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Oh Mann, Ryoga! – Eine schamlose Parodie.

von

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Zuhause ist, wo Ärger ist.

Der Blick des nicht vorhandenen Beobachters schweifte über ein Dach wie jedes andere. An diesem kullerte das nicht vorhandene Paar Augen herab, landete in der Dachrinne und kugelte fünfzig Zentimeter nach rechts.

Dann ging’s abwärts.

Unten angekommen, rollte es ins Gras und blieb stecken. Hier wurde schon länger nicht gemäht, soviel war offensichtlich. Doch wenn man ein, zwei Schritte weiterging, - was zwei lose Augen schlecht können, eingebildet oder nicht – so betrat man plattgewalztes Gras. Jemand war offenbar sehr aktiv zu dieser frühen Stunde.

Die Sonne erhob gerade erst ihr müdes Antlitz und gähnte in die Welt hinaus. Ihre Strahlen streckten sich dabei ausgiebig in alle Richtungen. Doch zurück zu der eingeebneten Wiese, denn dort spielte sich interessantes ab.

Eine Strohpuppe stand inmitten des Hinterhofs. An mehreren Stellen war sie notdürftig zusammengeflickt und den Pfahl an den sie gebunden war, hatte man dreimal festgenagelt.

Das bewiesen mehrere Holzbretter, die kreuz und quer befestigt worden waren.

„Yaha!“

Dem wilden Kampfschrei folgte ein massiver Windzug, als sich der Schemen eines Schemens von links näherte. Der Dummy hatte keine Chance. Er wurde in der Mitte zerrissen, als die undeutliche Silhouette gegen ihn schmettert und mühelos weiterzischte.

Mousse ahnte es noch nicht, doch ihm stand einiges bevor.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! II – Einfach nur göttlich.
 

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Kapitel 20 – Zuhause ist, wo Ärger ist.
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Hikaru Gosunkugi war nicht unbeliebt. Er war schmächtig, leichenblass und besaß den Charme eines angefaulten Zombies, doch trotzdem war er nicht unbeliebt. Um unbeliebt zu sein, müssen einen die Leute erstmal wahrnehmen. Seine Mitschüler straften die jugendliche Vogelscheuche instinktiv mit Nichtbeachtung und die meiste Zeit über war diesem das auch recht.

Die einzige Ausnahme stellte Akane Tendo dar.

Sie war seine große Liebe und ein Mädchen für das es sich zu kämpfen, zu schummeln und zu zaubern lohnte. Letztgenanntes würde es ganz gerne mal probieren, wenn denn einer dieser Zaubersprüche mal funktionieren würde. Seine bezaubernden Kunststückchen endeten nämlich allesamt im König der Fettnäppchen.

Hikaru seufzte tief und ging an einer Gruppe Mädchen vorbei.

Die meisten Jungs wären peinlich berührt oder darauf bedacht möglichst cool zu wirken. Gos – wie er von denen genannt wurde, die ihn nicht völlig ignorierten, was, wie besagt, nicht viele waren – war weder das eine, noch das andere. Die Mädchen beachteten ihn überhaupt nicht.

Selbst wenn er auf einem Einrad, mit Partyhütchen und drei Elefanten im Schlepptau durch die Schulkorridore jagen würde, sähe ihm niemand nach. Erst recht kein Angehöriger des anderen Geschlechts.

Gos war darüber nicht wirklich traurig. Traurig konnte man nur sein, wenn man etwas verloren hatte, dass man vorher besaß. Man konnte ja beispielsweise schlecht betrunken sein, bevor man das berüchtigte ‚Bier zuviel’ bestellt hatte.

Vielleicht war der Hobbyokkultist deswegen so ungewappnet, als ihn etwas dünnes und unnachgiebiges umwickelte und in eine Abstellkammer zerrte. Kaum war der blasse Junge darin verschwunden, knallte die Tür zu.

Drei Sekunden später lief Happosai vorbei, gefolgt von einer Horde halbnackter Mädchen, wiederum gefolgt von Kahuna Kuno und hintendran Tatewaki Kuno und Akane Tendo.
 

„Ihr kriegt mich nicht, ihr kriegt mich nicht!“

„Bleib’ stehen du Perverser!“

„Da Kaikis brauch’n ’n Topfschnitt, ai?“

„Halt’ ein du Enttäuschung eines Vaters!“

„Worauf lass’ ich mich nur wieder ein?“

Akane stellte sich diese Frage wahrscheinlich schon zum zehnten Mal, seit sie sich der Verfolgungsjagd angeschlossen hatte. Als erstes war es nur Happosai, der wieder für Unfrieden sorgte. Das Trampeln aufgebrachter Mädchenfüße hatte Akane und den Rest der Klasse dann allerdings alarmiert. Dass der Schuldirektor mit von der Partie war, verdeutlichte die Schwere des vorliegenden Vorfalls. Happosai musste also fleißig zugegriffen haben.

Schließlich lief sogar Tatewaki am Klassenraum vorbei und fluchte seinem irrwitzigen Vater hinterher, den treuen Bokken an der Seite. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hatte sich Akane der seltsamen Prozession angeschlossen. Das Chaos schien an Nerima zu haften wie Kaugummi im Haar.

Ein aufgeregtes Zucken an ihrem Kleid ließ die jüngste Tendo aufmerken und sie sah an ihrem Rock herab, an dem Ukyo hing. Auffordernd starrte die kleine Puppe hoch zu ihr und Akane pflückte sie von sich und trug sie daraufhin auf der Schulter.
 

„Hierbei handelt es sich um die Le-tschi!-bensakten. Seht unter dem ge-tschi!-wünschten Verzeichnis nach und korrigiert die Ab-Ab-Ab-tschi-schlussziffer. Setzt sie vorzugsweise auf ei-ei-ei-tschi-nen späteren Wert, da euer Bemühen an-an-an-an-tschi-sonsten dem Tode geweiht ist.“

Ein Glucksen wie tausende, zeitgleich zu Boden fallende Nadeln kratzte an der Stille. Gefolgt von einem weiteren Niesen. Das rothaarige Mädchen und der schwarzhaarige Junge blickten die Kutte mit gebannter Dummheit an. Die hochaufragende Gestalt seufzte rasselnd, ehe sie sich zu ihnen herabbeugte. Sie nieste wichtig.

Es knackte spröde. Ein eiskalter Hauch wehte unter der Kapuze hervor. Ryogas Zunge tat längst weh, bevor er mitbekam, dass er sich drauf gebissen hatte. Ein knochiger Finger deutete auf sie beide und dann in die endlose Weite des ARCHIVS, einer übernatürlichen Hommage an die Bürokratie.

„Hatschi! Ich meine, geht nun.“

Ranma und Ryoga tauschten einen langen, bedeutungsvollen Blick miteinander. Schneller als ein Auge blicken kann, was die Dauer eines Augenblicks somit großzügig ausschließt, rannten sie vor dem Tod um ihr Leben. Die Ironie stießen sie auf ihrer Flucht grob aus dem Weg und zertrampelten jeden Protest.

Dabei waren sie soeben noch durch den säulengestützen Korridor gestürmt, um sodann in Tods Büro zu platzen. Und das auch noch ohne anzuklopfen. Es spottete jeder Logik, aber Ryoga konnte bezeugen, dass ihn die Augenhöhlen vorwurfsvoll angeblickt hatten.

Ranma blieb unfairerweise von der Musterung verschont. Soviel zum Thema: Gleichberechtigung!

Nachdem er ihre gemeinsame Bitte vorgestamm..., eh vorgetragen hatte, blieb Tod eine ganze Weile über still. Unterbrochen vom vereinzelten Niesen, versteht sich. Dann hustete er ein halbes Kilogramm Staub hervor, klopfte die Spinnenweben von der Robe und erhob sich knirschend vom Thron. Er klackte an ihnen vorbei und wies sie mit einer Geste an zu folgen. Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Schließlich geschieht es selten genug, dass der Tod einen zum Folgen „auffordert“ und sich nicht einfach... bedient wie ein Urlauber am Buffet.

Der Raum, den sie jetzt betraten, war kreisförmig aufgebaut.

Man stelle sich hierzu eine Geburtstagstorte vor, eine dieser mit Zuckerguss überhäuften, rosafarbenen Dinger, die niemand schön findet. Und jetzt stellt euch vor, dass die erwartete Strippern fehlt und an ihrer Stelle ein Finanzbeamter, der die angefallenen Schulden eintreibt, aus dem Kariesungetüm hüpft.

So in etwa ließ sich die Atmosphäre einfangen, die hier vorherrschte.

Gigantische Pfeiler schossen aus dem Boden hinauf zur Decke, die man irgendwo weit über ihnen vermuten durfte. Dunkelheit klebte in den Ecken und verbarg die Spinnen, die sich hier in meterlangen, weißen Wandteppichen verewigt hatten.

Zu sehen waren die Künstler nicht. War wahrscheinlich besser so.

„Ich hasse lesen“, maulte die Dämonin und rümpfte die Nase. Wie gerne hätte Ryoga hierzu einen dummen Kommentar abgegeben. Leider fiel ihm keiner ein. Es mochte daran liegen, dass ihm ebenfalls die Lust verging angesichts der Tonnen an Literatur, die sie vor sich hatten.

„Also gut. Fangen wir bei… K an.“

„Huh, wieso ’n K?“

„Wir wollen Ukyo wieder beleben…“

„Und?“

„Und ihr Nachname ist Kuonji.“

„Stimmt!“

Ryoga unterdrückte den Impuls sich die Haare zu raufen und steuerte auf die Regale zu. Glücklicherweise hing an jedem Schrank eine Kennzeichnung. Man kam sich schon so vor wie in der Bibliothek eines Größenwahnsinnigen, der mit ein paar gleichgesinnten Kumpels zusammengelegt hat. Ohne Beschilderung wären sie völlig aufgeschmissen. Die Dämonin schlenderte von links heran, die männliche Göttin von rechts. Auf diese Weise näherten sie sich den Akten.

„Kümmel… Knirsch… Kuh… halt, warte Kuh?“

„Kunst… der heißt doch tatsächlich Kunst… Kuchen… hm, ich krieg’ Hunger… Kahn… den kenn’ ich doch woher, oder?“

„Kaiser… König… fehlt nur noch der Bube… Argh!“
 

Ranma blinzelte von der Akte auf, die sie gerade inspizierte. Ihr Freund & Feind zertrümmerte sich soeben die Schädelplatte am Regal und war dabei sogar noch laut. In letzter Zeit wirkte Ryoga sowieso arg angespannt. Na, es gab nix, was ein wenig Saotome-Charme nicht wieder hinbekam. Obwohl es ihr manchmal so vorkam, als wären die meisten Probleme erst dank des Saotome-Charmes entstanden.

„Klingone… Küken… Kompott… boah, ich krieg’ jetzt aber wirklich Hunger.“

„Denk nicht immer nur ans Fressen! Such’ gefälligst Ukyo!“, schnauzte der Stirnbandträger neben ihr. Schmollend widmete sich die Dämonin den stummen Zeugnissen, die größtenteils nur noch aus Staub zu bestehen schienen.

„Hey Schweinebacke!“

„WAS?“

„Hier heißt einer Kunstwerk. Könnt’ glatt ich sein, oder?“

Ranma war schnell genug, um der Akte auszuweichen und nicht herauszufinden, ob auch Kilo drin war, wo Kilo draufstand. Kurz stoppte sie in der Arbeit und legte den Kopf in den Nacken. Das Ende der Regale war überhaupt nicht auszumachen. Was war also, wenn Ukyo nicht hier unten, sondern da oben steckte? Ein Schauder überfiel die Teufelin. In solchen Fällen hielt sie sich besser an den Rat ihres Vaters: Wer Zeit zum Denken hat, hat Zeit zum Handeln.

Zugegeben, man sieht, wo ihn das hingebracht hat. Aber Blödheit in kleinen Dosen ist vielleicht nicht immer die Schlechteste aller Ideen. Halt, warte, kommt irgendwie widersprüchlich rüber. Argh, zuviel Anstrengung der kleinen, grauen Zellen! Zurück zur Arbeit.

„Ich hab’s, ich hab’s!“

Erschrocken ließ Ranma die Akte Korn & Kümmel fallen und schaute zu Ryoga, der beschwingt umhertanzte, Pirouetten drehte und dabei ganz und gar nicht – wie würde es ihre Mutter ausdrücken? – männlich aussah. Als er auf sie zurannte und klare Anzeichen machte, sie zu umarmen, blockte sie den Versuch mit einem flinken Kick ins Gesicht.

Im selben Atemzug zog sie ihrem Kameraden die Akte aus den zuckenden Fingern und beäugte den Aufdruck. Kuonji Ukyo. Wer hätte geahnt, dass das so locker klappen würde? Ryogas Versuch nach der Akte zu fummeln, während sie ihn mit dem Fuß im Gesicht auf Abstand hielt, ignorierte die feuerrothaarige Schönheit mit langer Übung.

Behutsam neigte sie die Mappe und ließ ein einziges, sauberes Blatt hervorgleiten. Ganz oben stand so ein bürokratischer Nonsens, gefolgt von Ukyos Namen, Geburts- und letztlich ihrem Sterbedatum. Urgh, irgendwie gewöhnungsbedürftig das Ganze. Ranma wusste schon, weshalb sie sich um Behördengänge drückte.

„Wilschen!“

„Huh?“

Ryoga ruckte mit dem Kopf zurück und blitzte Saotome finster an.

„Will sehen!“

„Hier.“

Beiläufig hielt sie dem Wüterich das Dokument unter die Nase, der dieses großäugig anglotzte.

„Das ist es?“

„Jupp, sieht so aus.“

„Und – was tun wir jetzt damit?“

„Gute Frage. Aber der Knochensack hat doch was von korrigieren gesagt, also vielleicht da beim Sterbedatum was ändern?“
 

Ryogas Gefahreninstinkt schlug an. Das tat er immer, kurz bevor Ryoga eine große Dummheit beging. Meistens beging er sie trotzdem und bereute es daraufhin jede Nacht. Fünfundneunzig Prozent dieser Dummheiten waren auf ein und dieselbe Person zurückzuführen. Besagte Person stand keinen Meter entfernt und wartete auf eine Antwort.

Noch wog Hibiki ab, ob die Antwort wort- oder bizepsstark erfolgen sollte.

„Na, wenn du meinst“, pflichtete der Wanderer zögernd bei und die Dämonin schlug ihm fröhlich auf die Schulter. Ryoga konnte sich nicht helfen. Er kam von dem Gefühl nicht los, einen Pakt mit dem Teufel eingegangen zu sein.

Sicherheitsbewusst sprang die Ironie zur Seite, ehe sie von Hibikis fehlendem Feingefühl niedergetrampelt wurde. Die Leichtgläubigkeit kam dann allerdings unerwartet und walzte die Ironie entschlossen platt.

„Also löschen wir’s mal.“

„Hö?“

Mit Entsetzen verfolgte Ryoga wie Ranmas Fingerspitze die Zunge berührte, ehe sie damit über das Sterbedatum strich und die Tinte grob verwischte. Hibiki konnte nicht anders. Selbst der Engel auf seiner linken Schulter feuerte ihn an und warf mit Popcorn.

Die Faust flog und wurde kurz darauf von Ranma begleitet, die sich dreimal in der Luft überschlug, bevor sie weitere dreimal auf dem Boden denselben Prozess wiederholte. Benommen rappelte sich die Dämonin auf.

„Du – Du - Irrer! Du bist so dämlich, dass dir Athene glatt Nachhilfe geben würde!“, echauffierte sich der Wanderer und stampfte auf seine Nemesis zu. Besagte Nemesis ließ nicht lange mit einer Antwort auf sich warten.

„Hey, gar nich’ wahr. Wer is’ eigentlich Athene?“

„Argh!“

Unbeachtet von den zwei Streithähnen verselbstständigte sich das Blatt Papier. Ein ungespürter Luftzug pellte es vom Untergrund, wellte es auf und sog es in einer Spirale nach oben. Das es dabei hellblau aufleuchtete kurz bevor es verschwand, fiel nur einer Person auf. Die andere war zu beschäftigt.

„Du – Ryoga.“

„Was?“, der Angesprochene knetete seine Faust.

„Ähm – Blatt.“

„Was?“, Ryoga packte Ranma am ausgefransten Kragen.

„Ich, also – der Zettel.“

„Welcher Zettel?“, er funkelte seinen Kindheitsfeind an.

„Also, der von Ukyo.“

„Was ist damit?“, Hibiki präsentierte seine Beißerchen.

„Weg.“

„Hö?“, die Halbgöttin stutze.

„Der is’ eben verschwunden.“

„…“

„Jetz’ echt. Vorher war er noch da, jetz’ isser weg.“

„Saotome, ich hoffe für dich, dass das ein gutes Zeichen ist. Denn falls nicht…“

„Falls nicht?“

„Wirst du schon bald wieder hier sein.“

„Na ja, aber wir sind ja eh schon mal hier.“

„Allein.“

„Oh.“
 

„Da Kaiki.“

„Kuonji.“

„Süße!“

„Ahhh!“

„Autsch!“

Die Reaktionen waren geteilt. Vielleicht ist das gar nicht weiter ungewöhnlich, wenn ein Mädchen aus heiterem Himmel auf der Schulter ihrer Klassenkameradin auftaucht und den Gesetzen der Schwerkraft folgend ihre Trägerin zu Boden reißt.

Akane lag murrend auf dem Bauch, Ukyo quer über ihr, Kahuna Kuno stand mit gezückten Trimmern bereit, Tatewaki Kuno befand die Situation als eigenartig, Happosai für seinen Teil sprang auf beide zu und die Horde beklauter Mädchen sorgte dafür, dass er sein Ziel nicht erreichte.

„U-Ukyo?“

„Ähm, ja?“

„Nichts für ungut, aber… GEH VON MIR RUNTER!“
 

„Full House!“

„Pah, Royal Flash“, antwortete Enma-sama und rückte die schwarze Sonnenbrille höher. Fassungslos beschaute sich Urd das Blatt und schleuderte die Spielkarten auf den Tisch. Die Ordner hüpften bedrohlich und beugten sich über den Köpfen der beiden Spieler. Bedrohlicher als dieser Anblick sind nur zwei Dinge. Einmal ein missgelaunter Chef, der auf der Suche nach sehr bald sehr freien Mitarbeitern ist oder eine nicht minder missgelaunte Norne der Vergangenheit, die soeben drei Seelensplitter los geworden ist.

„Du hast doch geschummelt!“

„Mitnichten. Es ist zwar Klischee, aber lass mich zitieren: Vor dem Tod – das schließt den Mitarbeiterstab großzügig ein - sind alle gleich.“

Bevor Urd diese These austesten konnte, erklang ein winziger Laut.

„Pling?“, echoten die überirdischen Gestalten und warfen sich einen fragenden Blick zu.

Es schloss sich eine unsichtbare Welle verdrängter Luft an das Geräusch an. Die Götter wurden prompt von den Stühlen geworfen und die zwei Ordnertürme brachen über ihnen zusammen. Inmitten der endlosen Einfarbigkeit des Raums war ein schwarzer Punkt gesprossen. Wie der Schimmel unterm Waschbecken hob er sich vom Weiß der Wände, des Bodens und der Decke ab. Es war der Fahrstuhl.

Es war der Fahrstuhl, dessen Schiebetür sich kreischend aufschob und ihre Insassen freigab, die Hals über Kopf aus der Abnormität flüchteten und beim Versuch übereinanderfielen.

Fürs Erste blieben sie liegen.

Unter dem sprichwörtlichen Aktenberg deutete gequältes Stöhnen auf weitere Überlebende hin. Kein Schmetterlingsflügelschlag verging und die Ordner explodierten regelrecht in die Höhe, fast wie bei einem Vulkanausbruch. Nur ohne Lava und die coolen Lichteffekte.

Dafür verharrten die Sammelordner in der Schwebe, drei Meter über dem Bürotisch. Dann, urplötzlich, zogen sie eine enger werdende Schleife, die sich wirbelnd verjüngte und an dessen Ende sie in vier geordneten Stapeln aufeinanderplumpsten.

Urd schlug die Augen auf und kam auf die Beine. Natürlich ist diese Feststellung falsch.

Zwischen dem Prozess des Augenaufschlags und dem Wiederfinden ihres Gleichgewichts vergingen gefühlte Jahre bis Urd zudem den Aktenstaub ausgehustet, ihre Frisur gerichtet und ihr Kleidung zurechtgerückt hatte.

Ihr Rücken knackte beherzt. Die Frau warf ihr platinblondes Haar über die Schulter zurück und glitt auf die Neuankömmlinge zu. Hinter ihr ächzte Enma-sama beim Versuch auf seinem Thron Platz zu nehmen.

„W-Wir leben noch Ranma, o-oder?“

„Uh-huh. Glaub' schon. Hehe-argh!“

„Das lässt sich ändern.“

Die beiden Jugendlichen starrten zu ihr hinauf. Beide schluckten laut, ehe sie den Blick senkten. Urd war sich ihrer Wirkung auf das Trottelduo bewusst. Lächelten die Menschen beim Blick auf eine erheiterte Belldandy oder zwangen sich ein Lächeln bei einer naseweisen Skuld ab, so gefror ihr Lächeln beim Anblick einer wütenden Urd.

„Ich hoffe, ihr habt geschafft, weswegen ihr da runtergegangen seid. Denn wenn nicht, werdet ihr darum betteln wieder zurück zu dürfen.“

„W-Wir haben's geschafft. E-Ehrlich. Sag's ihr Ranma.“

„J-Ja. A-Aber sicher. K-K-Kinderspiel.“

Urd nickte zufrieden. Hatten diese beiden Tölpel also doch etwas zu Wege gebracht. Die Norne gönnte sich ein kleines Lächeln und die beiden Jungs, mitunter Mädchen, seufzten erleichtert auf und grinsten einander an. Im nächsten Moment spross das übliche finsteres Gewitterwölkchen zwischen den Rivalen.

„Tolle Idee, nehmen wir doch den Fahrstuhl?“

„Konnt' ja nich' wissen, dass du so doof bist den Abwärtspfeil zu drücken, wenn wir hoch wollen!“

„Woher sollte ich denn wissen, was man drücken muss?“

„Runter heißt runter du Depp, hast du in der Schule geschlafen?“

„Das muss ich mir nicht anhören. Nicht von dir!“

Urd räusperte sich. Und wurde überhört.

„Immerhin bringt der Schlaf was bei mir. Meine Verlobten wissen halt, was sie an mir haben.“

„Ach red' doch nicht! Bei dir hilft doch aller Schlaf nicht mehr!“

Urd knirschte mit den Zähnen, was selbstverständlich ebenfalls ignoriert wurde. Na gut, die Jungs wollten es auf die harte Tour. Fein. Sie bekämen die harte Tour. Lächelnd richtete sie sich an die Gefährten, doch ihre Stimme schnitt durch die umherfliegenden Worte wie ein Falke durch den Himmel.

„Nachdem ihr alles erledigt - “, Urd fixierte den Blick auf Ryoga.

„ - und du hier erstmal nix mehr zu suchen hast - “, sie schaute wieder beide an.

„ - macht's wie die Fliegen - “, führte sie weiter aus.

„Hö?“

„Huh?“

„ - und schwirrt ab“, schloss sie ihre Ansprache und riss beide Hände in einer imposanten Geste empor.

Grüne Funken prasselten aus den Handtellern in die Höhe und lange, gezackte Strahlen schossen von einem Funken zum nächsten. Ranma und Ryoga stellten sich die Nackenhaare auf. In der Luft machte sich der Geruch elektrostatischer Entladung breit. Hellgrüne und dunkelgrüne Blitze zischten um die Kämpfer und umkreisten sie zickzackförmig.

„Gute Heimreise“, flötete Urd und winkte.

Immer schneller und schneller tanzten grüne Flecken um Ranma und Ryoga, wurden heller und dunkler und zuguterletzt schwarz.
 

Mousse war unentschieden. Die Augen kritisch hinter der Brille verengt, schaute er mal nach links, mal nach rechts. Er nickte wichtig. Er schüttelte den Kopf. Er zuckte die Achseln.

„Hammer oder Axt?“

Unentschlossen stand er im Raum und beäugte sein Arsenal im sanften Licht der Mittagssonne. Die Nachricht hatte ihn nach nicht einmal einer Stunde Schlaf ereilt und war unsanft gegen seinen Kopf geprallt. Es war ein kleiner Ball gewesen, der, sobald man ihn öffnete nicht nur Unmengen farbigen Konfetti und eine unglaubwürdige Nachricht – Das Glück ist dir hold! - ausspuckte, sondern zusätzlich dazu einen kleinen Brief.

Es war eine Herausforderung. Es war ein Test. Es war eine Einladung zum Duell von Happosai.

Es war also ein weitere Belästigung.

Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Reserven zu inspizieren und sich für den Kampf zu rüsten. Für gewöhnlich sah Mousse nichts falsches in einer Herausforderung. Eine Herausforderung stellte eine ehrenhafte Aufforderung zum Kräftemessen dar. Oder sie diente dazu einen verhassten, polygamen Mistkerl in seine Schranken zu verweisen. Oder aber dazu an kostenloses Essen heranzukommen, wenn das Geld knapp und der Bauch leer waren.

Allesamt waren das gute Gründe.

Kam ein solches Schreiben allerdings von Happosai, so musste man auf der Hut sein. Es hießt ja nicht umsonst: Alles ist möglich. Happosai verdrehte diesen Grundsatz des Musabetsu Kakuto Ryu gerne so, dass er sich folgendermaßen übersetzte: Alles ist erlaubt.

Der anerkannte Tellerwäscher seufzte auf.

Gedankenversunken schob er den Fuß unter ein Schwert chinesischer Machart und schleuderte es in die wartende Hand, die die Klinge geschickt auffing.

Warum tat er sich das alles nochmal an? Wieso nahm er dieses Höllentraining auf sich, ließ sich tagtäglich verdreschen und gehorchte trotzdem den nicht nachvollziehbaren Befehlen eines pervertierten, greisen Gnoms?

Klar, die neuen Techniken waren eine Sache und dass das Training gewisse Früchte abwarf, war ebenfalls nicht zu verachten. War das allerdings Rechtfertigung genug?

„Shampoo Tür eintreten!“

Hach ja, hier war der Grund. Sentimental wandte sich Mousse der Tür zu und breitete die Arme zur Begrüßung aus. Zum Dank landete die Tür in seinem Gesicht und begrub ihn unter ihrer Fläche, einschließlich dem Gewicht seiner Jugendliebe, als diese darüber stolzierte.

„Mousse? Wo du sein? Mousse! Teller nicht allein waschen!“

Der Amazone erwog für einen Moment auf sich aufmerksam zu machen. Selbst er war nicht masochistisch genug, um diese Situation als erfüllend wahrzunehmen. Allein schon deshalb, weil es verdammt weh tat. Gerade rechtzeitig schaltete sich sein Verstand ein. Wie sollte er Shampoo erklären, dass er augenscheinlich zum dritten Weltkrieg rüstete? Seine sonstigen Spielgefährten waren schließlich außer Haus.

So ertrug er das Gewicht noch ein wenig länger und schnaufte erleichtert auf, nachdem seine Herzensdame die Treppe hinab verschwunden war. Atemlos schob Mousse die Tür von sich und förderte einen chinesischen Fächer mit dem Motiv einer Wildente hervor. Er wollte ja nicht behaupten, dass Shampoo zu viel auf den Hüften hätte. Ihre Figur gefiel ihm überaus, außerdem hing er an seinem armseligen Leben. Es war vielmehr so, dass sie nicht zu wenig auf den Hüften hatte. Insbesondere, wenn sie auf einem herumtrat.

Während er sich etwas Luft zuwedelte, sondierte er nochmals die Sammlung, die er sich in jahrelangem Eifer zugelegt hatte.

Größtenteils mochte es sich um Schrott, ausrangierte Waffen und Plunder handeln, den kein Flohmarkthändler freiwillig annehmen würde. Doch es war sein Schrott, seine ausrangierten Waffen und sein Plunder und er wollte verdammt sein, wenn ER nicht etwas damit anfangen konnte.
 

Die Schwärze wurde wie ein Tuch fortgerissen. Was zurückblieb war Sonnenlicht, Wind und der Ausblick auf den Swimmingpool der Schule aus der Vogelperspektive. Lauthals protestierend durchschlugen die ungleichen Kameraden die Wasserfläche und hinterließen zwei hochragende Fontänen, die für die Dauer eines Moments im Sonnenlicht funkelten und schimmerten.

Ryoga spürte die Verwandlung einsetzen.

Das Kribbeln der Magie durchwirkte seinen Körper, schrumpfte ihn, verschob seine Körperproportionen und ließ ihn das Wasser auf völlig andere Art erleben. Spielerisch und beruhigend umspülten sie die Wogen, schmiegten sich an ihre Glieder und lösten den Umhang von den Schultern. Auch verlor ihre Kleidung einmal mehr jeden praktischen Nutzen, wurde glatt und dünn und umwickelte sie wie ein Strudel.

Innerhalb weniger Sekunden war der Zauber vollendet und Ryoga Hibiki, Göttin zweiter Klasse, dritter Kategorie mit limitiertem Zugriff durchbrach die Wasserfläche.

Ein Rundumblick enthüllte ihr, dass ihre Ankunft nicht unbemerkt geblieben war. An den offenen Fenstern der Klassenräume hatten sich die Schüler versammelt, tuschelten und deuteten nach draußen. Vielleicht schauten sie aber einfach nur Ranma dabei zu wie diese einen Affen aus sich machte. Der Lederrock war bis fast auf Hüfthöhe aufgeschlitzt und das Top hing nur noch an einem Halter. Ihr roter Zopf rauchte trübsinnig vor sich hin, ihr Haar glühte nichtsdestotrotz wie eine überlastete Herdplatte.

In zwei kräftigen Zügen schwamm nun auch Ryoga an den Beckenrand und zog sich daran hoch. Sie wusste nicht wie, aber irgendwie hatte sie es geschafft. Sie war noch am Leben, hatte Ranma trotz deren nerviger Kommentare nicht umgebracht und sie waren beide zurück in der Welt der Sterblichen.

Jetzt zählte nur noch eins. Sie musste Ukyo finden! Es kamen ihr wie Jahre vor, dass sie die liebevolle Stimme ihrer Chefin gehört, ihr gütiges Lächeln gesehen und ihre freundlichen Worte vernommen hatte.

„Nehmt es weg, nehmt es weg, nehmt es weg!“

„Huh?“

Dort lief Ukyo. Neben ihr her lief Akane. Und beide waren auf der Flucht vor Happosai, der in gewaltigen Sätzen hinter den Mädchen her jagte, ab und zu einen Grabscher erzielte und dabei soviel Leidenschaft an den Tag legte wie die Horde Schülerinnen, die hinter ihm her war. Hintendran bekriegten sich Tatewaki und Kahuna Kuno, wobei der Vater Kokosnüsse warf und der Sohn diese mit gezielten Schlägen zurückschlug.

„Ukyo!“, rief Ryoga.

„Akane!“, rief Ranma.

„Hilfe!“, riefen die Mädchen.

Das Chaos von Nerima hatte sie wieder. Ryoga Hibiki war das egal. Endlich wieder würde sie Ukyo in ihre Arme schließen können, mit ihr Witze reißen oder einfach schüchtern stammeln oder in ihrer Nähe sein können. Tatsächlich war Ryoga so verzückt von diesen Gedanken, dass ihr ein nicht unwichtiges Detail völlig entglitt.

Die Mädchen flüchten auf den Pool zu. Damit flüchten sie auf Ryoga und Ranma zu, die gerade eben herausgekrochen waren. Daraus folgert sich, dass die ganze Truppe wie eine Herde wilder Ochsen auf die lädierten Kämpfer zuheizte.

Aus dem Augenwinkel erhaschte die Göttin den Blick der Teufelin, die ihr ein halbherziges Lächeln schenkte.

„Nerima hat uns wieder, eh?“

Ryoga grinste und zuckte die Achseln. Was soll man da sagen? Wo sie recht hat, hat sie recht.

„Nerima hat uns wieder.“
 

Urd legte die Füße auf den Tisch, verschränkte die Arme hinterm Kopf und lehnte sich im Stuhl zurück. Die Augen geschlossen und ein Liedchen auf den Lippen genoss sie die Stille. Hätte sie geahnt wie nervig dieser Support-Job werden würde, so hätte sie ihn kulant ihrer kleinen Schwester in die Schuhe geschoben. Bevor Skuld in ihrer Werkstatt völlig die Welt aus den Augen verlor, sollte sie mal ein wenig anpacken und Erfahrung sammeln.

Urd dagegen war eine altgediente Arbeitskraft, die sich auskannte und die inzwischen längst eine Beförderung verdient hätte. Stattdessen wurde sie mit einem so miesen Job abgefertigt. Immerhin konnte sie diese Etappe des Job zum Großteil beim Poker zubringen und Enma-sama war zwar ein schlechter Verlierer, aber dafür kein schlechter Spieler.

„Jetzt ein paar Jahrzehnte schlafen“, murmelte sie vor sich hin und gähnte.

Die Tür zu ihrem Büro hatte einst eine Klinke. Jetzt fehlte diese. Der Türrahmen hatte auch einst eine Tür. Im Augenblick flog diese noch durch den Luftraum über Urds Kopf und klatsche gegen die Wand hinter ihr.

Urd hob ein Augenlid und musterte die schnaufende Gestalt ihrer kleinen Schwester. Deren schwarzes Haar stand in alle Richtungen ab und in den zitternden Händen hielt sie ihren Hammer. Die Norne der Vergangenheit seufzte.

„Nein, du kriegst keinen Taschengeldvorschuss.“

„Du alte Vettel! Was hast du nur angerichtet?“

Urd setzte sich in ihrem Stuhl auf und warf Skuld über den Tisch einen grimmigen Blick zu.

„Wovon redest du eigentlich du vorlautes Gör?“

„Wie konntest du die beiden Tölpel nur allein gehen lassen?“, beschwerte sich die junge Göttin.

„Die kamen doch ganz gut zurecht“, rechtfertigte sich Urd und verschränkte trotzig die Arme.

„Das nennst du gut zurecht?“, und mit diesen Wort schleuderte Skuld ihrer älteren Schwester ein Dokument auf den Tisch, das diese sodann zu sich drehte. Es war eine Sterbeakte. Der Name der Verstorbenen lautete Ukyo Kuonji.

Urd schluckte hörbar und mit wachsender Bestürzung ließ sie ihre Augen über die Zeilen gleiten.

„Und? Was sagst du jetzt dazu?“, schnaubte die Norne der Zukunft.

Für einen gediegenen Augenblick starrte Urd noch auf den Zettel. Erfolgslos öffnete und schloss sich ihr Mund und machte einem gestrandeten Goldfisch dabei alle Ehre. Doch wer Urd kennt, der ahnt, dass es dabei nicht blieb.

Wenige Wimperschläge später posaunte ihr unartikuliertes Gebrüll durch die verwinkelten Gänge ihrer Abteilung.

Von dort aus nahm das Geräusch den Aufzug spährenabwärts und scholl nach einem ominösen "Pling! Sie haben Ihr Ziel erreicht..." zwischen zwei Aktenstappeln hindurch, die bebend erzitterten und wie baufällige Türme schwankten. Der aufgewirbelte Staub seinerseits stahl sich unter der beeindruckenden Nase Enmas davon und nahm abermals den Aufzug in Anspruch.

Doch wohin hat es den uralten Staub getrieben, mag der geneigte imaginäre Beobachter vielleicht fragen?

Ein bekuttete Gestalt, die auf den einprägsamen Namen TOD hört, könnte die Neugierde besagten Beobachters sicherlich befriedigen.

Ist schließlich nicht Gevatter Tod derjenige, der das Wissen uralter Kulturen hortet? Ist er nicht derjenige, der noch lange vor Enma weiß, wer wann und in welchem Zustand an die Pforte des Jenseitsverwesers klopft? Ist er nicht derjenige, der noch aus der kleinsten Lektion eines Sterblichen etwas für sich mitnimmt - und sei es auch nur die Seele ebenjenes armen Hundes?

Ganz gewiss hatte TOD diese Frage längst kommen sehen! Gleich würde er eine gewitzte und hintersinnige Antwort anbringen, die mindestens so viele Fragen aufwirft wie sie klärt. Das ist die Natur des Todes, denn er ist mysteriös, er ist nebulös, er ist schweigsam wie ein Grab!

"Hatschiiiii!"

...

Tja, immerhin ließ sich jetzt sagen, wohin genau sich der Staub verflüchtigt hatte.

Was sich mindestens genauso sicher feststellen ließ, wäre folgendes:

1. Ranma und Ryoga tendieren dazu Spuren zu hinterlassen. Meist bestehen diese aus zerstörungsgebundenem Chaos, Plänen, die gehörig ins Wasser fallen und Racheschwüren, die die Halbwertszeit des Elements Blei übersteigen.

2. Diesmal war ihnen zweifellos ein höllisches Meisterstück gelungen.
 

Der Geruch von Okonomiyaki umspielte die Nasen der Gäste. Da es nur drei Gäste und damit drei Nasen gab, blieb für jeden genug übrig. Mit den Okonomiyaki sah es da ganz anders aus. Ein Mädchen mit roter Mähne schaufelte ein Exemplar mit ungeheurer Schnelligkeit in sich rein, rülpste verhalten und packte den Teller auf den Stapel neben ihr. Den Klaps auf den Hinterkopf von ihrer Verlobten nahm die Teufelin kommentarlos entgegen und grinste verhalten.

Die Göttin nebenan wirkte dagegen regelrecht zurückhaltend.

Neben ihr ruhten lediglich drei Teller und am vierten Okonomiyaki zupfte das Teilzeitmädchen gedankenverloren, während sie der Köchin bei der Arbeit zusah. Ukyo fing ihren Blick auf und lächelte sie an, woraufhin Ryoga erschrocken die Augen auf ihre Mahlzeit absenkte.

„Un-schmatz was ist hie-schmatz in letzter Zei-schmatz so passiert?“

„Ranma, schlucke gefälligst runter, bevor du sprichst“, mahnte Akane und der Rotschopf winkte feixend ab.

„Na ja, die Kunos benehmen sich eigenartig. Aber das ist ja schon fast wieder normal“, befand Ukyo und Akane sprang ein: „Außerdem hat sich Happosai einen Lehrling zugelegt.“

Simultan spähten Ranma und Ryoga auf.

„Das ist doch nicht euer Ernst?“, meinte Hibiki ungläubig.

„Welcher Trottel würd' sich denn vom alten Ekel unterweisen lassen?“

Die Mädchen zuckten nur die Achseln.
 

Happosai paffte an seiner geliebten Pfeife. Manchmal war es ganz schön, wenn man es ruhig angehen ließ. Er war zwar noch kein alter Mann, aber ab und zu war ein Ruhepäuschen nicht zu verachten. Hinter sich vernahm er das Rascheln von Kleidung.

War der talentlose Nichtsnutz also aufgetaucht.

„Bist also gekommen Jungchen?“, meinte er ohne sich umzublicken. Er blies ein paar Rauchringe in die Luft und verfolgte mit wie diese größer und größer wurden und sich schlussendlich auflösten.

„Und ob. Ich bin bereit für eure Herausforderung.“

„Ach, biste das?“

Happosai richtete sich zu voller Größe auf. Er wusste selbst, dass es keinen merklichen Unterschied machte, ob er stand oder saß. Manche Kindergartenkinder waren größer als er. Dabei war er einst so ein gutaussehender, stattlicher Mann gewesen. Zumindest war er das in seiner Erinnerung. Und es lebte nur noch eine Person, die gegenteiliges bezeugen konnte. Obwohl es klüger war, wenn Cologne das nicht tat. Wer hatte sich schließlich einst in ihn verschossen?

„Hehehehehehe.“

„Meister?“

„Ach, du bist ja noch immer da?“

„Wo sollte ich sonst sein? Ich soll ja gegen euch kämpfen“, stellte der Junge verächtlich fest.

Happosai pustete ein Rauchwölkchen aus, das zaghaft die Form eines Unterhöschens annahm. Es war ein reizendes Stück, da musste er sich glattweg selbst loben.

„Jungchen. Wer sagte, dass du's wert bist gegen mich anzutreten?“

„Ja, aber Ihr...“

„Lies richtig du blinder Trottel.“

Der Chinese zog einen gefalteten Zettel aus dem Ärmel und überflog die Nachricht. Selbstgerecht deutete er mit dem Zeigefinger auf Happosai, zögerte und setzte nochmals seine Brille auf. Dann drehte er sich zu Happosai um und las den Zettel etwas eingehender.

„Aber hier steht etwas von einem Duell.“

„Schlaues Kerlchen. Duell – ja. Gegen wen, steht das da etwa drin?“

Mousse legte den Kopf schief und schlug mit der Faust in die Handfläche.

„Nein.“

„Schön, dass der Groschen fällt“, Happosai sog an der Pfeife und blickte in die Ferne. Auf seine faltigen Lippen kroch ein gehässiges Grinsen. „Du willst also deinen Kontrahenten?“

Mousse nickte unsicher.

„Dann lauf mal los. Da unten spurtet sie lang.“

Der Amazone schluckte hörbar und trat neben Happosai an den Dachrand heran. Hinter den Brillengläsern wurden seine Augen groß. Sprachlos zeigte er auf das Mädchen, das dort auf dem Zaun neben dem Kanal davonraste. Ihr kobaltblaues Haar peitschte im Wind hinterher.

„I-Ich kann doch nicht gegen... aber das ist doch...“

„Du sollst sie ja nicht niederschlagen. Für wen hältst du mich? Beweise mir, dass du was gelernt hast. Klau ihr... den BH. Wenn du das schaffst, können wir ernst machen.“

„Das ist doch ein - ahhhh!“

„Viel Spaß Jungchen!“, rief Happosai seinem davonfliegenden Schüler nach, die Pfeife noch immer zum Schlag erhoben und einen nostalgischen Ausdruck auf dem Gesicht. „Hach ja, sie werden so schnell flüge und verlassen das Nest.“

Gackernd hüpfte der Großmeister des Musabetsu Kakuto Ryu in die entgegengesetzte Richtung davon den Schrei seines Schülers im Rücken. Er wusste immerhin etwas, was sein Schüler nicht wusste. Shampoo hatte noch gar keinen neuen Büstenhalter.
 

Ukyo saß neben ihrer Bedienung im Restaurant. Morgen würden sie neu eröffnen und nach der langen Zeit erwarteten beide einen Riesenansturm. Ukyos Knie wippte aufgeregt und sie wand die Schultern. Immer wieder stahl sie Blicke zu Ryoga, die ihrerseits überall hinsah nur nicht zu ihr.

„Und – wie war's?“

„Öhm... hehehe... ja, also... hehehehe.“

„Argh! Ryoga, hör' auf zu stammeln.“

„A-Aber du bist wieder... da. Lebendig. Ich - “, das Halbmädchen hob schüchtern die Augen und lugte unter den Haarfransen zu ihr. „ - bin glücklich. Froh, dass du... wieder da bist.“

„Ich freue mich auch wieder normal zu sein. Ich – ach verdammt, was soll's?“

Um Taten auf Worte folgen zu lassen, ergriff die Kampfköchin ihre überrumpelte Bedienung an den Schultern. Es war kein unsanftes Manöver, aber ein bestimmtes. Ukyo schluckte trocken und schloss dann die Augen. Bereits im nächsten Augenblick trafen sich, voller Gefühl und Romantik, ihre Köpfe.

„Au! Du Esel! Warum hast du dich bewegt?“

„I-I-Ich – t-tut m-mir l-l-leid“, stotterte die Göttin mit hochroten Wangen und stupste die Zeigefinger gegeneinander. Ukyo strich sich das Haar aus dem Gesicht und hinter beide Ohren, dann fasste sie neuen Mut. Sie tastete nach Ryogas Hand.

„Ryoga?“

„Uh-huh?“

„Es ist... ich... Schön, dass du wieder da bist.“

Scheu linste die Göttin des Frohmuts auf. Ein Eckzahn bohrte sich ihr unsicher in die Unterlippe und die großen Augen suchten Ukyos Gesicht.

„M-Meinst du das er - “

Ryoga Hibiki kam nicht dazu den Satz zu beenden. Es lag nicht an einer gewaltigen Attacke, die die Erde zum Erbeben und den Himmel zum Aufklaffen brachte, auch war es kein mächtiger Schlag oder pfeilschneller Tritt, der ihr den Atem geraubt hätte.

Es war ein weiches Paar Lippen.

Für eine unbestimmte Dauer ließ Ukyo die Wärme des Kusses durch sich gleiten, ihr den Kopf verklären und das Herz hämmern und dabei hielt sie Ryogas Hand fest in ihrer. Erst als beiden die Luft auszugehen schien, lösten sich ihre Lippen voneinander. Beide puterrot und ohne Worte saßen sich auf den Barhockern gegenüber. In der Luft stand noch das Aroma des Okonomiyaki.

„I-Ich geh' dann mal d-duschen. R-Räumst du etwas auf?“

Noch bevor Ryoga hätte antworten können, sprintete die Kampfköchin bereits hinter den Thresen und die Treppe im Eiltempo hinauf. Erst im Bad blieb sie stehen, schlug die Tür zu und hielt sich die Brust. Ihr Herz trommelte so laut, dass sie es hören konnte. Was war nur in sie gefahren?

Natürlich, sie beide hatten schon unanständigeres angestellt, woran sie sich zwar nicht erinnerte, was sie nichtsdestotrotz peinlich berührte. Diesmal konnte sie dem Alkohol allerdings keine Schuld geben. Noch ganz dusselig vom Kuss stützte sie sich auf das Waschbecken. Was war nur mit ihr los?

War das Liebe?

Fragend schaute sie ihr Spiegelbild an, das ratlos die Schultern hob.

Erstmal duschen, danach würde die Welt schon wieder in den rechten Fokus rutschen. Sorgsam entkleidete sie sich und füllte den Bottich mit kaltem Wasser auf. Dreimal übergoss sie sich damit, fröstelte und biss die Zähne zusammen. Irgendetwas hatte an ihrem Rücken gezwickt. Doch egal was es war, jetzt war das komische Gefühl wieder verschwunden.

„Muss der ganze Stress sein“, befand sie und setzte einen Fuß in den Furo.

Kurz darauf ließ sie den zweiten nachfolgen. Genüsslich senkte sie sich in die wogende Hitze hinein und atmete tief ein und aus. Es gab nichts Beruhigenderes, als ein heißes Bad im Furo. Sich zu entspannen, zurück zu lehnen und die Flügel einfach mal treiben zu lassen.

Selig grinste Ukyo in den warmen Dampf hinein.

„FLÜGEL?“
 

ENDE – Buch II
 

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Ich wünsche euch allen eine gute und schöne Woche,
 

euer Deepdream



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