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Wie das Leben so spielt

von

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Prolog

Ein absolut laienhafter Versuch, aus der Situation heraus spontan entstanden oder zumindest begonnen. ^^
 


 

Prolog
 

Er hätte es ahnen müssen, als er heute morgen die Augen aufgeschlagen hatte... Den heutigen Tag hätte er lieber im Bett verbringen sollen... Doch wider besseren Wissens hatte er sich aus dem Bett gequählt und sich prompt den Zeh äusserst schmerzhaft an seiner alten Schranktür gestossen. Im Badezimmer hatte sein Kopf unliebsam Bekanntschaft mit der offenen Tür des Spiegelschranks über dem Waschbecken gemacht und beim Verlassen des Raumes hatte er zu allem Überfluss noch die Klinke mitgenommen. Das Einzige, was noch gefehlt hatte, war, dass ihm jemand auf dem Weg in die Küche die Haustür in den Schritt gerammt hätte...

Erstaunlicherweise war nichts dergleichen passiert und er hatte die Küche aufrecht gehend betreten können. Sein Frühstück hatte er allerdings mehr heruntergezwängt, als wirklich genossen, und auch der Kaffee hatte ihm nicht sonderlich geschmeckt.

Seine Mutter hatte sein Verhalten kommentarlos hingenommen und er war dankbar, dass sie ihn nicht mit Fragen gelöchert hatte, was seine Laune wohl noch tiefer hätte sinken lassen.

Eigentlich hatte er ja gehofft, dass der Besuch im elterlichen Haus inspirierend auf ihn wirken würde, aber das war nicht der Fall gewesen. Seit Tagen hatte er, nach seinem Verständnis, nur auf seinem Keyboard herumgeklimpert, grimmig ins Leere gestarrt oder sich einen Soundtrack nach dem anderen um die Ohren spielen lassen. Die nächste Stufe würde dann ein endloser Filmemarathon werden, prophezeite er sich missmutig.

Verdammt, er wollte schreiben! Er wollte komponieren! Er wollte endlich all den Kram irgendwie verarbeiten, aber nichts bekam er zustande! Was zum Henker war los mit ihm!!?? Er hatte Unmengen von Ideen und relativ konkrete Vorstellungen von den Songs, aber immer wenn er zum komponieren ansetzte, war es weg! Was sollte der Mist???

Total gefrustet und unzufrieden mit sich selbst, hatte er sich letztendlich zu einem Spaziergang durchringen können. In der Hoffnung, dass ihm ja vielleicht etwas frische Luft weiterhelfen würde...

Also verliess er kurz darauf finster dreinblickend das Haus und wollte gerade die Strasse betreten, als er seine Mutter hinter sich nach ihm rufen hörte. Er drehte sich wieder um, als sie auch schon aus dem Haus treten sah. „Soll ich dich mitnehmen? Ich muss noch nach Kitee und du meintest doch gestern, dass du auch etwas in der Stadt zu erledigen hast.“ Er seufzte innerlich. Das war nun nicht gerade das, was er jetzt unbedingt machen wollte, aber gut. Dann hatte er den Amtsgang zumindest hinter sich. Also nickte er nur schweigend und begab sich Richtung Auto.

Eine Stunde später verliess er das Amt und trottete, die Hande in den Hosentaschen vergraben, die Strasse entlang. Nicht, dass er irgendetwas von seiner Umgebung wahrgenommen hätte. All seine Aufmerksamkeit war nach innen gerichtet und befasste sich mit den negativen Gefühlen, der eigentlich unbegründeten Wut, die in seinem Inneren wallte.

Er schreckte erst aus seinen finsteren Gedanken, als neben ihm die Tür eines Kleinbusses aufgerissen wurde und ihm plötzlich englischer HipHop entgegenbrüllte. Geschockt blieb er wie angewurzelt stehen, was ihn im nächsten Augenblick davor bewahrte, von 5 Teenagern umgerannt zu werden, die lauthals gröhlend aus dem Bus sprangen. Als der Junge mit dem Ghettoblaster auf der Schulter an ihm „vorbeizappelte“, als etwas anderes konnte er dessen Bewegungen spontan nicht einordnen, schloss er kurz um Beherrschung ringend die Augen. Sich innerlich zur Ruhe ermahnend, liess er das Gestammel über sich ergehen, dennoch verspürte er das wachsende Verlangen, seiner schlechten Laune einmal im Leben physisch Ausdruck zu verleihen... Doch er beherrschte sich und liess die Knaben an sich vorbei zum hinteren Teil des Kleinbusses gehen, wo ein ziemlich gestresst aussehender Fahrer bereits Gepäck auf die Strasse stellte.

Sich innerlich völlig genervt die Stirn massierend, setzte er sich wieder in Bewegung, um diesem Tumult schnellstmöglichst zu entkommen. Heute war einfach nicht sein Tag...
 

„Oh Gott~...“, seufzte sie zutiefst erleichtert, als sie aus dem Bus stieg. Seit Stunden war sie mit diesen Deppen in dem dafür viel zu kleinen Bus eingesperrt gewesen und hatte ihren MP3-Player tapfer gegen die Daür-Rap-HipHop-Beschallung dieser Kids ankämpfen lassen. Noch dazu hatten sie gestunken, als ob sie in ihre Au-de-Toilette-Flaschen gefallen wären, was auch das daürhaft geöffnete Fahrer- und Beifahrerfenster nicht hatten ändern können. Nun füllte sie ihre Lunge geniesserisch mit der frischen Luft und bemerkte geradenoch rechtzeitig aus den Augenwinkeln, wie jemand in den Ausstiegsbereich der Tür trat. Geistesgegenwärtig versuchte sie ihrem Körper eine andere Richtung zu geben, um nicht, anstatt auf die Strasse zu treten, in die Person reinzurennen. Sie schaffte es sogar, der Person nicht auf die Füsse zu steigen, strauchelte allerdings und musste sich mit einer Hand an der Tür abfangen, um sie nicht doch noch mitzunehmen. Selbst noch überrascht von ihrer reflexartigen Reaktion, murmelte sie eine Entschuldigung und blickte von ihren Füssen auf, die nur Milimeter von den Schuhen ihres Gegenübers entfernt waren... – und direkt in ein Paar blitzende grau-grüne Augen.

Überrascht machte ihr Herz einen Satz und wie von selbst zuckten ihre Augenbrauen nach oben. “Was? Ich gehör nicht zu denen! Kein Grund, mich gleich aufzufressen...“

Noch während ihr Mund mit der Formulierung dieser Worte beschäftigt war, durchfuhr es sie siedendheiss, als ihr Gehirn registrierte, wen sie da vor sich hatte. Das ist Tuomas...!!! quietschte ein Teil von ihr in ihrem Kopf, während der Rest diese Information noch gar nicht richtig verarbeiten konnte und für den Augenblick wie versteinert wirkte.

Versteinert wirkte auch Tuomas Gesicht, doch in dessen Augen funkelte es alarmierend, als er die Kiefer aufeinanderpresste und seinen Blick schliesslich genauso kurz, wie auch arrogant über ihre Erscheinung huschen liess. Schwarzes figurbetontes Oberteil, Kette mit irgendeinem silbernen Tierkopf, kakifarbene Trekkinghose, dazu passende Jeansjacke über dem Arm, braun-graü Trekkingschuhe. Der quietschende Teil von ihr bekam fast einen Herzinfakt, während der Rest sich völlig nüchtern fragte, wie viele weibliche Fans an ihrer Stelle jetzt wohl schon ohnmächtig zu Boden gegangen wären...

„Was? Muss ich Werbung für Metal laufen, um es hören zu dürfen???“, rutschte es ihr daraufhin raus. Im ersten Moment hätte sich sich am liebsten auf die Zunge gebissen, aber andererseits, warum sollte sie sich ihm gegenüber anders verhalten, als sie war?! Gut, er war berühmt und ziemlich viele Frauen lagen ihm zu Füssen, aber er war hier derjenige, der sie völlig grundlos abwertend behandelte! Sie hatte jedes Recht, selbst leicht angefressen zu sein.Was hatte sie ihm denn getan, dass er sie wie irgendsöin ekliges Insekt behandelte???

Gerade, als sie sich innerlich auf ein kleines Wortgefecht vorbereitete, bemerkte sie den Fahrer, der gerade ihren Backpack und ihre Sporttasche aus dem Kofferraum gehievt hatte. Als Tuomas noch immer nichts sagte, als der Fahrer diese neben dem Bus abgestellt hatte und wieder im Kofferraum verschwand, nahm sie kurz den Blick von Tuomas. „Seien Sie bitte vorsichtig mit mei-“ Ein unheilverkündendes Reissen liess sie mitten im Satz verstummen und ihr sämtliche Haare zu Berge stehen. Mit einem geschockt-gequählten Ächzen fuhr sie sich mit beiden Händen durchs Gesicht und eilte nach einer Schocksekunde nach hinten, um sich den Schaden anzusehen. Kurz bevor sie den Kofferraum erreichte, erschien der Fahrer in ihrem Blickfeld, ihre Gigbag in der Hand. Als er ihr bleiches Gesicht bemerkte, lächelte er und beruhigte sie mit unverkennbarem finnischen Akzent: „Keine Sorge. Nix passiert.“

Unendlich erleichtert sackte sie in sich zusammen und nahm ihr Instrument entgegen. Wär ja auch zu hart gewesen, wenn sie sich schon wieder ne neue E-Gitarre hätte kaufen müssen... „- Ey scheiss doch auf die Gitarre!!!“, drang es plötzlich in ihre Gedanken. „Wozu brauchste die denn? Mit nem Keyboard und dem Mischpult macht man richtige Musik!“

Es dauerte eine Weile, bis ihr Hirn das Gesagte verarbeitet hatte und dann konnte sie nicht anders, als den Typen links von sich aus offenem Mund anzustarren. Schliesslich fand sie ihre Sprache wieder und gleichzeitig ein willkommenes Ventil für die aufsteigende schlechte Laune. „Ey Junge, gehts noch?! Das, was ihr da hört, ist nie im Leben Musik-“ „- Aber sowas von die Musik schlechthin!!!“, unterbrach er sie prahlend. „Die Beste, wo gibt!!!“ „Das, was ihr da hört, is ne Zumutung, ne Krankheit! Früher auch bekannt als „stottern“ und was noch viel wichtiger ist, es war heilbar!!!“

Darauf war er wohl nicht vorbereitet gewesen, denn nun starrte er sie fassungslos an.

„Hä??? Was willste von mir??? Zig Millionen Menschen hören HipHop, also sach mal nix!!!-“ „-Gib dich nicht auf!“, unterbrach sie ihn –nun richtig in Fahrt kommend- in einem Tonfall, als ob sie ihm wegen irgendetwas Mut zusprechen wollte. „Lern sprechen und laufen!!! Auch in deiner Stadt gibt es Logopäden und Physiotherapeuten!“

Neben sich hörte sie etwas, was sich verdächtig nach einem schlecht kaschierten Lachen anhörte. Dann sah sie, wie der Fahrer dem Jungen die letzte Tasche in die Arme drückte. Dieser schien das als Zeichen zu nehmen, sich, immernoch sprachlos, zu trollen. Allerdings gab er ihr nach kaum fünf Metern schon die Bestätigung für den nächsten Spruch. Mit einem trotzigen Gesichtsausdruck drehte er sich nochmals um und machte ein paar dieser typisch dämlichen HipHop-Rap-Gesten, die er für unheimlich cool zu halten schien, bevor er sich wieder umdrehte und seinen Kumpels in die Seitenstrasse folgte.

„Deren Vorfahren haben es auch nie wirklich von den Bäumen geschafft...“, seufzte sie kopfschüttelnd und schulterte ihren Backpack. Alter Schwede, so dumm musste man echt geboren werden... Heutzutage konnte man wohl 3 Arten von Kindern auf die Welt bringen. Mädchen, Jungen und HipHopper. Wobei letzteres wohl einen Gendefekt implizierte...

Bewegungslegisteniker!, dachte sie abschliessend und sah sich dann suchend um.

Jyri hatte gesagt, dass er sie hier abholen würde... Gut, sie war – sie griff in die Hosentasche und holte ihr Handy raus, um kurz darauf zu blicken – und schliesslich darauf zu starren. Das gabts doch nicht! Zwei Stunden zu früh??? Reflexmässig hob sie den Blick zur Sonne, nur um ihn fast sofort wieder zu senken. Sie war hier in Finnland, nicht in Deutschland, wo sie anhand des Sonnenstandes die Uhrzeit fast minutengenau feststellen konnte. Diese Fähigkeit würde ihr hier die nächsten Tage nichts bringen, sie würde ihrem Handy wohl so glauben müssen...

Oh man...Das gab’s doch wohl nicht... Sie konnte nun also dumm rumsitzen und warten oder sein Elternhaus auf gut Glück suchen gehen. Resignierend seufzend liess sie ihren Kopf in den Nacken fallen und starrte in den Himmel... Moment mal! Ruckartig drehte sie sich herum, doch Tuomas stand nicht mehr dort, wo sie ihn stehengelassen hatte. ‚Warum sollte er auch?’, fragte sie eine leise Stimme im Hinterkopf augenrollend. Doch dann sah sie ihn auf der anderen Seite des Busses mit dem Fahrer sprechen. Gerade wollte sie den Mund öffnen, um ihn zu fragen, ob er ihr vielleicht weiterhelfen würde, als sie schnelle Schritte hörte und ihr jemand von hinten um den Hals fiel. Auf das plötzliche zusätzliche Gewicht nicht vorbereitet, wurde sie schmerzhaft hintenüber gezogen. „Hey~!!!“, hörte sie Jyris begeisterte Stimme. „Was machst du denn schon hier?“ Sie griff nach seinem Arm und versuchte sich loszumachen. “Dir in den Arsch treten, wenn du mich nicht sofort loslässt!” röchelte sie mit schmerzerfüllter Stimme. „Willst du mir das Rückrat brechen?!“ Ächzend wandte sie sich aus seinem Griff und rieb sich den schmerzenden Rücken, nachdem sie den Backpack abgestellt hatte. Trotz ihres bissigen Kommentars lachte Jyri und strahlte sie an. „Eigentlich ist es ja etwas unpassend, dass du schon da bist. Ich wollt dich mit nem tollen Mittagessen überraschen, aber hey! Was solls!?“ Sein Grinsen wurde noch breiter. „Ich freu mich riesig, dass du da bist!!!“ Er breitete die Arme aus, um sie ein weiteres Mal zu umarmen, als sie ihm den Zeigefinger auf die Nasenspitze legte. Er verharrte mitten in der Bewegung und sah sie mit seinen blauen Augen fragend an. „Du, mein lieber Freund, zahlst erstmal 5 Euro in die Sprachkasse! Wir hatten abgemacht, dass wir nach Verlassen des deutschen Staatsgebietes Englisch sprechen!“

Seine Augen wurden bei ihren Worten immer grösser, doch dann brach er in heiteres Gelächter aus und schlug sich die Hand vor die Stirn. „Und ich hab mich schon gewundert, warum du die ganze Zeit auf englisch antwortest!“, erwiederte er nun ebenfalls in englisch. „Hat ich total vergessen!“

„Offensichtlich...“, stellte sie schmunzelnd fest. Unnormal, wie seine gute Laune abfärben konnte... „Ich hätte dir auch glattweg unterstellt, dass du dich davor drücken wolltest.“ „Nein, da muss ich dich enttäuschen!“, grinste er mit gespieltem Bedaürn. „Ich find die Idee im Endeffekt sogar ziemlich gut.“ Er zwinkerte ihr zu und griff dann nach ihrer Sporttasche. „Hast du dein Seil gar nicht mit?“, fragte er mit einem Blick auf ihren Backpack. „Doch,“ grinste sie, und als sie anhand seiner Bewegungen registrierte, dass er die Tasche leichter eingeschätzt hatte, als sie tatsächlich war, fügte sie hinzu: „Ist in der Tasche.“

„Hätt ich mir ja denken können...“, murmelte er und hievte die Tasche hoch. „Und ich schätze mal, die ganze andere Ausrüstung ist auch hier drin.“ Sie grinste noch breiter. „Genau.“

Er seufzte und schüttelte ergeben den Kopf. „Lässt du die eigentlich auch mal Zuhause?“

Sie wusste, dass die Frage rhetorisch gemeint war, trotzdem antwortete sie. „Nur, wenn das Wetter beschissen oder Winter ist, aber ganz bestimmt nicht, wenn ich in den Urlaub fahre.“

Sie wuchtete den Backpack wieder auf ihren Rücken und griff nach der Gigbag. „Na dann zeig mir mal, wo du wohnst.“

„Mit dem grössten Vergnügen! Du wirst begeistert sein! Wir haben jetzt sogar einen Pool hinterm Haus!“ “Echt? Krass...“ Sie verzog anerkennend das Gesicht. „Hat wirklich seine Vorteile, vermögende Eltern zu haben...“ „Ja, ist nicht ganz unpraktisch“, grinste er. „Wie war eigentlich deine Fahrt hierher?“

„Oh Gott, erinner mich nicht daran!“, seufzte sie theatralisch die Augen verdrehend. „Für diese Zumutung schuldest du mir eigentlich etwas. Mindestens zwei ziemlich gute Mittagessen!“ Verwundert, aber auch amüsiert zog er eine Augenbraue hoch. „Ist das so!?“

„Jap! Rate mal, mit wem ich den Bus teilen durfte!“ So wie sie das Wort >durfte< betonte, bedeutete das nichts Gutes... „Keine Ahnung, aber anscheinend war es nicht gerade berauschend.“ „Mit HipHoppern! HIPHOPPERN!!! Dämlichen kleinen rappenden HipHopper-Plagen!“, ereiferte sie sich.

Mittlerweile waren sie an den Rand der Parkbucht getreten und blickten nun auf die Strasse hinaus, die sie als nächstes überqueren wollten. “Und die haben das überlebt?”, fragte er erstaunt. „Man mag’s kaum glauben“, knurrte sie und fuhr sich durch die dunkel gefärbten Haare. „Allerdings hat sie dem Einen noch eine schöne verbale Keule verpasst“, hörten sie es neben sich. Als sie erstaunt die Köpfe drehten, konnten sie den Busfahrer ein paar Meter entfernt grinsen sehen.

„Was hast du gesagt!?“ Alarmiert heftete sich Jyris Blick auf ihr Gesicht. Nach einigen Rumgedruckse, meinte sie schliesslich unschuldig: „Och... irgendwas von Krankheit, heilbar, Logophäden,...“ Mit einer unbestimmten Handbewegung liess sie den Satz unvollendet zwischen ihnen stehen und Jyri griff sich stöhnend an die Stirn.

„Das Bewegungslegisteniker hab ich mir immerhin nur gedacht“, verteidigte sie sich grummelnd und begutachtete intensiv die Spitzen ihrer Schuhe.

„Mädchen“, seufzte Jyri neben ihr. „Dein loses Mundwerk wird dich nochmal ziemlich böse in Schwierigkeiten bringen...“ „Wohl eher meine Ehrlichkeit...“, murmelte sie. „Wie heisst es doch so schön? So ehrlich, dass es an Dummheit grenzt!?“

„Ja, ganz genau! Du solltest langsam mal lernen, deine Ehrlichkeit besser zu verpacken. Es wundert mich eh, dass dein Mundwerk noch keine Schlägerei vom Zaun gebrochen hat.“

„Als ob sich die Kerle wegen meines Mundwerks prügeln würden...“, nuschelte sie in ihren nicht vorhandenen Bart und warf Jyri grinsend einen Seitenblick zu, welcher ihr eine blitzschnelle Kopfnuss seinerseits einbrachte. „Was?“, lachte sie gespielt verständnislos und entfernte sich vorsichtshalber ein Stück von ihm, um einer eventuellen zweiten Nackenschelle zu entgehen. „Das ist nicht witzig!“

„Ich lach doch auch gar nicht!“, grinste sie breit und duckte sich unter Jyris vorschnellenden Hand hinweg. „Is ja gut“, beschwichtigte sie ihn, immernoch grinsend. „Nun krieg dich mal wieder ein.“ Er schnaubte und warf ihr einen missbilligenden Blick zu. “Du weisst genau, wie ich bin, also warum regst du dich so auf? Es ist nichts passiert! Es ist nie was ernsthaftes passiert und dass wird es auch nicht, also was soll’s!?“ Doch als Antwort bekam sie nur einen weiteren seiner Blicke. Ergeben hob sie die Hände und blickte ihn übertrieben entschuldigend an. „Is gut! Ich werd dir zuliebe versuchen, taktvoller zu sein, ab und an ein Blatt vor den Mund zu nehmen oder mir einfach sehr viel öfter nur meinen Teil zu denken! Ist das für dich ok?“ Nach ein paar Sekunden murrte er zustimmend. „Danke~!“ seufzte sie übertrieben erleichtert und rollte ebenso übertrieben mit den Augen. Kurz darauf lächelte sie ihn versöhnlich an, bevor sie sich wieder an den finnischen Fahrer wandte. „Als ob Sie denen nicht auch am liebsten die Meinung gegeigt hätten!”

Sein Grinsen sagte alles und in seinen Augen blitzte es bestätigend auf. Dann wandte sie den Kopf zu beiden Seiten und sicherte sich ab, dass kein Auto kam, bevor sie Jyri mit einer Kopfbewegung zu verstehen gab, dass sie die Strasse überqueren würden. Sie hatte Tuomas bis jetzt ignoriert, vor allem, weil sie nicht wusste, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Besonders wegen seiner Laune. Doch als sie die Mitte der Strasse fast erreicht hatte, blieb sie den Kopf überlegend schräglegend stehen und drehte sich schliesslich wieder um. Sie musterte ihn einen Augenblick mit schräg gelegtem Kopf, bevor sie tief Luft holte, die Augen kurz schloss und ihn schliesslich anlächelte. Gut, scheiss Start! Jeder hatte mal seinen Tag und vielleicht –wahrscheinlich sogar - hatte er seine Gründe, so angepisst zu sein. Falsche Zeit, falscher Ort, dachte sie schlicht. „Sorry, dass ich dich fast umgerannt hab. War keine Absicht.“ Sie machte eine kleine Pause und man konnte sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Sie sah aus, als ob sie noch etwas sagen wollte und schliesslich: „Und nimm meine Kommentare nicht zu ernst.“ Sie nickte ihm zum Abschied noch einmal lächelnd zu, drehte sich um und schloss zu Jyri auf, der bereits die Strasse überqürt hatte. Als sie nun zu ihm hinübereilte, starrte er abwechselnd von ihr zu Tuomas und zurück, ganz so, als ob er ihn erst jetzt bemerkt hätte. “Was zum… Weisst du, wer das ist???!!!” “Jap”, sagte sie knapp und ging an ihm vorbei. Er blinzelte sprachlos, warf Tuomas noch einen letzten Blick zu und eilte ihr hinterher. “Was hast du getan???“, rief er irritiert, während er aufholte, doch sie schüttelte nur lachend den Kopf. „Irgendetwas musst du getan haben!“ Er versuchte ihren Blick einzufangen, doch sie stiess ihn nur lachend an der Schulter von sich. In der anderen Hand schaukelte im Rhythmus ihrer Schritte ihre Gigback, auf derem schwarzen Stoff nur ein einziger Aufnäher pragte. Ein schwarz-blaür Aufnäher mit den verschnörkelten weissen Initialien >TH<.
 


 

Lange blickte er den beiden gutgelaunten Freunden hinterher. Er hatte es kaum für möglich gehalten, aber seine Laune war noch schlechter geworden. Allerdings richtete sich seine Wut nun gegen ihn selbst, was nicht zuletzt an ihrer eigentlich unnötigen Entschuldigung lag. Der Fehler lag bei ihm, nicht bei ihr. Mit ihrem Verhalten hatte sie ihm wunderbar den Spiegel vorgehalten. Sich zu entschuldigen, wäre nämlich eigentlich seine Aufgabe gewesen. Was sollte das, dass er seine schlechte Laune fast an anderen ausliess?!

Grimmig dreinblickend drehte er sich um und verabschiedete sich mit einer halbherzigen Handbewegung von seinem Bekannten. Das konnte so echt nicht weitergehen. Zielstrebig schlug er die Richtung zum See ein. Er hoffte stark, dass ein Spaziergang am Wasser seine Gedanken wieder ordnen und beruhigen würde.
 


 

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So, ich hoffe, es hat euch gefallen. ^^ Ueber Reviews wuerde ich mich riesig freuen!! Allerdings werd ich wohl erst in ein paar Tagen darauf antworten koennen, da ich ab morgen ein paar Tage in den Bergen bin. ^__^

Kapitel 1

Kapitel 1
 

“Hey, Mrs Belzen!”, begrüsste sie Jyris Mutter, als sie die Schuhe mit den Füssen auszog. „Hallo, Swentje! Schön, dass du schon da bist!“ Sie steckte ihren Kopf durch die Küchentür und lächelte sie warm an. „Das Essen dauert noch ne Weile, du kannst es dir ja schonmal in deinem Zimmer bequem machen. Die Treppe rauf und dann das hinterste.

-Und du bleibst schön hier und schälst die Kartoffeln!“, sagte sie an Jyri gewandt, als dieser Swentje die Treppe hinauffolgen wollte. Sie warf ihm über die Schulter ein Grinsen zu, als er die Augen verdrehte und ihr ergeben seufzend die Tasche hochreichte.

Lächelnd betrat sie die Gallery und schaute hinunter. Das Wohnzimmer sah super aus. Durch die Verandatür fiel helles Sonnenlicht in den Raum und malte Muster auf den Parketboden. Mrs Belzen schien aus ausgemachter Pflanzenfan zu sein, denn an fast jedem geeigneten Platz standen Pflanzen oder Blumen. Ansonsten bot der Raum viel Platz und war gemütlich und modern eingerichtet.

Sie betrat das Zimmer am Ende der Galerie und staunte nicht schlecht, als sie am anderen Ende des Zimmers statt einer Wand, eine breite Schiebetür aus Glas vorfand, die auf einen Balkon hinausführte. Recht beeindruckt legte sie ihre Gitarre aufs Bett und stellte ihren Backpack und ihre Sporttasche davor auf den Boden, bevor sie die Tür entsicherte und aufzog.

Der Balkon war in das schrägabfallende Dach integriert und man hatte von hier einen schönen Ausblick auf den Wald hinter dem Garten und den dahinterliegenden See.

Als sie nach rechts blickte, stellte sie fest, dass noch eine weitere Tür auf den Balkon hinausführten, deren Eingangsbereich durch eine kurze geflochtene Holzwand von ihrerm getrennt war. Natürlich hatte Mrs Belzen auch hier ihren grünen Daumen spielen lassen und ein paar Büsche und kleine Bäume aufgestellt.

Swentje grinste nur kopfschüttelnd und dachte sich ihren Teil. Manche Leute machten Pflanzen wohl einfach glücklich… Sie lehnte sich mit dem Rücken an die Brüstung, beugte sich nach hinten und blinzelte glücklich in den Himmel hinauf. Als sie versonnen die vereinzelten kleinen Wolken beobachtete, kehrten ihre Gedanken wie von selbst zur Szene ihrer Ankunft in Kitee zurück... Wer hätte gedacht, dass so ihre erste Begegnung mit Tuomas aussehen würde... wer hätte gedacht, dass sie ihn überhaupt mal treffen würde...
 

Unterdessen hatte sich Jyri ergeben in sein Schicksal gefügt und schälte Kartoffeln, während seine Mutter am Herd hantierte. "Warum kann keiner der anderen Jungs dir bei der Küchenarbeit helfen?", grummelte er verstimmt. "Weil Bastian und Co noch nicht wieder da sind." Verwundert schaute er auf. "Was? Wo sind die denn hin?"

"Ach die sind kurz nach dir weg. Meinten, dass sie noch irgendwas einkaufen wollten..." Sie hob die Schultern und konzentrierte sich wieder aufs Essen. "Hm...", machte Jyri überrascht, wandte sich dann aber auch wieder den braunen Knollen zu.

Swentje hatte mittlerweile angefangen, sich den anderen Raum durch die Glastür hindurch anzusehen. Er war grösser, als ihrer und mit 3 Betten versehen, in denen allem Anschein nach Bastian, Kim und Stefan schliefen. Mrs und Mr Belzen schienen den Raum wohl normalerweise als Trainingsraum zu verwenden, denn als sie das Gesicht dicht an die Scheibe brachte, um nach links in den Raum blicken zu können, konnte sie etliche Trainingsgeräte und -zubehör erkennen.

Sie richtete sich wieder auf und ging zurück in ihr Zimmer, wo sie ihren Kram in dem dafür vorgesehenen Schrank und Nachttisch unterbrachte. Dann lief sie nach unten und sah sich etwas im Wohnzimmer um.

Der Raum ging bis fast unter das Dach und die Decke bildete eine Fläche mit den Decken der beiden Zimmer im ersten Stock. Unwillkürlich fragte sie sich, wem wohl die Leidensaufgabe zukam, hier die Fenster putzen zu müssen, denn die reichten teilweise bis ebenfalls unters Dach...

Sie ging an dem dunklen zweiteiligen Ledersofa mit dem Sessel und Hocker vorbei Richtung Veranda, wobei ihr Blick weiter durch den grossen Raum wanderte. Der riesige Plasmafernseher in der Ecke an der gegenüberligenden Wand liess sie sehnsüchtig an FinalFantasyVersusXIII denken, was sich auf dem Gerät sicher super zocken lassen würde... Doch ihre PS3 stand Zuhause und wartete auf ihre Rückkehr. Ihr Blick streifte den Glastisch vor dem Sofa, bevor sie die Verandatür aufschob. Kurz überlegte sie, ob sie sich an den Schokokeksen bedienen sollte, doch aus der Küche zog schon ein verheissungsvoller Geruch herüber, sodass sie dieses Vorhaben auf später verschob.

Sie trat auf die Veranda und ging schliesslich grinsend auf den Pool zu. Sie wusste jetzt schon, was sie regelmässig am Morgen machen würde...

Hinter ihr wurden allmählich Stimmen laut und als sie sich umdrehte, konnte sie geradenoch ihre Bandkollegen in Bodehosen an sich vorbeirennen sehen, bevor ein dreifaches lautes Platschen hinter ihr verkündete, dass sie den Pool in Beschlag genommen hatten.

„Hi Swenny!“ hörte sie Stefan husten, als sie sich am Beckenrand hinkniete und die drei Jungs grinsend beobachtete. “Du sollst nicht gleich das ganze Becken leersaufen, Stefan!“, lachte sie, während Stefan immernoch hustend versuchte, seine Atemwege freizukriegen. Was ihn allerdings nicht daran hinderte, sie mit Tränen in den Augen anzugrinsen und mit einer Hand abzuwinken.

„Hey Jungs!“, begrüsste sie dann auch Kim und Bastian. Kim war allerdings der einzige von beiden, der darauf reagierte und grüssend die Hand hob. Bastian war direkt beim Erklingen ihrer Stimme abgetaucht. Das Lächeln gefror ihr leicht im Gesicht und für einen kurzen Augenblick konnte man es ihn ihren Augen verletzt aufblitzen sehen, doch dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Innerlich seufzend wandte sie sich wieder Stefan zu. Sie hatte gehofft, dass sich ihr Verhältnis langsam wieder bessern würde, aber das schien nicht der Fall zu sein, eher das Gegenteil…

Stefan hatte mittlerweile erfolgreich seinen Husten in den Griff bekommen und hing nun halb aus dem Becken. Seine Gesichtsfarbe hatte immernoch starke Ähnlichkeit mit der einer Tomate und seine Augen wollten einfach nicht aufhören, zu tränen. „Verdammtes Chlor...“ grummelte er etwas heiser und zog geräuschvoll die Nase hoch.

“Ey Leute! 10 Minuten, dann gibts Essen!!” hörte man Jyri vom Küchenfenster her rufen. „Alles klar!“ Als sie sich wieder zu Stefan umdrehte, hatte sich Kim zu ihnen gesellt und spielte mit ihren Schnürrsenkeln. “Wie is deine Prüfung gelaufen?”, fragte er interessiert, ohne von seinem Rumgespiele aufzublicken.

“Super! War gar nicht mal so schwer.” Amüsiert beobachtete sie Kims Hände, die ihre Schleifen lösten und dann begannen, komplizierte Flechtmuster mit den Bänder zu erstellen. „Bitte keine Knoten, ich möchte gleich noch zum essen gehen können“, schmunzelte sie, also plötzlich Bastian prustend zwischen den beiden Jungs auftauchte und sie somit zum Platzmachen nötigte. “Wie war das? Die Prüfung war gut? Was für ne Note denn?“, fragte Bastian, während er sich die Augen rieb.

“1,2”, meinte sie knapp und möglichst neutral klingend. Ihr gefiel das flaue Gefühl nicht, welches sich mit seinem Auftauchen in ihrem Magen ausgebreitet hatte. „Na dann...“ Kam es ihr nur so vor oder triefte seine Stimme geradezu vor Sarkasmus? „Ab in den Pool, das muss gefeiert werden!“ Blitzschnell zuckte seine Hand nach ihrem Arm, doch sie konnte ihn geradenoch rechtzeitig zurückziehen. Hastig stand sie auf und trat einen Schritt zurück. „Ne lass mal. Ich hab noch mein Handy und den ganzen anderen Kram in den Taschen, da muss das nicht sein. Ansonsten gerne“, endete sie mit einem gezwungenen Lächeln. Das ungute Gefühl in ihrem Magen war stärker geworden. „Ach nun stell dich nicht so an!“, rief er breit grinsend und sie meinte einen gehässigen Unterton in seiner Stimme heraushören zu können. Mit einer Hand stemmte er sich unverhofft aus dem Becken und griff nach ihrem Bein... –und bekam es zu fassen. Sie sah sich schon der Länge nach ins Wasser stürzen und ihr Handy den Geist aufgeben, als sie sich mit einer leicht panisch-ruckartigen Bewegung doch noch losreissen konnte. Ihr Gesicht musste ihre Gefühlswelt ziemlich genau wiederspiegeln, denn in Bastians Augen blitzte es schadenfroh auf. Ihr Magen krampfte sich kurz zusammen und sie hasste sich in dem Moment selbst fast dafür, dass sie sich so von ihm vorführen liess. Am meisten verabscheute sie allerdings, dass sie sein Verhalten so sehr traf.

Normalerweise konnte sie sich emotional weit genug von solchen Personen distanzieren, dass deren Worte und Taten an ihr abprallten, aber irgendwie gelang es ihr bei Bastian nicht. Vielleicht lag es daran, dass er der Sänger und sie der Songwriter dieser Band waren...

Er war die akustische Umsetzung ihrer Texte, derjenige, der ihren Texte mit seiner Stimme Leben einhauchte und sie so den Leuten näher brachte. Gerade dadurch kannte er ihr Innerstes besser, als manch anderer. Ganz unabhängig davon, ob sie das wollte oder nicht... Sich solche Leute, emotional gesehen, auf Distanz zu halten, war eh schon schwer genug, aber mit Bastian war sie befreundet. Bis vor Kurzem hatte noch gar kein Grund bestanden, auch nur in Betracht zu ziehen ihm gegenüber so zu reagieren.

... Bis vor Kurzem... Und als sie es dann für notwendig erachtet hatte und versuchte, diesen Schutzwall zwischen ihnen zu errichten, war es ihr nicht gelungen. Metaphorisch gesehen war es, als würde er sich an ihrer Seele festkrallen und sich nicht mehr von ihr entfernen lassen wollen... Ganz so, als wisse er um ihre momentane Angreifbarkeit und Verletzlichkeit ihm gegenüber... Wobei sie sich immernoch keinen Reim auf sein Verhalten machen konnte. Bis vor ein paar Monaten war alles noch so normal erschienen, doch dann...

Sie hatte keine Ahnung, warum er begonnen hatte, sich auf einmal in Dinge einzumischen, die nicht in seinen Aufgabenbereich fielen und ihn auch teilweise nichts angingen, aber er hatte es getan und er tat es immernoch.

Erst waren es nur Kleinigkeiten gewesen, doch mit der Zeit war es immer mehr geworden. Und je mehr er innerhalb der Band agierte, desto mehr schien sein Respekt vor ihrer Arbeit zu sinken. Sicher, sie war nicht der Gründer der Band, sondern nur später dazugestossen, aber trotzdem... Herumschubsen liess sie sich von niemandem!

Und trotzdem war es genau das, was er gerade mit ihr tat und was sie ihn aufgrund ihrer Unfähigkeit des Distanzierens ungewollt durchgehen liess... Anstatt gegen ihn zu kämpfen, hatte sie sich aufs Herunterschlucken verlegt...

Allerdings wusste sie aus Erfahrung, dass sie spätestens dann ändern würde, wenn er ihr wirklich wehtat, aber soweit wollte sie es eigentlich nicht kommen lassen. Weder wollte sie sich von ihm einen Dolchstoss verpassen lassen, noch wollte sie, dass sich ihr Verhältnis dahingehend veränderte, dass er so etwas überhaupt in Erwägung ziehen würde.

Eine Ladung Chlorwasser riess sie aus Gedanken, als Bastian sie spöttisch grinsend versuchte, nasszuspritzen. Eilig trat sie noch ein paar Schritte zurück und beobachtete, die Hände in die Hosentaschen schiebend, wie Bastian sich lachend auf Stefan stürzte und sie aneinandergeklammert untergingen. Es entstand ein Gerangel im Pool, als die Drei nun versuchten, sich gegenseitig unterzutauchen.

Sie bemerkte eine Bewegung am Küchenfenster und drehte den Kopf. Als sie Mrs Belzen nach draussen blicken sah, wandte sie sich ganz um und machte sich auf den Weg ins Haus. Sie hatte wenig Lust, doch noch ins Wasser zu fliegen, wenn sie zum Essen gerufen wurden und die Jungs den Pool verliessen.

Sie hatte gerade das Wohnzimmer betreten, als sie Mrs Belzen auch schon rufen hörte. Von der Küche her konnte sie Jyri mit dem Geschirr hantieren hören.
 


 

Lake Kitee lag ruhig unter der Mittagssonne und nur ab und an kräuselte ein leichter Wind seine Oberfläche. Das lichte Schilf an seinem Ufer wiegte sich sanft im Wind und die Blätter im Kronendach über ihm rauschten leise. Um ihn herum fielen vereinzelt goldene Sonnenstrahlen durch das Blätterdach und bildeten einen starken Kontrast zum grünen Schatten um ihn herum. Er spürte den Stamm des Laubbaumes, an den er gelehnt sass, im Rücken und roch den Duft des Grases, dass er lose zwischen den Fingern hielt. Über ihm sang ein Vogel, in dessen Lied schon bald weitere einstimmten...

Frieden... Es gab kein passenderes Wort für das Gefühl, welches diese Landschaft in ihm auslöste. Frieden... Heimat, Geborgenheit, Sicherheit... auch das... aber vor allem Frieden...

Mit halb geschlossenen Augen blickte er auf den See hinaus, lauschte dem Säuseln des Windes, den Geräuschen des Waldes...

Er spürte, wie sich die altbekannte Ruhe langsam in ihm ausbreitete und sein Kopf sich zu klären begann. Er würde seinen Weg wiederfinden.. das wusste er...
 

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Revs!? *bettelnd guck*

Kapitel 2

Dieses Kapitel ist Bella_Morte gewidmet oder wie sie aktuell auch immer heissen mag. ^^ Danke fuer die tatkraeftige Unterstuetzung und die Rev! *hug* Durch dich wird die Story richtig authentisch. ^^ Besonders wegen dem ganzen Finnland-Hintergrund. ;) Danke dafuer!

Und an den Rest der Schwarleser: Ich waere euch sehr dankbaar, wenn ihr zumindest eine klitzekleine Review hinterlassen koenntet... Es gibt auch Kekse dafuer. ^^ *hinstellt*
 

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Kapitel 2
 

Sie starrte an die Decke.

Von draussen konnte sie Mrs Belzen die Jungs zur Ordnung rufen hören, die wohl wieder einmal die Abkürzung durch die Hecke genommen hatten. Jemand schwamm im Pool, wahrscheinlich Jyri, denn von der Band war er der einzige, der den Schmetterlingsschwimmstil beherrschte und nach genau dem hörte es sich gerade an.

Sie liess den Kopf auf die Seite rollen und blickte an die gegenüberliegende Wand. Vor ein paar Stunden hatten sie ein zweites Bett ins Zimmer geschafft, auf dem Jyri schlafen würde. Ein Stapel frischer Kleidung lag ordentlich zusammengefaltet auf der Bettdecke.

Lange Zeit starrte sie einfach vor sich hin, bevor sie den Blick seufzend wieder an die Zimmerdecke heftete. Schliesslich hob sie den Zettel, den sie in der rechten Hand hielt, wieder vor die Augen und las zum sechsten Mal innerhalb der letzten 30 Minuten die Verse, die sie darauf geschrieben hatte. Sie fand sie immer noch scheisse… Nichts sagend... Hohl... Ohne Gefühl... Es war auch mehr ihr Kopf gewesen, der den Text zusammengestellt hatte... Der Grund, warum ihr der Bezug dazu fehlte…

Resigniert liess sie den Arm wieder sinken. Da war nichts. Kein Schreibfluss. Kein Gefühl, dass unbedingt herausgelassen werden musste, nichts, was so stark war, dass es ihr keine Ruhe liess, bis sie es sich von der Seele geschrieben hatte.

Langsam zerknüllte sie schliesslich den Versuch eines Gedichtes in ihrer Hand. Das Licht der untergehenden Sonne begann die Decke orange zu färben und bis auf den Gesang der Vögel, waren drausen alle Geräusche verstummt.

Sie hörte wie jemand die Treppe hinaufstieg und schliesslich ein leises Summen. Als die Zimmertür geöffnet wurde, erkannte sie das Lied. >Nothing else matters< von Metallica.

Das Summen verstummte und wenig später fiel die Tür ins Schloss. “Du liegst ja immer noch im Bett…” Sie konnte die steile Falte auf Jyris Stirn geradewegs aus seinen Worten heraushören. Sie zuckte nur müde mit den Schulter und gab ein teilnahmsloses “Hmm…” von sich. Sie drehte den Kopf und sah zu Jyri, der immer noch in der Tür stand. Er trug ein Handtuch um die Hüften und ein weiteres hatte er sich über den Kopf geworfen, um sich die Haare trocken zu rubbeln. Damit schien er auch bis eben beschäftigt gewesen zu sein, denn seine Arme waren immer noch erhoben und seine Hände im Handtuch vergraben. Seine nun dunkelblonden Haare standen wild in alle Himmelsrichtungen ab und seine blauen Augen lugten unter dem weissen Frottetuch fragend hervor. “Nun lass dich mal nicht so hängen! Vor ein paar Stunden hast du noch so gute Laune gehabt und verbale Seitenhiebe verteilt.” Während er das sagte, begann er wieder seine tropfenden Haare zu rubbeln und setzte sich in Richtung Kleiderstapel in Bewegung. Sie folgte ihm mit Blicken. “Dazu brauch ich keine gute Laune…”

“Ja, aber die Qualität und Absicht deiner Seitenhiebe ist dann eine andere… vielleicht sogar eine bessere…”, seufzte er und warf das Handtuch aufs Bett.

Ihr Blick streifte währenddessen über seinen Körper. Sie hatte ihn schon hundertmal gesehen, aber trotzdem musste sie ihn jedes Mal aufs Neue begutachten. Was an sich auch nicht weiter verwunderlich war, wer strafte Schönheit schon mit Ignoranz?! Besonders beim anderen Geschlecht! Und Jyris Körper sah nun echt super aus! Von einer natürlichen Schönheit, nicht diese mithilfe von Diäten, Bodybuilding, Kosmetika oder OPs künstlich erzeugte. Das einzige, was er tat, war etwas Sport zu treiben und seinem Körper die nötige Pflege zukommen zu lassen. Dazu war er von Haus aus mit einer guten Verdauung gesegnet.

Ihr Blick glitt über seinen breiten muskulösen Rücken, als er sich suchend zu ihr umdrehte. “Hast du ne Body-Lotion hier?” “Hm... Warte mal...“ Sie rollte sich auf den Bauch, beugte sich vom Bett und begann in einer Seitentasche ihres Backpacks zu wühlen. Kurz darauf warf Jyri ihr einen skeptischen Blick zu, nachdem er die purpurfarbene Dose gefangen hatte, die Swentje ihm zugeworfen hatte. “Maracuja - Body Butter”, las er laut und sein Blick wurde noch skeptischer. “Keine Sorge, das Zeug is echt gut und im Gegensatz zu den anderen Duftrichtungen, ist es mild und natürlich, nicht aufdringlich.”

“Was waren denn die anderen Sorten?”, fragte er immer noch skeptisch, während er die Dose unschlüssig in der Hand drehte. “Ähm... Vanille-Kirsche, Kokos-Banane und Orange”, antwortete sie nach kurzem Überlegen. Jyri verzog angeekelt das Gesicht. “Hätte mich auch stark gewundert, wenn du die gekauft hättest.” Er schraubte den Deckel ab und roch vorsichtig an der Körper-Butter. Dann roch er ein zweites Mal daran. Sie grinste.

“Na? Gar nicht mal so schlecht, hm?” Er murmelte zustimmend und verrieb etwas von der Butter zwischen Daumen und Zeigefinger. “Ich hab echt befürchtet, dass du mir jetzt so ne Frauencreme andrehst.”

“Hast du echt geglaubt, dass ich plötzlich, nachdem ich jahrelang nur Männer-Deo, Männer-Shampoo und Cremen verwendet habe, die nicht eklig-süss riechen, dass ich dann plötzlich anfange, so ein Zeug zu kaufen?” Mit einer Mischung aus Spot und Empörung sah sie ihn an.

Ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht. “Na ja.. is immer noch ne Frauencreme… aber immerhin eine, die man ruhig mal benutzen kann.” Er zwinkerte ihr schulternzuckend zu und begann seine Arme einzucremen. Den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt, beobachtete sie ihn dabei. Mit den Augen folgte sie jeder Bewegung seiner Hände und ohne es zu merken, schweiften ihre Gedanken ab...

“Kannst du mal aufhören mich mit Blicken auszuziehen?”, riss Jyris Stimme sie wieder zurück in die Wirklichkeit. Sie blinzelte ein paar Mal irritiert, bevor sie die eindeutigen Bilder aus ihrem Kopf verbannen konnte.

“Da gibt’s ja kaum was zum Ausziehen, du hast ja so gut wie nichts an”, seufzte sie und rollte sich, die Arme hinter dem Kopf verschränkend, wieder auf den Rücken. Jyris Augenbrauen wanderten überrascht nach oben.

“Achso~…”, stellte er gedehnt fest und ging langsam auf sie zu. Aufgrund seines Tonfalls zog nun auch Swentje die Augenbrauen hoch. „Was?“

Doch anstatt zu antworten, setzte er sich neben sie auf die Bettkante und grinste sie spitzbübisch an. “Oh man!” Gespielt genervt verdrehte sie die Augen. “Jetzt tu nicht so, als ob du nicht wüsstest, wie dein Körper auf Frauen wirkt! Und falls du’s vergessen haben solltest, ich bin auch nur ein Mensch!“ Sie seufzte tief und bedauernd. „Und dazu noch einer, der seit Ewigkeiten keinen Kerl mehr hatte... Man... ich muss echt mal wieder jemanden flachlegen... oder flachgelegt werden...“, sprach sie ihre Gedanken laut aus und starrte sinnierend an die Decke...

Jyris Grinsen wurde noch breiter. „Nicht von dir, das kannst du knicken!“, sagte sie im scharfen, warnenden Tonfall, als sie den schon fast dreckig zu nennenden Ausdruck in seinem Gesicht sah.

„Waaas~??? Warum nicht?“ Er sah aus, als ob sie ihm gerade die grösste Abfuhr seines Lebens verpasst hätte. „Du hast eben selbst gesagt, dass -“ „-Du nen Luxuskörper hast, ja, aber das heisst noch lange nicht, dass ich mit dir ins Bett steige! -“ „- Och, der Boden macht’s doch auch... oder der Tisch, das Bad,...“, unterbrach er sie im unschuldigen Tonfall.

Ihre vorschnellende Faust unterbrach seine Auflistung möglicher Orte, als sie ihn schmerzhaft an der Schulter traf. Doch seine Reaktion bestand nur aus einem Lachen und dem reflexartigem Reiben der schmerzenden Körperstelle.

„Gott verdammt, du bist mein bester Freund!!! Hältst du mich für irre, dass ich das für Sex aufs Spiel setze???“ Sie bedachte ihn mit einem Blick, als ob sie ernsthaft an seinem Verstand zweifeln würde.

Nach kurzem Überlegen meinte er allerdings unerwartet: „Also würdest du es in Betracht ziehen, wenn wir nicht beste Freunde – nicht befreundet wären?“, verbesserte er sich schnell, als er sah, wie sie den Mund öffnete, um ihm erneut ins Wort zu fallen. Ihre Reaktion darauf war wiederum anders, als er erwartet hatte, denn sie starrte ihn für etliche Sekunden einfach nur mit offenen Mund an. Doch dann bekam er die ersehnte und provozierte Antwort. „Natürlich! Wären wir keine Freunde, hätte ich dich schon lange ins Bett gezerrt!“, wobei ihre Stimme dermassen übertrieben vor Sarkasmus triefte, dass er genau wusste, dass diese Antwort absolut nicht sarkastisch gemeint war.

Wieder breitete sich ein Grinsen aus, diesmal sogar von einem Ohr bis zum anderen. Er beugte sich über sie und stьtzte sich mit den Ellbogen zu beiden Seiten ihres Kopfes ab. „Na da bin ich aber beruhigt!“, schnurrte er ebenso übertrieben sarkastisch, während es in seinen Augen amüsiert aufblitzte und er seine Nasenspitze sanft an ihrer rieb. Sie blickte ebenso amüsiert zurück und erwiderte den Eskimokuss.

“Is schon toll, wie schön ich mich verarschen lasse, nicht!?” Er lachte daraufhin. „So lange du dich noch verarschen lässt und dabei sogar noch mitmachst, muss ich mir ja keine Sorgen um dich machen.“ Liebevoll sah er auf sie herab.

Gott, wie sie diese Augen liebte... Dieses klare Blau, in dem man am liebsten baden möchte, diese Wärme, die einem vor dem Erfrieren retten konnte... und gleichzeitig konnte sie diese Augen so manches Mal einfach nur hassen... Den klaren Blick, der bis in ihr Innersten zu dringen schien, der in ihr las, wie in einem offenen Buch... der sie so manches Mal so verdammt hilflos und klein werden lies... Und vor allem diesen Hundeblick! Oh, wie oft war sie schon deswegen weich geworden und hatte ihm letztendlich doch seinen Willen kriegen lassen...

Sie seufzte tief und verlor sich kurz melancholisch in seinen Augen.

Ja, solange sie noch zur Selbstironie und –verarschung fähig war, war es noch nicht so schlecht um ihre Laune bestellt. Aber allzu viel fehlte auch nicht mehr... Sie seufzte leise. Das war doch alles beschissen. Das hier sollte ein Urlaub sein. Sie wollten Spass zusammen haben, mal abschalten und vor allem wieder zusammenfinden. Der Urlaub hier sollte die Band wieder zusammenschweissen, es wieder so werden lassen, wie es mal war... Aber allem Anschein nach, schien das Ganze eher die rückwärtige Richtung zu nehmen... Bastian schien den Urlaub viel mehr als Möglichkeit zu nehmen, jetzt erst richtig das Arschloch raushängen zu lassen... Frustriert vergrub sie ihr Gesicht an Jyris Hals, der im ersten Augenblick aufgrund des plötzlichen Stimmungswandel etwas verwirrt schien.

„Ach Süsse...“, meinte er schliesslich leise, als sich ihre Brust schwer hob und senkte und er sie etwas zu oft blinzeln spürte. Er seufzte tief. „Ich weiss, es klingt blöd, aber trotzdem: lass dich davon nicht so runterziehen...“ Er hatte nicht lange gebraucht, um zu schalten. Bastian war schon etwas länger ein leidiges Thema für sie beide und in letzter Zeit hatte es ihr immer mehr zugesetzt. Es schien wie verteufelt mit den beiden... Er verlagerte kurz sein Gewicht und schob nacheinander beide Arme unter ihren Körper. Widerstandslos liess sie sich in seine Umarmung ziehen und empfand das Gewicht seines Körpers als überraschend befreiend. Im Gegensatz zu dem Gewicht, welches auf ihrer Seele lastete, war dieses greifbar und gehörte dazu noch einem geliebten Menschen. Dankbar umfing sie seine nackten Schultern und genoss die Wärme seines Körpers. „Ich ertrage es nicht, dich wie einen geprügelten Hund vor mir zu sehen...“, hörte sie Jyris Stimme ganz nah an ihrem Ohr. „Lache! Kämpfe! Und halt verdammt noch mal den Kopf hoch! Du gibst doch sonst nicht so klein bei. Besonders nicht, wenn dir so viel daran liegt, wie an dieser Band. So wie du dich jetzt benimmst, kannst du bestimmt nichts ändern und Basti wird dir weiterhin auf der Nase herumtanzen. Also mach dich wieder gerade!“ Während er sprach, verstärkte er kurz seine Umarmung, aber sie war es nicht, die Swentje die Tränen in die Augen steigen liess.

Sie vergrub ihr Gesicht in seiner Halsbeuge und drückte ihn fest an sich. Warum mussten seine Worte nur immer ins Schwarze treffen!?

Nach ein paar tiefen Atemzügen hatte sie sich wieder gesammelt und liess ihre Hände locker auf seinem Rьcken liegen. „Danke...“, hörte man es leise von seiner Schulter.

„Dafür nicht“, antwortete er wie immer und sie konnte seinem Atem auf der Haut spüren.

„Meine Creme riecht übrigens sehr gut an dir“, schmunzelte Swentje unversehens und entlockte Jyri somit ein warmes Lachen. „Ja, der Duft ist echt schön dezent.“ Bestätigend sog sie nochmals den Duft ein, der von seiner Haut ausging. „Jap. Dein Haarshampoo riecht aber auch ziemlich gut“, meinte sie, als sie ihm kurz durch die Haare fuhr und dann auch an ihnen schnupperte. Wieder lachte er. „Jetzt dien ich also schon als Duftprobe, so so...“, schmunzelte er und blies leicht in ihre Halsbeuge, von wo aus er den leichten Lufthauch aufwärts wandern liess. Sie schüttelte sich leicht, als ihr ein Kribbeln das Rückrat hinunterlief. Jyri grinste.

„Du hast du ja eine Gänsehaut“, schnurrte er und sie konnte seinen Atem an ihrem Ohr spüren. „Oh Wunder, wo ich doch kitzlig bin... und nun hör auf, dich über mich lustig zu machen“, murrte sie und versuchte tapfer ihre Gänsehaut in den Griff zu kriegen. „Ich mach mich doch nicht über dich lustig!“, beteuerte er mit absolut treuherziger Stimme, doch schon im nächsten Augenblick fuhren seine Lippen ganz sanft ьber ihren Hals zu ihrem Ohr. „Jyri“, knurrte sie warnend, doch er ignorierte sie geflissentlich. An seinem leicht abgehackten Atem konnte sie sogar erkennen, dass er ein Lachen unterdrückte. [style type="italic"]Wie schön, dass wenigstens er sich amüsiert[/style], dachte sie sarkastisch, als sie auch schon spürte, wie Jyri seine Lippen an ihrem Ohr hinaufwandern liess. [style type="italic"]Jetzt reicht's![/style] Ruckartig zog sie die Beine an, was Jyri bereits geahnt haben muss, denn er wich sofort zur Seite hin aus, indem er sich von ihr herunterrollte. Mit dem Tritt, den sie ihm nachschickte, schien er allerdings nicht gerechnet zu haben, denn sein Lachen wandelte sich schlagartig in einen überraschten Schmerzenslaut, als sie ihn an der Hüfte traf und so reichlich unsanft vom Bett beförderte.

„Au~...“ Mit einem gequälten Gesichtsausdruck rappelte er sich in eine halbwegs sitzende Position und rieb er sich die Hüfte. Als sie nun doch etwas besorgt ьber die Bettkante nach unten sah, wurde sein Blick fast vorwurfsvoll. „Musst du immer gleich so grob werden?“

„Ich hab dich mehrmals vorgewarnt, mein Lieber. Und wer nicht hören will...“ Sie liess den Satz unbeendet und hatte doch so etwas wie ein klitzekleines schlechtes Gewissen. Aber nur ein klitzekleines. Stöhnend rieb sich Jyri weiter die getroffene Stelle. „Das mit dem Kämpfen hдttest du jetzt aber nicht so direkt auf mich beziehen müssen-“

Die Tür wurde aufgerissen und Kim stürmte ins Zimmer. Oder wollte es zumindest, doch bei dem Anblick, der sich ihm bot, blieb er wie angewurzelt in der Tür stehen. Swentje im Bett, zerwühlte Bettdecke, Jyri auf dem Boden, dessen Handtuch sich gelöst hatte und ihn nur noch unzureichend bedeckte...

„... Ähm.... Ich... wollte.. ich...“, stotterte Kim völlig aus der Bahn geworfen und brach schliesslich ab. Sein Blick wanderte immer wieder von dem Bett mit Swentje und der zerwühlten Decke, zu Jyri, der so gut wie nackt auf dem Boden hockte und zurück. „Ich.... Wir... See!“, brachte er schliesslich heraus und deutete mit der freien Hand, die sich nicht an der Tür befand, hinter sich. „Ich... geh dann mal...“ Leise schloss sich die Tьr hinter ihm und Stille breitete sich im Zimmer aus.

Schliesslich: „Na das wird wieder Gerüchte geben...“ „... Sind wir das nicht langsam gewohnt?“
 

Die Sonne stand tief, als sie schliesslich in den Garten hinaustraten, um durch den Wald zum See zu gelangen. Swentje trug noch die gleiche Kleidung wie bei ihrer Ankunft, nur hatte sie jetzt die Schuhe ausgezogen und die Jacke übergestreift. Sie ging langsam und liess die nackten Füsse durch das Gras streichen. Neben ihr streckte sich Jyri, der mittlerweile ein dunkelgraues T-Shirt mit einem grossen zerfranstem Aufnäher auf der Brust und eine verwaschene dunkelblaue Jeans trug, die ihm etwas zu gross war.

„Aber jammer nachher nicht rum, wenn du im Wald auf irgendwas Spitzes trittst“, beendete er die eben angefangene Diskussion. Sie lächelte nur leicht in sich hinein und genoss die Kühle und das Kitzeln des Grases an den Fusssohlen.

Wenig später traten sie zwischen den Bдumen des lichten Waldes hervor und blickten auf einen grossen ruhigen See. Die Abendsonne warf lange Schatten und liess die Bäume um den See herum nur noch als dunkle Silhouetten erkennen. Das Abendrot spiegelte sich auf der klaren Oberfläche, die nur von ein paar Enten bewegt wurde.

Synchron atmeten beide tief und geräuschvoll ein und warfen sich daraufhin einen belustigten Blick zu. Es war wundervoll hier.

„Erinnert mich an meine Heimat...“ Verwundert sah Jyri sie an. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen und sie schien langsam eine tiefe, innere Ruhe auszustrahlen. Es war doch immer wieder erstaunlich, was fьr einen starke Wirkung Wasser auf sie hatte... Er schmunzelte. Dann wanderte sein Blick wieder zum See. „Gab’s bei euch denn nen See in der Nähe? Auf der Karte hatte das nicht so ausgesehen...“

„Ein paar Kilometer weiter gab’s einen. Und Meck-Pomm ist ja nun mal auch ein seenreiches Bundesland.“ Sie lächelte ihn an. „Aber es passt auch so einfach irgendwie... Die Atmosphäre stimmt einfach...“ In Gedanken und Erinnerungen versunken, ging sie ein paar Schritte weiter, um die Füsse ins klare Wasser zu tauchen.

So stand sie dann da und blickte auf den See hinaus, gefangen in der Ruhe und Schönheit des Augenblicks.

Kapitel 3

Viel Spass beim lesen! ^^
 

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Kapitel 3
 

„So, meine Lieben! Das goldene Trio hab ich vorhin schon eingenordet, sie wollten ja unbedingt schon los. Nun seid ihr beide dran. Also kommt her!“ Mrs Belzen winkte Swentje und Jyri zu sich, die gerade auf dem Sofa lümmelten und sich >Genial daneben< über Satelit ansahen. Beide warfen sich einen fragenden Blick zu, als sie sich erhoben und zu ihr in den Flur gingen. Total unerwartet umarmte sie Swentje und drückte sie an sich.

„Ich muss mich jetzt auf den Weg machen, sonst verpass ich noch meinen Flieger“, erklärte sie kurz. „Ich wünsch euch eine schöne Zeit hier in Kitee, macht nicht zu viel Unsinn, lasst das Haus stehen und vergesst ja nicht, meine Pflanzen zu giessen!” Bei letzterem wurde ihre Stimme fast drohend und sie warf Jyri über Swentjes Schulter hinweg einen bezeichnenden Blick zu. „Hey! Schau mich nicht so an! Sie ist diejenige, die ihren Pflanzen aktive Sterbehilfe leistet, nicht ich!“, verteidigte sich Jyri.

Swentje schwieg vorsichtshalber.

„Und du pass mir gut auf meinen Jungen auf, ok?“, fügte sie an Swentje gewandt hinzu. Auf Jyris Einwand ging sie gar nicht erst ein. „Du weisst ja selbst, wie er manchmal ist...“

„Ey! Was soll das denn jetzt? Bin ich 5 Jahre alt oder was?“, fassungslos funkelte er abwechselnd seine Mutter und seine beste Freundin an. „Ja, doch... Also manchmal benimmst du dich echt so...“, feixte Swentje und seine Mutter nickte nur bestätigend. Jyri konnte die beiden nur fassungslos anstarren.

„Hallo? Dieses Mädel da“, er zeigte anklagend auf Swentje, “macht alle möglichen Extremsportarten und du sorgst dich um MICH???? Die Frau klettert Steilwände hoch, teilweise ohne Sicherung!!! Die Frau da fährt Motorrad wie der letzte Henker! Sie springt von Brücken, aus Flugzeugen, macht allen möglichen gefährlichen Scheiss und du sagt IHR, dass sich auf MICH AUFPASSEN soll??? Geht’s noch!?“ Doch Mrs Belzen schien von Jyris gestenreich untermaltem Einwand wenig beeindruckt und drückte stattdessen Swentje etwas kleines silbernes an einem schwarzen Lederanhänger in die Hand. „Ich weiss, du wirst sie wie deinen Augapfel hüten und sie gut behandeln, deshalb...“, sie drückte ihr die Hand, in der Swentje den Gegenstand hielt und sah sie warm an. „beweg sie etwas für mich! Nicht, dass sie mir einrostet.“ Mrs Belzen zwinkerte ihr verschwörerisch zu. Verwirrt blinzelte Swentje Jyris Mutter an und senkte dann den Blick auf den kleinen Gegenstand in ihrer Hand.

Es war ein Schlüssel. An einem ledernen Anhänger. Mit einer metallenen Plakete, auf der in roter Farbe >Suzuki< gedruckt stand...

Sie starrte den Schlüssel sekundenlang an, bevor sie den Blick wieder hob und Mrs Belzen fassungslos ansah. „... Das...“ Doch Mrs Belzen schüttelte nur lächelnd den Kopf und gebot ihr so, zu schweigen. „Was... Was hast du ihr da gegeben?“ Beunruhigt trat Jyri näher und schielte ihr über die Schulter. Was ihm nicht wirklich schwer fiel, da er sie mit seinen 1,85 um gute 15cm überragte. Als er den Schlüssel sah, schienen bei ihm alle Stricke zu reissen. „Sag mal, sprech ich vielleicht japanisch oder sowas?!?!?“, polterte er los. „Halloohoo~!!!! Hat hier irgendjemand gehört, was ich grad gesagt hab!?!? Die Frau fährt wie der Henker und du hast nichts besseres zu tun, als ihr deine Motorradschlüssel zu geben!?!?!?! BIST DU WAHNSINNIG?????“ Doch auch dieses Mal, stiess er bei seiner Mutter auf taube Ohren. Swentje starrte immernoch wie hypnotisiert auf den Schlüssel und konnte ihr Glück nicht fassen.

„Ich glaub das alles nicht....“ Jyri starrte seine Mutter zutiefst fassungslos an. Doch dann schien er einen Entschluss zu fassen. „Ich werd das nicht erlauben!“ Er versuchte ihr den Schlüssel aus der Hand zu reissen, doch Swentje reagierte instinktiv und zog die Hand weg. Im gleichen Augenblick duckte sie sich unter Mrs Belzens Armen hindurch und brachte sich hinter ihr in Sicherheit. Nun schloss Mrs Belzen ihren Sohn in die Arme, der unterdessen versuchte, seine Freundin hinter seiner Mutter zu fassen zu kriegen.

„Wenn du dich schon nicht ordentlich von mir verabschieden willst, dann gib mir wenigstens einen Abschiedskuss“, kommentierte sie seine Unwilligkeit, stillzustehen und sie zu umarmen. Er streckte sich noch einmal in der Umarmung seiner Mutter, als Swentje sich unter seinem Arm hinwegduckte und an ihm vorbei Richtung Treppe sprang. Jyri wollte herumwirbeln und ihr folgen, doch seine Mutter hielt ihn immernoch eisern fest. „Ich will einen Kuss!“, schnitt ihre Stimme scharf und bestimmend durch den Flur. Er erstarrte kurz in der Bewegung und überlegte einen Sekundenbruchteil, ob er sich einfach losreissen sollte. Dann hauchte er seiner Mutter einen Kuss auf die Wange und stürmte hinter Swentje die Treppe hinauf.

Guter Junge, dachte Mrs Belzen lächelnd, als sie ihm hinterherblickte, wieder einmal in ihrer Erziehung bestätigt. Ausserdem liebte sie es einfach, von ihrem grossen Sohn geküsst zu werden. „Viel Spass!“, rief sie den beiden hinterher, die nun in das hinterste Zimmer stürmeten, doch nur von Swentje kam ein gedämpftes „Danke! Ihnen auch!“ zurück. Guter Laune summte Mrs Belzen vor sich hin, als sie sich die Schuhe anzog, ihre Handtasche nahm und das Haus verliess.

Währenddessen war Swentje auf dem Balkon angekommen und wirbelte herum. Verdammt! Sie musste sich was einfallen lassen!

Als Jyri sie auf dem Balkon in der Falle sitzen sah, verlangsamte er seine Schritte und trat fast schon gemächlich nach draussen. Fordernd streckte er die Hand aus. „Gib ihn mir.“

Swentje trat ein paar Schritte zurück, bis sie mit dem Rücken an das Gelände stiess. „Vergiss es!“ Sie funkelte ihn kampfeslustig an. Dann griff sie blitzartig mit der freien Hand nach ihrem Ausschnitt und platzierte mit der anderen den Schlüssel in ihrem BH.

„Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass mich das davon abhält, mir den Schlüssel zu holen!“, meinte Jyri, dessen spöttischer Tonfall verriet, dass er trotz angespannter Körperhaltung immernoch der Verhandlung eine Chance gab.

„Hm, vielleicht sollte ich ihn dann-“ „Glaub mir, auch da werd ich ihn kriegen!“, unterbrach er sie und deutete mit einem Kopfnicken an, dass er ganz genau wusste, dass sie jetzt überlegte, den Schlüssel im anderen Teil ihrer Unterwäsche zu verstecken.

Grimmig starrte sie ihn an. Er starrte mit ernstem Gesichtsausdruck zurück. Beide waren wild entschlossen, ihren Willen durchzusetzen. Sie spannte ihren Körper und Jyri Augen verengten sich. Sie wollte kämpfen? Gut, das konnte sie haben!
 


 

Die Bar war verraucht und in einem dämmrigen Licht gehalten. Halblaute Musik war zu hören und wie nicht anders zu erwarten, handelte es sich dabei um Rock und Heavy Metal.

Sie durchqürten einen kurzen Flur und sahen sich dann suchend in dem Lokal um, welches mit Hilfe einiger Trennwände in zwei offene Räume unterteilt worden war. In dem Abschnitt rechts von ihnen befand sich eine Tanzfläche, an dessen gegenüberliegender Wand sich eine langgezogene Bar befand. An der Stirnseite des Raumes standen drei Tische, von denen zwei belegt waren. Einige der Gespräche in der Bar waren verstummt und sie wurden neugierig gemustert. Ihre Bandkollegen hielten sich nicht in diesem Teil der Bar auf, woraufhin sich Jyri und Swentje nach links wandten und den offener gehaltenen der beiden Lokalräume betraten. Nach einer Begrüssung auf finnisch von Jyri und einem Kopfnicken ihrerseits, wanderte ihr Blick an den Tischen entlang, die links von ihnen, direkt gegenüber der etwas kleineren Bar, in einer grossen Nische standen. Sie sahen die Drei fast sofort.

Sie hatten sich den hintersten Tisch direkt in der Ecke ausgesucht und vor ihnen standen bereits drei nur noch halbvolle Flaschen Bier. Ausser ihnen befanden sich nur noch sechs weitere Personen in diesem Teil der Einrichtung.

Jyri und Swentje bahnten sich ihren Weg durch den Gang, der sich zwischen der Bar und den Tischen befand und gaben nach einer kurzen Begrüssung der Jungs, ihre Bestellung beim Barkeeper auf. Jyri bekam ein Bier und Swentje ein Glas Wodka, sowie ein grösseres leeres Glas und eine Flasche Cola. Sie bezahlten und begaben sich mit den Getränken in den Händen zu ihren Bandkollegen, um sich dann auf je einen der beiden freigebliebenen Stühle am Tisch fallenzulassen.

Überrascht zog Stefan die Stirn kraus, als er Jyris grimmigen Gesichtsausdruck bemerkte. „Was ist denn mit dir los?“ Doch Jyri murrte nur etwas unverständliches und wandte den Blick ab, um sich in der Bar umzusehen. Fragend blickte Stefan zu Swentje, doch sie zuckte nur lächelnd mit den Schultern. Im Gegensatz zu ihm, schien sie prächtige Laune zu haben. Stefan runzelte verwirrt die Stirn. Als Jyri nach seinem Bier griff und es an die Lippen setzte, zog Kim scharf die Luft zwischen den Zähnen ein. „Mein Gott, was hast du denn gemacht?“ Geschockt starrte er auf seine Hand, die das Bier hielt und auf der sich deutlich ein böse aussehender Bissabdruck abzeichnete. Jyris Blick verfinsterte sich und wieder knurrte er irgendwas unverständliches als Antwort. Hilfesuchend wanderte Kims Blick zu Swentje, nur um sie im nächsten Augenblick genauso geschockt anzustarren. Oder besser gesagt, ihr Dekoilte anzustarren. Sie reagierte zu langsam, als Kim nach ihrem Ausschnitt griff und ihn nach unten zog. Ihr Dekoilte war mit roten Striemen überzogen und wies einige Kratzer auf, deren Blut allerdings schon getrocknet war. Sofort liess er ihr Oberteil wieder los und starrte Jyri an. Swentje war nur bis zu einem scharfen Einziehen der Luft gekommen, als ihr Oberteil sich wieder an seinem Platz befand.

„Was zum Henker... Nein, wartet! Ich will’s gar nicht wissen.“ Kim hob abwehrend die Arme und seufzte. “Ich will’s gar nicht wissen...” Kopfschüttelnd nahm er einen grossen Schluck Bier und bedachte die beiden mit einem vielsagenden Blick, der klarmachte, dass er seine Schlüsse aus der vorhergegangenen Szene in ihrem Zimmer und ihrem jetzigen Zustand zog. Eindeutige Schlüsse. Bastian und Stefan blickten die beiden einfach nur schweigend und mit hochgezogenen Augenbrauen an. Jyri sagte noch immer nichts und seinem Gesichtsausdruck nach, würde sich daran auch so schnell nichts ändern.

Schliesslich seufzte Swentje ergeben. „Jyris Mom hat mir ihre Motorradschlüssel gegeben und das hat Jyri nicht gepasst, deshalb haben wir uns schliesslich wie kleine Kinder darum gezankt“, erklärte sie ergeben. Die Augenbrauen der Drei wanderten noch höher und man konnte in ihren Gesichtern lesen, für wie überzeugend sie diese Ausrede hielten.

„Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ich die Schlüssel in meinem BH versteckt hatte...“, fügte sie unschuldig hinzu, was die Augen der Jungs gross wie Untertassen werden liess und die schliesslich wieder zu Jyri wanderten, nachdem sie anfügte: „Woher hätte ich ahnen sollen, dass ihn das nicht aufhalten würde!?“

Jyris Gesichtsausdruck war mit jedem ihrer Worte finsterer geworden und nun bedachte er sie mit einem Blick, der sie auf der Stelle tot umfallen lassen sollte. Sie tat so, als bemerke sie es nicht und lächelte ihn schlicht und ergreifend lieb an. Jyri schien kurz vor dem Platzen zu stehen. War vielleicht ganz gut, wenn sie ihn jetzt nicht nach dem Befinden seiner Schulter fragte...

„Ihr habt euch wegen nem Schlüssel fast zerfleischt, versteh ich das richtig?“, harkte Bastian schliesslich ungläubig nach.

Langsam drehte Jyri den Kopf und man konnte regelrecht fühlen, wie sehr er sich zusammenriss. „Hast du die Frau schonmal Motorradfahren sehen?“, presste er zwischen den Zähnen hervor. Er funkelte Bastian böse an. “... Nein~”, antwortete dieser gedehnt, “aber du wirst mir bestimmt gleich erzählen, was du davon hältst...”

Als Jyri tief Luft holte, um ihrer Erfahrung nach, wieder einmal weit auszuholen, klingte sie sich geistig aus der Unterhaltung aus. Sie hatte diese Laier schon zig Mal über sich ergehen lassen, sie konnte fast schon mitsprechen. Also goss sie den Wodka in das grössere Glas, füllte es mit der Cola auf und lehnte sich dann, das Glas an die Lippen setzend, zurück. Sie verstand nicht wirklich, warum Jyri sich so aufregte. Gut, ihr Fahrstil war nicht unbedingt risikofrei zu nennen, aber so schlimm war er nun auch nicht. Sie kannte Leute, die sehr viel agressiver, riskanter und leichtsinniger fuhren, als sie es tat. Sie genoss lediglich ab und an mal die Geschwindigkeit. Kurven waren viel eher ihr Ding.

Sie lächelte kurz in sich hinein, als sie an die letzte Tour in den Vogesen in Frankreich zurückdachte.

Sie stellte das Glas wieder auf den Tisch. Jyri hatte sich vorgebeugt und redete wild gestikulierend auf die drei Jungs ein, deren Blicke ab und an zu ihr wanderten. Sie seufzte leise. Man kann auch übertreiben, dachte sie und verdrehte innerlich die Augen. Doch sie hielt sich weiterhin aus der Diskussion raus. War ganz gut, dass sich das Feuer mal nicht auf sie konzentrierte... Stattdessen liess sie ihren Blick durch die Bar schweifen.

Da sie genau an der Wand und mit dem Rücken zum Raum sass, musste sie sich dazu seitlich auf den Stuhl setzen.

Mit dem Zeige- und Mittelfinger ihrer rechten Hand fuhr sie immer wieder auf dem Rand ihrers Glases entlang, während sie entspannt an der Wand lehnte und ihre Linke locker auf der Stuhllehne lag. Geistesabwesend tippte sie mit ihr im Takt der Musik auf das Holz.

Viel gab es allerdings nicht zu sehen. Um die Bar in diesem Teil des Lokals, konnte man wohl herumgehen, um dann zu den Toiletten und den Privaträumen der Einrichtung zu gelangen. Den anderen abgetrennten Bereich des Etablissements konnte sie von hier nur schwer einsehen. Der Durchgang liess nur einen Blick auf die Tische im anderen Teil des Lokals zu, die Tanzfläche war von hier aus gar nicht zu sehen...

Laut Jyri sollte diese Bar der Mittelpunkt des Kittee’er Nachtlebens sein... Na gut... Es war noch relativ früh, es war mitten in der Woche und Kitee war ja nun auch alles andere, als eine Weltmetropole... Würden Tarja und Tuomas hier nicht wohnen, würde dieses etwas zu grossgeratene Dorf wohl kaum ein Arsch ausserhalb Finnlands kennen... Aber gemütlich war es hier, das musste man schon sagen...

Draussen wurde es langsam dunkel und Swentje stand schliesslich auf, um den Jungs die nächste Runde zu besorgen. Sie bestellte vier weitere Biere und während der Wirt die Flaschen unter dem Tresen hervorholte und öffnete, machte er eine Kopfbewegung in ihre Tischrichtung und fragte sie etwas auf finnisch. Swentje war im ersten Moment ziemlich überrumpelt und konnte nur entschuldigend lächeln. Mit einer Handbewegung zum Ohr meinte sie dann auf englisch, dass sie des Finnischen nicht wirklich mächtig sei.

Daraufhin gab der Wirt ein verstehendes Geräusch von sich und schien zu überlegen.

Also fasste sich Swentje schliesslich ein Herz, beugte sich vor und machte mit einer auffordernden Handbewegung zum Wirt deutlich, dass er die Frage wiederholen sollte. Ein erfreutes Lächeln huschte über sein Gesicht und nachdem er die vier geöffneten Flaschen vor ihr auf den Tresen gestellt hatte, kam er ihrer Aufforderung nach.

Da Swentje pauschal das finnische Wort für >langsam< vergessen hatte, war sie dementsprechend froh über das Mitdenken ihres Gegenübers, der auch ohne diesen Zusatz seine Frage langsamer und deutlicher als zuvor wiederholte. Als sie schliesslich verstand, was er wissen wollte, konnte sie sich gedanklich nur an den Kopf fassen. Aber irgendwie war es ja auch normal, dass man selbst die einfachsten Dinge erst nicht verstand, wenn man eine Sprache neu lernte.

Sie lehnte sich etwas zurück und atmete geräuschvoll aus. Gut, er wollte wissen, was mit den Jungs oder besser gesagt, mit Jyri los war... Nur, was sollte sie darauf antworten? Besonders in finnisch???

Ächzend fuhr sie sich durch die mittellangen Haare. Super! Ein halbes Jahr lang finnisch gelernt und sie bekam trotzdem nix gebacken...

Sie gab dem Wirt mit einer weiteren Handbewegung zu verstehen, dass er kurz warten sollte, nahm zwei der Biere und reichte sie nach hinten weiter. Als niemand reagierte, tickte sie Kim mit den Flaschen an, der diese erst überascht ansah, sie ihr dann aber dankend abnahm. Währenddessen suchte ihr Hirn fieberhaft nach passenden Worten, um ein paar möglichst simple Sätze als Antwort zu kontruieren. Sie gewann noch etwas Zeit dazu, als sie in ihren Taschen nach Geld kramte.

Kurze Zeit später hatte der Wirt das Geld vor sich liegen und lauschte schmunzelnd ihren abgehackten und höchstwahrscheinlich auch mit einem starken Akzent versehenden Ausführungen. Begleitet wurde diese mit erklärenden Gesten, was auch ein paar umsitzende Gäste zum Zuhören zu animieren schien. Swentje versuchte das zu ignörieren und nicht allzu rot anzulaufen, aber es schien auch so, als ob der Wirt verstand, was sie da an Sätzen zusammenschusterte. Letztendlich hatte sie das Ganze darauf reduziert, dass sie und Jyri sich um die Motorradschlüssel gestritten hatten und er als Verlierer aus dem Kampf hervorgegangen war.

Als sie geendet hatte, blickte der Wirt sie überrascht an, musterte Jyri, der mit dem Rücken zu ihnen sass und dann wieder sie. Dann winkelte er grinsend den linken Arm an und schlug sich mit der rechten Hand auf den Oberarm, während er etwas auf finnisch sagte, dass die Männer, die das Gespräch mitangehört hatten, auflachen liess. Swentje grinste leicht und zuckte verlegen mit den Schultern. Aber es stimmte schon, als schwach konnte man sie nicht wirklich bezeichnen. Ausserdem machte sie Kampfsport...

Der Wirt lachte nochmal laut auf und Swentje griff nach den beiden verbliebenen Bierflaschen, die noch vor ihr standen. Sie wollte sich gerade umdrehen und wieder zu den anderen gehen, als der Wirt ihr das Geld für ein Bier zurückschob. Fragend blickte sie ihn an und er deutete schmunzelnd auf eins der Biere, dann auf sich und danach auf Jyri. Der Blick, mit dem er sie dann angrinste, machte deutlich, warum er Jyri das Bier ausgeben wollte. Swentje schüttelte nur grinsend den Kopf, bedankte sich und ging nach dem Einstreichen des Geldes zum Tisch zurück. Männer mussten ja auch immer zusammenhalten.

Sie stellte das Bier direkt vor Jyri und meinte in einem beiläufigen Ton: „Dein Bier geht aufs Haus.“ Überrascht blickte er auf. „Warum?“, fragte er irritiert. Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Als Aufmunterung vom Barkeeper, weil du gegen mich verloren hast.“

Jyris Kopf zuckte herum, als müsse er sich mit einem Blick auf besagte Person vom Wahrheitsgehalt ihrer Aussage überzeugen. Da diese immernoch zu ihnen hinübergrinste, boxte sie Jyri hart gegen die Schulter und funkelte sie böse an. Swentje sagte lieber nichts und liess sich, ihre Schulter reibend, auf ihren Stuhl fallen.

Als Jyri nicht mehr hinsah, tauschte sie allerdings einen amüsierten Blick mit dem Wirt und proteste ihm mit ihrer Wodka-Cola zu.
 


 

Die Sonne war gerade hinter dem Horizont verschwunden, als er die Haustür hinter sich ins Schloss zog. Beschwingt lief er die paar Stufen der Veranda hinunter und warf sich im Gehen seine rotbraune Lederjacke über. Ein paar Bier im Karhu und gute Gesellschaft waren jetzt genau das richtige, um den Tag abzuschliessen...

Kurz darauf zog er die Tür zur Bar auf und wurde sofort von der altbekannten und vertrauten Atmosphäre seiner Lieblingsbar umfangen. Als der Wirt ihn sah, rief er ihm eine Begrüssung zu und hob die Hand. An ihrem Stammtisch, direkt am Durchgang zum rechten Teil der Bar, sassen bereits ein paar seiner Freunde und protesten ihm lauthals willkommen heissend zu.

Ein befreites Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Das war sein Zuhause. Hier würde sich nie etwas ändern und das war mit das Schönste an diesem kleinen Ort am Rande Finnlands. Seiner Heimat. Der Ort, wo er seine Wurzeln hatte und wohin er immer wieder zurückkehren konnte, um sich von den Strapazen des Lebens zu erholen. Sein Platz, um sich auszuruhen und wieder zu sammeln.

Mit einem Bier in der Hand gesellte er sich schliesslich zu seinen Freunden, die am Rande der Tanzfläche sassen. Es wurden Schultern geklopft, Handschläge ausgetauscht und es war fast so, als ob er nie weggewesen wäre.

Kapitel 4.1

Kapitel 4
 

Es war nach 01.00 Uhr morgens, als sie Jyri schliesslich den Wodka aus der Hand nahm.

Er und Bastian hatten sich den Abend über schon fast ein Wetttrinken geliefert, welches Jyri bereits vor über einer Stunde ganz klar für sich entschieden hatte. Bastian schlief mittlerweile mehr auf dem Tisch, als dass er an ihm sass, was Jyri allerdings nicht davon abgehalten hatte, alleine weiterzubechern. Kim und Stefan hatten zwar auch einiges weggetrunken, aber nicht so viel wie die beiden anderen und waren dementsprechend noch einigermassen klar bei Verstand.

Für den Halbfinnen und den vor sich hinstarrenden Dresdner ihr gegenüber war nun allerdings Zapfenstreich, hatte Swentje beschlossen. Morgen – oder besser: in ein paar Stunden – wollten sie proben und da wollte sie die beiden Helden gerne nüchtern haben.

Allerdings benötigte sie noch weitere 30 Minuten, um Jyri davon zu überzeugen, dass es wirklich besser war, die Bar jetzt zu verlassen. Und im Endeffekt hatte nur die skuriele Behauptung gezogen, dass sein Schlagzeug nach ihm rufen würde und damit drohte, ihn morgen nicht auf sich spielen zu lassen, würde er nicht sofort nach Hause kommen.

Es war fast schon beeindruckend, wie schnell er daraufhin auf den Beinen war und Richtung Ausgang wankte...

Swentje hievte Bastian mit etwas Mühe und Hilfe von Stefan hoch, legte sich einen seiner Arme um den Hals und krallte die andere Hand in seinen Hosenbund, um ihn auf den Beinen halten zu können. Wo der übermässige Alkoholkonsum sie hier behinderte, verschaffte er ihr bei Jyri wiederum etwas Zeit, da dieser gegen ein paar Stühle torkelte und sich daraufhin erst lang und breit bei selbigen entschuldigte. Interessanterweise auf finnisch, was für einige Lacher seitens der Lokalgäste sorgte.

Umständlich bugsierte sie Bastian auf den Gang hinaus und in Richtung Ausgang. Im Laufe des Abends hatte die Bar sich gefüllt und selbst jetzt war noch einiges los. Wo keine Sitzgelegenheiten mehr frei waren, lehnten die Leute an den Wänden oder standen auf den Gängen, was das Vorwärtskommen etwas erschwerte.

Bei Jyri ankommend, der gerade den letzten Stuhl umständlich wieder an den Tisch zurückschob, versuchte sie ihn mit der Hüfte weiter den Gang entlang zu schieben. Da das keinen Erfolg zeigte, trat sie einen Schritt zurück und nahm den Fuss zur Hilfe. „Nun los! Beweg dich!“, meinte sie etwas unwirsch. Jyri stolperte ein paar Schritte vorwärts und fast gegen die Wand, als er die Rechtskurve in den Flur des Eingansbereiches nicht ganz hinbekam.

Oh man.. Das kann ja heiter werden..., dachte Swentje, Bastian mehr neben sich herschleifend, als dass er aus eigener Kraft ging. Als sie sah, wie Jyri etwas ratlos vor der Tür stand, rief sie ihm einer Eingebung folgend zu: „Die Rechte!“

Langsam hob er die Hand und legte sie tatsächlich an die Klinke. Super! Pauschal die richtige Seite. Doppelsicht war schon was tolles... Innerlich konnte sie nur den Kopf über den übermässigen Alkoholkonsum ihrer Freunde schütteln. Sie selbst hatte vier Mischen über den Abend getrunken und das war dann auch genug gewesen. Sie spürte den Alkohol zwar, aber betrunken war sie noch lange nicht. Musste sie auch nicht sein, auch wenn es ab und an mal ganz lustig war. Sie hatte genug miterlebt, um nicht bei jeder Party oder anderen Gelegenheit dicht unterm Tisch zu enden…

Sie stand nun dicht hinter Jyri und wartete, sich zur Geduld ermahnend, dass dieser endlich die Bar verliess. Der Halbfinne drückte die Tür schliesslich fast schon andächtig auf, trat einen Schritt nach draussen und schloss sie genauso andächtig wieder hinter sich. Swentje, die gerade einen Schritt durch die Tür machen wollte, blieb wie angewurzelt stehen. Die Tür rastete nur ein paar Zentimeter vor ihrer Nase ein und sie konnte ihren Freund durch die Glastür hindurch nur völlig perplex anstarren. Dieser schien das nicht einmal ansatzweise zu bemerken, sondern drückte nocheinmal andächtig und scheinbar hochkonzentriert gegen die Tür, als wolle er sichergehen, dass sie auch wirklich geschlossen war. Swentje klappte sprachlos die Kinnlatte hinunter.

Ich glaub das jetzt nicht... Fassungslos starrte sie Jyri an, der sich nun, sichtlich zufrieden mit seinem Werk, umdrehen und gehen wollte.

Swentje konnte hinter sich aufkeimendes unterdrucktes Gelächter wahrnehmen und ihr Blick verfinsterte sich zusehends. Will der mich verarschen oder was!?!? Sie spürte, wie ihr Gesicht langsam warm wurde, was definitiv nicht am Alkohol lag. Gott, konnte Jyri froh sein, dass sich gerade ein Tür zwischen ihnen befand!!!

Als ob er das gehört hätte, drehte sich Jyri wiederum herum und blickte sie stirnrunzelnd an. Ja, ich bin noch drin, du Depp, schön, dass du das auch mal rallst!, dachte sie bissig. Er blinzelte kurz und lächelte sie dann so absolut dümmlich-dämlich an, dass sie spürte, wie ihr der Hals vor lauter unterdrückter Wut zuzuschwellen begann. Tief einatmend presste sie die Kiefer aufeinander und versuchte, die aufkommenden Mordgedanken zu unterdrücken. Als Jyri wieder auf sie zukam, um die Tür, die nach aussen aufging, aufzudrücken, begann ihr rechtes Auge unheilverkündend zu zucken. Haben die in Finnland irgendwas im Alkohol oder wie!?!?, dachte sie kurz vor dem Überkochen.
 

Er leerte sein Bier und erhob sich. Es war ganz gut, wenn er mal nicht allzu spät ins Bett ging, also verabschiedete er sich und arbeitete sich über den Schoss eines Freundes hinweg zum Gang hervor. Dabei handelte er sich einen Klapps auf den Hintern ein, was er mit einem spöttisch-keckem Grinsen quittierte. Die anderen verrenkten sich immernoch die Hälse, um die junge Frau an der Tür beobachteten zu können und kamen aus dem Kichern gar nicht mehr heraus. Ja... Alkohol, du lieber Geist..., dachte er amüsiert und blickte ebenfalls zu ihr hinüber. Sie sah aus, als ob sie gleich die Tür auftreten würde, egal, ob sie diese ihrem Freund dabei ins Gesicht rammte oder nicht.

Es geht mich zwar eigentlich nichts an, aber das sollte vielleicht nicht passieren..., dachte er seufzend und trat auf in den Flur hinaus. Sich schräg hinter sie stellend, klopfte er an die Scheibe. Ihr Freund unterbrach sein aussichtsloses Vorhaben, die Tür nach innen aufdrücken zu wollen, und blickte ihn überrascht an. Tuomas nutzte die Gelegenheit und drückte die Tür über ihren Kopf hinweg auf, was ihn zurücktorkeln liess.

Swentje war unterdessen fast froh über das Eingreifen der Person, die somit etwas verhinderte, was ihr später bestimmt Leid getan hätte. Sie versuchte den Kopf zu drehen und einen Blick auf sie zu werfen, doch Bastians Schädel auf ihrer Schulter behinderte sie dabei. Sie sah lediglich, dass die Person ziemlich gross war, da sie die Tür über ihrem Kopf aufdrücken konnte und ihr dann aufhielt. Sie bedankte sich gepresst und schleifte Bastian mit sich auf den Fussweg. Dort drehte sie sich um, um einen Blick hinter sich zu werfen, doch sie sah lediglich ein paar lange Beine, da die Person sich durch die halb geöffnete Tür wieder nach innen gelehnt hatte und wohl einigen Gästen noch etwas zurief. Anscheinend war die Person aber männlichen Geschlechts. Weder trugen Frauen solche Schuhe, noch hatten sie solche Beine... oder zumindest steckten diese dann nicht in Hosen, sondern eher in Röcken... Und dann meist in sehr kurzen Röcken...

Eine Bewegung in den Augenwinkeln liess sie den Blick abwenden und zu Jyri hinübersehen. Dieser bewegte sich stark schwankend auf dem Bürgersteig Richtung Zuhause, doch schien er einen ziemlichen Rechtsdrall zu haben, denn er kam dabei der Bordsteinkante immer näher. Sie überlegte kurz, ob sie ihm eine Warnung zurufen sollte, liess es dann aber bleiben und beobachtete stattdessen, wie Jyris Fuss am Kantstein abrutschte und er fast auf die Strasse fiel. Ein Teil von ihr suchte in ihrem Inneren nach etwas wie einem schlechten Gewissen... Vergebens... Selbst Schuld! Was muss er auch so viel trinken!

Ihr Blick folgte Jyri, als dieser mit sehr viel Schlagseite auf die Strasse hinausstolperte. Fast schon grotesk mit den Armen rudernd, versuchte er sein Gleichgewicht wiederzufinden, was ihm nach einigem Hin- und Hergeschlenker auf der Fahrbahn sogar einigermassen gelang.

Seufzend hievte sie Bastian wieder ein Stück hoch, der etwas an ihr heruntergerutscht war und folgte Jyri. Sie liess ihn besser nicht so weit vorrausgehen, wer wusste schon, auf was für Ideen er noch kommen würde...

Sie registrierte nur beiläufig, wie eine Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Das Klicken des Feuerzeugs hörte sie gar nicht.

Er sog den Rauch der Zigarette tief in seine Lunge und bliess ihn zu den Sternen hinaufblickend wieder aus. Der Himmel war klar, ohne Wolken...

Er wandte den Kopf und blickte dem Dreiergespann hinterher. Das war heute das zweite Mal, dass er ihr über den Weg lief... oder sie ihm, je nachdem, wie man das sehen wollte... Wahrscheinlich machten sie Urlaub hier, wobei zumindest der etwas grössere Blonde finnische Wurzeln zu haben schien. Obwohl er vom Aussehen her eher schwedisch sein könnte.

Sie war höchstwahrscheinlich aus Norddeutschland, sie hatte diesen leicht typischen Akzent, den er aus Hamburg kannte. Und den Dritten im Bunde hatte er zuvor noch nie gesehen, ebenso die beiden Anderen, die noch im Karhu sassen.

Was ausser Frage stand, war, dass sie Metal hörten. Dass hatte ihr Kommentar am Bus gezeigt und auch, dass sie die halbe Nacht im Karhu verbracht hatten. Allerdings sahen nur der Typ an ihrer Schulter und einer der Beiden, die noch in der Bar sassen, kleidungstechnisch danach aus. Wirklich lange Haare hatte keiner von ihnen. Die längsten waren ihre, die ihr nur etwas über die Schultern fielen und grosszügig durchgestuft waren. Auch schien sie Strähnen zu haben, denn ab und zu glaubte er ein rot-kupfernes Schimmern in ihren Haaren zu erkennen.

Er schob die Linke in die Hosentasche und wandte sich langsam um. In der Rechten hielt er die qualmende Zigarette. Scheinbar haben wir den gleichen Heimweg... Zumindest vorerst..., dachte er, den Blick weiterhin auf sie gerichtet, und zog an seiner Zigarette. Das rotglühende Ende wanderte wieder ein Stück weiter auf seine Finger zu, bevor er sie absetzte und den Rauch durch die Nase ausblies. Dann setzte er sich langsam in Bewegung und folgte ihnen.

Er hoffte inständig, dass sie keine dieser Fans waren, die extra nach Kitee gekommen waren, nur um ihn zu sehen. Nichts gegen Fans, sie hatten Nightwish ja erst zu dem gemacht, was es heute war, aber etwas Ruhe und Frieden von dem ganzen Medientrubel wollte er ab und an schon haben... So sehr er die Fans schätzte, so anstrengend konnten sie auch sein. Bei Weitem nicht so nervtötend wie Journalisten, Reporter und andere Subjekte dieses Menschenschlags, aber manchmal... manchmal konnte es einem auch mit ihnen zu viel werden...

Andererseits... wären sie wegen ihm hier, hätte sie sich heute Mittag sicherlich anders verhalten... Die gängigsten Reaktionen wären Sprachlosigkeit oder Stottern, ein fast in Ohnmacht fallen oder ein Rotanlaufen gewesen... So hatte sie nun wirklich nicht reagiert... Sie hatte auch nicht nach einem Autogramm gefragt und in der Bar hatte sie ihn auch nicht bemerkt... Er sie wiederum schon. Was daran gelegen hatte, dass sie und ihre Begleiter seinen Freunden aufgefallen waren. Nicht weiter verwunderlich, denn neue Gesichter stachen in einem kleinem Ort wie Kitee einfach aus der Menge heraus und wurden meist neugierig gemustert. Darüber hinaus hatte sie wohl auch für etwas Aufmerksamkeit gesorgt, weshalb ein paar seiner Freunde immer wieder interressiert zu den Neulingen hinübergeguckt hatten.

Seinen Gedanken nachhängend inhalierte er den Rauch seiner zur Hälfte aufgerauchten Zigarette und musterte das Trio weiterhin schweigend.

Der Typ, den die junge Frau stützte, liess sich mehr neben ihr herschleifen, als dass er in der Lage war, selbstständig einen Fuss vor den anderen zu setzen. Er war etwas grösser als sie, was das ganze Unterfangen noch unpraktischer und für sie wohl auch unhandlicher machte, als sein Zustand es ohnehin schon tat.

Der schwedisch aussehende Finne – oder Halbfinne – torkelte vor den beiden her, mal auf dem rechten, mal auf dem linken Fahrstreifen. Glück für ihn, dass hier nachts so gut wie kein Verkehr herrscht.

Manchmal blieb er stehen, wie um sein Gleichgewicht wiederzufinden, ging aber fast sofort wieder weiter. Die ganze Zeit über schien sie ihn dabei im Auge zu behalten.

Als sie an eine Gabelung kamen, bogen sie nach links ab und verschwanden kurz aus seinem Blickfeld.

Jyri nahm den Richtungswechsel allerdings in einem zu weitläufigen Bogen und driftete immer weiter nach links. „Rechts, Jyri, nach rechts!“ Swentje beobachtete seinen Kurs mit wachsender Beunruhigung. „Jyri!“, rief sie alarmiert, als er geradewegs auf ein paar am Strassenrand geparkte Autos zusteuerte. „Mehr nach rechts!“

„Dasch mach isch doch!“, schnauzte dieser zurück, ohne allerdings auch nur im Geringsten die Richtung zu ändern. „Das andere Rechts!!!“

Jyri schnaubte. “Kannscht du disch ma ’ntschaidn?!” Er versuchte, ihr einen wütenden Blick über die Schulter zuzuwerfen, doch geriet sein Gleichgewicht dadurch völlig aus dem Ruder und er taumelte nur noch schneller in die falsche Richtung. „JYRI!!!“ Ihr Ausruf zerriss nun völlig die Stille der Nacht.

Jyri versuchte vergebens, im letzten Moment doch noch die Richtung zu wechseln und das mit ganzem Körpereinsatz. Dabei wurde er jedoch nur noch schneller und prallte schliesslich mit einem dumpfen Laut frontal gegen den Kofferraum eines VW’s. Sein Keuchen hallte unwirklich in der Nacht wieder, als ihm die Luft aus den Lungen getrieben wurde. Sein Oberkörper knickte ein und er fiel mit einem weiteren dumpfen Geräusch auf Kofferraum.

Dann kehrte wieder Stille ein.

Swentje bedeckte mit einer Hand ihre Augen und schüttelte wortlos den Kopf. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte...

Gott sei Dank und wider Erwartens schrillte keine Alarmanlage los und Jyri entleerte auch nicht seinen Magen auf der Heckscheibe des Wagens.

Sie seufzte tief, als sie die Hand wieder von den Augen nahm und den Blick zum Himmel hob. „Was hab ich dir getan!?“, rief sie verzweifelt und breitete fragend den freien Arm aus.

Einige Sekunden überlegte sie wirklich, welchen Gott sie wohl verärgert haben mochte, dann blickte sie wieder zu Jyri, der immernoch auf der Kofferraumklappe lag und leise vor sich hinstöhnte. Wieder seufzte sie.

Sie spürte, wie Bastian sich bewegte und griff instinktiv fester zu, damit er nicht zu Boden rutschte. Doch Bastian bewegte sich mit einem leichten Ruck in genau die andere Richtung und sie musste ihren Schwerpunkt etwas verlagern, als sein Gewicht plötzlich ganz von ihrer Schulter wich. Verwirrt blickte sie zu Bastian, nur um festzustellen, dass ihn jemand von ihrer Schulter gezogen hatte und ihn nun selbst auf die gleiche Art stützte, wie sie zuvor. Nur war diese Person um einiges grösser als sie. Bastians Füsse schleiften nicht mehr auf dem Boden und sein Kopf ruhte an der Schulter der anderen Person. Einer männlichen Person... mit einer rotbraunen Lederjacke... und langen gewellten schwarzen Haaren... und grau-grünen Augen...

Kapitel 4.2

So, hier nun der naechste Teil des Chapter! ^^ Ich hoffe, es gefaellt euch!

Ich hoffe, ich bekomme ein paar Revs! ;)
 

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Sie starrte Tuomas mit leicht geöffnetem Mund perplex an. Er blickte schweigend zu ihr hinunter und langsam begann eine seiner Augenbrauen aufwärts zu wandern, während sich seine Lippen zu einem leicht spöttischen Lächeln verzogen.

„Ähm~...“, war das Einzige, was sie hervorbrachte. Wow~! Das war ja nun wirklich schlagfertig!, spottete eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf und sie klappte zumindest den Mund wieder zu. „Wa-Was...“ Sie blinzelte ihn irritiert an.

Schliesslich war Tuomas so gnädig, sie aus dieser verfahrenen Situation zu befreien. „Du sahst aus, als ob du etwas Hilfe gebrauchen könntest“, meinte er mit einer Kopfbewegung zu Jyri und einem leichten Zucken der Schulter, an der Bastian lehnte.

„Okay~...“ Sehr gut! Was für eine Verbesserung, du Intelligenzbestie!, stichelte die leise Stimme zynisch. Ärgerlich schob Swentje sie von sich. „... Danke...“ Sie konnte noch immer keinen wirklich klaren Gedanken fassen und irgendwie war es ihr unangenehm, seinen Blick auf sich zu spüren... Ein leichter Geruch von Zigaretten ging von ihm aus.

„Ich...“, begann sie schliesslich zögernd. „Ich hätte...“ Wieder dieser irritierte Blick. Sie schien nach Worten zu suchen und strich sich unbewusst eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie konnte also auch sprachlos sein... Leicht amüsiert musterte er sie. Man konnte förmlich sehen, wie sich die Gedanken hinter ihrer Stirn überschlugen. Am Rande registrierte er eine schwarze Ledermanschette an ihrem rechten Handgelenk, die allerdings fast gänzlich von der Jacke verdeckt wurde. Als sein Blick wieder zu ihrem Gesicht wanderte, streifte sein Blick wieder den Anhänger, den sie an einem schlichten schwarzen Band um den Hals trug. Irgendetwas Gezacktes mit einem Kreuz untendran...

„Na ja... Du... bist irgendwie die letzte Person, die ich jetzt hier erwartet hätte...“, versuchte sie einen Erklärungsversuch, doch Tuomas zog nur beide Augenbrauen nach oben. „Ich wohne hier“, antwortete er daraufhin und konnte den gutmütigen Spott, den er empfand, nicht ganz aus seiner Stimme verbannen.

Sie spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg und hoffte inständig, dass nicht wirklich rot anlief. „Ja, schon klar... aber trotzdem...-“ –Kein Mensch rechnet damit, dass ihm mitten in der Nacht Tuomas Holopainen über den Weg rennt und beim Nachhausebringen betrunkener Freunde hilft! beendete sie den Satz in Gedanken. Das konnte sie ihm nun echt nicht sagen... Wie peinlich wäre das denn bitte?!

„Ach, vergiss es einfach...“, meinte sie schliesslich. „Ich war... einfach nur überrascht...“ Er schwieg daraufhin. Das ist offensichtlich, dachte er sich immernoch etwas spöttisch.. Das warum wäre nur interessant gewesen. Aber eigentlich konnte er sich den Grund ja selbst schon denken. Der grosse Tuomas Holopainen! Der Gott der Musik, wie er so schön genannt wurde. Das Genie! Warum sollte er auch, wie all die anderen Normalsterblichen auch, des Nachts durch seine Heimatstadt laufen und anderen Menschen einfach so begegnen!? Er seufzte innerlich. Warum sah man ihn als so etwas Besonderes an?! Dieser ganze Ruhm und Glanz konnte sich manchmal echt zu einer Art Käfig entwickeln... Einerseits bildeten sie eine Rüstung, die ihn davor bewahrte, dass ihn all die Menschen einfach so überrannten und in sein Privatleben eindrangen, mal von den Reportern abgesehen. Anderseits verzerrte es das Bild, die Vorstellung, die die Menschen von ihm hatten. Er hasste es, wie etwas überaus Wertvolles zur Schau gestellt zu werden, auf ein Podest gehoben zu werden, vor dem sich die Welt verbeugte. Er war auch nur ein Mensch! Aus Fleisch und Blut, mit normalen Bedürfnissen, mit Fehlern!

Er blickte ihr mit einer Mischung aus Verstimmung und Melancholie hinterher, als sie zu ihrem Freund hinüber ging, um sich nach seinem Wohlergehen zu erkundigen. Sollte er das nicht langsam mal akzeptiert haben!? Das war mit der Preis, den man für Ruhm zahlte. Sicher, es hatte auch sehr viele Vorteile, man genoss Previlegien und dergleichen, aber dennoch... Das Verhalten der Leute ihnen gegenüber... Auch, wenn die Leute noch so sehr versuchten, sie nur als Menschen zu sehen, es gelang nur Wenigen. Bei den Meisten war ihr Ruhm in ihrem Denken verwurzelt. Der goldene Schleier der Berühmtheit war allgegenwärtig und auch, wenn sie dieses Denken von sich zu schieben versuchten, so war es immer irgendwo in ihrem Hinterkopf und verhinderte, dass sie ihnen gegenüber wirklich sie selbst waren...

„Alles ok bei dir?“, hörte er sie ihren Freund fragen, worauf dieser stöhnte und sich schwerfällig auf die Ellbogen hochstemmte. Sie wollte nach seinem Arm greifen, um ihm zu helfen, doch er zog ihn weg und meinte unwirsch, dass er allein gehen könne. Umständlich richtete er sich auf und schob sich am Auto vorbei, auf die Strasse hinaus. Sie verfolgte jede seiner Bewegungen, bereit zuzugreifen, sollte es notwendig sein.

„Uah~...“, stöhnte Jyri wieder. „Ich fühl mich, als ob mich ein Auto gerammt hätte...“

„Wohl eher hast du das Auto gerammt...“, murmelte Swentje und registrierte leicht überrascht, dass Jyri so gut wie gar nicht mehr nuschelte. Wie lange es wohl dauern würde, bis der Alkohol sich wieder bemerkbar machen würde?

„Bist du sicher, dass alles ok ist?“, fragte sie nochmal nach, als er den Weg fortsetzen wollte. „Ja!“, grummelte er und liess sie ihn gewähren. Die Arme hinter dem Kopf verschränkend drehte sie sich wieder zu Tuomas um und ihr Gesichtsausdruck machte klar, dass es sinnlos war, mit Jyri darüber debatieren zu wollen. Sie zog vielsagend die Augenbrauen hoch.

Tuomas setzte sich in Bewegung und folgte dem jungen Finnen. Langsam begab sie sich an seine Seite und trottete neben ihm her, den Blick auf Jyri gerichtet.

Irgendwie kam ihr das Ganze surreal vor. Tuomas, der neben ihr herging und ihren Leadsänger nach Hause bugsierte... Unweigerlich fragte sie sich, ob sie nicht doch etwas mehr getrunken hatte...

„Ich kann Bastian auch wieder nehmen...“, durchbrach sie das Schweigen, das sich zwischen ihnen auszubreiten begann. „Du musst nicht extra wegen uns nen Umweg machen...“, fügte sie hinzu und versuchte ihre Unsicherheit bestmöglich zu verbergen, als sie zu ihm hinaufblickte.

Wieder sah er sie mit diesem leicht spöttischen Blick an. „Du weisst, wo ich wohne!?“ Verwirrung machte sich in ihr breit. „Was??? Nein... Wieso..-“ „Woher willst du dann wissen, dass ich einen Umweg mache!?“, setzte er nahtlos an und machte sie wieder sprachlos. „Ich...“, total perplex und verwirrt blieb sie stehen und blinzelte ihn an. Krampfhaft versuchte sie Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Gott, war der Typ immer so???

Schliesslich verschränkte sie die Arme vor der Brust und funkelte ihn leicht an. „Ich wollte nur nett sein und dir die Möglichkeit geben, dich nicht verpflichtet zu fühlen, ihn“, sie nickte in Bastians Richtung, „bis ins Bett zu bringen!“

Im ersten Moment war er etwas überrascht über den plötzlichen Verhaltenswechsel, aber ihm wurde schnell klar, dass sie das tat, weil sie sich nicht wirklich wohl in dieser Situation fühlte. Andererseits war sie nun wieder so, wie er sie heute Mittag erlebt hatte... Angriffslustig und frei heraus. „Bis ins Bett wäre vielleicht wirklich etwas viel, aber bis zur Haustür wäre in Ordnung“, entgegnete er gelassen. „Ausserdem ist es, glaub ich, ganz gut, wenn du deinem Freund ab und an helfend zur Hand gehen kannst“, fügte er hinzu, als sie ihn nur weiterhin undeutbar ansah.

Ihr Blick folgte seinem Nicken und sie sah Jyri kurz nach, wie er weiter die Strasse entlang wankte. Dann seufzte sie und schob die Hände in die Hosentaschen. „Ist vielleicht wirklich besser...“, murmelte sie leise und setzte sich langsam wieder in Bewegung. Kurz darauf hatte Tuomas zu ihr aufgeschlossen, neben dem nun Bastian herstolperte. Es verwunderte ihn, dass sie so schnell wieder eingelenkt hatte...

„Versteh mich nicht falsch, es ist nur... Ich frag das jeden...“, setzte sie schliesslich grummelnd an. „Hat nichts mit dir zu tun... Ich mags einfach nicht, wenn andere sich verpflichtet fühlen, mir bei irgendwas helfen zu müssen... und genauso wenig mag ich es, anderen auf der Tasche zu liegen...“ Er runzelte die Stirn und sah sie fragend an. Als sie seinen Blick bemerkte, fügte sie erklärend hinzu: „Is wörtlich und metaphorisch gemeint... Keine Ahnung, ich fühl mich meist nicht ganz wohl dabei, wenn andere meinen Kram erledigen... Selbst, wenn sie es freiwillig und gern tun... einfach, weil’s meine Aufgabe wäre und nicht deren...“ Tuomas gab ein verstehendes Geräusch von sich, antwortete aber nicht darauf und so schwieg auch Swentje.

Er fragte sich, warum sie sich verpflichtet fühlte, ihr Verhalten erklären zu müssen. Normalerweise zeugte dies von Unsicherheit, aber sie wirkte nicht, wie eine unsichere Person... oder hatte jedenfalls nicht so gewirkt... Er musterte sie schweigend aus den Augenwinkeln. Wahrscheinlich wusste sie nur nicht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Etwas, was er wiederum zur Genüge kannte.

Eine Weile liefen sie wortlos nebeneinander her und hangen ihren Gedanken nach, bevor Tuomas schliesslich das Schweigen brach. „Und ihr macht hier Urlaub?“ Sofort hätte er sich für diese plumpe Frage am liebsten auf die Zunge gebissen. Doch Swentje sah nur kurz auf, bevor sie antwortete. „Hmja. Wahrscheinlich so für 3, 4 Wochen, mal schaun...“, meinte sie unbestimmt. „Und warum in Kitee?“, harkte Tuomas daraufhin nach und sah sie fragend an.

„Jyris Eltern haben hier ein Haus und die Gegend ist einfach toll. Für meinen Geschmack könnten hier noch ein paar Berge stehn, aber na ja“, sie lächelte kurz. „Man kann nicht alles haben... Am wichtigsten ist eh, dass sie nen super Keller zum Proben haben.“

„Ihr macht Musik?“ Ehrliches Interesse spiegelte sich in seinem Blick wieder. „Ja, wir sind ne Band.“ Sie grinste. „Jyri“, sie deutete auf den Halbfinnen vor ihnen, „ist unser Drummer. Bastian“, zeigte auf den jungen Mann, der wie ein Schluck Wasser an Tuomas Seite herunterhing, „ist unser Sänger und ich spiel E-Gitarre. Die beiden Jungs, die noch im Karhu sitzen sind Kim, unser Keyboarder, und Stefan, unser Bassist.“

„Du spielt E-Gitarre?“ Überrascht blickte er auf sie hinunter.

„Ja, unglaublich aber wahr. Die einzige Frau in der Band und sie ist nicht die Sängerin, sondern die Gitarristin.“ Sie verdrehte theatralisch seufzend die Augen. Derartige Reaktionen war sie schon gewöhnt. „Ich könnte natürlich auch die Drums übernehmen, aber da is Jyri einfach besser als ich.“ Sie grinste ihn kurz an. „Ist er eigentlich Finne?“, warf Tuomas ein und deutete auf Jyri.

„Hm, Halbfinne. Seine Mutter kommt wohl ursprünglich aus Helsinki und sein Vater ist Deutscher. Bevor er geboren wurde, sind sie dann nach Dresden gezogen und haben irgendwann hier ein Haus gebaut. Frag mich nicht warum gerade in Kitee, ich hab keinen Schimmer!“, fügte sie hinzu, als sie sah, wie Tuomas den Mund öffnete, um direkt nach der Erwähnung des Hausbaus etwas nachzufragen. Anscheinend lag sie mit ihrer Vermutung richtig, denn gab daraufhin nur ein gemurmeltes „Hmm“ von sich.

Nach ein paar Minuten nachdenklichen Schweigens fragte er unversehens: „Wie war dein Name doch gleich?“ Sie blickte ihn erst verwirrt an, da sie gerade angestrengt versucht hatte, den Song zu erkennen, den Jyri undeutlich vor sich hinsang. Ihr erster Reflex war, ihn darauf hinzuweisen, dass sie ihren Namen noch gar nicht genannt hatte, doch das verkniff sie sich dann und antworte schlicht: „Swentje.“

Er runzelte die Stirn. „Das klingt schwedisch... Du hörst dich nicht so an, als ob du aus Schweden kommen würdest... Ich würde eher Deutschland sagen.“

Sie lächelte. „Stimmt, Deutschland. Meine Mutter hat es einfach nur für ne gute Idee gehalten, mir und meiner Schwester ausgefallene Namen zu geben, da wir schon nen Allerweltsnachnamen haben...“ Sie lächelte schief und zuckte mit den Schultern.“Das ist dabei rausgekommen.”

Jyris ungleichmässiger und alles andere als angenehm zu nennender Gesang wurde auszugsweise lauter und Swentje verzog gequählt das Gesicht. „Uuuuh~... Er sollte nicht singen, wenn er getrunken hat...“

„Da stimme ich dir zu“, hörte sie Tuomas unglücklich sagen. Ein Blick in sein Gesicht machte deutlich, dass auch er alles andere als angetan von der Gesangsprobe war, deren Zeuge sie nun unfreiwillig wurden.

„Normalerweise singt er besser...“ knirschte sie und blickte so unglücklich, wie Tuomas zuvor geklungen hatte, zu Jyri hinüber. „Wenn man das denn singen nennen kann...“, warf Tuomas ein und folgte ihrem Blick. „Das ist ja noch schlimmer als mein Gesang und das soll was heissen...“, murmelte er mehr zu sich selbst, als dass es an sie gerichtet war.

Doch sie hörte es und nun war sie an der Reihe, dem Finnen einen amüsierten Blick zuzuwerfen. „Also ich find The Carpenter toll, ich weiss gar nicht, was du hast...“, meinte sie unschuldig. „Von mir aus, kannst du gern öfter mal singen.“ Tuomas stöhnte gepeinigt auf. „Nein! Definitiv nicht! Die paar Mal haben mir gereicht!” Er atmete hörbar aus und sein Gesichtsausdruck verriet, dass das nicht sein favorisiertes Gesprächsthema war. „Das war der absolute Albtraum! Meine Stimme klingt wie ein Evinrude-Motor, gesangstechnisch absolut ungeeignet!”

Sie grinste. „Also ich mag diese ach so ungeeignete Evinrude-Motor-Gesangsstimme.“ Tuomas fühlte sich unbehaglich und wandte den Blick ab, was Swentjes Grinsen noch breiter werden liess. Irrte sie sich oder bekam er etwas Farbe im Gesicht? Nach einem kurzen intensiven Blick, erlöste sie ihn schliesslich aus ihrer Musterung und sah wieder zu Jyri. So sah er also aus, wenn er nicht gerade den Gelassenen, Unnahbaren oder Selbstsicheren miemte, grinste sie in sich hinein. Lustig, wie peinlich ihm das Gesangsthema doch sein konnte.

Jyri war unterdessen etwas langsamer geworden, sodass sie aufholen konnten und Swentje sogar meinte, ein paar Brocken des Liedes verstehen zu können. „N’m~ori uof ju... weit’ill t mun~ng du... ’t h-öt mai sul - t’kllz mai maind~…” Swentje spürte, wie sich ihr Magen leicht zusammenkrampfte. Zutieft gepeinigt stöhnte sie auf. Das war doch hoffentlich nicht der Song, von dem sie dachte, dass er es war! „N’m~ory uof u... ’t fiels su dak ’nsde – we~tng tll t m~onin lait.“ Oh Gott, was war mit Jyri los!? Hatte der Alkohol jetzt seine ganze Wirkung vervielfältigt, oder wie!? “Was singt der da?”, hörte sie Tuomas wie aus weiter Ferne fragen. Das durfte doch nicht wahr sein! Nicht dieser Song!!! Sie konnte förmlich spüren, wie langsam alle Farbe aus ihrem Gesicht wich und sich sämtliche Häärchen aufzurichten begannen. Tuomas starrte sie völlig irritiert an und hatte das Gefühl, gar nicht mehr mitzukommen.

Bevor Jyri zur Wiederholung des Refrain ansetzen konnte, war Swentje bei ihm und hielt ihn an der Schulter fest. „Nein! Jyri! Bitte!! Nicht diesen Song! Bitte”, flehte sie und ihr Gesicht sah aus, als ob sie schon fast körperliche Schmerzen erleiden würde. „Bitte~! Vergewaltige nicht diesen Song! Jeden x-beliebigen anderen kannst du singen, aber nicht den! Bitte, tu mir das nicht an...“

Jyri hatte sich, während sie sprach, herumgedreht und blickte sie stirnrunzelnd an. „Isch will den abba singn. Isch mach diesn Zong.“

„Ich weiss, aber bitte hör auf...“, flehend sah sie ihm in die Augen. Sie senkte die Stimme etwas, als sie hinzufügte: „Du weisst, was mir dieses Lied bedeutet, also bitte tritt nicht darauf herum...“

Jyri atmete tief ein und zog, die Arme vor der Brust verschränkend, einen Schmollmund. „Wir können es ja morgen während der Probe spielen, ok!?“, versuchte sie einen Gegenvorschlag. Missmutig sah er erst sie und dann Bastian an. „Wenner sisch nich widder quärstellt...“, grummelte Jyri und stapfte weiter.

Swentje blieb zurück und atmete schliesslich erleichtert auf. Danke...

Tuomas stand immernoch da, wo sie ihn stehengelassen hatte und hatte die Stirn leicht kraus gezogen. Was war das nun gewesen? Er verstand ihre Reaktion nicht ganz. Ok, Jyris Gesang war echt grausig gewesen, aber die Reaktion kam ihm dann doch etwas überzogen vor... Andererseits... Er kannte den Hintergrund nicht...

Er musste wohl sehr skeptisch ausgesehen haben, denn er sah Swentje nach Worten suchen, als er an ihr vorbeiging und ihr einen kurzen Blick zuwarf.

„Dieser Song...“ Sie kratzte sich verlegen am Kopf und sah ein kleines Stück an ihm vorbei. Seine Skepsis verwandelte sich in Verwunderung. „... Er hat... ne spezielle Bedeutung für mich... von daher...“ Sie liess den Satz unvollendet und hob stattdessen die Schultern. Er wusste nicht ganz, was ihm das sagen sollte, ausser, dass sie nicht darüber reden wollte und offensichtlich ziemlich empfindlich reagieren konnte, was das Lied anging. Aber gut... Das ging ihn ja eigentlich auch nichts an.

Und so setzten sie ihren Weg weiter schweigend fort.

Kapitel 4.3

Bis sie einige Minuten später die Stufen zur Haustür hinaufstiegen, wechselten sie kaum ein weiteres Wort und das Schweigen zwischen ihnen war fast schon erdrückend geworden. Swentje überlegte angestrengt, wie das Ganze jetzt wohl enden sollte...

Jyri hatte unterdessen seinen Schlüsselbund herausgekramt und probierte konzentriert die einzelnen Schlüssel durch. Einen Augenblick lang überlegte sie, ob sie ihn gewähren lassen sollte, doch sie spürte Tuomas Gegenwart wie ein Brennen im Rücken und so entschied sie sich dagegen. Die Situation war schon unangenehm genug, sie mussten jetzt nicht noch eine weitere halbe Stunde schweigend vor der Tür stehen, bis Jyri endlich den richtigen Schlüssel gefunden hatte.

Sie trat neben ihren Freund und streckte fordernd die Hand nach dem Schlüsselbund aus. Jyri ignorierte die Geste und stocherte weiter mit dem Schlüssel für ein Vorhängeschloss an der Haustür herum. Als Swentje die Geste etwas eindringlicher wiederholte, grummelte er nur etwas und drehte sich ein Stück von ihr weg. Sie seufzte leicht genervt. Warum musste er nur immer so ein Kindskopf sein, wenn er getrunken hatte?

Wortlos griff sie zu und versuchte Jyri den Schlüsselbund aus der Hand zu nehmen, doch dieser hielt ihn eisern fest und blickte sie nur stirnrunzelnd an. „Wass soll’nn daz werdn, wennz fertisch is?“ Swentje griff nun auch mit der zweiten Hand zu und versuchte seine Finger von dem Bund zu lösen. „Ich will die Tür aufschliessen.“, erklärte sie ruhig, während sie die Schlüssel aus seiner Hand zu winden begann. Entschieden zog er die Hand zurück und sie hatte keine andere Wahl, als die Finger von den Schlüsseln zu nehmen, wollte sie nicht Gefahr laufen, dass Jyri sich unabsichtlich einklemmte oder verdrehte. Sie stemmte die Hände in die Hüften und blickte ihn wie einen kleinen ungezogenen Jungen an.

„Isch will das machn!“, nuschelte er und warf ihr einen strafenden Blick zu. „Ich würd aber gern noch vor Sonnenaufgang das Haus betreten“, gab sie schnippisch zurück, was aufgrund von Jyris überhöhten Alkoholkonsums zur Folge hatte, dass er unwillkührlich den Kopf drehte und den Nachthimmel inspizierte. Swentje schloss kurz tief einatmend die Augen und massierte sich die Schläfe.

„Daz kriech isch’in“, meinte Jyri dann und probierte den nächsten Schlüssel am Bund. „Jyri, du bist total betrunken...“, versuchte sie zu argumentieren, doch er fiel ihr sofort ins Wort. „Bin isch nich!!!“ Er verengte die Augen, um das Schlüsselloch besser anvisieren zu können und verfehlte es dann um ganze fünf Zentimeter. „Nur Betrunkene verleugnen, dass sie betrunken sind“, meinte Swentje trocken.

„Isch bin abba nich b’trunkn!“, versicherte er ihr und setzte zum zweiten Versuch an. „I’schaff daz...“, meinte er etwas leiser und traf nach dem vierten Versuch die gewünschte Stelle, nur um nach einigem erfolglosem Drücken festzuztellen, dass es wieder der falsche Schlüssel war.

Swentje seufzte ergeben und liess sich mit dem Rücken gegen die Tür fallen. Ihre Hände wanderten wie von selbst wieder in ihre Hosentaschen und sie blickte zu Tuomas, um dann entschuldigend die Schultern zu heben.

Er hob ebenfalls die Schultern. „Es könnte schlimmer sein... Immerhin regnet es nicht...“, versuchte er unbeholfen die Situation zu entspannen.

Sie verzog leicht das Gesicht. „Sag das nicht. Bei dem Glück, was ich heute habe, könnt es glatt aus heiterem Himmel anfangen, zu hageln. Mit golfballgrossen Hagelkörner!“ Sie zog vielsagend die Augenbrauen hoch und blickte dann seufzend in die Ferne. „So hatte ich mir meinen Urlaub nicht vorgestellt... Babysitter für die Jungs spielen, na super... Man sollte meinen, dass sie mit 27 in der Lage sind, selbst auf sich aufzupassen...“

Tuomas musterte sie, wie sie in Gedanken versunken an der Tür lehnte. „Es ist ja erst der erste Tag, das heisst ja nicht, dass der Rest der Zeit hier genauso abläuft“, startete er unsicher einen Aufmunterungsversuch. „Na das will ich aber auch stark hoffen!“, gab sie zurück und sah ihn an. „Das war bis jetzt die dümmste Sauftour, die Jyri je gemacht hat und ich hab schon einge davon miterlebt.“

Er lächelte schief, aber aufmunternd. „Es kann also nur besser werden! Wie sagt man doch gleich: Lächle und sei froh, es könnte schlimmer kommen...“ Sie verkniff sich die pessimistische Antwort, die ihr auf der Zunge lag und lächelte stattdessen leicht.

Das Geräusch eines sich im Schloss drehenden Schlüssels liess sie den Kopf drehen und sich vorsichtshalber leicht von der Tuer abstossen, bevor Jyri die Tuer aufreissen und sie somit ruecklings in den Flur befoerdern konnte.

Swentje verzog anerkennend den Mund. „Das war schneller, als erwartet“, murmelte sie und betrat hinter Jyri den Flur. Tuomas blieb etwas unschlüssig im Eingang stehen.

Erst, als Swentje an ihm vorbei zurück zum Schlüsselbund griff, das Jyri an der Tür hängengelassen hatte, betrat er, um ihr Platz zu machen, den Flur. Sein Blick huschte über die Einrichtung. Er konnte rechts am Ende des Flures eine Holztreppe an der Wand ausmachen, die auf eine Art Gallerie führte, von der ein paar Türen in andere Räume führten. Der Fuss der Treppe schien sich am Anfang des Wohnzimmers zu befinden, in welches Jyri gerade links einbog. Er war überrascht, wie modern, aber trotzdem warm hier alles eingerichtet war.

Swentje warf die Schlüssel auf den kleinen Schrank neben der Garderobe und zog sich mit den Füssen die Schuhe aus. Dann wandte sie sich zu Tuomas um. „Okay~... Danke für die tatkräftige Unterstützung.“ Sie lächelte ihn an und er nahm dies als Aufforderung, ihr Bastian wieder zu übergeben. „Kein Problem. Ich hätt dich ja schlecht allein mit den Beiden kämpfen lassen können.“ Er lächelte zurück.

„Oh, hättest du schon können... Jedenfalls wäre das die normale Reaktion in Deutschland gewesen“, gab sie zurück, winkte dann aber sofort ab, als er sie verwundert ansah. „Nicht so wichtig. Ich empfinde Deutschland einfach als ein sozial kaltes und egoistisches Land.“ Darauf wusste er spontan nichts zu erwidern und so half er ihr einfach, sich Bastian wieder anzunehmen, als aus dem Wohnzimmer ein begeisterter Ausruf ertönte. „Krass!!! Sait wann habn we denn’n Pool???“ Swentje erstarrte. Nein~... Bitte nicht~... „Jyri! Bleib von der Veranda weg!!!“, rief sie ihm drohend zu, als sie auch schon hörte, wie die Glastür aufgeschoben wurde. „Fuck!“ Sie stiess Bastian zurück in Tuomas’ Arme, der diesen völlig überrumpelt auffing. Dann war sie auch schon im Wohnzimmer und aus seinem Blickfeld verschwunden. Irgendetwas landete mit einem dumpfen Geräusch auf einem Glastisch. Perplex starrte er ihr nach. Was war denn nun schon wieder los!?

„Jyri, geh vom Pool weg!“, konnte er sie von draussen rufen hören. Dann schien eine Art Diskussion zu folgen, von der er allerdings nur ihre Worte verstehen konnte, da Jyri einfach zu leise und undeutlich sprach. „Ja, ich weiss, dass das Licht im Wasser cool aussieht. ... Nein, können wir nicht! ... Nein! ... Das kannst du morgen machen! ... Verdammt, Jyri!!!“ Suchend sah sich Tuomas um und entschloss sich, Bastian auf den untersten Stufen der Treppe abzusetzen. Also hievte er ihn wieder hoch und trug ihn halb zum Treppenabsatz hinüber. Rechts von ihm stand eine Tür etwas offen und er konnte ein grosses Badezimmer dahinter erkennen. „Nein, Jyri!!!... Nun komm schon!“ Dort setzte er ihn ab und bettete seinen Kopf am untersten Geländerpfosten, damit er nicht umkippte, bevor er sich wieder aufrichtete. „JYRI~!!!“, schallte Swentjes spitzer Schrei durch die Nacht und liess Tuomas zur Veranda herumfahren. Noch bevor er die Drehung ganz vollendet hatte, hörte er ein lautes Platschen und sah nur noch wie Wasser aus dem Pool aufspritzte und sich über die Terrasse verteilte. Er konnte nur noch ungläubig die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Das gab’s doch nicht! Wo war er hier nur hingeraten!?

Kurz darauf tauchte Swentjes Kopf wieder auf, gefolgt von einer Hand, die Jyri am Kragen gepackt hatte. Der Pool schien tief zu sein, da sie immer wieder unterging, als sie Jyri zum Beckenrand zerrte. Mit einer Hand hielt sie sich an einer der eingelassenen Stufen fest, mit der anderen drückte sie Jyri hoch. Tuomas folgte der Szenerie nur weiter mit fassungslosem Blick. Bauten er und seine Freunde auch immer so einen Bockmist, wenn sie betrunken waren? Kurz blitzte eine der vielen Geschichten vor seinem inneren Auge auf, wenn sie waehrend einer Tour betrunken waren... Ja.... Definitiv...

Jyri krabbelte aus dem Pool und richtete sich bedrohlich schwankend auf. Swentje beobachtete ihn einen Moment lang kritisch und stemmte sich dann selbst aus dem Wasser, als Jyri einen Schritt vom Pool wegmachte. Ein Schwall Wasser ergoss sich auf die Steinplatten, als sie sich aufrichtete und vermischte sich mit der Wasserlache, die Jyri bereits hinterlassen hatte. So gut es ging, versuchte sie so viel Wasser wie möglich aus ihrer Kleidung zu bekommen, bevor sie sich wieder dem Halbfinnen zuwandte. Die ganze Zeit hatte sie kein einziges Wort gesagt und auch jetzt stiess sie Jyri schweigend vor sich her Richtung Wohnzimmer. Dieser wollte erst bezüglich der Behandlung aufbegehren, aber ein einziger Blick in ihr Gesicht liess ihn jeden Gedanken an Protest vergessen. Viel eher begannen sich Schuldgefühle auf seinem Gesicht abzuzeichnen und seine ganze Körperhaltung begann mehr und mehr der eines jungen Hundes zu ähneln, der genau wusste, dass er Mist gebaut hatte und nun mit eingeklemmtem Schwanz auf das Donnerwetter seines Herrchens wartete.

Welches ausblieb... Und Jyri nur noch elender zumute werden liess. Sie wurde nicht laut, sie bedachte ihn nicht mit unzähligen Schimpfnamen, sie sagte gar nichts... Sie war echt sauer...

Auch Tuomas blieb stumm und beobachtete, wie sich kleine Wasserlachen auf dem Parkettboden im Wohnzimmer auszubreiten begannen. Swentje blieb an der Treppe stehen und stiess Jyri Richtung Badezimmer. „Ausziehen, alles!“, befahl sie leise. Er wollte sich umdrehen und etwas sagen, doch ein kurzen Verengen ihrer Augen liess ihn dieses Vorhaben sofort wieder vergessen und ins Bad verschwinden. Sie drehte sich um und öffnete eine Tür hinter der Treppe. Nach einigen Augenblicken kam sie mit Wischmop und Eimer wieder hinaus und stellte diese auf den Gang, bevor sie die Tür wieder schloss.

„Und ich laechelte und war froh, und es kam schlimmer...“, knurrte sie leise, in Anlehnung an Tuomas Aufmunterungsversuch vor der Haustuer.

„Oh man...“, sagte Tuomas schliesslich leise zu sich selbst. Swentje blickte auf und direkt in seine Augen. Einen kurzen Augenblick war er in dem harten Ausdruck der Augen und dem Gewitter darin gefangen, aber dann wandte sie den Blick wieder ab und griff nach dem Mop. „Keine Sorge.“ Ihre Stimme klang ruhig, leise, aber gleichzeitig unnatürlich beherrscht, fast schon emotionslos. „Er wird es ueberleben. Morgen wird er sich nichtmal mehr daran erinnern können.“ Sie schnaubte geringschätzig und fischte ihr triefendes Portemonaie aus der Hosentasche. Mit einem lauten, nassen Klatschen landete es auf der Treppe und begann dort ebenfalls eine Wasserlache zu bilden. „Auch wenn Alkohol keine Entschuldigung ist, kann ich ihm deswegen schlecht den Arsch aufreissen.“ Tuomas Blick war auf ihren Rücken geheftet, als Jyri aus dem Badezimmer trat und sich die Aufmerksamkeit der beiden wieder auf ihn richtete. Er trug ein schmales Handtuch um die Hüfte und blieb einen Moment lang unschlüsslig stehen. Er warf Swentje einen vorsichtigen, scheuen Blick zu, aber da sich an ihrer brodelnden Ausstrahlung nichts geändert hatte, schlich er schliesslich nach oben und zog Bastian gleich mit sich. Sie folgte ihm mit Blicken, als sie Tuomas sagen hörte: „Ok... Ich werd dann auch mal nach Hause gehen...“ Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihm zu und erwiderte dann das leichte Kopfnicken mit einem Heben der Hand. „Tu das... Ich hab noch was zu tun.“ Sie hob den Mop. „Der Boden soll ja kein Eigenleben entwickeln.“ Irrte er sich oder war das gerade ein Scherz gewesen?! Ein Mundwinkel zog sich leicht nach oben und er hob nun ebenfalls die Hand zum Gruss. „Viel Spass dabei!“

Sie knurrte leise und warf ihm einen bitterbösen Blick zu, den er mit einem absolut unschuldigem Grinsen quittierte. Dann zog er die Tür hinter sich ins Schloss und verliess das Grundstück. Komische Leute..., grinste er leicht in sich hinein. Er wusste nicht wirklich, was er von ihnen halten sollte. Besonders Swentje wirkte irgendwie...

Ja, wie eigentlich?!

Er hatte keine Ahnung...

Einerseits sehr lebhaft und direkt, andererseits...

Tja...

Sie schien sehr ... facettenreich zu sein...

Er schüttelte den Kopf und zog die kühle Nachtluft tief in seine Lunge, bevor er wieder in seine Jackentasche griff und seine Zigaretten herausholte.

Was soll’s. Er hatte wahrhaft wichtigeres zu tun, als sich den Kopf über sie zu zerbrechen. Es wartete genug anderen Kram auf ihn, den er sich um die Ohren schlagen konnte, als ein paar Urlauber in Kitee...

Er zündete sich eine Zigarette an und machte sich auf den Heimweg. Allzu weit war es ja nicht mehr.

Kapitel 5

Habt Spass mit dem Kapitel! Und für alle, die die FanFic fast nur wegen Tuomas lesen: er kommt bald wieder mehr vor. =) Um einiges mehr... ;)
 

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Kapitel 5
 

Sie war, wie erwartet, die Erste, die am nächsten Morgen erwachte. Durch die nur angelehnte Balkontür konnte sie die Vögel draussen singen hören und ein Streifen hellen Sonnenlichts fiel auf den Boden.

Träge streckte sie die Beine aus uns drehte sich auf den Rücken. Sich gähnend strecktend blinzelte sie zur Decke. Dann liess sie schläfrig die Arme wieder auf das Kopfkissen fallen und dämmerte noch etwas mit halb geschlossenen Augen vor sich hin. An der gegenüberliegenden Wand schnarchte Jyri leise. Wie so oft nach einer Sauftour, lag er auch diesmal in einer total merkwürdigen Position da. Ein Bein war angewinkelt, das andere hing aus dem Bett. Den Oberkörper hatte er auf die Seite gedreht, sodass sein Kopf auf seinem rechten Oberarm lag, während sein Arm halbwegs aufgestützt wirkte und die Hand sich in seinem zerwühltem Haar verlor. Der andere Arm verschwand unter dem Kopfkissen, in das er sich gekuschelt hatte.

Swentje drehte den Kopf und sah über ihren Arm hinweg zu ihm hinüber. Wiedermal fragte sie sich, warum er davon nie mit einem mörderischen Muskelkater aufwachte... Wahrscheinlich bemerkte er ihn nur nie, weil die Kopfschmerzen ihn am nächsten Morgen jedes Mal fast umbrachten...

Sie unterdrückte ein erneutes Gähnen und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Dann warf sie die Decke zurück, starrte noch einen Augenblick an die Decke, bevor sie sich schliesslich mit einem tiefen Seufzer aufrichtete. Sie hoffte stark, dass die Jungs die Probe wenigstens nicht ganz versauen würden.

Sie schob die Beine vom Bett und stand auf. Leise ging sie ans Kopfende ihres Bettes, um die dort an der Wand stehende Kommade zu öffnen. Sie griff sich wahllos einen neuen Satz Unterwäsche und ein paar Socken. Dann suchte sie sich eine schwarze Kunststoffhose heraus, die auf Survivallook gemacht war, und ein schwarzes Oberteil mit ¾ Ärmeln, schulterfreiem Ausschnitt und silbernem Tribaldrachen auf der Brust. Alles zusammen landete auf dem Bett, als Swentje sich ihr zu grosses Wacken T-Shirt, mit dem sie meistens schlief, über den Kopf zog und es in der gleichen Bewegung aufs Bett pfefferte. Sie angelte nach der frischen Unterwäsche und kurz darauf war sie komplett angezogen. Sie warf die Bettdecke unordentlich über ihre Schlafstätte und zog im Hinausgehen ihre Kette enger, sodass die beiden Knoten, mit denen sie die Weite des Bandes einstellen konnte, sich vorne am Anhänger trafen, der nun in der Senke unterhalb ihrer Kehle lag. Sie warf dem schlafenden Jyri einen letzten Blick zu, als sie das Zimmer verliess und nach unten ins Bad ging, um sich frisch zu machen.

Mitten beim Zähneputzen hielt sie plötzlich inne und blickte sich selbst einen Moment lang kopfschüttelnd im Spiegel an. Warum hatte sie sich angezogen, wenn sie doch eigentlich duschen konnte und wollte!? Der Unialltag hielt sie echt noch in seinen Klauen...

Überprüfend warf sie einen Blick auf den Display ihres Klapphandys, das sie heute morgen hier abgelegt hatte, nachdem sie ihre nassen Sachen neben Jyris aufgehangen hatte. 08:12 Uhr... Sie liess geknickt kurz den Kopf hängen und bekleckterte sich fast mit Zahnpasta. Mit einer schnellen Bewegung konnte sie das Unglück allerdings abwenden und es landete im Waschbecken.

Na ja, gut. Verschlief sie halt nicht den ganzen Tag und konnte die Zeit wenigstens nutzen. Sie spühlte den Mund aus, wusch sich das Gesicht und trocknete es ab. Dann griff sie nach dem Saum ihres Oberteil und wollte es sich gerade über den Kopf ziehen, um den Gedanken an eine Dusche in die Tat umzusetzen, als ihr ein andere Gedanke kam. Das Oberteil schon halb ausgezogen, lehnte sie sich nach hinten und warf einen Blick durch die halboffene Badezimmertür und das Wohnzimer zum Pool hinüber. Viel bessere Idee!!!

Sie entledigte sich vollends des Oberteils und warf es achtlos in eine Ecke. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, lief sie die Treppe wieder hinauf und in ihr Zimmer. Dort griff sie sich ihren Sportbadeanzug und war fast sofort wieder unten im Bad, wo dem Oberteil der Rest ihrer Kleidung, sowie Kette und lederne Armmanschette folgte. Nachdem sie den Schwimmanzug angezogen hatte und sich die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, ordnete sie ihre am Boden liegenden Sachen etwas, nahm sich ein Badetuch und begab sich zum Pool. Sie warf es auf einen der Liegestühle und schritt den abgerundeten und zum Haus hin eine leichte Rechtsbiegung machenden Pool der Länge nach ab.10 Meter... Gut, um einiges kürzer, als in der Halle, aber na ja. Würde sie halt einige Turns mehr machen müssen.

Kurz darauf tauchte sie am hinteren Ende des Pools mit einem Kopfsprung ins Wasser und war angenehm überrascht, als es sich als wärmer als erwartet herausstellte.

Einen Augenblick lang genoss sie das Gefühl, durchs Wasser zu gleiten, bevor sie mit der ersten Schwimmbewegung begann, ausatmete und mit dem Kopf durch die Oberfläche stiess...

45 Minuten später stand sie unter der Dusche und liess das heisse Wasser auf sich herabprasseln. Sie liebte diese Art von Duschen. Einfach die Halterung des Duschkopfs in der Wand befestigt und gut war. Keine Kabine, kein Vorhang. Sie konnte sich wahrend des Duschens quasi völlig frei im Bad bewegen. Dabei war das grosse Bad angenehm schlicht gehalten. Wenn man denn eine halb in den Boden eingelassene grosse Eckbadewanne als schlicht bezeichnen konnte... Aber immerhin befand sich bis auf das Fenster über einer Ecke der Badewanne und einem breiten Spiegel über den Waschbecken, nichts gläsernes im Raum, was das Putzen ansonsten ziemlich aufwendig gestaltet hätte. An der Wand ihr gegenüber befanden sich zwei Waschbecken, die in eine marmorn aussehende Platte eingelassen waren und unter denen sich vier Schränke befanden. Rechts davon befand sich die Tür und links davon die Toilette. An der Wand zwischen Toilette und Eckbadewanne, welche sich links von der Dusche befand, waren drei Regale angebracht, auf denen sich Handtücher, Badetücher und Duschzeug befanden. Ansonsten war der grosse Raum leer und wirkte gerade deswegen ziemlich beeindruckend.

Nach einer ausgiebigen Dusche setzte sie Kaffee auf und entschied sich für Pfannkuchen mit Obstsalat zum Frühstück.

Wenig später überlegte sie, den Teller mit den eingerollten Pfannkuchen mit teils Obstsalat, teils nur Zucker oder Nutella als Füllung auf dem Couchtisch abstellend, welchen Film sie sich ansehen könnte. Sie stellte den Becher Kaffee daneben und begab sich zum übergrossen Fernseher, um im Schrank darunter die Filmauswahl durchzusehen. Da sie so gut wie alle neuen Filme bereits im Original aus dem Internet kannte, blieb ihr Blick schliesslich bei Matrix und X-men hängen. Beide Reihen hatte sie schon lange nicht mehr gesehen, beide Triologien fand sie gut und so hatte sie einige Probleme, sich für eine zu entscheiden.

Schliesslich machte sie es sich ganz einfach: Sie nahm je einen Schuber in eine Hand, schloss die Augen und drehte sie auf den Kopf. Sie hörte, wie die DVD-Hüllen auf den Boden fielen und griff sich dann, immernoch mit geschlossenen Augen, einen Film, nachdem sie eine Weile in dem Haufen herumgewühlt hatte.

X-Men.

Ok, sah sie sich diese Triologie halt an.

Sie schob den ersten Teil in den Player, sammelte die anderen Hüllen ein, packte Matrix zurück in den Schrank und legte die beiden anderen Teile von X-Men auf den Tisch. Dann griff sie sich die Funkkopfhörer und liess sich auf die Couch fallen. Sie hatte zwar nicht übel Lust, die Jungs aus den Betten zu schmeissen, aber die Probe würde einfach besser verlaufen, wenn sie sie weiterschlafen liess. Also nahm sie den Teller vom Tisch, platzierte ihn auf ihrem Schoss, ihre Füsse wiederum auf dem Tisch und genoss ihren ersten offiziellen Semesterferienmorgen.
 

Nach dem 2. Teil der Triologie stand sie auf, streckte sich geräuschvoll und stellte das Geschirr in die Spülmaschine. Langsam konnten die vier Schnapsleichen mal auferstehen.

Sie ging nach oben und öffnete lauter, als notwendig war, die vordere der beiden Türen. Sofort schlug ihr der widerlich süsse Geruch von Alkohol entgegen, den die drei Komapatienten ausdünsteten. Mit einem angwiderten Geräusch wandte sie den Kopf ab, um noch einmal Luft zu holen, bevor sie eintrat.

Im Raum war es dunkel, sodass sie Bastian, Kim und Stefan nur als dunkle Schemen auf ihren Betten ausmachen konnte. Schnurstraks ging sie auf die Balkontür zu. Mit Schwung riss sie die dunklen Vorhänge auf und helles Sonnenlicht flutete in den Raum. „Guten Morgen!“, rief sie übertrieben fröhlich und zog die Balkontür ebenso schwungvoll auf, um dann die frische Luft tief in ihre Lungen zu ziehen. Hinter ihr wurde unwilliges und protestierendes Murren laut und das Rascheln von Bettdecken verriet, dass sie sich alle Drei selbige über den Kopf zogen und sich abwehrend darunter zusammenrollten.

Sie drehte sich energiegeladen um. „Es ist halb Zwei, liebe Leute, also raus aus den Federn!“ Doch als Antwort bekam sie nur wieder unwillige Laute zu hören.

„Na los!“ Sie klatschte zweimal in die Hände und ging wieder Richtung Ausgang. „Auf! Auf! Wir wollten proben! Unten warten schon Kaffee und Aspirin!“ Sie schloss die Tür wieder laut hinter sich und ging in ihr Zimmer. Als sie die Tür öffnete, ertönte sofort Jyris rauhe Stimme. „Ich bin wach! Ich bin wach...“ Er wälzte sich stöhnend auf den Rücken.

„Nett hörst du dich an“, grinste Swentje und schloss die Tür hinter sich. Sie ging zu ihm hinüber und blickte auf ihn herab. „Man, siehst du scheisse aus.“ Er blinzelte zu ihr hinauf und versuchte zu sprechen, bekam aber nur ein heiseres Krächzen zustande. Sie zog eine Augenbraue hoch. „Na ich will nicht hoffen, dass Bastians Stimme genauso im Arsch ist...“ Jyri räusperte sich lautstark und seufzte dann. „Gib mir ein paar Minuten...“, bat er und schloss, sich zurücksinken lassend, die Augen. Wieder grinste sie. Gott, war der Junge fertig. „Sicher. Übrigens sehr sexy, diese raue tiefe Stimme.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Steht dir immer wieder.“

Träge öffnete er ein Auge und sah sie abschätzend an. Sie lächelte zurück und zog dann warnungslos den Vorhang auf. Stöhnend kniff er die Augen zusammen und zog die Decke höher, wahrend Swentje die Glastür völlig aufzog, um frische Luft hereinzulassen. Es stank hier zwar bei Weitem nicht so sehr, wie im anderen Zimmer, aber man konnte trotzdem Jyris gestrige Eskapade erriechen. Sie wuschelte ihm kurz durch die zerzausten Haare. „Die Dusche wartet“, meinte sie freundlich und verliess den Raum.

Im Wohnzimmer angekommen, blieb sie einen Moment lang unschlüssig stehen. Bis die Jungs sich wirklich aus den Betten gequält haben würden, würden mit Sicherheit noch an die zwei Stunden vergehen... Wie sollte sie die Zeit bis dahin verbringen!?

Sie könnte zum See gehen, in der Gegend herumwandern, schonmal ihre Parts durchproben, wobei sie diese aber eigentlich beherrschte. Sie war schliesslich der Songwriter.

Apropos Songwriter…, kam ihr da ein Gedanke. Sie war noch immer nicht wirklich zufrieden mit ihrem Lied >Promised land<. Wurde mal wieder Zeit, dass sie versuchte, etwas an diesem Zustand zu ändern.

Also ab an den See!, entschied sie. Sie ging zum Glastisch und griff in das Fach darunter, um ihre Mappe mit Texten und Entwürfen hervorzuholen. Dann verliess sie das Grundstück durch den Wald und schlug den Weg zum Steg ein, der auf den See hinausführte.
 

Sie wusste nicht, wie lange sie schon an den Noten für den Song herumbastelte, als sie Schritte hinter sich auf dem Steg hörte. Sie verstummte und öffnete die Augen.

„Lass dich von uns nicht stören“, vernahm sie Jyris Stimme. „Mach ruhig weiter“, fügte Stefan gähnend hinzu und liess sich ächzend neben ihr nieder. Sein Kopf sank in seine Hände und er atmete schwer. Leicht besorgt musterte ihn Swentje. „Alles ok?“

Ohne den Kopf aus den Händen zu heben, drehte er diesen etwas und blickte mit einem Augen zu ihr hinüber. „... Geht so... Mein Kopf verträgt das Bier hier nicht so gut...“

„Und das hätte dir nicht gestern Abend einfallen können? Ich mein, ihr seit schon seit ein paar Tagen hier und ich bezweifle stark, dass das gestern die ersten Biere waren, die ihr hier getrunken habt...“, seufzend blickte sie ihn an, die Stirn etwas missmutig in Falten gelegt. „Hey, nun hack nicht noch auf mir rum...“, grummelte er leise. „Ich hab doch gar nicht so viel getrunken... Jedenfalls nicht im Vergleich zu Jyri oder Bastian...“

„Tolles Argument“, murrte sie.

„Ach nun sei nicht sauer“, fügte jetzt auch Jyri hinzu und sie hatte nicht übel Lust, ihm zu sagen, wie sehr sie eigentlich das Recht hatte, sauer zu sein. Aber so normal wie er sich benahm, wusste sie, dass er wirklich alles, was gestern abend passiert war, vergessen hatte. „Lass die Asperin erstmal wirken, dann passt auch alles wieder.“

„Na das will ich doch hoffen“, entgegnete Swentje stattdessen. „Wie gehts dir? Und Bastian? Is seine Stimme ok?“

„Jap.“ Jyri streckte sich und seine Schultern knackten protestierend. Unvermittelt zuckte er zusammen und eine Hand begann über seine rechte Schulter zu streichen. Swentje konnte sich lebhaft vorstellen, wie diese nach der gestrigen Rangelei um die Motorradschlüssel aussehen musste. „Sein Magen ist wohl das grösste Problem...“, riss er sie aus ihren Gedanken und Swentje verdrehte seufzend die Augen. Na wunderbar... „Ich hoffe, das renkt sich auch wieder ein…” „Und meiner fühlt sich auch nicht so prall an...“, fügte Jyri das Gesicht verziehend hinzu. Was für ein Wunder..., dachte Swentje innerlich den Kopf schüttelnd. „Ja, das kann ich mir denken... Autos können ja so mies sein, nicht wahr!?“

Sie legte den Songtext samt Mappe weg und zog die Beine wieder auf den Steg. „Autos?“ Jyri sah sie verständnislos an. „Oh Gott...“ Es schien ihm was zu dämmern. „Sag nicht, ich hab im Rausch schon wieder totale Scheisse gebaut...“ Swentje registrierte belustigt den fast schon verzweifelten Unterton in seiner Stimme. „Tust du das nicht immer!?“, gab Stefan seinen Senf dazu und erntete sofort einen bösen Blick von Jyri.

„Nicht mehr, als normalerweise“, beruhigte sie ihn dann und angelte nach ihren Schuhen.

„... Das heisst, ich will’s lieber gar nicht wissen...!?“, harkte er etwas unsicher nach. „Ach ich könnts dir schon erzählen...“, setzte Swentje an und band sich die Schnürsenkel zu. „Nein!“, unterbrach er sie hastig. „Lieber nicht... Solange ich es nicht weiss, muss es mir auch nicht peinlich sein!“ So einfach war das für Jyri. Swentje schüttelte nur stumm den Kopf. Damit schien das Thema für ihn auch schon erledigt zu sein und er beugte sich vor, um die Änderungen zu studieren, die sie am Song vorgenommen hatte. Er runzelte überrascht die Stirn. „Du hast Grundschlag und Takt beschleunigt?“

„Ja“, antwortete sie, ohne von ihren Schuhen aufzublicken. „Wir sind doch ne Power-Metal-Band, also wollt ich da mal ein bisschen mehr Schwung reinkriegen.“ Nun blickte auch Stefan neugierig auf das Notenblatt und verfolgte die mit Bleistift vorgenommenen Veränderungen in der Takt- und Notengebung. „Sieht gut aus“, meinte er schliesslich und sah wieder auf. “Mal schaun, was draus wird. Ich bin mir noch nicht ganz sicher...“, wehrte Swentje kurz lächelnd ab und verstaute den Papierkram wieder in der Mappe, bevor sich sie erhob. „Woll’n wir zurück? Wird langsam Zeit.“

„Ok...“ Stefan richtete sich umständlich auf und schlurfte dann hinter den Beiden her.
 


 

Er sass vor seinem Keyboard und hatte sich entspannt zurückgelehnt. Die Augen waren geschlossen und seinen Gedanken hatte er freien Lauf gelassen. Er sollte erstmal in sich selbst aufräumen, bevor er sich an die Lieder setzte...

Seine Gedanken kehrten zu ihrer Welttour zurück, die sie gerade hinter sich gebracht hatten. Wer hätte gedacht, dass sie so bombastisch werden würde? Die Fans und die Metalszene hatten Anette überraschend gut aufgenommen und keine ihrer schlimmen Befürchtungen waren eingetreten. Kein Boykott, keine fliegenden Tomaten, kein massenhaftes Ausbuhen. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Im Grossen und Ganzen war die Tour eine der Besten gewesen, die sie bis jetzt gehabt hatten. Sah man von den Pannen an einigen Flughäfen mal ab, wegen denen sie ein paar Konzerte kenzeln mussten...

Trotzdem begann sich ein warmes Gefühl der Zufriedenheit in ihm auszubreiten. Die Band war wieder eine Band. Sehr viel vertrauter und enger zusammengerückt als zuvor, was ihn zusätzlich mit so etwas wie Glück erfüllte.

Das Einzige, dass ihm negativ im Kopf herumspukte, waren einige Meinungen und Ansichten über ihr Album, die sich hartnäckig in der Szene und unter den Fans zu halten schienen.

Stilverlust, Kommerz und die Popigkeit von Dark Passion Play...

Er und die Band verteidigten zwar immer wieder aufs Neue ihr Album, aber das war nunmal die Meinung der Hörer... Und er konnte nicht leugnen, dass es an seinem Ego kratzte, dass sie es so sahen.

Gut, eigentlich konnte es ihm egal sein, was die Massen vom Stil des Album hielten. Er machte Musik um der Musik willen und nicht, um irgendwelche Erwartungen zu erfüllen. Wenn ihnen nicht passte, was er fabrizierte... Keiner zwang sie, es sich anzuhören!

... Er wünschte, er könnte das wirklich so distanziert sehen... Die vielen Interviews, in denen er immer wieder Anettes Stimme verteidigen durfte und in denen er gegen den Vorwurf der Popigkeit anargumentieren musste, sollten ihn genug genervt haben, dass er eigentlich echt darauf pfeiffen können müsste.

Dummerweise hatte genau dieser Umstand auch bewirkt, dass sich diese Statements und Urteile in seinem Kopf festgesetzt hatten und nun doch irgendwie an seinem Ego und seiner Überzeugung nagten... Ihn in einen gedanklichen Strudel zogen, der ihn immer wieder mit sich in die Tiefe zu reissen versuchte...

Das Hochgefühl war verschwunden und hatte wieder einer Art Ärger und Unzufriedenheit Platz gemacht. Er hasste es, an sich selbst zu zweifeln... An seiner Arbeit... Warum nur konnte er nichts wirklich schätzen, was er machte??? Warum konnte er nicht einfach kompromisslos hinter dem stehen, was er erschuf oder tat und die anderen einfach reden lassen!? Warum war sein Selbstwertgefühl nur so dermassen im Arsch... Er wusste die Antwort, aber trotzdem... Man musste doch etwas daran ändern können...

Wieder drohte ihn der Strudel hinabzuziehen, doch er nutzte seinen oft gewählten Ausweg. Wäre ne Option, was darüber zu schreiben… Er hatte zwar bereits Ideen, aber die schienen momentan irgendwie blockiert zu sein... Vielleicht löste ja die Arbeit an einer neuen Idee die Blockade...

Er öffnete die Augen und legte langsam seine Finger auf die Tasten. Das Gefühl in Töne fassen.... Er schloss wieder die Augen und konzentrierte sich auf das Gefühl in seinem Inneren... Seine Finger senkten sich und begannen es in eine Melodie zu fassen...
 


 

Sie kochte innerlich.

Die Probe war ein kompletter Reinfall gewesen. Als etwas anderes konnte sie das Szenario nicht bezeichnen. Allerdings aus anderen Gründen als erwartet.

Wütend hieb sie die Faust gegen einen der Bäume, an denen sie gerade vorbeistapfte und trat kurz darauf beherzt einen Ast aus dem Weg. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Was sollte der Scheiss denn!? Wütend und verletzt presste sie die Kiefer aufeinander, konnte einen gekränkten Laut aber trotzdem nicht ganz unterdrücken.

Den Song bis zur nächsten Probe übermorgen umändern! Na klar! Sie schnaubte wütend. Den Text umschreiben! Logisch! Sie ballte die Fäuste. Das Keyboard mehr einbringen! Aber sicher doch! Scheiss drauf, dass durch all das das ganze Konzept über den Haufen geschmissen wird, das ganze Lied die Message nicht mehr rüberbringt! Scheiss einfach auf alles!!! Wieder fing sich ein Baum einen Hieb ein. Ich schüttel ja ein Lied nach dem anderen einfach so aus dem Ärmel! Ein morscher Ast zerbrach laut unter ihrem Fuss. Ich schlag mir mit dem Prozess des Songschreibens ja nicht die Nächte um die Ohren! Nein! Wieder flog ein Stein davon. Ich schnippse einfach mit den Fingern und er liegt fertig vor mir!

Ihr mich auch!

Wieder trat sie heftig nach einem Baum. Ihre Gedanken trieften nur so vor Bitterkeit und Sarkasmus. Wenn das alles so einfach ist, dann macht es doch selber! Schlau daherreden kann ich auch!!!

Sie streunte weiter wütend vor sich herbrodelnd durch den Wald und liess ihren Gedanken freien Lauf. Hier geigte sie ihnen so richtig die Meinung, warf ihnen imaginär all das an den Kopf, was sie ihnen eigentlich hatte sagen wollen, aber nicht gekonnt hatte. Einfach, weil sie sie mit ihren Worten zu sehr getroffen hatten. Sie hatte es wiedermal geschluckt, ihre Gefühle zurückgehalten und einfach nur schlicht und gepresst geantwortet.

Bis jetzt.

Nun stürmte sie schon fast durch den Wald, ohne überhaupt zu wissen, wohin ihre Beine sie trugen. Das Einzige, was momentan interessierte, war, dass die Gefühle irgendwie rauswollten und das am Liebsten in physischer Form. Sie wollte auf irgendetwas einschlagen, irgendetwas kaputtmachen, irgendjemanden erwürgen... Aber die einzige Möglichkeit dazu, bestand in ihren Gedanken. Vor ihrem inneren Augen schüttelte sie Kim grob durch und ohrfeigte Bastian wohl ein gutes Dutzend mal in schneller Abfolge, wobei sie beide lauthals anbrüllte. Den Gesichtsausdruck, den sie bei dieser Vorstellung draufhatte, hätte wohl jeden Menschen, der zufällig ihren Weg gekreuzt hätte, davon abgehalten, sie anzusprechen und vielmehr einen Bogen um sie zu machen. Wenn ihre brodelnde und aggressive Ausstrahlung sie nicht schon vorher dazu angehalten hätte.

Swentje brach ungeachtet eventüller Verletzungen weiter durch das Unterholz und liess sich auch von Brombeerranken nicht aufhalten, die sich über den Waldboden dahinzogen und sich um ihre Füsse zu winden schienen. Ohne auf die Schmerzen zu achten, die die Dornen verursachten, wenn sich losriss, marschierte sie weiter.

Vielleicht waren die Schmerzen sogar etwas willkommen...

Kapitel 6

Kapitel 6
 

Plötzlich packte sie jemand an der Schulter und wirbelte sie herum. Reflexartig hob sie den Arm und schlug die Hand grob beiseite. Ihre Augen blitzten bedrohlich und sie war bereit, auszuholen, um zuzuschlagen, aber als sie Jyri erkannte, entspannte sich ihre Haltung etwas. „Was?“, blaffte sie unfreundlich und ihre Augen funkelten wütend.

„Nun komm mal wieder runter! Kein Grund gleich abzuhauen!”, versuchte er sie unwirsch zurechtzuweisen. „Man kann auch überreagieren.“

„Überreagieren?!“ Sie starrte ihn fassungslos an und glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. „Du hast doch gesehen, was sie da abgezogen haben!“, fuhr sie auf.

„Sie haben Kritik an dem Song geäussert, das willst du doch immer“, formulierte er sauer, aber überlegt.

„Kritik geäussert?“ Ihr fiel fast die Kinnlatte runter. “Das nennst du Kritik geäussert!?” Sie hatte nicht über Lust, ihm an die Gurgel zu gehen. „Das war ein einziges Runtermachen meiner Arbeit!!!“ „Nun werd nicht melodramatisch!“, wehrte er leicht wütend dreinblickend ab. Nun klappte ihr wirklich der Mund auf und sie konnte ihn nur absolut fassungslos anstarren. „Sie haben dir gesagt, was ihnen an den Songs nicht gefällt und das ist jawohl ok. Sie haben dir konkrete Verbesserungsvorschläge gemacht und ihre Beschwerden nicht einfach so im Raum stehen lassen, also was willst du!?“

Swentje verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn undeutbar an. „So... Ich bin also melodramatisch, ja!?“

„Oh, nun komm mir nicht so!“ Genervt fuhr sich Jyri über die Augen. „Was?“, brauste sie auf. „Wie soll ich denn deiner Meinung nach reagieren, hä!?“ Mit einem verletzten Unterton funkelte sie ihn an.

„Keine Ahnung, aber nicht so!“ Jyri schrie nun fast. „Herr Gott verdammt, nimm nicht immer alles gleich so persönlich!“ „Was ist daran bitte schön nicht persönlich zu nehmen!?“ Swentje schrie nun ebenfalls fast. „Die Art und Weise war einfach unter aller Sau! Und jetzt versuch mir nicht weiszumachen, dass es an ihrem Kater liegt, dass sie sich in Tonfall und Worten vergriffen haben! Das ist noch lange kein Grund für sowas! Gut, die Kritik an >Demons and Angels< kann ich ja irgendwie noch so halbwegs verstehen, aber bei >In Memory< war das absoluter Bullshit! Verdammt, ihr wisst, was der Song mir bedeutet, ihr kennt den Hintergrund dazu und dann muss ich mir das anhören!? Wie soll ich das bitte schön nicht persönlich nehmen!?“ Swentje war unglaublicherweise immer lauter geworden und den letzten Satz brüllte sie Jyri geradewegs ins Gesicht.

Schweigend sah er sie an und sein Blick folgte einer einzelnen Träne, die sich ihre Wange hinabstahl.

„Ob sie sich in den Worten vergriffen haben, kann man so oder so sehen“, sagte er schlieslich im ruhigen, leisen Tonfall. Swentje fuhr mit einem unterdrückten zornigen Laut herum und blinzelte wütend die Tränen weg, die ihr in die Augen steigen wollten. Verdammt! Sie stemmte eine Hand gegen einen Baum und starrte, die Kiefer aufeinanderpressend, auf das Stück Waldboden, dass sich zwischen ihren Füssen und dem Baumstamm befand. Aber auch, wenn sie das Gesicht abgewandt hatte, drückte ihr Körper deutlich genug aus, was die Wut zu überdecken versuchte.

Er seufzte leise.

„Ich kann dich ja verstehen, dass dir die Kritik an gerade diesen beiden Songs so nahe geht, aber das heisst nicht, dass sie falsch oder böse gemeint ist“, versuchte er weiter zwischen den Fronten zu vermitteln. „Versuch doch mal, ihren Standpunkt zu verstehen...-“ „- Das habe ich! Und das ist auch wohl der einzige Grund, warum ich nicht schon im Keller abgedreht bin“, stiess sie zwischen den Zähnen hervor. „Man kann nun wirklich nicht behaupten, dass ich mich nicht in andere hineinversetzen kann. Aber das ändert nichts daran, dass die Art und Weise der >Kritik< einfach mal scheisse war. Ganz zu schweigen davon, dass bei der letzten Probe noch keiner was an den Songs auszusetzen hatte! Und dann die Vorgabe, das bis übermorgen umgesetzt zu haben!“ Sie schnaubte wütend.

Jyri trat leise hinter sie. Seufzend legte er ihr das Kinn auf die Schulter und zog sie hinterrücks in eine Umarmung. Unwillig wehrte sie sich dagegen, aber er hielt sie eisern fest. „Ich will damit auch nur sagen, dass du dir das Ganze nochmal ruhig durch den Kopf gehen lassen sollst und auch mal einkalkulieren solltest, dass es vielleicht nicht so gemeint war, wie es sich im ersten Moment angehört hat. Du weisst selbst, wie oft die Leute was von dir in den falschen Hals kriegen. Und die Zeitvorgabe ist auch verständlich, immerhin wollen wir hier effektiv was schaffen und in 5 Wochen haben wir den Auftritt.“

Swentje atmete tief durch und sackte etwas in sich zusammen. „Trotzdem... So wie das Ganze abgelaufen ist, kommt es mir nicht wie ein Missverständnis vor...“ Sie starrte weiterhin auf den Boden, auf dem sich ein paar Ameisen ihren Weg über Nadeln und Zweige bahnten. Sie fühlte sich innerlich so unendlich wund...

„Es war bestimmt nicht beabsichtigt! Jeder hat mal einen schlechten Tag“, hörte sie Jyris Stimme leise an ihrem Ohr sagen.

Sie schwieg daraufhin.
 


 

Letztendlich hatte Jyri es geschafft, die immernoch etwas missmutig aussehende Swentje, wieder nach Hause zu schleifen. Dort war ein einigermassen klärendes Gespräch gefolgt, das die Fronten zwar nicht wirklich geklärt, aber zumindest aufgeweicht hatte, sodass ein normales Miteinander wieder möglich war. Auch hatte Jyri sich angeboten, ihr beim Umschreiben und –komponieren behilflich zu sein, was sie dankend angenommen hatte. Zwei Tage waren doch etwas knapp und sie konnte seine Hilfe gut gebrauchen. Ausserdem kannte er sich besser in der Theorie der Materie aus, als sie und konnte ihren Kram dann überarbeiten. Allerdings hatte sie diese Aufgabe erstmal auf später verschoben. Ersteinmal wollte sie etwas Abstand zu dem Geschehenen gewinnen, ansonsten würde da Ganze nur unbefriedigend für sie enden.

Also hatte sie sich spontan dazu entschlossen, sich mit Kochen abzulenken und die Jungs zum Einkaufen losgeschickt. Auch wenn die Belzens asiatische Gerichte liebten, hiess das ja noch lange nicht, dass sie alles im Haus hatten, was man zur Zubereitung eines solchen brauchte. Glücklicherweise hatten sie die wichtigsten Gewürze, sowie die thailändische Curry-Paste da. Die Kokusmilch und das europäische Equivalent zu dem thailändischem Gemüse würden die Jungs nun einkaufen. Ebenso wie alkoholischen Kram, mutmasste Swentje, da es meist keinen anderen Grund gab, warum alle zusammen zum Supermarkt gehen wollten.

Sie suchte in den unteren Küchenschränken nach Töpfen und wurde unter dem zur Hälfte Gas-, zur Hälfte Elektroherd fündig. Sie griff tief hinein und holte den grössten Topf heras, der sich darin befand. Wenn sie schon Kaeng Khiao Wan machte, dann wollte sie davon auch mehr als nur einmal essen.

Als die Jungs schliesslich wiederkamen, begann Swentje ihre Kochsession und der Rest der Band lümmelte mit je einem Bier in der Hand vor dem Fernseher und sappte durch das Sportprogramm.

Kurze Zeit später begann sich bereits ein verheissungsvoller Geruch von der Küche her auszubreiten und immer öfter wurde er tief eingesogen und sich erwartungsvoll zur Küche umgedreht.

„Sagt mal, Jungs“, drang Swentjes Stimme aus selbigen Raum, „wie scharf kann ich’s denn machen?“

„Hau ordentlich rein, scharf is gut!“. Ertönte kurz darauf Kims Antwort aus dem Wohnzimmer. Swentje blickte erneut auf die Curry-Paste in ihren Händen und schob schliesslich den Kopf durch die Tür. „Ich benutz ne original Curry-Paste, das Zeug is also verdammt scharf!“, wies sie vorsichtshalber nochmal darauf hin.

„Klar, kein Ding. Du weisst doch, dass wir unsere Nachos im Kino immer mit ordentlich Chalapenos essen.“, meinte Bastian mit einem kurzen Blick über die Schulter.

„Ähm... das Zeug is um einiges schärfer, als die Chalapenos...“, versuchte es Swentje erneut. „Super! Hau rein, das Zeug!“, antworteten alle im Chor, die Augen weiterhin auf das Geschehen im TV gerichtet.

„Okay~...“

Sie wandte sich wieder dem Kochtopf zu. „Aber beschwert euch nachher nicht...“

Als sie keine Antwort bekam, zuckte sie nur stumm mit den Schultern. Sie sind gewarnt worden..., dachte sie schlicht, als sie erneut etwas Paste unterzurühren begann.
 

Nach einer weiteren halben Stunde war das Essen fertig und ihre Geschmacksnerven völlig ruiniert.

Der Tisch war mittlerweile auch gedeckt und nach einem „Essen fassen!“ stürmten auch schon die Jungs herein. In Windeseile waren die Teller gefüllt, die Löffel darin versunken, um dann das Essen mit grossem Appetit in die Münder zu schaufeln.

Kurz darauf war die Küche von anerkennendem Gemurmel erfüllt. „Oh, ist das geil...:, hörte man Kim mit vollem Mund schwärmen und auch Bastian nuschelte etwas von „saulecker“, ohne allerdings im Kauen innezuhalten. Stefan und Jyri nickten nur bekräftigend.

Swentje lächelte leicht. Also war ihr dieses traditionelle Thaiessen gelungen, freute sie sich und langte ebenfalls zu.

Überrascht blickte sie auf, als sie bemerkte, dass die Essgeräusche, die eben noch den Raum erfüllt hatten, verstummt waren. Kaum traf ihr Blick den von Jyri, als auch schon drei Stühle mit Wucht zurückgestossen wurden und hastige Schritte zu hören waren. Jyri sah seine beste Freundin weiterhin an und atmete hörbar aus. Schweigend schob sie die Schüssel mit dem Reis über den Tisch.

„Hui~... ganz schön scharf...“ Jyri atmete nochmals tief ein. Im Waschbecken versuchten Kim und Bastian gleichzeitig das imaginäre Feuer in ihren Mündern zu löschen, während Stefan am Kühlschrank stand und kalte Milch hinunterschüttete.

Lautlos seufzend stand Swentje auf und holte ein paar Brötchen, die sie zum Reis auf den Tisch legte. Dann setzte sie sich wieder und ass weiter. Ihr Mund war die Schärfe bereits vom Abschmecken gewöhnt, aber trotzdem brannte das Essen gut nach. Mit einem kurzen Blick auf Jyri, der sich gerade etwas Reis nachfüllte, konnte sie auch auf seiner Stirn feine Schweissperlen ausmachen.

„Gott!“, hörte sie es vom Waschbecken her ächzen. „Willst du uns umbringen!?“

„Ich hab euch dreimal gefragt, ob ich’s scharf machen soll“, entgegnete sie ungerührt und schob sich den nächsten vollen Löffel in den Mund.

„Aber doch nicht so scharf!!!“

„Das ist verhältnismässig mild. Ess das mal in Thailand, dann weisst du, was scharf ist“, fügte sie trocken hinzu. „Wir sind hier aber nicht in Thailand!“, begehrte Bastian auf..

„Deshalb hab ich’s ja auch mild gemacht.“ Gelassen ass sie weiter und klopfte schliesslich mit der Hand auf die Sitzfläche des Stuhls neben sich. „Ich hab euch auch Brötchen hingestellt. Trinkt noch ordentlich Wasser oder Milch dazu, dann müsste es gehen...“

Als sie sich wieder gesetzt hatten, warfen sie Jyri missmutige Blicke zu. „Warum macht dir das eigentlich nichts aus!?“

Der Angesprochene wischte sich gerade den Schweiss von der Stirn, als er antwortete. „Ich war auch mit meinen Eltern ein paarmal dort. Ausserdem essen sie öfters mal scharf, von daher bin ich das schon gewohnt.“ Er lächelte leicht.
 

Seufzend nahm sie die Kelle aus dem Topf und schloss den Deckel. Na supi... Jetzt hatte sie für ne ganze Kompanie gekocht und letztendlich würden sie und Jyri die einzigen sein, die es essen würden...

Etwas von dem Käng Khiao Wan konnte sie für sie und für seine Eltern einfrieren und etwas würden sie die nächsten Tage noch essen, aber trotzdem blieb dann noch ziemlich viel über... Eigentlich zu schade zum Wegschütten...

Sie verstaute die Kelle im vollen Geschirrspüler und schaltete ihn an. Was für eine Schande...

Sie drehte sich herum warf dem Fussballspiel einen desinteressierten Blick zu, als sie ins Wohnzimmer ging. Dann bog sie nach links zur Veranda ab.

Draussen angekommen, atmete sie tief ein und schloss sich entspannend die Augen. Ihre Hände wanderten wieder wie von selbst in ihre Hosentaschen. Langsam setzte sie sich in Bewegung und schlenderte am Pool vorbei in den hinteren Teil des Gartens, wo sich das typisch finnische Saunahäuschen der Belzens befand. Direkt dahinter ragten die ersten Birken und Kiefern des Waldes empor, die die Sicht auf den Lake Kitee verdeckten.

Sie bemerkte nicht, wie sie von ein paar interessierten Augen beobachtet wurde. Erst, als ihr etwas auf finnisch zugerufen wurde, schreckte sie aus ihren Gedanken und wandte sich um. „Verzeihung?“, rutschte ihr der Gewohnheit halber auf englisch heraus und einen Augenblick sah die blonde Frau sie überrascht an. Dann lächelte sie. „Ach, Sie sind gar nicht aus Finnland, Entschuldigung“, sagte sie in perfektem Englisch, dass Swentje im ersten Moment selbst überrascht war. „Wo kommen Sie denn her?“

Immernoch etwas überrascht ging Swentje nun ebenfalls lächelnd auf die die ältere Frau zu, die sie über die niedrige Hecke, die das Grundstück von dem der Nachbarn trennte, angesprochen hatte.

„Ich bin aus Deutschland, genau wie der Rest der Truppe.“ Sie deutete mit dem Daumen über die Schulter zum Haus.

„Aha... und Sie sind Freunde der Belzens, nehme ich an!?“, fragte sie neugierig nach und Swentje konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Sie können mich gern duzen und Ja! Wobei Jyris Eltern mich wohl am liebsten eher adoptieren wollen würden.“

Die ältere Frau lachte kurz auf. „Ja, das klingt nach Emilia“, meinte sie versonnen und blickte zum Haus. „Jyri scheint sich ja richtig gut entwickelt zu haben“, wechselte sie dann unvermittelt das Thema.

„Ja, er hat es ganz offensichtlich geschafft, die Pupertät weitesgehend unbeschadet zu überleben“, grinste Swentje, dem Themenwechsel folgend.

„Kocht er immernoch so gut?“, fragte sie interessiert nach und sog prüfend die Luft ein. „Es richt jedenfalls hervorragend.“

„Hm~.. Das hat Jyri nicht gekocht, aber ja. Wenn er sich denn mal an den Herd stellt, dann wird es meist ein Festmahl“, lächelte Swentje.

„Ahso? Und wer war heute der Koch?“

“Ähm… ich…”, verlegen kratzte sich Swentje am Kopf. „Wirklich!?“ Die alte Finnin sah überrascht aus. „Sie können asiatisch kochen!?“

„Hm.. etwas“, gab Swentje zu. „Meine Eltern haben mich, als ich 12 war, dreimal mit nach Thailand genommen. Da hab ich mir zwar eher den Massagestil abgeguckt, aber ab und an koch ich auch mal thailändisch“, fügte sie erklärend hinzu.

Ihr Gegenüber sah etwas beeindruckt aus. „Du kannst Thaimassagen? Wie lange machst du das denn schon?“ Swentje fühlte sich mal wieder irgendwie etwas wie in einem Verhör. Allerdings einem sehr freundlichem.

„Nun, ich war mit 13 das letzte Mal da, also mach ich das schon seit 13 Jahren“, grinste sie schief. „Allerdings ist daraus irgendwann ein eigener Stil geworden. Ein Mix aus Thaimassage, klassischer Massage und eigenen Elementen.“

Nun sah die ältere Finnin mit den langen blonden Haaren erst recht beeindruckt aus und Swentje fühlte sich mal wieder nicht ganz wohl in ihrer Haut, weshalb sie verlegen abwinkte. Warum waren so viele Leute davon so beeindruckt? Ist doch nichts dabei, wenn man das konnte. Es war nichts besonderes, gut massieren zu können... Ihre Eltern hatten das halt sehr gemocht und ihre Mutter damals sogar aus gesundheitlichen Gründen gebraucht, also hatte sie das, was sie sich bei den drei jeweils vierwöchigen Aufenthalten in dem Land abgeguckt hatte, einfach mal angewendet. Durch sehr häufiges Praktizieren hatte sie dann die Technick erlernt und schliesslich was Eigenes draus gemacht.

„Im Endeffekt ist es allerdings mehr hinderlich, als wirklich praktisch“, fügte Swentje schliesslich anmerkend hinzu, woraufhin die Frau sie fragend anblickte. „Na ja... Wenn man gut massieren kann, dann wollen natürlich auch alle, dass man sie massiert, was an sich ja auch ein Kompliment ist. Nur wird man selbst dann so gut wie gar nicht massiert. Oder eben nur für ein paar Minuten und dann meist nicht ernsthaft.“

„Tja... So ist das bei vielen Sachen. Viele Leute wollen einfach nur vom Können anderer profitieren...“, entgegnete daraufhin ihr Gegenüber bedeutungsschwer nickend.

Swentje ahnte, dass sie das Gespräch ungewollt in eine zu ernsthafte und tiefgründige Richtung gelenkt hatte und versuchte schief lächelnd wieder die Kurve zu kriegen. „Ach na ja... Ich nehm ihnen das nicht wirklich übel, es sind ja eh meist Freunde oder aber Bekannte, die das aufgrund von Schmerzen einfach mal brauchen. Von daher... Ich seh das da nicht so verbissen.“

Die alte Finnin wollte darauf etwas erwidern, als eine weitere weibliche Stimme hinter ihr ertönte und sie sich herumdrehen liess. Aus dem Haus war ihre momentane Nachbarin herausgetreten, deren Gesicht sich unversehens aufhellte, als sie Swentje sah. „Aah! Du musst Swentje sein! Emilia hat mir schon einiges von dir erzählt!“ Sie kam zu ihnen herübergelaufen und reichte ihr die Hand, welche Swentje ganz reflexsartig ergriff und den Gruss erwiederte. „Wir wurden noch gar nicht bekanntgemacht,...-„ „Ach, wie unhöflich von mir!“ entfuhr es der blonden Finnin. „Da hab ich doch glattwegs vergessen, mich ebenfalls vorzustellen, entschuldige!“

„Ah.. Kein Problem...“ Irgendwie kam Swentje sich gerade etwas überrannt vor. Die beiden Frauen waren zwar alt, aber trotzdem schienen sie noch einiges an Energie zu haben. Das musste die berühmte Mentalität der finnischen Frauen sein...

„Mein Name ist Kirsti.“ „Und mich kannst du Angeli nennen!“, fügte die dunkelhaarige Finnin freundlich hinzu, die immernoch Swentjes Hand hielt.

„Äh ja... Sehr erfreut... Meinen Namen kennen Sie ja schon... Und anscheinend einges mehr als das, wenn ich Mrs Belzens kommunikative Art richtig gedeutet habe...“ Mein Gott! Was die Frau wohl alles über mich erzählt hat!?, fuhr es Swentje unangenehm durch den Kopf.

„Nur Gutes, meine Liebe, nur Gutes!“, zwinkerte ihr Angeli zu. „Na da bin ich ja beruhigt!“, gab Swentje etwas übertrieben erleichtert zurück. Hach wie schön... Wieder höflicher Smalltalk..., dachte sie amusiert-ironisch. „Und sag doch bitte du! Als Nachbarn muss man sich doch nicht Siezen!“, rügte Angeli Swentje gespielt.

„Ok~“, lächelte sie. “Und entschuldigt bitte, dass ich euer Gespräch unterbrochen habe, aber”, Angeli wandte sich ihrer Freundin zu, “dein Mann hat versucht dich zu erreichen. Du sollst ihn doch bitte zurückrufen.“ Kristi nickte nur und ging ins Haus zurück, wohl um der Aufforderung sofort nachzukommen.

„Und wie gefällt die Finnland bis jetzt?“, lenkte Angeli Swentjes Aufmerksamkeit wieder auf sich.

„Gut. Es ist sehr schön hier. Allerdings hab ich noch nicht viel vom Land gesehen. Ich bin ja gestern erst hier angekommen“, grenzte Swentje ihre Aussage ein und seufzte innerlich. Gott, wie sehr sie Smallltalk hasste... Andererseits wollte sie auch nicht unhöflich sein und einfach so aus der Unterhaltung entfliehen.

“Na du hast ja noch den ganzen Urlaub vor dir und ich denke mal, dass Jyri auch so einiges geplant hat. Er kennt sich in der Gegend ja auch etwas aus und soweit ich weiss, fährt er ab und an auch mal ans Polarmeer, von daher wirst du wohl noch etwas herumkommen.“ Sie zwinkerte Swentje vielversprechend zu. „Aber das hast du nicht von mir“, fügte sie verschwörerisch hinzu. Swentje grinste. „Alles klar... Im Norden, am Meer, gibts doch sicherlich Berge, oder? Wissen Sie, ob die klettertauglich sind?“

Angeli sah sie etwas irritiert an. „Natürlich gibt es dort Berge, aber ob man dort klettern kann... Ich denke mal schon, warum auch nicht.. Jedenfalls gehen dort viele Leute Bergsteigen, falls du das meinst. Was ich dich eigentlich fragen wollte: Sind Jyris Kochkünste eigentlich die Quelle dieses guten Geruchs!?“ Swentje kam sich gerade wie in einem Deja-Vu vor. Hatte sie so eine Frage nicht schon vor ein paar Minuten beantwortet!? Sie seufzte innerlich und harkte das Kletterthema erstmal ab. „Nein, ich wollt heute mal kochen. Allerdings ist es den Jungs dann wohl doch zu scharf geworden, weshalb nur Jyri und ich das Thaigericht essen werden… Wobei das bei der Menge wohl dauern wird...“, sinnierte sie kurz, als sie an den grossen Kochtopf zurückdachte.

Kristi kam wieder aus dem Haus und auf sie zu. “Ach hast du auf Vorrat gekocht!? Das ist dann natürlich ärgerlich...“, stimmte Angeli zu.

„Tja... Einen Teil können wir die nächsten Tage essen, einen Teil kann ich einfrieren, aber der Rest....“ Swentje wiegte den Kopf abschätzend hin und her. „Du hast doch hoffentlich nicht vor, das Essen wegzukippen!“, warf Kristi fast schon empört ein.

„Ähm... nun ja... Ich kann natürlich auch warten, bis die Überreste Beine bekommen und zu laufen beginnen…” Sie sah aus, als ob sie das wirklich ernsthaft in Erwägung ziehen würde und man konnte den Sarkasmus nur erahnen. “Wenn du das wirklich vorgehabt haben solltest, dann nehm ich dir gern was davon ab.” Verblüfft sah Swentje Kristi an. DAS hätte sie nun nicht erwartet... Auf diese Idee ist sie noch nichtmal gekommen...

„Ähm... sicher...“ Sie blinzelte die alte Finnin etwas überrumpelt an, die sie wiederum erfreut anlächelte. „Wunderbar! Mein Sohn liebt thailändisches Essen!”

“Ähm.. Es ist aber wirklich scharf! Nur als Vorwarnung, die Anderen sind fast sofort zum Wasserhahn gerannt, nachdem sie den ersten Löffel voll gegessen hatten...“

„Na gut, danke für die Warnung. Das könnte dann vielleicht für mich und meinen Mann etwas scharf sein, aber mein Sohn dürfte das aushalten können.“ Sie lächelte.

„Er war ein paarmal in Asien?“, vermutete Swentje und Kristi lächelte bestätigend.

„Ja, dann... müsste das eigentlich passen... Ich geb dir dann einfach mal nen Kochtopf mit“, schmunzelte Swentje schliesslich und lief zurück ins Haus.

Kurz darauf kam sie, einen Topf vor sich hertragend, wieder und reichte ihn an Kirsti weiter. Diese konnte es sich natürlich nicht nehmen lassen, den Deckel zu lüften und einen Blick hineinzuwerfen. Als ihr der würzige Duft des Kaeng Khiao Wan entgegenschlug, konnte sie nur wieder ein anerkennendes Geräusch von sich geben. Fast erwartete Swentje schon, dass sie einen Finger hineinstecken würde, um es zu probieren, doch sie schloss den Topf wieder und bedankte sich nochmals bei ihr.

„Ach, kein Problem. Das ist wirklich die beste Lösung. Es ist echt zu schade, zum Wegschütten.“

„Hast du nicht probiert, es etwas zu verdünnen oder die Schärfe etwas abzumildern?“, fragte Kirsti verwundert nach.

„Hm~... Aus Erfahrung kann ich sagen, dass das kaum geht... Nicht, wenn man mit der Originalpaste arbeitet. Dann muss man schon sehr sehr viel Milch nachkippen und dann verwässert das Essen einfach. Ausserdem wird es trotzdem immernoch ziemlich nachbrennen...“, erklärte Swentje, fügte dann allerdings einschränkend hinzu: “Vielleicht hab ich aber auch einfach noch nicht den richtigen Weg gefunden, das hinzukriegen.“ Sie lächelte schief. „Auf jedenfall wünsch ich einen guten Appetit! Und Grüsse an den Sohn!“ Sie grinste etwas spitzbübisch, bei dem Gedanken an die vermutete Reaktion des Genannten.

Die beiden alten Frauen sahen sie überrascht an. „Du willst schon gehen?“

„Ja, ich hab noch etwas Arbeit vor mir und damit sollte ich langsam mal anfangen“, entschuldigte sich Swentje und wandte überrascht den Kopf, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. „Ich wollte dich gerade darauf hinweisen“, bestätigte Jyri und schob sie herum und in Richtung Haus. „Ich werde hier einfach mal für dich übernehmen. Wenn du meine Hilfe brauchst, ruf mich.“ Und damit wandte er sich lächelnd den beiden Frauen zu und liess Swentje, grinsend den Kopf schüttelnd, zum Haus zurückeilen.
 


 

Ein Schlüssel im Schloss liess ihn in seiner Arbeit innehalten und aufhorchen.

Als er die Stimme seiner Mutter ausmachte, schrieb er kurz die letzten Noten nieder, die er gerade im Kopf gehabt hatte und erhob sich. Er verliess das Zimmer und begab sich nach unten, wo er gerade noch den Rücken seiner Mutter erkennen konnte, als sie auch schon in der Küche verschwand. Er hörte ein Geräusch, als ob ein Kochtopf auf dem Herd abgestellt wurde und ging ihr verwundert hinterher.

Überrascht musterte er den Topf, vor dem seine Mutter stand. “Waren wir nicht auf die Geburtstags-Grillparty von Mikko eingeladen? Wieso bringst du mir denn was zu essen mit?”, fragte er sie etwas verwirrt.

“Ach der ist nicht von mir. Das hat ein Mädchen, das bei den Belzens zu Besuch ist, gekocht. Anscheinend ist es allerdings für ihre Freunde zu scharf geworden und bevor sie es wegschüttet, habe ich sie einfach gefragt, ob sie es nicht mir mitgeben möchte“, erklärte Kirsti ausführlich.

Tuomas runzelte die Stirn. „Die Belzens? Kenne ich die?“ Er schien angestrengt zu überlegen.

„Ich glaube nicht, nein.“ Kristi wandte sich vom Herd ab und liess sich am Tisch nieder. „Sie ihren Erstwohnsitz in Deutschland und ihr Sohn studiert auch dort. Ausserdem sind Emilia und Frank ja auch oft unterwegs.“

„Hmhm...“, machte Tuomas und nahm den Deckel vom Topf, um hineinzusehen. Sofort fiel ihm der Geruch auf. „Thaiessen!?“, positiv überrascht huschte sein Blick zu seiner Mutter, bevor er sich wieder dem Inhalt des Topfes zuwandte.

„Ja“, lächelte Mrs Holopainen. „Ich soll dich übrigens von ihr grüssen und dich vorwarnen, dass es wirklich scharf ist“, fügte sie hinzu, als sie sah, wie Tuomas eine Schublade öffnete und einen Löffel herausholte. “Jyris Freunde sind wohl allesamt fast sofort zum nächsten Wasserhahn gerannt, als sie es probiert haben.“

Tuomas hielt bei der Erwähnung des Namen in der Bewegung inne und wandte sich schliesslich stirnrunzelnd zu seiner Mutter um. „Jyri?“, fragte er sich vergewissernd nach.

„Ja“, sie sah ihn etwas irritiert an. „Der Sohn von Emilia und Frank Belzen.“

Vor Tuomas innerem Auge blitzte kurz ein Bild von einem betrunken dahertorkelnden Jyri auf, auf das fast sofort eins von einer, sich die Stirn massierenden Swentje folgte. Sie hat das gekocht!? Überrascht blickte er wieder auf das Kaeng Khiao Wan hinab und tauchte schliesslich den Löffel hinein. Kurz darauf war der gefüllte Löffel auch schon in seinem Mund verschwunden und er begann erwartungsvoll zu kauen.

Anerkennend wiegte er den Kopf und langte ein zweites Mal in den Topf. Als er den Löffel erneut gefüllt hatte, verharrte er mitten in der Bewegung und man konnte es etwas in seinem Gesicht arbeiten sehen. Dann atmete er tief und geräuschvoll aus und eine Hand stützte sich unbewusst auf der Arbeitsplatte ab. „Ja, das ist gut scharf...“ Tuomas blinzelte ein paar Mal, schob dann aber nichtsdestotrotz die zweite Ladung in den Mund. „Das kann sich wirklich Thaiessen nennen!“, sagte er mit vollem Mund.

Kirsti lächelte. „Das wird sie freuen zu hören. Kannst du ihr dann den Topf zurückbringen, wenn er leer ist?“ Einen Augenblick sah er sie überrascht an, nickte dann aber, sich wieder umdrehend. „Und bitte iss nicht jetzt schon alles, sonst wird Mikko nachher noch sauer, weil du sein Schwein nicht probiert hast“, ermahnte sie ihren Sohn und erhob sich. „Wir sollten uns langsam auf den Weg machen, dein Vater ist schon da.“

Tuomas gab nur ein zustimmendes Geräusch von sich, als er sich den dritten Löffel in den Mund schob und den Topf dann wieder mit dem Deckel verschloss. Er folgte seiner Mutter schluckend und zog die Tür hinter sich ins Schloss.

Stille kehrte wieder im Haus ein. Von draussen konnte man hören, wie zwei Autotüren zugeschlagen und der Motor angelassen wurde.

Kurz darauf wurden wieder Schritte laut, ein Schlüssel drehte sich im Schloss und jemand betrat das Haus. Tuomas spurtete die Treppe hinauf, griff sich sein Handy, das er auf seinem Schreibtisch hatte liegenlassen und flitzte die Treppe wieder hinunter. Als er an der Küche vorbeikam, hielt er kurz inne und blickte hinein. Er schien kurz zu überlegen. Dann war er auch schon mit ein paar grossen Schritten beim Herd und hatte auch schon den Löffel im Topf, um sich erneut etwas von dem Thaigericht in den Mund zu schaufeln. Dann eilte er kauend hinaus und die Wohnungstür fiel laut hinter ihm ins Schloss.
 


 

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Gott!!! Was für ein Akt, sich den Dialog zwischen Swentje und den beiden Finninen aus den Fingern zu saugen! *ärks* Das hat bei diesem Kapitel mit Abstand am längsten gedauert... Und ich muss sagen, dass es mir immernoch nicht wirklich gefällt... Das Ende schon, aber der Abschnitt mit den Angeli und Kirsti nicht so wirklich... aber gut...

Na ja.. Hoffe, dass es wenigstens euch gefallen hat ^^

*auf Review-Button schiel*

Kapitel 7

Kapitel 7
 

Es war bereits weit nach Mitternacht, als Swentje immernoch hochkonzentriert auf Jyris Schlagzeug einschlug. Sie hatte die Augen zwar geöffnet, doch sie sah die Drums kaum vor sich. Ihre Konzentration war auf den Takt, den Rhythmus und die anderen Instrumente, die sie in ihrem Kopf ergänzte, gerichtet. Es schien viel eher so, als ob sie diese vor ihrem inneren Auge sehen würde.

Irgendwie passt es immernoch nicht... Verdammt, warum sind die kleinen Änderungen immer die Schwierigsten!? Sie hieb noch einmal auf die Drums ein und liess dann gefrustet die Sticks sinken. Mit einem lauten Seufzen legte sie den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. Vielleicht sollte sie wirklich den einfachen Weg gehen und Kim schlicht und ergreifend ein kleines Solo gönnen… Dann brauchte sie nicht sämtliche Akkorde des Liedes überarbeiten, sondern lediglich einen Bridge kreieren.

Sie überlegte kurz.

Am Besten am Ende, vor dem zweiversigen Einschub und dem letzten Wiederholen des Refrain...

Hm...

Nachdenklich verengten sich ihre Augen und ihre Finger begannen wie von selbst auf einer der kleinen Trommeln ein Eigenleben zu entwickeln. Wäre gut, den Akkord des vorletzten Refrain auch abzuändern und auf das Solo hinarbeiten zu lassen... Sie legte den Kopf etwas schräg und liess ihre Gedanken weiter in diese Richtung treiben.

Hmmmm... Direkt nach dem Refrain langsamer und einfacher werden… überwiegend Schlagzeug und Gitarre, Keys wie immer im Hintergrund… Dann vielleicht den Songtitel nennen lassen…??? … Ja, die Idee war nicht schlecht… >Demons and Angels< und dann ins Keyboard-Solo...

Aber welche Art Solo?...

Gott, ich hab doch keinen Plan von Keyboards... Schlagzeug und E-Gitarre, ja, vielleicht noch ein bisschen Bass, aber Keyboards sind so überladen mit Funktionen, dass man da kaum mitkommt... Swentje fuhr sich seufzend durch die Haare. Ich brauch nen Kaffee! Sie stand auf und zog die schwere schalldichte Tür des Kellers auf. Geräuschvoll ausatmend ging sie die Treppe hinauf und betrat das Spielzimmer der Belzens. Da es Sommer war, war es verhältnismässig hell draussen, sodass mehr als genug Helligkeit durch das Fenster hereinsinkerte und sie kein Licht anzuschalten brauchte.

Sie ging an dem Billardtisch vorbei, schob einen der Stühle näher an den Pokertisch und betrat das Wohnzimmer. Auch hier brannte kein Licht, sodass die Jungs sich wohl schon in den Betten befanden. Die Glücklichen..., seufzte Swentje gedanklich und passierte Fernseher und Couch, um dann die Küche zu betreten. Sie füllte einen Becher zur Hälfte mit dem kalten Kaffee, der sich noch in der Knne befand und füllte den Rest mit Milch auf. Zwei Minuten später ertönte das Pling der Mikrowelle und verkündete, dass das Getränk nun warm sei. Swentje griff sich die Dose mit dem Kakaopulver und begann fünf gehäufte Teelöffel von deren Inhalt in den Becher zu schaufeln. Das Ganze wurde dann gut verrührt und fertig war ihr ultimativer Muntermachen, der Moccakaffee. Koffein und Schokolade, damit hatte sie schon so einige Nächte durchlernen können.

Sie nahm den Becher und ging wieder in den Keller. Vielleicht etwas in die kirchliche Richtung... >Demons and Angels< klingt ja nunmal nach etwas Religiösem und warum auch nicht!?Würde zu dem anderen Lied passen... Und dann kann man es direkt mit dem Instrumentalakkord von Gitarre und Schlagzeug verbinden...

Ok, das war gut! Probiern wirs aus!

Sie schnappte sich Bleistift und Zettel und hielt die Ideen fest. Die anderen, bereits beschriebenen Seiten, verbannte sie auf die Lautsprecher. Diese Ideen waren veraltet. Vielleicht würde sie für Lückenfüller nochmal darauf zurückgreifen, aber sie glaubte nicht so recht daran.

Den Songtext würde sie später bearbeiten, die Musik war erstmal wichtiger und die Akkorde und Instrumente weitaus komplizierter aufeinander abzustimmen. Für den Text würde sie vergleichweise weniger Zeit brauchen, also war er später dran.
 

Als sich schliesslich die Tür öffnete und ein verschlafener Jyri in Boxershorts den Keller betrat, hatte sie ihre Idee mit dem Solo schon wieder verworfen und kombinierte viel eher Keyboard und Schlagzeug für den Akkord miteinander.

„Na wie läufts?“, fragte Jyri gähnend und schlurfte, sich die Augen reibend, näher.

„Ganz ok...“, murmelte Swentje abwesend und schloss den Übergang zwischen Keyboard- und Gitarrenakkord ab. So sollte es eigentlich hinhauen... „Der Text fehlt noch und der letzte Schliff an den drei Akkorden...“

„Welches Lied?“, nuschelte Jyri, der mittlerweile neben ihr angekommen war. „Demons and Angels“, antwortete Swentje und händigte ihm die Zettel aus, als er verlangend die Hand ausstreckte. Verschlafen nahm er sie entgegen und blinzelte durch die Haare, die ihm ins Gesciht hingen, auf das Notenblatt hinunter.

Es war ein Bild für die Götter.

Und es schrie geradezu danach, eingefangen zu werden.

Swentje beugte sich nach schräg hinten und angelte nach ihrer Digitalkamera, die auf einer der Boxen lag. Das Bild musste einfach festgehalten werden!

Jyri, noch total zerknittert und verschlafen, nur in Boxershorts inmitten seiner Drums. Der Körper in einer aufrechten, aber auch leicht in sich eingefallenen Position, wie sie für einen noch nicht ganz wachen Zustand typisch war. Dazu in einer Hand die Noten des Songtextes und die andere in seinen zerwuschelten blonden Haaren vergraben, wo er sich müde am Kopf kratzte. Die Augen und der Grossteil seines Gesichtes von den strubeligen blonden Haaren verdeckt, die ihm auch ohne gesenkten Kopf vorne bis über die Augen fielen und im Nacken nicht ganz die Schultern berührten.

Wahre Hingabe zur Musik, konnte man das Bild nur nennen.

Der Moment war einfach so ausdrucksstark, dass sie nicht anders konnte, als Fotos davon zu machen.

Er schien das leise Klicken des Auslösers gar nicht zu hören.

„Du, Jyri“, sagte sie schliesslich, die Kamera immernoch vor dem Auge, „kannst du nichtmal das Schnitzel aus dem Gesicht nehmen?!“

„Hä?“, verpeilt blickte er auf und Swentje betätigte den Auslöser. Perfekt! „Danke!“, grinste sie triumphierend. Der Ausdruck auf seinem Gesciht war genial gewesen! Wirklich das wortwörtliche Schnitzel! Richtig schön verpeilt-verschlafen. „Die Fans werden diese Bilder lieben!“, prophezeite sie ihm, als sich seine Stirn etwas missmutig umwölbte. Doch er schüttelte nur leicht den Kopf und wandte sich wieder dem Stück Papier zu.

„Hast du mal daran gedacht, den Liedtext mehr auf die Band abzustimmen?“, fragte er sie unvermittelt und gähnte verhalten. „Ich mein, das Lied trägt schon den Bandnamen, warum also nicht auch vom Inhalt her etwas darauf eingehen? Und ich weiss, dass du das Lied nicht nach der Band benannt hast!“, fügte er an, als sie schon zu einer Erwiederung ansetzen wollte. „Aber da diese Übereinstimmung schonmal existiert, kann man das doch verbinden. Ausserdem wird jeder, der den Titel >Demons and Angels< hört, denken, dass das Lied über die Band ist.“

„Was nicht bedeutet, dass ich diesen Erwartungen auch gerecht werden muss“, konterte Swentje. Jyri verdrehte die Augen. Sie nun wieder mit ihrer Individualistenschiene... „Ja, ich vergass... Die einsame Kämpferin, die nur ihrem Gewissen Rechenschft schuldig ist und tut was sie will...“ Seufzend legte er das Notenblatt aus der Hand, während Swentje ihn nur stumm und undeutbar musterte. Als er ihren Blick bemerkte, winkte Jyri ab. „Vergiss, was ich gesagt hab. Es ist definitiv zu früh für mich... Mein Hirn ist zum Grossteil noch im Bett...“ Wie um das zu bestätigen, gähnte er wieder.

„Wie spät ist es denn?“, fragte Swentje daraufhin und schwieg zu dem davor Gesagten. Es mochte zwar stimmen, dass Jyri noch nicht ganz da war, aber in dem Zustand bekam man ungefilterte Sachen von ihm zu hören. Wenn er sich in diesem halbwachen Zustand befand, kümmerte er sich meist herzlich wenig darum, was andere von ihm dachten, weshalb er auch nicht grossartig über seine Worte nachdachte und einfach ehrlich und impulsiv antwortete.

„Irgendwas bei 06:00 Uhr... Zu früh für mich.... Ich geh wieder schlafen, ich wollt eh nur schaun, ob du klarkommst...“ Er winkte ihr über die Schulter zu und schlurfte wieder aus dem Raum. „Gute Arbeit übrigens“ rief er ihr noch zu, bevor die Tür ins Schloss fiel.

Nachdenklich die Stirn runzelnd blickte sie ihm hinterher.
 

Als sie schliesslich den Keller verlies, schlug die Uhr fast 11:00 und sie schlurfte in die Küche, um ein verspätetes Frühstück zu sich zu nehmen. Als sie den Raum betrat, fand sie Kim und Bastian am Tisch sitzend vor, je einen Pott Kaffee vor sich.

Sie reduzierte die Begrüssung auf ein freundliches Kopfnicken, was die beiden ebenso schweigend erwiederten. Genau wie bei ihr, war die Kommunikationsbereitschaft der Jungs gleich Null nach dem Aufstehen.

Sie griff sich einen Becher und schenkte sich ebenfalls Kaffee ein. Auf dem Weg auf die Veranda nahm sie sich eine Handvoll Cookies mit und liess sich schliesslich am Pool nieder. Nachdem sie die Hosenbeine hochgezogen hatte, liess sie die Beine ins Wasser gleiten und lehnte sich gegen einen der Liegestühle. Den Becher mit beiden Händen umfasst haltend, blickte sie in den Himmel hinauf und gönnte sich eine kleine geistige Pause, bevor sie an den See gehen würde, um über den Songtext nachzudenken...
 

... Nach einer Stunde am See, stand Swentje wieder auf und durchstreifte den Wald nach einem geeigneten Platz fürs Schreiben.

>Demons and Angels< war ein schneller, etwas harter Song und auch wenn sie den Text nur etwas abändern wollte, musste sie sich dafür in der richtigen Stimmung befinden. Der See war der falsche Ort dafür. Zu entspannend, zu ruhig und friedlich. Eine stürmische See wäre jetzt das richtige oder sich hoch in den Bergen aufhalten… Aber gut. Vielleicht fand sie ja ein Fleckchen im Wald, wo ihr die richtigen Ideen kommen würden...
 

Ihr Magen hing ihr in den Kniekehlen und immer wieder begannen ihr die Augen zuzufallen, sodas sie sich am späten Nachmittag dazu entschloss, die Arbeit erstmal ruhen zu lassen und wieder zurück zu gehen. Eine Mütze voll Schlaf würde ihr gut tun, ihre Gedanken arbeiteten nur träge und ihre Konzentrationsfähigkeit war es gar nicht mehr wert, als solche bezeichnet zu werden. Viel eher begann sie Kopfschmerzen zu bekommen, was die Sehnsucht nach einem Bett noch um einges grösser werden liess.

Ihr Kopf war wie leergefegt, als sie durch den Wald schlurfte und Wiesen durchquerte. Der Wind wehte ihr immer wieder die Haare ins Gesicht und jagte ein paar weisse Wolken über den Himmel.

Sie schob sich zwischen jungen Bäumen und Büschen hindurch, sprang aufgrund mangelnden Elans eher plump über Bäche und streckte ab und an die Hande aus, um die Spitzen des hohen Grases über ihre Handflächen streichen zu lassen. Theoretisch hätte sie ja nicht übel Lust, sich einfach hier irgendwo hinzulegen, aber sie wusste einfach, das sie mit einer Bettdecke besser schlafen konnte. Ausserdem würden hier draussen bald die Moskitos aktiv werden... Wäre schon ziemlich blöd, sich selbst auf die Speisekarte zu schreiben...

Also wankte sie weiter...
 

Sechs Stunden später erwachte sie in derselben Position, wie sie sich aufs Bett fallen lassen hatte. Die Bettdecke halb über ihren Körper gezogen und die Füsse über die Bettkante hinausragend.

Mit halbgeöffneten Augen tastete sie nach ihrem Handy und zog es unter dem Kopfkissen hervor, um den Alarm abzuschalten. Nachdem sie es wieder zugeklappt hatte, warf sie noch einen kurzen Blick auf den erleuchteten Display. 22:00 Uhr... Stöhnend schob sie es wieder unter ihr Kopfkissen und vergrub das Gesicht darin. Wie gerne würde sie weiterschlafen, aber die Songs warteten... Jyri hatte sicher schon die Akkorde überprüft und wie vereinbart gegebenenfalls verbessert oder korrigiert, also musste sie langsam mal mit dem Text zusehen...

Im Wald waren ihr zwar ein paar Ideen gekommen und sie hatte einen Zettel damit vollgeschrieben, aber nun musste das ganze songwriterisch umgesetzt und verarbeitet werden. Mal ganz davon abgesehen, dass ihr die Originalfassung des Textes immernoch am besten gefiel...
 


 

Er lag langausgestreckt auf seiner dunklen Ledercouch und sah sich wiedermal >Fluch der Karibik< an. Ein Arm diente ihm dabei als improvisiertes Kopfkissen, in der anderen Hand hielt er ein Glas Rotwein, dessen dazugehörige Flasche neben der Couch auf dem Fussboden stand. Bis vor etwa einer Stunde hatte er noch an ein paar Songs gearbeitet. Einer war nun fertig komponiert, es fehlte nur noch der Text, zwei weitere waren in der Entstehungsphase.

Grinsend führte er das Glas zum Mund, als Jack Sparrow Will Turner im Zweikampf wiedermal als Eunuchen bezeichnete. Egal wie oft er den Film auch sah, er wurde nie langweilig...
 


 

Sich den Nacken massierend lehnte sie an der Wand. In ihrem Kopf herrschte ein dumpfer Druck und kündigte wahrscheinliche Kopfschmerzen an. Seufzend sah sie auf das Display ihres Handys.

02:37 Uhr.

Resignierend steckte sie es wieder ein. Mit >Demons and Angels< war sie zwar fertig, aber >In Memory< würde haarig werden… Schon allein, weil sie das Lied nicht wirklich ändern wollte… Sie rollte noch einmal die Schultern und dehnte den Nacken, bevor sie sich wieder aufrecht hinsetzte und die Zettelwirtschaft für den fertigüberarbeiteten Song ordnete.

Immerhin ist >In Memory< eine traurige Ballade, dachte sie müde. Dann brauch ich wenigstens nicht hellwach und hochkonzentriert sein, um an ihr zu arbeiten. Ihr momentaner Gemütszustand war daher fast schon optimal, um auch hier etwas produktives zustande zu bringen. Allerdings nicht in diesem Keller!, dachte sie entschieden und löschte hinter sich das Licht, als sie die Tür zuzog und die Treppe hinaufstieg. Sie machte noch einen kurzen Abstecher in die Küche, wo sie etwas vom dem kalten Kaeng Khiao Wan direkt aus dem Topf ass und dann eine Apfelschorle aus dem Kühlschrank nahm. Ihre Mappe unterm Arm verliess sie das Haus über die Veranda und begab sich zum See. Es war ein komisches Gefühl, die Sonne mitten in der Nacht am Himmel zu sehen...
 


 

Es klapperte leise, als Tuomas sein Geschirr in die Spüle stellte. Noch immer hing der Geruch des Kaeng Khiao Wan in der Luft und Tuomas hatte das unbestimmte Gefühl, dass er der jungen Frau den Topf früher als ihm lieb war, zurückgeben konnte...

Wehmütig schaute er hinein und betrachtete den Rest des Thaiessens. Wenn er weiter so ass, dann wahrscheinlich schon morgen...- heute, verbesserte er sich in Gedanken, als sein Blick auf die Uhr fiel. Er seufzte lautlos. Warum musste die guten Dinge immer so schnell vorüber sein!?

Sich durch die langen Haare fahrend, drehte er sich herum und verliess die Küche. Er wollte noch einen kurzen nächtlichen Spaziergang im Licht der Mitsommernachtssomme machen, bevor er sich ins Bett begeben würde.
 


 

Er hatte wieder einmal die Zeit vergessen, als er den Wald betreten hatte, um am See entlang zu gehen. Fast schon andächtig hatte er den Jagdrufen der Eulen gelauscht und dem Rascheln auf dem Waldboden, als Mäuse und andere nachtaktive kleine Säuger sich ihren Weg suchten.

Nun schritt er bereits seit unbestimmter Zeit am Ufer des Lake Kitee entlang und lauschte dem leisen Geräuschen des Wassers. Immer wieder schweifte sein Blick hinaus auf den See und zum Farbenspiel, das die Sonne auf seine Oberfläche zauberte.

Wiedereinmal fühlte er sich wie in ein Märchen oder eins seiner vielen Fantasy Bücher versetzt. Die Natur um ihn herum erschien ihm nicht wirklich. Der Frieden, die Harmonie, selbst das Licht, in dem alles hier erstrahlte wirkte nicht so, als ob es wirklich zu dieser Welt gehören würde... Der Welt, in der die Menschen lebten. Die ohne jeden Sinn und Verstand durch ihr Leben eilten, getrieben von Profitgier und der Hoffnung nach Erfüllung... Der Welt, in der es so viel Ungerechtigkeit, Hass, Armut, Leid und Korruption gab, dass man glattwegs darin ertrinken könnte.

Auch, wenn er die Welt nicht als schlechten Ort betrachtete, so liessen sich diese Fakten nicht leugnen... Die Natur um ihn herum wirkte so krass gegensätzlich auf ihn, dass es wirklich schwer vorstellbar war, dass sie zur gleichen Welt gehören sollte. Viel eher schien es ihm, als ob sie parallel zur Welt der Menschen existieren würde. Ein Ort der Ruhe und Entspannung, an den man vom unbequehmen, stressigen und hektischen Alltagsleben fliehen konnte, um Energie zu tanken, sich zu erholen, Wunden zu heilen oder einfach nur vergessen konnte. Hier konnte ihn all das Negative nicht erreichen, hier war er sicher, hier konnte er sich weit weg von den Verpflichtungen seines Musikerlebens träumen. An diesen wunderbaren Ort, wo er einfach nur ein Mensch sein konnte. Ein Junge, der in seinen Träumen flog. Hier war alles möglich. Selbst die Person, die dort vorne auf dem Steg sass. Sie konnte eine Elfe oder ein Zauberer sein und die Handbewegungen waren Zaubersprüche, mit denen das Farbenspiel auf den See gelenkt und verstärkt wurde...

Tuomas liess sich weiter vom Zauber des Moments treiben und gab sich, wie so oft, völlig seinem träumerischen Wesenszug hin.

Escapist.

Ja, das war er und er würde es immer bleiben. Die Gedanken sind frei. Vielleicht das einzig Freie, das der Mensch hatte und Tuomas nutzte diese Freiheit gierig aus. Schöpfte aus ihr, erschuf mit ihrer Hilfe Lieder, Geschichten, Welten. Szenen, in denen Swentje eine Magierin oder Fee war, die mit ihrer positiven Energie den See verzauberte und nicht einfach nur total genervt nach den Moskitos schlug, die sich erbarmungslos auf die neue willkommende Beute stürzten.

Kapitel 8

Kapitel 8
 

Es war 06:00 Uhr morgens, als Swentje schliesslich in ihr Zimmer schlurfte. Im Gehen streifte sie sich die Klamotten vom Körper und liess sich aufs Bett fallen. Mit geschlossenen Augen fuhr sie mit einer Hand suchend über das Laken und fand ihr T-Shirt schliesslich unter ihrem Kopfkissen. Mehr als umständlich kroch sie hinein, da sie sich nicht wirklich wieder aufrichten wollte.

An der gegenüberliegenden Wand schnarchte Jyri leise war sich hin und sie dankte ihm in Gedanken, dass er ihre Bettdecke in Ruhe gelassen hatte. Am Abend hatte sie diese nur unordentlich zur Seite geknüllt, sodass sie sie nun lediglich über sich zu ziehen brauchte.

Sie war bereits eingeschlafen, bevor sie die Bewegung ganz zuende geführt hatte...
 


 

Irgendetwas bewegte sich in ihren Haaren... Mit einer fahrigen Bewegung hob sie die Hand und wollte das Getier vertreiben, als sie gegen ein Hinderniss prallte und ihre Hand kraftlos wieder auf die Matratze fiel. Verwirrt hob sie den Kopf und blinzelte in Jyris lächelndes Gesicht. „Morgen, Songwriter“, begrüsste er sie und legte wieder eine ihre Haarsträhnen um.

Swentje grummelte etwas unverständliches und liess den Kopf wieder ins Kissen fallen. Jyris Lächeln verwandelte sich in ein leichtes Grinsen, als sie schliesslich die unausweichliche Frage ins Kissen murmelte: „Wie spät?“

„Es ist 13:05 Uhr an einem wunderschönen wolkigen Sonntagmorgen! Das Mittagessen steht fast auf dem Tisch und der Nachtisch wartet bereits im Kühlschrank“, informierte er sie in professionell freundlicher Hotelpagenart. Nun konnte auch Swentje nicht mehr anders, als ebenfalls leicht zu grinsen. „Und was bietet Uns der Chefkoch heute?“, spielte sie das Spielchen mit.

Jyri richtete sich zu seiner vollen Grösse auf, verschränkte in feinster Kellnermanier einen Arm vor der Brust und einen hinter dem Rücken, bevor er mit fachmännischer.Stimme fortfuhr: „Der Hauptgang des heutigen Menüs besteht aus knusprig goldbraun gerösteten Kartoffelscheiben, in einem Mantel aus schaumig geschlagenem Ei, versehen mit fein gewürfelten Tomaten. Verfeinert wird das Ganze mit auserlesenen Kräutern und Gewürzen. Als Dessert bieten wir Ihnen heute die Delikatesse des Hauses: feinste Mousse au Chocolait mit einem Hauch von handgeschlagener Sahne.“

Wie auf Kommando knurrte Swentjes Magen und tat seine Meinung zu den Ausführungen kund. Jyri verbeugte sich daraufhin formell. „Wie Sie wünschen! Das Essen wird sofort aufgetragen. Wenn Sie mir bitte zum Tisch folgen wollen!?“ Erwartungsvoll sah er auf sie herab.

Mühsam, aber immernoch grinsend, stemmte sich Swentje hoch und schob die Beine aus dem Bett. „Gehen Sie bitte schonmal vor, ich werde mich ankleiden und sofort nachkommen“, wies sie Jyri formell an, welcher sich mit einer weiteren Verbeugung und einem verstehenden Senken des Kopfes verabschiedete und den Raum verliess.

Swentjes Blick blieb daraufhin an Kim hängen, der immernoch stumm in der Ecke stand und weiterhin alles mit der Kamera aufzeichnete. Hatte ihn Jyri also wieder dazu angestiftet... Sie hob nur schweigend eine Augenbraue, wobei sie das Grinsen nicht völlig aus dem Gesicht verbannen konnte.

“Das hättest du wohl gerne, dass ich jetzt, wo’s richtig interessant wird, aus dem Zimmer verschwinde”, weigerte sich Kim, der unausgesprochenen Forderung Folge zu leisten.

„Wenn du nicht von selbst willst, dann werd ich dich halt zum wollen bringen“, deutete Swentje zuckersüss lächelnd an.

„Hmm~...“, machte er daraufhin nachdenklich, ohne allerdings den Blick von dem Display zu nehmen, auf dem Swentje auf dem Bett sitzend zu sehen war. „Du bist gerade erst aufgewacht, hast ein oder zwei durchwachte Nächte hinter dir, wirst deshalb höchstwährscheinlich noch nicht viel Kraft haben und nicht sehr schnell, sondern eher unbeweglich sein,...“, zählte Kim auf, während man auf dem Display Swentjes Augenbrauen immer höher wandern sehen konnte. „Auch, wenn du ziemlich lange Judo gemacht hast und jetzt diesen anderen offensiven Kampfsport machst, räume ich mir doch gute Chancen ein, meine Stellung hier verteidigen zu können“, endete er und fuhr mit der Aufnahme fort. Die Kamera zeichnete sowohl ihren leicht spöttischen Blick unter den hochgezogenen Augnebrauen auf, als auch die Stille, die sich zwischen ihnen für einen Moment ausbreitete. Bis zu dem Moment, wo sie blinzelte, lautlos seufzend durch die Nase ausatmete und sich erhob, um auf ihn zuzugehen. Dann wurde der Display schwarz, als Kim sein Heil in der Flucht suchte.
 


 

Fast schon wehmütig kratzte er den Rest des Thaiessens aus dem Topf. Selbst den Teil, den er etwas anbrennen lassen hatte, wollte er nicht verschwenden. Das Essen war eh viel zu schnell aus dem Kochtopf verschwunden...

Nachdem er ihn so gut wie möglich mit dem Löffel bearbeitet hatte, stellte er den gefüllten Teller in die Mikrowelle und schaltete sie ein. Während er darauf wartete, dass es warm wurde, griff er wieder nach dem Topf und begann ihn nun mit einem Finger auszuwischen. Dieser Anblick wäre etwas, was kein Mensch wirklich glauben würde, hätte er es nicht mit eignenen Augen gesehen. Der erwachsene Tuomas Holopainen stand tatsächlich in der Küche und leckte quasi einen Kochtopf aus, wie kleine Kinder es mit einer Kuchenschüssel der Mutter taten... Nun wanderte der Finger mit den restlichen Überbleibseln des Käng Khiao Wan in regelmässigen Abständen fast schon hingebungsvoll in seinem Mund.

Wieder einmal machte Tuomas seinem Ruf, ein ewiges Kind zu sein, alle Ehre...
 


 

Gesättigt lag Swentje mehr auf ihrem Stuhl, als dass sie darauf sass und auch den anderen schien es ähnlich zu gehen. Auch, wenn es “nur” Bratkartoffeln mit Rühei gewesen war, war es doch sehr lecker gewesen, sodas alle Jyris Kochkünste mit einem Überfressen gewürdigt hatten. Besagter Koch war unterdessen damit beschäftigt, den Tisch abzuräumen und das Geschirr in die Spülmaschine zu stellen, während der Rest der Gruppe ihm schweigend dabei zusah.

„Was haltet ihr von einem kleinen Verdauungsspaziergang?“, durchbrach er schliesslich das gesättigte Schweigen.

Schweres Seufzen und tiefes Einatmen waren die Antwort. Träge bewegten sich seine Freunde auf den Stühlen, doch nur Swentje machte wirklich Anstalten, sich zu erheben. Fragend blickte sie zu den Anderen hinüber. Sie bekam nur ein träges Kopfschütteln oder ein ablehnendes Heben der Hand zur Antwort.

„Geht ohne uns“, sagte Bastian und winkte ihnen schwach zu. „Ich will mich grad nicht bewegen“, stimmte ihm Stefan zu und sackte noch etwas mehr in sich zusammen. Kim winkte ihnen nur ebenfalls verabschiedend zu und liess den Kopf auf die Stuhllehne sinken.

Seufzend erhob sich Swentje und schlurfte hinter Jyri her. Dieser konnte nur den Kopf über die Trägheit seiner männlichen Bandkollegen schütteln. Gut! Wenn sie den ganzen Tag drinnen hocken wollten...

Swentje im Schlepptau begab er sich wiedermal zum See, wo er sich genüsslich seufzend am Ende des Steges niederliess. Swentje tat es ihm gleich und zog sich ein paar Minuten später die Trekkingsandalen von den Füssen, um diese dann vom Steg ins Wasser baumeln zu lassen. Ob ihres vollen Magens ächzend liess sie sich nach hinten sinken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, um in den Himmel zu blinzeln.Der Wind schob die Wolken über den Himmel und liess sie immer wieder die Sonne verdecken. Die Landschaft um sie herum wurde abwechselnd in Licht und Schatten getaucht und beide Freunde genossen den Anblick des Kampfes von Sonne und Wolken auf der Wasseroberfläche. Es war atemberaubend, wenn vereinzelte Sonnenstrahlen durch die teilweise dichte Wolkendecke brachen und der Landschaft einen von Gott gesegneten Anblick verleihten.

Sanft benetzten die leichten Wellen ihre Fusssohlen und schnappten verspielt nach ihren Zehen. Swentje genoss das kalte Nass an ihren Füssen und den Wind in ihrem Haar.

Irgendwann rollte sie den Kopf zur Seite und liess ihren Blick auf den See und in dem Lichterspiel darüber verlieren. Jyri sass neben ihr, ein Bein angewinkelt und beide Arme locker darum geschlungen. Schweigend genoss sie den Anblick. Worte waren mehr als überflüssig.

Langsam wusste Swentje diese Art von Jyris „Spaziergängen“ echt zu schätzen.
 

Irgendwann vernahm Jyri Swentjes leise ruhige Stimme. „Meinst du, dass es diesmal klappen wird?“ Immernoch völlig entspannt wandte er den Kopf und lächelte sie optimistisch an. „Klar! Die Songs sind super geworden.“ Er wuschelte ihr durchs Haar. „Und die paar Fehler oder besser kleinen Unstimmigkeiten, die dir noch unterlaufen sind, hab ich korrigiert. Du hast gute Arbeit geleistet!“ Lächelnd strich er ihr die Haare, die er ihr zuvor ins Gesciht gezaust hatte, wieder heruas.

Swentje seufzte in Gedanken versunken. „Ich mag diese neue Fassung von >In Memory< trotzdem noch nicht wirklich...“

Jyri antwortete ebenfalls mit einem Seufzen und zupfte an einer ihrer Strähnen. „Was stört dich denn so daran?“, fragte er schliesslich ergeben.

Einige Zeit antwortete sie nicht und schien zu überlegen. Schliesslich meinte sie: „Ich weiss nicht... IS nur so ein Gefühl.. dass es nicht ganz passt...“ Er runzelte die Stirn und blickte auf sie herab. Für ihn war die Fassung völlig in Ordnung.

„Ich mein...“, sie verstummte jkurz und suchte nach Worten. „... Zum Beispiel das Fehlen des Verses >I take you with me, down to the crematorium<… Das entzieht dem Lied mehr als nur etwas der Mystik... es klingt wie ein stinknormales Trauerlied...“ Sie verstummte und hob schliesslich nur hilflos die Schultern. Kurz dachte Jyri über das Gesagte nach und tippte ihr dann aufmunternd auf die Nasenspitze. „Ich versteh, was du meinst, aber das Lied ist für mich nicht standartmässig:, verteidigte er ihre Arbeit. „Auch, wenn du einige Passagen umändern musstest, ist es immernoch gut. Und heute werden wir mal wieder ordentlich proben!“, wechselte er enthusiastisch grinsend das Thema. „Vorrausgesetzt, deine Hand macht das mit...“ Leicht besorgt warf er einen Blick auf ihre 4 cm breite lederne Armmanschette, woraufhin Swentje nur leichthin abwinkte. „Das sollte kein Problem sein. Seit drei Wochen kann ich wieder normal klettern und hab kaum Beschwerden.“ Sie richtete sich wieder auf und liess den Blick ein letztes Mal über den See wandern.

„Ich geh mich mal seelisch auf die Probe vorbereiten“, lächelte sie schief, nahm die Füsse aus dem Wasser und streifte Jyris Schulter mit einer Hand, bevor sie die Sandalen in einer Hand den Steg in Richtung Ufer entlangging.
 

Es war still im Haus, als Swentje über die Veranda eintrat. Verwundert steckte sie den Kopf in die Küche, nur um festzustellen, dass niemand mehr am Tisch sass.

Überrascht runzelte sie die Stirn. Waren die Drei etwa schon unten, um sich, wie sie, auf die Probe einzustimmen?

Sie betrat die Küche vollends und hob die Hand zur Gegensprechanlage, die neben der Tür an der Wand hing. Sie drückte auf die Taste mit der Aufschrift Keller.

Erschrocken zuckte sie zusammen, als ihr plötzlich lautes Gitarrengekreische entgegenschlug. Augenblicklich löste sich ihr Finger wieder von der Anlage und das Gekreische verstummte.

Irrationalerweise kam ihr die Stille danach umso lauter vor...

Tief einatmend beruhigte sie ihren Puls wieder. Dass die Gegensprechanlage in beide Richtungen gleichzeitig funktionierte, hätte Jyri ihr ja mal früher sagen können, dachte sie grummelnd und nahm die Hand wieder von der Brust. Als sie das nächste Mal die Durchwahltaste drückte, war sie auf den Geräuschpegel vorbereitet. Worauf sie nicht vorbereitet war, war die zweite Gitarre, die sie fast sofort heraushören konnte und die fast schon schmerzhaft hoch Stefans Bass übertönte...

Ihre Gitarre...

Swentje merkte gar nicht, wie sich ihr Mund leicht öffnete, als sie wie erstarrt die Musik auf sich niederprasseln liess. Das war ihre Gitarre. Ganz eindeutig ihre Gitarre! Irgendetwas in ihre machte Klick. Was machte da jemand mit ihrer Gitarre?! WER ZUM HENKER HATTE UNERLAUBT IHRE GITARRE GENOMMEN?????

„HEY!!!!“, brüllte sie in das Mikro, wurde allerdings durch einen gleichzeitig einsetztenden hohen Gitarrengriff übertönt. Wo gabs denn sowas!? Die Kerle wussten ganz genau, dass sie es nicht leiden konnte, wenn man einfach so ihr Instrument benutzte! Besonders, nachdem ihre alte Gitarre erst vor kurzem geschrottet worden war.

Stinksauer wollte sie gerade den Finger von der Taste nehmen, um in den Keller zu stürmen, als das Gekreische etwas leiser wurde und man Stefans Stimme vernehmen konnte. „Geh mal lieber etwas sanfter mit ihrer Gitarre um, sonst reisst sie dir nachher noch den Kopf ab…”

„Dazu müsste sie erstmal mitkriegen, dass ich sie benutzt habe“, drang Bastians schnippische Antwort aus dem Lautsprecher.

Swentje wirkte wie festgefroren und in ihrem Magen begann sich ein flaues Gefühl auszubreiten. Bastian??? Was machte Bastian mit ihrer Gitarre??? Und seit wann konnte er überhaupt Gitarre spielen???

Mit einem stärker werdenden ungutem Gefühl im Bauch lehnte sie sich etwas wackelig an die Wand und liess den Finger auf der Taste. „Früher oder später wird sie das mitbekommen“, prophezeihte ihm Stefan und schlug ein neues Lied an. „Lieber später, als früher“, konnte sie Bastian daraufhin antworten hören. „Ich hab noch keine eigene und ausserdem werd ich sie schon nicht kaputtmachen.“ Swentje konnte seine wegwerfende Handbewegung vor ihrem inneren Auge geradezu sehen. „Jyri hat sie geschrottet, schon vergessen!?“

„Nein, aber du hattest sie davor noch benutzt, also kanns theoretisch auch an dir gelegen haben, dass Swentjes alte Gitarre den Geist aufgegeben hat.“ Swentje bekam Bastians Antwort gar nicht mehr mit. Bitte was?!?!? Wie vom Donner gerührt stand sie da, die Augen ungläubig aufgerissen. Das war jetzt nicht wahr! Blut begann in ihren Ohren zu rauschen und langsam bildete sich Schweiss auf ihren Handflächen. Ihr Kopf schwirrte und langsam drangen wie aus weiter Ferne wieder Bastians Stimme an ihr Ohr. „-nichts dafür, wenn das Teil nix aushält. Lass uns nochmal meinen letzten Song durchspielen, bevor die Beiden zurückkommen.” Swentje wurde schlecht und ihre Beine drohten fast unter ihr nachzugeben. Was ging hier ab? Mein Song? Bastian schrieb doch gar keine Lieder...

Wie durch Watte hörte sie, wie ein ihr schrecklich vertrauter Song angespielt wurde. Ihr Magen begann sich zu einem Knoten zusammenzuziehen. Wie betäubt vernahm sie Bastians Interpretation des Liedes >Demons and Angels<.

Ihres Liedes...

Langsam und mit erstarrten Gesichtszügen rutschte sie mit der Schulter an der Wand herunter und sackte wie ein Häufchen Elend am Boden in sich zusammen. Ihre Gedanken schienen zäh und klebrig wie Sirup zu sein und drehten sich immer wieder im Kreis. Selbst als ihre Hand sich schon lange von der Gegensprechanlage gelöst hatte, hämmerte das Lied weiter in ihren Ohren und fesselte ihre Gedanken.

Was war hier los? Warum probten die Drei ein Lied, dass sie so noch nie vorher gehört hatte? Warum probten sie nur zu Dritt? Seit wann spielte Bastian so gut Geitarre? Und seit wann schrieb und komponierte er an ihren Lileder rum?

Ihr Magen rebellierte. Langsam sank sie nach vorne, bis ihre Stirn den kalten Fliesenboden berührte. In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen und in ihrem Hals bildete sich langsam ein stacheliger Kloss, der ihr die Tränen in die Augen treiben wollte...

Kapitel 9

Kapitel 9
 

Tuomas stappelte das Geschirr in der Spüle, als sein Blick zum wiederholten Mal auf den sauberen Kochtopf fiel, der neben dem Herd stand. Wieder seufzte er.

Er sollte ihn ihr zurückbringen...

Kurz blitzte in seinem Kopf die Möglichkeit auf, dass sie vielleicht noch mehr von dem Thaiessen haben könnte, doch er verwarf den Gedanken fast sofort wieder. Das könnte er sie niemals fragen! Er wusste ja nichtmal, was er sagen sollte, wenn er mit dem Topf vor ihrer Tür stand...

Vielleicht sollte er ihn einfach vor der Tür... –Nein! Also das wär nun wirklich kindisch und ausserdem mehr als unpassend!, rügte er sich selbst in Gedanken und griff in den Kühlschrank, um drei gekühlte Bier herauszunehmen. Er würde jawohl noch hinkriegen, jemandem einen simplen Kochtopf wiederzubringen, ohne sich mit seiner Schüchternheit total vor ihr zu blamieren!

Sein Blick streifte nochmals den Topf, als er sich umdrehte und wieder in den Garten ging, wo er Tero und Antti je ein Bier in den Schoss fallen liess.

„Oh danke, man“, seufzte Antti dankbar und riess den Verschluss ab. Tero setzte die Flasche sofort an und stürzte den Inhalt hinunter. Tuomas schmunzelte. Er umrundete den Tisch und liess sich wieder in seinen Stuhl fallen. Der Grill neben ihm strahlte noch etwas Wärme ab und Tuomas begann gedankenverloren in der Asche herumzustochern.

Gott, das wär wirklich zu dreist... Ganz davon zu schweigen, dass er die Frage, oder besser Bitte, niemals über seine Lippen kriegen würde... Was immernoch nichts daran änderte, dass er ihr den Kochtopf wiedergeben sollte... Er seufzte und Tero riss ihn vollends aus seinen Gedanken. „Sag mal, kann es sein, dass deine Geschmacksnerven unter eurer Tour durch Asien etwas gelitten haben?” Gespielt provokativ funkelte er zu seinem Freund hinüber. Tuomas zog nur unschuldig die Augenbrauen hoch und sah ihn fragend an.

„Das Essen war verdammt gut gewürzt“, erklärte Tero weiter und Tuomas konnte sich ein Grinsen nicht mehr verkneifen. Vielleicht hätte er den Beiden mal etwas von Svenjas Thaigericht geben sollen... Sein Grinsen wurde noch breiter und er entschied sich, nach dem Bier loszugehen.
 


 

Sie wusste nicht, wie lange sie so auf dem gefliesten Küchenboden gehockt hatte. Es hätten 5 Minuten oder auch 5 Tage sein können. Sie wusste nur, dass sie sich irgendwann wie in Trance erhob und zum Tisch wankte. Schwer stützte sie sich auf der Platte ab und starrte auf die gemusterte Tischdecke... Im Nachhinein konnte sie nichteinmal mehr sagen, welche Farbe sie gehabt hatte... Bilder liefen in abwechselnd schneller und langsamer Reihenfolge vor ihrem Auge ab. Szenen der letzten zwei Jahre, die sie in dieser Band gespielt hatte.

Wie Jyri sie den anderen vorgestellt hatte. Wie sie das erste Mal einen ihrer Songs gespielt hatten. Die Streitereien mit dem Hausmeister der Uni, wenn sie wiedermal bis in die Nacht hinein geprobt hatten. Den Sommer- und Winterurlaub, den sie zusammen verbracht hatten. Die erste Probe mit Zuschauern. Ihr erster Auftritt in ihrer Stammkneipe. Jyris Geburtstag. Weihnachten. Neujahr. Pfingsten.

Ein Stahlring schien sich um ihre Brust zu legen und sich erbarmungslos zusammenzuziehen. Ihr Brustkorb hob sich in unregelmässigen Abständen und ihr Atem ging flach. Lautlos ballte sie die Hände auf dem Tisch zu Fäusten. Sie senkte den Kopf und ihre Haare verbargen das Gesicht, als sich ihr Mund gepeinigt verzog und sie die Zähne aufeinanderpresste.

Nach einiger Zeit richtete sie sich wieder auf und hob den Blick. Sie blinzelte ein paar Mal zu oft, als dass es normal gewesen wäre und auch ihr Atem wirkte etwas zu ruhig und abgehackt. Sie atmete einmal tief durch und verschloss dann die überquellenenden Emotionen wiedermal in ihrem Inneren.

Ihr Blick wanderte zur Gegensprechanlage und ihr Magen verkrampfte sich erneut. Ihre Hände zitterten leicht, ebenso wie ihr Atem, als sie nochmals tief Luft holte und sich versuchte, für das Kommende zu wappnen.

Sie hatte Angst, verdammt grosse Angst. Sie wollte nicht dort runtergehen und mit ihren Bandkollegen reden. Sie wollte am Liebsten wegrennen, das Ganze vergessen, aber so einfach war das leider nicht. Es war nie so einfach und die Wahrheit war etwas, was verdammt wehtun konnte. Genau deshalb wollte sie nicht in den Keller gehen. Ihr ganzer Körper schien sich dagegen sträuben zu wollen. Jede Faser ihres Leibes schien sich in die entgegengesetzte Richtung zu sehnen, als die, die sie nun einschlug. Es war, als würde sie gegen unsichtbare Ketten ankämpfen, nur dass diese alles bis auf ihren Kopf zurückhalten wollten. Jeden Quadratzentimeter ihres Körpers, jeden Winkel ihrer Seele. Doch das war etwas, vor dem sie nicht davonlaufen konnte. Das war etwas, was sie tun musste. Es war bereits zu spät, um umkehren zu können. Auch wenn sie jemand war, der Konflikte nicht unbedingt mochte, so war sie gleichzeitig niemand, der ihnen auswich. Sie konnte nicht ewig in einem Krisenherd leben, ohne diesen irgendwann bereinigen zu wollen. Und dieser Krisenherd, der sich >Band< nannte, brodelte schon zu lange vor sich hin, als dass sie ihn nach diesem Zwischenfall weiter sich selbst überlassen konnte. Sie hatte das zu klären, da führte kein Weg dran vorbei. Sie hätte es sogar schon viel früher machen sollen... Aber wie es so oft der Fall war, waren die Probleme nicht als so akut und tiefgreifend eingeschätzt worden, sodass man gedacht hatte, es würde sich mit etwas Zeit von selbst wieder einrenken.

Wie sehr man sich doch täuschen konnte...

Swentje zwang ihren Körper durch das Wohnzimmer und betrat den Billardraum, von dem aus die Treppe in den Keller führte. Je näher sie ihr kam , desto mehr rebellierte ihr Körper und desto schneller schlug ihr Herz. Als sie die oberste Stufe betrat, hatte sie das Gefühl, als ob ihr Magen das Mittagessen auf der Stelle wieder loswerden wollte und ihr Herz am liebsten ausserhalb ihres Körpers weiterrrasen würde.

Sie wollte nicht da runter. Sie wollte die Wahrheit nicht hören. Sie würde so verdammt wehtun.

Trotzdem zwang ihr Verstand sie, weiterzugehen. Gleichzeitig beobachtete er seltsam distanziert das Gefülschaos in in ihrem Inneren. Wie so oft in solchen extremen Situationen, hatte ihr Verstand völlig die Kontrolle über ihren Körper übernommen und wirkte seltsam losgelöst von den Emotionen, die in ihr tobten. Ganz so, als ob jegliche Verbindung zwischen Rationalität und Gefühl unterbrochen worden wäre. Ein Schutzmechanismus, hatte sie immer vermutet. Eine Mauer, von ihrem Verstand erschaffen, logisch, rational und absolut emotionslos. Etwas, dass ihr von den Menschen, die sie in so einer Situation schonmal erlebt hatten, den Kommentar eingebracht hatte, ein verdammt guter Staatsanwalt werden zu können, wäre sie in der Lage, diesen Zustand willentlich heraufzubeschwören und beibehalten zu können.

Allerdings hatten die Fälle, in denen sie so reagiert hatte, sie weniger getroffen, als die jetzige Aktion ihrer sogenannten Freunde...

Ihre Hände zitterten immernoch und ihr Magen fühlte sich an, wie ein Stein. Der Kampf, der sich in ihrem Inneren abspielte, war nur zu gut auf ihrem Gesicht nachzuverfolgen. Sie war blass und ihre Augen glänzten. Ab und zu war ein nervöses, ängstliches Flackern darin zu erkennen und ihr Atem wurde immer flacher, je näher sie der Tür zum Proberaum kam.

Als sie vor der Kellertür angekommen war, schrie alles förmlich in ihr danach, herumzufahren und die Beine in die Hand zu nehmen. Sie registrierte es kaum. Sie atmete tief durch den Mund ein und aus. Ihr Atem zitterte immernoch. Sie legte die Hand auf die Klinke und ihr Magen schien ihr durch den Hals herauskommen zu wollen. Sie schluckte hart und schloss die Augen. Erzwungen ruhig und kontrolliert einatmend lehnte sie die Stirn gegen die kalte Oberfläche der Tür. Die Klinke in ihrer Hand wurde rutschig, als Schweiss auf Metal traf.

Sie musste das tun. Das war der einzige Weg, das Theater zu beenden. Sie würde nicht weglaufen. Das war nicht ihre Art. Nicht mehr. Seit langem nicht mehr. Langsam öffnete sie wieder die Augen. Jede Zelle ihres Körpers schien elektisiert aufzuschreien, als sie die Klinke mit einer entschlossenen Bewegung herunterdrückte und die Tür öffnete. Dann war es weg und alles, was sie fühlte, war ihr verkrampfter Magen und das leichte Zittern der Hände.

Das Lied verstummte, als sie eintrat. Swentje schien alles um sich herum unglaublich intensiv und klar wahrzunehmen, bevor sich ihr Blick einen Sekundenbruchteil später auf die drei jungen Männer heftete. Sie spürte immernoch das Vibrieren der Boxen und hörte das leise Summen der Geräte in diesem Raum. Die Luft war kühl und sie konnte einen leichten Schweissgeruch wahrnehmen.

Die Drei wirkten wie erstarrt. Eigentlich hatten sie sich sofort nachdem sie sich von dem Schreck erholt hatten, wieder normal verhalten wollen, doch etwas in Swentjes Gesicht machte ihnen klar, dass das nichts mehr bringen würde. Die Spannung war geradezu greifbar.

Sie drehte sich um und schloss die Tür leise hinter sich und lehnte sich dann, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und den Blick wieder auf ihre Bandkollegen heftend, gegen diese. Nur ihre blasse Gesichtsfarbe gab einen Hinweis darauf, dass ihr die Situation nicht sehr angenehm war. Ihre Augen waren klar und ernst und mit einem Ausdruck dahinter, der erahnen liess, dass die Zeit für Ausflüchte und Lügen vorbei war. Sie strahlte eine Ruhe und Ernsthaftigkeit aus, so kompromisslos und ohne irgendeine unterschwellige Emotion, dass es die Drei ebenfalls innerlich verkrampfen liess.

„Ich glaube, wir sollten uns mal unterhalten.“
 


 

Der Himmel begann sich langsam aber sicher zuzuziehen und Tuomas verlegte bereits gedanklich den weiteren Verlauf der Gartenparty nach drinnen.

Den Topf unterm Arm überquerte er im Laufschritt die Kreuzung und bog in die Seitenstrasse ab, die zum Haus der Belzens führte. Er hatte immernoch keine Ahnung, was er sagen sollte, wenn er gleich an der Tür klopfte. Wahrscheinlich würde er wieder irgendeinen Standartspruch bringen, weil ihm nichts besseres einfiel. >Danke für das Essen, es war ausgezeichnet. Wo hast du so gut thailändisch kochen gelernt? ... Ach direkt in Thailand!? (Was für eine Überraschung, das hat dir deine Mutter schon erzählt!) Das erklärt, warum es so gut ist. ... Na gut, dann... Bis dann.< Oh Gott! Er würde sich wiedermal so dermassen blamieren!

Er fuhr sich mit einer Hand über die Stirn. Vor sich konnte er schon das Haus erkennen. Es war grösser, als er gedacht hatte, aber im finnischen Stil gehalten. Er atmete tief ein. Meine Güte, wie konnte man nur so nervös sein!?, rügte er sich selbst in Gedanken. Schüchternheit war doch echt was tolles!, grummelte er gedanklich und betrat schliesslich das Grundstück. Sein Magen entwickelte mal wieder ein Eigenleben und fast zögerlich streckte er die Hand zur Klingel aus. Kurz bevor er sie drücken konnte, wurde die Tür aufgerissen und ein reichlich zerzaust aussehender Jyri eilte hinaus. Und fast in ihn hinein. „Wow!“ Im letzten Augenblick blieb Jyri stehen und starrte Tuomas überrumpelt ins Gesicht. „Wow, das war knapp...“, meinte er schliesslich mit einem Blick auf die zwei Zentimeter Platz zwischen ihnen. “Sorry, ich hab echt nicht erwartet, dass jemand vor der Tür steht“, meinte Jyri dann etwas unglücklich aussehend und kratzte sich verlegen am Kopf. Tuomas lächelte leicht und öffnete den Mund. „-Sag mal, kennen wir uns?“, unterbrach ihn Jyri, bevor er auch nur ein Wort herausgebracht hatte. Verblüfft schloss Tuomas ihn wieder und starrte seinen Gegenüber nun ebenfalls an. Wollte er ihn verarschen? Er blinzelte ein paarmal irritiert und setzte dann erneut an. „-Nein, nicht so! Ich weiss, wer du bist!“, unterbrach ihn Jyri im leicht ungeduldigen Tonfall erneut, bevor auch nur die erste Silbe über seine Lippen gekommen war. „Ich mein: Kennen wir uns persönlich? Ich hab so ein Gefühl, dass ich dich schonmal live getroffen hab, also so wirklich von Angesicht zu Angesicht... Aber ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, wo das gewesen sein soll...“ Grübelnd blickte er den Schwarzhaarigen an. „Ähm..“, war das einzige, was Tuomas in dem Moment herausbrachte. Überrumpelt blinzelte er ein paar Mal und setzte dann vorsichtig an: „Freitag Morgen?“

Eine Zeitlang blickte Jyri ihn schweigend an. „Ja?“, harkte er dann gedehnt nach und sah Tuomas abwartend an.

„Als ihr vom Karhu nach Hause wolltet?“, spezifizierte er weiter. Jyri blickte ihn immernoch auffordernd an. Gott, der Typ schien ja echt nen Totalausfall zu haben, dachte Tuomas nur, dann schien das Gesagte irgendwas bei Jyri anklingen zu lassen. Überlegend runzelte er die Stirn, nur um kurz darauf völlig verplant zu fragen: „Du warst den Abend in der Bar?“ Tuomas konnt sich gedanklich nur an die Stirn fassen. Unglaublich. Sie hatte echt Recht behalten. Wer erinnerte sich an rein gar nichts mehr... „Ähm.. ja... Und ich.. hab euch hierher begleitet“, erklärte Tuomas und schien Jyris Verwirrung damit nur noch zu vergrössern. „Du hast was? Warum?“

„Ähm.. weil du und euer Leadsänger total breit waren und Svenja echt alle Hände voll mit euch beiden zu tun hatte?“ Tuomas wusste nicht, ob er amusiert oder genervt sein sollte, aber dieser Typ war ja echt von der Rolle. „Swentje.“

„Was?“

„Swentje. Ihr Name ist Swentje“, erklärte Jyri, als er Tuomas verwirrtes Gesicht sah. „Sorry, Angewohnheit“, fügte er dann im gleichen Augenblick entschuldigend hinzu. „Irgendwie kriegt keiner ihren Namen so wirklich auf Anhieb auf die Reihe.“

Tuomas erwiederte nichts darauf, er war viel zu sehr damit beschäftigt, zu versuchen, seinen Gegenüber irgendwie einzuordnen.

„Ok... dann sag ich mal Danke, nicht!?“, meinte Jyri dann unvermittelt und lächelte etwas unsicher. „Was? Wofür?“ Tuomas fühlte sich von dem Halbfinnen thementechnisch hin- und hergeworfen.

Jyri musste daraufhin grinsen. „Dafür, dass du mitgeholfen hast, uns nach Hause zu bringen“, erläuterte er dann übertrieben langsam und deutlich, als ob Tuomas schwer von Begriff wäre. Einen kurzen Moment lang befürchtete er, zu weit gegangen zu sein, doch Tuomas schien ihm den gutmütigen Spott nicht übel zu nehmen. Viel eher setzte er zum Gegenschlag an. „Na einer musste ihr ja unter die Arme greifen! Wie sonst hätte sie es schaffen sollen, dich dazu zu bewegen, das Auto nicht mit nach Hause zu nehmen“, grinste Tuomas fast schon etwas hinterhältig. Ihm war vollkommen klar, dass Jyri sich nicht daran erinnerte, was er alles angestellt hatte und irgendwie bezweifelte er, dass Swentje es ihm unter die Nase gerieben hatte. Tatsächlich starrte Jyri ihn einen Augenblick lang fast schon fassungslos an, bevor sein Gesichtsausdruck leicht beunruhigt wurde. „Ich hab WAS machen wollen?“ Tuomas grinste breit. „Du schienst einen VW am Strassenrand dermassen lieb gewonnen zu haben, dass du ihn stürmigst umarmen musstest und gar nicht mehr loslassen wolltest.“ Tuomas wusste, dass dieses Spielchen irgendwie fies war, aber Jyris Gesichtsausdruck war einfach zu göttlich. Man konnte die Räder hintr seiner Stirn arbeiten sehen, als er versuchten, einen Sinn in dem Gesagten zu erkennen. Plötzlich weiteten seine Augen sich etwas und er barg gequält seufzend das Gesicht in den Händen. „Nein~...“, jammerte er fast schon. „Swentje hat auch irgendsowas mit nem Auto angedeutet...“ Wenn es überhaupt noch ging, wurde Tuomas Grinsen noch breiter. „Und du hast nicht nachgefragt? Also ich hätt mich schon über die Bauschmerzen am nächsten Morgen gewundert und die Klamotten, die im Bad hingen...“, trietzte er ihn weiter. Vergessen war die Nervosität und das Unbehagen, das er noch vor ein paar Sekunden verspürt hatte. Ein Teil von ihm registrierte überrascht, wie natürlich es sich anfühlte, hier mit Jyri zu stehen und ihn aufzuziehen. Irgendwie glaubte er zu verstehen, warum Swentje ihm nicht wirklich hatte böse sein können.
 


 

Die Stille im Raum war geradezu erdrückend. Das Summen der Boxen schien immer weiter anzuschwellen, bis sie es schliesslich nicht mehr aushielt.

„Ich glaub, das ist immernoch meine Gitarre, ich wär dir also sehr verbunden, wenn du sie zurückstellen könntest“, meinte sie ruhig an Bastian gewandt. Als dieser ihrer Aufforderung wirklich nachkam, fügte sie noch hinzu: „Du hättest auch einfach fragen können, anstatt sie dir unerlaubt zu nehmen.“

„Ja klar! Als ob du es mir dann erlaubt hättest!“, kam es wie aus der Pistole geschossen zurück und der harte, zynische Spott in seiner Stimme traf sie ziemlich. „Wir wissen doch alle, wie ungern du deine Gitarre von anderen benutzen lässt!“ „Und das berechtigt dich, sie dir einfach so zu nehmen?“, setzte sie augenblicklich nach und zog demonstartiv spitzfindig die Augenbrauen hoch. „Darüberhinaus schein ich ja auch allen Grund zu haben, mich so zu verhalten, nicht!?“

„Hey, sei nicht sauer“, warf Kim vorsichtig ein. „Is ja nichts passiert. Er hat sie ja gut behandelt...“ unsicher sah er zu ihr. Swentje schwieg und dachte sich ihren Teil dazu. Kims Finger begannen nervös mit den Ärmeln seiner Jeansjacke zu spielen und er senkte den Blick gen Boden.

Als auch nach mehreren Minuten keiner der Drei Anstalten machte, die Situation zu erklären, ergriff sie schliesslich erneut das Wort. Ihr Herz hämmerte dabei schmerzhaft gegen ihre Rippen und ihre Knie fühlten sich unnatürlich weich an. Schweiss sammelte sich in ihren Handflächen und so behielt sie die Hände weiterhin hinter ihrem Rücken.

„Also... Was soll das hier?“

Bastian sah sie weiterhin ruhig an, während Kim und Stefan interessiert den Boden zu ihren Füssen begutachteten. „Das sieht man doch!“, antwortete er, als wäre diese Situation die normalste in der Welt. „Wir proben!“

Swentje blickte ihn einen Moment lang schweigend an und man konnte in ihrem Gesicht lesen, für wie zweifelhaft sie diese Antwort hielt.

„Ihr probt...“, vergewisserte sie sich nochmals und zog in typischer Manier eine Augenbraue hoch.

„Ist doch offensichtlich, oder?!“, patzte Bastian zurück und breitete untermalend die Arme aus.

„Und du meinst nicht, dass zu ner vernünftigen Bandprobe die gesamte Band anwesend sein sollte!?“, warf Swentje anmerkend ein und hatte dabei einen Unterton in der Stimme, als würde sie mit einem bockigen Kind reden. In Bastians Augen blitzte es wütend auf.

„Und seit wann spielst du Gitarre? Oder schreibst an meinen Liedern herum?“ Ihre Stimme war hart geworden und verlangte nach einer Antwort. Bastian sah sie nur provozierend an, bevor er sich nach einer kleinen Ewigkeit zu einer Antwort bequemte. „Seit wann ist es verboten, ein Instrument zu erlernen?“ In seinen Augen funkelte es herausfordernd. „Und was die Lieder angeht: Wer sagt, dass es deine sind? Sie haben vielleicht nur etwas Ähnlichkeit mit deinen.“

Ja, klar!, explodierte eine wutende Stimme hinter ihrer Stirn und sie musste sich zusammenreissen, um ihm diese beiden Wörter nicht entgegenzuschleudern. „So so...“, kam es dann gepresst über ihre Lippen. „Nur ähnlich, hm!?“ Ihre Augen schienen wortwörtliche Blitze auf ihn abzufeuern. Wie konnte er es wagen!!! „Dann nehm ich mal an, dass es auch nur Zufall ist, wenn alle >deine< Lieder eine gewisse Ähnlichkeit zu meinen aufweisen, hm? So wie in der Vergangenheit, nicht wahr!?“ Ihr Blick schien ihn regelrecht an Ort und Stelle festzunageln und doch erdreistete er sich zu antworten: „Ganz genau! Zufälle gibts immer wieder.“ Swentje konnte nicht anders, als die Hände hinter ihrem Rücken zu Fäusten zu ballen und ihn weiterhin anzustarren. Das war doch echt die Höhe!

Kim und Stefan warfen den beiden Kontrahenten immer wieder nervöse Blicke zu. Die Spannung in der Luft war fast greifbar und sie hatten das ungute Gefühl, dass sie sich bald mit einem grossen Knall entladen würde.

„Und hast du mal dran gedacht, dass...“, ihre Augen verengten sich kurz, „du die Band vielleicht mal über diese Veränderungen informieren solltest!? Wir machen immerhin zusammen Musik und da wäre es schon angebracht gewesen, uns über deine Pläne aufzuklären.“

Wieder diese arrogante Blick und Swentje glaubte, Bastian jeden Augenblick an die Kehle zu gehen. „Wer sagt, dass ich das nicht machen wollte!? Der Zeitpunkt hat bis jetzt einfach nicht gestimmt.“ Leichtfertig zuckte er mit den Schultern und schien ihre unterdrückte Wut geradezu zu belächeln.

Swentje hatte gar nicht wirklich registriert, wie die Angst vor dem Ausgang dieses Gesprächs langsam aber sicher verschwunden war und einem brodelnden Zorn Platz gemacht hatte. „Und wann wäre das gewesen?“ Aufgebracht stiess sie sich von der Tür ab und kam etwas näher. „Wenn du genug vorbereitet hast, um meinen Part in der Band zu übernehmen?“, die letzten Worte spie sie ihm regelrecht angewidert entgegen und Zorn loderte in ihrem Blick. Stefan und Kim schienen regelrecht zusammenzuschrumpfen, während Bastian weiterhin seine Stellung hielt, unbeeindruckt von ihrem Zorn.

„Und wenn es wäre?!“, erwiderte er schliesslich vollkommen ruhig und sah hochmütig auf sie herab. Sprachlos ob so viel Dreistigkeit und Unverschämtheit konnte sie nur ungläubig aufkeuchen. Sie hatte das nicht wirklich so gemeint, aber seine Antwort hatte klargemacht, wie zielsicher sie ins Schwarze getroffen hatte.

Lange Zeit herrschte Stille im Keller, in der sich Bastian und Swentje gegenseitig anstarrten. Swentje konnte immernoch nicht glauben, was sie da gerade gehört hatte und ihr Körper schien wie paralysiert. Ebenso wie ihr Hirn, wo sich die Gedanken nur träge bewegten und kaum Sinn ergaben.

Schliesslich keuchte sie erneut auf und schüttelte fassungslos den Kopf. Als sie ihn wieder hob, konnte man eine gewisse Enttäuschung in ihrem Blick erkennen. „Wenn das so ist...“, konnte man ihre leise Stimme im Keller vernehmen, „... dann sollten wir jetzt mal klären, wie es nun weitergehen soll.“ Speziell Stefan und Kim warf sie dabei einen undeutbaren Blick zu. Alarmiert zuckten die Beiden zusammen und Swentje kam es vor, als ob sich der Dolch, den Bastian ihr ins Herz gestossen hatte, noch ein gutes Stück weiterbewegen würde. Kurz flackerte die Angst wieder in ihr auf, doch ein Teil von ihr klammerte sich an ihre beiden Freunde.

„Er oder ich! Beide in einer Band scheint jawohl nicht zu funktionieren.“ Ihre Stimme klang seltsam gefasst und ihr auffordernder Blick suchte den von Kim und Stefan.

Nur, dass sie keinen von beiden zu fassen bekam...

Beide starrten krampfhaft zu Boden und schienen sich unter ihrer Forderung zur Stellungnahme zu winden. Kim biss auf seiner Unterlippe herum und seine Hände hatten sich in seinen Ärmeln verkrallt. Sein Blick huschte unstet über den Kellerboden, wobei er es tunlichst vermied, in ihre Richtung zu sehen. Stefan stand da, wie ein Häufchen Elend, händeringend und den Blick starr auf seine Schuhe gerichtet. Swentje fühlte sich, als würde jemand einen Eimer mit eiskaltem Wasser über ihr ausleeren. Fassungslos starrte sie ihre beiden Freunde an, die sich regelrecht hinter Bastian zu verstecken schienen und nicht einmal die Courage hatten, ihr ins Gesicht zu sehen.

Das Summen der Boxen gewann wieder an Lautstärke, als sich Schmerz und abgrundtiefe Enttäuschung in Swentjes Gesicht abzuzeichen begannen. Der Dolchstoss, den Bastian ihr bereits verpasst hatte, war nichts im Vergleich zu dem Herumdrehen der Klinge in der Wunde, was ihre beiden sogenannten Freunde mit ihremSchweigen bewirkten.
 

„Nein! Das hab ich echt gemacht?!“, fassungslos starrte er Tuomas an, der immernoch lachte und konnte sich selbst ein leicht ungläubiges Grinsen nicht verkneifen. „Oh man... Wundert mich echt, dass sie mir dafür nicht den Arsch aufgerissen hat...“ Durch den Mund ausatmend fuhr er sich durch die Haare. Tuomas grinste nur. „Sie meinte nur, dass du dich eh an nichts erinnern wirst und es deshalb eh nichts bringen würde.“ Überrascht sah Jyri auf. „Das hat sie echt gesagt?“ Tuomas nickte nur und schliesslich verfiel Jyri in ein erleichtertes Lachen. „Man, was bin ich doch für ein Glückskind.“

Im Wohnzimmer wurden schnelle Schritte laut und kurz darauf eilte Swentje in ihr Blickfeld. Noch immer lachend wollte ihr Jyri etwas zurufen, doch ein einziger Blick in ihr Gesicht und jegliches Wort blieb ihr im Halse stecken. Sein Lachen gefror ihm regelrecht im Gesicht. Da stimmte etwas ganz gewaltig nicht!

Swentje langte nach ihren Schuhen und zog sich diese hastig an, als hinter ihr auch schon Kims atemlose Stimme ertönte und er aus dem Wohnzimmer in den Flur gerannt kam. „Nun warte doch mal! Verdammt, nun überstürz doch nicht alles!“ Er kam hinter ihr zum stehen, als sie sich schweigend den zweiten Schuh zuband. Kims Gesichtsausdruck nahm einen gequälten Ausdruck an und er schien sich ob ihres Schweigens regelrecht zu winden. Zutiefst beunruhigt und verwirrt blickte Jyri von einem zum anderen. Tuomas hatte das starke Gefühl, hier gerade mehr als fehl am Platze zu sein.

Swentje richtete sich wieder auf und drehte sich ein letztes Mal zu ihrem sogenannten Freund um, als auch schon Stefan und Bastian hinter ihm auftauchten. „Überstürzen? Die Sache ist recht eindeutig.“ Die Bitterkeit in ihrer Stimme liess in Jyris Kopf sämtliche Sirenen aufheulen. „Ich hätte von euch nur mehr Ruckrat erwartet.“, fügte sie zutiefst enttäuscht an und man konnte Tränen in ihren Augen glitzern sehen. Sie fuhr auf dem Absatz herum und wollte sich an Jyri und Tuomas vorbeizwängen, als Jyri sie am Arm zurückhielt. „Was ist denn-„ Grob riss sie sich los und funkelte ihn wütend und schmerzerfüllt zugleich an. „-los...?“, schlagartig hatte seine Stimme jeden fordernden Ton verloren und das letzte Wort kam nur leise und zutiefst beunruhigt über seine Lippen. Was ging hier ab? Was war passiert, dass sie wirklich jeden Menschen von sich stiess? Das ungute Gefühl in seinem Magen wurde stärker. So hatte er sie bis jetzt nur einmal erlebt und daran erinnerte er sich nicht so gerne zurück...

Tuomas wünschte sich inständig an jeden erdenklich anderen Ort, als diesen hier, aber auch ihm blieb fast das Herz stehen, als er ihre leise, tonlose Stimme vernahm, als sie sich an ihm und Jyri vorbeizwängte und davoneilte.

„Ich bin raus.“

Kapitel 10

Kapitel 10
 

“Ich bin raus.”

Der Satz schien wie ein Peitschenschlag die Geräuschkulisse zu zerreissen.

Geschockt starrte Jyri ihr hinterher. Was? Er fuhr zu seinen Bandkollegen herum. „WAS???“

Kim und Stefan schienen unter diesen Worten regelrecht zusammenzuschrumpfen. Beide sahen aus, wie zwei sprichwörtlich geprügelte Hunde. Nur Bastian blieb weiterhin ruhig. Die ganze Art seines Auftretens liess in Jyri den immer stärker werdenden Verdacht aufkommen, dass er hinter all dem steckte.

„Sie ist raus.“ Ernsthaft, aber gelassen blickte er ihm ins Gesicht. „Es war ihre eigene Entscheidung. Sie wollte, dass wir uns zwischen ihr und mir entscheiden.“ „Und ihr habt euch allen Ernstes für >ihn< entschieden?!“ Jyri deutete fassungslos auf Bastian, während er Kim und Stefan mit ungläubigen Blicken taxierte. „Sagt mal, seid ihr noch bei Trost!? Ihr könnt doch nicht einfach den Songwriter rausschmeissen! Geht’s noch?!“ Tuomas Kopf ruckte hoch. >Was? Songwriter?<

„Sie ist die Seele dieser Band, habt ihr den völlig den Verstand verloren!?“ Fassungslos starrte Jyri auf die Beiden nieder und klammerte sich immernoch an den Glauben, dass das Ganze nur ein Alptraum sein konnte. Tuomas Blick wanderte stetig zwischen den jungen Männern hin und her. Er konnte seinen Ohren kaum glauben. >Sie war der Songwriter dieser Band?!< Wiedermal blitzte ein Bild vor seinem geistigen Auge auf, wie sie zusammen nach Hause gegangen waren. >Wieso hatte sie das nicht erwähnt?!<, fragte sich ein Teil von ihm, während der Rest noch mit dem Schock zu tun hatte, dass diese Band gerade wirklich ihren Songwriter gekickt hatte.

Er konnte gar nicht anders, als an Sami und Tarja zurückzudenken. Was wäre damals wohl passiert, wären die Dinge etwas anders gelaufen? Hätten die Beiden dann vielleicht auch eine Entscheidung von der Band gefordert? Hätten sie damals wirklich von Angesicht zu Angesicht erstmal versucht, dass Ganze zu diskutieren, wie Swentje hier, wäre es dann auf ein ähnliches Szenario hinausgelaufen?

Aber die Band hätte ihn niemals rausgeworfen!! Er war der Songwriter! Der Gründer von Nightwish! Die Seele der Band, wie Jyri so schön formuliert hatte.

Aber war das wirklich ein Grund dafür, eine feste Position in einer Band zu haben? Konnte man sich sicher sein, immer ein fester Bestandteil einer Band zu sein, nur weil man derjenige war, der die Idee hatte, eine Band zu gründen?

Einfach nur, weil man die Lieder schrieb?

Hatte man dadurch eine unkündbare Stellung in einer Band inne?

War das hier nicht gerade ein Parade Negativbeispiel, wie sehr man sich täuschen konnte?

Nein! Auf die Idee, ihm zu kündigen, würde niemand überhaupt kommen! Ohne ihn wäre Nightwish wirklich nicht mehr Nightwish!

Aber war Nightwish nicht auch so anders geworden? Einfach aufgrund der Zeit, die vergangen war, dem Ruhm, dem sie ausgesetzt sind und dem Sängerwechsel!?

Wieder erinnerte er sich an all die Kritiken, als sie Anette das erste Mal vorgestellt hatten. An die negativen Reaktionen vieler Fans, als sie Anettes Stimme gehört hatten, die mit Tarjas gar nicht zu vergleichen war. Mit Absicht, da Tarja einfach die Beste in ihrem Fach war und niemand sie ersetzen konnte. Sie hatten keinen Vergleich zwischen den beiden Sängerinnen provozieren wollen und doch war genau das eingetreten. Es gab so viele, die meinten, dass Jemand mit einer Opernausbildung besser geeignet gewesen wäre, um Tarjas Platz zu übernehmen. Einfacher zu akeptieren gewesen wäre…

Tuomas Gedanken kreisten wie wild um die eigenen Trennungen, die er miterleben musste und über die, für die er selbst verantwortlich gewesen war.

Sami…

Ob er sich genauso gefühlt hatte, wie Swentje es jetzt tat? Wieder blitzte ein Bild vor seinen Augen auf. Der zutiefst verletzte Ausdruck auf ihrem Gesciht. Die halbgeschlossenen Augen, die den Schmerz in der Seele verbergen sollten. Die Tränen, die sie nicht vergiessen wollte. All das hatte er sehen können, als sie sich an ihm vorbeigeschoben hatte. Diese kleine Sekunde hatte gereicht, um sich in seinem Kopf festzusetzen.

Ob Tarja so gefühlt hatte? ... Bestimmt...

Sami?... Vielleicht...

Er hatte ihn ja nach der Mitteilung durch das Management noch persönlich besucht, um Tuomas eigene Stellungnahme dazu zu hören... Er dachte nicht gern daran zurück... An sein eigenes Versagen, seinem ehemaligen Freund gegenüber... Am liebsten würde er diese Erinnerung aus seinem Gedächtnis löschen... Sami war enttäuscht gewesen. Wütend und verletzt.. Zurecht... Er hatte nie die Courage besessen, Sami von seinen Problemen mit ihm zu erzählen. Ihm persönlich zu kündigen...

Er hatte versucht, es bei Tarja besser zu machen.

Richtig zu machen.

Aber auch das war anders gelaufen, als erwartet...

Tuomas Gedanken begannen sich in einer Horrorspirale eigener Vorwürfe und Schuldzuweisungen zu verfangen. Er bekam kaum noch mit, was um ihn herum gesprochen wurde. Das Einzige, was er unterbewusst registrierte, war, dass sie nicht mehr in englisch sprachen...
 

„-bekloppt seid ihr eigentlich!?“, donnerte Jyri und bewirkte so ein Kopfheben Tuomas’. Sein Blick richtete sich wieder auf die Szenerie vor ihm, doch er sah und hörte alles wie durch dichten Nebel. Immer wieder zogen unliebsame Szenen seiner eigenen Bandvergangenheit vor seinem inneren Auge vorbei und wollten ihn wieder aus dem Hier und Jetzt reissen. Immer wieder musste er die Augen schliessen, um den Bildern erfolgreich Herr zu werden und sie zurückzudrängen. Irgendwann fand er sich selbst schwer an die Wand gelehnt vor, den Kopf leicht gesenkt. Jyri tobte immernoch. Plötzlich schossen seine Hände vor und packten Bastian am Kragen. Tuomas Magen erkrampfte sich und er betete inständig, dass es jetzt nicht auch noch zu einer Schlägerei kommen würde. Wenn er etwas verabscheute, dann war es Gewalt.

“Was habt ihr euch dabei gedacht, verdammt!?” Aufgebracht begann Jyri den anderen zu schütteln, sodass Kim und Stefan schliesslich beunruhigt dazwischengingen und Bastian aus seinem Griff befreiten. „Hast du dir überhaupt irgendwas dabei gedacht!?“ Immernoch aufgebracht liess er sich von Stefan zurückhalten, während Bastian sich den schmerzenden Hals rieb.

„Natürlich hab ich mir was dabei gedacht, für wie blöd hältst du mich bitte!?“, erwiderte er beleidigt mit rauer Stimme und funkelte den Drummer böse an.

„Willst darauf echt eine Antwort haben!?“, schoss Jyri zurück und erwiederte den Blick fast schon provozierend. „Denn im Moment halt ich euch Drei für unwahrscheinlich blöd!“

Bastians Augen zuckten kurz und er biss sich auf die Unterlippe, um nicht irgendetwas unüberlegtes zu sagen. Dann atmete er einmal tief durch und fand seine nervtötende Gelassenheit wieder. „Sei doch mal vernünftig! Wir haben alle in den letzten Monaten gemerkt, wie es mit der Band immer weiter bergab ging. Hätten wir nichts unternommen, dann wäre noch die ganze Band auseinandergebrochen! Das war die beste Lösung!“

„Die beste Lösung...“ Jyri schnaubte ungläubig. „Ihr habt unseren Songwriter gekickt und das verstehst du unter >bester Lösung<!?“

Bastian zuckte ruhig mit den Schultern. „Keine Position, die nicht übernommen werden kann.“

„Ach ja?“ Jyri stemmte die Hände in die Hüfte und blickte ihn agressiv abwartend an. „Und von wem? Von dir?“ Bei der letzten Frage umspielte ein Lächeln sein Lippen und man sah ihm deutlich an, was er von dieser Idee hielt.

Tuomas spürte die unterschwellige Spannung deutlicher als alles andere und sein Hirn arbeitete auf Hochtouren. Irgendwie musste er es doch schaffen können, diesem ganzen Höllenszenario zu entkommen!? Die Eingangstür war nur wenige Schritte von ihm entfernt, doch um dorthin zu gelangen, musste er an Jyri vorbei und etwas in ihm weigerte sich beharrlich, einfach so das Weite zu suchen. Auch wenn es gerade seinem grössten Wunsch entsprach.

„Ganz genau!“, antwortete Bastian und hob kämpferisch das Kinn, als Jyri nur ein schlecht unterdrücktes abfälliges Lachen von sich gab. „Ich hab schon vor ihr Songs geschrieben und mittlerweile spiel ich auch Gitarre!“

Wieder ein hartes Schnauben. „Dann weisst du ja sicherlich auch noch, warum sie das Schreiben übernommen hat! Falls du es vergessen haben solltest, frisch ich deine Erinnerungen gerne etwas auf!“, gab Jyri zurück. „Deine Songs haben nichtmal ansatzweise an ihre Arbeit herangereicht!-“„-Ich bin besser geworden!“, unterbrach ihn Bastian mit einem triumphierenden Ausdruck auf dem Gesicht. „Wenn du mir nicht glaubst, dann komm in den Keller. Wir können’s dir gern demonstrieren.“

“Ja”, hörte man Jyri daraufhin nur leise sagen. „Sicher könnt ihr das.“ Enttäuscht wanderte sein Blick von einem zum anderen. „Und ich wette sogar, dass ihr sie schon ganz super spielen könnt, deine Songs.“ Wieder ein kurzes trauriges Lächeln und ein Kopfschütteln. „Ich glaub echt nicht, dass ihr dabei mitgemacht habt.“ Enttäuscht wandte er sich an Kim und Stefan. „Das hätte ich echt nicht von euch erwartet...“

Betreten sahen die beiden Angesprochenen zu Boden, bevor sie schliesslich ihre Sprache wiederfanden. „Sie hat uns überrascht... Wirklich, wir wollten das eigentlich anders klären, aber sie hat uns gar keine Chance gelassen! Sie wollte sofort eine Stellungnahme...-“ „-Das hätte ich an ihrer Stelle auch gefordert!“, warf Jyri sachlich ein und Stefan verstummte, die letzten Worte herunterschluckend. Kim schüttelte leicht resignierend den Kopf. “Wir können alle verstehen, dass du sauer deswegen bist, aber du kannst nicht bestreiten, dass Bastian Recht hat. Das Klima in der Band war wirklich katastrophal und es stimmt auch, dass es hauptsächlich an ihr gelegen hat.” Jyri musste sich zusammenreissen, um nicht emport aufzufahren. Kim entging das keineswegs und so fuhr er etwas lauter fort, bevor der Halbfinne ihn unterbrechen konnte. „Und für die Geheimnisstuerei gab es auch einen guten Grund, den du dir eigentlich auch denken können solltest.“ Jyri zog nur wortlos eine Augenbraue hoch. Da war er ja mal gespannt.

„Du weisst selbst, wie empfindlich sie darauf reagiert, wenn man sich ins Songschreiben einmischt. Du hast selbst gesehen, was sie bei der letzten Probe abgezogen hat! Und nun willst du uns einen Vorwurf daraus machen, dass wir es euch nicht sofort gesagt haben, als wir angefangen haben, über eine Umstrukturierung nachzudenken!? Das wäre doch niemals gutgegangen!!!“

„Ach und das versteht ihr unter >gutgehen<?“ Er nahm die Hände von der Hüfte und verschränkte sie vor der Brust. „Aber gut. Dann will ich auch mal die Karten auf den Tisch legen.“ Bedeutungsvoll sah er von einem zum anderen. „Irgendwie scheint es mir ja als Einzigem entgangen zu sein, dass die Atmosphäre innerhalb der Band so dermassen negativ war und Swentje der Grund dafür sein soll... Aber gut. Wenn ihr das alle als so untragbar empfunden habt, was soll ich da gross zu sagen?! Ich kann nur für mich sprechen... Was das Songschreiben angeht, so wisst ihr alle, dass Bastian vor einigen Monaten des Ideenklaus bezichtigt wurde-“ „-Was niemals jemand beweisen konnte!“, warf Bastian sofort ein. „-von daher kann ich sie da sehr gut verstehen“, beendete Jyri unbeeindruckt seinen Satz. „Und es konnte auch nie bewiesen werden, dass du es nicht gemacht hast“, fügte er dann an Bastian gewandt ruhig hinzu.

Langsam begann es ihm zu dämmern, dass er hier auf verlorenem Posten stand. Bastian blockte konsequent alles ab, was mit Swentje zu tun hatte und Kim und Stefan schienen ebenfalls davon überzeugt zu sein, dass es anders nicht funktioniert hätte.

Zu seinem unterschwellig brodelnden Zorn gesellte sich ein Gefühl tiefer Trauer und Enttäuschung. Warum musste es nur soweit kommen? Er konnte nur deprimiert den Kopf schütteln und Tuomas konnte nur zu gut nachempfinden, wie Jyri sich fühlte. Gut, er war nie aus blauem Himmel mit so einer Situation konfrontiert worden, sah man einmal von Tarjas plötzlichem Statement ab, dass sie Nightwish nicht mehr bräuchte und jederzeit mit nur einem Tag Vorwarnung die Band verlassen könnte. Das hatte Tuomas damals fast einen Herzinfakt verschafft und noch heute lief es ihm kalt über den Rücken, wenn er daran zurückdachte. Der Schock und das Grauen sassen ihm immernoch in den Knochen und das war damals auch der endgültige Auslöser gewesen, weswegen sie ernsthaft angefangen hatten, ihre Bandkarriere ohne Tarja weiterzuplanen. Im Endeffekt fast die gleiche Situation, wie hier jetzt... Nur, dass es der Songwriter und nicht der Sänger war... Und dass Swentje im Gegensatz zu Tarja vor der endgültigen Entscheidung eine Aussprache gefordert zu haben schien...

Jyri stand nun zwischen diesen beiden Fronten. Er war als Bandmitglied völlig aus der Entscheidungsfassung ausgelassen worden und bekam nun den Endzustand vorgesetzt. Etwas, womit auch Tuomas so seine Probleme hätte.

Jyri seufzte tief und holte Tuomas wieder aus seinen düsteren Gedanken zurück. Auch wenn er des Deutschen nicht mächtig war, so verstand er doch schon ein paar Worte. Ausserdem waren Ton und Körpersprache aussagekräftig genug.

“Jungs..”, begann er erneut und im darauffolgenden Satz wurde klar, an wen er sich eigentlich wandte. „Euch ist schon klar, dass sich mit dem Rauswurf des Songwriters so ziemlich alles ändert?! Sie ist nicht mal eben so leicht zu ersetzen, wie zum Beispiel ein Sänger.“ Bastians Augen verengten sich zu Schlitzen und sein Körper verspannte sich. Doch sowohl Kim, als auch Stefan übergingen diesen offensichtlichen verbalen Zaunpfahl mit der Begründung, dass Bastians Stimme das Aushängeschild der Band sei und sie ausserdem gar keinen Grund hätten, ihn rauszuwerfen.

Tiefer hätten sie ihn kaum noch treffen können. Es war mehr als offensichtlich, wer hier die Fäden in den Händen hielt und es tat verdammt weh, zu sehen, wie einfach sich die Beiden steuern liessen.

„Na dann...“, war das Einzige, was Jyri daraufhin sagte, als er sich umdrehte und Richtung Haustür ging.

„Was? Wo willst du hin?“, hörte er Kim mit einer Mischung aus Irritation und Beunruhigung hinter sich herrufen. Tuomas hatte derweil die Chance genutzt und stand nun auf den Stufen, die auf den mit Feldsteinen gepflasterten Weg hinausführten, der durch den Vorgarten führte. Den Topf stellte er in die Ecke auf der oberste Stufe.

„Wohin wohl?!“, warf Jyri nur schlicht über die Schulter zurück und trat auf die Stufen hinaus.

„Aber das heisst doch noch lange nicht, dass du auch gehen musst! Wir sind immernoch eine Band!“

Jyri blieb kurz auf der untersten Stufe stehen und drehte sich langsam zu ihnen um. „Sind wir das?!“ Die Frage klang mehr rhetorisch, als dass sie nach einer Antwort verlangte.

„Ich sehe hier keine Band mehr vor mir.“ Er wandte sich wieder um und wollte weitergehen, als er Bastians wütende Stimme hinter sich hörte. „Was soll das, Jyri!? Willst du ernsthaft die Band wegen ihr schmeissen?? Verdammt, wir sind vielleicht nur ein Projekt, aber das heisst noch lange nicht, dass wir das Ganze nicht ernstnehmen! Oder dass du uns einfach so hinschmeissen kannst! Wir haben alle dieser Band zugestimmt, auch wenn es aus deiner Initiative heraus geschah! Du hast eine gewisse Verantwortung hier! Wir sind dein Projekt! Du kannst nicht einfach alles wegen einer Person hinschmeissen!“

Jyri glaubte seinen Ohren nicht zu trauen, doch seine Fassungslosigkeit wandelte sich schnell in eine unheimliche innere Ruhe, als er bemerkte, was Bastian hier versuchte abzuziehen. Es war doch echt unglaublich, welche Mittel ihm alle recht waren!

Er liess seine abweisende Haltung ein paar Sekunden wirken, bevor er sich nochmals zu den Dreien umwandte. „Da hast du völlig recht“, sagte er beunruhigend ruhig und sah Bastian dabei direkt an. „Ihr seid nicht meine richtige Band und gerade deswegen habe ich auch eine gewisse Verantwortung euch gegenüber.“ Er konnte es in Bastians Augen siegessicher blitzen sehen. „Ich hab das Projekt ins Leben gerufen, also kann ich es auch wieder auflösen.“

„WAS???“ Kam ein zweifacher Aufschrei von Kim und Stefan. Bastian starrte ihn nur mit offenem Mund ungläubig an. „Ihr habt diese Band bereits an den Zusammenbruch getrieben. Ich mache es hiermit nur endgültig und offiziell.”

„Wieso???“ Geschockt starrten Stefan und Kim ihn an. Sie konnten immernoch nicht glauben, welche Wendung das Ganze genommen hatte.

Jyri warf ihnen einen letzten Blick zu. „Wenn ihr ohne sie weitermachen wollt, gut. Gründet eure eigene Band. Aber vergesst es, dass ich das Herzstück meiner Arbeit zurücklasse! Meine Sticks gehören Swentje. Das haben sie immer und das werden sie immer.“ Damit drehte er sich um und setzte sich wieder in Bewegung. Er wusste, dass er hier mehr zurückliess, als seine Projektband. Aber konnte man die Drei wirklich noch als Freunde bezeichnen?

>Nein<, beantwortete er seine stumme Frage in Gedanken. Ohne sich die Mühe zu machen, noch einmal den Kopf zu drehen, fügte er hinzu: „Ihr habt drei Stunden, um eure Sachen zu packen. Seid ihr dann nicht aus meinem Haus verschwunden, werde ich nachhelfen. Hausfriedensbruch ist auch in Finnland strafbar.“ Fast schon befriedigt registrierte er das Keuchen hinter sich und konnte Tuomas leicht ungläubigen Blick auf seinem Gesicht spüren, als er an ihm vorbeiging. „Und ach ja: Ich lege dir nahe, nur das mitzunehmen, was auch wirklich dir gehört, Bastian.“

Mit diesen Worten verliess er das Grundstück und schlug die Richtung ein, in die Swentje vorhin davongelaufen war.

Tuomas starrte ihm noch lange hinterher. Er konnte immernoch kaum glauben, was hier gerade abgelaufen war. Einfach so von hier auf jetzt eine Band aufgelöst... Er fühlte sich elend. Auch wenn er die Band nicht kannte, so traf ihn die ganze Sitaution doch tief und liess etwas in ihm anklingen, dass er schon lange sicher vergraben geglaubt hatte...

Kapitel 11

Kapitel 11
 

Irgendwie hatte Jyri angenommen, Swentje am See vorzufinden. Doch als er sie weder am Ufer, noch auf dem Steg entdecken konnte, wurde ihm doch etwas mulmig zumute. Seine Chancen, sie ihm Wald zu finden, waren verschwindend gering…

Tief seufzend blieb er am Ufer stehen und blickte besorgt auf den See hinaus. Die Vorstellung, dass sie hier allein herumstreunte oder sich gar irgendwo verkrochen hatte, gefiel ihm gar nicht. Das Verkriechen noch weniger, als das Herumlaufen. Er wollte sie nach diesem Schock nicht allein lassen.

Aber anscheinend war es genau das, was sie wollte. Allein sein. Ihre Ruhe haben.

Ein leichter Wind strich durch seine blonden Haare und schien ihn beruhigen zu wollen. Er hörte das leise Plätschern des Wassers zu seinen Füssen und beobachtete in Gedanken versunken, wie es den Sand unter seinen Schuhe herum langsam davontrug…

Wahrscheinlich würde er sie trotzdem suchen gehen. Vielleicht hatte sie sich ja hier irgendwo in der Nähe eine stille Ecke gesucht… Ausserdem war es ihm einfach zu dumm, jetzt zum Haus zurückzugehen.

Er drehte sich um und verliess den schmalen Sandstreifen. Langsam umspielte das Wasser die zurückgebliebenen Abdrücke seiner Schuhe im Sand und schon bald war nur noch der Abdruck des Hackens zu sehen.
 


 

Sein Tag war gelaufen. Tuomas fühlte sich absolut scheiße. Ganz so, als ob er und nicht Jyri die Band aufgelöst hätte.

Wie bei so vielen Problemen oder unangenehmen Situationen, hätte er auch hier versucht, davonzulaufen. Körperlich, als auch emotional, aber erfolglos. Zumindest, was das Emotionale betraf. Vielleicht war es ihm auch deshalb nicht möglich gewesen, weil es zu viele Parallelen zu seiner Vergangenheit gab. Einer Vergangenheit, die er gerne geändert hätte und wo er sich selbst oft genug für sein Verhalten fast schon gehasst hatte.

Vielleicht machte ihm deshalb sein Unterbewusstsein einen Strich durch die Rechnung. Die alten Fehler nicht noch einmal machen, sondern einen besseren Weg finden, damit fertig zu werden.

Gedankenverloren griff er nach dem Bier und nippte lustlos daran. Antti und Tero hatten sofort gemerkt, dass etwas mit ihm nicht stimmte, als er wieder nach Hause gekommen war und so hatten sie ihn verständnisvoll allein gelassen. Tuomas war ihnen dankbar dafür. Im Moment war er alles andere als ein guter Gastgeber.

Ein paar Regentropfen, die auf seiner Hand landeten, rissen ihn aus seinen trüben Gedanken und liessen ihn aufblicken. Der Himmel hatte sich zugezogen und begann langsam aber sicher, seine Schleusen zu öffnen, um seine nasse Last über Finnlands Osten abzuladen.

Zu den paar Tropfen gesellten sich immer mehr und schon bald glitzerte sein Haar vor Nässe und das Wasser perlte von seiner Jacke ab, nur um letztendlich von seiner Jeans aufgesaugt zu werden.

Es kümmerte ihn kaum. Er blinzelte nochmals in den Himmel, bevor er wieder das Bier ansetzte. Eine Zigarette konnte er jetzt sowieso knicken. Die wäre schneller durchweicht, als dass er auch nur die Hälfte aufgeraucht hätte.

Eine Zeitlang sass er so da und liess es auf sich herabregnen. Beobachtete die Natur um ihn herum. Die Blumen, die mit ihren Köpfen nickten, wenn sie ein Regentropfen traf. Die langen Gräser, an deren Stängel die Tropfen herabliefen und die Blätter, auf denen sich das Wasser sammelte, bevor die Last zu schwer wurde und es schliesslich unter ihr nachgab.

Er genoss das Rauschen, dass langsam aber sicher jedes andere Geräusch verdrängte und sich wie ein akustischer Schleier über das Land legte.

Als der Regen immer stärker wurde, schlich sich ein melancholisches Lächeln auf seine Lippen. Der Dichter und Komponist in ihm konnte das Zusammenspiel von Natur und Emotion nur bewundern. Es kam ihm wirklich fast so vor, als würde der Himmel weinen.

Das Donnern, das kurz darauf von Weitem zu hören war, vervollständigte das Bild schliesslich und liess Tuomas abermals traurig zum Himmel hinauflächeln. Ein paar Sekunden liess er den Regen auf sein Gesicht prasseln, bevor er sich seufzend erhob und nach drinnen ging.

Das Wetter war ein Spiegel seiner Seele.

>Nein<, verbesserte er sich kurz darauf in Gedanken. >Es war der Spiegel ihrer Seele.<
 


 

Swentje begrüsste den Regen und das heranziehende Gewitter. Dass sie sich gerade mitten im Wald unter einem Baum befand, war ihr dabei herzlich egal. Sie liebte Gewitter und ausserdem traf es ihre Stimmung auf den Punkt.

Sie starrte weiterhin in die Ferne und lauschte dem Rauschen des Regens, der sich auf das Land ergoss. Ab und an gab eines der Blätter über ihrem Kopf unter der Last des Wassers nach und es tropfte auf sie herab.

Es kümmerte sie kaum. Viel eher genoss sie das Gefühl, wenn sich ein Tropfen seinen Weg über ihre Kopfhaut und dann den Nacken oder das Gesicht herab suchte.

Es tat gut.

Es wirkte tröstend.

Fast, als würde etwas von dem Schmerz, der Wut und der Enttäuschung aus ihrer Seele gewaschen...

Sie wusste nicht, wie lange sie so in den Regen hinausgestarrt hatte, als der Himmel über ihr grell aufleuchtete und ein ohrenbetäubender Donner über das Land rollte. Swentje spürte das Vibrieren mit jeder Faser ihres Körpers und selbst der Boden unter ihr schien zu beben. Fasziniert von der elektrischen Spannung, die sich in der Luft aufzubauen begann, beobachtete sie einen Regentropfen, der sich einen Weg zwischen den aufgestellten Härchen auf ihrem Arm suchte. Alles um sich herum schien sie unnormal klar und scharf wahrzunehmen. Den Regen, den Wald, die Insekten, die sich vor den niederstürzenden Wassern in Sicherheit zu bringen versuchten, die Kälte, die mit dem Unwetter aufgekommen war. Keine Gedanken, die in ihrem Kopf umherwirbelten, keine Erinnerungen, die ihren Geist gefangenhielten. Nur eine matte, leere Schwere, die sich in ihrem Kopf ausgebreitet hatte und alles von ihr fernzuhalten schien. Etwas wie Watte, von dem sie allerdings wusste, dass sie wie Nebel zerreissen würde, würde sie versuchen, einen klaren Gedanken fassen. Und so zog sie die Beine an den Körper, umfasste sie und bettete das Kinn auf den Knien. Den Blick in die Ferne gerichtet, liess sie ihn wieder zerfasern. Sie wollten diesen Zustand wenigstens noch ein bisschen aufrechterhalten. Nur noch ein bisschen, bis sie sich dem Ganzen stellen musste. Nur noch ein bisschen, bis alles wieder über ihr zusammenschlagen würde. Sie schloss die Augen und ergab sich dem Gefühl der Schwerelosigkeit. Immer weiter liess sie sich in den Sumpf der Gedankenlosigkeit, des Vergessens sinken...
 


 

Jyri schüttelte sich wie der sprichwörtlich nasse Hund und man konnte eine gewisse Ähnlichkeit auch nicht abstreiten. Dann begann er sich aus seinen nassen Klamotten zu schälen, um diese beinahe achtlos über den Badewannenrand zu werfen. Im Hinausgehen schnappte er sich ein Handtuch und begab sich, Haare und Oberkörper trockenrubbelnd, nach oben in sein Zimmer. Dort liess er sich die klammen Boxershorts über die Hüften gleiten, um kurz darauf mit frischen, trockenen Klamotten wieder hinunterzugehen. Swentje hatte er nicht finden können. Eigentlich hätte er nichts anderes erwarten sollen, aber die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt. Seine Hoffnung war förmlich vom Regen weggespült worden.

Wie weggespült wirkten auch sämtliche Spuren von Bastian, Kimm und Stefan. Sie hatten sich also an seine Anweisungen gehalten und waren mit Sack und Pack abgezogen. Zumindest von Kim oder Stefan hätte er ja noch einen Brief oder so etwas erwartet...

Nun kam er sich in dem grossen Haus fast ganz verloren vor. Wäre das Trommeln des Regens an den Fenstern nicht gewesen, wäre ihm die Stille fast ohrenbetäubend vorgekommen.

Seufzend liess Jyri sich auf das Sofa fallen. Den Kopf nach hinten auf die Lehne gelegt, starrte er an die sich hoch über ihm befindende Decke.

Was war heute nur passiert? Der Tag hatte doch so gut angefangen. Und nun... knapp fünf Stunden später, schien sich Swentje nicht nur völlig von ihrer Umwelt abschotten zu wollen, er hatte auch die Band in den Sand gesetzt...

Fahrig strich er sich über die Augen. Das konnte doch alles nur ein Alptraum sein...

Müde schloss er die Augen und wie von selbst begannen die Ereignisse der letzten Stunden, der letzten Tage vor seinen geschlossenen Lidern Revue zu passieren.

Die Albereien am Frühstückstisch, wie sie Swentje zum Mittag geweckt hatten, Kims Flucht aus ihrem Zimmer, der See, Tuomas. Swentje, wie sie das Haus schon fluchtartig verliess. Er selbst, wie er der Band den Rücken kehrte.

Er stöhnte.

Langsam öffnete er die Augen wieder und liess den Blick in den Garten schweifen, bis er an einem kleinen Häuschen hängenblieb.

Eine Sauna konnte er jetzt echt gut gebrauchen.
 


 

Als Swentje schliesslich nach scheinbar unendlich langer Zeit, die sie unschlüssig und verunsichert im Regen vor der Haustür gestanden und den Knoten in ihren Eingeweiden bekämpft hatte, schliesslich das Haus betrat, umfing sie eine unheimliche Stille. Verwundert blieb sie im Eingang stehen und runzelte lauschend die Stirn. Ausser ihrem eigenem hämmernden Herzen konnte sie nichts hören.

Wo waren alle?

Vorsichtig ging sie weiter und betrat langsam das Wohnzimmer. Ihr Blick wanderte durch den Raum und auf die Galerie, doch sie konnte niemanden sehen. Sie wollte sich gerade umwenden und in die Küche gehen, als sie einen Zettel auf dem Couchtisch liegen sah. Im ersten Moment war sie unschlüssig, ob sie ihn sich wirklich durchlesen wollte, setzte sich dann aber, wie unter Zwang, in Bewegung und umrundete die Couch.
 

Sauna. Ist super zum aufwärmen. ;)

xxx J.
 

Sie griff nach dem Zettel und wendete ihn einige Zeit unsicher in der Hand. Sollte sie sich wirklich dazugesellen?

...Nein... Momentan fühlte sie sich alles andere als wohl in der Gegenwart anderer... Sie liess den Zettel wieder auf den Glastisch gleiten und begann unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen. Sie fühlte sich unfähig, stillzusitzen und irgendwie auch fehl am Platze, aber wo sollte sie sonst hingehen? Draussen wütete noch immer das Gewitter und es brachte niemandem etwas, wenn sie sich den Tod holte.

Ziellos begann sie in der Wohnung umherzulaufen, betrat das Bad, nahm sich ein Handtuch vom Haken und verliess es sofort wieder, öffnete den Kühlschrank und schloss ihn kurz darauf wieder, ohne seinen Inhalt wirklich wahrzunehmen. Sie merkte nicht einmal, wie ihre Schritte sie schliesslich ins Spielzimmer und die Kellertreppe hinab führten. Erst als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, wurde ihr bewusst, wo sie sich befand.

Der Probenraum wirkte leerer. Bis auf Jyris Schlagzeug und ihre Gitarre waren alle Instrumente verschwunden.

Langsam ging sie auf die Drums zu und fuhr fast schon liebevoll mit den Fingern über das Instrument. Es schien fast, als würde alles hier die Leere in ihrem Inneren nur noch weiter anschwellen lassen.

Geräuschvoll stiess sie die Luft aus und liess sich auf einen der Stühle sinken, die an der Wand neben den Boxen standen. Ohne es wirklich wahrzunehmen, barg sie ihr Gesicht in den Händen und presste schliesslich die Handballen auf die Augen, sodass farbige Muster vor ihren Augen erschienen.

Ihr Schädel pochte unangenehm und es tat unerwartet stark weh, daran zu denken, diesen Ort sehr bald schon verlassen zu müssen. Nie wieder mit Jyri und den anderen zu spielen. Ihre Semesterferien doch nicht in Finnland, sondern im öden Deutschland verbringen zu müssen... Sie könnte immer noch einen Flug nach Bulgarien buchen oder den Zug nehmen... Wenn es einen Ort gab, der in ihr das Gefühl zuhause zu sein, auslöste, dann war es dieses Land mit seinen Menschen. Aber eigentlich hatte sie Finnland kennenlernen wollen, schon seit Jahren war dies eins ihrer Auslandsziele gewesen.

Und nun das.

Sie stöhnte gequält auf und fuhr sich blinzelt mit beiden Händen durch die nassen Haare. Das Handtuch hing noch immer über ihre Schulter und rutschte nun langsam Richtung Boden.

Bevor es sich vollends selbstständig machen konnte, griff Swentje danach, warf es sich lustlos über den Kopf und begann sich ebenso enthusiastisch, die Haare zu trocknen.

Sie schälte sich aus ihrer durchnässten Jacke und befand ihr Shirt als annehmbar, als sie einen kurzen Blick an sich herabwarf und sah, dass es nur stellenweise vom Regen dunkelgefärbt worden war. Über ihre Hose machte sie sich erst gar keine Gedanken, die war durch und klebte geradewegs an ihren Beinen. Ein Teil von sich fragte sich, warum sie sie nicht einfach wechselte und sich bestenfalls noch eine warme Dusche gönnte. Sie tat niemandem und schon gar nicht sich selbst einen Gefallen, wenn sie sich jetzt auch noch eine Erkältung einfing. Doch dieser Gedanke verklang ungehört in einer Ecke ihres Verstandes, resignierte vielleicht sogar vor der hochgezogenen Wand in ihrem Inneren, die ihre Gefühle einschloss und so die alte Spirale in Gang setzte.
 


 

Gedankenverloren starrte er hinaus in den Regen. Blitze hatte er schon seit längerem keine mehr gesehen und auch der Donner war mit der Zeit verklungen. Nur der Regen blieb.

Abwesend griff Tuomas nach dem Weinglas und nippte an dessen Inhalt. Doch anstatt es wieder auf den Tisch zurückzustellen, behielt er es in der Hand, schwenkte es leicht hin und her und beobachtete schliesslich mäßig interessiert, wie sich das Licht der tiefstehenden Sonne in ihm brach und dem Wein ein inneres Feuer verlieh.

Irgendwann hob er wieder den Blick und liess ihn erneut nach draussen und über den See schweifen.

Er wusste nicht, wie lange er schon so auf dem Schreibtischstuhl sass. Das linke Bein angewinkelt, um den einen Arm auf dem Knie zu platzieren und das Kinn wiederum auf ihm ablegen zu können. Das Weinglas in seiner Rechten stand nun neben seinem Oberschenkel auf der Sitzfläche, während seine Finger abwesend mit dem Stiel das Glases spielten.

Sein Blick suchte die mittlerweile orangen gewordene Sonne, welche unter der dichten Wolkendecke, die sich fast bis zum Horizont zu ziehen schien und zum wiederholtem Male fragte er sich, was er die letzten Stunden eigentlich gemacht hatte.

Er konnte sich nicht wirklich an etwas erinnern, nur dass er in den Regen hinausgestarrt hatte. Was er gedacht hatte, wusste er nicht. Wie schon so einiges Mal, schien sich auch diesmal sein Unterbewusstsein selbstständig gemacht zu haben. Er hatte keinen klaren, eindeutigen Gedanken fassen können, aber er hatte gespürt, dass einiges in ihm umhergewälzt wurde und ehe er sich versehen hatte, hatte er auch schon angefangen, in sein Buch zu schreiben.

Wie bei Dark Passion Play hatte er auch jetzt schon das zweite Buch mit Ideen zu potentiellen Lieder für das neue Album angefangen. Die heutigen Einträge hatten sich anfangs um seine Erinnerungen und die Gefühle, die sie in ihm ausgelöst hatten gehandelt. Gefühle, über die er schon lange hinweg sein sollte. Es waren immerhin 4 Jahre vergangen, seit Tarja gegangen war. Vier Jahre, in denen er genug Zeit gehabt hatte, um sich seine Gedanken zu machen und einen Standpunkt zu beziehen. Tarja ist Vergangenheit und sie waren alle sehr glücklich mit Anette.

Warum also dieser Rückfall!? Die Sache war geklärt.

Zumindest sollte man das nach so vielen Jahren meinen...

Er seufzte leise, was aufgrund der vorherrschenden Stille trotzdem fast schon unnatürlich laut klang.

Allerdings hatten sich seine Notizen später immer weiter von seinem eigenem Innenleben entfernt und hatten eine andere Sichtweise angenommen. Ohne es zuerst zu merken war er in ihre Haut geschlüpft und hatte Einträge aus ihrer Sicht in das Buch hinzugefügt. Oder wie er glaubte, dass sie fühlen oder denken könnte, wobei er schon immer ein Talent dafür hatte, nachzuempfinden, wie andere fühlten.

Als er geistesabwesend in die tiefstehende Sonne starrte, war nur noch ein Gefühl der Leere und Trauer in seinem Inneren zu finden. Irgendwo dort befand sich auch ein tiefes Mitgefühl für sie, wobei er sich einerseits fragte, warum sie ihn so gefangenhielt und in derartige Grübeleien stürzte. Andererseits wollte er diesem Gefühl nicht wirklich nachforschen...

Als Tuomas nun das Rotweinglas auf dem Tisch abstellte und den Stift zur Hand nahm, handelten die Einträge vornehmlich von Emotionen und Metaphern in Bezug auf die Natur vor dem Fenster seines Arbeitszimmers im ersten Stock. Die fast schon bleiernd wirkende Wolkendecke, die schwer über dem Wald und dem See lastete. Die Sonne, die warm unter der Wolkenschicht hervorlugte und die Regentropfen an seinem Fenster glitzern liess. Den Sonnenstrahlen, die das Grau durchbrachen und wieder Farbe und Leben zurück in die Tristesse brachten. Der ganzen Szenerie etwas schwer greifbar melancholisches einhauchten.

Fast glaubte Tuomas daran, einen Regenbogen zu sehen zu bekommen, doch ein Teil von ihm zweifelte daran und der Künstler in ihm flüsterte ihm zu, dass ein Regenbogen vielleicht optisch sehr gut zu dem Ganzen passen würde, aber absolut konträr zu den Emotionen laufen würde.

Zu ihren Emotionen.
 


 

Sie hatte nicht gemerkt, wie sich Tränen auf ihr Gesicht geschlichen hatten. Erst als eine von ihnen direkt auf das Blatt vor ihr fiel, wurde ihr bewusst, dass ihre Wangen nass waren. Sie hielt kurz in ihrem Tun inne und hab langsam die Hand ans Gesicht. Mit ausdruckslosem Gesicht betrachtete sie ihre feuchten Fingerspitzen. Dann schloss sie kurz die Augen und atmete einmal tief ein. Ihre Mund verzog sich kurz, als würde sie starke Schmerzen leiden, doch fast sofort hatte sie sich wieder im Griff und wischte die Tränen schon fast unwillig weg. Sie blinzelte noch einmal und wandte sich dann wieder den Zetteln vor ihr zu.

Sie wusste nicht, was genau sie da geritten hatte, aber sie hatte schon fast den inneren Zwang verspürt, das Lied zu ändern. Mittlerweile also zum vierten Mal. Nun gut. Bastian wollte ja einen Bezug zur Band und es war ihr grad herzlich egal, dass sie kein Bestandteil dieser Band mehr war. Er sollte sein Lied bekommen! Sollte er daran ersticken, wenn er es sang! Und so, wie sie ihn einschätzte, würde er das tun. Das Lied war zu gut geworden, als dass er es sich durch die Hände gehen lassen würde.

Schmerz, Trauer und Wut hatten sich einen Weg durch ihre sorgsam errichtete Mauer gesucht und sie zum Schreiben gebracht. Die Noten liess sie fast unberührt, glich sie höchstens hier und da etwas an, nur den Text formulierte sie um.

Demons and Angels, nie passte der Titel besser.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Kommis!? *auf Button schiel*

Und wenn ihr Lust habt, schaut euch auch mal die anderen Tuomas-Werwolf-FF von mir an. ich brauch noch ein paar leute, die da mitbestimmen, wies weitergehen soll. Ihr wollt doch nicht, dass die Leutchen von ff.de das immer alleine bestimmen, oder!? ;)



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Kommentare zu dieser Fanfic (6)

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Von: abgemeldet
2009-04-04T21:55:08+00:00 04.04.2009 23:55
Hey ^^

Wieder zwei wunderschöne Kapitel ^^ Un mit dem selbständig arbeitenden Unterbewusstsein hast du Recht, hab das vor ein paar Tagen selbst erlebt... einfach nur am See gesessen un aufs wasser hinaus gesehen, nach ner guten Stunde gings mir viel besser ohne dass ich mir groß Gedanken über irgendwas gemacht hatte... Schön geschrieben, ich warte auf mehr =)

LG
Von:  Yagyuu
2009-02-26T21:38:31+00:00 26.02.2009 22:38
*seufz*

Huhu!
Ich bin durch Zufall auf diese FF gestoßen, indem ich mal so rumgestöbert hab.^^
Ich muss sagen, dass ich sie ganz toll finde.
Dein Schreibstil gefällt mir ganz gut und die Story ist äußerst interessant und vielschichtig.
*applaudier*

Würd mich freuen, wenn bald mehr Kapis kommen.

*Stück Kuchen dalass*
*knuddel*

Von: abgemeldet
2008-12-09T17:52:08+00:00 09.12.2008 18:52
Es hat lang gedauert, aber gut Ding will ja Weile haben :DD *begeistert ist* :D Paar kleine Fehlerchen haste au drin, aber die sin nich wirklich der Rede wert. =) Freu mich schon auf weitere Kapitel :DDDD *Kekse dalass*
LG

P.S.: hab ich dir schon die Links gegeben zu der 7 - Teiligen Doku über Tuomas? o.O Wenn nicht, sag bescheid, dann schick ich se dir =)
Von: abgemeldet
2008-07-15T22:11:10+00:00 16.07.2008 00:11
Sohooooooooo *gelesen hat* :D Verdammt geil, aber einige fehler:

1. Rechtschreibfehler..

"kenzeln" -> canceln
"Kokusmilch" -> Kokosmilch
"sappte" -> zappte
"Chalapenos" -> Jalapenos
Un an machen Stellen haste "Kristi" statt Kirsti geschrieben"

2. Kirsti wohnt nicht mit Tuomas in Kitee, sondern immer noch in Potoskavaara, ungefähr ne halbe Autostunde entfernt am Heinajärvi ;o)

Aber bis auf die paar Sachen muss ich sagen - haste gut gemacht :D

LG
Von: abgemeldet
2008-05-11T18:19:17+00:00 11.05.2008 20:19
Du weißt ja eh schon dass ichs genial find *gg* Un danke für die Widmung *rot anläuft* :D
Von: abgemeldet
2008-05-08T17:05:06+00:00 08.05.2008 19:05
Was soll ich sagen, ich mag deine Story :D Bin schon gespannt wie's weitergeht :D


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