinde kicherte kurz und schaltete dann die Taschenlampe wieder ein. Der Speicher schien nur so etwas wie ein Lager zu sein, denn etwas weiter weg sahen die beiden mehrere Kisten stehen. Sie gingen hinüber und fanden hinter den Kisten einen Aufgang, der vom unteren Stockwerk nach oben führte. Der Senior-Turk untersuchte kurz die Klappe, doch mit einem einfachen Druck seiner Hand gab es nach. Die Tür fiel quietschend nach unten, Reno griff an den Rand des Loches und schwang sich nach unten. Die Blondine folgte ihm schleunigst.

„Sieht so aus, als wären wir unbemerkt geblieben“, stellte Reno fest und zog sein Handy aus dem Jackett.

Er würde jetzt den Kompaniechef anrufen und ihm ihre aktuelle Position durchgeben. Von da an musste es schnell gehen. Der Rotschopf nickte seiner Kollegin zu und zusammen stiegen sie die Treppe hinunter.

Mission 1.3.2

Rude hatte sich mit seinem Partner ebenfalls zu dem Haus begeben. Sie hatten beobachtet, wie Reno Rosalinde nach oben half und dann selbst hinterher geklettert war. Die beiden Männer standen jetzt an der Hausrückseite neben der Tür, die wie die Fenster mit Brettern vernagelt war.

„So einfach kommen wir da nicht rein“, stellte der Glatzkopf fest, „Versuche, die unteren Bretter aufzuhebeln.“

Jin nickte und zog sein Katana. Er setzte die Klinge in dem Spalt zwischen den beiden untersten Brettern an und fing an zu hebeln. Der Nagel war ziemlich rostig, weshalb es dem Turk schon nach kurzer Zeit gelang, die unterste Latte zu lösen. Keuchend machte er weiter, bis der Türgriff freigelegt war. Rude betätigte den Türgriff und diese schwang quietschend nach innen. Er bückte sich unter den Brettern hindurch und stand sodann in einem finsteren Gang. Was der Senior-Turk nicht wusste, dass am Ende des Ganges jemand auf ihn lauerte. Rude tastete sich langsam vor, hinter sich hörte er die tappenden Schritte, die Jin verursachte.

Als er bei der Treppe ankam, schlug ihm jemand mit dem Ellenbogen auf die Nase. Rude ging mit einem Keuchen zu Boden, doch Jin griff sich sein Katana und stürzte sich auf den unsichtbaren Gegner. Dieser war einige Schritte die Treppe hochgegangen und wehrte Jin’s schlecht gezielte Hiebe mit einem Holzknüppel ab. Währenddessen richtete Rude sich wieder auf, er hatte eine blutige Nase und war darüber nicht gerade erfreut. Wütend zog er eine Taschenlampe hervor und leuchtete in die Richtung, aus der die Kampfgeräusche zu ihm drangen. Der Glatzkopf konnte beobachten, wie Jin sich unter einem Hieb des Gegners hinweg duckte und dann seinerseits nach den Beinen des Mannes stach. Er traf ihn nur ungenau, doch der Mann schrie fast und sank mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden. Diese Chance ließ sich Rude nicht entgehen, stürzte die Treppe rauf und gab dem Angreifer mit einem gekonnten Hieb ins Gesicht den Rest.

„Das war verdammt knapp“, meinte er dann.

Der Senior-Turk leuchtete nochmals mit der Taschenlampe in dem Gang herum, doch schienen keine weiteren Gegner in versteckten Winkeln zu lauern.

„Rude?“, kam es von weiter oben.

Die Stimme kannte er doch. Das konnte nur der Rotschopf sein, der mit Rosalinde über das Dach eingestiegen war.

„Wir sind hier“, flüsterte er leise nach oben.

Fußgetrappel erklang und Reno kam mit seiner Partnerin langsam herunter.

„Was war das für ein Lärm?“

Der Glatzkopf deutete schweigend auf den bewusstlosen Mann am Boden.

„Ach so. Ging das nicht leiser?“, wollte Reno dann neckend wissen, „Am besten, den schafft einer hinaus. Die Kompanie müsste jetzt eh an Ort und Stelle sein. Jin, übernimm du das. Wir warten solange hier.“

Der Brillenträger nickte nur, griff dem am Boden liegenden Mann unter die Arme und schleifte ihn vorsichtig zu der Hintertür.

„Wie gehen wir weiter vor?“, fragte Rosalinde in die Stille hinein.

„Ganz einfach,“, meinte Reno, „Wir stürmen den Keller und treiben die Aktivisten heraus.“

Etwas klapperte an der Hintertür. Erschreckt rissen alle drei die Köpfe herum, sahen jedoch nur den vierten im Bunde, wie er gerade wieder durch das Loch kletterte.

„Und wo ist der Keller?“, frage Rude.

Er hatte sich kurz umgeblickt, konnte aber keine Treppen entdecken, die nach unten führten. Vermutlich gab es so etwas wie einen geheimen Abgang, den es jetzt zu finden galt. Jin und sein Partner wandten sich stumm den Zimmern auf der linken Seite des Ganges zu, während Rosalinde und Reno die auf der anderen Seite untersuchten. Im ersten Augenblick schien es nicht so, als gäbe es überhaupt einen Keller. Rosalinde und Reno waren gerade in so etwas wie einer Küche. Auf der rechten Seite gab es einen Küchentisch mit drei Stühlen. Eine dicke Staubschicht ließ darauf schließen, dass sich hier schon lange niemand mehr aufgehalten hatte. Links, dort, wo das Fenster war, gab es ein Spülbecken und eine Arbeitstafel mit einem kleinen Herd.

„Ich glaube, hier finden wir nichts, Sir!“, stellte Rosalinde sachlich fest, „In diesem Zimmer war schon lange niemand mehr.“

„Da hast du Recht. Komm, lass uns wieder raus gehen.“

Rude und Jin ihrerseits befanden sich in einem Wohnzimmer. Verschiedene Möbel, abgedeckt mit großen weißen Tüchern standen herum, doch sah der Raum nicht so alt und abgestanden aus, wie es bei der Küche der Fall war. Der Senior-Turk steckte seine Hand durch die Tür und winkte die anderen beiden, ihm zu folgen.

„Sieht so aus, als hätten wir hier mehr Glück“, meinte er nur.

Jin war gerade dabei, die Möbel zu untersuchen. Die meisten machten einen unverdächtigen Eindruck, doch der Wohnzimmertisch war es, der merkwürdig aussah. Der Mann mit der Brille schaute genauer hin, war sich jedoch nicht sicher.

„Kann mir mal jemand eine Taschenlampe geben?“, fragte er.

Rude gab ihm das Gewünschte, Jin kniete sich hin und beleuchtete den Boden. Aha, wie er vermutet hatte. Unter dem Tischchen waren Kanten im Boden, die nicht zu dem üblichen Muster passten.

„Ich glaube, hier haben wir gefunden, was wir gesucht haben“, erklärte Jin, „Jetzt müssen wir nur noch den Auslöser für diesen Aufzug finden.“

Mission 1.3.3

„Gar nicht schlecht!“, meinte Reno anerkennend.

Der Rotschopf hätte nicht gedacht, dass Jin so auf Zack war. Rosalinde musste sich jetzt seiner Meinung nach ziemlich ins Zeug legen, um das auszugleichen. Er ging ebenfalls in die Hocke, um diesen gut getarnten Aufzug zu untersuchen.

„Vermutlich ist der Hebel irgendwo im Raum“, überlegte er.

Rosalinde sah ihre Chance gekommen. Akribisch suchte sie den Raum ab und wandte sich als erstes einem Schrank zu. Darin standen einige Bücher, die die Blondine der Reihe nach herauszog. Doch keines löste den Mechanismus aus, mit dem man den Aufzug betätigte. Enttäuscht drehte sie dem Schrank den Rücken zu und blickte dann direkt auf den Wohnzimmertisch. Dort standen einige Gegenstände, Gläser, eine Lampe und eine Schale mit Obst. Rose fand das komisch, hielt sich doch scheinbar nie jemand hier auf. Sie ging zu dem Tischchen hinüber und wollte die Obstschale hochheben. Doch sie hing an einem Kabel fest. Ein Grollen erfüllte den Raum, der Aufzug setzte sich in Bewegung und Rosalinde rauschte in die Tiefe. Krachend fuhr der Aufzug nach kurzer Zeit wieder nach oben, doch die junge Turk war verschwunden.

„Okay, jetzt wissen wir wenigstens, wie das da betätigt wird“, meinte Reno nüchtern.

Die Männer stellten sich rund um das Tischchen auf, Rude zog die Obstschale nach oben und ein weiteres Mal glitt der Aufzug quietschend nach unten. In der Tiefe angekommen blickten sie sich um. In dem dämmrigen Licht konnten die Turks nicht viel erkennen. Sie befanden sich in einem höhlenartigen Raum. Es war ziemlich feucht und roch nach Moder. Rude schätzte, dass diese Höhle viel größer war, als das Haus darüber. Die Blondine schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. War sie alleine weitergegangen? Nein, Rude konnte sich das nicht vorstellen. Rosalinde war das Paradebeispiel dafür, wenn es darum ging, Anweisungen zu befolgen. Der Glatzkopf sah sich um.

„Wenn ihr eure kleine Freundin wiedersehen wollt, dann legt jetzt die Waffen nieder!“, brüllte jemand etwas weiter entfernt.

Ein Deckenlicht ging an und spendete schmutziges Licht. Am anderen Ende standen mehrere Männer, doch war es ein ausgeglichenes Verhältnis im Vergleich zu den Turks. Einer von ihnen, vermutlich der Anführer, hatte Rosalinde in seiner Gewalt und hielt ihr eine Pistolen an die Schläfe. Der Mann war recht groß, aber schlank und sah nicht so aus, als würde er viele Schwierigkeiten bereiten. Ein größeres Problem stellten seine Komplizen dar, die allesamt mit Spießen bewaffnet waren.

Die junge Turk blickte beschämt zu ihren Kollegen hinüber. Vielleicht hätte sie ihren Verdacht, was die Obstschale betraf, vorher mit ihnen teilen sollen. Jetzt war es jedenfalls zu spät.

„Na wird’s bald?!“, brüllte der Anführer der Bande nochmals.

Rude blickte zu Reno und Jin hinüber und auf ein wortloses Kopfnicken hin legten sie ihre Waffen zu Boden. Einer der Angreifer lief los und sammelte Jin’s Katana und Reno’s EMR auf und gesellte sich dann wieder zu seinen Kumpanen. Die Männer stammten aus Wutai. Das war ihrem Dialekt deutlich anzuhören.

„Ich hatte nicht gedacht, dass ihr wirklich hier aufkreuzt. Dass die Turks wahrlich so dumm sind“, fing der Anführer wieder an.

„Halt die Klappe“, meinte Reno genervt.

Ihm nagte es an seinem Ego, dass er auf die anscheinend gestellte Falle reinfiel. Aber letztendlich war es Rosalinde’s Schuld, fand er. Der Rothaarige überlegte sich etwas.

„Wieso kämpfst du nicht gegen mich?“, fragte Rude etwas gelangweilt.

„Wie?! Ich bin doch nicht wahnsinnig“, stellte der Wutainese fest.

„Feigling.“

Das war zu viel für den Anführer. Er schubste Rosalinde beiseite, genau das, was Rude hatte erreichen wollen.

„Du Arsch nennst mich einen Feigling?! Ich zeig dir gleich, was es bedeutet, sich mit uns anzulegen!!“

Der Wutainese stürmte mit einem Kampfschrei auf Rude los. Dieser wich dem Hieb mit dem Spieß aus und packte die Stange mit beiden Händen an der Mitte. Ein Gerangel um die Waffe entbrannte. Das reichte den letzten Aktivisten, um auch endlich in einen wilden Kampf mit den Turks zu entbrennen. Für Reno war es ein leichtes, sich mit den Gegnern zu kloppen, war er doch auf der Straße aufgewachsen. Doch Jin tat sich etwas schwerer. Der Mann aus Gongaga hatte sich meist nur dann geprügelt, wenn es die Situation erforderte und das war bei ihm selten der Fall. Unerfahren wie er war, versuchte er, einem anderen ins Gesicht zu schlagen. Doch sein Gegner wich aus, schnappte sich Jin’s Hand und drehte sie auf den Rücken. Jin unterdrückte einen Schmerzensschrei. Aus einem Reflex heraus beugte er sich nach unten und trat seinem Peiniger durch dessen Beine hindurch auf den Rücken. Die Wucht des Schlages brachte den Mann aus dem Gleichgewicht, er ließ den verdrehten Arm wieder los und wäre fast auf den Turk draufgestürzt, wäre dieser nicht ausgewichen.

Rosalinde hatte sich absichtlich weiter fallen lassen, als der Stoß des Anführers verursachen konnte. Vorerst unbeachtet von den Wutainesen, sah sie sich nach etwas um, was ihr als Waffe dienen konnte, entdeckte jedoch nichts. Ein Schrei hinter ihr ertönte und einer der Aktivisten stürzte mit seinem Spieß auf sie zu. Die Blondine packte den Spieß, ließ sich nach hinten gleiten und warf ihren Gegner mit den Füßen nach hinten. Schon hatte sie eine Waffe und sah sich nach einem nächsten Gegner um.

Rude war ebenfalls siegreich aus seinem Kampf hervorgegangen. Jetzt stand er mit seinem Gegner an der Wand und hielt ihm die Spitze seiner Waffe an den Hals.

„Jin, ruf den Kompaniechef an!“, gab der Glatzkopf Anweisung.

Dieser zögerte auch nicht, zog sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer, während er sich einige wenige Wutainesen mit der Stange vom Leibe hielt.

Begegnung

„Das habt ihr sehr gut gemacht!“, stellte Tseng sachlich fest.

Die Turks, die am Abend den Auftrag in Sektor 5 durchgeführt hatten, waren alle noch einmal in das Büro des zweiten Turk-Chefs gebeten worden. Reno und Rude hatten sich darauf geeinigt, von Rosalinde’s Fehler nichts zu sagen. Das war zwar nicht richtig, ersparte der jungen Frau jedoch mächtigen Ärger. Sie war dafür mehr als dankbar, jedoch war ihr auch bewusst, dass sie ihren Rettern jetzt etwas schuldig war. Rosalinde wollte seufzen, hielt sich aber still, während Tseng weiter sprach:

„Durch eure Hilfe und das schnelle Eingreifen der Armee ist es gelungen, die Aktivisten allesamt lebendig zu fangen. Im Moment befinden sie sich im Gefängnis, die Verhöre werden morgen beginnen, doch kümmert euch nicht weiter darum. Das wird die Aufgabe von anderen sein. Morgen reicht es, wenn ihr mittags zum Dienst antretet. Haltet euch aber bereit, falls ein dringender Auftrag hereinkommt. Wegtreten!“

Die Turks verabschiedeten sich allesamt von dem Schwarzhaarigen und gingen dann nach draußen.

„Danke Jungs, das werde ich euch nie vergessen!“, meinte Rosalinde dann zu Reno und Rude.

Der Rotschopf grinste nur frech und legte ihr seinen Arm um die Schultern. Jetzt würde vermutlich irgendein zwielichtiger Vorschlag von ihm kommen und genau so war es auch.

„Du könntest uns auf einen Drink einladen!“, schlug er vor.

„Ähm, heute lieber nicht.“

Rosalinde schaute Reno entschuldigend an. Doch der Chaot würde schon wissen, wie es momentan in ihr aussah. Sie wollte so schnell wie möglich nach Hause, ins Bett fallen und nie mehr aufwachen.

„Lass sie mal!“, meinte Rude nur.

Der Glatzkopf schon Reno einfach weiter, während dieser noch lauthals protestierte. Die junge Frau ließ den Atem, den sie während der Besprechung die ganze Zeit angehalten hatte, endlich entweichen. Wie gut, dass Reno und Rude zwei so nette Kollegen waren. So würde mit Sicherheit auch ihr Vater nicht erfahren, was sie sich heute geleistet hatte. Vermutlich würde er ihr mit Enterbung drohen oder so etwas. In jedem Falle stand der Haussegen schief, wenn etwas nicht so lief, wie ihr Vater es haben wollte.

Rosalinde blickte sich um. Jin war nicht mehr zu sehen, er musste wohl ebenfalls bereits gegangen sein. Sie ging auf die Fahrstühle zu und dachte weiter über ihr bisheriges Leben nach.

Als Ausbilder an der ShinRa Militärakademie war ihr Vater sehr streng. Doch was sein eigen Fleisch und Blut betraf, war es sogar noch schlimmer. Rosalinde war die ältere von zwei Töchtern in der Familie. Schon mit vierzehn Jahren hatte ihr Vater sie an der Militärakademie, an der er selber lehrte, eingeschrieben. Die Ausbildung hatte etwa 6 Jahre gedauert und die damalige Schülerin hatte als eine der Besten ihres Jahrgangs abgeschnitten. Sie erinnerte sich noch sehr gut daran, wie stolz ihr Vater vor einigen Wochen bei der Abschlussfeier war. Wie ein Honigkuchenpferd hatte er von einem Ohr zum anderen gegrinst, Komplimente und Glückwünsche entgegengenommen. Rosalinde’s fünf Jahre jüngere Schwester Elena jedoch war diejenige, die darunter am meisten zu leiden hatte. Sie stand ständig in ihrem Windschatten. Laufend musste sie sich Sticheleien ihres Vaters anhören, dass sie nie so gut wurde, wie ihre große Schwester. Es war wohl Ironie des Schicksals, dass Elena sich ebenfalls auf der Militärakademie hat einschreiben lassen. Rosalinde hatte ihr damals davon abgeraten, jedoch konnte sie nichts gegen die Sturheit des jungen Mädchens ausrichten.

Es piepte vor ihr. Die Türen des Fahrstuhls zogen sich auseinander. Während der Aufzug langsam in die Tiefe glitt, warf Rose einen Blick auf die Stadt, die ihre Heimat war. Es war bereits Nacht, weshalb die Hauptverbindungsstraßen und öffentliche Plätze taghell erleuchtet waren. Wie viel Energie das wohl verbrauchte? Doch der Turk war das egal. Für sie zählte nur ihr Job.

Auf halber Höhe hielt der Fahrstuhl an und die Türen gingen wieder auf. Herein kam Verdot in Begleitung einer Frau und eines kleinen Jungen.

„Sir!“, grüßte Rosalinde ihren Vorgesetzten, wie es ihre Pflicht war.

„Rosalinde? Du bist noch hier?“, fragte der Oberbefehlshaber der Turks.

„Ja, Sir. Wir hatten noch eine Besprechung bei Tseng wegen der ... Mission von heute“, erklärte sie.

„Aha!“

Mehr wollte Verdot schon gar nicht mehr wissen und die Blondine widmete sich wieder ihren eigenen Gedanken. Sie drehte den anderen Passagieren den Rücken wieder zu und betrachtete die Frau und den Jungen, deren Gesichter sich schwach von der Fensterscheibe abhoben. Der Junge war etwa sechzehn Jahre alt, hatte blondes Haar und wirkte unnahbar. Die Frau hingegen machte einen freundlichen Eindruck, jederzeit zu einem Schwatz bereit. Rosalinde kamen die beiden wage bekannt vor, doch ihr Gedächtnis ließ sie im Stich. Vermutlich waren es nur irgendwelche Familienangehörigen, die hier jemanden besuchten. Das kam öfters vor bei den Angestellten in den unteren Stockwerken.

Ein Piepsen. Sie hatten die Lobby erreicht. Rosalinde ließ den anderen den Vortritt und schob sich dann hinter Verdot’s Rücken aus dem Aufzug. Sie fand es komisch, dass ihr Chef die beiden Personen mit sehr viel Respekt behandelte, gerade so, als wären sie seine Vorgesetzten. Die Blondine zuckte mit den Schultern und ging dann zum Ausgang. Heute Nacht würde sie vermutlich Albträume von ihrer Mission haben, doch willig ergab sie sich in ihr Schicksal und machte sich auf den Weg nach Hause.

Junon

Eine Brise Seewind strich über den Flughafen hinweg und brachte Sarah’s Haare in Unordnung. Ihr Krankenhausaufenthalt war inzwischen knapp drei Wochen her, wofür sie sehr dankbar war. Jetzt war sie mit dem Luftschiff von Midgar nach Junon geflogen, um hier zusammen mit Jin eine Mission zu erledigen. Der junge Mann war noch an Bord des Luftschiffes, das auf den Namen Highwind getauft wurde. Es war der ganze Stolz der ShinRa Luftwaffe, was die junge Frau gut nachvollziehen konnte. Doch war es für Sarah mehr das Gefühl der Freiheit, was sie so faszinierte.

„Sarah!“, erschallte ein Ruf von oben.

Jin stand auf dem Freideck und winkte ihr. Zwei Crew-Mitglieder ließen ihre Gepäckstücke mit einem Kran hinab, während ihr Kollege an einer Strickleiter hinunterkletterte. Unten angekommen schulterte er die Taschen und lächelte Sarah schüchtern zu. Dann warfen sie gemeinsam einen Blick auf die Militärstadt.

„Das ist also Junon?“, fragte Jin, „Ich hatte es mir anders vorgestellt.“

„Immer!“, lachte Sarah.

Der schwarzhaarige Turk schaute sie verständnislos an, bis sie ihn aufklärte:

„Du stellst dir immer alles anders vor, als es in Wahrheit ist. Das ist witzig.“

„Ach so?“

Jin hatte eine leichte Rötung im Gesicht bekommen, während er mit seiner Kollegin zusammen auf den Luftwaffenstützpunkt zulief. Die Frau kicherte erneut.

„Informierst du dich denn nicht?“, fragte sie dann.

„Worüber?“

„Na über die Orte, an denen wir Missionen zu erledigen haben. In der Ausbildung hat man uns doch beigebracht, stets auch Informationen über den Ort des Geschehens zu sammeln“, erklärte sie dann.

Jin sah gar nicht so aus, als könne er ihr gedanklich folgen. Die Brünette piekste ihm kurz in die Seite, damit er nicht gegen die Tür lief. Halb abwesend öffnete er dann die Tür und ließ Sarah den Vortritt.

„Soll ich dir etwas über Junon erzählen?“, fragte sie freundlich.

„Ähm, ja. Ja, das wäre sehr nett von dir“, meinte er schüchtern.

„Dann spitz mal lieber die Ohren. Junon besteht aus drei Teilen. Am Anfang wäre da das Junon-Dorf. Es befindet sich direkt unter Junon-City. Der Ort hier wurde für ShinRa insoweit interessant, als man einen Mako-Reaktor am Grund des Meeres bauen wollte, doch dazu später. Man hatte angefangen, Stützen um Junon-Dorf herum zu errichten. Darauf hatte man, genau wie bei Midgar, eine Plattform errichtet. Doch während Midgar hauptsächlich der Zivilbevölkerung Wohnorte bietet, ist Junon mehr eine Militärbasis. Wenn nicht an jeder Straßenecke Infanteristen stehen würden, könnte man von hier aus wunderbar den Sonnenuntergang beobachten.“

Sarah kicherte. Jin fragte sich, ob sie ihm das absichtlich erzählte, doch er ließ sich nichts anmerken. Sie verließen die Luftwaffen-Basis und befanden sich dann in der eigentlichen Stadt. Rechts türmten sich Häuserfronten übereinander, während links das Meer seine Wellen schlug. Am Ende der Stadt stand eine riesige Kanone, Sister Ray, wie Jin bereits wusste. Die Sonne stand schon tief im Westen und färbte den Himmel blutrot.

„Das ist wunderschön.“

Ihm blieb wortwörtlich der Mund offen stehen. Sarah ihrerseits sagte nichts, sondern genoss mit ihm zusammen einfach nur den fabelhaften Ausblick. Wann hatte man zwischen ganzen Missionen schon mal Zeit, so etwas Wundervolles zu beobachten. Sie warteten noch eine Weile, während der glühende Feuerball langsam im Meer versank und die Lichter Junons entflammten.

„Komm, lass uns weiter gehen. Zu unserem Hotel ist es nicht mehr weit“, meinte Sarah, „Um noch einmal auf den Wasserreaktor zurückzukommen. Dieses Projekt war das einzige, was tatsächlich von ShinRa Inc. realisiert wurde. Es gab damals zwar sehr viele Pläne, was Mako-Reaktoren im Meer betraf, doch nur die Lage hier bei Junon war dafür wirklich geeignet. Die Meeresströmungen, Ebbe und Flut sind hier nur halb so stark, wie das oben bei Midgar und dem nördlichen Kontinent der Fall ist. Wäre der Unterwasserreaktor nicht gebaut worden, hätte es auch Junon-City nie gegeben.“

„Du bist aber ganz schön gut informiert“, meinte Jin nur staunend.

„Nur das Nötigste, was man wissen sollte“, neckte Sarah.

Zusammen gingen sie die Promenade entlang, blieben aber hin und wieder an Schaufenstern stehen, wenn die junge Frau etwas sah, was ihr gefiel. Sarah war zwar eine Turk, dennoch war sie auch immer noch eine Frau. Jin erklärte sie, sie müsse morgen unbedingt noch einmal herkommen, wenn der Auftrag ausgeführt sei. Er lachte nur und schob sie dann schnell zum nächsten Schaufenster. Jin wollte sich nicht ausmalen, wie es wäre, mit seiner Partnerin hier einkaufen zu gehen. Vermutlich würde sie ihn in jedes Geschäft schleifen.

„Komm, lass uns endlich gehen“, meinte er immer noch lachend.

Sarah ereiferte sich gerade über die Schaufensterauslage eines Waffengeschäftes. Ihrer Meinung nach sollte sich jeder Mensch mit seinen Gliedmaßen verteidigen können. Waffen waren nur Hilfsmittel für vermeintlich Schwächere. Jin nahm sie sanft am Arm, zog sie von dem Schaufenster weg und in eine offen stehende Tür hinein. Sie hatten ihr Hotel erreicht.

Auftrag 2.1

„Sarah, brauchst du noch lange?“

Jins fragende Stimme schall durch das Appartement. Es war ein ziemlich kleines Zimmer, wo sie untergebracht waren. Die Hotelfassade hatte gestern Abend keinen schlechten Eindruck hinterlassen bei den Turks, doch der Schein trog. ShinRa sparte an allen Ecken und Enden, deshalb hatten auch die Mitarbeiter bei Außeneinsätzen darunter zu leiden.

„Ich bin ja schon da.“

Sarah war bis gerade eben noch im Bad. Was sie da solange trieb, wollte ihr Kollege lieber nicht wissen. Also trat er nur durch die geöffnete Tür hinaus auf den Gang. Sarah folgte ihm und sperrte ihr Zimmer zu. Sie verließen das Hotel durch den Haupteingang und wandten sich nach rechts zur Stadtmitte hin, wo ein Lastenaufzug sie in den oberen Bereich bringen würde. Der Weg war nicht sehr weit, deshalb erreichten sie zügig ihr Ziel. Oben angekommen führte Sarah ihren Begleiter zu einem Turk-Büro. Sie setzte sich an das Terminal und wählte Tsengs Nummer. Nach einem kurzen Bildschirmflackern öffnete sich die Leitung mit einem Piepsen und der Schwarzhaarige war in dem Video-Phone zu sehen.

„Da seid ihr ja endlich“, moserte Tseng und warf demonstrativ einen Blick auf seine Armbanduhr.

„Entschuldigung, Sir“, meinte Jin kleinlaut.

„Zu eurem Auftrag. Ihr wisst sicher über Junon-Dorf Bescheid?“

Allgemeines Nicken.

„Gut. Uns sind Berichte zugegangen, dass sich an der Stütze im Junon-Dorf neuerdings jemand zu schaffen macht. Infanteristen, die vor dem Aufzug ihrem Wachdienst nachgingen, sind bei einer Patrouille darauf aufmerksam geworden. Normalerweise läuft durch die Säule Hochspannungsstrom, das Knistern ist überall zu hören. Doch wenn sich jemand dort in der Nähe davon aufhält, müssen wir davon ausgehen, dass ein Schaltkreis oder ähnliches kaputt ist. Eure Aufgabe wird es sein, dieser Sache nachzugehen.“

„Verstanden, Sir.“

Sarah wollte das Video-Phone ausschalten doch Tseng hielt sie mit einer Geste zurück.

„Noch etwas wichtiges!“, meinte er, „Wenn ihr Anzeichen dafür findet, dass jemand an der Stütze herumgepfuscht hat, sagt mir bitte umgehend Bescheid. ShinRa wird dann ein Techniker-Team zu euch schicken, die sich den Schaden ansehen sollen. Ihr könnt beginnen.“

Das Video-Phone schaltete sich wieder ab und Sarah stand von dem Schreibtisch auf. Grüblerisch verharrte sie so, ehe ihr bewusst wurde, dass Jin sie musterte.

„Das sollten wir uns gleich mal genauer ansehen. Aber wieso sollte jemand etwas an der Stütze machen?“, überlegte Jin.

„Aktivisten? Denk an deine letzte große Mission. Solche Verrückten gibt es immer irgendwo. Na ja, vielleicht haben wir Glück, es ist alles nur falscher Alarm und wir können den übrigen Tag für was anderes verwenden."

Sarah und ihr Kollege verließen das Büro wieder. Auf dem Weg in den unteren Bereich von Junon-City kam ihnen niemand entgegen und deshalb fing Jin noch einmal ein Gespräch an:

„Was meinst du? Sind die Bewohner aus dem Dorf auch so abweisend wie die Slum-Bevölkerung in Midgar?

„Ich weiß nicht. Ich war vorher noch nie in Junon, kenne den Ort hier nur aus Büchern und davon, was mir andere erzählen. Ursprünglich war es ein Fischerdorf, doch seit der Mako-Reaktor im Meer steht und ShinRas Abwasser hineinfließen, gibt es kaum noch Flora und Fauna in der Junon-Region. Jin, ist dir das noch nie aufgefallen?“, fragte Sarah dann.

Jin musste eine Weile darüber nachdenken, was die Brünette ihm erklärt hatte. Gongaga, sein Heimatort stand in einem Dschungel. Selbst Abends, wenn alles schlief, war es nie wirklich still. Grillen zirpten in der Nacht, ab und zu kreischte ein Uhu durch die Stille. Im Frühsommer flogen sogar manchmal kleine Leuchtkäfer zu ihm ins Zimmer, wenn die Temperaturen es zuließen und Jin sein Fenster nachts offen lassen konnte.

„Hey, wir müssen hier rüber.“

Sarah riss ihn aus seinen Gedanken. Fast wäre er in die falsche Richtung gelaufen, hätte seine Kollegin ihn nicht angesprochen. Er lief zu ihr zurück und gemeinsam betraten sie den Aufzug, der sie wieder in den unteren Bereich von Junon-City brachte.

„Doch. Hier ist es wie in Midgar. Keine Tiere und keine Pflanzen. Irgendwie ist das schade“, befand er dann, „Midgar ist wie ein großes, schwerfälliges Monster, das alles verschlingt. Keine Natur, komisches Wetter. Hast du in Midgar schon mal die Sonne scheinen sehen?“

„Nein, bisher noch nicht!“, antwortete Sarah, „Dort ist es immer trübe und bewölkt. Ich frage mich, woran das wohl liegt?“

„Hm, wer weiß. Dafür ist das Wetter hier umso schöner. Man hat ständig das Gefühl, es ist Sonnenuntergang“, phantasierte er.

„Also, jetzt übertreibst du es!“, befand Sarah lachend.

Die Digitalanzeige des Aufzuges schaltete auf 0 und mit einem Piepsen öffneten sich die Türen. Sie stiegen aus und wandten sich Richtung Flughafen, dorthin, wo ein Aufzug nach Junon-Dorf führte. Jin war etwas mulmig zumute. Insgeheim befürchtete er eine mittlere Katastrophe bei dem Zusammentreffen mit den Bewohnern, doch ließ er sich nichts anmerken und folgte Sarah zum Luftwaffenstützpunkt.

Mission 2.1.1

Einige Straßenlampen standen zwischen den Häusern und spendeten nur mäßiges Licht. In einigen der Gebäude brannte Licht, doch viel konnte man trotz allem nicht sehen. Vegetation gab es so gut wie gar nicht, nur einige knorrige alte Bäume klammerten sich hier und da in den felsigen Boden. In einem Garten spielten ein paar Kinder, doch alles in allem war es eine gedrückte Stimmung. Jin und Sarah hatten Junon-Dorf erreicht.

„Kommt mit, dann zeig ich euch die Stütze!“, meinte ein Infanterist recht barsch.

Der Mann hatte Wachdienst vor dem Eingang zum Aufzug gehabt, war aber offenbar mit etwas ganz anderem beschäftigt. Genervt führte er sie jetzt etwas weiter ins Dorf hinein an den Fuß des Berges heran, wo die Stütze stand. Neben dem Pfeiler führte eine zweistöckige Treppe zu einem Haus hinauf, das auf einem Felsvorsprung stand. Auf der kleinen Terrasse vor dem Haus stand ein kleines Mädchen und beobachtete die ShinRa-Mitarbeiter neugierig.

„So, ich hoffe, ihr kommt selbst zurecht. Wenn ihr Hilfe braucht, ruft am besten oben in der Basis an.“

Der Infanterist ging wieder weg und blickte sich dabei hin und wieder nach allen Seiten um. Jin trat an den Stützpfeiler heran und besah ihn sich. Das Knistern des Stroms war hier überdeutlich zu hören. Doch äußerlich wies nichts darauf hin, dass jemand etwas an der Stütze verändert hätte. Der Turk sah sich um.

„Hm, was hältst du davon, wenn wir zuerst einmal die Dorfbewohner befragen. Vielleicht haben die etwas beobachtet?“, fragte er dann.

„Du hast, Recht, das ist eine gute Idee. Ich frag mal das Mädchen da oben.“

Sarah lief die Treppen hinauf. Das Mädchen folgte ihren Bewegungen mit den Augen, verhielt sich ansonsten ruhig. Als die junge Frau auf der Terrasse ankam, ging sie mit einem Lächeln im Gesicht auf das Kind zu, um es nicht zu verschrecken.

„Hallo, ich heiße Sarah!“, stellte sie sich vor, „Und wie heißt du?“

Misstrauisch schaute das Kind zu der Turk hoch, sie musste ihren Kopf tief in den Nacken legen, um das Gesicht überhaupt zu erkennen. Deshalb kniete Sarah sich runter und lächelte nochmals.

„Du musst wirklich keine Angst vor mir haben“, erklärte sie nochmals, „Wir sind nur hier, um den Stützpfeiler dort zu untersuchen und notfalls zu reparieren. Magst du mir deinen Namen nicht verraten?“

„Priscilla...“, antwortete sie schüchtern, „Bist du von ShinRa?“

„Ja!“

„MAMA!!“, rief Priscilla dann, „Hier sind Leute von ShinRa!“

Sarah stand auf sah sich um. Hinter einem beleuchteten Fenster des Wohnhauses war eine Frau zu Gange, die jetzt das Fenster ganz öffnete und herausblickte. Misstrauisch wie Priscilla gerade eben musterte sie Sarah.

„Warten Sie, ich komme kurz heraus.“

Das Gesicht verschwand wieder und gleich darauf verließ die Frau das Gebäude. Sie kam raschen Schrittes auf die Turk zu.

„Was wollen Sie von uns?“, fragte sie barsch.

Sarah übersah den unfreundlichen Ton und antwortete:

„Ich bin mit meinem Kollegen hergeschickt worden, um den Stützpfeiler zu untersuchen. Haben Sie in letzter Zeit etwas Seltsames diesbezüglich beobachtet?“

Die Frau überlegte kurz und strich ihrer Tochter über das Haar. Dann wandte sie sich wieder an ihre Gesprächspartnerin:

„Nein. Mir ist leider nichts aufgefallen. Ist etwas mit der Stütze nicht in Ordnung?“

„Doch. Bis jetzt ist noch alles im grünen Bereich.“

Die Frau musste ja nicht wissen, dass ShinRa Inc. einen Verdacht hatte. Außerdem war Sarah zur Verschwiegenheit gegenüber Zivilisten verpflichtet, was ihren Job betraf. Doch andererseits stellte es für die Menschen, die hier lebten, auch ein Problem dar, wenn Unbefugte an der Stütze herumpfuschten. Sarah überlegte, ob sie der Frau nicht doch einen Hinweis geben sollte, doch sie entschied sich dagegen. Zuerst musste sie sich mit ihrem Kollegen darüber beraten. Sie verabschiedete sich also von der Frau und Priscilla, sagte aber gleich dazu, dass sie eventuell noch einmal kommen würde, wenn doch noch Fragen offen waren. Sarah ging die Treppen wieder hinunter und blieb neben der Stütze stehen.

Jin seinerseits war gerade im Garten eines älteren Herrn und sprach mit diesem. Doch der Mann schweifte immer wieder vom Thema ab, erzählte dem Brillenträger von seiner Vergangenheit, als es Junon-City noch nicht gab und das Dorf ein friedliches Fischerdorf war.

„Und über die Stütze können sie mir nichts erzählen?“, fragte Jin zum wiederholten Male.

Der Mann sah ihn verständnislos an. Er hatte schon wieder den Faden verloren.

„Ach so die Stütze. Nein, über die kann ich Ihnen leider nichts sagen, junger Mann. Wieso versuchen Sie es nicht mal bei ShinRa direkt? Die haben schließlich den Pfeiler hier hingestellt und uns das Tageslicht genommen.“

Der Alte fing an zu schimpfen und Jin befand es für eine gute Idee, von hier zu verschwinden. Er verließ den Garten durch das kleine Gatter im Zaun und ging zu Sarah hinüber.

„Und?“, fragte sie nur.

„Nichts. Ich schätze, wir müssen uns doch auf die Lauer legen“, antwortete der Schwarzhaarige.

Und das taten sie dann auch.

Mission 2.1.2

Drei Stunden waren vergangen. Drei Stunden, in denen sich überhaupt nichts regte. Hin und wieder liefen Dorfbewohner zwischen den Häusern herum, doch ansonsten war es still. Jin hatte sich in einem Gebüsch neben dem Garten des Mannes, den er einige Stunden zuvor über die Stütze befragt hatte, versteckt. Wenn jemand nicht genau hinsah, war er nicht zu erkennen. Sarah ihrerseits hatte hinter einer Häuserecke Stellung bezogen. Von beiden Standpunkten aus waren der Stützpfeiler und der Bereich davor gut einsehbar. Der Turk hatte halbstündlich bei seiner Kollegin auf dem Handy angerufen und ihr mitgeteilt, dass er nichts Außergewöhnliches bemerkt hätte.

Jin stöhnte. Inzwischen war auch sein zweites Bein eingeschlafen. Verkrampft verlagerte er sein Gewicht von der rechten Hüfte auf die linke. Nicht mehr lange und er würde sich gar nicht mehr bewegen können. Zum Glück waren die Nacht und die damit verbundene Feuchtigkeit noch weit. Gut, in Junon-Dorf war es immer Nacht.

Schritte ertönten und der Turk hielt in seiner Bewegung inne. Es war jetzt etwa um die Mittagszeit herum. Jin hatte schon länger keine Dorfbewohner mehr gesehen und deshalb verwunderte ihn das Geräusch tappender Füße etwas. Er hielt den Atem an und horchte. Von rechts kam eine schwarz gekleidete Person. Der Turk konnte nicht erkennen, ob die Person männlich oder weiblich war, denn sie trug eine Sturmmaske über dem Kopf. Doch der kräftige Körperbau und die breiten Schultern ließen auf einen Mann schließen. Jin beobachtete in aller Seelenruhe, wie der Vermummte auf den Stützpfeiler zuging und zog dann leise sein Handy heraus. Er tippte eine kurze Nachricht in das Gerät und schickte sie dann via SMS zu Sarah hinüber. Doch vermutlich hatte sie den Mann ebenfalls bemerkt.

Die beiden Turks hatten sich vor ihrer Observation darauf geeinigt, sofort einen Zugriff durchzuführen, sollte sich jemand unbefugt der Säule nähern. Jin kroch nun ganz langsam aus seinem Gebüsch heraus und vertraute darauf, dass Sarah ebenfalls zum Vorschein kam. Da, sie winkte kurz um die Hausecke herum. Ihr Zeichen, dass sie sich ebenfalls in Bewegung setzte. Der schwarzhaarige Turk schob seine Brille zurecht und schlich dann zum Pfeiler hinüber. Der Mann hatte noch nichts bemerkt. Jin blieb hinter ihm stehen und wartete, bis Sarah einigermaßen nahe herangekommen war. Doch als die Brünette die halbe Strecke zurückgelegt hatte, sah der Vermummte sie. Er griff mit der Rechten in seine Tasche und wollte eine Handgranate herausziehen doch Jin war schneller.

„Das wirst du schön bleiben lassen du Mistkerl!“, schrie er, während er sich den rechten Arm des Mannes griff und verzweifelt daran zog.

Im Schwung drehte der Mann sich ganz herum und schlug dabei Jin ins Gesicht. Der Turk taumelte einige Schritte rückwärts, blieb aber auf den Beinen. Als Sarah den Tumult bemerkte, war sie sofort losgelaufen und sprang nun den Angreifer um. Zusammen fielen sie Jin vor die Füße und eine wilde Rangelei entbrannte. Die Brünette richtete sich auf und wollte ihm die Hände auf den Rücken drehen, doch er drehte seinen Körper herum und Sarah lag auf der Seite. Der Mann wollte sich auf seine Gegnerin stürzen, doch Jin griff beherzt zu und fing ihn in einem Klammergriff. Doch es nützte alles nichts. Der Vermummte sprang herum und rammte Jin seinen Ellbogen unter das Kinn, woraufhin dieser ihn wieder losließ. Doch so einfach würde der Turk nicht aufgeben. Er gab seinem Gegner einen deftigen Tritt in den Hintern und dieser stürzte erneut zu Boden. Jin zog wie ein Teufel sein Katana und hielt es dem Mann von hinten an die Kehle.

„An deiner Stelle würde ich mir gut überlegen, was ich jetzt tue.“

Der Mann hatte es aufgegeben. Solange seine Gegner nur mit ihren Fäusten kämpften, war er ihnen gewachsen. Doch sobald einer seine Waffe in der Hand hatte, hatte er schlechte Karten. Er blieb auf den Knien, bis Jin ihn herumwarf und ihn wieder mit der Klinge bedrohte. Sarah kam endlich heran und nahm dem Mann die Maske vom Kopf. Zum Vorschein kam ein Kopf mit strohblonden Haaren, grauen Augen und einem markanten Gesicht.

„Milo?!“, rief Jin entsetzt, „Verdammt, was machst DUU denn hier?“

„Dasselbe könnte ich dich fragen“, antwortete der Besiegte.

Jin ließ sein Katana etwas sinken und starrte Milo immer noch aus weit aufgerissenen Augen an.

„Ihr kennt euch?“, fragte Sarah hinein.

„Ähm, ja. Es ist jetzt ziemlich lange her“, meinte Jin daraufhin.

Die leichte Beschämung in seiner Stimme war nicht zu überhören. Milo verzog nur die Augen und richtete sich dann in eine sitzende Position auf. Sarah ihrerseits ging ein paar Schritte weg, um in der Militärbasis in Junon-City anzurufen und einige Infanteristen zur Verstärkung anzufordern.

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich Schlitzohr noch einmal wiedersehe“, meinte der Blonde, „Schade nur, dass du zum Feind übergelaufen bist.“

„Milo! Es ist eine Menge passiert. Ich saß wegen dir im Gefängnis. Hat das für dich etwa gar keine Bedeutung?“, fragte Jin entsetzt.

Milo stammte wie Jin aus Gongaga und gehörte zu den Aktivisten, die damals ShinRa beim Bau des Mako-Reaktors behindert hatten. Nur durch das Eingreifen des jetzigen Turk konnte der Blondschopf damals entkommen. Jin ging dafür ins Gefängnis und wurde später vom Department of Administrative Research angeheuert. Und Jin sah es gar nicht ein, sich deswegen von Milo als einen Verräter bezeichnen zu lassen.

„Was glaubst du eigentlich, was ich wegen dir alles durchgemacht habe? Denkst du, ich bin freiwillig zu den Turks gegangen?“, ereiferte er sich gerade, „Ich musste schließlich auch mal an mich selber denken und da kam mir ShinRas Angebot gerade recht. Also sei nicht so selbstgefällig.“

„Pah, dass ich nicht lache!“, antwortete Milo nur, „Du hast uns doch damals nur geholfen, um selber gut dazustehen.“

Der Turk sagte nichts mehr. Die Undankbarkeit seines einstigen Jugendfreunds machte ihn sprachlos und so wartete er einfach nur darauf, dass die Infanteristen endlich kamen und sie Milo wegschaffen konnten.

Kneipe

Zigarettenrauch zog durch den trübe beleuchteten Raum. Eine große Geräuschkulisse machte es fast unmöglich, sich zu unterhalten. Doch Sarah und Jin hatten in einem Nebenraum einen kleinen Tisch ergattern können. Vor dem Turk standen zwei bereits geleerte Schnaps-Gläser, während seine Kollegin sich mit einem alkoholfreien Cocktail begnügte.

„Nun lass dich doch nicht so gehen“, meinte Sarah, „Es konnte doch niemand ahnen, dass du ihm hier begegnen würdest.“

„Ja, das sagst du so einfach.“

Jin ließ den Kopf hängen. Ihm machte ziemlich zu schaffen, was Milo von ihm hielt. Er dachte noch einmal über die Situation nach. Die Bande seines Jugendfreundes hatte vor vielen Jahren versucht, einen Sprengsatz auf der Baustelle des Mako-Reaktors in Gongaga zu platzieren. Doch der Plan flog damals auf, weil jemand der ShinRa Inc. einen Tipp gegeben hatte. Gerade, als Milo nachts die Bombe an einem Baustellenfahrzeug anbringen wollte, kam eine ganze Kompanie Infanteristen. Jin, aufgeschreckt durch den Lärm, war zum Ort des Geschehens hingeeilt. Milo konnte durch ihn entkommen, doch sein bis dahin gewohntes Leben wurde zerstört. Jin wäre im Gefängnis versauert, hätten die Turks ihn nicht herausgeholt. Dafür war er ihnen fast dankbar. Aber das Department of Administrative Research oder ShinRa Inc. schön zu reden, konnte er auch nicht. Die Firma hatte seinem Heimatort viel Leid gebracht und vergessen konnte er das nicht. Doch um wenigstens ein bisschen von dem, was alles schief gelaufen ist, wieder gutzumachen, zweigte er von seinem monatlichen Gehalt einen Teilbetrag ab und schickte es seiner Familie. Jin fand sowieso, dass der Posten eines Turks viel zu gut bezahlt war. Doch das lag vermutlich auch an der ganzen Drecksarbeit, die die Abteilung zu erledigen hatte.

Das nächste Schnaps-Glas wurde gekippt. Sarah schaute ihn nur bedauernd an, doch er wollte jetzt nichts anderes tun, als sich zulaufen zu lassen. ‚Zum lustigen SOLDAT’ war derzeit die angesagteste Kneipe in Junon. Jeden Abend trieben sich hauptsächlich einfache Soldaten von der Armee hier herum und der Wirt konnte sich über plätschernde Gil freuen. Eine blondhaarige Kellnerin kam vorbei und sammelte die leeren Gläser vor Jin auf. Träge bestellte er gleich Nachschub und schaute seine Begleiterin aus tränenden Augen an.

„Also, ich finde, du solltest wirklich nicht zu viel trinken!“, meinte Sarah streng.

„Jai...“, nuschelte der Angesprochene.

Er hatte nie zuvor genuschelt. Weder das noch gelallt. Außerdem hatte er nie zuvor jemals so viel getrunken, dass sein Blick unklar wurde. Sarah sah inzwischen leicht verschwommen aus. Die nette Bedienung von gerade eben ließ auch lange auf sich warten. Jin drehte seinen schummrigen Kopf herum, doch die Kellnerin war nirgends zu sehen. Er seufzte undeutlich und konzentrierte sich dann wieder auf Sarah. Bekümmert erwiderte sie seinen Blick und nahm seine Hände, die lasch auf dem Tisch lagen, in ihre eigenen.

„Jin, das mit Milo ist lange her. Du solltest dir das nicht so zu Herzen zu nehmen.“

„Hm ... Ja. Ja, vielleicht hast du Recht. Das ist alles nur so kompliziert“, erklärte Jin undeutlich.

Eigentlich hatte er gedacht, Milo wäre ihm dankbar. Zumindest hatte seine Mutter ihm das hin und wieder in Briefen geschrieben. Doch Jins Eltern waren alt und begriffen nicht mehr, dass die Welt jetzt anders funktionierte. Vor dem Gesicht des Brillenträgers tauchte eine Hand auf. Er schreckte zurück und erkannte am Ende des Arms die Kellnerin, die ihm drei gut gefüllte Schnaps-Gläser vor die Nase setzte. Mit einem mehrdeutigen Lächeln drehte sie sich um und ging.

„Wir würden dann gerne zahlen!!“, rief Sarah der Bedienung hinterher und hoffte, dass diese sie noch gehört hatte.

„Hey, was soll das? Ich bin hier noch lange nicht fertig!“, maulte Jin.

„Doch, du bist hier fertig und musst raus. Jin, du benimmst dich schon wie Reno“, schalt ihn Sarah.

Er schaute sie schief an. Bis jetzt hatte ihn noch nie jemand mit dem Chaos-Turk der Abteilung verglichen. Einfach weil beide einen zu unterschiedlichen Charakter hatten, als dass überhaupt jemand auf die Idee kam, die beiden miteinander zu vergleichen.

„Das meinst du doch nicht ernst?“, fragte er und kippte sein viertes Schnaps-Glas.

„Doch. Und wenn du so weitermachst mit dem ganzen Alkohol, wirst du wirklich wie er.“

Sarah machte ein sehr ernstes Gesicht. Jemand legte etwas auf den Tisch. Es war die Bedienung, die zum kassieren kam. Die Brünette gab ihr einige Scheine und die Kellnerin zog pfeifend die Luft ein. Offenbar hatte Sarah ihr gutes Trinkgeld gegeben. Jetzt wandte sie sich wieder Jin zu, der sein fünftes Schnaps-Glas bereits in der Hand hielt.

„Wenn du das trinkst, kannst du nicht mehr gerade gehen!“, bemerkte Sarah.

„Ach was, das vertrag ich schon noch... Hicks!!“

Inzwischen war das Lallen ziemlich schlimm geworden. Sarah musterte ihn besorgt. Sie war sich bewusst, es würde Probleme geben, wenn sie nicht bald verschwanden. Das fünfte Glas war geleert. Jins Kopf hatte gefährlich das Schwanken begonnen und fast wäre er auf den Tisch geknallt, doch Sarah war schnell auf ihn zugestürzt und stützte ihn. Sie zog ihn vom Tisch hoch.

„Komm, lass uns endlich gehen, ich bin müde“, meinte sie.

Jin reagierte gar nicht mehr. Er ließ sich einfach von der Turk zur Tür schleifen, die ihr freundlicherweise sogar noch jemand aufhielt. In der Hitze der Kneipe kam sie schnell ins schwitzen. Sarah musste ihren Kollegen jetzt erst einmal sicher ins Hotel bringen, bevor sie selbst an Schlaf denken konnte.

Auftrag 2.2

Der Jeep ruckelte über die Straße, während ein Wolkenbruch hernieder ging. Der Regen hatte den ganzen Boden durchweicht und schwer befahrbar gemacht. Donner grollte in der Ferne und Blitze zuckten über den finsteren Himmel. Sarah und Jin wurden von der einen Seite des Jeeps auf die andere geworfen und waren bereits über und über mit blauen Flecken besäht. Und in Jin’s Fall kam noch ein Kater dazu. Er hatte am Abend zuvor einige Schnaps-Gläser geleert und nicht erwartet, dass sie sich gleich so extrem auswirken würden. Vermutlich aber lag es einfach nur daran, dass er kein Alkohol gewöhnt war. Wie er ins Bett gekommen war, wusste er gar nicht so genau. Sarah gegenüber hatte er bisher nichts gesagt. Er schämte sich etwas, sie da ungefragt mit hineingezogen zu haben, doch jetzt konnte er es auch nicht mehr ändern.

„Wie fühlst du dich?“, fragte seine Kollegin wie auf ein Stichwort.

„Ach, nicht besonders. Mir tut alles weh“, antwortete er lahm.

Ein Infanterist, der ebenfalls bei den Turks im hinteren Bereich des Jeeps saß, kicherte vor sich hin. Vermutlich war er gestern ebenfalls in der Kneipe „Zum lustigen SOLDAT“ und hatte Jin und Sarah gesehen. Das Gefährt fuhr in ein Schlagloch und wurde wieder ordentlich durchgeschüttelt. Jin wurde übel. Dummerweise hatte das Luftschiff eine Panne, weshalb sie jetzt mit dem Jeep nach Midgar zurückfahren mussten. Dazu kam noch das schlechte Wetter. Ein Blick aus dem Fenster und man sah nur Grau. Bedrohlich wirkende Bergketten rückten immer näher heran.

„Geht das denn nicht schneller?“, rief Jin in die Fahrerkabine.

„Nein, tut mir leid, Sir“, antwortete der Fahrer, „Die Straße zwischen Junon und Midgar ist leider sehr schlecht und sowieso nicht ganz ausgebaut, weshalb wir nur langsam fahren können. Wie Sie sicher wissen, müssen Sie die Mythril-Mine zu Fuß und den Sumpf dahinter mit Hilfe von Chocobos durchqueren. Nach Midgar kommen Sie dann bequem zu Fuß oder Sie reiten mit den Chocobos gleich weiter. Ich an Ihrer Stelle würde mir aber bei der Chocobo-Farm Neue holen.“

„Hm, ja. Ist es noch weit bis zur Mine?“, fragte Jin.

„Nein, eigentlich nicht.“

Der Turk wollte noch einmal was sagen, doch ein Handy-Klingeln hielt ihn zurück. In seiner Hosentasche vibrierte es, also holte Jin das Telefon heraus und ging ran. Es war Tseng.

„Was gibt es?“

„Jin, wie gut, dass ich dich erreiche! Wo seid ihr gerade?“

„Zwischen Junon und den Mythril-Minen mit einem Jeep unterwegs, wieso?“

„Wie gut. Ich habe einen neuen Auftrag für euch!“, erklärte Tseng, „Begebt euch so schnell wie möglich nach Kalm. Unseren Berichten zufolge, hält sich dort eine Person auf, die einmal für ShinRa Inc. gearbeitet hat. Es war ein Mitarbeiter aus der Wissenschaftsabteilung. Irgendwann verschwand er spurlos. Und zeitgleich zu dem Verschwinden des Mitarbeiters wurden einige Dinge aus den Labors entwendet. Die Führungsriege vermutet, es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Verschwinden des Mitarbeiters und dem Diebstahl. Eure Aufgabe besteht darin, den Mitarbeiter aufzuspüren. Ich schick euch alles weitere per SMS rüber.“

„Okay, alles klar.“

Jin legte auf, behielt sein Handy aber in der Hand. Man hatte auch wirklich nie einmal ein paar Stunden für sich alleine. Sarah schaute ihn mit einem Fragezeichen im Gesicht an.

„Eine neue Mission!“, erzählte Jin kurz und bündig.

„Tja, das bringt eben das Turk-Dasein mit sich. Ständig auf Bereitschaft.“, grinste Sarah.

Ein Piepsen, Tsengs angekündigte SMS war da. Jin rief sie auf und schaute sich die Informationen an.

„Sieht so aus, als würden wir dieses Mal auf Kämpfen verzichten können. Wir sollen einen untergetauchten Mitarbeiter aufspüren.“

Sarah legte schnell den Zeigefinger über ihren Mund um anzudeuten, dass Jin lieber schweigen solle. Nicht jeder musste wissen, was ihre Arbeit war.

Der Jeep ruckelte weiter. Die Bergketten ragten inzwischen in erstaunlicher Nähe vor dem Fahrzeug auf. Der Regen hatte inzwischen nachgelassen. Jin schaute aus dem Fenster und bemerkte, dass sie in einen Wald gekommen waren. Hier herrschte eine Stimmung, als wäre gerade Weltuntergang.

„Wir sind gleich da, ich kann bereits den Höhleneingang sehen“, teilte der Fahrer mit.

Die beiden Turks machten sich bereit, schnell aus dem Jeep zu springen und zum Minen-Eingang hinüberzueilen. Der Fahrer lenkte das Auto in eine Kurve und fuhr bis nahe an die Felswand heran. Jin öffnete die Tür, sprang hinaus und wartete, bis Sarah im gefolgt war. Dann verabschiedeten sie sich von den Infanteristen und machten sich auf den Weg durch die trockene Höhle.

Mission 2.2.1

Zwei gelbe Reitvögel jagten auf einer saftig grünen Wiese dahin. Frischer Wind rauschte den Reitern durch ihre Gesichter, während sie der Talspalte zwischen der Midgar-Region und der Grasland-Region immer näher kamen. Die beiden Turks kamen Dank der Chocobos gut vorwärts. Sie hatten den Rat des Infanteristen befolgt und sich bei der Chocobo-Farm neue Vögel geholt.

„Wie ist das eigentlich mit unserem Auftrag?“, fragte Sarah.

Sie und Jin hatten sich schon seit längerer Zeit und über die neue Mission wusste die junge Frau noch gar nichts.

„Ach. Es geht wohl um einen ehemaligen Mitarbeiter aus der ShinRa-Forschungsabteilung oder so. Der ist untergetaucht. Zeitgleich zu seinem Verschwinden wurden Dinge aus den Labors entwendet. Wir sollen den Mitarbeiter jetzt aufspüren. Vermutlich gibt’s einen Zusammenhang zwischen ihm und den verschwundenen Gegenständen. Ich hab noch nicht so genau darüber nachgedacht eigentlich.“

„Vielleicht wieder ein Komplott?“, fragte Sarah.

„Hm, würde mich nicht wundern. ShinRa hat viele Feinde in der Bevölkerung. Die hecken ständig etwas aus.“

Die Chocobos wurden weiter über das Land gehetzt. Inzwischen hatten die Turks die Talspalte hinter sich gelassen und sahen die Häuserfronten Kalm’s mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf sich zurasen. Kalm war eine richtige Kleinstadt. In der Nähe Midgar’s gelegen, besteht Kalm hauptsächlich aus Fachwerk-Architektur. Die Häuser sammelten sich um einen kleinen runden Platz herum, der von einem alt aussehenden Mako-Reaktor beherrscht wurde. Um die Stadt herum zog sich eine Wehrmauer, was ihr einen geheimnisvollen Anstrich verlieh.

Jin und Sarah drosselten die Geschwindigkeit ihrer Chocobos und kamen vor dem Stadttor ganz zum Stehen. Sie stiegen ab und ließen die Vögel frei. Mit Sicherheit würden sie zu ihrem Stall zurückkehren. Sarah und ihr Begleiter blickten sich um. Geschäftiges Treiben erfüllte die Stadt, die trotzdem eine innere Ruhe ausstrahlte.

„Und wo fangen wir an?“, fragte Sarah.

Jin zog sein Handy aus der Tasche und zeigte ihr die Informationen, die Tseng ihm hat zukommen lassen. Außerdem hatte er ein Bild von dem abgetauchten ShinRa-Mitarbeiter, doch ob es noch dem aktuellen Stand der Dinge entsprach, war zweifelhaft. Das Foto zeigte einen älteren Herrn mit Schnauzbart, dicker Hornbrille auf der Hakennase und lockigem schwarzem Haar. Soweit die Turks den Informationen entnehmen konnten, war der Mann in der Abteilung der Materia-Fusion tätig.

„Liegen denn Informationen bei, was damals gestohlen wurde?“, fragte Sarah.

„Warte, lass mich mal nachsehen. Nein, darüber steht hier nichts. Geht uns wohl nichts an. Komm, wir schauen uns mal hier um.“

Die beiden betraten Kalm. Manche Leute schauten die Anzugträger interessiert an, andere wiederum schienen sie gar nicht wahrzunehmen. Jin und Sarah betraten ein Gasthaus, welches ganz am Eingang Kalm’s stand. Der Schwarzhaarige trat an die Rezeption heran und zeigte der Frau dahinter das Bild des Gesuchten.

„Haben Sie diesen Mann schon mal gesehen?“, fragte er.

Die Frau besah sich das Bild lange. Zu lange, wie Jin fand, doch er ließ sich nichts anmerken. Sarah berührte leicht seinen Rücken um anzudeuten, dass sie ebenfalls misstrauisch war. Die Frau blickte auf und schüttelte entschieden den Kopf. Sie log, das wussten die beiden Turks sofort. Doch erst einmal ließen sie sie in Ruhe. Die beiden Agenten verließen das Gasthaus. Als sie draußen standen, nahm Sarah ihren Begleiter am Arm und zog ihn in eine stille Ecke.

„Die Frau hat etwas zu verbergen!“, stellte sie fest.

„Da liegst du richtig.“, meinte Jin nur.

„Nur wenn die hier alle so verschlossen sind, können wir ewig suchen. Das ist wie eine Nadel in einem Heuhaufen.“

„Dann müssen wir eben jeden einzelnen hier observieren. Auch wenn das Tage dauern kann. Sieh es doch mal positiv. Wenn wir damit fertig sind, kennen wir Kalm in- und auswendig.“

Der Witz des jungen Mannes war ziemlich schlecht, fand Sarah. Skeptisch blickte sie zu dem runden Platz und dem Mako-Reaktor hinüber, während Jin ihre Möglichkeiten abwog. Die Bürger hier waren offenbar durch einen starken Zusammenhalt geprägt, keiner würde dem anderen etwas ankreiden. Die Brünette wollte gerade etwas sagen, als ihr ein großer Mann beim Reaktor drüben auffiel. Ein Mann, auf den ihre Beschreibung zutraf.

„Jin!! Sieh doch mal da drüben.“

Sarah deutete mit dem ausgestreckten Finger auf den ehemaligen ShinRa-Mitarbeiter, der zwei kleine Kinder auf dem Arm hielt. Eine hübsche Frau stand daneben, unterhielt sich angeregt mit dem Mann und nahm ihm dann eines der Kinder ab. Stutzig sahen sich die beiden Turks ins Gesicht.

„Ich schätze, wir haben unseren Kunden gefunden.“, meinte Jin dann lahm.

Mission 2.2.2

Sarah beobachtete gespannt das Geschehen, Jin tat es ihr gleich. Sie fragte sich, in welchem Verhältnis der ehemalige Mitarbeiter zu der Frau und den Kindern stand. War es vielleicht sogar möglich, dass er der Vater war? Was würden die Turks nur zerstören, rissen sie ihn von hier weg? Die Turk hielt es für das beste, die Personen vorerst zur zu observieren. Wer weiß, was dabei alles ans Licht kam. Schnell legte sie ihrem Kollegen ihre Sichtweise der Dinge dar. Jin hatte nichts einzuwenden und gemeinsam machten sie sich an die Arbeit.

Der Mann scherzte noch eine Zeit lang mit der Frau und den Kindern, bis sie sich zum Aufbruch bereit machten. Sie entfernten sich von dem Mako-Reaktor und verließen den runden Platz sich rechts haltend in eine kleine freundliche Gasse hinein. Sarah und Jin liefen unauffällig über den Platz und verlangsamten ihre Gangart wieder, als sie bei der Gasse ankamen. Der Mann und die Frau gingen nun nebeneinander, wobei er den Arm um ihre Schulter gelegt hatte. Die Kinder tobten vor ihnen dahin. Für Sarah sah es aus wie idyllisches Familienglück. Die beiden Turks mussten die kleine Familie nicht lange verfolgen. Die beiden Kinder, zwei junge Mädchen, liefen durch einen Zaun, hinter dem ein kleiner Garten angelegt war. Spielend tollten sie über die Wiese, während der ehemalige ShinRa-Mitarbeiter die Frau ins Innere des Hauses begleitete. Sarah und Jin entschieden sich dazu, erst einmal unauffällig an dem Haus vorbeizugehen. Verstohlen warfen sie Blicke auf die Kinder und zu den Fenstern im Erdgeschoss. Doch sie blieben unbemerkt. Die Turks kamen zum Ende der Gasse, die bis an die Wehrmauer heranreichte.

„Und was jetzt?“, fragte Jin.

Sarah war sich nicht sicher. Sollten sie noch mal zurückgehen? Doch durch ihre Anzüge waren sie viel zu auffällig. Selbst ein Blinder würde erkennen, dass sie von ShinRa Inc. waren.

„Wir sollten uns vielleicht unauffälligere Kleidung besorgen.“, schlug Sarah daher vor, „Diese Anzüge sind zwar schwarz, wirken auf Zivilisten aber wie ein rotes Tuch. Ich hab da vorhin einen Bekleidungsladen gesehen, vielleicht sollten wir es da versuchen.“

„Aha. Aber lass uns lieber auf einem anderen Weg zurückgehen.“

Der Brillenträger sah sich um. Vor jedem der Häuser gab es eine kleine Grünfläche.

„Wir sollten uns durch einen der Gärten da schleichen.

Jin deutete auf das letzte und vorletzte Haus auf der rechten Seite. Der Weg war vielleicht einen Meter breit. Doch es stand nichts im Weg und die Turks würden problemlos auf die größere Parallelstraße dahinter wechseln können. Sie blickten sich noch einmal um und liefen dann los, sich bei den Fenstern duckend. Sarah glaubte, bei einem der Fenster einmal den Kopf einer alten Frau gesehen zu haben, aber bei einem zweiten Blick war das faltige Gesicht verschwunden. Jin stahl sich hinter einem breiten Männerrücken hervor und stand dann auf einer belebten Einkaufsstraße.

„So, hier wären wir. Sarah, erinnerst du dich noch an den Weg?“

„Ja, der Laden war vorne bei dem runden Platz.“, erklärte sie.

Die Brünette bahnte sich einen Weg durch die Menschenmasse, die ihr regelrecht entgegenschäumte. Unglaublich, das Zentrum Kalm’s schien sich mehr in dieser Straße zu konzentrieren als an jedem anderen Ort der Stadt. Die Turks kamen nur langsam vorwärts, trotz ihrer Anzüge. Sie mussten sogar mehrmals die Straßenseite wechseln, einfach weil auf ihrer Seite des Weges zu viel Tumult war.

Doch schlussendlich erreichten sie ihr Ziel und betraten einen kleinen Laden, der hauptsächlich Freizeitkleidung im Sortiment hatte. Sarah rauschte durch die Kleiderständer, während Jin ziemlich schnell eine dunkelblaue Jogginghose und ein Sweatshirt in der gleichen Farbe fand. Er zog sich um und tauschte die unpassenden Halbschuhe gegen ein paar bequeme Turnschuhe ein. Zufrieden betrachtete der junge Mann das Gesamtergebnis im Spiegel. In Wirklichkeit hatte er schon ganz vergessen, wie bequem Freizeitkleidung eigentlich war. Jin schaute sich nach seiner Kollegin um. Die stand in einer hinteren Ecke des Geschäftes und prüfte gerade graue Hosen auf Qualität, Preis und Größe. Leise trat er zu ihr hin und flüsterte:

„Wir sind nicht zum Vergnügen hier.“

„Oh ... wie?“, stotterte sie, „Ich ... Ähm ... Bitte entschuldige.“

Sarah zog eine der Hosen heraus und verschwand damit in die Umkleidekabine. Ab und zu drang ein Ächzen daraus hervor, doch schließlich schaffte sie es doch, in die Hose hinein zu kommen.

„Kannst du mir noch ein Sweatshirt holen? Ich hab da vorhin eines in Hellrosa gesehen.“

Seufzend zog Jin los, das Gewünschte zu holen. Er nahm gleich mehrere in verschiedenen Größen mit, damit auch ja das Richtige dabei war. Frauen und Einkaufen war eine schlimme Kombination. Selbst Turk-Agentinnen waren davor nicht gefeit. Sarah kicherte etwas und kam dann aus der Umkleidekabine heraus und drehte sich einmal um die eigene Achse.

„Wie findest du es?“, fragte sie spitzbübisch.

„Sarah!“, rief Jin entgeistert, „Für so was haben wir nun wirklich keine Zeit. Wo ist dein Pflichtgefühl.

Doch die Frau lachte nur darüber, dass er auf ihre Finte hereingefallen war. Sie gingen, angezogen wie sie waren, zur Kasse hinüber und bezahlten. Ihre Anzüge ließen sie sich in Einkaufstaschen packen und dann machten sie sich auf den Weg zu ihrem Beobachtungsposten.

Mission 2.2.3

Die Turks schlenderten durch Kalm zurück zu dem Wohnhaus. Inzwischen war es Spätnachmittag und die Sonne verschwand bereits hinter der Wehrmauer. Obwohl der Himmel noch hell erleuchtet war und die Wolken orange strahlten, herrschte zwischen den Straßen und Gassen Kalm’s bereits Dämmerung. Der Personenstrom hatte nachgelassen. Es waren nur noch Erwachsene unterwegs, die Kinder hatte man schon ins Haus geholt.

Sarah und Jin gingen auf demselben Weg zurück, auf dem sie zuvor gekommen waren. Sie schlichen sich wieder durch einen Gärten, doch dieses Mal war es ein anderer. Sarah hatte etwas Unbehagen, zweimal unbefugt dasselbe Grundstück zu betreten. Vor allem weil sie auch glaubte, sich die alte Frau hinter dem Fenster nicht eingebildet zu haben. Diesmal mussten sie über ein Privatgrundstück, das komplett geteert und ziemlich zugestellt war mit Kisten. Die Turks bahnten sich ihren Weg und standen dann direkt gegenüber von dem Haus des ehemaligen Mitarbeiters. In dem Zimmer links der Eingangstür brannte Licht. Die kleine Familie saß an einem Tisch beim Abendessen.

„Jin, vielleicht sollten wir den Mann direkt ansprechen.“, meinte Sarah, „Wenn ich das Bild so sehe, kann ich mir nicht wirklich vorstellen, dass er etwas ausgefressen oder mit dem Diebstahl zu tun hatte.“

„Hm, stimmt schon. Aber es ist jetzt gerade erst mal halb sechs Uhr vorbei. Bis die die Kinder ins Bett stecken, kann es also noch eine Zeit lang dauern.“

„Ja, wir wollen sie weiter beobachten.“

Die beiden schlichen sich näher an das Haus heran. Leider gab es keine Bänke in der Gasse, sonst hätten sie ein verliebtes Pärchen spielen und die Familie aus den Augenwinkeln heraus beobachten können. Die Turks entschieden sich dazu, bis ganz an das Haus heranzugehen und unter den Fenstern zu bleiben.

Das Küchenfenster war geschlossen, weshalb Sarah nicht verstehen konnte, was gesprochen wurde. Doch nach einer Weile erhoben sich die beiden Kinder von ihren Plätzen und brachten das Geschirr zum Spülbecken. Die Mutter machte ein freudiges Gesicht und lobte die Mädchen. Danach stand sie selber auf, hob die beiden Kinder auf ihre Arme und verließ die Küche. Ein Poltern erklang, die Frau ging in den ersten Stock hoch, wo vermutlich die Wohnzimmer waren.

Sarah und Jin sahen ihre Chance gekommen. Der junge Mann schob seinen Kopf über das Fensterbrett und lugte in das Zimmer. Der Mann saß immer noch alleine an dem Tisch und Jin klopfte vorsichtig an der Scheibe. Der Kopf ruckte herum und erschrockene Augen blickten den Turk an. Er machte ein Zeichen mit der Hand und ging dann mit Sarah zur Eingangstür. Diese öffnete sich erst einen Spalt und dann ganz.

„Ja? Was kann ich für Sie tun?“, fragte der Mann.

„Sind Sie Herr Matteo?“

Ein Zucken des Augenwinkels verriet den Mann.

„Ja, das bin ich? Wer sind sie?“, fragte Matteo.

„Matteo!“, kam es aus dem ersten Stock, „Die Mädchen wollen dich noch einmal sehen.“

Doch der Familienvater reagierte nicht auf den Ruf seiner Frau. Sarah und Jin hielten ihm ihre Dienstmarken vor die Nase und er wusste, woher die Fremden waren.

„Dürfen wir kurz hereinkommen?“, fragte Sarah.

Verwirrt und etwas ängstlich trat Matteo zur Seite und ließ die Turks eintreten. Sie blickten sich um und entdeckten eine zwar kleine, aber heimelig eingerichtete Wohnung. Sie wurden ins Wohnzimmer hineinkomplimentiert. Matteo’s Stimmung war in den Keller gerutscht, dass konnten sie seiner Stimme anhören.

„Liebling?!“, rief Matteo’s Frau.

Schritte polterten die Treppe herab und die Frau erschien. Fragend blickte sie erst die zwei Turks, dann ihren Mann an.

„Matteo? Wer sind diese Leute?“, fragte sie.

Der ehemalige ShinRa-Mitarbeiter erwachte aus seiner Starre. Traurig schaute er seiner Frau ins Gesicht, dann wandte er sich an Sarah und Jin.

„Ich wusste, dass Sie irgendwann kommen würden.“, meinte er betreten.

Die Situation war Matteo sichtlich unbehaglich, vor allem auch, weil er seiner Frau nie etwas von seiner Vergangenheit erzählt hatte. Die Turks warteten. Doch es kam keine Reaktion mehr, weder von Matteo noch von seiner Frau.

„Matteo, wir können Ihnen das leider nicht ersparen.“, erklärte Sarah diplomatisch, „Es gibt da einen Vorfall, den ShinRa gerne aufgeklärt haben will und alle Spuren führen zu Ihnen.“

„ShinRa?“, fragte Matteo’s Frau dazwischen, „Davon hast du nie etwas erzählt.“

„Luise, bitte. Ich weiß, dass das sehr schwierig ist. Ich werde dir alles erklären, sobald ich Möglichkeit dazu habe.“

Matteo sah die beiden Turks an.

„Wie kann ich Ihnen helfen? Ich weiß wirklich nicht, wie Sie auf mich kommen. In Kalm hier hab ich mich niedergelassen, nachdem ich monatelang vor ShinRa untergetaucht war.“

Der Familienvater machte einen hoffnungslosen Eindruck. Wirr erzählte er aus seinem Leben, von seiner Tätigkeit bei ShinRa und warum er untergetaucht war. Sarah unterbrach ihn:

„Sie müssen uns wirklich nicht ihre ganze Geschichte erzählen. Wir werden Sie zum Headquarter mitnehmen und dort wird man Sie befragen.“

Entsetzten ergriff Matteo. Seine Knie gaben nach und er ließ sich auf den Sessel plumpsen, der hinter ihm stand.

„Bitte, das können Sie nicht machen. Ich hab Frau und Kinder, die ich ernähren muss. Ich kann hier nicht weg ...“

„Und Sie wollen hier nicht weg. Das wissen wir.“, unterbrach ihn nun Jin.

Sarah’s Kollege hatte bis jetzt geschwiegen und der Brünetten die Diplomatie überlassen. Doch er hatte keine Lust, hier Wurzeln zu schlagen. Er fuhr fort:

„Wir können nicht ohne Sie zurückkehren und Sie möchten hier bleiben. Das einzige, was in diesem Fall übrig bleiben würde, ist, dass wir unsere Vorgesetzten verständigen und diese dann nach Kalm kommen. Es könnte möglich sein, dass auffällig viele ShinRa-Mitabeiter herkommen müsste. Infanteristen, die für den Schutz unserer Vorgesetzten sorgen. Wollen Sie das hier in Ihrer neuen Heimat?“

Matteo sah seine Frau an. Luise ihrerseits erwiderte den Blick und nickte dann unmerklich mit dem Kopf. Sie gab ihm grünes Licht.

„Ich denke, dann werde ich Sie wohl lieber begleiten.“, sagte Matteo.

„Sehr gut. Packen Sie das Nötigste ein. Natürlich können Sie sich von ihrer Familie verabschieden, aber brauchen Sie nicht zu lange. Wir warten draußen.“, meinte Jin nur.

Er und Sarah standen auf und verabschiedeten sich von Luise. Danach verließen sie das Haus und warteten im Garten.

Rückkehr

Eine blonde Frau saß an dem Schreibtisch in ihrem Büro. Mit rasanter Geschwindigkeit tippte sie etwas in ihren Computer. Es war der zweite Missionsbericht, den Rosalinde an diesem Tag verfasste. Und ein Dritter und Vierter würden auch noch folgen. Das war die Vereinbarung, die Reno ihr aufgeschwatzt hatte im Ausgleich dafür, dass der Senior-Turk sie nicht an Tseng verpfiff. Rosalinde seufzte. Das Verhalten, das der Rotschopf an den Tag legte, zeigte eigentlich nur, woher er ursprünglich kam. Aber es hätte auch schlimmer kommen können, zum Beispiel mit auf Sauftour gehen zu müssen. Die Tür zum Turk-Büro öffnete sich und Rude kam mit einigen Akten herein.

„Hallo“, grüßte Rosalinde und wandte sich wieder ihrer Tätigkeit zu.

Der Glatzkopf nickte und kam dann direkt auf sie zu. Den Aktenstapel ließ er auf Rosalinde’s Schreibtisch plumpsen.

„Soll ich dir von Reno bringen. Du wüsstest dann schon Bescheid“, meinte Rude knapp.

Er ging hinüber zu seinem eigenen Schreibtisch und setzte sich. Rosalinde starrte nur auf den Aktenberg, der jetzt bei ihr lag. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Reno hatte einen ganz schönen Stapel unbearbeiteter Fälle bei sich auf dem Platz. Das konnte die Junior-Turk sehen und vermutlich würde da auch noch einiges auf sie zukommen. Doch wo Rude die Akten jetzt her hatte, war ihr ein Rätsel. Seufzend ergab sie sich in ihr Schicksal.

„Hey, lass den Kopf nicht hängen“, rief Rude zu ihr rüber, „Du kannst in jedem Fall heute pünktlich gehen.“

„Ja, danke!“, meinte Rosalinde nur.

Sie tippte weiter. Nur noch ein letzter Schlusssatz und dann war sie mit dem ersten Missionsbericht fertig. Die junge Frau druckte ihn aus und las ihn noch einmal, um ihn auf Fehler zu überprüfen. Reno hatte grundsätzlich Fehler in seinen Berichten und sie sollte auch welche rein machen, hat er gesagt. Rosalinde war zufrieden. Kleine Rechtschreibfehler waren hin und wieder herauszulesen, doch ansonsten war es okay. Sie legte den Bericht in ein Ablagefach und ließ die Akte dazu neben sich auf den Boden plumpsen. Genervt nahm sie sich die nächste Akte vor und überflog Reno’s krakelige Handschrift.

Die Bürotür flog wieder auf und Sarah und Jin kamen herein. Vergessen waren Akten und Missionsberichte.

„Hey, ihr beiden Heimkehrer!“, meinte Rosalinde und schob ihre Akten zur Seite, „Wie war es in Junon?“

„Hm, ganz okay. Junon ist eben eine reine Militärbasis, selbst die Geschäfte sind darauf ausgerichtet.“

Die beiden Turks gingen zu ihren Schreibtischen hinüber, die bei Rosalinde in der Ecke standen. Sarah lud eine schwere Einkaufstasche auf ihrem Stuhl ab und zog mehrere kleine Tütchen daraus hervor, während Jin nur mit seiner Aktentasche zu Gange war. Erneut flog die Tür zum Büro auf und ein rothaariger Wuschelkopf kam herein.

„Wo sind sie?!“, brüllte Reno.

Sarah zuckte leicht zusammen, als der Chaosturk auf sie zugestürmt kam.

„Hast du mir was mitgebracht?“, geierte er.

Reno starrte gierig in die große Tüte rein. Seine Hand näherte sich unaufhörlich der Öffnung, doch Sarah haute ihm auf die Finger. Er war zwar so gesehen ihr Vorgesetzter, trotz allem musste der Turk sich aber nicht wie ein Kleinkind benehmen.

„AUA!“

Der Rotschopf zog die Hand wieder weg. Rude kicherte vor sich hin.

„Jeder bekommt was, auch du“, erklärte Sarah.

Inzwischen umringten sie alle Turks, die nicht in Junon mit dabei waren. Sogar Rude, der sich sonst meistens zurück hielt, stand dabei und wartete auf sein Mitbringsel. Sarah zog eine kleine Packung aus der Tasche heraus und starrte auf das Namensschildchen. Dann reichte sie es mit einem Lächeln an Rosalinde weiter. So ging es weiter, bis jeder Kollege etwas zum Auspacken in der Hand hielt. Die Gruppe hatte sich danach wieder etwas aufgelöst, weil jeder mit seinem Päckchen beschäftigt war. Reno ging mit seinem ganz rabiat um, riss die Verpackung herunter und starrte auf das, was er bekommen hatte.

„Donuts?!“, kam dann sein Ruf, „Woher weißt du, dass ich die mag?“

„Tja, ich hab meine Quellen“, meinte Sarah mit einem Lächeln.

Reno grinste nur und machte sich dann auf den Weg zum Kaffeeautomaten. Donuts spülte er nur mit diesem Gebräu hinunter. Zwei Päckchen hielt Sarah noch in der Hand, mit denen sie sich jetzt auf den Weg zu Tseng und Verdot machte. Sie wusste nicht, wie die beiden Vorgesetzten auf diese Geste der Nettigkeit reagieren würden, doch sie wollte sie nicht ganz ausschließen. Verdot und sein Stellvertreter sollten wissen, dass sie mit ihrer Arbeit nicht alleine waren. Vorsichtig klopfte sie zuerst bei Tseng und wurde dann hereingebeten. Die Tür schloss sie wieder hinter sich.

Heimat

Die Sonne brannte grell vom Himmel herab und durchflutete den Wald. Vogelgezwitscher war rundum in den Bäumen zu hören und ab und zu ließ sich auch ein wildes Tier blicken. Seit zwei Tagen war Jin nun unterwegs, hatte wider Erwarten seinen eingereichten Urlaubsantrag genehmigt bekommen. Zu erst war er mit dem Helikopter von Midgar nach Junon mit geflogen und von da aus ging’s mit dem Schiff nach Costa del Sol. Für den Weg nach Gongaga, sein Heimatdorf, hatte er ein Motorrad gemietet und war ziemlich schnell vorangekommen.

Jin brauste um eine Kurve und drosselte dann die Geschwindigkeit seiner Maschine, bis sie auf einem Felsvorsprung ganz zum Stehen kam. Unter ihm lag Gongaga, im Hintergrund war der Mako-Reaktor zu sehen. Er seufzte und schob dann die Maschine ins Tal hinab. Das Haus seiner Eltern stand gleich am Dorfeingang, weshalb er sein Motorrad hinter das Gebäude schob und es dort stehen ließ. Dann trabte Jin um die Hauswand herum und kam in den kleinen Garten, der der ganze Stolz seiner Mutter war. Es waren Kopfsalate und Bohnen angepflanzt, während sich Tomaten und Gurken an einem Gitter hinaufrankten. Jin liebte den selbst gemachten Salat seiner Mutter. Das Essen in Midgar schmeckte nur allzu oft gekünstelt, nach Massenherstellung. Doch was blieb ihm anderes übrig?

Jin steckte den Kopf beim geöffneten Fenster hindurch und blickte in die Küche. Seine Mutter saß gerade am Küchentisch und schnippelte Kartoffeln zurecht. Sie sah inzwischen sehr alt aus, fand Jin, früher hatte sie nicht so viele Falten und graue Haare gehabt. Außerdem wirkte ihr Gesicht eingefallen und ihre Haltung gebückt. Leise, um sie nicht zu erschrecken, klopfte Jin an den Fensterrahmen. Erschrocken drehte seine Mutter den Kopf herum, ihn im ersten Augenblick nicht erkennend. Doch dann verklärte sich ihr Gesicht von Besorgnis in Erstaunen und Freude. Sie ließ Kartoffel und Messer in eine Schüssel fallen und stand auf.

„JIN!! Junge!“, rief sie.

Sie wollte zur Eingangstür gehen, was leider sehr schlecht ging. Jin kam ihr daher entgegen, denn das Gehen schien seiner Mutter Schwierigkeiten zu bereiten. Er nahm sie in die Arme und drückte sie vorsichtig an sich.

„Jin, lass dich anschauen!“, sagte seine Mutter.

Er löste die Umarmung und trat einen Schritt zurück. Der Blick seiner Mutter streifte ihn von oben bis unten, dann nahm sie sein Gesicht in ihre Hände und zog es zu sich runter. Jin ließ sie gewähren und hatte auch nichts einzuwenden, dass seine Mutter sein Gesicht mit Küssen bedeckt. Denn wie lange hatten sie sich nicht gesehen? Mindestens drei Jahre war es jetzt her, seit Jin von ShinRa-Infanteristen gefangen genommen wurde. Seine Mutter hatte sicher das Schlimmste befürchtet.

„Jin! Jin!!“, sagte sie immer wieder, „Wie ist das nur möglich?“

„Ich hab Urlaub bekommen, Mama! Was gibt’s denn heute zu Essen? Und, ist Papa irgendwo in der Nähe?“

„Junge. Wie schön, dass du da bist. Dein Vater ist auf dem Feld draußen bei der Arbeit. Wie lange ist das jetzt her?“

„Bestimmt schon zwei Jahre“, antwortete Jin.

Seine Mutter hielt seine Hand ganz fest, doch sanft löste sich Jin von ihr. Er küsste sie auf die Stirn.

„Ich geh Papa suchen!“, meinte er und ging dann hinaus.

Inzwischen war die Sonne weitergeklettert. Jin ging durch den Garten und wandte sich dann nach rechts, der Dorfmitte zu. Die kleinen Felder seiner Familie lagen hinter dem Dorf und so entschied er sich dazu, es auf direktem Wege zu versuchen. Nachbarn oder Dorfbewohner bekam er leider nicht zu Gesicht. Nur einmal meinte er, so etwas wie Kinderlachen zu hören, doch er täuschte sich. Inzwischen hatte er das kleine Dorf durchquert und sah die Felder vor sich. Fast auf jedem war ein Dorfbewohner beschäftigt. Jin lief auf dem Weg und bog dann nach links ab.

Jin sah einen groß gewachsenen Mann vor sich mit einer Halbglatze und grauen Haaren. In der Hand hielt er eine Harke, mit der er Kohlköpfe bearbeitete. Es war Jin’s Vater. Er ging auf ihn zu und wartete, bis der alte Mann sich von selber umdrehte. Wie bei seiner Mutter vorhin war auch das Erstaunen und die Freude seines Vaters sehr groß. Er fiel ihm um den Hals und war den Tränen nahe, Jin noch einmal in seinem Leben sehen zu dürfen. Jin lachte nur und nach einem viel zu kurzen Gespräch gingen die beiden, jeweils einen Arm um die Schulter des anderen gelegt, zu ihrem Wohnhaus zurück.

Jin’s Mutter stand inzwischen am Herd und aus mehreren Töpfen roch es verführerisch heraus. Die beiden Männer betraten das Haus, wuschen sich Gesicht und Hände und setzten sich dann an den gedeckten Esstisch. Gefüllte Salatteller gab es bereits, während die erste Schüssel auf den Tisch wanderte. Sie beinhaltete Nudeln. Jin nahm den Teller seines Vaters und schaufelte ihm eine ordentliche Portion davon ein, bevor er sich selbst nahm. Seine Mutter stellte eine zweite Schüssel mit Tomatensoße auf den Tisch und das Essen konnte beginnen. Anfangs sprach Jin nicht sehr viel, aß nur und hörte seinen Eltern zu, wie sie ihm aus den vergangenen Jahren erzählten. Doch dann fiel ihm plötzlich etwas ein.

„Sind Milo’s Eltern momentan hier?“, fragte er mit vollem Mund.

„Milo’s Eltern? Ja, warum mein Junge?“, antwortete sein Vater, „Falls du zu Milo selber willst, den haben wir schon seit einigen Wochen nicht mehr gesehen.“

Wundert mich nicht, dachte Jin. Doch seinen Eltern sagte er lieber nichts von dem, was er wusste. Den Brief, den er von Milo bekommen hatte und Milo’s Eltern bringen sollte, trug er immer noch in seiner Jackett-Tasche. Still aß er weiter.

Explosion

„Junge, du musst mir wirklich nicht helfen“, meinte Jin’s Mutter.

Der junge Mann hatte unaufgefordert den Tisch abgeräumt und dann Wasser ins Spülbecken eingelassen. Früher hatte er diese Aufgaben immer übernehmen müssen und er war es gar nicht gewohnt, von seiner Mutter verhätschelt zu werden.

„Jin, geh doch zu Milo’s Eltern. Du hast doch vorhin nach ihnen gefragt.“

„Ich soll dir wirklich nicht helfen?“, fragte Jin.

„Nein, nein. Geh nur, geh.“

Seine Mutter kicherte rau und schob ihn dann von der Spüle weg. Jin seufzte und verließ das Haus. Sein Vater wartete draußen auf ihn.

„Komm Jin, lass uns einen kleinen Spaziergang machen“, sagte er.

Die beiden Männer gingen langsam zur Ortsmitte und unterhielten sich dabei.

„Und du arbeitest jetzt tatsächlich für ShinRa?“, fragte sein Vater.

„Ja, Papa. Das hab ich euch doch in dem Brief geschrieben. Das war meine einzige Möglichkeit, aus dem Gefängnis heraus zu kommen. Und ich verdiene nicht schlecht“, erklärte Jin.

„Aber du hast bestimmt auch Arbeit zu machen, die nicht in Ordnung ist?“

„Ja, aber nicht so viel.“

Mehr sagte Jin dazu nicht. Ihm war es klar, dass seine Eltern und überhaupt das ganze Dorf mit seiner momentanen Situation nicht einverstanden waren. Doch was blieb ihm anderes übrig? Seinen Job hinschmeißen war nicht drin. Bei den Turks aufhören zu wollen kam einem Selbstmord gleich. Bisher hatte nie jemand die Abteilung lebend verlassen. Jin wusste von Anfang an, sein Schicksal ist besiegelt, wenn er den Job beim Department of Administrative Research annahm.

„Papa, ich möchte wirklich nicht über meine Arbeit reden. Vor allem bin ich auch zu Stillschweigen verpflichtet“, meinte Jin.

„Ja, ist vermutlich besser, wenn wir nicht so viel darüber wissen.“

Vater und Sohn gingen weiter und bogen beim Ortszentrum nach rechts ab. Einige Dorfbewohner begegneten ihnen. Jin grüßte höflich, doch die meisten erkannten ihn erst auf den zweiten Blick. Für Gongaga-Verhältnisse gab es viel Aufsehen, doch Jin ertrug es mit Fassung. Er hörte einige stichelige Bemerkungen über das, was er jetzt beruflich machte. Doch Jin war es egal. Er blickte sich kurz um.

„Papa, ich würde jetzt gerne zu Milo’s Eltern gehen“, sagte Jin.

„Gut. Geh ruhig, ich denke, sie sind daheim. Ich geh wieder an meine Arbeit.“

Jin sah seinem Vater kopfschüttelnd nach. Doch sein sonderbares Verhalten kam wohl von dem unerwarteten Besuch des Sohnes. Der Turk drehte sich um und ging auf das Haus von Milo’s Eltern zu. Diese wussten nicht, was ihrem Sohn in Junon passiert war. Dass er jetzt, ebenfalls wie Jin vor einigen Jahren, im Gefängnis saß. Das Haus, vor dem er jetzt stand, war etwas größer als das seiner Eltern. Man konnte sie als wohlhabend in einfachen Verhältnissen bezeichnen. Jin ging zur Haustür und klopfte vorsichtig. Es dauerte etwas und er wollte schon wieder kehrt machen, als sich die Tür quietschend öffnete. Eine alte Frau stand im Türrahmen und stützte sich auf einen Gehstock.

„Ja bitte?“

Jin sagte nichts. Ein Gefühl von Beklemmung und Zweifel stieg in ihm hoch. Sollte er Hilda, Milo’s Mutter, wirklich den Brief ihres Sohnes aushändigen. Der Turk wusste nicht, was sein ehemaliger Spielkamerad alles geschrieben hatte.

„Jin?“, fragte die Alte, „Bist du das?“

Große graue Augen blickten nun zu ihm noch. Die Frau kam langsam und wackelig zur Tür heraus und streckte ihm die Hand entgegen. Jin ergriff sie feierlich, um Hilda Halt zu geben.

„Wie schön das ist, dass du wieder da bist“, meinte sie, „Wir haben dich so lange nicht gesehen. Ach, es ist so viel passiert. Milo ist nicht da, falls du zu ihm willst.“

„Nein, ich weiß.“

„Ach, du weißt das? Woher?“

Jin sah Milo’s Mutter traurig an. Er wusste nicht, wo er anfangen sollte. Außerdem sollte sie die schlechten Nachrichten besser im Sitzen erfahren. Er komplimentierte die alte Frau zu der kleinen Bank hinüber, die in ihrem Garten stand und setzte sich neben sie.

„Hilda, das ist jetzt sehr schwierig für Sie“, fing Jin an, „Ich habe Milo in Junon getroffen, in einer ungünstigen Situation.“

„Ach. Das hatte sicher mit deiner neuen Arbeit zu tun.“

Unglaublich. Hilda war alt und gebrechlich, doch ihr Gedächtnis und ihre Auffassungsgabe waren fit wie eh und je. Bekümmert sah sie ihn nun an.

„Stimmt. Hilda, ich weiß nicht, wie ich es Ihnen am besten mitteilen soll. Milo hat mir einen Brief für Sie mitgegeben.“

Der Turk zog das Kuvert aus seinem Jackett und hielt es Hilda hin. Doch diese kam nicht mehr dazu, den Brief zu nehmen. Eine ohrenbetäubende Explosion zerriss die Stille und eine rasch aufsteigende Rauchsäule verdunkelte das Antlitz der Sonne.

Chaos

Jin starrte fassungslos nach Norden hin. Dort, wo der Mako-Reaktor stand, waren ausschließlich Rauchschwaden zu sehen. Der Turk befürchtete das schlimmste, drückte Hilda den Brief in die Hand und lief dann los. Im Laufen zückte er sein Handy und wählte Tseng’s Nummer. Endlose Sekunden lang tat sich überhaupt nichts, es läutete einfach nur fröhlich vor sich hin. Dann, ein kurzes Klick und der Second in Command meldete sich.

„Ja? Jin, was gibt es?“

„TSENG! Es ist furchtbar. Ich bin gerade in Gongaga.“

Jin hetzte durch das Dorf und kam an vielen Frauen und einigen Kindern vorbei, die ihre Häuser verlassen hatten. Einige wollten ihm Fragen stellen, aber er beachtete sie gar nicht und lief einfach weiter Rechung Reaktor. Tseng brüllte inzwischen ins Telefon.

„Hörst du mich denn nicht?!!“

„Tseng, hier ist die Hölle los. Der Mako-Reaktor in der Nähe scheint in die Luft geflogen zu sein.“

Stille. Jin glaubte, schon gar keinen Gesprächspartner mehr zu haben, als Tseng’s roboterhafte Stimme wieder ertönte.

„Ich werde das Nötige veranlassen“, sagte er und legte auf.

Das Nötige veranlassen. Was mochte das bei Tseng wohl heißen? ShinRa sollte schnellsten Rettungsteams herschicken, falls es Verletzte gab. Mit Sicherheit gab es die. Jin hatte das eine Dorfende erreicht und sah jetzt die Felder vor sich. Vereinzelt regneten Trümmer herab, die von der Explosion in die Luft geschleudert worden waren. Der Turk blickte zu dem Reaktor hinüber. Anfangs hatte er nur sehr viel Rauch gesehen, doch jetzt wurde Jin das ganze Ausmaß der Katastrophe erst richtig bewusst. Vor ihm schoben sich Feuerwände gen Himmel. Nein, alles im Umkreis zum Reaktor konnte diese Explosion nicht überlebt haben. Etwas Stechendes war in der Luft, der Geruch von brennender Mako-Energie. Zu viel davon einzuatmen war gefährlich, konnte sogar den Tod bedeuten.

Jin entschied sich dazu, die Bauern von den Feldern zu holen. Er blickte sich um und entdeckte seinen Vater, der scheinbar bewusstlos auf seinem Feld lag. Jin rannte entsetzt zu ihm hin und befühlte den Puls seines geliebten Vaters. Der Puls war schwach, aber zu spüren. Jin zog seinen Vater am Arm hoch und legte ihn sich dann vorsichtig über die Schulter. Eilig aber sicher lief der Turk zurück ins Dorf. Die Frauen und Kinder waren inzwischen ins Haus verschwunden, blickten aber verängstigt aus den Fenstern. Jin brachte seinen Vater ins Elternhaus, wo seine Mutter schon wartete.

„Junge, was ist passiert?“, rief sie entsetzt.

Ihr Sohn schwieg, bis er seinen Vater auf der Couch abgesetzt hatte. Dann sah er sie ernst an.

„Der Mako-Reaktor ist explodiert! Mama, bleib bitte in jedem Fall im Haus. Schließ die Fenster, so dass keine Luft von draußen hereinkommt. Die ist giftig.“

Jin lief in die Küche und sah sich um. Beim Spülbecken lag ein Tuch, das seine Mutter zum Abtrocknen benutzte. Er griff es sich und hielt es unter das laufende Wasser, bevor er es sich um Nase und Mund band. So würde er draußen die giftige Luft eine Zeit lang schadlos überstehen. Bevor Jin das Haus verließ, blickte er noch einmal auf seine Eltern. Seine Mutter stand traurig neben der Couch und sah ihn an. Wieso musste es nur soweit kommen?

Die Tür sachte öffnend verließ Jin das Haus. Auf dem Weg zurück zu den Feldern rief er den Müttern zu, die Fenster und Türen in jedem Falle zu schließen. Bei den Feldern angekommen, zeichnete sich ein schreckliches Bild vor ihm ab. Der Wind hatte gedreht und kam jetzt aus Nordwesten, weshalb die giftige Rauchwolke direkt auf Gongaga zu wabberte. Es regnete immer noch Trümmer herab, manche brannten sogar, weshalb Jin sich beeilte. Er lief auf das erste Feld und zog den Bauern wie vorhin seinen Vater davon herunter. Der Turk wusste nicht, ob der Mann noch lebte oder schon tot war. Doch das spielte im Augenblick keine Rolle. Jin schleppte den Mann zu seinem Wohnhaus und vorsichtig klopfte er an die Tür. Diese öffnete sich kurz darauf einen Spalt breit und ängstliche Augen blickten ihn an. Der Turk schob sich einfach nur durch die Tür, setzte den Mann im Gang ab und lief wieder nach draußen.

Immer und immer wieder holte er einen Mann von den Feldern und brachte ihn zu seiner Familie zurück. Die Atmosphäre in Gongaga wurde immer schlechter. Jin befürchtete das Schlimmste, sollte der Wind nicht drehen oder es zu regnen anfangen. Außerdem fragte er sich, wo ShinRa so lange blieb. Soweit er wusste, befand sich derzeit in Costa del Sol ein Helikopter der Company, doch warum er diesen nicht hörte, war ihm ein Rätsel. Minuten später ertönte eine neuerliche Explosion. Das war wohl der Energietank, dessen Bleiummantelung der Hitze nicht mehr stand gehalten hat. Ein Trümmerregen ging auf die Felder nieder und Jin musste seine Rettungsaktion abbrechen. Verzweifelt lief er zu dem Haus seiner Eltern. Die Hoffnung auf Rettung oder auch nur einen glücklichen Ausgang dieser Katastrophe hatte er längst aufgegeben.

Warten

Finsternis und stickiger Rauch umgaben Jin’s Elternhaus. Seit dem Nachmittag saßen sie nun hier fest, inzwischen war es Abend geworden. Jin und seine Mutter saßen beide bei der Couch. Der Puls des Kranken hatte sich etwas stabilisiert, soweit der Turk das feststellen konnte. Doch das sollte sich lieber ein Arzt ansehen, sobald dazu die Möglichkeit gegeben war. Hin und wieder war ein Klopfen auf dem Dach zu hören, wenn kleine Trümmerstückchen auf das Dorf hernieder gingen. Doch die Gebäude blieben heil.

„Ich hab gespürt, dass irgendwann so etwas passieren wird“, sagte seine Mutter in die Stille hinein, „Schon damals, als die ShinRa den Reaktor gebaut haben, habe ich es gewusst.“

„Mama ...“, meinte Jin nur.

Er konnte gut nachvollziehen, wie seine Mutter sich fühlte. Ihm selbst waren am Nachmittag ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen. Die Mehrheit der Dorfbewohner war damals gegen den Bau des Reaktors, es gab auch einige Anschläge auf ShinRa-Funktionäre oder die Reaktor-Baustelle, unter anderem der von Milo. Doch ShinRa Inc. hatte Geld, viel Geld, mit dem sie die Dorfbewohner bestach. Die Company war bisher nicht aufgetaucht. Das war auch unmöglich, denn das ganze Dorf war inzwischen in dem giftigen Nebel versunken. Jin fragte sich, ob sein Arbeitgeber überhaupt irgendwelche Hebel in Bewegung gesetzt hatte. Ein neuerlicher Stoß ließ das Dach des Hauses erzittern. Bei einem kurzen Blick aus dem Fenster vor einer halben Stunde hatte der Turk festgestellt, dass sie gerade noch so die Tür öffnen konnten. Er hoffte, dass nicht noch mehr Trümmer herabregneten.

„Jin ... mein Junge ...“, krächzte jemand hinter ihm.

Es war sein Vater. Jin stürzte zu ihm hin und ergriff die Hand des Kranken, die etwas zitterte. Seine Mutter ging in die Küche und kam kurz darauf mit einem Glas Flüssigkeit zurück, das sie ihrem Mann hinhielt.

„Mama! Hast du das Wasser frisch aus dem Hahn gelassen?“, fragte der Turk erschrocken.

„Nein, wieso? Das ist der Rest Limonade von heute Mittag“, antwortete sie ihm verwirrt.

„Gut. Das Wasser aus dem Hahn könnte vergiftet sein.“

Jin richtete seinen Vater etwas auf und seine Mutter setzte ihm das Glas an die Lippen. Vorsichtig trank der alte Mann ein paar Schlucke und ließ sich dann wieder zurücksinken.

„Vater, wie geht es dir?“, fragte der Sohn.

„Ich ... Was ist passiert? Ich hab einen lauten Knall gehört und dann ... stürzte ich glaube ich zu Boden. ... Wo bin ich denn?“, fragte sein Vater stockend.

„Du bist daheim. Der Mako-Reaktor ist explodiert, während du auf dem Feld gearbeitet hast. Aber ich habe dich rechtzeitig gefunden.“

Jin ließ den Kopf hängen. Viele aus dem Dorf hatte er retten können, doch ob diese die eingeatmeten Gase überlebten, war eine andere Frage. Die meisten Bauern waren dem Gift viel länger ausgesetzt als sein Vater, von daher würde es ihn nicht wundern, wenn manche die Nacht nicht überlebten. Doch einige waren auch auf den Feldern zurückgeblieben. Jin machte sich Vorwürfe, willkürlich die einen gerettet und andere Dorfbewohner zurückgelassen zu haben. Doch er konnte es nicht mehr ändern. Sein Vater hustete und riss Jin aus seinen Gedanken zurück.

„Ich hab der Company Bescheid gesagt, doch leider wird es auch für sie unmöglich sein, jetzt jemanden herzuschicken“, meinte er müde.

„Ach, weil ShinRa jemanden herschickt“, geiferte sein Alter, „Für die ist Gongaga doch nur insoweit interessant, als dass sie hier ihren Reaktor bauen konnten. Jin mein Junge, uns hatte man damals nicht beachtet. Wir waren nur lästige einfache Menschen, die irgendwie besänftigt werden mussten. ShinRa hat sich noch nie für die einfachen Leute interessiert.“

Jin schwieg. Wenn man es genau betrachtete, hatte sein Vater Recht. Aber das änderte nichts an der momentanen Situation. Das Unglück war nun einmal passiert und die Dorfbewohner mussten es ausbaden. Doch zumindest zu Schadensersatzzahlungen war ShinRa verpflichtet, fand Jin. Klopfende Geräusche ertönten. Der Turk kannte dieses Geräusch nur zu gut, verkündete es doch einen nahenden Regenschauer. Jin ging zum Fenster hinüber und blickte hinaus. Es war bereits zappenduster, doch in den anderen Wohnhäusern brannte Licht, sodass der junge Mann ein bisschen was erkennen konnte. Die Luft war immer noch trübe von dem ganzen Rauch. Asche von dem Brand war auf dem Dorf hernieder gegangen und bedeckte alles unter sich. Der Regen reinigte zwar die Luft, verwandelte die Asche aber auch in Schlamm. Es würde Tage dauern, Gongaga von diesem Dreck zu befreien, doch wenigstens konnte man dann wieder gesunde Luft atmen. Der Regen wurde stärker, war zu einem prasselnden Dauergeräusch geworden. An der Fensterscheibe rann schmutziges Wasser herunter. Der Turk ging wieder zu seinen Eltern zurück. Sachte zog er seinem Vater die Wolldecke bis zum Kinn hoch und wartete.

Hilfe

Schlamm bedeckte den Weg zwischen den Bäumen, deshalb wichen die beiden Turks und der Zug ShinRa-Infanteristen, die sie im Gepäck hatten, auf die Seite aus. Reno, sein Partner Rude und die Soldaten mussten teilweise über Baumwurzeln klettern. Der Weg nach Gongaga war mühsam. Die zähe Schlammmasse, die durch die Asche und den Regen entstanden und ein bisschen abgetrocknet war, konnte man nicht betreten ohne festzustecken. Überall war dieses Zeug, teilweise sogar auf großen Astgabeln und Reno fluchte. Er war gerade über eine große Wurzel geklettert, knickte dann aber mit dem Fuß um. Nur Rude war es zu verdanken, dass der Rotschopf nicht im Schlamm endete.

„Danke, Partner!“, meinte er nur und sah sich um.

Weiter vorne konnte er bereits Häuserfronten sehen.

„Hey, ich glaub, wir sind gleich da. Ich ruf Jin mal an.“

Reno zog sein Handy hervor und tippte Jin’s Nummer. Nach etwa dreimal Leuten ging der Junior-Turk ran und war mehr als überrascht.

„Jo, Jin. Hast du etwa gedacht, wir lassen dich hier hängen?“, gackerte Reno in seinen Apparat.

„Ehrlich gesagt, ja, das hab ich mir gedacht. Wo bleibt ihr denn so lange? Und wie viele Leute bringt ihr mit?“

„Immer mit der Ruhe. Wir haben fünfzig Leute dabei“, meinte Reno.

„Mehr nicht?“

Jin klang etwas entsetzt, das merkte Reno, dem man den Oberbefehl für diese Aktion übertragen hatte, sofort. Doch er konnte es nicht ändern. Präsident Shinra wollte ursprünglich gar keine Hilfe nach Gongaga schicken. Die Aktion jetzt war nur Verdot’s und Reeve’s Fürsprache zu verdanken.

„Hey. Beruhige dich, sei froh, dass überhaupt wer kommt. Also, wir sind gleich da.“

Reno legte auf und die Gruppe setzte sich wieder in Bewegung. Der Rotschopf fragte sich zwischendurch, wie sie bei dem ganzen Dreck überhaupt arbeiten sollen. Doch als er in dem kleinen Dorf Gongaga ankam, sah er, dass bereits kleine Wege freigeschaufelt waren. Vorsichtig tappte der Turk von der Baumwurzel, auf der er gerade stand, durch die klebrige Masse hinüber zu dem Weg. Seine Schuhe und die Hose waren komplett versaut. Er fluchte erneut. Wieso mussten die Turks auch so teure Anzüge tragen? Rude watschelte hinter Reno her, der Senior-Turk sah genauso aus wie sein Kollege, doch er ertrug es mit Fassung. Im Dorf ging es dann schneller vorwärts und bald hatten sie das Zentrum erreicht, wo Jin bereits mit einer kleinen Gruppe Bewohner auf sie wartete. Die Bewohner, hauptsächlich Bauern, wie Rude gleich beim ersten Blick erkannte, hatten bereits viel Werkzeug dabei. Der Rotschopf blieb vor Jin stehen und grinste ihn an.

„Wie ich sehe, wurde hier schon Vorarbeit geleistet. Wie geht’s denn so?“

„Ach, den Umständen entsprechend. Du siehst ja, wie es hier aussieht. Warum hat das eigentlich so lange gedauert?“, fragte Jin seinerseits

„Weil der ganze Wald voll mit dieser ekeligen Pampe ist. Schau dir nur meine Hose an, alles total versaut und die war neu“, zeterte Reno.

Jin lachte nur. Doch es wirkte leicht gekünstelt, fand Rude. Er hatte bisher geschwiegen, doch jetzt meldete sich auch der Glatzkopf zu Wort.

„Reno, wir sollten langsam anfangen.“

„Ja, du hast recht“, meinte der Operationsführer, „Je schneller wir machen, desto eher können wir wieder weg von diesem Ort.“

Reno drehte sich um und blickte dann auf die fünfzig Infanteristen, die ebenfalls diverse Hilfsmittel in den Händen hielten.

„Also Männer! Als erstes sorgen wir dafür, dass dieser Schlamm weg kommt. Fünfzehn von euch werden die Waldwege freischaufeln, weitere fünfzehn gehen auf die Dächer und holen den Dreck von dort runter und der Rest macht erst mal das Dorf sauber. ABMARSCH!“, brüllte Reno.

Der Tross Infanteristen setzte sich in Bewegung. Die Turks hatten mit den Soldaten zuvor schon besprochen, wie sie die Aufgabe am besten erledigen würden, weshalb das Aufräumen jetzt ziemlich entspannt von statten ging. Den Dorfbewohnern wurden ihre Schaufeln abgenommen und verschiedene Dreiergrüppchen Infanteristen bildete sich. Jin’s Vater wurde um eine Leiter gebeten, um besser an den Schlamm auf den Dächern heranzukommen und der schwarzhaarige Junior-Turk lief selber gleich los, um mit dem Gewünschten wieder zu kommen. Die Soldaten arbeiteten zügig und schon bald waren fast alle Häuser freigeschaufelt. Den Schlamm fuhr man auf die Felder zwischen Gongaga und dem Reaktor. Denn so wie es dort aussah, würde da eh nichts mehr wachsen. Der Schlamm wurde mit Schubkarren auf den Sammelplatz gefahren und gen Mittag musste der zweite Schlammberg angefangen werden.

Die Frauen Gongagas hatten sich daran gemacht, Essen zuzubereiten. Auch wenn sie froh waren, wenn ShinRa bald wieder weg war, so mussten sie die Soldaten doch unterstützen, wo es nur ging. Mittags fanden sie sich alle auf dem kleinen Dorfplatz zusammen, der inzwischen wieder recht ordentlich aussah. Unter den Infanteristen wurde gelacht und geschwatzt, Schüsseln mit Suppe wurden herumgereicht, dazu Brot, Trockenfrüchte und alles, was die Dorfbewohner auftreiben konnten.

Auftrag 3.1

Ein Rucken ging durch den Automaten, dann ein Pieps-Ton und im Display erschien das Wort ‚Error’. Die Kaffeemaschine war schon wieder kaputt. Rosalinde seufzte. Und das passierte an dem Tag, an dem sie verschlafen hatte und hundemüde war. Gähnend schlenderte sie zum Kühlschrank hinüber und schaute hinein. Nur noch normale Cola, aber was machte das schon? Rosalinde hatte vor einigen Wochen aufgehört, auf ihre Linie zu achten. Sie nahm sich eine Flasche und ein Glas und ging dann wieder ins Büro zurück. Auf dem Gang kam ihr der schwarzhaarige Wutainese entgegen, der neben Verdot ihr Chef war.

„Rosalinde, auch schon da?“, fragte er.

„Guten Morgen, Sir“, antwortete sie lahm, „Bitte entschuldigen Sie die Verspätung, mir ging es heute nicht so gut.“

Tseng zog eine Augenbraue. Rosalinde ging es schlecht? So etwas kannte er nur von Reno, der sich mit erfundenen Krankheiten gerne Freizeit herausschlagen wollte. Aber diese Masche funktionierte bei Tseng nie. Doch die Junior-Turk hatte eindeutig schwarze Ringe unter den Augen.

„Vielleicht solltest du abends nicht so lange arbeiten“, meinte er nur und ging weiter in den Aufenthaltsraum auf der Turk-Etage.

Was wusste er auch schon, dachte sich Rosalinde. Seit gut einer Woche schrieb sie jetzt Missionsberichte für Reno. Zusätzlich zu ihrer eigenen Arbeit, die sich leider nicht in Luft auflöste. Doch lange würde die junge Frau das nicht mehr mitmachen. Sie musste schließlich auch an sich selber denken und diese ständige Dauerbelastung konnte irgendwann ihre Gesundheit gefährden.

Rosalinde ging wieder zu den Büros. Reno war natürlich nicht da, doch Rude arbeitete momentan an seinem Terminal. Sie ging zu ihrem Schreibtisch, stellte Flasche und Glas ab und schnappte sich dann die restlichen Akten des Rotschopfs. Pfeifend trabte sie damit dann hinüber zu dessen Schreibtisch gegenüber Rude’s und ließ die Akten auf den Sessel plumpsen. Sollte Reno doch selbst zusehen, wie er damit klarkam. Der Glatzkopf grinste nur in seinen Bildschirm hinein, sagte aber nichts. Das Telefon läutete. Rose blieb heute auch überhaupt keine Zeit, irgendetwas anzufangen. Sie griff nach dem Hörer und meldete sich nur mit einem ‚Ja’.

„Kannst du bitte mal in mein Büro kommen?“, ertönte Tseng’s emotionslose Stimme, „Ich hab einen neuen Auftrag für dich.“

Klick. Die Leitung war tot. Rosalinde nahm sich aber noch die Zeit, einen Schluck Cola zu trinken. Wieder raus aus den Büros der einfachen Turks, dann nach rechts und schon stand sie vor der Tür des Second in Command. Sachte klopfte sie und trat dann ein. Tseng saß hinter seinem übergroßen Schreibtisch und blätterte gerade in einer Mappe, die offensichtlich ihren nächsten Auftrag betraf.

„Die nächste Aufgabe sollte eigentlich keine Herausforderung für dich sein. Trotzdem ist sie sehr anspruchsvoll“, begann Tseng.

Er legte ein Foto in die Mappe und setzte sich dann. Rosalinde tat es ihm gleich und schaute Tseng gespannt an.

„Hast du schon einmal etwas vom Sohn des Präsidenten gehört?“, fragte er dann.

Rosalinde stutze. Was hatte das mit ihrer neuen Mission zu tun? Fieberhaft überlegte sie. Der Sohn des Präsidenten hieß Rufus, soweit sie wusste. Er war der einzige legitime Sohn des Präsidenten und vermutlich würde das ShinRa-Imperium an ihn übergehen, wenn sein Vater starb. Tseng reichte Rosalinde die geöffnete Mappe, als sie nicht antwortete. Das Gesicht auf dem Bild, das oben auf lag, kannte sie nur allzu gut. Es war der Junge, den sie vor einigen Wochen in Begleitung von Verdot und einer Frau im Aufzug getroffen hatte. Das war also der Sohn des Präsidenten.

„Bisher hat Rufus Shinra mit seinem Kindermädchen hier in Midgar gelebt. Doch der Präsident will ihn nicht in seiner Nähe haben. Deshalb wirst du den Sohn des Präsidenten zusammen mit dem Kindermädchen und einer kleinen Kampfeinheit Soldaten nach Mideel begleiten. Der Präsident besitzt dort in der Nähe eine Urlaubsvilla, in der sich Rufus die nächsten Wochen aufhalten soll. Rosalinde, das ist kein Spaziergang. Der Sohn des Präsidenten ist zwar noch jung, doch gerade deshalb ist erhöhte Alarmbereitschaft geboten. Die ShinRa-Soldaten sind deinem Befehl unterstellt und zusammen seid ihr für die Sicherheit von Rufus verantwortlich. Sollte ihm irgendetwas zustoßen, kann ich nicht für dich garantieren“, erklärte Tseng.

Rosalinde staunte nicht schlecht. Dass man ihr alleine, einer Junior-Turk zutraute, den Sohn des Präsidenten zu bewachen. Tseng und Verdot schienen wohl sehr viel von ihr zu halten. Der Frau stand die Verblüffung deutlich ins Gesicht geschrieben, denn Tseng verzog leicht die Mundwinkel zu einem Lächeln, bevor er wieder ernst wurde.

„Sei bitte pünktlich in einer halben Stunde in der Lobby. Rufus Shinra ist zwar nur der Sohn, aber wie sein Vater sehr anspruchsvoll. Du kannst dir sicher sein, dass jeder Fehler sofort beim Präsidenten landet, also pass auf. Du kannst wegtreten.“

„Jawohl, vielen Dank für Ihr Vertrauen, Sir.“

Rosalinde flüchtete förmlich aus Tseng’s Büro. Eine halbe Stunde, das war sehr knapp bemessen, um das wichtigste zusammenzupacken. Eilig stürmte sie zu ihrem Arbeitsplatz hinüber, griff sich die Aktentasche und warf das Notwendigste hinein. Reno war inzwischen angekommen und wollte sie in ein Gespräch verwickeln, doch Rosalinde ließ sich nicht aufhalten. Sie zog die Schubladen ihres Schreibtisches auf und förderte ihren Revolver zu Tage. Eine kurze Überprüfung reichte aus, um die Verlässlichkeit der Waffe festzustellen. Sie steckte ihren Revolver ins Hohlster, ergriff die Aktentasche und hetzte mit einem ‚Bis irgendwann!’ aus dem Büro.

Mission 3.1

Der Fahrstuhl rauschte nach unten. Rosalinde gelangte in die Lobby, ohne bei einem der anderen Stockwerke anhalten zu müssen. Ihr war etwas mulmig zu Mute. Wie würde der Präsidenten-Sohn auf sie, eine Anfängerin, reagieren? Vor allem Tseng’s letzter Hinweis hatte sie sehr verunsichert. Wenn sie ihren Job nicht gründlich machte, war es sowieso ihr letzter bei den Turks. Ping. Die Aufzugtüren zogen sich auseinander und Rosalinde lief zur Anzeigetafel, die in der Mitte der Lobby aufgestellt war. Bisher war noch niemand zu sehen, die Junior-Turk schien also doch noch pünktlich gekommen zu sein.

„Wo waren Sie denn so lange?“, erklang eine vorwurfsvolle Stimme.

Rosalinde zuckte zusammen und drehte sich dann um. Rufus war aufgetaucht und schaute sie mit einem undeutbaren Ausdruck an. Was wohl in seinem Kopf vorging? Bestimmt nichts gutes, dachte sich die Blondine und reichte dem Präsidentensohn die Hand. Er jedoch ging nicht darauf ein, starrte nur kurz auf die angebotene Hand und dann Rosalinde wieder direkt ins Gesicht. Rose schluckte. Schon der zweite Patzer innerhalb weniger Minuten.

„Können wir endlich los?“, fragte Rufus genervt.

„Natürlich.“

Rosalinde drehte sich auf dem Absatz herum und ging Richtung Ausgang. Sie rief sich noch einmal den Ablauf ihrer Reise ins Gedächtnis zurück. Von Midgar aus würden sie zu dritt mit dem Helikopter nach Junon fliegen, wo die Soldaten zu ihnen stoßen würden. Von Junon-City aus ginge es dann, wenn nichts dazwischen kam, mit dem Schiff Richtung Mideel. Einen halben Tag dauerte die Überfahrt zum südlichen Kontinent, wenn sie mit einem normalen Frachtschiff reisten.

„Bitte hier entlang, Sir.“

Es war besser, den Sohn wie seinen Vater zu behandeln und ihn mit dem Titel anzusprechen. Man konnte schließlich nie wissen. Rufus zog eine Augenbraue hoch.

„Ich weiß selber, wo es langgeht“, antwortete er.

Natürlich wusste er das. Schließlich war Rufus in Midgar aufgewachsen. Die Gruppe, die von einigen Soldaten eskortiert wurde, wandte sich nach links zum Hubschrauberlandeplatz. Rosalinde konnte bereits das Rattern hören, das die Maschine von sich gab. Der Weg führte sie um eine letzte Ecke und schon stand die kleine Gruppe vor dem Helikopter. Die Junior-Turk ließ Rufus den Vortritt. Sie schaute sich das Kindermädchen an, das eine ungesunde Gesichtsfarbe angenommen hatte.

„Wenn Sie Flugangst haben, immer in der Ferne einen Punkt fixieren“, erklärte Rosalinde ihr.

„Ja... ja“, kam es zögerlich von dem Kindermädchen.

Dann kletterten die beiden Frauen in die Maschine hinein. Rufus hatte bereits vorne beim Piloten Platz genommen und sich einen der Kopfhörer aufgesetzt. Als das Gepäck in der kleinen Ladefläche verstaut war und der Pilot Startfreigabe erhalten hatte, schob sich der Helikopter schwerfällig nach oben. Immer weiter stiegen sie neben dem ShinRa Headquarter in die Höhe und als sie die Spitze passiert hatten, wendete die Maschine Richtung Südwesten.

Der Flug verlief verhältnismäßig ruhig. An der Westküste des Kontinents war eine Gewitterfront zu sehen, die der Pilot jedoch ohne Turbulenzen umflog. Rufus hatte sich hin und wieder mit kleineren Fragen an ihn gewandt, die meiste Zeit jedoch starrte der Sohn des Präsidenten gelangweilt aus dem Fenster. Rosalinde fragte sich, ob Rufus überhaupt so etwas wie Freunde hatte, doch wahrscheinlich eher nicht. Das Kindermädchen neben ihr war immer noch sehr blass, schien aber vor sich hinzudösen.

Rosalinde seufzte. Sie sehnte sich den Tag herbei, an dem sie den Missionsbericht für diese Mission würde verfassen können. Wie lange ihr Auftrag dauerte, war nicht absehbar. Tseng hatte von mehreren Wochen gesprochen. Sie hoffte inständig, dass es nicht so lange dauern würde. Aber bei ShinRa Inc. konnte man schließlich nie wissen.

Der Helikopter ruckelte. Die Turk wurde aus ihren Gedanken gerissen und blickte nach vorne. Junon-City schmiegte sich majestätisch an die Klippe, Sister Ray zeigte wie ein Schwert nach Westen. Rosalinde hatte schon öfters ihren Fuß auf Junon gesetzt, doch bisher nur als Zivilistin. Der Helikopter senkte sich dem Boden entgegen und sanft setzte er auf. Der Pilot schaltete das Triebwerk aus und langsam kamen auch die Rotorenblätter zum stehen. Rosalinde öffnete die Tür neben sich und stieg aus. Etwas weiter weg wartete bereits der Trupp Soldaten, der sie begleiten würde. Die Turk winkte einige von ihnen heran, die das Gepäck übernehmen sollten und als Rufus endlich aus dem Helikopter geklettert war, setzte sich die Gruppe in Bewegung.

Über Gänge, zu denen nur ShinRa-Mitarbeiter Zugang hatten, führte Rosalinde ihren Schützling bis zum Hafen, wo das vermutete Frachtschiff bereits seine Luken für sie geöffnet hatte. Die Soldaten schafften schnell das Gepäck an Bord, während Rufus Shinra und seine beiden Aufsichtspersonen die Brücke aufsuchten.

Angebot

„Das Kücken soll mir noch einmal zwischen die Finger kommen!!“, fluchte Reno.

Der kleine Quälgeist kratzte momentan sehr an Rude’s Selbstbeherrschung. Er hatte schließlich damit rechnen müssen, dass Rosalinde irgendwann auch einmal genug hatte. Außerdem konnte sie am allerwenigsten dafür, dass Tseng sie für eine Mission eingeplant hat.

„Wenn du dich beschweren willst, geh zu Tseng“, meinte Rude kurz und knapp.

Der Rotschopf fluchte erneut. Nein, mit den Chefs würde er sich nicht anlegen. Er nahm sich eh schon zu viel heraus, war ständig unpünktlich, hatte kaum Respekt, kam unordentlich angezogen daher. Außerdem würde Reno in Erklärungsnot geraten, warum er sauer auf Rosalinde war.

„Schau dir mal den Stapel an, den sie mir da gelassen hat“, meckerte er stattdessen weiter, „Wie soll ich das nur alles fertig bekommen? Ich dachte, das Kücken wäre schneller im Berichte schreiben.“

„Hey, Rosalinde muss schließlich deine krakelige Handschrift entziffern, um überhaupt einen Bericht schreiben zu können. Denk mal ein bisschen drüber nach.“

Rude mochte es nicht, wie sein Partner manchmal über die Neuen herzog. Doch das war typisch Reno und würde auch immer so bleiben. Deswegen griff der Glatzkopf den Neulingen hin und wieder unter die Arme, wenn es nötig wurde oder sie jemanden brauchten, bei dem sie ihr Herz ausschütten konnten. Der Senior-Turk war gerne für sie da, erinnerte er sich doch noch zu gut an seine ersten Wochen bei den Turks.

„Du hilfst ihnen auch immer, was?“

„Reno!“, sagte Rude streng, „Nur weil du schon ein paar Jahre mehr auf dem Buckel hast, bist du nicht besser als die Neuen. Du musstest deinen Job auch erst einmal lernen.“

„Ja, ist ja schon gut.“

Reno seufzte. Vielleicht war er wohl doch zu weit gegangen? Sonst würde sein Kollege ihn jetzt nicht so anfahren. Er drehte sich zu seinen Akten, die noch bearbeitet werden mussten. Immerhin, es waren mehrheitlich kleinere Missionen, deren Berichte selbst Reno schnell fertig bekommen würde. Sorgfältig sondierte er sie nach Themenbereichen aus und schnappte sich als erstes den kleinsten Stapel Akten. Der Turk kam nur noch dazu, die erste Mappe aufzuschlagen, als auf dem Gang draußen vor dem Büro Lärm ertönte. Bald darauf kam Jin herein, bepackt mit einem schweren Koffer.

„Hallo Leute“, krächzte er.

Rude nickte dem Brillenträger aufmunternd zu, während Reno nur dämlich grinste. Jin’s Urlaub war zu Ende und er war vorher nicht mehr nach Hause gefahren, um seinen Koffer loszuwerden. Jetzt schleifte er das Gepäckstück zu seinem Schreibtisch hinüber und ließ es dort stehen.

„Was gibt es neues?“, fragte Jin.

„Ach, das übliche, du weißt schon. Alle sind auf Mission, nur uns zwei hat man hier behalten“, gackerte Reno.

Das trifft auf dich zu, dachte Rude. Er selber war erst heute Morgen von einer Mission zurückgekommen und schrieb noch immer an seinem Bericht. Seit mittlerweile vierundzwanzig Stunden war der Glatzkopf nun auf Achse, hatte zwischendurch nur mal zwei Stunden Freizeit gehabt, um etwas zu essen und ein bisschen auszuruhen. Aber Rude fühlte sich fitt wie ein Turnschuh.

„Ist Sarah auch auf einer Mission?“, fragte Jin.

„Nein“, antwortete der Rotschopf.

Vergessen war seine Arbeit. Reno ließ sich viel zu leicht ablenken, wenn er im Büro war. Jetzt ging er zu dem Junior-Turk hin und bequatschte ihn.

„Wie geht’s denn deinen Leuten?“

Damit sprach er die Reaktor-Explosion vor gut einer Woche an. Der Trupp, den ShinRa Inc. geschickt hatte, war nur zwei Tage geblieben. Diese Zeit reichte nach Meinung des Präsidenten ausg, um Gongaga über das Gröbste hinweg zu helfen. Theorie und Praxis lagen allerdings sehr weit auseinander, weshalb Jin etwas schlecht gelaunt war, als Reno und Rude wieder abzogen.

„Den Umständen entsprechend“, antwortete er nur.

Jin würde nicht mehr weiter darauf eingehen. Für ihn war die Sache mit ShinRa gegessen. Denn was die beiden Senior-Turks nicht wussten, Jin’s Vater war es einige Tage nach dem Unglück schlechter gegangen. Man hatte daraufhin einen Arzt zu Rate gezogen, doch der war sich nicht sicher, ob Jin’s Vater jemals wieder richtig gesund werden würde. Und einigen anderen Dorfbewohnern ging es ähnlich.

„Reno, mach lieber mal deine Arbeit.“

Rude sprach genau das aus, was Jin sich nicht traute, zu sagen. Grummelnd zog der Rotschopf wieder von Dannen, pflanzte sich auf seinen Stuhl und begann, die Akten zu bearbeiten. Der Glatzkopf seinerseits seufzte. Er öffnete sein E-Mail-Programm und schrieb eine Message an Jin mit folgendem Inhalt:
 

Hay Jin,

lass dich von Reno nicht unterbuttern. Wenn du reden willst, können wir heute Abend ja einen Männerabend ohne unseren Chaoten machen.
 

Rude

Gefühle

„Jin, ich weiß ja, dass du im Moment nicht gut zu sprechen bist auf die Company. Aber lass das ja nicht Tseng oder Verdot merken!“, meinte Rude nur.

„Ja, das sagst du so einfach“, war die Antwort.

Der Senior-Turk war mit seinem Kollegen in ein etwas versteckt gelegenes Gasthaus in Midgar gegangen. Eigentlich sollte Rude längst im Bett sein. Er war seit mittlerweile sechsunddreißig Stunden auf den Beinen und nicht mehr ganz taufrisch. Im Gegensatz dazu sah Jin noch recht frisch aus, obwohl er seinen Resturlaub nicht mehr genossen hat. Nachdem die ShinRa-Soldaten den meisten Dreck beseitigt hatten, mussten die Dorfbewohner selber Hand anlagen. Einiges war bei der Explosion kaputt gegangen, Dächer mussten repariert, Hauswände ausgebessert werden. Als der Junior-Turk wieder nach Midgar zurückkehren musste, waren die Dorfbewohner noch immer sehr beschäftigt.

„ShinRa ist doch nichts heilig“, stellte Jin fest, „Sie überfallen Dörfer und zwingen die Leute dazu, beim Bau eines Mako-Reaktors mitzuhelfen. ShinRa zerstört Familien, wo es nur geht, schickt Männer in sinnlose Kriege. Und wofür? Um die Welt zu kontrollieren.“

„Jin, also jetzt redest du wie einer von den unzähligen Terroraktivisten.“

„Ist doch wahr. Ich hab nie darum gebeten, bei ShinRa anzufangen, aber ich wollte auch nicht mein Leben lang in einer Gefängniszelle sitzen. Ich hab nur einem damaligen Freund geholfen und das war mein Untergang.“

„Junge, beruhige dich doch“, fuhr Rude dazwischen, „Ich kann dich ja verstehen, aber das ändert auch nichts mehr an der Situation. Der Reaktor ist nun mal explodiert. Und was deinen Job betrifft, ich fürchte, den wirst du nicht so leicht an den Nagel hängen können.“

Jin schwieg. Rude hatte Recht. Schloss man sich den Turks an, war man gefangen in einer Welt aus Anzügen, Einsätzen und Missionsberichten. So etwas wie ein Privatleben gab es nicht mehr. Die Turks lebten eigentlich nur deshalb, weil ShinRa Inc. ihnen die Berechtigung dazu erteilt hatte. Würde der Konzern untergehen, war es auch um das Department of Administrative Research untergehen, soviel stand fest.

„Ja, das ist ja gerade das Problem. Ich kann hier nicht weg.“

„Hay, Kopf hoch. Es geht auch wieder aufwärts.“

Rude klopfte Jin auf die Schulter. Er selbst hatte sich oft genug vor demselben Problem stehend gesehen. Der Glatzkopf grinste seinem Kollegen kurz ins Gesicht und winkte dann den Kellner heran, um zu bezahlen. Jin wollte seine Geldbörse herausziehen, doch Rude schüttelte den Kopf.

„Hey, das geht auf meine Rechnung.“

„Rude, du musst wirklich nicht ...“

„Nix da, komm mal wieder runter. Immerhin bin ich nicht Reno!“

Ein Lächeln stahl sich auf Jin’s Gesicht. Ja, Rude war genau das Gegenteil von dem Chaos-Turk und ein echter Freund. Der Kellner kam mit der Rechnung wieder und der Senior-Turk bezahlte. Als sie das Lokal verließen, schauten sie sich kurz um.

„Wo musst du jetzt hin?“, fragte Rude.

„Zu Sektor 6, da hab ich eine kleine Wohnung.“

„Dann können wir ja zusammen gehen. Von hier aus musst du erst einmal durch Sektor 5, da haben sie mich untergebracht.“

Die beiden Turks schlenderten los. Viel war nicht mehr los in Midgar’s Straßen und so blieben sie eine Weile lang still. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, aber irgendwann fing Rude wieder ein Gespräch an.

„Wie läuft es eigentlich mit Sarah?“, fragte er.

„Wie bitte? Sarah? Wieso fragst du?“

„Na, es ist offensichtlich, dass du dich zu ihr hingezogen fühlst.“

„WIE BITTE?!!!“

Jin’s Gesicht wurde puterrot. Glaubte das denn jeder in der Abteilung? Und wenn ja, wusste Sarah auch davon.

„Ähm, also ich ...“, stotterte der junge Mann.

Rude kicherte kurz. Etwas, was er sonst nie tat.

„Wie kommst du darauf?“, fragte Jin etwas gefasster.

„Ach nur so, du schaust sie oft an, hältst dich viel in ihrer Nähe auf. Man erfährt vieles, wenn man Leute beobachtet.“

„Ist das so?“

Natürlich war es so und das wusste Jin auch. Rude’s Frontalangriff hatte ihn etwas überrumpelt, weshalb er jetzt ziemlich durch den Wind war.

„Na ja, lass dich nicht unterkriegen. Ich muss jetzt hier weg. Man sieht sich.“

Rude verabschiedete sich und verschwand dann in eine Seitenstraße. Jin sah ihm kurz nach, ging dann aber seine eigenen Wege. Sollte die Abteilung doch denken, was sie wolle. Gefühle waren bei den Jobs, die Jin zu erledigen hatte, ein Hindernis. Aber er konnte seine Gefühle Sarah gegenüber schlecht ausschalten. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, wollte er das auch gar nicht. Sarah war der Grund, warum der Turk noch nicht durchgedreht war. Seine Kollegin gab ihm so vieles, was ihn aufrecht durch die Welt gehen ließ.

Wenn er nur nicht so unerfahren wäre, was Frauen betrifft. Dann hätte er Sarah längst angesprochen, sie vielleicht zu einem Kaffee eingeladen. Nur wie sollte er es anstellen? Und würde sie überhaupt Zeit und Lust haben, mit ihm, einem dahergelaufenen Dorftrottel Kaffee zu trinken? Jin entschied, Sarah am Wochenende zu fragen. Mehr als nein sagen konnte sie schließlich nicht. Doch wenn Jin jetzt noch länger darüber nachdachte, würde er am nächsten Tag unausgeschlafen zur Arbeit erscheinen. Er schloss die Tür zu seiner Wohnung auf, die er inzwischen erreicht hatte und schlüpfte hinein.

Auftrag 3.2

„Hay Chef, Sie haben rufen lassen?“

Reno war direkt wie immer. Und unpünktlich wie immer. Der Rotschopf kam als Letzter in Verdot’s Büro und stellte sich neben Rude hin, der ihn nur kopfschüttelnd anschaute. Doch was erwarteten die in der Chefetage auch, wenn sie einen mitten in der Nacht aus den Federn klingelten.

„So, wenn dann alle anwesend sind.“, meinte Verdot, der hinter dem massiven Schreibtisch saß, „Reno, reiß dich bitte zusammen! Eure kommende Mission ist von höchster Priorität!“

„Ja, ich bin ganz Ohr, Chef.“

Verdot verdrehte nur die Augen gen Himmel. Wieso musste Reno auch so einen anstrengenden Charakter besitzen? Der Chef der Turks fuhr fort:

„Wie ihr sicher alle mitbekommen habt, ist Rosalinde gerade auf einer Mission zum Schutz des Präsidentensohnes unterwegs. Von Junon aus ging es mit dem Frachtschiff Richtung Mideel. Und das ist der springende Punkt.“

Verdot winkte die Turks heran, während Tseng eine Landkarte auf dem Schreibtisch ausbreitete. Zwischen Junon und Mideel war eine Stelle mit einem roten Kreuz markiert, auf die Verdot nun deutete.

„An dieser Stelle haben wir den letzten Funkspruch von Rosalinde bekommen. Und ihre Nachricht war alles andere als beruhigend. Tseng?“

Der Wutainese stellte ein Abspielgerät auf den Tisch, regulierte die Lautstärke und drückte auf ‚Play’.
 

MAYDAY!!! MAYDAY!!! Werden von Piraten angegriffen!! Brauchen dringend Unterstützung!! MAYDAY!
 

Klick. Nur noch Rauschen war zu hören nach Rosalinde’s Hilferuf. Betreten schauten sich die Turks an, doch keiner sagte etwas.

„Nun, ich denke, die Ernsthaftigkeit der Lage ist jedem bewusst. Bisher sind noch keine Lösegeldforderungen für den Sohn des Präsidenten eingegangen, doch bis dahin wird es nicht mehr allzu lange dauern. Ziel der Mission ist es, den momentanen Aufenthaltsort der Piraten ausfindig zu machen und mit dem geringst möglichen Aufwand den Präsidentensohn zu befreien. Den Einsatz wird Tseng leiten.“

Ein Pfeifen war von Reno zu hören. Tseng bei einem Einsatz? Das kam nicht alle Tage vor und unterstrich die Dringlichkeit der Mission nur noch mehr. Tseng ergriff das Wort:

„Vermutlich haben die Piraten ihren Sitz in der Mideel-Region, doch sie könnten auch an jedem anderen Ort auf dem Planeten ihr Versteck haben. Vom Ort des letzten Funkkontaktes aus werden wir systematisch jeden in Frage kommenden Ort absuchen. Wir bilden zwei Hubschrauber-Teams: Jin und Sarah bilden mit mir zusammen das erste Team, Reno und Rude das zweite.“

Tseng gab jedem der anwesenden Turks ein Blatt Papier, auf dem das wichtigste drauf stand.

„Macht euch bitte umgehend fertig. Das Department of Administrative Research ist leider die Behörde, die es verbockt hat. Wenn wir diesen Auftrag nicht zur Zufriedenheit des Präsidenten erledigen, könnte die ganze Abteilung auf dem Spiel stehen.“, erklärte Verdot, „Und Reno!!“

„Ja, Sir?“

„Mach bitte keine Alleingänge, okay? Wegtreten!“

Die Turks stürmten regelrecht aus dem Zimmer. Bei diesem Auftrag war lieber keine Zeit zu verlieren, das wusste sogar Reno. Der Chaos-Turk stürmte allen anderen voran den Gang entlang. Er drückte mehrmals auf den Aufzugknopf, doch dieser ließ im ungünstigsten Moment auf sich warten. Nach einer halben Ewigkeit, wie es Reno schien, piepte es endlich und der Fahrstuhl öffnete sich vor ihm. Seine Kollegen waren ihm dicht auf den Fersen und zu viert quetschten sie sich in die enge Kabine.

„Man hätte Rosalinde vielleicht doch nicht alleine lassen sollen.“, warf Reno ein.

Doch niemand erwiderte etwas darauf. Jin und Sarah blickten sich nur beklommen an, während Rude’s Gesicht gar keine Regung zeigte. Letztendlich konnte man die Situation jetzt eh nicht mehr ändern, sondern nur noch das Beste aus ihr machen. Und versuchen, das Fortbestehen des Department of Administrative Research zu sichern. Pieps, der Aufzug hatte das Foyer erreicht. Viel war nicht los in der Zentrale, weshalb die Turks, ohne aufgehalten zu werden, durch die Lobby stürmten.

„Ich hoffe, du hast noch nichts vergessen, was ich dir bei deinen Flugstunden beigebracht habe.“, meinte Reno dann zu Sarah, „Denk daran, zwischendurch immer einmal auf die Anzeige zu gucken! Dort draußen bist du dann auf dich allein gestellt, also vermassel es nicht.“

„Ist gut.“, antwortete die Junior-Turk.

Sie hetzten durch den Eingang und bogen nach links ab zu den Hubschrauberlandeplätzen. Zwei Maschinen standen bereit, wurden momentan aber noch von Technikern überprüft. Sarah und Jin schnappten sich den linken, während Reno und Rude in die rechte Maschine schlüpfen. Beide Helikopter waren bereits vollgetankt. Wenn das Bodenpersonal mit dem Check fertig war, konnte es endlich losgehen. Reno überprüfte die Systeme und fuhr den Bordcomputer der Maschine hoch.

„Gibst du mir bitte mal die Missionsbeschreibung?“, bat er Rude.

„Hier.“

Reno tippte mit gekonnten Fingern die Flugroute in das System ein. Kurze Zeit später zeigte die Prozentanzeige vor ihm auf dem Display volle Leistung, sie waren soweit startklar. Der Rotschopf warf einen kurzen Blick zu dem zweiten Helikopter hinüber, in den Tseng gerade einstieg. Sarah erwiderte seinen Blick und zeigte ihm mit erhobenen Daumen, dass alles okay war. Es konnte losgehen. Reno brachte den Hubschrauber in die Lüfte und bog dann nach Süden hin ab, während Sarah ihm mit einiger Entfernung folgte.

Mission 3.2.1

Donner grollte über der Insel, während ein Wolkenbruch hernieder ging. Tseng hatte Sarah angewiesen, den Helikopter auf einer Lichtung Not zu landen, was nachts nicht ungefährlich war, wenn man die Gegend nicht kannte. Das Unwetter machte ihnen einen Weiterflug aber unmöglich. Über Funk hatte der Wutainese erfahren, dass Reno seine Maschine ebenfalls sicher auf den Boden gebracht hatte. Der Rotschopf musste dafür allerdings recht weit vom eigentlichen Kurs abweichen. Wo die beiden Senior-Turks sich derzeit befanden, wusste Tseng nicht genau, doch sie würden schon zurecht kommen.

„Und was jetzt, Sir?“, fragte Sarah.

Jin war gerade dabei, das wichtigste aus dem Helikopter zu holen. Eine Landkarte von der Mideel-Region, Taschenlampen, ein Seil, C4-Sprengstoff, Handgranaten, Munition für Tseng’s Schusswaffen. Eilig packte er alles in einen Rucksack und ging dann zu seinen beiden Kollegen hinüber, die unter einer großen Buche Schutz gesucht hatten.

„Wir werden uns als erstes die Lage in Mideel anschauen“, erklärte Tseng, „Gut möglich, dass Reno und Rude sich ebenfalls auf den Weg in die Stadt machen, doch wir sollten uns nicht darauf verlassen. Jin, gib mir mal die Karte.“

Tseng erhielt das Gewünschte und verschaffte sich ein Bild. Sarah leuchtete ihm mit der Taschenlampe. Plötzlich deutete der Second in Command auf einen Punkt auf der Karte und sagte:

„Also, nach den letzten Koordinaten des Helikopters befinden wir uns genau hier. Mideel liegt nicht allzu weit entfernt in südlicher Richtung.“

Die drei Turks setzten sich wortlos in Bewegung. Der Regen war stärker geworden, doch unter dem Blätterdach des Waldes waren sie einigermaßen geschützt. Tseng fiel nach einiger Zeit etwas zurück. Der Turk mit dem Bindi auf der Stirn saß meist nur in seinem steril anmutenden Büro und war Außeneinsätze daher überhaupt nicht gewohnt. Jin und Sarah waren ihm etwa zwanzig Meter voraus, als sie anhielten. Keuchend holte er sie ein.

„Also Sir, wenn Sie weiter so langsam sind, kommen wir nie in Mideel an“, meinte Jin schüchtern.

„...“

Tseng verstand natürlich den Wink mit dem Zaunpfahl, doch was sollte er machen? Es war alles Schlag auf Schlag gegangen. Verdot wollte ihn unbedingt vor Ort haben und so musste er sich gezwungenermaßen fügen. Tseng wäre viel lieber in seinem Büro im ShinRa Headquarter geblieben, doch um den Erfolg der Mission zu garantieren, war seine Anwesenheit zwingend erforderlich.

„Ich weiß...“, antwortete er lahm.

Jin und Sarah schauten sich nur an und folgten dann ihrem Boss. Es war immer noch Nacht. Blitze zuckten durch die Dunkelheit und verliehen der Umgebung ein gespenstisches Aussehen. Doch nach und nach ließ das Gewitter nach. Oder es zog in eine andere Richtung davon. Tseng war es egal. Die beiden Junior-Turks hatten etwas Rücksicht auf ihn genommen und waren nicht so schnell gelaufen. Ein Vibrieren in der Hosentasche riss Tseng aus seinen trüben Gedanken. Er zog den Verursacher heraus und sah, dass Reno bei ihm anrief. Emotionslos nahm er ab.

„Ja? ... Ja! ... Ja ... okay! Dann schaut ihr euch in Banora um. Tseng Ende!“, tönte es.

Ohne ein Wort der Erklärung folgte Tseng seinen Begleitern, bis plötzlich ein großer Schatten vor ihnen auftauchte. Sie hatten Mideel erreicht, doch die Stadt schlief noch. Leise schlichen die drei Turks wieder etwas zurück, um sich zu besprechen.

„Wir werden und systematisch in der Stadt umsehen“, erklärte Tseng, „Dass es noch Nacht ist, ist ein großer Vorteil für uns, aber wir müssen schnell sein. Die Dämmerung ist nicht mehr weit. Jin, du schaust dich im Süden und Osten um, Sarah, du nimmst den Nordteil der Stadt unter die Lupe und ich werde mich im Rest der Stadt umsehen. Wir treffen uns dann wieder hier, also Beeilung.“

Jin und Sarah stoben vorsichtig aber schnell davon. Tseng machte sich ebenfalls auf den Weg. Mideel galt zwar als Stadt, doch die Häuser bestanden größtenteils aus Holzbrettern. Das milde Klima, das in der Region das ganze Jahr über herrschte, machte diese Bauart möglich. Der Turk ging am Stadtrand herum Richtung Westen und sah sich um. Alles war still. Vorsichtig spähte Tseng in ein Fenster hinein und bekam eine Küche zu Gesicht. Er ging um die Hausecke herum und schaute erneut in ein Fenster. Wieder Fehlanzeige. Tseng ging davon aus, dass sie hier in Mideel sowieso ihre Zeit verschwendeten. Doch um ganz sicher zu gehen, musste er auch alle anderen Häuser kontrollieren. Eine halbe Stunde später traf er sich wieder mit seinen beiden Kollegen.

„Und?“, fragte Tseng nur.

„Nichts Sir“, flüsterte Sarah.

„Also, wenn Sie meine Meinung hören sollen, Sir. Ich glaube nicht, dass die Entführer sich in der Nähe einer Stadt aufhalten“, meinte Jin, „Das wäre viel zu auffällig.“

„Da hast du ganz Recht, Jin. Also lasst uns nach Banora gehen und dort mit Reno und Rude sprechen“, sagte Tseng.

Die drei Turks setzten sich in Bewegung, während sich vor ihnen der Himmel langsam zartrosa färbte.

Mission 3.2.2

„Hey Rude, Tseng will uns in Banora haben. Was glaubst du, was wir vorfinden werden?“, fragte Reno.

Der Chaot hatte gerade das Telefonat mit seinem Vorgesetzten beendet und stapfte wie ein Gorilla durch den Wald. Donnergrollen übertönte die Geräusche, die er verursachte. Rude überlegte. Der Glatzkopf hoffte, dass mit Rosalinde alles in Ordnung war. Doch wenn die Kidnapper den Sohn des Präsidenten in der Hand hatten, war ihnen die Turk vermutlich nur ein Klotz am Bein.

„Hoffentlich geht es Rosalinde gut“, antwortete er.

„Jai, Rude, wie man ihn kennt. Ihre momentane Situation hat sie sich selbst eingebrockt, vergiss das nicht.“

Stille, während Rude’s Gehirnzellen fieberhaft arbeiteten und nach einer Lösung des Problems suchten. Rosalinde war die beste ihres Jahrgangs, als sie die ShinRa Militärakademie verließ. Sie hatte alle Prüfungen mit Bravour bestanden und war auch im späteren Turk-Dienst nur äußerst selten negativ aufgefallen. Rude konnte sich nicht vorstellen, dass Rosalinde so leicht zu besiegen war oder schnell aufgeben würde.

„Wissen wir das?“, fragte er.

„Höh?!“, machte Reno verwirrt.

„Wir wissen schließlich nicht, von wie vielen Piraten das Frachtschiff angegriffen wurde“, erklärte Rude, „Gut möglich, dass sie uns haushoch überlegen sind.“

„Hmpf, stimmt auch wieder. Dass du auch immer Recht haben musst?“

Reno klang genervt. Klar, man hatte ihn mitten in der Nacht aus seiner Wohnung gescheucht, um eine Anfängerin und einen halbwüchsigen Bengel zu retten. Und das bei stürmendem Wetter und ohne irgendwelche Anhaltspunkte. Man wusste nur, wann und wo der Funkkontakt abgebrochen ist, doch wohin die Entführer ihre Geiseln dann gebracht haben, war ein Rätsel. Die beiden Turks erklommen einen baumlosen Hügel und waren in kürzester Zeit bis auf die Haut durchnässt. Unter ihnen breitete sich das kleine Dorf Banora aus mit seinen Apfelbäumen und den einfachen Wohnhäusern.

„Scheint alles zu schlafen“, meinte Reno.

„...“

„Na, das Kaff werden wir sicher schnell durchforstet haben.“

„...“

„Dann lass uns mal gehen.“

Wortlos folgte Rude seinem Partner einen steilen Wanderweg hinab. Die Turks mussten höllisch aufpassen, um auf dem abschüssigen und nassen Pfad nicht den Halt zu verlieren. Schlammpfützen waren überall auf dem Weg in das Dorf zu sehen. Die Häuser bestanden größtenteils aus wenigen Zimmern auf nur einer Etage. Reno und Rude schlichen sich an das am nächsten gelegene Gebäude heran und inspizierten es. Die Bewohner, die in einem der Zimmer ruhig in ihren Betten schliefen, sahen nicht gerade wie Verbrecher aus. Reno zuckte mit den Schultern und wandte sich einem anderen Haus zu. Auch hier war nichts verdächtig. Rude seinerseits war in die andere Richtung des Dorfes davon gegangen und nach kurzer Zeit hatten die beiden ganz Banora durchkämt.

„Fehlanzeige“, stellte Reno fest.

Rude jedoch winkte ihm von seiner Position aus zu und verschwand dann hinter einem Haus. Reno lief hinüber und folge seinem Partner um das Hauseck herum.

„Na holla die Waldfee, spielst du verstecken?“, fragte Reno, als er Rude erreicht hatte.

„Nein, aber ich habe etwas beobachtet“, antwortete Rude.

„Und? Nun sag schon!“

„Beim letzten Haus ist jemand mit einem kleinen Paket aus der Hintertür gestürmt und in den Wald gehetzt, als ich kam“, erzählte der Glatzkopf.

„Wirklich?! Und was glaubst du, hat das zu bedeuten?“

„...“

„Vielleicht sollten wir lieber auf Tseng warten.“

Der Angesprochene nickte nur. Seiner Meinung nach sollten sie bei dieser Mission sowieso lieber nichts überstürzen, sondern langsam an die Sache herangehen. Rude kramte sein Handy hervor und tippte Tseng’s Nummer ein.

„Ja?! Rude, was ist los?“, kam es aus dem Apparat.

„Sir, wir haben Banora durchsucht. Wie lange brauchen Sie noch hierher?“, fragte Rude.

„Wir sind gleich da.“

Tseng legte, ohne weiter etwas zu sagen, auf. Doch das störte Rude nicht. Er lief zum Waldrand hinüber und zog Reno dabei mit sich. Bald darauf hörten die zwei Senior-Turks Schritte, die unsicher auf sie zukommen. Jin kämpfte sich mit seinem Katana durch das Blattwerk. Der Wald war hier sehr dicht, weshalb das Vorankommen der anderen Turk-Gruppe etwas mehr Zeit in Anspruch nahm. Reno und Rude kamen ihnen entgegen und der Glatzkopf erzählte Tseng, was er kurz zuvor beobachtet hatte.

„Sonst habt ihr noch nichts unternommen?“, fragte Tseng, als Rude geschlossen hatte.

„Nein, Sir!“, antwortete Reno, „Wir wollten nichts überstürzen.“

„Gut. Wir werden dem Mann jetzt folgen und zwar möglichst leise und unauffällig.“

Bei dem Satz warf Tseng einen Seitenblick zu Reno, der einen beleidigten Gesichtsausdruck annahm.

„Haltet bitte nach allen Seiten hin die Augen offen. Ein Wald bietet viele Gelegenheiten zum Verstecken und ich möchte nicht hinterrücks angegriffen werden“, erklärte der Wutainese weiter, „Und haltet auch nach Höhlen und dergleichen Ausschau.“

Jin schlich sich nun als erster voran in die Richtung, die Rude zuvor bei seinem Bericht erwähnt hatte und nacheinander folgten ihm die anderen Turks durch das Gestrüpp.

Mission 3.2.3

Vögel zwitscherten im Blätterdach, durch welches Sonnenstrahlen auf den Waldboten fielen. Seit einem halben Tag waren die Turks nun unterwegs. Sie hatten sich wieder in ihre Gruppen aufgeteilt als sie merkten, dass der Wald einfach zu groß war, um ihn in einer Gruppe abzusuchen. Reno und Rude waren im südlichen Teil geblieben, während Tseng mit seinen Leuten nach Norden ging. Die Bäume standen hier nicht mehr ganz so dicht und vereinzelt überquerten sie auf Lichtungen. Tseng war wieder etwas zurückgefallen, doch Jin und Sarah gingen nicht schnell, sodass der Wutainese sie jederzeit einholen konnte. Leise unterhielten sich die beiden Junior-Turks.

„Also, ich finde es ja schön, dass Tseng auf dieser Mission dabei ist“, sagte Sarah gerade, „Aber ich finde, er könnte etwas gesprächiger sein.“

„So ist er eben. Steif wie ein Golfschläger und gefühllos wie ein Eisberg. Ab und zu frage ich mich, ob er überhaupt so etwas wie Gefühle kennt“, antwortete Jin.

„So kann man doch nicht leben. Die ganze Zeit ohne irgendwelche zwischenmenschlichen Beziehungen, das ist doch schlimm.“

„Na, wir werden ihn vermutlich nie ganz verstehen.“

Stumm gingen die Turks weiter. Sie kamen zum Waldrand und blieben dort stehen. Tseng holte sie ein. Er sagte zwar nichts, doch der Schweißfilm auf seiner Stirn war nicht zu übersehen. Der Second in Command blickte sich um. Vor sich sah er eine baumlose Graslandschaft. Nur hier und da waren verschiedene Sträucher zu sehen. Als er weiter gen Horizont schaute, entdeckte er nichts weiter als karge Felslandschaft und kleinere Gebirge.

„Sieht so aus, als hätten wir den äußeren Bereich der Insel erreicht. Seid hier bitte noch aufmerksamer als vorher.“

„Chef, wenn ich mir eine Frage erlauben darf“, begann Jin, „Meinen Sie wirklich, dass hier draußen noch etwas ist?“

„Natürlich. Siehst du die Berge dort hinten? Dort gibt es viele Möglichkeiten zum Verbergen. Wir werden weitergehen. Reno und Rude werden nachkommen“, entschied Tseng.

Er streckte sich kurz, als die beiden jungen Turks wegschauten und ging dann weiter. Jin und Sarah folgten ihm verdutzt. Der Weg über offenes Land war viel einfacher. Unterwegs begegnete ihnen nichts. Weit entfernt konnte Sarah das Meer glitzern sehen, doch sie bezweifelte, dass sie jemand sehen konnte. In kürzester Zeit legte die Gruppe die Hälft des Weges zu den Bergen zurück. Bisher war alles ruhig geblieben, doch je näher sie den dunkel drohenden Schatten des Gebirges kamen, desto unruhiger wurden sie. Selbst Tseng blickte sich hin und wieder verstohlen um. Die Vegetation hatte inzwischen ganz nachgelassen. Nur einige verkrüppelte Bäume krallten weiter oben im Gebirge ihre Wurzeln in den kargen Stein.

„Ich frage mich, wie hier etwas überleben kann“, flüsterte Sarah.

Doch keiner der beiden Männer dachte auch nur daran, ihr darauf zu antworten. Obwohl Sarah geflüstert hat, klang es wie Geschrei in dieser unwirtlichen Gegend. Die drei Turks hatten den Fuß des ersten Berges inzwischen erreicht. Etwas unschlüssig schauten sie sich um, bis Tseng entschied, hinter einem großen Felsen Schutz zu suchen und eine Pause zu machen. Still aßen sie eine Kleinigkeit und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, bis Jin etwas fragte:

„Sir? Was passiert eigentlich, wenn wir den Auftrag vermasseln?“

Tseng antwortete lange nicht auf diese Frage. Jin mussten die Konsequenzen doch bekannt sein, also wieso stellte er eine solche Frage? Wollte der junge Turk aus Gongaga es nicht wahrhaben? Oder hoffte er darauf, ShinRa doch noch den Rücken kehren zu können? Der Wutainese wusste es nicht und starrte Jin einfach nur an.

„Ich denke, du bist dir selbst darüber im Klaren, welche Folgen ein Scheitern der Mission nach sich ziehen wird“, antwortete Tseng.

Der Second in Command war sozusagen als Gefühllosigkeit in Person bekannt. Umso mehr überraschte es Jin und seine Kollegin, dass in Tseng’s letztem Satz ein Hauch von Wehmütigkeit mitschwang. Er fürchtete also auch um das Fortbestehen der Turks, seiner Familie.

„Jin, geh am besten mal da drauf auf den Felsvorsprung und sieh dich da um“, befahl der Wutainese.

Jin seufzte nur und tat, wie ihm aufgetragen wurde. Für ihn war es ein leichtes, den besagten Punkt zu erklimmen. Als er zwischen den Steinen hinauf geklettert war und auf der anderen Seite hinab blickte, entfuhr ihm fast ein Schrei. Auf der anderen Seite des Gebirges schmiegte sich eine Bucht an die Insel, doch das war nicht das faszinierende. In der Bucht lag ein recht ansehnliches Frachtschiff. Jin holte ein Fernglas aus seinem Rucksack und blickte zu dem Schiff hinüber. Eindeutig ein ShinRa-Frachter und verlassen obendrein, wie es aussah. Jin ließ sein Fernglas Richtung Küste gleiten, ob ihm dort etwas auffiel. Doch nichts war zu sehen, also beschloss er, zu Tseng und Sarah zurückzukehren. Unten angekommen, plapperte er wie ein Wasserfall darauf los und Tseng musste mehrmals nachfragen, um die gewünschten Informationen aus Jin herauszubekommen.

„Also gut“, meinte der Wutainese dann, „Der Sache werden wir nachgehen. Jin, Sarah, ihr macht euch bereit. Ich werde Reno und Rude Bescheid sagen.“

Tseng wählte Reno’s Nummer und wartete.

„Yo, Chef, was gibt’s?“, fragte der Rotschopf.

Und Tseng erklärte ihm, was los war und dass Reno den Helikopter schleunigst an den Waldrand befördern sollte.

„Also den ganzen Weg wieder zurück rennen?!“, meinte Reno etwas bockig.

Doch es half alles nichts, wie Tseng weiter erzählte. Kurzerhand legte er einfach auf. Reno hatte seinen Befehl bekommen und den hatte er gefälligst auch auszuführen.

„Reno wird den Helikopter in der Nähe landen. Wir warten solange“, meinte Tseng nur.

Warten war eine gute Sache. So konnten sich die beiden Junior-Turks wenigstens noch einmal auf die kommende Mission vorbereiten. Und der Einsatzleiter heckte währenddessen einen Plan zur Befreiung des Präsidentensohnes aus.

Gefangenschaft

„Nehmen Sie gefälligst Ihre dreckigen Finger von mir!!“, schrie Rufus.

„Elender ShinRa-Bengel, hör auf, so herum zu zicken“, keifte sein Bewacher, „Weist du überhaupt, in was für einer Lage du dich gerade befindest? ... AUA!!! Elendiges Gör!“

Rufus’ Peiniger war ein kräftiger und großgewachsener Mann, den so leicht nichts umwerfen konnte. Der Präsidentensohn hatte ihm aber in den ungeschützten Arm gebissen, woraufhin ihn der Mann wieder zurück an die Höhlenwand warf. Wütend schnaubte er:

„Ganz wie du willst, dann bleibst du eben hier!!“

Genervt stapfte der Entführer weg und schloss hinter sich eine Tür in einem Eisengitter, welches durch die ganze Höhle verlief. Rufus war wieder eingesperrt. Unsicher drehte er sich zu der blonden Frau um, die bewusstlos hinter ihm auf dem Boden gelegen hatte. Vorsichtig tappte Rufus ihr im Gesicht herum.

„Wachen Sie doch endlich auf“, flüsterte er Rosalinde beklommen zu.

Die Turk hatte eine halbe Stunde zuvor eines über die Rübe bekommen, als sie den Sohn des Präsidenten schützen wollte. Rufus hatte ein schlechtes Gewissen. Er mochte sie zwar nicht, wie er Menschen allgemein nicht mochte, doch die Blondine hatte selbst in einer aussichtslosen Situation wie dieser noch versucht, ihn zu beschützen. Bekümmert setzte sich der Junge hin und lehnte seinen verkrampften Rücken an die Höhlenwand.

Wie spät es war oder welcher Tag, wusste Rufus nicht mehr. Er hatte gerade mit der Turk und dem Kindermädchen den Maschinenraum des Frachters besichtigt, als das Alarmsignal lostönte. Schnell waren sie aus der Halle und in Richtung Brücke gelaufen. Auf dem Weg kamen ihnen viele Matrosen und ShinRa-Soldaten entgegen, doch was genau los war, konnte Rufus aus keinem der Besatzungsmitglieder herausbekommen. Im Kontrollraum angekommen, begegnete ihnen ein aschfahler Kapitän. Rufus hatte ihn angeflucht, endlich mit der Sprache rauszurücken und der Mann erzählte dann von nicht näher zu identifizierenden Objekten, die wie ein Bienenschwarm auf dem Radar herumschwirrten. Nach einigen gebrüllten Anweisungen Rosalinde’s hatte der Kapitän sich wieder soweit beruhigt, dass er auf den Angriff reagieren konnte. Die Blondine ihrerseits schickte einen SOS-Notruf an das Headquarter los.

Zig kleine Schnellboote umkreisten das Frachtschiff, doch die Leute, die die Boote steuerten, waren nicht zu erkennen. Den ShinRa-Soldaten wurde aufgetragen, die Angreifer abzuwehren, doch der Feind war in der Überzahl. Gefechte hatten neben dem ShinRa-Schiff stattgefunden und waren bald darauf auf das Deck übergesiedelt. Rosalinde hatte daraufhin entschieden, den Sohn des Präsidenten heimlich von Bord zu schaffen. Über lange Gänge und steile Treppen waren sie und Rufus bis in den Bauch des Frachtschiffes vorgedrungen. Über Funk gab Rosalinde dem Kapitän Bescheid, die seitliche Ladeluke des Schiffes zu öffnen. Wie die junge Turk vermutet hatte, warteten hier bereits Angreifer auf sie.

Rufus hielt sich immer dicht hinter Rosalinde und gemeinsam schafften sie es nach einigen harten Kämpfen, auf eines der Angreiferboote überzusetzen. Die Junior-Turk hatte das Boot auf Höchstgeschwindigkeit gebracht und raste durch die vielen anderen Schnellboote hindurch, doch von einem wurden sie dann abgefangen. Ein fies aussehender Typ mit Narbe quer über das Gesicht hatte sie hämisch angegrinst, als Rosalinde und Rufus in dessen Boot gescheucht wurden. Aus einem Reflex heraus hatte der junge Shinra-Sohn dem Anführer der Piraten vor die Füße gespuckt und sich so eine erste schallende Ohrfeige eingefangen. Rosalinde hatte ihn daraufhin etwas zurückgehalten und das kleine Schnellboot setzte seinen Kurs nach Mideel. Kurz vor der Insel wurde den beiden Gefangenen die Augen verbunden. Natürlich. Sie sollten sich den Weg zu dem Versteck nicht merken können. Rufus hatte sich geweigert und fast eine zweite Ohrfeige eingefahren, wäre Rosalinde nicht zwischen ihm und der Faust aufgetaucht. Sicherheitshalber hatte man den beiden dann auch noch die Hände aneinander gefesselt.

Wohin sie genau gebracht wurden, wusste Rufus nicht. Er konnte aufgrund der unterschiedlichen Geräusche nur Vermutungen anstellen und ging davon aus, dass sie in eine Höhle gebracht wurden. Und so war es auch, als man sie in der Zelle, in der sie nun saßen, die Binden und die Fesseln abnahm. Der Sohn des Präsidenten wollte wieder aufbegehren und Rosalinde musste sich erneut zwischen ihn und die Entführer stellen. Der zweite Schlag hatte die Blondine dann ganz umgehauen und Rufus gab klein bei.

Neben ihm grummelte etwas. Alarmiert stürzte Rufus zu Rosalinde hin und beobachtete, wie sie benommen die Augen öffnete. Ein schwaches Lächeln verzog ihre Lippen.

„Wie schön... Sie sind wohlauf?“, säuselte Rosalinde schwach.

„Ja, mir geht es gut. Sie waren ganz schön lange weggetreten“, sagte Rufus dann etwas vorwurfsvoll.

„Entschuldigung.“

Rosalinde wusste, ihr Schützling sagte das nur, um sie etwas aufzumuntern. Momentan fühlte sie sich, als wäre sie versehentlich zwischen Hammer und Amboss gelandet. Genauso musste sich ein Kater anfühlen. Die Blondine wollte sich aufrichten, schaffte es aber nur mit Mühe, in eine sitzende Position zu gelangen. Verstört schob sie sich zur Höhlenwand hin und lehnte, wie Rufus zuvor, den Rücken an die Wand.

„Sir, uns wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als zu warten“, sagte sie dann.

Rufus nickte stumm und setzte sich neben sie.

Mission 3.2.4

„Reno, geht das etwas leiser?“, flüsterte Tseng nach hinten.

Der Rotschopf krabbelte wie ein kleiner Bär durch die Höhlengänge. Von ihm war nur ein Ächzen zu hören, sonst nichts. Etwas krachte und Steine fielen lautstark auf den Boden.

„...“

„Rude, das gilt auch für dich!“, schimpfte Tseng wieder.

„...“

Zu viert marschierten die Männer im Gänsemarsch dunkle und feuchte Korridore entlang. Allen voran Tseng mit einer Taschenlampe, danach kamen Jin und Rude und Reno sicherte sie von hinten. Sarah hatten sie beim Helikopter zurückgelassen, um mit dem Headquarter in Funkkontakt treten zu können, falls dies erforderlich werden sollte. Als Reno den Helikopter unauffällig im Süden des Gebirges gelandet hatte, war Tseng schon ganz genervt. Geduld war keine seiner Stärken, vor allem nicht bei einer so wichtigen Mission.

„Chef, was machen wir eigentlich, wenn die Situation unlösbar erscheint?“, fragte Reno leise.

Auf diese Frage hatte der Vize-Chef der Turks gewartet. Was, wenn Rufus von zu vielen Piraten bewacht wurde? Was, wenn er an einem ganz anderen Ort festgehalten wurde? Aber daran mochte Tseng gar nicht denken. Diese Höhlen in dem Gebirge waren ihr bisher einziger Anhaltspunkt und das gekaperte Frachtschiff in der Bucht schrie geradezu nach einem ShinRa-Sondereinsatzkommando. Doch bei diesem speziellen Fall entschied sich Tseng für Heimlichkeit in der Finsternis. Und man konnte schlecht für Rufus’ Sicherheit garantieren, wenn draußen eine Armee anrückte.

„Chef?“

„Die Situation ist nicht unlösbar!“, entschied Tseng.

Mehr würde der Wutainese zu dem angerissenen Thema nicht mehr sagen. Die Mission musste möglichst so durchgezogen werden, wie vorhin beim Helikopter besprochen. In die Höhle eindringen, den Aufenthaltsort des Präsidentensohnes in Erfahrung bringen und ihn mit dem geringst möglichen Aufwand dort rausholen. Reno seufzte und die Tour ging weiter. Inzwischen war der Gang immer breiter und höher geworden, sodass sogar Rude aufrecht gehen konnte, ohne sich den Kopf zu stoßen. Wasser tropfte von der Höhlendecke herab, doch das machte nichts, solange der Boden einigermaßen trocken war. Von weiter vorne waren Geräusche zu hören.

„Seit jetzt möglichst ganz leise“, wies Tseng seine Truppe an.

Gemeinsam schlichen sie weiter in das Höhlensystem hinein, bis hin zu einer Kreuzung. Von hier führte ein Weg nach links und einer nach rechts weg. Reno schaltete seine Taschenlampe ein und leuchtete Tseng unter das Kinn.

„Und nun?“, meinte er trocken, „Hier unter den Bergen haben wir kein Handy-Empfang!“

„Das weiß ich selbst.“

Tseng klang noch genervter als zuvor. Er hatte nicht eingeplant, den Trupp noch einmal trennen zu müssen und wer wusste schon, an wie viele Weggabelungen sie noch kommen würden. Fieberhaft arbeiteten seine grauen Gehirnzellen.

„Rude, du gehst rechts entlang und nimmst Jin mit. Reno, du kommst mit mir!“, entschied der Wutainese, „In einer dreiviertel Stunde treffen wir uns wieder hier. Wer Rufus zuerst findet, versucht, ihn zu befreien. Wenn das nicht möglich sein sollte, kommt er hierher zurück und wir überlegen uns etwas Neues. Also dann mal los.“

Rude nickte nur, ließ sich Reno’s Taschenlampe geben und trat in den Weg, der nach rechts führte. Jin folgte ihm eiligen Schrittes und schon bald waren sie aus dem Gehör- und Sichtfeld verschwunden. Der Rotschopf seinerseits dachte sich nur seinen Teil bei der Teamaufteilung. Er und Tseng? Das konnte ja was werden.

„Reno, los komm jetzt!“

Tseng schlich den linken Gang entlang, Reno war ihm dicht auf den Fersen. Nach etwa zwanzig Metern wurde der Weg abschüssig und bog sich nach rechts, tiefer in den Berg hinein. Lange Zeit verlief der Weg so weiter, bis sich plötzlich die Wände zurückneigten und die beiden Turks vor einem schwarzen Abgrund ohne erkennbaren Boden standen. Reno grapschte nach vorne, bevor Tseng stürzen konnte und zog ihn nach hinten.

„Hui, das war ganz schön knapp“, meinte der Chaot nur, „Chef, Sie sollten vielleicht etwas besser aufpassen.“

„... Danke Reno.“

Rechts führte ein schmaler Gämsenpfad weiter hinab. Diesem Pfad folgend und sich an dem Tau, das rechts an der Höhlenwand angebracht war, festhaltend, gingen Tseng und Reno weiter in die Tiefe.

„Ich hoffe, wir finden hier wieder raus“, meinte Reno nach einer Weile.

Tseng sagte nichts. Doch er dachte dasselbe wie Reno, wenn sie hier abstürzten, wären sie verloren. Vermutlich würde man nach ihnen suchen, doch bei diesem Irrgarten wusste man gar nicht, wo man beginnen sollte. Links ging es steil hinab. Tseng leuchtete aus Interesse einmal mit der Taschenlampe hinab, bekam aber nichts zu sehen. Die Finsternis verschluckte den Lichtkegel vollkommen. Genauso, wie sie die Turks, ihre Arbeit und den ganzen ShinRa-Konzern zu verschlucken drohte. Tseng’s Gedanken schweiften ab, weg von der Mission und hin in eine surreale Welt der Verdammnis. Der ShinRa-Konzern trieb wie ein Teller führungslos in einer grauen Welt des Nichts dahin, gierig sein Maul aufreisend und viele kleine Erbsen – die Mitarbeiter, wie Tseng es sah – verschluckend. Ohne ShinRa war man nichts in der weiten Welt, nur ein Staubkörnchen auf dem Rad des Lebens, das alles Sein bestimmte.

„Chef?!“

Der Wutainese stolperte aus seinen trüben Gedanken und blickte sich um. Vor ihm stand ein grimmig aussehender Geselle und hielt ihm ein Maschinengewehr an die Nase. Tseng und Reno waren den Entführern geradewegs in die Hände gelaufen.

Mission 3.2.5

„Rude, bist du sicher, dass das der richtige Weg ist?

Der Glatzkopf nickte, blieb aber stumm. Jin hatte bereits mehrmals diese Frage gestellt, immer dann, wenn der Weg sich kreuzte und Rude willkürlich irgendwo lang lief. Der Senior-Turk ließ sich vollkommen von seinen Gefühlen leiten, wie es den Anschein hatte. Und bisher konnten sie den Piraten auch erfolgreich ausweichen. Doch sein Kollege bezweifelte, dass das noch lange gut ging.

„Meinst du nicht, wir sollten etwas vorsichtiger sein?“, fragte Jin.

„...“

„Na gut, dann eben nicht.“

Die Suche ging weiter durch einen langen, schmalen Korridor. Rude musste den Kopf einziehen. Unter ihren Füßen raschelte Kies, den Rude mit der Taschenlampe beleuchtete. Auf einmal blieb er stehen. Vor ihm erhob sich eine Wand, sie waren in eine Sackgasse gelaufen.

„Also wieder zurück?“

„...“

Die zwei Turks kehrten um und erreichten ziemlich bald die Weggabelung. Jin blieb stehen und horchte. Er glaubte, von rechts Geräusche zu hören, ähnlich eilig gesprochener Worte.

„Komm, lass uns hier entlang gehen“, meinte er.

Jin ging nach rechts weiter in die Richtung, aus der er die Stimmen hörte. Rude folgte ihm auf Schritt und Tritt, sie wurden aber immer langsamer, je näher sie den Stimmen kamen. Weiter vorne konnten sie Licht erblicken. Rude schaltete die Taschenlampe aus und gemeinsam suchten sie hinter einem großen Felsen Schutz, um das laufende Gespräch zu belauschen.

„Und was machen wir, wenn sich der Alte weigert?“, fragte eine Stimme.

„Dann geht’s dem Bengel an den Kragen. Aber nur keine Sorge, Präsident ShinRa wird das Lösegeld für seinen Sohn bezahlen“, antwortete jemand mit einer sehr dunklen Stimme.

„Und wenn nicht, fangen wir mit den Turks an“, kam von einem Dritten.

„Selbst schuld. Hier haben die kleinen Turks nichts zu suchen.“

Jin warf Rude einen alarmierten Blick zu. Mit den Turks? Welche meinte er? Waren Tseng und Reno in eine Falle getappt? Oder meinten sie Rosalinde? Rude machte ein Handzeichen und sie schlichen einige Meter den Weg zurück.

„Das hat uns gerade noch gefehlt“, meinte Jin.

Rude nickte und überlegte. Tseng eine SMS zu schicken, brachte nichts. Falls der Vorgesetzte und Reno den Piraten tatsächlich in die Hände gefallen waren, hatten sie ihnen vermutlich Handy und Waffen abgenommen. Eine Nachricht würde also in jedem Fall die Entführer informieren, dass noch weitere Turks in den Höhlen unterwegs waren. Rude traf eine Entscheidung.

„Sieht so aus, als wären wir auf uns allein gestellt. Jetzt liegt es an uns, Rufus da rauszuholen“, sagte er.

„Okay.“

Rude und Jin einigten sich darauf, die Männer in dem Raum weiter zu belauschen, um noch mehr Informationen zu bekommen. Doch die Entführer-Gruppe war inzwischen weitergegangen. Die Turks schlichen vorsichtig weiter, auf jedes Geräusch achtend, das nicht von ihnen verursacht wurde. Der Raum, den sie nun betraten, war vollkommen leer. Nur eine schmutzige Deckenlampe flackerte traurig vor sich hin. Am Ende des Raumes führte ein weiterer Gang ab, dem Jin und Rude nun folgten. Der Korridor, in dem sie sich jetzt befanden, war mit Werkzeug bearbeitet worden. Im Abstand von etwa hundert Metern gab es Wandleuchten, um die Sicht zu erleichtern. Rude und sein Kollege gingen weiter, bis sie an eine große Kreuzung kamen. Unschlüssig starrte Jin zu dem Glatzkopf hoch.

„Und nun?“

„...“

Rude deutete nur auf einen gang, der abseits von allen anderen wegführte.

„Bist du sicher, dass das richtig ist?“, fragte Jin erneut, „Der Gang sieht eher so aus, als würde er vom Zentrum wieder wegführen.“

Rude musste Jin zustimmen. Doch ein Gefühl sagte ihm, dass sie diesen Weg zuerst inspizieren sollten. Jin ergab sich in sein Schicksal und vertraute weiterhin auf Rude’s Urteilsvermögen. Der Weg, den sie nun nahmen, führte leicht bergab und war nach etwa hundert Metern zu Ende. Rude und Jin standen in einer großen Höhle, die von einem Metallgitter halbiert war. Auf der anderen Seite der Absperrung lagen Reno und Tseng, bewusstlos wie es schien. Rosalinde kniete über ihnen, während Rufus etwas weiter weg an der Wand saß und trüber vor sich hinstarrte.

„Psst“, machte Jin leise, „Pssst, Rose, hier drüben!“

Rosalinde blickte auf und hätte fast einen Schrei ausgestoßen, besann sich aber im letzten Moment auf ihre momentane Situation. Rufus seinerseits blickte nur weiter teilnahmslos vor sich hin. Er hatte die Hoffnung inzwischen wohl ganz aufgegeben. Jin und Rude schlichen zu dem Gitter hinüber und Rose kam ihnen entgegen. Rufus folgte ihr.

„Da seid ihr ja endlich“, flüsterte Rosalinde hoffnungsvoll, „Wieso hat das so lange gedauert?“

„...“

„Entschuldige bitte“, meinte Jin, „Diese Höhlen sind ziemlich weitläufig.“

„Holt uns hier raus“, flehte Rufus.

„Gleich, Sir. Welcher von den Entführern hat den Schlüssel?“, fragte Rude.

„Ein schlaksiger Typ mit grauen Haaren“, erzählte Rosalinde, „Der war erst vor kurzem hier, als sie Tseng und Reno gebracht haben. Wahrscheinlich beraten sich die Entführer in dem Moment.“

„Wie geht es den beiden?“, fragte Jin.

„Tseng und Reno? Die haben beide einen Schlag auf den Kopf bekommen, aber ansonsten geht’s ihnen gut.“

„Psst. Was war das?!“, frage Rufus erschrocken.

Alle horchten auf und konnten dann ebenfalls die Schritte vernehmen, die sich leise näherten. Panisch schaute Jin zu Rude, doch der Glatzkopf war bereits aufgesprungen und in eine finstere Ecke des Raumes gelaufen. Der Junior-Turk hetzte ihm hinterher, während Rosalinde und Rufus ihre vorherigen Positionen wieder einnahmen. Nichts sollte darauf hindeuten, wer sich hier aufhielt. Rude warf sich auf den Boden und Jin schob sich hinter ihn.

‚Was für ein Glück, dass Rude eine schwarze Birne hat!’, dachte Jin, ‚Seine Rübe wird in dieser Dunkelheit nicht zu erkennen sein.’

Mission 3.2.6

Eine Gruppe von sechs Männern stapfte in den Raum. Ihr Anführer, ein kräftig wirkender Bursche, schaute gehässig in den Käfig.

„Los, aufmachen!!“, befahl er.

Die Tür wurde geöffnet und der Mann ging hinein. Ihm folgten zwei Piraten, um für alle Eventualitäten vorzusorgen. Der Anführer ging geradewegs auf Rufus ShinRa zu, packte ihn im Genick und zog ihn hoch.

„Mitkommen, aber dalli!“, fauchte er.

„Lassen sie mich gefälligst los!“, schrie Rufus.

Er zappelte wie wild und bekam mit, dass Tseng die Augen offen hatte. Wenigstens etwas hatte sein Schrei bewirkt, auch wenn sein Peiniger ihn nur noch roher anfasste. Rosalinde bekam einen Schlag ins Gesicht, als sie Rufus zu Hilfe eilen wollte.

„Du bleibst gefälligst da, wo du bist und passt auf diese Flaschen auf“, meinte der Anführer fies, „Und du mein Söhnchen wirst deinem Alten jetzt verklickern, dass mit dir alles in Ordnung ist. Sonst bekommen wir kein Lösegeld für dich armes Bübchen.“

Einer der Männer sperrte die Käfigtür hastig wieder zu während die anderen Entführer Rufus weiter schleiften. Der Sohn des Präsidenten machte ein fürchterliches Theater.

„Damit werden sie nie durchkommen!“, war sein letzter Satz.

Der Anführer hatte die Schnauze endgültig voll und ließ Rufus knebeln. Derweil versuchte Tseng, sich aufzurichten, allerdings nur mit mäßigem Erfolg.

„Chef, vorsichtig!“, meinte Rosalinde und half dem Wutainesen, „Sie haben einen ganz schönen Kinnhaken abbekommen.“

„Wie lange war ich weggetreten?“

„Seit etwa einer halben Stunde.“

Rosalinde erklärte dem Second in Command schnell die momentane Situation. Rude und Jin waren indes aus ihrem Versteck herausgekommen und untersuchten nun die Käfigtür.

„Rude, Jin! Wenigstens euch hat man nicht erwischt“, meinte Tseng, „Rose, schau doch bitte mal, ob du Reno wach kriegst.“

Jin zog sein Katana und setzte es zwischen Tür und Rahmen an. Er hebelte etwas daran herum, hatte aber wenig Erfolg.

„Lass mich mal...“, sagte Rude.

Der junge Turk trat beiseite, um den Senior-Turk einen Versuch zu gewähren. Der Glatzkopf probierte erst wie Jin herum, warf sich dann aber mit voller Kraft gegen das Katana. Die Tür flog geradezu aus dem Rahmen und schwang quietschend hin und her.

„Das hätten wir geschafft“, meinte Jin.

Rosalinde kniff Reno an die Innenseite seines Oberarmes und er fuhr quiekend aus seiner Bewusstlosigkeit heraus.

„Wie? Was is?“

„Reno, reiß dich gefälligst zusammen und steh auf!“, schimpfte Tseng.

„Jai, man erwacht und wird angemotzt. Ich fühl mich so unvollkommen.“

Der Chaot, der mit Rosalinde’s Hilfe inzwischen aufrecht stand, griff an sich herum. Ihre Waffen waren alle weg, wie zu erwarten war.

„Reno, lass uns erst einmal von hier verschwinden. Eine Waffe kannst du dir nachher suchen“, meinte Tseng, „Das Wohl von Rufus hat jetzt Vorrang!“

„Jawohl, Sir!“

„...“

„Ey, Sir!“

„Jai, ist ja schon gut.“

„Also dann los, alle mir nach.“

Der Wutainese stürmte aus dem Käfig und hinüber zu dem Tunnel, der als einziger aus dem Raum wegführte. Die restlichen Turks folgten ihm. Diesmal achteten sie gar nicht mehr darauf, leise zu sein und nach fünf Minuten kamen sie zu der großen Weggabelung, die Rude und Jin eine halbe Stunde zuvor passiert hatten. In einem der Gänge war Licht zu sehen, während alle anderen stockfinster waren. Tseng wählte auf gut Glück diesen Gang und ging rasch weiter. Dem Second in Command würde bei dieser Mission kein zweiter Fehler unterlaufen.

„Jin, wenn wir die Entführer erreicht haben, schnappst du dir Rufus und verschwindest von hier“, ordnete Tseng an, „Rosalinde, du hältst den beiden den Rücken frei, während wir anderen uns um die Banditen kümmern.“

„Alles klar“, meinte Jin nur.

Ihm behagte es nicht, auf den ShinRa-Erben aufpassen zu müssen, doch er war neben Rude der einzige, der einen Weg aus diesem Höhlensystem finden konnte. Die Turks liefen weiter, doch Reno blieb mitten im Lauf stehen.

„Chef, warten Sie mal!“, sagte er.

Die ganze Truppe blieb wie ein Mann stehen und drehte sich zu dem Rotschopf um. Dieser war an die rechte Wand herangegangen und untersuchte eine Tür, die sie übersehen hatten. Reno zog seine Dietriche heraus und begann, an dem Portal herumzubasteln. Nach einigen wenigen Handgriffen hatte er die Tür geöffnet und stand in einer kleinen Vorratskammer.

„Reno, das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um ...“

„Weiß ich Chef, aber ohne Waffen sind wir aufgeschmissen.“

Der Rotschopf klapperte systematisch die Schränke ab, förderte aber nur einige lange Stangen zu Tage. Davon reichte er Tseng und Rosalinde eine und bewaffnete sich selbst.

„Nicht ideal, zugegeben, aber besser als nichts“, meinte Tseng, „Und jetzt lasst uns keine Zeit mehr verlieren.“

Tseng hetzte weiter und die Turks waren ihm dicht auf den Fersen.

Mission 3.2.7

Tseng stürmte weiter den Gang entlang, während Jin ihm von hinten leuchtete. Abrupt kamen sie an das Ende des Tunnels, wo eine Tür wegführte. Der Wutainese hielt an und machte seinen Turks einige Handzeichen zu, um die Vorgehensweise festzulegen. Dass sie keine Schusswaffen besaßen, war ein Manko. Aber damit würden die Turks fertig gehen. Rosalinde, Reno und er selber würden als erste den Raum betreten, Jin solle dann nachkommen, um sich dann sofort um Rufus zu kümmern. Reno schlich nach vorne und Tseng zählte mit den Fingern bis Drei. Der Rotschopf trat die Tür ein und hetzte dann durch die entstandene Öffnung direkt auf die linke Seite des Raumes. Rosalinde tat des Reno gleich, wandte sich allerdings der anderen Seite zu. In dem kleinen Raum brach sofort ein Tumult los. Der Anführer, der vor einem riesigen Kontrollpult mit zahlreichen Bildschirmen saß, stand hastig auf und warf dabei seinen Stuhl um. Rufus, der neben ihm Platz genommen hatte, reagierte erst im zweiten Augenblick und warf sich auf den Boden.

„Los Leute, jetzt oder nie!!“, brüllte Tseng und lief dann ebenfalls in die kleine Höhle.

Außer dem Anführer befanden sich noch sieben weitere Piraten in dem Raum. Die Entführer waren überlegen, aber die Situation war nicht ganz aussichtslos. Der Wutainese packte seine Stange mit festem Griff und holte aus. Er wollte sie einem prüde aussehenden Burschen über die Birne ziehen, doch dieser wich geschickt aus und stand dann an der Wand. Tseng trieb ihn weiter in die Ecke und bekam aus den Augenwinkeln mit, dass Reno auf der einen Seite gerade mit zwei Gegnern zu Gange war.

Jin seinerseits blickte sich um und musste dabei einem Piraten mit seinem Katana eins auswischen. Ein gezielter Stoß in die Bauchhöhle, der Mann schrie auf und brach zusammen. Blut quoll hervor, als Jin seine Waffe wieder herauszog. Sicherheitshalber griff er sich noch das Gewehr, das der Mann hatte fallen lassen und machte sich dann auf die Suche nach dem Präsidentensohn. Rufus war zwischenzeitlich unter den Tisch gekrochen und hatte einen der Bürostühle herangezogen, um sich zu schützen. Jin lief um die Kämpfenden herum und fand dann sogleich auch seinen neuen Schützling. Unauffällig schlich er zu dem Kontrolltisch und kniete sich nieder.

„Kommen Sie, Sir! Ich bring Sie hier raus“, sagte er freundlich.

Rufus starrte ihn nur mit schreckgeweiteten Augen an. Sein Blick sagte nur so viel, dass er hier raus wollte, aber viel zu viel Angst hatte, sein momentanes Versteck zu verlassen. Zögerlich schob Rufus den Stuhl beiseite und kroch dann aus dem Hohlraum hervor.

„Bleiben Sie immer dicht hinter mir, Sir!“, erklärte Jin.

Der Turk stand auf und stellte sich breitbeinig vor den Präsidentensohn hin, was bei seiner schmalen Statur gar nicht so leicht war. Kurz blickte er um sich, damit er ein Gefühl für die momentane Situation bekam. Rechts von ihm war Reno zu Gange. Der Rotschopf hatte bereits einen seiner Gegner ins Land der Träume befördert und kämpfte nun wie eine Katze mit dem anderen. Links war Rosalinde von gleich drei Piraten in eine Ecke gedrängt worden. Die junge Frau hielt sich ihre Gegner mit ihrer Waffe vom Leib, doch Rude rückte bereits einem der Männer von hinten auf den Leib. Als letzten fasste Jin seinen Vorgesetzten ins Auge. Der Wutainese nickte ihm unmerklich zu, das Zeichen für ihn, Rufus endlich hier rauszuschaffen.

„Kommen Sie nun!“, flüstere Jin.

Eilig setzte er sich mit seinem Anhang in Bewegung. Links herrschte eine Schlägerei wie in einer Kneipe. Rude ging nicht gerade zimperlich mit den Banditen um und Rosalinde hatte inzwischen auch wieder die Oberhand gewonnen. Jin und Rufus gingen rasch weiter vorbei an Reno, der ihnen keinen Blick zuwarf, sondern sich bereits nach einem dritten Gegner umsah. Rufus schob Jin von hinten an und die beiden waren gerade durch die Tür getreten, als aus dem Raum hinter ihnen ein wahnsinniges Kreischen ertönte:

„Lasst den Bengel nicht entkommen!!!“, brüllte jemand.

Für Jin und Rufus war das der Startschuss, die Beine in die Hand zu nehmen und um ihr Leben zu laufen. Von jetzt an konnte es nur mehr als kompliziert werden, einen sicheren Weg aus den Höhlen zu finden. Wohin Jin musste, war ihm klar, doch musste er die Fluchtroute notfalls ändern, wenn kein Durchkommen war. Hinter sich konnten die beiden Flüchtigen Schritte hören. Im ersten Augenblick glaubte Jin, Piraten würden sie verfolgen, doch schon bald hatte Reno ihn eingeholt und ihm klargemacht, dass bisher alles bestens war. Rosalinde, Tseng und Rude hatten die anderen nun ebenfalls erreicht und positionierten sich schützend um Rufus herum. Schnell hatten die Turks die große Weggabelung erreicht. Jin besann sich kurz auf den Weg und wählte dann denjenigen, der zu ihrer Rechten wegführte. Eilig lief er hinüber um sich zu vergewissern und winkte dann die anderen heran. Gerade als Tseng den Fluchtweg als letzter betrat, stürmten Entführer aus den anderen Gängen hervor und machten sich an die Verfolgung.

„Chef, kommen Sie!!“, rief Rude nach hinten.

Tseng war etwas zurückgefallen, vor allem, weil er in dem finsteren Gang nicht so schnell laufen konnte. Wie Jin und die anderen dieses Tempo bei der Dunkelheit halten konnten, war ihm ein Rätsel. Schüsse ertönten und der Wutainese zog den Kopf ein, als ihm die Projektile um die Ohren flogen.

„Leute, zielt tiefer!“, brüllte jemand hinter Tseng.

Und das taten die Entführer dann auch. Ein Projektil traf Tseng im Oberschenkel und der Chef der Turks schlug der Länge nach hin.

Mission 3.2.8

„TSENG~!!“, brüllte Rude.

Etwas, das er sonst nie tat. Der Glatzkopf machte kehrt und stürmte zurück zu dem Wutainesen. Der hatte den ersten Schock über das Geschehene und die Wunde halbwegs verdaut und versuchte, sich aufzurichten.

„Verdammt, Rude!!“, fauchte er, „Hau gefälligst hier ab!“

„Nix da! Entweder verschwinden wir alle oder keiner. Wir sind eine Familie, schon vergessen?“

Rude hatte Tseng erreicht, zog ihn an den Armen hoch und legte ihn sich über die Schulter. Sollte die Wunde und das austretende Blut ruhig seinen Anzug verunreinigen. Was machte das schon? Wichtiger war es, Tseng, der fast wie ein großer Bruder für Rude war, hier rauszubekommen. Der Glatzkopf wendete erneut und lief den anderen Turks hinterher. Tseng staunte nicht schlecht, als Rude seine Geschwindigkeit sogar noch etwas erhöhte und der Abstand zu ihren Verfolgern immer größer wurde.

‚Verdammt, wieso hab ich meine Waffe nicht?“, dachte Tseng.

Seine Eisenstange hatte Tseng unterwegs verloren und er konnte nur hoffen, dass Rude sein Tempo halten konnte. Sie durchquerten die große Höhlenkreuzung und stürmten in den Gang gegenüber. Nun ging es steil bergauf und Rude musste wieder langsamer laufen. Doch die Piraten hatten das Feuer inzwischen eingestellt, um sie nur noch zu verfolgen. Sie konnten es nicht riskieren, aus Versehen den Präsidenten zu treffen und ihn damit womöglich gleich zur Strecke zu bringen. Ein kleiner Vorteil, wie Tseng fand, jetzt mussten seine Turks nur noch das möglichste aus der Situation herausholen.

Jin seinerseits war inzwischen mit Rufus am oberen Ende des Weges angekommen. Er überlegte kurz und lenkte dann nach links weiter. Reno lief neben den beiden her.

„Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“, fragte der Rotschopf.

„Klar!“

Zumindest hoffte Jin das.

„Gib mir mal das Gewehr!“, forderte Reno ihn auf.

Jin reichte die Waffe weiter und konzentrierte sich dann wieder auf den Weg. Der Rotschopf jedoch ließ sich zu Rosalinde zurückfallen.

„Hilf du Jin, ich sichere Rude und Tseng den Hintern“, meinte er nur.

Die Blondine nickte und beschleunigte etwas ihre Schritte, was in dem nur noch sanft ansteigenden Gang eine Leichtigkeit war. Reno lief etwas langsamer, bis Rude ihn eingereicht hatte. Verschämt grinste er Tseng ins Gesicht.

„Also Chef, da haben Sie uns ja einen ganz schönen Schrecken eingejagt“, meinte er, „Hier, das hab ich Ihnen mitgebracht.“

Reno drückte Tseng das Gewehr in die Hand und sein Grinsen wurde noch breiter.

„Halten Sie uns ja schön den Rücken frei! Rude, mach mal schneller.“

„...“

„Ich glaub, jetzt ist es nicht mehr weit.“ meinte Tseng lahm, während er nach den Verfolgern Ausschau hielt.

„Keine Bange Chef, Sarah wartet schließlich auf uns.“

Reno zückte sein Handy und versuchte, die junge Frau, die bei dem Helikopter gewartet hatte, zu erreichen. Doch seine Aktion blieb ohne Erfolg. Der Wutainese seinerseits wollte gerade etwas umständlich das Gewehr anlegen und schießen, als Rude abrupt um eine Ecke bog. Der Glatzkopf konnte Licht am Ende des Tunnels sehen.

„Reno, versuch es jetzt mal“, schrie er im Laufen seinem Partner zu.

Rude erhöhte die Geschwindigkeit erneut. Er wusste, wenn sie die Höhle verließen, waren sie wie das berüchtigte Präsentierteller für jedermann gut sichtbar. Ein Schuss ertönte und Rude zuckte zusammen. Tseng ließ es sich nicht nehmen, den Piraten Saures zu geben, während Reno mit seinem Handy zu Gange war. Nach einem kurzen Augenblick klärte sich sein Gesicht.

„Alles klar, Sarah weiß Bescheid“, erklärte Reno und lief weiter.

Nur noch zwanzig Meter, und die Höhle würde sie ausspucken. Die Banditen hatten trotz der Schüsse, die Tseng auf die abfeuerte, den Abstand zu ihnen wieder verringert. Nur noch zwölf Meter zu laufen. Der Second in Command befürchtete fast, am Ende könnten Rude die Kräfte verlassen. Doch solange Rufus in Sicherheit war, hatte er einen guten Job gemacht. Sieben Meter. Reno, flink und schnell wie er war, setzte zum Endspurt an und Rude folgte ihm. Zwei Meter. Ein Meter. Gleißendhelles Licht stach Tseng in die Augen und im ersten Moment konnte er sich gar nicht orientieren. Ohrenbetäubender Lärm war um den Wutainesen herum. Erst jetzt bemerkte er über sich mehrere ShinRa-Helikopter, die ihre Bahnen zogen.

„Nicht schießen, nicht schießen! Das sind Turks!“, brüllte jemand.

Doch Tseng bekam gar nicht mehr mit, ob diese Worte von Rude stammten oder vielleicht von Reno. Auch die Geräuschkulisse ebbte langsam ab. Tseng wurde schlagartig schwarz vor Augen und sank in die Ohnmächtigkeit hinüber.

Familie

Zwielicht umgab Tseng’s Gedanken. Ziellos trieb sein Verstand umher. War er noch am Leben? Oder hatte er bereits die Grenze des Todes überschritten? Wie viel Zeit war vergangen? Hatten die anderen Turks Rufus in Sicherheit gebracht? Viele Fragen, auf die Tseng keine Antwort hatte. Doch was kümmerte es ihn? Das hier musste tatsächlich das Jenseits sein. Also konnte ihm die Welt der Lebenden getrost gestohlen bleiben. Doch so war es nicht. Wie ging es den Turks, die seit Jahren den Platz der Familie eingenommen hatten. Nach außen hin war Tseng stets kühl, durchdacht und unnahbar aufgetreten. Doch unter der harten Schale war ein weicher Kern verborgen, den kaum jemand kannte. Genau genommen wusste nur Verdot über Tseng Bescheid und sonst niemand.

Wie lange war es jetzt her, dass ShinRa-Truppen in Wutai einfielen, die Eltern des Schwarzhaarigen ermordeten und er selber von Verdot mitgenommen wurde? Tseng erinnerte sich noch gut daran, wie sehr er sich damals gegen Verdot gewehrt hatte. Doch die Beharrlichkeit und gewisse Methoden des Alten hatten ihn irgendwann mürbe werden lassen und er gab seinen Widerstand auf. Ab da an kletterte Tseng ziemlich schnell die Karriereleiter bei ShinRa Inc. hinauf und wurde schon bald zum Stellvertreter seines Mentors ernannt. Und irgendwann würde er die Leitung des Department of Administrative Research, oder auch als Turks bekannt, übernehmen. Obwohl, er war jetzt tot. Verdot musste sich wohl oder übel nach einem neuen Nachfolger umsehen.

Tseng seufzte, soweit eine Seele dazu imstande war. Eigentlich hatte er sich sein Ableben anders vorgestellt, aber ihm war jederzeit bewusst, dass das Leben eines Turks gefährlich war. Nur musste es schon so früh sein? Tseng war gerade in den besten Jahren, in denen sich ein Mann befinden konnte und dann so was. Nein, so leicht würde er nicht aufgeben. Doch was tun? Seine Seele glitt noch immer ziellos durch die graue Masse aus nichts. Vermutlich lag sein Leichnam irgendwo unbeachtet herum und verweste. Tseng schloss die Augen und driftete weiter in seinem Unterbewusstsein dahin.

„Vielleicht sollte man Riechsalz verwenden?“, äußerte jemand.

„Keine schlechte Idee.“, war die Antwort.

Es gab Geraschel im Zimmer, eine Tür wurde geöffnet und wieder geschlossen. Gleich darauf kam eine Person in einem weißen Kittel herein und schüttelte ein Fläschchen.

„Geben Sie mir das!“, forderte jemand mit einer gebieterischen Stimme.

Schritte wurden laut. Es befanden sich ziemlich viele Personen in dem kleinen Zimmer, welche nun geräuschvoll die Plätze tauschten. Jemand hob den Kopf des Bewusstlosen an und hielt ihm etwas unter die Nase. Keine Reaktion. Das Fläschchen wurde Tseng noch näher unter sein Riechorgan gehalten und ein stechender Geruch stieg ihm in die Nase. Im Unterbewusstsein entschied der Wutainese, das nicht länger riechen zu wollen und drehte instinktiv den Kopf weg.

„Aufwachen, Junge! Das ist ein Befehl!!“

Etwas klatschte Tseng ins Gesicht. Eine Ohrfeige? Wer schlug ihn da? Tseng kannte nur eine Person, die sich das traute. War sein Mentor etwa auch im Jenseits? Das ging aber schnell mit dem Tod, fand Tseng. Obwohl. Verdot saß immer nur in seinem Büro. Also wenn er nicht gerade an Altersschwäche gestorben ist, woran dann? Tseng beschloss, der Sache nachzugehen, als ihn ein neuerlicher Schlag ins Gesicht traf. Härter als zuvor, aber immer noch zum Aushalten.

„Aua!“, sagte Tseng lahm.

„Junge, mach endlich die Augen auf!!“

Der Satz erschien ihm nun klarer als derjenige zuvor, nicht mehr verschwommen und fern. Doch am meisten freute sich Tseng über die Stimme, die er nun endlich erkannte. Er schlug die Augen auf, wie ihm befohlen worden war. Über sich sah er Verdot. Der Wutainese war sich nicht klar darüber, ob er sich über den ernsten Ausdruck im Gesicht seines Mentors freuen soll. Doch augenblicklich schob sich Reno’s Kopf in sein Blickfeld.

„Warst ganz schön lange weg.“, meinte er spitz.

Fragend schaute Tseng zu Verdot.

„Drei Monate warst du weg!“, meinte der Chef der Turks.

Tseng’s Gesicht weitete sich vor Schreck. Oha, ganze drei Monate war er weggetreten? Hatte er im Koma gelegen? Soweit der Wutainese sich erinnern konnte, hatte er doch nur eine Kugel in den Oberschenkel bekommen und war aufgrund des Blutverlustes ohnmächtig geworden.

„Das war ein Scherz!“, sagte Reno.

Der Rotschopf prustete los, als das Fragezeichen noch immer nicht aus Tseng’s Gesicht verschwunden war. Schallendes Gelächter erklang im ganzen Raum und erst jetzt merkte Tseng, dass die meisten anderen Turks ebenfalls da waren. Rude stand auf der anderen Seite des Krankenbettes, in dem Tseng lag und hatte die Sonnenbrille abgenommen. War da ein feuchter Schimmer in den Augen des Glatzkopfes zu sehen? Tseng wurde ganz rot vor Verlegenheit, was bei ihm noch nie vorgekommen war. Die ganze Bande lachte gleich noch viel lauter, als sie sein Gesicht sahen.

„Das ist wirklich nicht witzig.“, meinte Tseng dann.

„Och, wir sind doch nur froh, dass du wieder auf dem Damm bist.“, meinte Reno, "Jedenfalls, Jin ist zum Senior-Turk befürdert worden."

Tseng sah über die Respektlosigkeit hinweg und freute sich für den jungen Mann aus Gongaga, der jetzt in seinem Gesichtsfeld auftauchte.

"Na, herzlichen Glückwunsch! Da bist du ja jetzt mit Reno und Rude gleichauf."

"Danke."

Jin wurde ganz rot im Gesicht. Es gab auf der Welt weit Wichtigeres als Formalitäten, hat Tseng herausgefunden. Das war ihm in diesen kurzen Augenblicken erst richtig klar geworden. Tseng sank in dem Kissen zurück und genoss die Augenblicke der Unbeschwertheit, die er mit den Turks, seiner Familie, verbringen konnte.
 

~FIN~



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Kommentare zu dieser Fanfic (52)
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Von:  Rockryu
2011-10-10T14:24:21+00:00 10.10.2011 16:24
Ach, wie süß! Ich muss ja sagen, dass ich nicht der megagroße Turkfan bin, aber ich mag sie trotzdem. Obwohl die Turks wesentlich mehr noch als SOLDAT auf drecksarbeit und maschienenähnliches funktionieren geschult werden, sind sie doch sehr menschlich. Sie tun drecksarbeit, aber sie haben dahinter menschliches Gesicht. so gesehen kann ich die Turkfans sehr gut verstehen.
Von:  kyouto
2008-11-28T15:46:38+00:00 28.11.2008 16:46
Reno wirkt hier ja richtig ernst!
aber
War der Wall Market nich in sektor 6?

selbst wenn is ja auch egal ich bin nur ein bisschen penibel wenn ums solche sachen geht *sorry*

du verstehst es die kapitel kurz zu halten da muss man einfach weiterlesen
Von:  kyouto
2008-11-27T15:29:03+00:00 27.11.2008 16:29
Reno wollte ihn ja nur aufmuntern.

Ich mag es wie du die Story schreibst,das klingt interessant
Von:  kyouto
2008-11-25T16:12:13+00:00 25.11.2008 17:12
hui mag den anfang
so spannend und vorstellbare erklärungen
*also nich so kompliziert*

ich les ganz bestimmt weiter
Von:  Niela_DeAhrel
2008-11-21T21:18:47+00:00 21.11.2008 22:18
Waaaah... die Vorstellung vom Don in Unterhosen ist mir zuwider! XDDDD Aber Reno ist so wahnsinnig cool wieder... hach, ich könnt ihn kontinuierlich anbeten. *______*

Jins Killerattacke war aber auch niht ohn! Sehr beeindruckend und ich konnt's mir so schön bildlich vorstellen! ^^ Er ist auch so derbst genial! *_____*
Von:  Niela_DeAhrel
2008-11-21T21:05:53+00:00 21.11.2008 22:05
Hach, dein Tseng ist so schön Tseng-ig! xD Ich liebe ihn dafür. Sehr in character! <3

Hui, die Mission auf dem Wall Market macht mich aber gespannt... Ich liebe den Wall Market! xD Ich muss direkt weiterlesen.... ^^
Von:  Niela_DeAhrel
2008-11-21T20:53:34+00:00 21.11.2008 21:53
xDDDDD Kin WUnder das Reno ihn nicht versteht... Jin nimmt ja seinen Job auch shcließlich sehr viel ernster als der Rotschopf! ^^; Und Rude sagt kein Sterbenswörtchen um seinen Partner beizustehen... tja, er hat eben Niveau! ;)

Hm... mir ist aber aufgefallen, dass du ein wenig in der Zeit springst... so zwischen Präsens und Präteritum... fällt aber nicht stark ins Gewicht!

Ich mag die Story, wirklich! ^^ Liegt bestimmt auch an den Turks! xD
Von:  Niela_DeAhrel
2008-11-21T20:45:45+00:00 21.11.2008 21:45
*mauz* Reno ist so coooooool... ich weiß schon, warum ich ihn so toll find... wegen Momenten wie dieser! ^^ Sehr schön geschrieben, flüssig zu lesen und sehr actiongeladen... ich bin gespannt wie's weitergeht! *.*
Von:  Kumagoro
2008-09-25T08:52:23+00:00 25.09.2008 10:52
Oha! Jepp! Jetz hauts hin!^^

Super meow! Hast du auch was am Ausdruck verbessert?Oo *guck* meow. Jedenfalls ist es dochn Unterschied!^^ Ist jetz stimmiger! Sehr gute Überarbeitung!^^


Von:  Kumagoro
2008-09-24T17:36:34+00:00 24.09.2008 19:36
Meoow. X3 Hm.. ein wundervolles Ende mit Tseng und Family aber einen kleinen Kritikpunkt hab ich anzufügen. Man hätte vielleicht noch ein wenig auf Jin eingehen können. Is nur ein Vorschlag was man hätte machen können!^-^ Aber auch an sich is es dennoch schön geschlossen! Vor allem die letzten Zeilen fliegen sich herunter!;3

Freu mich wenn man wieder von dir lesen kann meow!^^

L.G. vom Düsterkätzchen aus der schattigen Fantasywelt


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