Zum Inhalt der Seite

A Tale of Two Brothers

KiritoxKohta
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Thirteen o'clock fairytale...

Ich kann mich gut daran erinnern, du warst fast immer an meiner Seite. Der beste Bruder, den ich je hatte. Der einzige Bruder, den ich je hatte.

Früh sind wir getrennt worden, direkt nach meiner Geburt. Lange wusste ich nichts von dir, lange hatte unsere Mutter mir deine Existenz verschwiegen. Umgekehrt war es anders – unser Vater hatte dir gesagt, dass du einen Bruder hattest, einen kleineren, er verriet dir sogar meinen Namen. Du wolltest mich unbedingt kennen lernen und machtest dich deshalb mit zehn auf die Suche nach mir. Du fandest mich mit elf, da war ich gerade neun geworden. Ich sehe noch dein strahlendes Gesicht vor mir, als wir uns endlich gegenüber standen. Ich glaubte dir am Anfang nicht, dass du mein Bruder sein solltest.

Wir wurden ein Herz und eine Seele. Wir unternahmen fast alles miteinander, du beschütztest mich immer, vor allem. Im Gegenzug tat ich alles für dich, was du von mir verlangtest und was dir irgendwie helfen konnte. Wir halfen uns gegenseitig. Wir wohnten zwar nicht zusammen, aber wir sahen uns doch jeden Tag, wir erzählten uns gegenseitig von der Schule, von allem, was wir erlebt hatten. Es war die glücklichste Zeit meiner Kindheit.

Was dann folgen sollte, war noch intensiver als das. Irgendwann schlichst du dich nachts in mein Zimmer und erzähltest mir ganz aufgebracht, dass dich seit Tagen, Wochen, Monaten Gedanken plagen würden, Gedanken über mich, Vorstellungen, Bilder, Sehnsüchte, und du wusstest nicht mehr, was du machen solltest. Ich verstand dich nicht – Sehnsüchte? Was hatte das mit mir zu tun? Und dann fragtest du mich, ob du mich küssen könntest.

Erst sträubte ich mich dagegen, ein paar Wochen lang. Ich verstand nicht, warum du mich küssen wolltest, so etwas taten doch nur Frauen und Männer. Ich war wirklich noch sehr unschuldig, erst zarte zwölf Jahre, und konnte mir nicht vorstellen, warum du deinen Bruder küssen wollen würdest. Ich war dein Bruder, ein Blutsverwandter, und außerdem waren wir beide Männer. Wir sind zwar nicht aufgewachsen wie Brüder, aber in den drei Jahren, die ich dich zu dem Zeitpunkt kannte, sind wir mindestens beste Freunde geworden.

Letztendlich gab ich doch nach und ließ mich von dir küssen. Nur ganz kurz, meinte ich, und dann musst du mir sagen, warum. Du drücktest deine Lippen auf meine, ganz kurz, wie vereinbart. Aber dann ein zweites Mal. Und noch ein Mal, und dann hieltest du meinen Kopf fest und schobst mir die Zunge in den Mund. Ich wehrte mich, klar wehrte ich mich, aber schon nach kurzer Zeit begann es sich ziemlich gut anzufühlen, und dann erwiderte ich den Kuss aus keinem bestimmten Grund. Es war einfach schön. Hinterher fragte ich dich, was das sollte, und du antwortetest, dass du dir nun sicher seist – du hättest dich in mich verliebt.

Es dauerte seine Zeit, bis ich deine Liebe akzeptieren konnte. Ich musste erst mit meinen eigenen Gefühlen klar kommen und mir bewusst machen, dass ich dasselbe für dich empfand wie du für mich. Danach küssten wir uns immer häufiger, und an meinem dreizehnten Geburtstag gingen wir ein wenig weiter. Nicht viel, aber unsere Hände reichten für den Anfang vollkommen.

Zwei Jahre später verführtest du mich das erste Mal. Ich werde unser allererstes Mal niemals vergessen – es war eine Katastrophe. Es passte alles vorne und hinten nicht, wir wussten nicht wirklich, wie wir das Ganze anstellen sollten, du tatest mir weh und ich heulte herum, und schließlich gaben wir es auf, ohne zum Ende gekommen zu sein. Du versprachst mir, dass du mich irgendwann einmal richtig befriedigen können würdest. Bis dahin müssten wir mit unseren Händen und unseren Mündern auskommen.

Unser erstes richtiges Mal hatten wir in unserer neuen Wohnung. Als ich sechzehn war und du achtzehn, kauftest du uns eine Wohnung und wir zogen zusammen, um so oft und so lange wie möglich zusammen sein zu können. Unsere Eltern freuten sich, dass wir uns so gut verstanden, oder zumindest unser Vater. Was unsere Mutter davon hielt, das wusste ich nicht. Weiß ich bis heute nicht. Seit ich bei ihr auszog, hörte ich nichts mehr von ihr. Den ersten richtigen Sex hatten wir auf der Wohnzimmercouch, nachdem wir einen ziemlich anzüglichen Film gesehen hatten. Du meintest, dass du dich ausreichend informiert und vorbereitet hättest und es dieses Mal klappen würde. Es schmerzte furchtbar und am nächsten Tag konnte ich nicht mehr sitzen, aber bereits beim nächsten Mal konnte ich es mehr genießen. Und je öfter wir miteinander schliefen, desto angenehmer wurde es für mich. Du machtest dir am Anfang Vorwürfe, weil nur du die ganze Leidenschaft spüren würdest, aber mit der Zeit erfreuten wir uns beide im selben Ausmaß daran. Es tat nicht mehr weh, dafür stieg meine Lust immer mehr an. Wir wurden süchtig. Manchmal trieben wir es den gesamten Tag lang, wenn wir es uns erlauben konnten.

Natürlich stritten wir uns auch, das ist ganz normal. Wir beschimpften uns manchmal gegenseitig, nur, um uns dann hinterher unter Tränen zu entschuldigen. Keiner wollte den anderen ernsthaft verletzen, weder durch Worte noch durch Taten, und dadurch, dass wir fast sämtliche Gedanken und auch alle anderen Dinge miteinander teilten, wurde unsere Beziehung eine sehr innige, liebevolle und glückliche. Ich war glücklich, du warst es ebenfalls. Fast die ganze Zeit. Ich erinnere mich noch an einen großen Streit, den wir hatten, bei dem du sogar wütend mit dem Auto wegfuhrst und ein paar Tage wegbliebst, aber auch danach vertrugen wir uns wieder. Nichts konnte uns trennen.

Einige schöpften Verdacht. Unser Vater nicht, aber Freunde und Bekannte. Es fiel auf, wenn wir uns weder für andere Frauen oder Männer interessierten und als Brüder zusammen wohnten. Außerdem zeigten wir auch in der Öffentlichkeit, wie nah wir uns standen. Nicht durch Gesten, aber durch indirekte Worte. Manch einer mag unser Verhalten richtig gedeutet haben, aber irgendwann gaben unsere Freunde auf, uns mit jemand anderem verkuppeln zu wollen und nahmen uns einfach hin. Wir verloren einige Freundschaften durch unsere Beziehung, andere blieben gerade deshalb bei uns. Das waren Freunde, denen wir vertrauen konnten.

Und dann wurde ich irgendwann krank. Nicht unheilbar, nicht so, dass ich mich nicht bewegen konnte oder so etwas, aber ich wurde krank. Körperlich ging es mir bis auf einige kleinere Schwächeanfälle gut, ich hatte keine Probleme mit meiner Wahrnehmung oder so etwas, aber ich kam trotzdem in ein Krankenhaus. Die Schwestern waren alle sehr nett zu mir, und deshalb fragte ich sie, ob du mich wohl besuchen kommen könntest. Erst waren sie ein wenig unsicher, aber nachdem du einige Male dagewesen bist, wurden sie wieder so freundlich wie vorher. Sie unterhielten sich sogar mit dir, nicht wahr?

Es war ein schönes Krankenhaus. Mir wurde zwar gesagt, dass ich wahrscheinlich lange dort sein müsste, aber nicht für immer. Das stimmte mich glücklich – dennoch fragte ich mich, wann ich wieder zu dir zurückkehren könnte. Du kamst mich immer öfter besuchen, bis du mir irgendwann vorschlugst, dass du ebenfalls in das Krankenhaus ziehen könntest. Du hieltest es ohne mich nicht mehr aus. Ich fragte die Schwestern, sie hatten nichts dagegen und waren froh, dass ich nicht mehr so einsam sein musste. Denn ich war einsam ohne dich, ich vermisste dich. Auch, wenn die Umgebung hübsch war und die Leute nett, ich hatte doch jeden Tag die anderen Kranken vor Augen. Und ich vermisste dich. Deshalb war ich unheimlich glücklich, als du letztendlich bei mir einzogst. Wir bekamen ein Zimmer nur für uns alleine, mit einem großen Bett, als würden sie wissen, was für eine Art Beziehung wir hatten. Falls sie es wussten, ließen sie sich nichts anmerken.

Ich fragte dich, was mit deiner Arbeit sei, ob du nicht arbeiten müsstest, aber du versichertest mir, dass ich mir keine Sorgen darum machen bräuchte. Unser Vater sei plötzlich sehr reich geworden und würde nicht nur meinen Aufenthalt im Krankenhaus, sondern auch deinen bezahlen. Geld hatten und haben wir also genug.
 

Und jetzt leben wir ein sorgenfreies Leben. Ich weiß gar nicht mehr, wie lange ich schon im Krankenhaus bin, meine Schwächeanfälle haben sogar nachgelassen. Wahrscheinlich dank dir. Du gibst mir Kraft. Wenn ich morgens beim Aufwachen dein Gesicht vor mir sehe, dann bekomme ich schon gute Laune. Du bist noch immer so unheimlich sanft zu mir. Wir machen fast alles zusammen, wir gehen zusammen duschen und baden, wir essen zusammen, wir kuscheln uns aneinander, wenn wir Fernsehen schauen, wir machen zusammen Spaziergänge. Die Schwestern haben dich schon voll und ganz akzeptiert, auch wenn es natürlich ein wenig seltsam wirkt, wenn jemand, der nicht krank ist, in einem Krankenhaus ist. Aber einigen habe ich erzählt, dass du mein Bruder bist und mir Gesellschaft leistest. Und dass wir uns das aufgrund unserer finanziellen Lage leisten können. Alle haben sie es verstanden und bemühen sich, uns unseren Aufenthalt so angenehm zu gestalten wie möglich.

Der Tag beginnt damit, dass ich aufwache und in deinen Armen liege. Du hast mich dicht an dich gezogen und umarmst mich fest. Meistens bleibe ich noch eine Weile liegen, um deine Körperwärme zu genießen, so auch heute. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen, ich schmiege mich enger an dich und lege ebenfalls einen Arm um dich. Ich mag es, so eng umschlungen mit dir zu liegen, es gibt mir Sicherheit und Geborgenheit. Bei dir fühlte ich mich schon immer sicher.

Aber wie immer merkst du, dass ich wach bin, und blinzelst verschlafen, ehe du einmal gähnst und dich ein wenig streckst. Dann schenkst du mir ein Lächeln, ein Lächeln, das die Welt verschönert. „Guten Morgen“, begrüßt du mich und streichelst mir zärtlich über den Rücken.

„Morgen“, erwidere ich zufrieden und schnurre leise, streiche dir einige Haarsträhnen aus der Stirn. „Gut geschlafen?“

„Wie immer“, antwortest du und setzt dich auf. Das ist der einzige Punkt an dir, der mich immer störte – du bist ein Frühaufsteher. Wenn du wach bist, bist du wach, dann kannst du nicht noch lange liegen bleiben. Ich bin das genaue Gegenteil von dir, ich verkrieche mich am liebsten im Bett und stehe nicht wieder auf. „Und du?“ Mit einem liebevollen Blick betrachtest du mich mit deinen mahagonibraunen Augen, die mich seit jeher in deinen Bann zogen.

„Auch gut“, nicke ich zufrieden und muss nun selbst gähnen. „Ich habe wieder geträumt...“

„Wirklich? Was denn?“

Stirnrunzelnd versuche ich mich, an meinen Traum zu erinnern. „Ich glaube, es war irgendwas mit dir...“

„Wie süß.“ Du grinst und hauchst mir einen Kuss auf den Mund. „Nicht nur, dass ich dich den gesamten Tag sehen und nachts neben dir schlafen darf, ich komme sogar in deinen Träumen vor...“

Beim Duschen schlafen wir das erste Mal miteinander. Ich bin mir sicher, dass es nicht das letzte Mal für heute bleiben wird, schließlich haben wir Sonntag, da machen wir keine Ausflüge in die Stadt oder so etwas, da können wir ausspannen und tun, was wir wollen. Aber Sonntag ist auch Besuchszeit, vielleicht schaut unser Vater ja mal vorbei. Du hebst mich etwas hoch und ich schlinge meine Beine um deine Hüfte, meine Arme um deinen Nacken. Wir können nicht aufhören, uns zu küssen, während du uns unserem Höhepunkt immer näher bringst. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wie immer. Ich genieße jedes Mal mehr, habe ich den Eindruck. Anschließend ziehen wir uns an und begeben uns zum Frühstück. Auf dem Weg begegnen wir einigen Schwestern. Sie lächeln uns an, verbeugen sich schnell und begrüßen uns.

Eine von ihnen ist besonders freundlich, ich mag sie am liebsten. Maria heißt sie. Sie begrüßt uns ebenfalls, bleibt aber stehen, um sich mit uns zu unterhalten. „Wie geht es Ihnen denn heute, Kohta-san?“, fragt sie mich höflich.

„Ausgesprochen gut“, antworte ich offen und erwidere ihr Lächeln. Der Sex in der Dusche mit dir erfrischt mich immer.

„Das freut mich“, erwidert sie und sieht dich an. „Und wie geht es Ihnen, Kirito-san?“

„Ebenfalls“, gibst du zustimmend zurück. „Geschlafen habe ich auch gut.“

„Ja?“ Maria wirkt zufrieden.

„Die Nacht war sehr ruhig“, bemerke ich.

Sie nickt. „Ja, wir haben den einen Patienten, über den Sie beide sich bereits mehrere Male beschwert haben, in eine andere Abteilung verlegt.“

„Wurde aber auch Zeit“, merkst du an.

„Ich kann nur noch einmal sagen, dass es mir leid tut, dass Sie nicht schlafen konnten. So etwas wird nicht noch einmal passieren“, fährt sie fort.

„Ach, was“, winke ich ab. „Entschuldigen Sie sich nicht, es ist ja nicht Ihre Schuld.“

Sie lächelt wieder. „Ich muss mich trotzdem ein weiteres Mal entschuldigen, ich muss jetzt wirklich weiter. War schön, mit Ihnen zu plaudern. Ich wünsche Ihnen beiden noch einen schönen Tag.“

„Ihnen auch“, antworten wir freundlich und sehen ihr noch einen Moment nach, wie sie den Gang hinabeilt.

„Sie ist wirklich sehr nett“, meine ich gut gelaunt und gehe weiter.

„Das stimmt, aber mein Favorit ist und bleibt Saki“, betonst du.

„Aber auch nur, weil sie mir so ähnlich sieht.“

Du knuffst mich leicht in die Seite. „Kein Grund, eifersüchtig zu werden.“

„Bin ich gar nicht!“, protestiere ich.

Kurzerhand ziehst du mich in eine Ecke und küsst mich, ganz zärtlich und innig.

Das ganze Frühstück über bin ich gut gelaunt. Hinterher beschließen wir, ein wenig spazieren zu gehen, der Tag ist so schön – die Sonne scheint und es ist warm. Ich melde mich bei einer Schwester ab.

„Sind Sie sicher, dass Sie ganz alleine nach draußen sollten?“, will sie besorgt wissen.

„Ich passe auf mich auf“, beruhige ich sie. „Und außerdem ist Kirito ja auch noch bei mir.“ Ich werfe dir ein Lächeln zu.

„Ich werde ihn schon beschützen“, versicherst du.

„Ja, er hat mich mein Leben lang beschützt“, nicke ich zur Bekräftigung. Der Blick der Schwester bleibt zweifelnd. Sie ist neu, deshalb kennt sie dich noch nicht so gut und versteht nicht, was du an meiner Seite tust. Aber nachdem sie nachfragt, lässt sie uns schließlich gehen und wünscht uns einen schönen Tag.

Wir laufen eine lange Weile draußen herum, bis zum Fluss. So weit sollen wir eigentlich nicht gehen, aber ich mag das Geplätscher des Wassers so gerne und du die vielen bunten Blumen, die am Flussrand wachsen. Während ich meine Füße ins Wasser halte und mir die Sonne ins Gesicht scheinen lasse, beobachtest du die Insekten, die herumschwirren, und nimmst dir die Zeit, dich an die Namen aller Blumen am Flussbett zu erinnern. Du hast wirklich ein gutes Gedächtnis.

Anschließend gehen wir etwas am Fluss entlang, bis wir zu dem Bach kommen, der in den schnellen Strom mündet. Diesem kleineren Gewässer folgen wir etwas, bis du unvermittelt ins Wasser springst, nur mit den Füßen, aber es spritzt so weit, dass ich selbst im Gesicht Tropfen abbekomme. Kurzerhand folge ich dir und eine Weile tragen wir einen Kampf aus, bis wir beide völlig durchnässt sind. Wir hängen unsere Kleidung in die Sonne und ich verführe dich auf der Wiese. Ich kann einfach nicht anders, wenn ich deinen wunderschönen, ebenmäßigen und perfekt gebauten Körper sehe.

Als wir zurückkommen, werden wir bereits ungeduldig erwartet – eine andere Schwester sagt uns, dass unser Vater uns besuchen gekommen ist. Wir gehen uns schnell umziehen und kehren dann in den Besucherraum zurück.

Vater empfängt uns mit einem müden Lächeln. „Hallo“, begrüßt er uns.

Wir setzen uns vor ihn, du bereits in eine Abwehrstellung gegangen. Wir erwidern seinen Gruß, du distanzierter als ich.

„Darf er denn dieses Mal wenigstens hier bleiben?“, frage ich.

„Ihr unterhaltet euch sowieso nicht über wichtige Dinge“, fügst du hinzu.

„Bitte“, sagt Vater erschöpft. „Ich möchte nicht, dass er dabei ist, wenn ich mit dir rede. Du bist der Kranke, du bist derjenige, um den ich mir Sorgen mache. Ich möchte mit dir reden, mit dir alleine.“

„Dann sag es ihm selbst“, fordere ich trotzig.

„Redet nicht so über mich, als wäre ich-“ Obwohl du mitten im Satz bist, unterbricht Vater dich ruhig, aber bestimmt, auch wenn es ihm merklich Schwierigkeiten bereitet:

„Kirito, bitte geh.“

Wütend stehst du auf.

„Wartest du in unserem Zimmer auf mich?“, frage ich dich vorsichtig. Du bist nicht damit einverstanden, dass du gehen musst, ich kann es nachvollziehen.

„Ja, mach ich“, antwortest du verärgert. „Ich verstehe trotzdem nicht, warum ich gehen muss!“ Mit den Worten verlässt du den Raum.

Ich wende mich Vater zu. Ich mag es nicht, wenn wir beide getrennt sind, ich fühle mich unvollständig. Niemand ist bei mir, der auf mich aufpasst. Ich vermisse dich jetzt schon. Es ist grausam.

„Wie geht es dir?“, möchte Vater sanft wissen.

„Bis gerade eben ging es mir blendend“, gebe ich trotzig zurück.

„Das ist schön“, lächelt er, als wäre es etwas Gutes. „Ist irgendetwas Neues passiert? Irgendetwas, das du mir erzählen möchtest?“

Ich überlege. Dass ich eine streunende Katze gefunden und sie bereits drei Mal gefüttert habe, findet er wahrscheinlich nicht halb so aufregend wie ich, dabei ist sie so süß mit ihren großen grünen Augen. „Nein, eigentlich nicht“, meine ich schließlich. „Eigentlich ist es ziemlich eintönig hier.“ Wenn du nicht bei mir wärst, dann wäre ich bestimmt schon vor Langeweile gestorben.

„Was hast du denn heute schon gemacht?“

Seine Fragen irritieren und nerven mich. Fast immer fragt er dasselbe. „Wir sind aufgestanden, haben geduscht, gefrühstückt und sind dann spazieren gegangen. Es ist ein herrliches Wetter draußen, findest du nicht?“

Er senkt kurz den Blick. „Ja. Wunderschönes Wetter“, murmelt er.

„Wie lange muss ich denn noch hier bleiben?“, fange ich jetzt an zu fragen. Es ist mir egal, dass auch ich jedes Mal dasselbe frage, vielleicht weiß er ja jetzt Genaueres. „Es ist langweilig, und ich fühle mich nicht krank.“

„Du bleibst so lange hier, bis du wieder gesund bist“, gibt er kurz angebunden zurück.

„Was fehlt mir denn?“, will ich wissen. „Ich fühle mich gut, mir fehlt nichts!“

„Sie können dich jetzt noch nicht entlassen, wenn du mehr wissen willst, frag die Ärzte“, blockt er ab.

Er beginnt, mich ebenfalls zu verärgern. „Und die verweisen mich an die Schwestern und die empfehlen mir, dich zu fragen! Ich möchte endlich hier raus, ich möchte wieder ein normales Leben führen!“

„Das ist nicht so einfach...“ Er wirkt ausgelaugt und hat merklich keine Lust, mit mir zu reden. „Bitte, lass uns das Thema wechseln.“

„Wie geht es dir denn?“, frage ich daher. Es interessiert mich eigentlich nicht wirklich, aber der Höflichkeit halber frage ich trotzdem.

„Soweit ganz gut“, nickt er abwesend. „Auf der Arbeit ist auch alles okay...“

„Arbeit?“, will ich wissen. „Wenn du so viel Geld hast, warum musst du dann arbeiten?“

Für einen Moment sieht er aus wie ein Kind, das man beim Stehlen erwischt hat. „...Ich arbeite, weil es mir Spaß macht und weil ich sonst das Gefühl haben würde, dass man mich nicht braucht“, antwortet er zögernd. „Aber du hast Recht, eigentlich. Bei dem vielen Geld, das ich habe, müsste ich eigentlich nicht arbeiten gehen.“

Ich mustere ihn skeptisch. „Verschweigst du mir etwas?“, frage ich scharf. „Komm schon, du verschweigst mir doch was! Was ist los, warum arbeitest du wirklich? Früher hat es dir nicht Spaß gemacht, ich verstehe dich nicht! Sag es, los, sag es, sag schon!“

Er ist um Worte verlegen. „Hör zu...“

Eine Schwester rettet ihn. Sie tritt an uns heran und teilt uns mit, dass ich einen weiteren Besucher habe. „Ich glaube, es ist Ihre Mutter“, fügt sie unsicher hinzu.

„Dann sollte ich gehen“, meint Vater, steht auf und geht. Einfach so.

Ich sehe ihm eine Weile hinterher und versuche, das dumpfe Gefühl in meiner Brust zu verdrängen. Ich war ihm nie sehr nahe, sein engster Vertrauter warst stets du. Aber warum er sich jetzt weigert, mit dir zu sprechen, das weiß ich nicht. Dass unsere Mutter uns besuchen kommt, das verstehe ich allerdings nicht. Erwartungsvoll beobachte ich sie, wie sie, eine zierliche Gestalt, zu mir herüber kommt und sich vor mich setzt. Auf den gleichen Platz wie Vater vorher.

„Guten Tag, Kohta“, sagt sie sanft.

„Guten Tag, Mutter“, erwidere ich. Ich will eigentlich nicht so distanziert klingen, aber es lässt sich nicht vermeiden. Sie besucht mich vielleicht pro Jahr einmal. Jetzt mitgezählt ist es das vierte Mal, dass ich sie in diesem Krankenhaus sehe.

„Wie geht es dir?“, fragt auch sie.

„Mir geht es ziemlich gut“, antworte ich. „Aber hast du etwas dagegen, wenn ich Kirito wieder her hole? Vater möchte nie mit ihm sprechen, deshalb hat er ihn auch gerade weggeschickt. Er wartet in unserem Zimmer auf mich. Kann ich ihn schnell holen gehen?“ Ich bin es nicht gewohnt, auch nur ein paar Minuten von dir getrennt zu sein.

In Mutters Augen zeigt sich Hilflosigkeit, mit einem Mal. Ich weiß nicht, warum. „Ich möchte auch nur kurz mit dir reden“, flüstert sie mit zitternder Stimme. „Du brauchst ihn nicht herzuholen.“

„Was habt ihr alle gegen ihn?!“, rufe ich, nun wirklich erbost. Es stört mich, dass sowohl Vater als auch Mutter dich nicht sehen wollen! Du bist genauso ihr Sohn wie ich auch, du bist wunderschön wie schon immer, du bist weder entstellt noch sonst irgendetwas, du bist einfühlsam, rücksichtsvoll und freundlich, wollen sie es nicht verstehen?? „Warum darf er nicht dabei sein? Er ist auch dein Sohn, Mutter, wie ich, du hast uns beide auf die Welt gebracht, warum möchtest du ihn nicht sehen?“

„Hör auf!“, bittet sie verzweifelt und schüttelt den Kopf. „Bitte, hör auf, ich möchte nichts mehr hören...“

Ich bemerke aus den Augenwinkeln, wie eine Tür aufgeht. Du spähst kurz herein, wahrscheinlich hast du dir Sorgen um mich gemacht. Wie lieb von dir. Ich winke dich herein und du setzt dich neben mich.

„Hallo, Mutter“, begrüßt er dich höflich.

„Sieh ihn dir an!“, fahre ich fort und deute auf dich. „Was hast du gegen ihn? Sieh ihn dir an und dann sag ihm, warum du ihn nicht sehen, nicht mit ihm reden willst! Bitte, er sitzt genau neben mir, du kannst es ihm selbst sagen!“

Jetzt beginnt Mutter zu weinen. Sie schluchzt leise auf und schüttelt heftig den Kopf, beinahe krankhaft, sie kann überhaupt nicht aufhören. „Bitte, lass das, Kohta, ich kann nicht mehr, sei ruhig, ich will das nicht hören...“

„Was willst du nicht hören?“ Ich kann mich nicht beherrschen, eine viel zu lang unterdrückte Wut steigt in mir hoch. Du greifst nach meiner Hand und drückst sie. „Es ist dein Sohn, Mutter, es ist der Mensch, den ich mehr liebe als alles andere auf der Welt, es ist der Mensch, wegen dem ich weiterlebe! Du kannst ihn nicht wegschicken wie einen Diener, rede mit ihm, er ist dein Fleisch und Blut, wie ich auch!“

Ihr Schluchzen wird lauter und noch hoffnungsloser, sie beißt sie auf die Lippe und schüttelt den Kopf, schüttelt und schüttelt und schüttelt ihn, bringt allerdings kein Wort heraus.

„Ich weiß nicht, ob du dir darüber im Klaren bist, aber ich liebe ihn und er liebt mich, wir kümmern uns nicht darum, ob es erlaubt ist oder nicht, es ist nun mal so!“ Es bricht alles aus mir heraus. „Und jetzt sieh ihn dir an und sag ihm, was du gegen ihn hast!“

„HÖR AUF!!“, schreit sie. Sie kann es nicht mehr ertragen. Sie funkelt mich an, halb mutlos, halb wütend. „Hör auf, mein ältester Sohn ist vor einigen Jahren bei einem Autounfall gestorben! Ihr hattet euch gestritten, und er ist davongefahren, viel zu schnell, und dann ist er tödlich verunglückt! Er ist tot!!!“

Ich betrachte sie, wie ihr die Tränen die Wangen hinunter laufen. Sie sieht schwach aus, kraftlos, als habe sie alle Hoffnung aufgegeben.

„Wie kannst du so etwas sagen?“, frage ich sie tonlos und drücke deine Hand noch etwas. „Er sitzt doch neben mir. Er hält doch meine Hand. Er schläft doch jede Nacht neben mir. Wie kannst du so etwas sagen, Mutter, wie kannst du dir deinen eigenen Sohn totreden?“

„Hör auf“, schluchzt sie. „Bitte, hör auf, hör einfach auf...“

„Er sitzt doch neben mir“, wiederhole ich leise. „Er hält doch meine Hand. Mutter, er sitzt doch genau neben mir....“
 

~+~
 

this is the end....



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (9)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  bunthismg
2012-06-30T20:43:46+00:00 30.06.2012 22:43
Forever am weinen...
Wie krass diese FF ist.
Meine beste hatte mir bereits erzählt, worum es sich in der FF dreht (*gespoilert wurde*). Aber wenn man es selbst einmal liest... das raubt einem echt die Sinne.
So eine Geschichte zu lesen ist auf eine komische Art und Weise irgendwie beängstigend.
Wenn man sich mal vorstellt, dass einem selbst sowas passieren könnte. Dass man sich eine Person, jemanden aus seiner Familie, jemanden den man liebt, einbildet.

Sehr schöner Schreibstil, aber einfach unendlich traurig die Geschichte...
Von:  Trashxbaby
2012-04-12T10:35:51+00:00 12.04.2012 12:35
Boahr war das krass @_______@ Ich hab voll die Gänsehaut bekommen....genau wie immer bei X-Faktor XDDDD OMG...jetzt wird mir auch klar warum er im Krankenhaus ist und was er hat...ich hab mich schon die ganze Zeit über gefragt warum er denn eigentlich da ist weil er keine Krankheitszeichen aufgewiesen hat...aber das...PSYCHO XDDDD Zum Glück hab ich die nicht nachts gelesen X_____x ♥
Von:  Jughead
2011-04-24T21:07:07+00:00 24.04.2011 23:07
Also echt...
Ich hab sie mir durchgelesen und..
Boah...
Ich hab geflennt :'D
ich find's toll, wenn ich Sachen lese, die mich zum heulen bringen, aber DAS war definitiv zu viel :'D
Aber mir gefällt dein Schreibstil.. Der ist einfach zu lesen und man kann einfach gar nicht mehr aufhören ...
Will ich auch können. Bei mir kommt nur Schrott bei raus Dx
Liebe Grüsse,
Mike
Von:  Rays
2011-03-30T21:20:02+00:00 30.03.2011 23:20
OMG was ne traurige Story q.q
*sniff*
Die is echt super! ></
Von:  TARACHOMU
2011-01-08T14:32:58+00:00 08.01.2011 15:32
;____;
...
...
...
...Wieso musst du soetwas Trauriges schreiben?! Und wieso entdecke ich das natürlich erst wenn ich nen Kirito-Flash hab?!
Fies. Ganz fies is das *nicknick*
Aber schreib schnell wieder was Neues XDDDD Ich suchte doch so gerne
Von:  Rizuloid
2010-11-28T15:13:46+00:00 28.11.2010 16:13
... du hast mich schon wieder fast zum Heulen gebracht ;_____;

Hab ich das jetzt richtig verstanden, dass sein Bruder bei dem Unfall gestorben ist und er von da an halluziniert hat? Das ist brutal...
Besonders den Eltern gegenüber.
Total toll geschrieben wieder.
Du hast immer so gute Ideen, das ist echt mal was anderes. Bei manchen FFs kommt es mir oft vor, als würde ich alles schon kennen und wissen, obwohl ich es noch nie gelesen habe.
Ich liebe FFs, wo am Ende ein einziger Faktor plötzlich die gesamte Sicht des Lesers umwirft.
Ist dir super gelungen!

Mann, ich glaub du hast einen Fan :D
Ich empfehl deine FFs weiter ~^
Von:  Yudinea
2008-08-12T12:31:29+00:00 12.08.2008 14:31
oaaah übel, übel, übel
ich mag solche geschis, weiß ned warum ö.ö'

wie kirito kohta an die wand gevögelt haben will und wie kohta seine beine um seine hüften schlingt, das musst mir noch erklären, wie kohta sich das ausmalen kann :P
aber sie ist echt toll! >.<

und den rechtschreibfehler hab ich auch gefunden <3~

mfg
das-haar-in-der-suppe-finderin
Von:  HakuXIII
2008-04-04T19:13:57+00:00 04.04.2008 21:13
ich glaube, ich weiß jetzt, warum er in dem Krankenhaus ist...
ganz erhlich...ich kenne dir Gruppe überhauptnicht^^'
ich lese gern geschichten mit, aus meiner sicht, neuen Charaktern zu denen auch Bilde existieren^^'
Aber ich finde die story super^^
Von:  Tattoo
2008-03-18T07:03:39+00:00 18.03.2008 08:03
ach schnuffl, du bist einfach die beste!! ♥♥♥♥♥
was ich von dem oneshot halte, weißt du ja schon, aber ich wollte unbedingt noch hier einen kommi hinterlassen, also... TADAAAA!! X3
so, und jetzt les ich an 50MY weiter! ^_~
PS: das mit der verlinkung meines nicks in der ff-beschreibung hat ni ganz geklappt, is aber auch gar ni nötig ^^'


Zurück