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Sweeney Todd One-Shots

von

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Halloween II

Der zweite Teil ist dann doch länger und gänzlich anders verlaufen als gedacht. Deswegen entschuldige ich mich schon einmal im Voraus, dass er wahrscheinlich bei weitem nicht so "gut" ist wie der erste Teil... :(

Und jetzt trotzdem viel Spaß beim Lesen :)
 

~*~
 

Der nächste Tag nahm einen guten Anfang für Sweeney. Zwei Kunden hatten ihn trotz der noch immer herrschenden Kälte aufgesucht – einer von ihnen weilte nicht mehr unter den Lebenden. Seine Stimmung war dadurch nicht gänzlich miserabel und ein Anflug von Bedauern beschlich ihn, als er schließlich sein Geschäft für den Moment schloss. Er musste an diesem Tag noch zum Markt und jetzt war leider die beste Gelegenheit dafür. Also holte er seine Tasche hervor, ging die alte Holztreppe hinunter und schlug den Weg in Richtung Markt ein. Weit sollte er aber nicht kommen.

Er war gerade durch das kleine Tor und noch nicht ganz am Pastetengeschäft vorbei gelaufen, da trat Mrs Lovett aus diesem heraus. Schnell lief Sweeney weiter, ohne auch nur die winzigste Regung zu zeigen, dass er sie bemerkt hatte.

Mrs Lovett ließ sich davon jedoch nicht abhalten. „Mr Todd“, rief sie ihm hinterher, „wo wollen Sie hin?“ Es überraschte sie, dass er einen Fuß vor die Tür setzte.

Einen Moment lang spielte Sweeney mit dem Gedanken, einfach weiterzugehen, verwarf ihn aber sogleich wieder, da er sich der Folgen, die dies mit sich brachte, nicht sicher sein konnte. Nein, am besten war es zu diesem Zeitpunkt tatsächlich, diese Frau irgendwie zufrieden zu stellen, weshalb er sich ihr zuwandte und knapp erwiderte: „Zum Markt.“

Sofort sah Mrs Lovett ihre Chance, etwas zusammen mit Mr Todd unternehmen zu können – und wenn es nur ein Markteinkauf war, denn in diesem Fall handelte er von sich aus, was das Ganze erheblich einfacher für sie gestaltete.

„Das ist eine hervorragende Idee, Mr T! Da wollte ich heute sowieso noch hin“, meinte sie schnell, wobei sie Mr Todd gar nicht erst zu Worten kommen ließ. „Warten Sie doch hier auf mich, ich bin sofort fertig.“ Und damit war Mrs Lovett wieder in ihrem Geschäft verschwunden.

Etwas überrumpelten blickte Sweeney ihr hinterher. Ihm schwante Übles, denn genau das konnte er nun wahrlich nicht gebrauchen: Eine ihn begleitende Mrs Lovett. Ärger stieg in ihm über die Frau auf. Sie würde noch seinen ganzen Plan ruinieren! Am liebsten wäre er einfach weitergegangen, hätte Mrs Lovett zurückgelassen und sich in aller Ruhe auf dem Markt umgesehen. Doch er wusste, dass dies nur weitere Probleme mit sich brächte. Denn würde er sich jetzt einfach auf den Weg machen, bestünde die Gefahr, dass Mrs Lovett trotz alledem zum Markt gehen und ihn dort überraschen würde. So blieb ihm wie so oft nichts anderes übrig als zu warten.
 

Es dauerte nicht lange, da kam Mrs Lovett mit einem Korb in der Hand wieder aus ihrem Geschäft heraus. Bevor sie jedoch irgendetwas sagen konnte, erklärte Sweeney nachdrücklich: „Ich gehe allein zum Markt!“

Von der Schärfe in seinen Worten überrascht, sah sie ihn an und erkannte den unverhohlenen Ärger in seinen Augen lodern. Doch wollte sie sich davon nicht abschrecken lassen – nicht jetzt, da die Chance, gemeinsam mit Mr Todd zum Markt zu gehen, zum Greifen nah war!

„Warum wollen Sie da alleine hin?“, wollte Mrs Lovett wissen, darum bemüht, die Enttäuschung aus ihrer Stimme zu verbannen. Sie würde es schon schaffen, ihn zu begleiten. „Schließlich spricht nichts dagegen, wenn ich Sie begleiten würde.“

Zwei Steile Falten bildeten sich zwischen seinen Augenbrauen, als Sweeney die Bäckerin beinahe schon zornig anstarrte. Sie würde alles vermasseln! Aber er war nicht bereit, dies einfach geschehen zu lassen – oh nein, das war er nicht.

„Das geht sie nicht das Geringste an“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und versuchte angestrengt die auflodernde Wut im Zaum zu halten. „Ich werde dort lediglich ein paar Einkäufe tätigen, Sie aber sollten sich lieber um ihr Geschäft kümmern, denn wie mir scheint, läuft es derzeit äußerst gut, da wäre es Verschwendung, würden Sie das nicht nutzen, nur um mich stattdessen auf dem Markt zu begleiten“, meinte er tonlos und hörte sich anschließend zähneknirschend an, welche Einkäufe Mrs Lovett noch tätigen wollte. Er konnte von Glück reden, dass es nicht allzu viel war, weshalb es seinen Plan nicht zu Schaden kommen würde.

Und dann, endlich, war alles geklärt und während die Bäckerin in ihr Geschäft zurückkehrte, machte sich Sweeney grimmig auf den Weg zum Markt.
 

„Mrs Lovett! Mrs Lovett!“

Müde schlug diese die Augen auf und spähte verschlafen blinzelnd in die Dunkelheit. Es dauerte einen Moment, bis ihr bewusst wurde, dass es Tobys helle Stimme gewesen war, die sie aus ihrem erholsamen Schlaf gerissen hatte. Doch, was wollte der Junge bloß zu dieser späten Stunde von ihr? Es war mitten in der Nacht!

„Was ist denn los?“, murmelte Mrs Lovett schlaftrunken und vergrub den Kopf wieder ins Kissen. Sie wollte schlafen. Der Tag war anstrengend gewesen und auch der kommende sollte nicht anders verlaufen – da konnte sie jedes bisschen Ruhe nur zu gut gebrauchen.

„I-Im Keller“, stieß Toby völlig aufgebracht hervor, „d-da, da … da ist irgendetwas!“

„Was soll denn da sein?“, wunderte sich Mrs Lovett. Als sie die Angst in Tobys Stimme hörte, wusste sie, dass sie keine Ruhe mehr zum Schlafen finden würde. So wie er sich benahm, musste da tatsächlich irgendetwas sein – denn ansonsten hätte er sie niemals mit solcher Grobheit aus dem Schlaf gerissen.

Ein warmes Licht flammte auf und während Toby eine Kerze in seiner zittrigen Hand entzündete, erklärte er: „Ich…ich versuchte gerade zu schlafen, da hörte ich es. Erst war es ein Scheppern und Poltern, d-dann hörte es sich wie stampfende Schritte an und schließlich ertönte ein Knarren und Klopfen aus dem Keller. Mrs Lovett – Mum – bitte, Sie müssen mir glauben!“

Ein Blick in die weitaufgerissenen Augen, in denen sich maßlose Furcht widerspiegelte, genügte Mrs Lovett, um ihm zumindest die Sache mit den Geräuschen zu glauben. Wovon diese allerdings herrühren mochten, konnte sie sich nicht erklären. Der Keller jedoch erschien ihr ein äußerst abwegiger Ort, denn wodurch – und vor allem durch wen – sollten dort unten derlei Geräusche entstehen?

„Vielleicht hast du einfach nur schlecht geschlafen“, versuchte Mrs Lovett den Jungen zu beruhigen. Dieser aber schüttelte vehement den Kopf. Nein, das war nicht bloß einem Traum entsprungen, was er da gehört hatte.
 

Mrs Lovett seufzte. Sie wusste, schlafen würde sie nun ohnehin nicht mehr können, also konnte sie auch gleich nachsehen gehen, was es war, das Toby solche Angst bereitete. Und wer wusste schon, ob nicht doch ein Bettler oder dergleichen es geschafft hatte, über die Kanalisation in den Keller zu gelangen.

„Gut“, sagte sie schließlich mit einem nachsichtigen Lächeln an Toby gewandt. „Ich werde nachsehen gehen, was es ist, das dich nicht schlafen lässt. Bestimmt hört es sich erschreckender an, als es tatsächlich ist. Du kannst ja schon einmal vorgehen, ich werde mir nur eben noch etwas Ordentliches anziehen.“

Toby zögerte, ehe er langsam nickte. „Ich … warte dann in der Küche auf Sie“, murmelte er und verließ widerwillig das Zimmer.

Während sich Mrs Lovett eilig ihr Kleid anzog, kam ihr plötzlich ein anderer Gedanke: Was war mit Mr Todd? Sollte sie ihn vielleicht wecken? Wenn im Keller jemand war, würde sie selbst wohl kaum etwas ausrichten können. Aber sie wusste ja noch gar nicht, ob da überhaupt etwas im Keller war. Nachdenklich zupfte sie an einem Ärmel ihres Kleides. Wahrscheinlich hatte Toby irgendwelche Albträume gehabt, die durch Halloween lediglich mehr beeinflusst worden waren. Ja, das musste es sein.

Von diesem Gedanken bestärkt, trat sie aus dem Zimmer und ging in die Küche. Grinsende Fratzen leuchteten ihr aus der Dunkelheit entgegen und tauchten zusammen mit dem diffusen Schein der Gaslaternen, der von der Straße durch die Fenster drang, den Raum in ein dämmriges Licht.

„Toby?“, flüsterte Mrs Lovett.

Keine Antwort.

„Toby?“, fragte sie erneut, dieses Mal etwas lauter. Suchend sah sie sich nach seiner Gestalt um, konnte sie jedoch nirgends entdecken. Wo steckte der Junge bloß? Unruhe begann sich in ihr zu regen. Vielleicht war er ja ins Wohnzimmer gegangen.
 

Doch als Mrs Lovett nachsah, konnte sie ihn auch dort nicht finden. Es fiel ihr mit einem Mal schwer, die aufkeimende Unruhe zu unterdrücken. Was, wenn etwas passiert war? Bloß, was sollte schon passiert sein? Verärgert schüttelte Mrs Lovett den Kopf. Jetzt fing sie auch noch damit an! Nein, Toby hielt sich bestimmt woanders auf.

„Toby, wo steckst du?“, rief sie und ging zurück in den Flur, wo sie unschlüssig stehen blieb. „Toby!“ Mittlerweile war es ihr gleichgültig, ob sie Mr Todd dadurch weckte. Mr Todd…! Mrs Lovett sah zur Treppe, die zum Barbier Salon hinaufführte. Ob Toby vielleicht …? Schnell verwarf sie diesen abwegigen Gedanken wieder. Ihr war nicht entgangen, wie verhalten sich der Junge immer in der Nähe des Barbiers benahm.

Plötzlich ertönte ein lautes Poltern. Erschrocken fuhr Mrs Lovett zusammen und lauschte mit angehaltenem Atem in die darauf folgende Stille hinein, immer damit rechnend, ein weiteres Geräusch zu hören. Es blieb jedoch aus.

Allmählich beruhigte sie sich wieder und fragte sich, ob ihre überstrapazierten Nerven ihr nicht einen Streich gespielt hatten. Doch sie wusste, dass dies nichts weiter als eine feige Ausrede war. Sie sollte vielmehr überlegen, woher das Geräusch gekommen war.

Einem Impuls folgend, lief Mrs Lovett erneut in die Küche. Vielleicht hatte Toby irgendetwas versehentlich umgeworfen.

„Toby?!“

Geräuschlosigkeit antwortete ihr. Nichts rührte sich. Wieder blickte sich Mrs Lovett suchend um, dreht sich um sich selbst und spähte vergeblich in den dämmrigen Schein, der die Küche erfüllte. Die Unruhe hatte sie mit einem Mal gänzlich gepackt. Das widersinnige Gefühl, beobachtet zu werden beschlich sie,

doch starrten ihr einzig und allein die flackernden Grimassen der Rüben entgegen. Warum hatte sie die Kerzen überhaupt brennen lassen? Mrs Lovett bereute diese Tat allmählich.

BUMM!

Erschrocken wirbelte Mrs Lovett herum. Ihr Herz raste, als ihr Blick wild durch die Küche irrte. „Toby!“, rief sie wieder. Sie bemerkte nicht, wie ihre Stimme einen schrillen Klang annahm. Dennoch war ihr bewusst, dass es vergebens war, auf eine Antwort zu warten. In der Küche war niemand, auch das Geräusch hatte einen anderen Ursprung.

Wieder zerriss ein Getöse die Stille und bestätigte ihre Vermutung. Der Lärm drang aus dem Keller!
 

Leise schlich Mrs Lovett in den Flur zurück, den starren Blick der Fratzen im Rücken. Längst war ihre Unruhe lähmender Angst gewichen. Unsicher stand sie am Rand der Treppe und blickte hinab in die gähnende Dunkelheit, die sich vor ihr auftat. Es kam ihr vor, als würde sie in einen alles verschlingenden Schlund aus Finsternis blicken.

Sollte sie vielleicht doch lieber Mr Todd holen? Bevor sie sich jedoch genauer mit dem Gedanken auseinandersetzen konnte, drang ein gedämpfter Schrei hinter der schweren Kellertür hervor. Toby!, schoss es Mrs Lovett entsetzt durch den Kopf und ehe sie weiter zaudern konnte, bewegten sich ihre Beine wie von selbst, setzen einen Fuß vor den anderen.

„Toby?“, wisperte Mrs Lovett mit rauer Stimme vorsichtig. Natürlich wusste sie, dass es sinnlos war, weiterhin nach dem Jungen zu rufen, doch gab der Klang ihrer eigenen Stimme ihr Mut.

Plötzlich hielt sie mitten in der Bewegung inne und starrte mit vor Schreck geweiteten Augen auf die Kellertür, die sich quietschend einen Spalt breit öffnete. Licht drang durch diesen in die Finsternis, schwaches glutrotes Licht.

Sie sollte umkehren, Mr Todd zu Hilfe holen, das war Mrs Lovett mittlerweile klar. Sie hatte nicht einmal eine Waffe oder irgendetwas anderes bei sich, mit dem sie sich im Notfall verteidigen konnte. Und trotzdem lief sie wie hypnotisiert weiter und spähte vorsichtig durch den schmalen Spalt.

„Toby!“, entfuhr es ihr beinahe panisch und bevor sie einen weiteren Gedanken verschwenden konnte, hatte sie die Tür aufgestoßen und war zu dem Jungen geeilt. Verwirrt hob dieser den Kopf und drehte ihn suchen hin und her. Seine Augen waren mit einem alten, schmierigen Lappen verbunden und seine Hände und Füße gefesselt.

„Mrs Lovett, Mum?“, flüsterte seine zittrige Stimme.

„Schhh“, beruhigte Mrs Lovett ihn. „Es ist alles gut.“

Schnell machte sie sich daran, den Knoten zu lösen, als sie plötzlich schmerzhaft nach hinten gezogen wurde. Dunkelheit brach über sie herein, während etwas Nasses, Kaltes über ihr Gesicht lief.
 

Sie schrie. Panische Angst überfiel sie mit einem Mal, hielt sie fest in ihrem zermalmenden Griff, nicht bereit, wieder von ihr abzulassen.

Mrs Lovett hörte Tobys panische Rufe, hörte, wie er verzweifelt nach ihr rief – und dabei waren sie bloß wenige Meter voneinander entfernt! – und konnte doch nicht antworten. Ihr Schrei, so schien es, hatte ihr jeglichen Atem geraubt und die furchtbare Angst schnürte ihr die Kehle zu, sodass es ihr unmöglich war, einen Laut hervorzubringen. Ihr Atem ging stoßweise, als sie sich vorsichtig bewegte, herauszufinden versuchte, was geschehen war. Angestrengt lauschte sie in die plötzliche Stille und spürte, wie das nasse, kalte Etwas über ihren Augen nach hinten gezogen wurde. Beinahe wäre sie gestolpert, doch ein erneutes Zerren verhinderte dies.

„Was um al-…“, entfuhr es Mrs Lovett, die allmählich ihre Stimme wiedergefunden hatte und brach abrupt ab. Ein entsetztes Aufkeuchen ertönte ganz in ihrer Nähe.

„Aber was machen Sie d-… grmblf“, hörte sie Tobys helle Stimme, die mit einem Mal in einen erstickten Laut überging.

„Toby?“ Die Panik, die in diesem Wort mitschwang, konnte Mrs Lovett nicht mehr unterdrücken.

Sie erhielt keine Antwort. Stattdessen folgten weitere würgende Laute. Ein heftiger Ruck ging durch das Etwas, das ihr die Sicht nahm, und zog sie mit sich. Dann durchbrach ein lauter Knall die Stille, in dem sich ein angsterfüllter Schrei mischte.

„Mrs Lovett! Mrs Lovett!“

Dumpfe Laute folgten, als würde jemand gegen die Kellertür hämmern. Und mit plötzlicher Klarheit erkannte Mrs Lovett, dass ihr Schicksal besiegelt war. Es gab kein Entrinnen mehr aus dem Keller.
 

Regungslos blieb sie stehen. Noch immer hallten die markerschütternden Schreie des Jungen in ihren Ohren wider. Allmählich verstummte das heftige Trommeln gegen die schwere Eisentür und auch Tobys Rufe wurden schwächer.

Stille erfüllte nun wieder den Keller, lediglich durchbrochen vom gelegentlichen Knistern des Ofenfeuers. Mrs Lovett stutzte. Wie konnte das Feuer entfacht sein? Sie selbst hatte es gelöscht, bevor sie schlafen gegangen war!

Eine dunkle Vorahnung regte sich in Mrs Lovett und mit ihr erwachte so etwas wie Widerstand. Sie würde nicht tatenlos abwarten, was als nächstes passierte! Langsam schloss sie die Augen, um sich besser konzentrieren zu können, und begann zu zählen.
 

1…

2…

3…

Ein Scharren ertönte, als ob jemand seine Schuhsohle über den Boden gezogen - seinen Standpunkt verändert hätte.

4…

5…

Stoff raschelte.

6…

7…

8…

Mrs Lovett kam es vor, als könnte sie die Nähe des Unbekannten spüren … eine vertraute Nähe.

9…

10!
 

Mit aller Macht warf sich Mrs Lovett nach hinten. Anstatt jedoch gegen etwas zu prallen, wie sie es erwartet hatte, fiel sie ins Leere. Eiskalte Hände fingen den Sturz ab, bevor sie den Boden berühren konnte und richteten sie wieder auf.

Der Schrecken über diese ungeplante Wende ihres Vorhabens, ja, über den bisherigen Verlauf dieser Nacht hatte Mrs Lovett fest im Griff. Sie bemerkte noch nicht einmal, dass sich der nasse Lappen, mit dem ihre Augen verdeckt gewesen waren, gelöst hatte. Wie gebannt starrte sie auf den Anblick, der sich ihr bot. Die langen, kühlen Finger, die schmerzhaft ihr Genick umklammerten, waren bedeutungslos, ebenso wie ihr Vorhaben, sich umzudrehen und zu vergewissern, dass es tatsächlich der Barbier war, der hier sein Unwesen trieb, mit einem Mal vergessen war. Einzig und das Bild vor ihren Augen zählte.

Glutrotes Licht fiel durch die Gitterstäbe der eisernen Ofentür, tastete sich vorsichtig durch die Dunkelheit und beschien einen kleinen Flecken des schmutzigen Kellerbodens. Statt den Raum aber zu erhellen, erfüllte es ihn bloß mit einem schwachen dämmrigen Schein, der mehr Schatten aufwarf, als dass er sie vertrieb. In den tiefen Schatten jedoch leuchteten boshafte, angsteinflößende Fratzen, die mit grauenvoller Genugtuung zu offenbaren schienen, was die undurchdringliche Finsternis hinter dem Ofen hätte verbergen sollen. Die Überreste all jener unglückseligen Kunden, die Sweeney Todd, nichts ahnend von dem schrecklichen Schicksal, das sie durch diese Entscheidung ereilen würde, aufgesucht hatten.

Nun lagen sie da auf dem harten Kellerboden, die Knochen oftmals vom Sturz zerschmettert und das Fleisch offengelegt. All die unbrauchbaren Teile und all die, welche noch verwertet werden konnten, wurden von dem flackernden Kerzenlicht der Jack O‘ Laternen entblößt.
 

Mrs Lovett versuchte zu schlucken, ihren trockenen Mund zu befeuchten, irgendetwas zu tun, doch es war vergebens. Wie gelähmt stand sie da und starrte auf das grauenvolle Werk, das durch ihre Hand geschaffen worden war. Noch nie hatte sie sich großartig Gedanken über das gemacht, was sie tat, wenn sie ihrer blutigen Arbeit nachging. Es war lediglich ein Mittel zum Zweck für sie gewesen, um der Verwirklichung ihres Traumes ein Stückchen näher zu kommen, doch nun….

Entsetzen spiegelte sich in ihren Augen wider, als sie ihren starren Blick über die Gebeine schweifen ließ. Die Schatten, die das flackernde Kerzenlicht aufwarf, schienen lebendig, wanden sich um die teils verwesenden Überreste und sammelten sich in den leeren Augenhöhlen eines Totenschädels. Das breite Grinsen strafte dessen anklagenden Blick, der unverwandt auf der Bäckerin ruhte, Lügen.

„Dafür hätten Sie es verdient, zu sterben, meinen Sie nicht auch?“, ertönte da eine dunkle, raue Stimme hinter ihr.

Erschrocken zuckte Mrs Lovett zusammen. Wie hatte sie ihn so vergessen können? Sie wollte sich umdrehen, wollte ihm ins Gesicht sehen, doch hielt er sie unnachgiebig fest und verhinderte dies.

„Mi-Mister Todd?“, fragte sie schwach. Sie brachte nicht mehr die Beherrschung auf, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben.

„Können Sie das blutige Werk, das Sie selbst geschaffen haben, nicht mehr ertragen? Soll ich Sie von diesem Anblick erlösen?“

Mrs Lovett gab keine Antwort – dazu war sie gar nicht fähig. Ihre Stimme, so glaubte sie, hatte nun endgültig ihren Dienst versagt. Alles war so schrecklich falsch! Sie hatte Angst. In Mr Todds Stimme lag ein Tonfall, den sie nicht zu deuten vermochte, der ihr Furcht einflößte.

Sie spürte, wie sich der Griff langsam von ihrem Genick löste. Leicht strichen die eiskalten Finger über ihren Arm, hinterließen eine Gänsehaut und schlossen sich mit einem Mal heftig um ihr Handgelenk.
 

Angespannt lauschte Mrs Lovett, sich umzudrehen wagte sie nicht. Sie glaubte zu hören, wie der Barbier sich bückte. Dann hatte er sich aufgerichtet und ließ sie vollständig los. Sich zu bewegen, zu fliehen, traute sie sich immer noch nicht. Furcht lähmte sie weiterhin und fesselte sie an Ort und Stelle, nicht bereit, sie gehen zu lassen. Beinahe schon schicksalsergeben wartete die Bäckerin auf das, was nun folgen würde.

„Nun“, wisperte die dunkle Stimme dicht an ihrem Ohr, „den Gefallen werde ich Ihnen gerne tun.“

Ehe Mrs Lovett sich der Bedeutung dieser Worte in vollem Maße bewusst werden konnte, brach wieder feuchte, kalte Dunkelheit über sie herein. Erstaunt stellte sie fest, dass der Lappen nicht an ihrem Hinterkopf verbunden war, sondern einfach nur stramm festgehalten wurde und ihren Kopf unmerklich zurückzog.

Die plötzliche Dunkelheit aber vermochte es trotzdem nicht, den grauenhaften Anblick zu verbergen. Das Bild hatte sie auf ihre Netzhaut gebrannt und drängte sich vor ihrem inneren Auge in voller Stärke auf.

„Sie können es immer noch sehen, nicht wahr? So sehr Sie es auch wünschen, Sie können es nicht mehr vergessen.“

Als Mrs Lovett nicht antwortete, wiederholte der Barbier: „Ist es nicht so?“ Ein lauernder Unterton lag in diesen Worten und machte ihr unmissverständlich klar, dass sie antworten musste.

Hastig nickte sie. Der bloße Gedanke an die Folgen, die diese lächerliche Bewegung mit sich bringen konnte, drehte ihr den Magen um.
 

„Aber vielleicht liegt das ja auch nur an dem Gestank, der Sie an das eben gesehene erinnert“, fuhr Todd in seinen Überlegungen fort. Plötzlich spürte sie seine Nähe dich an ihrer Schulter. Sein Haar kitzelte sie am Hals und sie fühlte den warmen Atem auf ihrer Haut, als er sie mit einer unheimlichen Freundlichkeit aufforderte: „Na los, kommen Sie, meine Liebe – atmen Sie tief ein! Riechen Sie das nicht auch?“

Er machte eine Pause, in der Mrs Lovett tief Luft holte. Vergeblich zwang sie sich auf den Geruch zu konzentrieren, doch der stinkende Lappen machte ihr dies fast unmöglich und überlagerte alles andere. Sie machte erneut ein paar schnelle Atemzüge. Verzweiflung wuchs in ihr. Sie konnte beim besten Willen nichts anderes mehr ausmachen! Oder? Halt! Da war noch etwas anderes! Unterschwellig mischte sich der Geruch fauligen Wassers und von Schimmel dazu. Er musste aus der Kanalisation dringen. Aber war es tatsächlich das, was Mr Todd hören wollte?

Mit bebender Stimme hauchte Mrs Lovett: „Fäulnis, da ist Fäulnis aus der Kanalisation.“

„Da haben Sie zweifellos Recht“, bestätigte der Barbier in geheuchelter Freude, die seine Ungeduld nur schwer verbergen konnte. Schließlich seufzte er in gespielter Enttäuschung. „Sie enttäuschen mich, meine Liebe, ich hatte mehr von Ihnen erwartet. Doch scheint es tatsächlich so, als könnten Sie selbst den abscheulichen Geruch nicht einmal mehr wahrnehmen.“
 

Mit einem Mal fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Ihr wurde klar, worauf Mr Todd anspielte. Es war der entsetzliche Gestank des verwesenden Fleisches, der in der stickigen Luft hing! Der Gestank, dem sie Tag für Tag immer wieder aufs Neue ausgesetzt war, sodass ihn ihre Sinne irgendwann einfach ausgeblendet hatten.

„Das Fleisch!“, stieß Mrs Lovett hastig hervor.

„Ganz recht das Fleisch“, erwiderte Mr Todd leise, einen gefährlichen Tonfall anschlagend. „Das Fleisch all jener, welche mich ahnungslos aufsuchten, unwissend, welch grausames Schicksal ich für sie bereithielt. Aber sie hatten es verdient, meine Liebe – jeder einzelne von ihnen. Das wissen Sie doch, sonst hätten Sie Ihr grausames Werk nie so gewissenlos ausgeübt. Nur frage ich mich, waren Sie sich je der Folgen bewusst?“

„Was für Folgen?“

„Aber, aber die müssten doch Sie am besten kennen. Denken Sie nur mal daran, welcher Tag heute ist…“

Da wusste sie, worauf er hinauswollte. „Halloween!“

„Ja, Halloween. Und was meinen Sie wohl, wie die Geister der Verstorbenen die Tatsache auf nehmen, was Sie mit deren Körpern gemacht haben. Ihren fleischlichen Hüllen, die in geweihter Erde ruhen sollten, bis zum Jüngsten Tage.“

„Mr Todd?“ Dieses wirre Gerede bereitete Mrs Lovett Angst – große Angst. Wie konnte er von solchem Aberglauben mit dieser Überzeugung sprechen, nach allem was ihm widerfahren war? Wie konnte er da noch von Gott reden? Sie selbst hatte ihren Glauben schon vor langer Zeit verloren.

Der Barbier ließ sich von dieser Unterbrechung jedoch nicht ablenken, sondern fuhr unbeirrt fort: „All die verlorenen Seelen… sie sinnen nach Rache, wollen jene zur Rechenschaft ziehen, die ihnen das angetan, die sie zu dieser elendigen Daseinsform verdammt haben. Womöglich wollen Sie sich das nicht eingestehen, Mrs Lovett, doch trugen Sie ihren großen Teil dazu bei.“

„Mr T…bitte“, flüsterte Mrs Lovett mit bebender Stimme. Angst zerfraß sie.

„Aber heute, meine Liebe, heute ist der Tag gekommen, da es ihnen möglich sein wird, Vergeltung zu üben. Können Sie sie spüren, wie ihre rachsüchtigen Geister den Raum erfüllen, in dem die Überreste ihres Körpers verwesen?“

„Hören Sie auf, Mr Todd“, flehte sie. „So kommen Sie wieder zur Vernunft!“ Mit jedem Wort, das er ausgesprochen hatte, war die Erkenntnis ein bisschen mehr gereift. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass er nicht immer Herr seiner selbst war. Doch hatte er es die meiste Zeit über unter Kontrolle und so hatte sie einfach die Augen verschlossen, in der Hoffnung, dass es vergehen würde. Heute jedoch war es in all seiner schrecklichen Pracht aufgeblüht.
 

Mr Todd schien die Auswirkung seiner Worte zu bemerken, denn plötzlich beugte er sich über sie und stellte, den Mund dicht an ihrem Ohr, fest: „Sie haben Angst, meine Liebe, ist es nicht so?“

„Ja“, antwortete Mrs Lovett und nickte schwach. Sie spürte, wie ihr Haar seine Wange streifte. „Ja, das habe ich.“ Das und so viel mehr. Es war Todesangst, die sich in ihr eingenistet hatte und sie nicht mehr losließ, während ihre Gefühle einen verwirrenden Kampf austrugen. Denn in dem Moment, als Mr Todd ihr so nah kam, überfiel sie der widersinnige Wunsch, sich an ihn zu lehnen, seine Nähe zu spüren und nicht nur zu erahnen. Sie wollte sich in seiner Umarmung wissen, wollte von ihm hören, dass alles gut sei und sie sich nicht zu fürchten brauche.

Doch dieser Wunsch wurde mit den nächsten Worten im Nu wieder zerschlagen. „Ich frage mich, welche Todesart für Sie am angemessensten wäre. Vielleicht sollten Sie auf die gleich Weise wie meine Kunden sterben…“ Der Barbier trat einen Schritt von der Bäckerin zurück, ein Gefühl vollkommener Einsamkeit zurücklassend. Ein helles Klingen ertönte, als er sein Rasiermesser öffnete. Alles in Mrs Lovett verkrampfte sich bei diesem metallischen Klang. Nun, da er sein Mordwerkzeug zur Hand hatte, konnte jede Sekunde ihre letzte sein.

Plötzlich spürte sie das kalte Metall der Klinge auf ihrer Haut und fuhr in maßloser Panik zusammen. Ein stechender Schmerz durchzuckte sie, dann spürte sie etwas Warmes von ihrer Schulter hinab laufen.

„Schh, ganz ruhig, meine Liebe, Sie könnten sich noch verletzen“, flüsterte Mr Todd beruhigend und ließ die blutbefleckte Klinge sanft über ihren Nacken fahren, als würde sie die Haut liebkosen.

Alle Nackenhärchen hatten sich bei Mrs Lovett aufgerichtet, ein Schauer nach dem anderen durchlief sie und ein unkontrolliertes Zittern ließ ihre Zähne aufeinanderschlagen. Es lag auf der Hand, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hatte – nur wie? Mr Todd war unberechenbar. Sie vermochte sich nicht vorzustellen, was noch alles kommen konnte. Doch flößte ihr der bloße Gedanke noch mehr Angst ein.

Das scharfe Metall lag nun an ihrer Kehle. Der Druck, der auf dieses ausgeübt wurde, war so schwach, dass er die Haut noch nicht zerschnitt. Aber das war nur eine Frage der Zeit. Er musste lediglich eine schnelle Bewegung vollführen… Wann würde er dies tun? Wann?

Etwas Feuchtes lief ihre Wange hinab und tropfte vom Kinn. Erstaunt stellte Mrs Lovett fest, dass das Nasse nicht vom Lappen herrührte, sondern sie selbst es war – sie weinte!
 

So plötzlich wie das Metall ihre Haut berührt hatte, war es auf einmal wieder verschwunden. Eine Welle der Erleichterung wollte in Mrs Lovett aufsteigen, doch zwang sie sie mit all ihrer verbliebenen Willensstärke zurück. Sie wusste, dass es nicht vorbei war. Und sie behielt Recht.

„Nein“, überlegte Mr Todd laut, „das erscheint mir nicht angemessen…“

„Mr Todd, bitte, das ist Irrsinn, was Sie da machen“, brach es aus Mrs Lovett in all ihrer Furcht mit erstickter Stimme hervor.

„Ist es das?!“, donnerte er mit einem Mal. Grob wurde sie herumgerissen. Ein schmerzhafter Ruck durchlief den Lappen, sodass sie gar nicht anders konnte, als den Kopf in den Nacken zu legen, um den Schmerzen zu entgehen. Wäre der Lappen nicht gewesen, musste sie Mr Todd wohl nun direkt in die Augen sehen können. So jedoch umgab sie nur tiefe Dunkelheit, sie starrte ins Ungewisse, nicht wissend, was geschah.

Dann spürte sie auf einmal, wie kühle Fingerspitzen sanft über ihr Schlüsselbein strichen, hinauf zu ihrer Kehle wanderten und von dort die Halsschlagader entlangfuhren. Die Berührung löste ein Schaudern in Mrs Lovett aus und stürzte sie in tiefste Verwirrung. Der Damm war nun endgültig gebrochen und neu geweckte Hoffnung strömte durch ihn hindurch, immer mit der sicheren Gewissheit an der Seite, dass es falsch war. Nur wollte Mrs Lovett davon nichts wissen. Denn wenn sie schon sterben musste, wollte sie wenigstens noch einen schönen Augenblick erleben, einen wie diesen.
 

Sie genoss die Fingerspitzen auf ihrer Haut und war versucht, die Arme nach Mr Todd auszustrecken, bis er auf einmal ihr Kinn in die Hand nahm. Alles in ihr erstarrte, wartete auf das, was nun geschehen würde. Sie merkte, wie der Druck seiner Finger ihren Kopf sanft hin und her drehte, als wollte er ihr Gesicht begutachten.

„Mrs Lovett, Mrs Lovett“, murmelte er, „was soll ich bloß mit Ihnen machen?“

Von ihrer neu erwachten Hoffnung gestärkt, setzte Mrs Lovett zu einer Erwiderung an: „Mr T, ich …“, und brach abrupt ab, als sie seinen Finger auf ihren Lippen spürte.

„Schh, sagen Sie nichts“, hörte sie ihn beruhigend flüstern, wobei der sanfte Druck seines Fingers wieder verschwand. Dann packte er zu.

Ein erstickter Laut entwich Mrs Lovett, während sich sein eiserner Griff um ihre entblößte Kehle schloss.

„Ich könnte Sie erwürgen“, fuhr Mr Todd in seinen Überlegungen fort. Der Druck wurde stärker. Verzweifelt rang sie nach Luft. In ihrer Not nahm sie seinen Arm und versuchte seinem Würgegriff zu entgehen. Schnell jedoch wurde ihr klar, dass er nicht fest genug zu drückte, um ihr die Luft gänzlich abzuschnüren. Nein, er ließ sie noch ein wenig zappeln. Hoffnungslosigkeit grub sich in Mrs Lovett bei dieser Erkenntnis. Kraftlos ließ sie ihre Arme wieder sinken. Sie würde ohnehin sterben. Was nützte ihr da noch Widerstand? Sie würde sterben!

Durch Mr Todd.
 

Brutal wurde sie plötzlich nach hinten gestoßen, so fest, dass sie über ihre eigenen Füße stolperte. Einzig und allein der Würgegriff verhinderte ihren Sturz und zwang sie weiter zurück. Ihre Beine zitterten, fühlten sich wie Pudding an, nicht fähig, sie noch weiter zu tragen. Sie brach zusammen.

Schmerz durchfuhr sie, als sie wie eine leblose Puppe an Mr Tods Hand hing, unfähig von selbst wieder aufzustehen. Sie röchelte. Die Luft wurde knapp, rote Punkte begannen vor ihren Augen zu tanzen und ihr schwindelte. Sie nahm kaum wahr, wie Mr Todds andere Hand sich auf ihren Oberarm legte und sie wieder auf die Beine zog. Dabei rutschte der Lappen von ihrem Gesicht und gab ihr endlich wieder den Blick auf das Geschehen frei.

Benommen blinzelte Mrs Lovett, doch konnte sie nur schemenhafte Umrisse ausmachen, die mit der Dunkelheit verschmolzen. Ein lautes, metallisches Geräusch ertönte und Licht durchdrang den Keller. Zugleich spürte sie eine sengende Hitze im Rücken. Mr Todd musste die Ofentür geöffnet haben.
 

Vorsichtig drehte sich Mrs Lovett um und wandte sich, geblendet vom hellen Schein des Feuers, schnell wieder ab. Sie schloss die Augen, als ihr Umfeld auf einmal zu schwanken begann. Der Schwindel hatte sich noch nicht gelegt und während sie gegen ihn ankämpfte, hörte sie, wie Mr Todd vor sie trat

Blinzelnd versuchte sie ihn in dem Licht auszumachen. Nur langsam verblassten die Flecken vor ihren Augen und lösten sich die Konturen aus dem Schattengemisch heraus. Und dann sah sie ihn zum ersten Mal in dieser entsetzlichen Nacht, starrte ihm direkt ins Gesicht und wünschte verzweifelt, den nassen Lappen herbei, der die bittere Realität vor ihr verbarg.

Das sonst so kalte, ausdruckslose Dunkelbraun seiner Augen schien ihm flackernden Widerschein rot zu glühen und offenbarte den Wahnsinn, der sich dahinter verbarg. Starr waren sie auf die Bäckerin gerichtet und schienen sie durchbohren zu wollen. Mrs Lovett konnte diesem fieberhaften Glanz nicht länger ertragen und konnte sich doch nicht abwenden.
 

Schließlich bereitete Mr Todd dem ein Ende. Ausdruckslos mit einem Anflug von Gleichmut beobachtete sie, wie sich seine Hände auf ihre Schultern legten und sie beinahe sanft in Richtung offener Ofentür drehten. Unwillkürlich trat sie einen Schritt vor, dem Ofen entgegen, als sie den auffordernden Druck seiner Hände spürte.

Was wohl geschehen würde?

Etwas in ihr begehrte bei dem Gedanken an ihr unausweichliches Schicksal auf und kämpfte gegen die schützenden Mauern aus tauber Gleichgültigkeit an. Ihr Blick war unverwandt auf die hellen, sich windenden Flammen gerichtet.

Plötzlich mischte sich Mr Todds dunkle, unergründliche Stimme in das Knistern des Feuers: „Mrs Lovett, was hat man früher mit Frauen gemacht, denen der Teufel innewohnte, die man als Hexen fürchtete?“

Beinahe spielerisch umstrichen die Worte ihr Ohr, während sie wie hypnotisiert in die lodernden Flammen starrte. Zäh wie Honig sickerte die Bedeutung dieser Worte durch ihre Gedanken. Sie sah die züngelnden Flammen am Gitterrost lecken, begierig darauf, ein neues Opfer vorgeworfen zu bekommen, das ihnen zu verschlingen erlaubt war.

Schlagartig begriff sie, was Mr Todd vorhatte. Nein!, schrie es in ihr und fegte die betäubende Gleichgültigkeit hinfort. Das konnte nicht sein! Das war ein Albtraum, nichts weiter als ein Albtraum, bloß ein Albtraum!
 

Seine Lippen berührten fast ihr Ohr, als er nahezu andächtig hauchte: „Man hat sie verbrannt.“

Panisch fuhr Mrs Lovett herum. Todesangst beherrschte sie, erfüllte jede Faser ihres Körpers. Das helle Licht der Flammen blendete sie jedoch so sehr, dass es ihr nicht möglich war, sein Gesicht auszumachen. Aber das brauchte sie nicht. Der Druck auf ihrer Brust sagte alles. Die Hitze in ihrem Rücken wurde unerträglich. Flammen streckten sich gierig nach ihrem Kleid aus.

Das Letzte, was sie sah, bevor sie die Augen schloss, war das grausame Lächeln Mr Todds. Sie wollte ihn nicht vor sich sehen – ihn, ihren Mörder.

„Fröhliches Halloween, m…“

„Mrs Lovett!“

Ein lauter Knall folgte dem entsetzten Ausruf, als die Kellertür gegen die Wand schlug.

Erschrocken sah Mrs Lovett auf, direkt zu Toby, der mitten auf der Schwelle zum Keller stand. Doch ehe sie die Situation überhaupt gänzlich erfassen konnte, lief Mr Todd geistesgegenwärtig auf den Jungen zu, ein gezwungenes, freundliches Lächeln im Gesicht. „Was ist los?“, wollte er mit hölzerner Stimme wissen. Aber da hatte auch Mrs Lovett begriffen. Wie das spitze Ende eines Dolches hatte es sich einen Weg durch das Chaos in ihrem Kopf gebohrt und sie trat eilig, wenn auch etwas unsicher auf den Beinen, an Mr Todds Seite. Die maßlose Furcht saß noch immer tief in ihren Knochen.
 

„Aber was hast du denn?“, sagte sie und versuchte ihre schreckerstarrten Züge zu einem beruhigenden Lächeln zu verzerren.

Eine Mischung aus Verwirrung und Zweifel lag in Tobys Blick, während er skeptisch von Mrs Lovett zu Mr Todd und wieder zurück sah, bis er schließlich zu erzählen begann: „Da…da waren Geräusche gewesen. Hier im Keller. Ich wollte erst auf Sie warten, Mum, aber ich…ich bin nachsehen gegangen, weil ich es nicht länger aushielt. Und dann waren da Sie, Mr Todd. Sie haben mich gefesselt und mir die Augen verbunden u-und plötzlich haben Sie geschrien Mrs Lovett! M-M-Mister Todd hatte S…“

„Schh, alles ist gut, mein Kleiner, da war nichts“, unterbrach ihn Mrs Lovett hastig in dem Versuch, ihn zu beruhigen und auf andere Gedanken zu bringen. „Wie kommst du nur darauf, dass Mr Todd solch eine Sache tun könnte? Du hast bestimmt nur schlecht geschlafen.“

„Und die Geräusche, die du glaubst, gehört zu haben, könnten von den Eimern gekommen sein“, fügte Mr Todd ausdruckslos hinzu und deutete in eine Ecke, in der tatsächlich welche standen. Sofort griff Mrs Lovett den Faden auf und erklärte rasch: „Mr Todd war nämlich so nett, mir noch beim Aufräumen des Kellers zu helfen.“

Überrascht hob dieser unmerklich eine Augenbraue, dann nickte er zustimmend.
 

Stille trat ein, in der Toby sie beide nur verwirrt mit einer Spur von Misstrauen anstarrte, bis Mrs Lovett schließlich eingriff. „So, aber jetzt ab ins Bett mit dir! Es ist mitten in der Nacht und der morgige Tag wird sicherlich anstrengend werden.“

Toby aber wollte sich nicht so leicht abwimmeln lassen und versuchte vergeblich einen Blick an den beiden Erwachsenen vorbei zu erhaschen. Doch schnell hatte Mrs Lovett nach der Kellertür gegriffen, die sie hastig zuzog, während Mr Todd den Jungen unwirsch die Treppe hinauf drängte. „Es wäre besser, wenn du auf Mrs Lovett hören würdest.“

Da gab der Junge schließlich seine Hartnäckigkeit auf und lief, gefolgt vom Barbier, eilig die Treppe hoch. Währenddessen blieb Mrs Lovett unten stehen und sah ihnen nachdenklich hinterher. Sie wusste, dass in dieser Nacht ein hartes Stück Arbeit auf sie zukommen würde und sie zweifelte mit einem Mal, ob sie es in dieser Nacht überhaupt noch einmal fertigbringen würde, den Keller zu betreten. Allein der bloße Gedanke bereitete ihr maßlose Furcht. Nein, sie würde noch etwas brauchen, um den Schrecken zu überwinden.

Auf einmal hörte sie Schritte. Als Mrs Lovett aufsah, blickte sie Mr Todd entgegen, der wortlos Stufe für Stufe hinab schritt. Flüchtig erwiderte er ihren Blick, ohne die geringste Gefühlsregung preiszugeben.

„Ich mache das“, brummte er mit einem Nicken in Richtung Kellertür. „Kümmern Sie sich um den Jungen.“

Und damit verschwand er in dem verhängnisvollen Raum, eine verwirrte Mrs Lovett zurücklassend.
 

„Siehst du“, sagte Mrs Lovett beruhigend am darauffolgenden Tag zu Toby, als sie die Kellertreppe wieder hinaufgingen, „da war wirklich nichts – du hast einfach nur schlecht geträumt, das ist alles.“

Unentschlossen entgegnete Toby ihr aufmunterndes Lächeln und gestand sich widerwillig ein, dass sie Recht hatte. Der saubere und aufgeräumte Keller war Beweis genug. Lediglich der entsetzliche Gestank gefiel ihm nicht, aber der kam sicherlich bloß aus der Kanalisation.

Zerknirscht senkte er den Kopf, während sie wieder in die Küche zurückgingen und gab schließlich betreten zu: „Ja, das muss es wohl gewesen sein…“

„…nichts weiter als ein böser Albtraum“, ergänzte Mrs Lovett und schenkte Mr Todd – ihrem Mr T – ein unsicheres Lächeln, während sie gedankenverloren über das Halstuch strich, das sie wohl eine Weile lang noch würde tragen müssen.
 

~*~*~*~
 

Nachwort:

In diesem Fall kann ein Nachwort leider nicht ausbleiben, da ich ein paar Dinge des Two-Shots gerne ein wenig erläutern möchte.

Zuallererst sah ich mich auf einmal mit dem Problem konfrontiert, dass ich keine Ahnung hatte, wie Halloween zu Sweeneys Zeiten überhaupt aussah. Da ich aber weiß, dass ungefähr zu dieser Zeit der Brauch durch die Iren erst nach Amerika gekommen ist, wo er sich dann zu dem entwickelt hat, was wir heute darunter verstehen und auch die Kürbisse hauptsächlich deswegen benutzt werden, weil es die wohl in Amerika im Überfluss gab, habe ich in dem Fall zu den Rüben zurückgegriffen, die früher von den Kelten eigentlich für diesen Tag verwendet wurden. Halloween an sich war durch die Kelten, denke ich mal trotzdem recht bekannt und so halte ich es für nicht ganz abwegig, dass Mrs Lovett entweder selbst oder eben durch einen Kunden von diesem Brauch weiß. Trotzdem kann ich nicht garantieren, dass das alles hier seine Richtigkeit hat und wer sieht, dass etwas falsch ist, kann mir gerne Bescheid sagen.

Desweiteren hatte ich besonders beim zweiten Teil auf einmal das Problem, die Charaktere glaubwürdig darzustellen. Dass Sweeney so eine Art Halloween Streich spielt, ist wirklich gänzlich unwahrscheinlich, weshalb ich mir seine Eigenschaft, dass er sehr nachtragend ist, zunutze gemacht habe und er sich sozusagen an Mrs Lovett rächen will. Wofür sollte klar sein. Sein Verhalten im Keller lässt sich irgendwie damit rechtfertigen, dass er irgendwo mehr oder weniger seinem Wahnsinn unterliegt. Seine plötzliche Redseligkeit könnte man anhand der Szenen im Film beweisen, in denen er ein Ziel verfolgt - dann erweist er sich als recht redegewandt und lässt sich zu längeren Sätzen herab, bis er sein Ziel erreicht hat. Und trotzdem wirkt's auf mich noch OoC.

Der Two-Shot war also so gesehen mehr oder weniger ein Experiment für mich. Deswegen wären (falls jemand seinen Senf hierzu abgeben möchte) Adjektive wie langweilig, spannend, unspektakulär, geheimnisvoll, einfallslos usw. in einem Kommentar sehr hilfreich für mich ;)

An dieser Stelle ein Dankeschön dafür, dass du dir das Nachwort durchgelesen hast und gleichzeitig eine Entschuldigung, dass ich es geschrieben habe.
 

lg -Hakura



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  FarinaUrlaub
2010-03-16T20:01:37+00:00 16.03.2010 21:01
puh ._____. also erstmal muss ich sagen: richtig spannend!! wirklich sehr aufregend, ich habe förmlich am bildschirm geklebt!
dein schreibstil gefällt mir unglaublich gut, deine metaphern etc sind hervorragend formuliert!
die story der "geschichte" ist interessant und die charas finde ich grösstenteils auch sehr inchara (da muss ich dir im bezug aufs nachwort widersprechen^^). die argumentation ist nachvollziehbar, jeder sollte bemerken, dass das geschehene sweeney gezeichnet hat und ihm den hauch von wahnsinn gegeben hat.
welche frage ich mir jetzt stelle: hätte er sie wirklich in den ofen geschubst, wenn toby nicht hereingeplatzt wäre? auf der einen seite würde es mir plausibel erscheinen, auf der anderen auch wieder nicht; ich schätze ihn so ein, dass er ihr auch "lediglich" eine lektion erteilen wollte, sie ein wenig schocken wollte, um ihr zb seine macht zu demonstrieren oder aus anderen gründen, die ich jetzt nicht alle aufzählen werde. (falls du also nochmal schreibwut bekommst und ideen hast, fänd ich einen letzten teil des dann nicht mehr twoshots interessant ^.^)
desweiteren habe ich die ganze zeit auf mr harrison gewartet, denn als sweeney seinen plan gefasst hatte, klang es danach, als sei er in den plan mit einbezogen. aber wahrscheinlich war er eher der auslöser des gedankens, so war das wahrscheinlich gemeint ^^
alles in allem: hervorragend, spannend, packend und toll geschrieben!
übrigens find ich die anderen os auch sehr gelungen *__*


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