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Entscheidung

von

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Ein schmaler verschlungener Weg führte den leichten Hang hinauf. Gräser in beachtlicher Höhe standen am Wegrand und wogen im Wind sanft und ruhig hin und her. Ein zarter Duft nach Sommer, Blumen und Gras lag in der Luft. Die großen uralten Kastanien rauschten im leichten Luftzug. Kleine Insekten bevölkerten die Luft und in der Ferne war leise und fast geisterhaft der monotone Brummton eines Traktors zu hören.

Sie kam gern hierher.

Der Weg führte bis zu einer riesigen wild wachsenden Wiese, um die sich nie ein Rasenmäher gekümmert hatte. Im Herbst ließen hier Kinder ihre Drachen steigen aber jetzt im Sommer war kein Kind zu sehen. Direkt vor ihr teilte sich der Weg nach links und nach rechts. Aber direkt geradeaus hinter der Wiese lagen Felder zwischen Büschen und endlosen Ketten von wild wuchernden Hecken und am Horizont berührte der blaue Sommerhimmel den Boden.

Sie kam gern hierher. Hier konnte sie sich frei fühlen, frei von Sorgen, frei von quälenden Gedanken, unbekannten Ängsten und bevorstehenden Entscheidungen. Eigentlich frei von allem. Aber eine Entscheidung galt es zu treffen. Eine wichtige. Dafür brauchte sie die Ruhe hier oben.

In ihrem Gedächtnis hörte sie die sanften Klänge eines wunderschönen Gandalf-Songs, während sie in die Ferne sah und der Wind sanft durch ihre Haare strich - als wollte er sie streicheln und die Melodie mit sich fort tragen, um sie auf den weiten Feldern um sie herum wieder loszulassen oder aber um sie direkt in den Himmel zu wehen.

Weit weg, auf der rechten Seite den Weg hinauf hörte sie auf einmal doch Kinder toben aber sie fühlte sich dadurch nicht gestört in ihrer Absicht. Völlig überwältigt von der Aussicht und ihren Gefühlen begann sie, sich mit ausgebreiteten Armen langsam im Kreis zu drehen. Sie schloss die Augen und ließ die stumme Melodie aus ihrem Gedächtnis ihre Seele überfluten. Sie fühlte sich so von Glück und Frieden erfüllt, dass sie weinen musste vor Freude. Was eine schöne Melodie doch ausmachen konnte hier oben!

Ein leises dumpfes Dröhnen, das ein Motorflugzeug am Himmel verursachte, störte sie nicht, ganz im Gegenteil. Sie liebte es, am Sommerhimmel Flugzeuge zu sehen und zu hören. Den Blick zum Himmel gerichtet öffnete sie die Augen und sah dem Flugzeug nach.

Nach zwei Minuten war das Knattern nicht mehr zu hören und sie setzte sich auf den Weg. Hier konnte sie hoffentlich ihre Gedanken ordnen und versuchen, eine Lösung zu finden. Das war der Grund, warum sie hierher gekommen war. Die Stille half ihr, sich zu entscheiden und das war nicht einfach. Das Glücksgefühl verschwand mit dem Gedanken an den Zweck ihres Kommens. Die Melodie verflog mit dem Wind.

Das Toben der Kinder war inzwischen nicht mehr zu hören. Sie waren wohl in der Richtung weiter gegangen.

Sie nahm Zettel und Stift aus ihrer Tasche und begann zu schreiben. Drei Namen schrieb sie auf den Zettel. Neben einander. Am Schluss sollte einer dieser Namen dick eingekreist sein. Der Eine, für den ihr Herz wirklich schlug. Sie liebte alle drei gleich stark und wusste, eine Entscheidung für einen konnte sie gar nicht treffen. Aber sie musste es wenigstens versuchen. Und es gab ja auch noch eine vierte Möglichkeit, die aber der allerletzte Ausweg war und ihr auch am meisten Angst machte. Aber wenn es nicht anders ging, sie würde auch diese Möglichkeit wählen. Sie war darauf vorbereitet.

Im Augenblick galt es jedoch erst einmal, praktisch zu denken. Vielleicht würde das ja schon zu einer Entscheidung führen…

So begann sie, mit der Welt um sich herum zu sprechen. Natürlich würde keine Antwort kommen und sie erwartete auch keine. Aber laut ließ es sich eben besser denken. Nur der Himmel und die Wiese hörten, wie sie sorgfältig abwog, positives und negatives gegen einander stellte und schließlich doch noch ihr Herz befragte. Niemand kam vorbei, der seine Meinung hätte sagen können und der Wind behielt seine für sich. Tausend Lieder gingen ihr durch den Kopf, während sie ihre Gefühle durchlebte aber sie versuchte, sich nicht davon beeinflussen zu lassen. Ihre Entscheidung sollte endgültig sein und musste mit Bedacht getroffen werden – ohne die Einwirkung von verwirrenden Texten und Melodien, die alles noch schwerer machten.

Ein Schmetterling ließ sich direkt vor ihr auf einer Blume nieder. Ein Marienkäfer landete auf ihrer Hand. Vorsichtig setzte sie ihn ins Gras.

Nach einer Stunde hatte sie alles durchdacht, gegen einander aufgewogen und war trotzdem zu keiner Entscheidung gekommen. Es war einfach unmöglich, eine Wahl zu treffen. Da ihr aber keine andere Wahl blieb als sich jetzt für einen zu entscheiden, weil sie sonst alle drei verlieren würde, wählte sie verzweifelt aber entschlossen die vierte Möglichkeit. Sie nahm Zettel und Stift, stand auf und ging mit zitternden Knien ein Stück weit auf die Wiese hinaus. Dort steckte sie den Stift in die Tasche, setzte sich hin, drückte den Zettel gegen ihr Herz und hauchte gedankenverloren ein zärtliches „Ich liebe euch“ in den Himmel, den drei Menschen zu, deren Namen auf ihrem Zettel standen und die von ihr eine Entscheidung verlangten.
 

Eine lange Zeit saß sie so da, unentschlossen. Noch einmal versuchte sie, einen der drei Namen hervor zu heben, nahm den Stift zur Hand und überlegte.

Nach einer weiteren Stunde, in der sie Kopf und Herz grausam gemartert hatte, umkreiste sie schließlich traurig ihre endgültige Wahl und stecke dann den Stift wieder ein.

Die Entscheidung war schwer aber sie entschied, dass es keine andere Möglichkeit gab, jedenfalls keine, mit der sie hätte leben können.

Bei dem Gedanken daran, aufgrund welcher Situationen andere Menschen sich für diesen Weg entscheiden, musste sie lächeln. Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit waren für sie keine Gründe. Daraus konnte man sich befreien, die Situation ändern. Hier lag es etwas anders. Man wollte sie zwingen, zwischen Atemluft, Liebe und Sonnenlicht zu wählen. Genauso gut hätte man sie zwingen können, sich für eins ihrer Beine zu entscheiden, oder ein Auge.
 

Eine Weile ließ sie sich vom Wind streicheln. Sie blickte ängstlich in den Himmel, wusste nicht, ob sie ihre Wahl auch wirklich würde umsetzen können. Wehmütig lauschte sie noch einmal auf die wunderschöne Melodie, die jetzt in ihrem Herzen erklang. Wieder umhüllte sie dieser tiefe Frieden. Und auf einmal fiel es ihr ganz leicht.

Entschieden griff sie noch einmal in ihre Tasche und zog ein kleines Küchenmesser heraus. Sie war eben darauf vorbereitet gewesen.

Gedankenverloren schnitt sie neben sich ein paar wilde Blumen ab, kleine blaue Blüten, das gleiche Blau wie das ihrer Augen. Dann legte sie sich hin und blickte wieder hinauf in den blauen Sommerhimmel. In ihrem Herzen klang die Melodie immerfort und nahm die Angst mit sich.

„Das ist der einzige Weg für mich“, flüsterte sie. Ein kurzes Brennen, mehr spürte sie nicht von dem Schnitt und die Last, eine Wahl treffen zu müssen, fiel nun auch endlich von ihr ab. Sie hielt den Zettel mit der linken Hand auf ihrer Brust fest, in der Hand die blauen Blumen. Das Messer ließ sie sanft auf den Boden fallen. Dann legte sie die rechte Hand bequem unter ihrem Kopf ab und schloss die Augen.

Ihre Wahl war getroffen. Unwiderruflich.

Langsam spürte sie, wie es auf ihrer Brust warm und feucht wurde. Müdigkeit überkam sie. Ein letztes Mal öffnete sie die Augen, um einem Flugzeug zuzusehen. Eine Träne lief ihr über die Schläfe. Nirgendwo sonst hätte sie jetzt sein wollen.

Wie ein Schleier legte sich nach und nach Dunkelheit in ihr Blickfeld und das Motorengeräusch wurde leiser, noch bevor das Flugzeug endgültig aus ihren Augen verschwand.

Tiefer Frieden und endlose Liebe erfüllten ihre Seele, als diese in den strahlenden, tiefblauen Sommerhimmel empor stieg und der Wind trug die Melodie aus ihrem Herzen der Seele nach.
 

Als man sie fand, waren der Zettel und die Blumen blutgetränkt. Ein friedlicher Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Sie lächelte. Durch das blutige Rot auf dem Zettel schien die schwarze Schrift hindurch, die ihre letzten Gedanken zeigte. Drei Namen, darunter viele Für und Wider. Einiges war durchgestrichen, viele Fragezeichen ließen erkennen, dass vieles ungeklärt blieb.

Aber eines war sofort zu erkennen: alle drei Namen waren dick eingekreist.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  ShainaMartel
2008-04-19T09:54:43+00:00 19.04.2008 11:54
;______;
das hört sich ja wirklich traurig an :___;
aber auch süß, also iwie poetisch;)
vielleicht ist sie ja jetzt glücklich...
die vergleiche mit der notwendigkeit sind auch schön:)!
...es ist toll!!
*knuff*
~tG-MY~


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