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Das Blut an meinem Schwert

von

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Prolog

Genroku-Ära, 7. Jahr, 5. Monat (Juni, 1694) Provinz Kaga
 

Laut und gleichmäßig hallten die Trommelschläge pünktlich zur Stunde des Hasen über den Hof der Kaserne. Hideto Yukishiro rieb sich verschlafen die Augen und richtete sich auf. Um ihn herum erhoben sich seine Kameraden von ihren Schlafmatten und kleideten sich an. Hastig stand auch Hideto auf, um nicht wieder der letzte auf dem Platz zu sein. Eilig legte er seine leichte Rüstung an, die aus kleinen quadratischen Lederplatten bestand, die mit Metallringen verbunden waren und zog seinen schwarzen Wappenrock mit der goldenen Libelle, dem Zeichen seines Klans, dem Niu-Klan, über. Er warf sich die hölzernen Schulterplatten über und brauchte in seiner Eile und Müdigkeit einige Zeit, die Knoten zu knüpfen, welche die Holzplatten mit der Rüstung verbanden. Er war schon beinahe der letzte im Raum, nur Wada, ein stark übergewichtiger Junge von 16 Jahren mit hängenden Wangen und kleinen schwarzen Augen, die Hideto immer an ein Schwein erinnerten, zwängte sich noch keuchend in seine Rüstung. Mit einem Ruck zog Hideto den letzten Knoten seiner Strohsandalen fest und sprintete durch die Tür der Kaserne auf den sandigen Hof.

Es war noch früh am Morgen, die ersten Sonnenstrahlen durchbrachen den Frühnebel und lösten diesen auf. Die frische Morgenluft durchflutete Hidetos Lunge.

Seine Kameraden standen bereits in Reih und Glied vor ihrem kommandierenden Offizier und den beiden Trommlern, die bis auf das geflochtene Strohband, das sie um den Kopf trugen, nicht von den restlichen Soldaten zu unterscheiden waren.

In einem nicht enden wollenden Rhythmus schlugen sie ihre hölzernen Stöcke auf die Trommeln aus schwarzer Lackarbeit, die ebenfalls mit der goldenen Libelle verziert waren. Eilig nahm Hideto seinen Platz in der hinteren Reihe ein und nahm Haltung an. Gerade noch rechtzeitig als der Offizier, der in voller, polierter Rüstung vor ihnen stand, die Hand hob und die Trommeln plötzlich verstummten.

Obwohl Hideto starr zu dem Offizier blickte, hörte er wie Wada stöhnend auf den Platz gestürmt kam. Dem Krachen nach zu urteilen, war er wahrscheinlich über seine eigenen ungeschickten Füße gestolpert und hatte sich, zusätzlich zu seiner Verspätung, nun vor versammelter Truppe noch lächerlicher gemacht. Obwohl einige Soldaten kicherten hatte Hideto Mitleid mit dem ungeschickten Kameraden. Denn er wusste, was nun auf diesen zukam.

„Wada! 10 Runden laufen für die Verspätung! Und noch 5 für den gelungenen Auftritt!“, brüllte der Offizier durch die peinliche Stille, die sich über den Platz gelegt hatte, während Wada offenbar versuchte, unbemerkt im Erdboden zu versinken.

Sofort trottete Wada los und fing an, den Hof zu umrunden. Keine kleinen Runden, wie Hideto nur zu gut wusste – wie oft er schon hatte laufen müssen weil er zu spät aufgestanden war, konnte er längst nicht mehr zählen.

„Die anderen machen mir nach!“, erklang die Stimme des Offiziers laut und klar durch die Reihen. Er streckte sich kurz und fing dann an, Katas vorzumachen, die auf verschiedenen Kampfkünsten zusammengemischt waren.

„Ichi, Ni, San!“, rief er während der Bewegungen. Alle Soldaten machten synchron diese Bewegungsabfolgen nach, die sie jeden Morgen vor dem Frühstück absolvierten.

Hideto ließ seinen Blick schweifen, da er nicht mehr auf den Offizier achten musste, um die Übungen richtig auszuführen. Es war ein klarer Sommermorgen. Die Sonne ging hinter den weiß verputzten Mauern mit den kleinen schwarzen Giebeldächern auf, die den Platz und die Kasernengebäude großräumig umrundete. Der Platz befand sich hinter dem zweistöckigen Hauptgebäude, einem alten dunklen Fachwerkhaus mit einer breiten Veranda die das Gebäude umschloss. Es besaß ein schwarzes Schindeldach mit leicht nach oben stehenden Dachvorsprüngen, wie es bei der Pagodenbauweise üblich war. Die verschlossenen Papierfenster des Gebäudes ließen kein Leben in seinem Innern erkennen. Lediglich die breite Doppeltür im Erdgeschoss stand weit offen und offenbarte einen Blick in einen Flur mit hölzerner Decke und Trennwänden aus Holzgittern, die mit Papier bespannt waren, um die einzelnen Räume voneinander zu trennen.

Hidetos Blick fiel wieder auf Wada, der röchelnd mit hoch rotem Kopf seine zweite Runde anfing. Langsam trat Hideto der Schweiß auf die Stirn. Zwar war es noch früh am Morgen, doch die sommerliche, schwüle Hitze machte sich bereits breit, die schon vor Wochen Einzug gehalten hatte. Auch hatte es seit mindestens drei Wochen nicht mehr geregnet, was an den verdörrten Pflanzen und dem staubigen Boden, der bereits rissig wurde, erkennen konnte.

„Und nun die Stäbe“, hallte die Stimme des Offiziers von den Mauern wieder. Die Soldaten eilten zu der Wand die sich zu ihrer Linken befand, an der zahllose hölzerne Stäbe von etwa zwei Metern Länge standen. Jeder, der einen Bo ergattert hatte, lief hastig zu seinem Platz zurück. Nachdem alle ihre Plätze wieder eingenommen hatten und jemand dem Offizier einen Stab gebracht hatte, führte er seine Bewegungen fort und die Soldaten machten sie nach.

Einige Vögel flogen über den Platz und ließen sich zwitschernd in einem einsamen Baum in der Ecke des Kasernenhofes nieder. Die hölzernen Schulterklappen der Soldaten klapperten im Takt mit jeder Bewegung, die sie ausführten. Wada startete grade seine vierte Runde, doch er sah aus, als hätte er schon zweimal die Welt umrundet. Schweißperlen glänzten auf seiner breiten Stirn und Schaum sammelte sich in seinen Mundwinkeln, als hätte er die Tollwut. Hideto wusste, dass Wada nach seinen qualvollen Runden die Übungen, die seine Kameraden gerade vollführten, noch nacharbeiten musste, bevor er endlich zum Frühstück gehen durfte, wo er die Rest, welche die Anderen überließen, hastig in sich reinstopfen durfte.

Nach den Übungen mit dem Stab folgte noch das Training mit dem Schwert. Da dies alles nur einfache Übungen waren benutzten sie nur Bokken, Holzschwerter. Einerseits hasste Hideto das frühe Aufstehen, andererseits war er froh, dass sie diese Leibesübungen so zeitig machten, da die sommerliche Hitze, die sich bereits nach dem Frühstück auf dem gesamten Gelände ausbreitete, jede Bewegung nahezu unerträglich machte. Die Zeit schien sich endlos hinzuziehen, bis endlich die Stimme des Offiziers erklang.

„Das war’s fürs Erste“, rief der Offizier und gab das Bokken einem Soldaten, der es für ihn zu den anderen in die Fässer stellte, die sich ebenfalls an der Wand zur ihrer Linken aufreihten. Froh, dass das morgendliche Training vorbei war, brachte auch Hideto sein Holzschwert zu einem Fass und machte sich dann auf den Weg zum wohl verdienten Frühstück.

Auf dem Weg in den Esssaal unterhielten sich einige Soldaten über das Training. Manche machten sich über Wada lustig, der immer noch seine Runden lief. Sie stiegen die drei Stufen hinauf auf die breite, hölzerne Veranda, des Hauptgebäudes, im dem sich auch der Speisesaal befand. Oben angekommen, zogen alle ihre Sandalen aus und betraten den langen Flur und danach den großen, mit Tatamimatten ausgelegten Speisesaal, der sich direkte hinter der ersten Schiebetür auf der rechten Seite befand. Hier standen niedrige Holztische in Reihen, gesessen wurde auf dem Boden. Die Türen zu Veranda auf der anderen Seite des Raumes waren weit geöffnet, damit ein wenig frische Luft in den aufgeheizten Raum gelangte. Erschöpft von dem morgendlichen Training setzte sich Hideto an einen der Tische und aß eine große Portion Reis mit eingelegtem Gemüse und etwas gebratenem Fisch zur Stärkung.

Nach dem Frühstück wurden die Soldaten in Gruppen eingeteilt, die verschiedene Aufgaben zugeteilt bekamen. Hideto und vier andere, darunter auch Wada, der sich mit dem Essen beeilen musste, um noch rechtzeitig seinen Dienst anzutreten, erhielten den Auftrag, auf der westlichen Mauer der Kaserne Wache zu halten.
 

Nur kurze Zeit später kletterte Hideto die Holzleiter hinauf, die ihn auf den Wehrgang der Mauer führte. Er nahm seinen Platz am nord-westlichen Turm ein und ließ seinen Blick über die Gegend schweifen. In der Ferne schimmerte das Meer in einem strahlenden blau, während die Sonne mittlerweile eine Höhe erreicht hatte, die ihr erlaubte, ihre unnachgiebige Hitze auf das Land sinken zu lassen. Tag für Tag fragte sich Hideto, wieso sie überhaupt Wache stehen mussten. Schließlich hatte es seit der Schlacht von Sekigahara, vor über 100 Jahren, keinen Krieg mehr gegeben. Seit das Tokugawa Shogunat die Macht im Land übernommen hatte, erlebte Japan eine nie da gewesene Periode des Friedens.

Doch trotzdem trug Hideto seine beiden Schwerter an der Hüfte, die seinen Rang als jungen Samurai kennzeichneten. Außerdem hatte er sich einen mit Pfeilen gefüllten Köcher um gehangen und einen Bogen über die Schulter gelegt. Manchmal schossen er und einige seiner Freunde auf Tiere, die sich außerhalb der Mauern herumtrieben, einfach zum Spaß und als Übung. Das Bogenschießen war immer eine von seinen liebsten Disziplinen gewesen, obgleich er sowohl im schießen als auch im Schwertkampf ein respektabler Kämpfer geworden war seit er vor drei Jahren dem Heer Fürst Nius beigetreten war. Er war der zweite Sohn eines rangniedrigen Samurai, was ihnen auch das Tragen eines Familiennamen erlaubte: Yukishiro. Sein Vater hatte all seine Hoffnung in seine beiden Söhne gesetzt, die beide der fürstlichen Armee beigetreten waren. Hidetos älterer Bruder Mitsuo war mittlerweile zur Garde des Fürsten aufgestiegen, die mit ihm in seinem großen Anwesen weiter im Landesinnern lebten, während Hideto auch nach drei langen Jahren noch in der Kaserne wohnte. Dies verdankte er vor allem seinem hitzigen Temperament und seiner Faulheit. Manchmal fragte sich Hideto, ob er seiner Familie jemals Ehre bringen würde.

Plötzlich wurde er von lautem Gelächter aus seinen Gedanken gerissen. Er schaute sich verwirrt um und erblickte Wada, dessen Pfeile aus seinem Köcher über den Boden rollten. Neben ihm standen Aomori und Kitami, zwei Samurai von großem Wuchs, mit breiten Schultern und schadenfrohem Grinsen im Gesicht. Hideto mochte die beiden nicht. Sie waren überheblich und stifteten ständig Ärger, wobei sie es prima verstanden, sich im richtigen Moment aus der Affäre zu ziehen und jemand anderem somit den Ärger in die Schuhe zu schieben.

Keuchend bückte sich Wada um die verlorenen Pfeile wieder aufzuheben, wobei ihm der Bogen von der Schulter rutschte und ihm die Sehne ins breite Gesicht schlug. Er stöhnte vor Schmerz und versuchte seinen Bogen wieder auf seinen Rücken zu schieben während er mit der anderen Hand nach den Pfeilen tastete. Kitami trat bis auf einen Schritt an Wada heran und stieß mit seinem Fuß einige Pfeile die Leiter hinunter. Klackernd fielen die Geschosse die Stufen hinunter und blieben unten auf dem sandigen Boden liegen.

„Du musst besser aufpassen, Wada-San.“, sagte Kitami in einem belehrenden Ton, der seine Verachtung gegenüber Wada nicht verbarg. Im Gegensatz zu Kitami und Aomori, dessen Väter der obersten Leidgarde des Fürsten abgehörte, war Wada nur der Spross einer niedrigen Samuraifamilie, die in Schulden zu ersticken drohte.

Beschämt rutschte Wada über den hölzernen Boden und las einige Pfeile auf bevor er sich aufrappelte, um die Leiter hinunter zu steigen und die herunter gestoßenen Geschosse zu holen. Bevor er sich in Bewegung setzte, warf er Hideto einen kurzen Blick zu, der Schmerz und endlose Scham ausdrückte. Wut entbrannte in Hidetos Innerem und seine Hand verkrampfte sich am Griff seines Schwertes. Er wusste, dass er selbst kein Heiliger war, doch solche Ungerechtigkeiten konnte er einfach nicht mit ansehen.

Als Wada sich hoch gestemmt hatte und mit gesenktem Kopf zur Leiter lief, stieß Aomori mit der stumpfen Seite seines Speers gegen Wadas Fuß, der daraufhin der Länge nach hinfiel.

„Oh Wada-San! Pass auf, dass du kein Loch in den Boden reißt!“, stieß Aomori hervor und konnte sich vor Lachen nicht mehr halten.

In diesem Moment übermannte die Wut Hidetos Selbstbeherrschung. Er machte einen großen Schritt auf die beiden zu und zog sein Schwert. Am liebsten hätte er diese beiden Halunken auf der Stelle erschlagen!

„Yukishiro-San? Was willst du denn?“, fragte Kitami unsicher.

„Er sieht sich nur das Theater an und begibt sich dann wieder leise auf seinen Posten.“, zischte Aomori in drohendem Tonfall.

Hidetos Mut geriet ins wanken. Sollte er sich wirklich mit den beiden prügeln? Mit einem könnte er es sicher aufnehmen, aber mit beiden? Außerdem hatte er sein Schwert schon gezogen… Sollte er sich auf eine bewaffnete Auseinandersetzung mit den beiden einlassen? Langsam ließ er das Katana sinken. Er schaute hinüber zu Wada, der immer noch am Boden lag und Hideto verwundert ansah. Tränen schimmerten in seinen kleinen Schweinsaugen.

„Sag ich’s doch.“, bellte Aomori verächtlich und grinste Hideto herablassend an.

Schnell wie der Blitz ließ Hideto sein Schwert hervorschnellen und durchtrennte Aomoris Speer nur wenige Millimeter über der Hand. Das obere Stück mit der Klinge fiel klirrend zu Boden.

Kitami und Aomori starrten Hideto mit weit aufgerissenen Augen an. Offenbar hatten sie nie im Leben mit dessen Gegenwehr gerechnet.

„Ihr kleinen, widerwärtigen Bastarde!“, stieß Hideto hervor, „Was fällt euch eigentlich ein? Ihr haltet euch wohl für was Besseres!“

„Yukishiro-San, du… du wirst doch wohl nicht?“, stammelte Kitami.

Aomori jedoch zog sein Katana.

„Das wirst du bereuen!“, blaffte er Hideto an. Noch bevor dieser antworten konnte sprang Aomori schreiend auf ihn zu. Hideto schaffte er gerade noch sich unter einem horizontalen Hieb hinweg zu ducken, der ihr glatt enthauptet hätte. Den nächsten Schlag führe Aomori von oben nach unten. Hideto rollte sich geschickt über den Holzboden und erschrak, als Aomoris Klinge direkt neben ihm in das Holz schlug.

Aomori zog verzweifelt am Griff seiner Waffe, doch diese hatte sich im Boden verkeilt und rührte sich nicht. Hideto ergriff die Gelegenheit und trat nach Aomoris Hand, der vor Schmerz aufschrie und sein Schwert losließ.

Aomori schaute Hideto ins Gesicht und unmessbare Wut brannte in seinen Augen. Ohne weiter nachzudenken, zog er sein Kurzschwert und ging damit weiter auf Hideto los. Dieser parierte den Hieb mühelos mit seiner wesentlich längeren Waffe und wich weiter nach hinten aus, bis er mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Aomori stach nach Hidetos Brust. In letzter Sekunde riss Hideto sein Schwert empor. Aomoris Wakizashi schleifte kreischend an Hidetos Klinge entlang und bohrte sich in dessen rechten Oberarm. Schmerz durchflutete Hidetos Körper. Der Qualen veranlasste ihn zu schreien, doch er brachte keinen Laut hervor. In Aomoris Augen spiegelte sich Wahnsinn, als verfiele er in einen Blutrausch. Geschwind zog er sein Kurzschwert zurück um erneut zu zustechen.

Doch dieses Mal kam Hideto ihm zuvor. Er schlug ihm mit dem Griff seines Katanas ins Gesicht, woraufhin Aomori zurück taumelte. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und als er das Blut an seiner Hand sah, schien er wieder zu Besinnung zu kommen. Er blickte Hideto entgeistert an, als würde ihm gerade erst bewusst, was er getan hatte.

Plötzlich stürmten zwei Samurai von jeder Seite auf die beiden Streithähne zu. Sie packten Aomori, der Hideto nicht aus den Augen ließ. Seine Augen blickten ihn immer noch fassungslos an. Die anderen Beiden hievten Hideto in die Höhe und trugen ihn die Leite hinunter.
 

Der Kasernenarzt Dr. Ise hatte Hidetos Schulter mit Heilkräutern eingerieben und sie verbunden. Doch Hideto hatte keine Zeit sich auszuruhen. Er musste sofort zu seinem Offizier um sich wegen seiner Taten zu verantworten.

„Die Wunde ist zwar tief, aber nicht lebensgefährlich. Du solltest den Arm eine Weile schonen, doch er wird bald wieder voll belastbar sein.“, sagte Dr. Ise mit seiner ruhigen, freundlichen Stimme und lächelte Hideto ermutigend an. Dr. Ise war ein netter, alter Mann von etwa 60 Jahren. Sein dünnes graues Haar war kurz geschnitten und gepflegt. Er trug einen blauen Umhang, was seinen Rang als Arzt kennzeichnete. Er war stets freundlich zu Hideto gewesen wenn dieser wegen einer Prügelei oder eines Unfalls zu ihm kam.

Hideto bedankte sich kurz und verließ dann den Krankenflügel, der sich in einem Gebäude befand, dass durch einen überdachten Gang mit dem Hauptgebäude verbunden war, in dem auch die Offiziere lebten.

Als Hideto die Tür zum Quartier des Offiziers öffnete, erblickte er Aomori, der bereits auf dem Boden kniete. Der Raum war nicht sehr groß. Nur durch das papierene Fenster an der linken Wand des Raumes fiel schummriges Licht in das Zimmer. Der Offizier saß auf einem erhöhten Podium mit einem kleinen Schreibtisch auf dem ein Tintenfässchen und eine Schreibfeder lagen und war über mehrere Zettel gebeugt, die er eingehend studierte und hin und wieder selbst etwas ergänzte. An der Wand hinter dem Offizier stand ein Wandschirm der mit einer sommerlichen Landschaft bemalt war, die grüne Bäume und einen Fluss zeigte über den Vögel flogen. Der Offizier hatte seinen Helm abgenommen, was seinen kahl rasierten Scheitel mit dem geölten Haarknoten am Hinterkopf zum Vorschein brachte. Als Hideto den Raum betrat, blickte der Offizier auf und sah diesen ernst an.

Hideto kniete sich neben Aomori und blickte diesen dabei kurz an. Dieser hielt den Kopf gesenkt und starrte auf den Boden. Das Blut an seinem Mundwinkel war getrocknet.

„Aomori-San! Yukishiro-San! Für eure kleine Prügelei verurteile ich euch zu einer Woche Nachtwache!“, erklärte der Offizier in leisem aber nichtsdestotrotz Respekt einflößendem Ton.

Beide nickten nur knapp. Sie wussten, dass ihnen keine Rechtfertigung zustand. Bei kleineren Verstößen war dies durchaus üblich, doch bei einem Kampf der auch tödlich hätte ausgehen können, sah die Sache anders aus.

„Ihr könnt gehen.“, sagte der Offizier und wand seinen Blick ab, was den beiden zeigte, dass er das Gespräch als beendet betrachtete.

Hideto und Aomori erhoben sich und verließen schweigend das Gebäude. Als sie auf den Hof schritten blieb Aomori plötzlich stehen. Hideto drehte sich um und sah seinen Kameraden fragend an.

„Das wirst du noch bereuen.“, flüsterte Aomori, der immer noch auf den Boden starrte. Er ballte seine Hände zu Fäusten, so dass die Adern seiner Unterarme pulsierten. Seine Augen waren immer noch weit aufgerissen.

Hideto schaute Aomori verwirrt an, jedoch brachte er keinen Ton heraus. Sprachlos sah er zu wie Aomori ohne weitere Äußerungen zu den Unterkünften lief.
 

Unschlüssig, was er jetzt tun sollte, ging Hideto zur Westmauer zurück und nahm wieder seinen Wachposten ein. Als er die Leiter hinaufgestiegen war und über den Wehrgang lief, sah er Kitami, der mit aschfahlem Gesicht über die Brüstung starrte, als hätte er in der Ferne einen Geist gesehen. Entweder bemerkte er Hideto nicht, oder er gab sich alle Mühe, dass es so aussah. Doch auch Hideto war nicht auf noch mehr Ärger aus und lief einfach an Kitami vorbei, als er Wada einige Meter weiter stehend erblickte. Offenbar hatte dieser auf Hideto gewartet.

„Wada-San.“, sagte Hideto knapp und nickte ihm zu. Er war nicht mit Wada befreundet und hatte auch kein Interesse daran. Er hatte sich nicht um seinetwillen mit Aomori geprügelt, sondern weil dieser einfach nur ein überheblicher Idiot war, der sich am Leid schwächerer weidete, was Hideto nun mal gar nicht ausstehen konnte.

„Yukishiro-San.“, brachte Wada mit zitternder Stimme hervor und versuchte Hideto in die Augen zu sehen, doch dieser blickte starr an seinem dicken Kameraden vorbei, bis er an diesem vorüber gelaufen war. Erleichtert atmete Hideto aus, doch als er ein paar Schritte an Wada vorbei gegangen war, ertönte erneut seine Stimme, doch dieses Mal etwas fester und stärker.

„Yukishiro-San.“, sagte Wada, der sich umgedreht hatte und Hideto nun hinterher sah.

Dieser blieb stehen und sah sich nach seinem Kameraden um. Tränen schimmerten in Wadas Scheinsaugen und seine massigen, hängenden Wangen liefen rot an.

„Danke.“, flüsterte er schließlich und senkte seinen Blick auf den Boden, „So etwas hat noch nie jemand für mich getan.“

Hideto spürte wie auch ihm die Röte ins Gesicht stieg. Mit so einem Gefühlsausbruch Wadas hatte er nicht gerechnet.

„Schon gut.“, versuchte er das Gespräch zu beenden, bevor Wada noch mehr sein Gesicht verlor.

„Nein!“, stieß Wada entschieden hervor, „Diese beiden Kerle haben mich schon unzählige Male so bloß gestellt. Deinetwegen werden sie es sich demnächst zweimal überlegen.“

„Das… äh… freut mich.“, entgegnete Hideto knapp, der sich zwar aufrichtig für Wada freute, jedoch fürchtete, sich Aomori nun zu seinem Todfeind gemacht zu haben. Er wollte sich gerade wieder umdrehen um zu gehen, als Wada wieder seinen Mund öffnete.

„Ich werde nie wieder so schwach sein.“, flüsterte er. Seine Stimme war leise, doch es schwang eine Entschlossenheit mit, die Hideto ihm niemals zugetraut hatte. Er sah wie sich Wadas Faust ballte, so sehr, dass die Sehnen auf seinem Handrücken sichtbar wurden.

„Niemals wieder werde ich mich so unterdrücken lassen. Niemals wieder werde ich so verzagen.“, seine Stimme wurde zunehmend lauter und Hideto fragte sich, ob Kitami, der ja nur wenige Meter stand, ihn mittlerweile hören konnte.

„Von nun an werde ich mich mutig jeder Gefahr stellen!“, sagte Wada entschlossen und schaute Hideto mit einem dankbaren und stolzen Blick in die Augen.

„Das hier… möchte ich dir schenken Yukishiro-San.“, fügte Wada hinzu, der sich sichtlich zusammenreißen musste, um seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Er hielt Hideto seine geschlossene Hand hin. Zögernd machte dieser einen Schritt auf ihn zu und streckte eben falls seine Hand aus. Wada ließ etwas Kleines auf Hidetos Handfläche fallen. Interessiert schaute sich Hideto sein Geschenk an. Es war ein schwarzes Lederband, etwa dreißig Zentimeter lang – eine Halskette – mit einem kleinen hölzernen Anhänger. Er war nicht dicker als Hidetos kleiner Finger und etwa vier Zentimeter lang und von allen Zeiten mit Mustern beschnitzt.

Hideto lächelte ihm erfreut zu. Dann nickte er und machte sich auf den Weg zu seinem Posten. Es freute sich für Wada, der nun endlich über seinen Schatten zu springen schien. Doch wusste Hideto auch nur zu gut, dass aus Eifer und Mut schnell Übermut werden konnte. Und Übermut konnte mitunter ein böses Ende nehmen.
 

Ende des Prologs



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Nellas
2016-10-24T08:47:55+00:00 24.10.2016 10:47
Armer Wada ^^ Schöner Einstieg in die Geschichte


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