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Das Leben ist schwarz...schwarzblau

Zwei Welten krachen aufeinander
von

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Kapitel 6 Teil 1und 2

Kapitel 6 Teil 1
 

„Ich weiß ja, dass ich nicht der beste Klavierspieler bin. Aber so schlecht, dass es dir Tränen in die Augen treibt, bin ich auch nicht!“

„Ich glaube du missverstehst da was, ich heul doch nicht, weil du schlecht bist. Du warst einfach… fantastisch. Und das meine ich wirklich ernst!“ bekräftigend nickt er mit dem braunen Schopf und schaut mich dabei mit diesem treuherzig ehrlichen Hundeblick an, der mir vorher schon den Rest gegeben hat.
 

Ich weiß ja nicht, was er mit dieser widerlichen Schleimerei erreichen will. Und es würde mir ja auch nichts ausmachen, wenn er derjenige wäre, den nachher diese Sauerei wegmachen müsste, da dem nicht so ist, wäre es mir lieber er würde das bleiben lassen. Ich habe nämlich absolut keine Lust länger als nötig den Feudel zu schwingen.

Die akute Rutschgefahr ist aber bei Weitem nicht das Schlimmste. Dieses Gefühl, als wäre mein ganzer Brustkorb mit diesem ekligen, warmen Schleim gefüllt, der meine Pumpe daran hindert richtig zu schlagen, ist es, was mir wirklich zu Schaffen macht.
 

„Du bist nicht zufällig auf den Kopf gefallen, oder?“

„Doch, heute Morgen bin ich… woher weißt du das!?“

„Ach, war nur so’n Gedanke.“ Damit wäre sein merkwürdiges Verhalten geklärt.

Mein Blick bleibt an den Pflastern hängen, die meinen Arm über und über bedecken. Damit wäre geklärt, was da in ihn gefahren ist. Für mich dagegen, habe ich keine einleuchtende Entschuldigung parat, dass ich mich aufgeführt habe, wie eine liebeskranke Schwuchtel. Einfach nur erbärmlich.
 

„Sag mal, was ist denn heute Morgen mit deinem Schädel passiert?“ Das interessiert mich jetzt schon.

„Naja“, irgendwas scheint ihm schrecklich peinlich zu sein und ich bring es nicht über mich, mich darüber nicht ein kleines gigantisches Bisschen zu freuen, „ich dachte, ich würde zu spät in die Schule kommen und war etwas hektisch.“

„Du weißt aber schon, dass heute Samstag ist?“

„Ja, du Idiot, das hab ich später auch gemerkt. Jedenfalls bin ich über Schulbücher gestolpert und hab mir den Kopf ordentlich am Schrank angehauen. Ich hab gedacht, mein Schädel sei gespalten.“

„Du erwartest doch jetzt kein Mitleid, oder?“ Danke! An was auch immer da oben zwischen den grauen Wolken rumgammelt und das Leben der Menschen, auf diesem dreckigen Erdklumpen, ordentlich verpfuscht. Offenbar gibt es doch noch Gerechtigkeit.
 

„Nein, aber eine kleine, tröstende Umarmung wär’ nicht schlecht.“, grinst er und reckt erwartend die Arme.
 

Fuck! Was auch immer da Oben rumgammelt ist ein hinterhältiges, mieses… mir so in den Rücken zu fallen. Ich bin sicher, meine Ohren leuchten schon im Dunkeln.

„Wichser!“

Etwas energischer als gewollt, schlage ich die Klappe des Klaviers zu und aus dem nahe gelegenen Regal segelt ein kleines Stück Papier zu Boden. In dem Moment, in dem Denis es aufhebt, erkenne ich, was es ist.
 

In diesem verdammten Haus gibt es so viele uninteressante, unwichtige Dinge, die ihm hätten in die Hände Fallen können, aber es muss ja natürlich ausgerechnet dieses alte Foto sein. Wütend balle ich meine Fäuste, ich hätte dieses Foto schon längst vernichten sollen; es verbrennen, vergraben, in klitzekleine Stückchen reißen und von der nächsten Brücke schmeißen oder dem kleinen Kläffer der Nachbarn damit das Maul stopfen; stattdessen ist es immer noch hier, in den Händen desjenigen, der schon zu viel weiß, mehr als genug um mir…
 

„Gib das her!“, hastig greife ich nach dem Bild. Ein reißendes Geräusch ist zu vernehmen. Jeder von uns hält plötzlich einen Teil der Fotografie.

„Oh nein, das wollte ich nicht! Vielleicht kann man es wieder zusamm…“
 

Nachdenklich betrachte ich meine Hälfte, sie zeigt einen großen, stattlichen, attraktiven und durchaus sympathischen Mann Anfang Vierzig. Weiches braunes Haar fällt ihm locker in die Stirn und klare, graue Augen schauen aus diesem lachenden Gesicht direkt in die Kamera. An seinen linken Hemdärmel klammert sich eine blasse Hand, die zu dem kleinen, schwarzhaarigen Jungen gehört, der nun mittendurch gerissen ist. Das strahlende Gesichtchen wirkt durch den Riss seltsam verzerrt.
 

Lange habe ich das Foto nicht mehr in den Händen gehalten und doch weiß ich genau, was auf der anderen Hälfte zu sehen ist, kann mich an jedes, noch so winzige Detail, exakt erinnern. Wochenlang habe ich nichts anderes gesehen, bestand meine Welt nur aus dieser zerknitterten Fotografie. Nächtelang hab ich mich bei diesem Anblick in den Schlaf geweint, bis ich es irgendwann nicht mehr ertragen konnte, all diese glücklichen Gesichter zu sehen. Für immer sollte es verschwinden, aber egal wie oft ich ein Feuerzeug darunter hielt, verbrannt ist es nie…
 

„Ist das deine Mutter? Sie ist wunderschön“, flüstert Denis fast ehrfürchtig. „Du siehst ihr so ähnlich, wie aus dem Gesicht geschnitten.“
 

Ja, das tue ich und ich verfluche sie dafür, dass sie mich zu einem männlichen Spiegelbild ihrer Selbst gemacht hat, dass sie mich als unperfekte, mangelhafte und fehlerhafte Kopie hier zurückgelassen hat.
 

Wie sie so dasteht, in ihrem leichten Sommerkleid, in dessen Blumenmuster ich jedes Blütenblatt in und auswendig kenne, ihren glänzenden schwarzen Haaren, die sich in einer ewigen, unsichtbaren Sommerbrise kräuseln und mit ihren leuchtenden, grünen Augen, die den meinen so ähnlich sind, liebevoll auf den kleinen Jungen schaut, so als würde sie gar nicht sehen, dass er mittendurch gerissen ist; da will ich sie nur noch zerstören und dieses falsche und trügerische Bildnis immerwährenden Sommers vernichten.
 

„Elija?“ Vorsichtige Fingerspitzen streichen über meine Wange, ziehen sich aber gleich wieder zurück. Sie hinterlassen ein leichtes Kribbeln auf meiner Haut.
 

„Das Foto hat dir viel bedeutet stimmt’s? Ich kann versuchen es zu reparieren, wenn du willst.“
 

„Das wird nicht nötig sein, ich wollte es sowieso wegwerfen.“, mit diesen Worten zerknülle ich beide Teile und werfe sie in den Mülleimer in der Küche. Nicht ohne vorher kurz zu zögern, wie nicht anders zu erwarten vom unangefochtenen König der Loser. Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie er mich mit seinen blauen Augen verdutzt und besorgt mustert und dann resigniert den Kopf schüttelt.

Als der Deckel zufällt überkommt mich eine merkwürdige Beklemmung, schnell verlasse ich die Küche. Nicht ohne noch einen letzten Blick auf das schwarze Plastik zu werfen, das mich von einem anderen Leben trennt.
 

Denis steht noch immer im Wohnzimmer wie bestellt und nicht abgeholt. Er sagt nichts. Sein morgendlicher Unfall hatte offenbar größere Auswirkungen, als ich gedacht habe. Seine Augen kleben unverständlicher Weise förmlich an mir. Prüfend schaue ich an mir herunter. Ich habe weder meine Unterhose über die Hose angezogen noch trage ich einen rosa Strampelanzug, nichts was es rechtfertigen würde mich mit diesem Röntgenblick zu durchleuchten.

„Würde es dir was ausmachen, mein Krebsrisiko so niedrig wie möglich zu halten?“

„Dein Was?!“

„Krebsrisiko. Röntgenstrahlen sind ungesund.“
 

Er mustert mich verwirrt. Meine Güte, vielleicht habe ich seinen IQ doch etwas überschätzt, im Moment ist wahrscheinlich selbst ein Kochtopf intelligenter als er und der enthält immerhin noch Luft.

„Vergiss es!“ Bei dem ist schon alles zu spät.
 

Welche Fehlfunktion meiner Gesichtsmuskeln, ihn auch immer veranlasst haben mag die folgende Frage zu stellen, um das Schweigen zu brechen, sie sollte dringend behoben werden. Da korrigierende OPs zu teuer sind, werde ich wohl endlich mein Handbuch lesen müssen. Sonderlich kompliziert kann es ja nicht sein.
 

„Dieser Mann auf dem Foto. War das dein Vater?“
 

Möööp! Tut mir Leid, das war die falsche Frage. Und damit scheidet der Kandidat in der 4. Runde aus. Als Trostpreis hätten wir hier diese Socke, die der bekannte griechische Marathonläufer Sokis Stinkis während seines Siegeslaufes getragen hat, ungewaschen versteht sich.
 

Warum musste er mich ausgerechnet jetzt daran erinnern? Meine Laune ist gerade bungeejumpen und Denis war so freundlich das Gummiseil durchzuschneiden, das sie aus dieser bodenlosen Tiefe wieder nach Oben befördern sollte. Wenn sie ganz unten aufschlägt, ist es besser, Denis ist nicht hier. Niemand sollte dann hier sein, man stelle sich nur mal das Massaker vor vor.
 

Ich bin mir sicher, ein harsches und kaltes Wort genügt um ihn zum Verschwinden zu bringen. Mein Hirn hat sich da was besonders Schönes ausgedacht:

„Ich will jetzt allein sein.“

Äh? Wo zum Teufel sind die zu Recht gelegten Worte verloren gegangen, das klingt ja fast nett, so gar nicht nach mir. Jetzt bin ich ernstlich besorgt, ich hatte ja schon früher Differenzen zwischen Hirn und Körper, so schlimm war es allerdings noch nie.
 

Er sieht enttäuscht aus: „Na gut, aber nur, wenn ich Morgen wieder kommen kann.“

Warum ist der Kerl so scharf darauf Zeit mit mir zu verbringen? Ich bin ein Magnet für Bekloppte.

Im Wissen darum, dass ich es teuer bezahlen werde, stimme ich zu. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob ich nicht doch etwas masochistisch geworden bin, gewisse Tendenzen lassen sich einfach nicht mehr leugnen. Damit kann ich ein weiteres Stichwort auf meinem verkorksten Loserlebenslauf hinzufügen; langsam aber sicher wird der Platz ziemlich knapp.
 

Völlig überrumpelt finde ich mich in einer engen Umarmung wieder. Seine Haare kitzeln meinen Nacken und mir wird bewusst, wie unglaublich gut er doch riecht. Eine Mischung aus Blumen und Wind, ein bisschen Sonne und Wärme, fast wie Sommer. Wie ein nasser Sack stehe ich da, während er mich an sich presst als ob er mich zerquetschen wollte. Die verzweifelten Notrufsignale meiner Rechenzentrale verlieren sich irgendwo zwischen Rückenmark und Gliedmaßen; nichts rührt sich. Seine behagliche, wohlige Wärme hüllt mich vollkommen ein, macht mich benommen, jagt einen Schauer nach dem Anderen durch meinen kalten Körper.

Und auf ein Mal, ist da dieses Gefühl, von etwas unglaublich Weichem und Zartem, das mich kurz unter meinem Ohr flüchtig berührt und meinen Herzschlag kurz aussetzten lässt.

Das war doch nicht etwa…
 

Minuten später stehe ich immer noch dort wo er mich zurückgelassen hat. Wie Denis gegangen ist, habe ich nicht mitbekommen, er war plötzlich einfach weg. Ganz langsam legt sich das Trommelkonzert in meinem Inneren, bis es zu einer erträglichen Lautstärke abgeklungen ist, nur die heiße Stelle unter meinem Ohr bleibt überdeutlich.
 

Auf was habe ich mich da nur eingelassen?
 

Panik schwappt in Wellen durch mich hindurch, überfällt mich im einen Moment mit eisiger Kälte, nur um im nächsten Lava durch meinen Körper zu pumpen.

Ich stecke schon viel zu tief drin, um noch halbwegs heil aus der Sache raus zu kommen. Nur zu deutlich kann ich das Brennen an meinem Hals spüren, seine Finger auf meinem Augenlid.
 

Wie Frankenstein hat er einem toten Fleischklumpen das Leben zurückgegeben. Ein gigantischer Stromstoß: das rohe Fleisch beginnt zu pulsieren und die rote Flüssigkeit, die Gefühl in lange taube Glieder zurück bringt, durch die Venen zu pumpen. Und mit jeder neu belebten Nervenfaser wünsche ich mir die schützende Taubheit zurück.
 

Ich muss handeln, bevor es sich weiter ausbreitet, bevor auch die letzte von ihnen wieder gnadenlos ihren Dienst tut.

Meine Finger krallen sich in meinem Arm fest. Jetzt wären die Schmerzen des absterbenden Gefühls gerade noch so zu ertragen… Die Sache ist so glasklar, und doch…

Und doch wünsche ich mir jedes Mal, wenn der Geruch von Sommer, sein Geruch, der immer noch in der Luft liegt, in meine Nase steigt, mich einfach in dieses süße Verderben fallen zu lassen. Was scheren mich schon zukünftige Schmerzen, wenn ich jetzt, mit diesem neu erwachten Sinn, nur eine warme Berührung richtig spüren kann?
 

Ich wollte ich könnte diesem Wunsch nachgeben, aber ich bin zu feige, zu schwach, um ihnen noch einmal bei vollem Bewusstsein ins Gesicht zu blicken.

Ein rotes Rinnsal bahnt sich seinen Weg zwischen den Pflastern hindurch, Richtung Boden.
 

Zwei zerknitterte Hälften eines Fotos, sorgfältig glatt gestrichen und vorsichtig mit Tesa zusammengeklebt, liegen auf meinem Nachttisch, während ich mich unruhig im Bett Hin und Her wälze.

Den erlösenden Schlaf finde ich heute Nacht nicht.
 

„Du siehst echt beschissen aus“, flötet es mir entgegen.

„Dir auch guten Morgen, oder lieber gute Nacht. Weißt du eigentlich, wie spät es ist?“

„Aber sicher, es ist:“ er blickt auf seine Armbanduhr, „Genau 8 Uhr 39 und 42 Sekunden. Ich hab auch Frühstück mitgebracht.“

Wie ein Verkehrspolizist auf Ecstasy wedelt er mit einer Bäckertüte vor meiner Nase herum. Wie kann man um diese Uhrzeit schon so viel Energie haben? Er sollte seine Wohnung mal auf radioaktive Strahlung testen lassen.

„Und?“

„Und was?“

„Was willst du hier? Außer mich um meinen wohlverdienten Schönheitsschlaf zu bringen.“

„Bist du sicher, dass du überhaupt geschlafen hast? Die Ringe unter deinen Augen könnte man auf Felgen aufziehen.“
 

Geschlafen? Das ich nicht Lache. Ich hab heute Nacht so lange Schäfchen gezählt, dass ich die Türklingel, irgendwann Richtung Morgen, mit dem Blöken eines dieser Wollknäule verwechselt habe, was mich ernsthaft an meinem Verstand zweifeln lässt. Und der Grund dafür steht mir jetzt putzmunter gegenüber, so als wäre es normal an einem Sonntagmorgen um 8 zum Frühstücken aufzukreuzen.

Genervt trete ich einen Schritt zurück, um ihn herein zu lassen. Was muss man tun, um den wieder loszuwerden?
 

Als ich langsam die Tür schließe, höre ich es schon aus der Küche klappern. Der ist ja schwerer zu hüten als ein Sack Flöhe und er sorgt für mindesten genauso viel Unbehagen.

Mit einer merkwürdigen Vorahnung gehe ich in Richtung Esstisch. Der Anblick der sich mir jetzt bietet lässt mich ernsthaft am Wohlbefinden meines Besuchers zweifeln.
 


 

Kapitel 6 Teil 2
 

Kritisch mustere ich den gedeckten Tisch. Mit viel Wohlwollen könnte man es durchaus als Frühstück durchgehen lassen. Prüfend schiebe ich die Teller etwas herum, rücke die Milch in die Mitte, ziehe die Brötchen ein Stück vor, zupfe am Tischset, so als könnte ich damit einen kleinen Teil der Energie loswerden, die mich seit heute Morgen im Überfluss durchströmt.
 

Dieser Tatendrang hat mich um halb Sieben aus dem Bett getrieben und nur ein Anflug von Vernunft hat mich daran gehindert, den ersten Bus zu nehmen, der zu Elija fährt. Ein bisschen unheimlich ist es schon, selbst meinen Eltern ist gestern Abend aufgefallen, dass etwas anders ist.

Allerdings war es dann doch zu auffällig. Wer übersieht schon jemanden, der erst beim vierten Versuch merkt, dass er die Sprudelflasche mit dem Milchdeckel zumachen will, oder verzweifelt versucht sein Steak mit der stumpfen Seite des Messers zu bearbeiten, bevor er freundlicherweise von seinem Bruder darauf aufmerksam gemacht wird. Ich war wirklich zu nichts zu gebrauchen.
 

Ich glaube inzwischen hat sich meine Zerstreutheit etwas gelegt und an ihre Stelle ist ein Gefühl getreten als würde die Sonne nur für mich scheinen, während ich, wie mit Helium gefüllt, durch die Gegend schwebe.

Beängstigend.

Von ganz unten, durch die dicke Schicht aus rosaroter Zuckerwatte, schleicht sich plötzlich ein Gedanke in mein Bewusstsein, der mich mitten im Verrücken der Butter innehalten lässt:
 

Ich bin schwul.
 

Komisch, dass mir der Gedanke erst jetzt kommt. Dass er ein Junge ist hat für mich bis jetzt keine Rolle gespielt, aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke; ist Elija tatsächlich ein JUNGE, mit allem was dazugehört.
 

Das ist eine unumstößliche Tatsache.

Dass ich mich trotzdem in ihn verliebt habe, ist die andere.
 

Ich liebe das, was er mir Gestern, in einem kurzen Augenblick, von sich, seiner Seele preisgegeben hat, aber das ist nicht alles. Ich begehre auch seinen Körper, seinen eindeutig männlichen Körper. Nur zu gut ist mir meine Umarmung noch im Gedächtnis, sein Geruch, meine Lippen an seinem Hals…
 

„Denis?“, eine Hand wedelt vor meinen Augen. „Was soll das hier?“, er deutet verständnislos auf den Tisch.
 

Verwirrt blinzle ich ihn an. Mit seinen noch leicht verstrubbelten, schwarzen Haaren hinter denen ich nur eines seiner grünen Augen sehen kann, das mich fragend mustert; seinen rosa Lippen, die sich scharf gegen die blasse Haut abheben, die nur noch an manchen Stellen einen leichten Grünton aufweist und dem schmalen, aber nicht zu dünnen Oberkörper, der sich unter einem lockeren schwarzen T-Shirt versteckt, ist er einfach nur schön und begehrenswert.
 

Mein Herz jubiliert bei diesem Anblick, schlägt mir bis zum Hals; kleine Ameisen beginnen über meine Haut zu wandern… Wie gerne würde ich ihn jetzt küssen.

Die vorher nie gekannte Intensität der Gefühle erschreckt mich.
 

Bin ich schwul?

Vielleicht bin ich das wirklich.
 

Und ich bin verwirrt. Verwirrt, dass mich diese Tatsache nicht völlig aus der Bahn wirft.

Ich hatte nie was gegen Homosexuelle und um ehrlich zu sein habe ich auch noch nie so besonders intensiv über dieses Thema nachgedacht. Ganz bestimmt habe ich mich aber bis jetzt nie gefragt, ob ich nicht auch einer 'von Denen' bin.

Einer 'von Denen' die von vielen Leuten immer noch mit Abscheu bedacht werden, über die man hinter vorgehaltener Hand spricht und die von so vielen immer noch für abartig und abnormal gehalten werden.

Schwuler, Schwuchtel, Homo... nein!
 

Nein, ich werde diesem Gefühl kein Label verpassen, weil es egal ist was es ist, was ich bin. Ich mag diesen neuentdeckten Teil von mir, ich mag was er jetzt gerade mit mir anstellt und wenn er mich zu dem macht, was man als 'Schwulen' bezeichnet, dann bin ich eben einer.
 

Einer 'von Denen'. Was soll’s.
 

Und obwohl ich mir bewusst bin, was es bedeuten wird, diesen Teil zuzulassen, was es alles ändern wird, an der Art, wie mir die Welt begegnet, brauche ich nur einmal aufzusehen in sein fragendes Gesicht und mein Kopf ist frei von allen Bedenken.

Vulkanier, Hetero, Amöbe, Mensch, Schwuler... ist doch völlig egal?!
 

„Das ist Frühstück, sieht man das nicht?“ Mein Blick irrt über den Tisch. OK, vielleicht erkennt man es wirklich nicht. Durch meine andauernden Verrückungsaktionen ist der Tisch so durcheinander, dass man meint, eine Bombe habe einen zufällig vorbeifahrenden Lebensmitteltransport getroffen und dabei seine Ladung überall verteilt.
 

„Schon klar.“ Er zuckt mit den Schultern, „Zumindest war’s mal eins, aber das meine ich nicht. Warum um alles in der Welt kreuzt du morgens um halb Neun bei mir auf, um Frühstück zu machen?!“
 

Ich glaube, das willst du nicht wissen, es ist mir selbst ja schon megapeinlich mich wie ein verliebtes Schulmädchen aufzuführen. Außerdem wäre es sehr unvorteilhaft ihn noch vor einem ordentlichen Essen mit der Tatsache zu überfallen, dass ich nicht nur schwul, sondern zudem in ihn verliebt bin. Ich würde ihn nur vergraulen und das ist das Letzte, was ich will.
 

„Pure Freundlichkeit und Nächstenliebe. Nicht jeder bekommt am Sonntag ein Frühstück freihaus, also beschwer dich nicht, sondern iss!“

Da ist er wieder, dieser Blick, als ob er mich für vollkommen durchgeknallt hält. Im Moment, das muss ich zugeben, ist er durchaus berechtigt.

Seufzend lässt er sich mir gegenüber auf einem Stuhl nieder und angelt nach einem Brötchen, sucht eine Weile nach der Butter, die er schließlich hinter zwei Saftflaschen findet, und beginnt die Suche nach einem Messer.
 

Ich sitze nur da und starre ihn mit offenem Mund an.

„Was?“, schnauzt er mich an, „Oder ist das etwa nicht zum Essen gedacht? Eine Art abstrakte Skulptur?“

Ich schüttle den Kopf, er fährt fort sein Brötchen zu bestreichen. Mein Grinsen reicht schon von einem Ohr zum anderen. Wir frühstücken tatsächlich zusammen! Ich bin der glücklichste Mensch der Welt.
 

„Sag mal, wo steckt eigentlich dein Vater? Er war weder Gestern noch heute hier, als ich da war.“

Langsam kaut er den Bissen zu Ende, den er gerade im Mund hat und würdigt mich keines Blickes. Ich denke schon ich muss meine Frage wiederholen, als er endlich antwortet:

„Auf Geschäftsreise, er ist eigentlich so gut wie nie zu Hause. Dass er ausgerechnet an dem Tag da sein musste, an dem die beschissene Lehrerin hier angerufen hat, war ein dummer Zufall. In… vier Tagen kommt er zurück.“ Bei diesen Worten fällt sein Gesicht in sich zusammen, träge rührt er in seinem Kaffee.
 

Wenn ich doch nur irgendwas tun könnte. Ihn so leiden zu sehen macht mich ganz krank, aber er will sich ja nicht helfen lassen.

„Hey, jetzt guck doch nicht so grimmig. Immerhin hast du ja noch mich, oder?“

Der Ausdruck der daraufhin in seinen grünen Augen auftaucht, lässt einen gewaltigen Stein in meinen Magen plumpsen. Warum spiegelt sich Angst darin, ist ihm meine Nähe so unangenehm?
 

„Ich weiß“, ein tiefer Seufzer, der absolut nicht so kling, wie ich ihn hören wollte. Die Angst ist fast aus seinen Augen verschwunden, aber eben nur fast.
 

Das erhebende Gefühl von vorhin ist weg; eine bohrende Unsicherheit nagt an meinen Gedanken. Warum fürchtet er meine Nähe?

Aus ihm werd ich einfach nicht schlau.

Ich seufze ebenfalls. Es bringt nichts noch länger zu grübeln, er duldet mich bei sich und das ist fürs Erste genug, mehr als ich Gestern noch erwartet hatte. Ich werde den Grund für seine Angst finden und vielleicht kann ich sie ihm irgendwann nehmen.
 

Ich nippe gerade an meinen Kaba als mein Blick auf sein Gesicht fällt. Unter Husten und Prusten versprühe ich einen Mund voll brauner Flüssigkeit über den ganzen Tisch.

Angewidert springt er auf, sieht mich an und schüttelt seine besprenkelten Hände. „Was zum…!“

Ein heftiger Lachanfall lässt mich unter dem Tisch abtauchen. Verzweifelt presse ich mir die Faust vor den Mund, aber er lässt sich nicht ersticken. Mein Bauch schmerzt, als ich einen kurzen Blick über die Tischkante riskiere… sofort tauche ich prustend wieder ab.
 

„Was ist denn bitte so witzig?“, inzwischen klingt er beleidigt.

Nach Atem ringend und meinen Bauch haltend, schaffe ich es endlich mich in eine halbwegs aufrechte Position zu bringen.

„D… das schaust du… du dir besser selbst an…mmmmmpffff…“, eine weitere Kicherattacke überkommt mich. Ich sehe gerade noch wie er offenbar in Richtung Badezimmer verschwindet. Den Anblick will ich auf keinen Fall verpassen, also mühe ich mich ab ihm zu folgen.
 

Er steht vor dem Badezimmerspiegel und mustert sein über und über mit braunen Sprenkeln bedecktes Gesicht.

„Das ist nicht witzig. Das ist überhaupt nicht witzig…,“ wütend packt er sich ein Handtuch und wischt sich die Sprenkel aus dem Gesicht. Tödliche Blicke erdolchen mich geradezu und alle bösen Geister dieser Erde müsste sich jetzt eigentlich erzürnt auf mich niederstürzen.

Wieder einigermaßen bei Atem gehe ich ein paar Schritte auf ihn zu.

„Du hast da…“, meine Hand nähert sich seinem Gesicht, seine Augen werden immer größer. Sanft streiche ich mit meinem Daumen über seinen Mundwinkel, „einen Krümel.“
 

Belustigt verfolge ich, wie sein Blick, über den Krümel auf meinem Finger, bis zu meinem Gesicht wandert, bevor sich seine Wangen in einem dunkelroten Ton färben. Mein Herz tut einen Hüpfer, der Anblick ist einfach göttlich. Hastig tritt er einige Schritte zurück, verheddert sich dabei im Badezimmerteppich und wäre beinahe gestürzt, wenn ich ihn nicht im letzten Moment aufgefangen hätte.

Nun leuchten auch seine Ohren in einer kräftigen Signalfarbe. Fahrig versucht er sich so schnell wie möglich aus meinen Armen zu befreien. Das Gefühl ihn so nahe bei mir zu haben ist einfach berauschend, nur widerwillig gebe ich ihn frei.
 

Eine unangenehme Stille breitet sich aus.
 

„Die Sauerei im Esszimmer darfst du selbst wegmachen. Und merk dir Eines: Niemand bespuckt mich ungestraft mit Kaba. Irgendwann wenn du es am wenigsten erwartest wird Elija der Rächer zuschlagen und er kennt keine Gnade.“ Ich bleibe allein im Bad zurück.
 

War das gerade...?

Habe ich gerade wirklich den Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht gesehen, bevor er sich umgedreht hat?

Ich muss mich irren.
 

„Weißt du ich könnte schon etwas Hilfe gebrauchen.“

„Ich denk nicht dran!“ Demonstrativ setzt er sich auf den Stuhl und schaut mir mit einem Das-ist-die-Strafe-dafür-dass-du-über-mich-gelacht-hast-Blick beim Putzen zu. „Du sollst ruhig auch mal in den Genuss des Saubermachens kommen, ich möchte dir diese wertvolle Erfahrung nicht vorenthalten.“

Mit einem freundlichen Lächeln präsentiere ich ihm meinen Mittelfinger und mache mich daran den Boden zu wischen. Da ich genau weiß, dass er mich beobachtet, kann ich es mir nicht verkneifen, dabei aufreizend mit dem Hinterteil zu wedeln.
 

„Naaaa, gefällt dir die Aussicht?“

Wenn es nach ihm ginge, wäre ich wahrscheinlich gerade tot umgefallen; diese Todesblicke sind echt gruselig. Allerdings verfehlt er diesmal seine Wirkung, der Hauch von Rot auf seinen Wangen passt einfach nicht dazu.

Ich würde mal sagen: Ein Punkt für mich!
 

Als er daraufhin aufsteht und den Tisch verlässt, beginne ich mir Sorgen zu machen. Ich bin doch nicht zu weit gegangen? Zu meiner Verblüffung zieht er sein T-Shirt aus und steht plötzlich mit nacktem Oberkörper da. Ich kann meine Augen beim besten Willen nicht mehr bei mir behalten. Mein Starren wird jedoch so offensichtlich, dass er sich auf dem Weg ins Bad noch einmal umdreht und mich mit einem traurig, ängstlichen Ausdruck fixiert.
 

Die Badezimmertür fällt hinter ihm zu. Ein dumpfer Schlag ist zu hören, ein leiser Fluch, dann ist es wieder still.



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Kommentare zu diesem Kapitel (9)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Inan
2009-09-04T18:40:24+00:00 04.09.2009 20:40
Hä?
Also, das ende raff ich nicht
Versteh einer eli
Nja, er ist trotzdem total süß!^///^
Find deine FF toll
Von:  LichterSchrei
2008-05-06T19:38:25+00:00 06.05.2008 21:38
Zucker xD
Von:  Nanami_Michiko
2008-05-04T13:32:25+00:00 04.05.2008 15:32
Das war ja mal wieder ein geiles chap xDDD
Einfach nur cool xDD
Ich liebe deinen Schreibstil xD
Deine Monologe
und der sarkasmus
einfach nur genial xDD
schreib schnell weiter
lg NAnami :-*
Von: abgemeldet
2008-05-03T13:26:54+00:00 03.05.2008 15:26
Ah, ich liebe diesen Sarkasmus.
Einfach genial xD
Vielleicht sollte er man über eine Karriere als Comedian nachdenken, auch wenn ich irgendwie glaube, dass er da nicht so begeistert von wäre >.<
Und du schreibst einfach immer so verdammt süß und mitreißend.
Man kann sich richtig in die Beiden reinversetzen.

Ich freu mich schon aufs nächste Kapitel

lg
das Nienna~~~~
Von:  midoriyuki
2008-05-02T21:15:13+00:00 02.05.2008 23:15
*andächtig schweigt*
Du bist glaub ich der genialst-sarkastische Autor der mir bisher untergekommen ist.
Jeder einzelne Bemerkung der inneren Monologe ist einfach zu geil*____*
Haaaa~ch ich liebe es^-^
Schreib ganz schnell weiter ich will meeeeeeee~hr>___<
Und ich hab die beiden voll doll gern>_<
Also looooo~s
>___<


lg Midori~
Von:  ReinaDoreen
2008-05-02T16:38:30+00:00 02.05.2008 18:38
Das Foto ist was besonderes, zeigt es doch die Familie von Elija als sie noch glücklich waren. Damit Denis keine Fragen mehr stellt, wirft er es weg, und mir war eigentlich klar das Elija es sich wieder aus dem Müll holt.
Schwierig für Denis ist nicht die Erkenntnis das er schwul ist, eher das es Elija ist in den er sich verliebt hat. Immerhin weiß er ja nicht was Elija fühlt, nur das diese Beziehung alles andere als einfach wird.
Elija will nie wieder Nähe und dabei ist ihm Denis schón so viel näher als er es für sich zulassen will.
Reni
Von: abgemeldet
2008-05-02T15:51:19+00:00 02.05.2008 17:51
*.*
sprachlos... mal wieder....
umwerfend....
ich lieeeeeeeebe deinen sarkasmus ♥.♥

Von:  Misuzu
2008-05-02T15:19:10+00:00 02.05.2008 17:19
hö... wieso zieht der sicha us? hba ich was verpasst?
naja egal xD
geil geschriebn!
du hast diese inneren monologe ehct supaa drauf ^^

gefällt mir!
und das Kapi is so knuffisch!

mach schnellw eiter!

lg
Misu
Von:  -Ray-
2008-05-02T14:40:51+00:00 02.05.2008 16:40
ganz toll :)

hast du schön geschrieben, vor allem las er plötzlich feststellte: "ich bin schwul..."
scheiße gelaufen ^^ wenigstens versucht er es nicht zu leugnen.

Schreib schön


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