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Lonely Christmas?

Weihnachtsgeschichte für Ki-Lin
von

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Lonely Christmas?

Lonely Christmas?
 

Wenn ich mich an früher erinnere, als wir noch mit Onkel und Tante auf dem Land lebten, erinnere ich mich an ein Mädchen mit goldenen Augen. Ich habe oft mit ihr gespielt, auch wenn ich mich über sie wunderte, da sie immer nur traditionelle Gewänder trug. Vielleicht gefiel es so ihren Eltern? Ich traf sie immer in der Nähe eines Inari-Schreins, der auf der Wiese, nahe den Reisfeldern stand. Nie habe ich erfahren, wo sie wohnte, oder wie sie hieß, doch als Kind hinterfragt man manches einfach nicht.

Eines Winters aber, kam sie dann nicht mehr zum Schrein und ich traf sie nicht wieder…
 

Es war Dezember und die Innenstadt von Kyoto glitzerte und funkelte in der Pracht kitschiger, amerikanischer Weihnachtsdekoration. Hier ein paar künstliche Tannenzweige, dort ein Santa Claus im roten Gewand und gleich eine Ecke weiter, duddelte eine Musikanlage ununterbrochen „Jingle Bells“. Es war kaum vorstellbar, dass diese Stadt eine lange Geschichte und große shintoistische und buddhistische Kulturstädten hatte.

Das alles interessierte mich persönlich alles relativ wenig. Ich saß grad beim Mittagessen in einem „Restaurant“, welches ein weiteres Zeichen der Nähe zum Westen war: McDonalds. Man konnte ja schließlich nicht jeden Tag aufgewärmtes Fastfood essen, manchmal war es frisch auch ganz gut – wenngleich teurer.

Eigentlich hätte ich beim Flughafen sein sollen, um meine Familie abzuholen, doch eben diese hatte mir am Morgen eine SMS geschickt, dass sie voraussichtlich erst in zwei Tagen mit dem Flieger kommen würde, da oben auf Hokkaido bereits der Winter Einzug gehalten hatte und so der Flugverkehr erst einmal lahm gelegt war.

Ich hoffte inständig, dass es übermorgen wieder ging, immerhin hatten wir bereits den 23. und ich wollte Weihnachten mit meiner Familie verbringen. Eigentlich hatte ich auch vorgehabt wie jedes Jahr selbst zu ihnen zu fliegen, doch meine Eltern und meine Schwester wollten mich schon seit langem besuchen und hatten so drauf bestanden Weihnachten dieses Jahr bei mir zu feiern. Dabei war es auch schon mit zwei Bewohnern in meiner Wohnung, die ich mit einem Kommilitonen teilte, sehr eng.

Als ich fertig gegessen und das Tablett weggebracht hatte, nahm ich die beiden Einkaufstaschen mit Weihnachtsgeschenken, und verließ das „Restaurant“ um mich auf den Weg nach Hause zu machen. Ich betrat grade die Straße, als mein Handy piepste und mir so verkündete, dass ich eine SMS bekommen hatte.

Beide Tüten in einer Hand, zog ich das Handy mit der anderen Hand aus der Jackentasche und las die SMS. Sie kam von einer anderen Studentin, mit welcher ich befreundet, leider nur befreundet, war. In der SMS fragte sie mich, ob ich heute Abend in eine Bar kommen würde, wo sie und ein paar andere Kommilitonen von mir sich trafen. Natürlich sagte ich zu, zumal ich im Moment in der Wohnung ohnehin alleine war und den ganzen Abend vergammelt hätte, da mein Mitbewohner bereits nach Hause gefahren war, da er bis zum 24., wie auch ich, keine Vorlesungen mehr hatte.

Nachdem ich die Antwort abgeschickt hatte, machte ich mich auf den Weg nach Hause. Meine Wohnung außerhalb, dort, wo es eben verhältnismäßig billig war zu wohnen.

Mein Name ist übrigens Keguro Tomoki und in damals war ich 21. Eigentlich gibt es sonst nicht viel über mich zu sagen. Ich war – wenn man so wollte – ein Landei und kam mit dem Leben in der Stadt nicht wirklich zurecht. Ich war nach Kyoto gekommen, um dort an der Universität Geschichte in Verbindung mit Religionswissenschaften zu studieren. Manchmal dachte ich, wäre es besser gewesen, den Hof meines Onkels zu übernehmen. Auch wenn dieser nicht mehr gut lief.

Aber nun war ich hier, zumindest hatte ich so neue Freunde gefunden, und auch Mimi, besagte Kommilitonin, die mir die SMS geschickt hatte. Aber das war wieder eine ganz andere Geschichte…
 

Einige Stunden später, es war bereits dunkel, war ich auf dem Weg zu der Bar, wo ich mich mit den anderen treffen wollte, beziehungsweise, ich suchte den Weg. Ich hatte in der Straßenbahn etwas getrödelt und war eine Station zu weit gefahren. Eigentlich nicht viel, doch ich fand den Weg zur Bar trotzdem nicht. Ich hatte einfach keinen Orientierungssinn im Dunkeln.

So kam es, dass ich mich vor einem Tempel wieder fand, in dem noch Licht brannte. In der Hoffnung, dass vielleicht eine Miko oder ein Priester, wer auch immer da war, sich auskannte, ging ich die kurze Treppe zu dem kleinen Tempel hoch. Dort war tatsächlich eine Miko, die die Reste des Herbstlaubs beiseite fegte und noch eine weitere Frau, vielleicht so alt wie ich. Außerdem erkannte ich, voller Überraschung, dass es ein Inaritempel war.

„Ent… Entschuldigung“, sprach ich die Miko verlegen an. Ja, ich war auch schüchtern.

Sie sah auf und mich fragend an.

„Ich habe mich“, begann ich. „Glaube ich… Verlaufen. Ich war auf dem Weg zur Meikuda Bar und…“

Irgendetwas an dem Blick der Miko verängstigte mich. „Und deswegen kommst du in einen Tempel?“, fragte sie, fast empört.

Ich lächelte verlegen und schwieg. Als sie nichts sagte – sie schien wirklich sauer zu sein, nun, sie war auch schon etwas älter – wandte ich mich dem Tempel zu um ein kurzes Gebet zu machen, vielleicht würde sie das gnädiger Stimmen. Ich kniete mich am Schrein hin, steckte ein Räucherstäbchen an und schloss die Augen, die Hände gegeneinander gepresst.

Plötzlich legte jemand die Hand auf meine Schulter und ließ mich zusammen fahren. Ich fuhr herum. „Was…“

Die andere Frau, die im Tempel gewesen war, stand hinter mir, und grinste mich an. „Darf ich stören?“, fragte sie.

Perplex nickte ich, ehe ich mich kurz noch einmal dem Schrein zu wandte, um das Gebet zuende zu bringen. Dann erhob ich mich und musterte sie. „Was…“, begann ich, doch sie unterbrach mich schon.

„Ich habe gehört, dass Sie zur Meikuda wollen, und wenn ich Sie begleiten darf, könnte ich Ihnen den weg zeigen“, meinte sie, wobei sie sehr schnell sprach.

„Ähm“, murmelte ich, völlig überrumpelt. Sollte das etwa eine Anmache sein? Ich wurde rot. „Nun ja, also, an sich… Natürlich“, erwiderte ich schließlich.

„Gut, kommen Sie“, sagte sie nur und lief schon die Treppen herunter.

Immer noch mit der Situation überfordert folgte ich ihr einfach.

Auf dem Weg zur Bar redete sie ununterbrochen, doch ich hörte nicht wirklich zu, bis sie mir einen heftigen Stoß in die Seite versetzte. „Sie hören mir gar nicht zu!“, empörte sie sich und sah mich böse an.

„Oh..:“ Ich kratzte mich verlegen am Kopf. „Entschuldigung… Was war denn?“

„Ich wollte fragen wie Sie heißen“, meinte sie.

„Tomoki, Keguro Tomoki“, erwiderte ich. „Und Sie?“

„Yuki“, antwortete sie.

„Und weiter?“

„Einfach nur Yuki!“ Sie grinste mich an und ich seufzte.

Dann kamen wir an der Bar an, in der Mimi und die anderen bereits warteten. Naja, eigentlich warteten sie nicht, denn sie waren schon ausführlich am Feiern. Einer von ihnen, Kouga, war bereits gut angetrunken und rief nach einem weiteren Bier.

„Du bist ganz schön spät dran“, stellte Mimi fest, als ich mich neben sie setzte.

Ich wollte etwas erwidern, als Iteki, ebenfalls ein Student, mich schon unterbrach: „Was’n das für ne hübsche Lady, die du da mitgebracht hast? Etwa deine Freundin?“

Nun lief ich knallrot an, woraufhin die anderen, auch Mimi, anfingen zu lachen, was meinen Zustand nicht verbesserte.

„Entschuldigt, bitte, dass ich so einfach mit ihm mitgekommen bin“, antwortete Yuki nun einfach statt meiner. „Euer Freund hatte sich wohl verlaufen und ich hab ihn hergebracht, nachdem ich ihn getroffen habe.“

Die anderen lachten.

„Dann bist du noch solo?“, fragte Kouga sie nun.

„Vielleicht“, erwiderte sie nur und grinste ihn an.

Danach war das Thema zum Glück erst einmal vom Tisch.

Wir waren mit mir und Yuki zusammen neun und eine ausgelassene Gesellschaft. Auch ich trank Bier und Sake, wie die anderen. Nur Yuki trank keinen Alkohol. Am Abend hatte ich auch genug Zeit sie genauer ins Auge zu fassen. Sie war selbst für eine Japanerin sehr klein und hatte feine Züge. Ihr ganzer Körperbau wirkte sehr zierlich. Ihr Haar war fast Schulterlang und schwarz. Ihre Haut blass. Was aber wirklich auffällig an ihr war, waren die Augen, die in einem goldenen Ton schimmerten. Ja, man konnte sie wirklich als hübsch bezeichnen. Trotzdem kam sie für mich nicht an Mimi heran, auch wenn diese eigentlich nicht dem japanischen Schönheitsideal entsprach.

Mimi war fast so groß wie ich, hatte dunkle, honigfarbene Haut und war recht sportlich gebaut. Zwar hatte auch sie schwarzes Haar, jedoch war dieses relativ kurz und mit rötlichen Strähnen durchzogen. Ihre Kleidung war oft sehr hell und hob sich so von ihrer Haut ab. Aber das war es nicht, was mir so an ihr gefiel…

Ich vertrieb die Gedanken aus meinem Kopf, indem ich mich von den Mädchen abwandte und weiter Alkohol trank. Dabei wusste ich eigentlich, dass ich nicht sonderlich viel vertrage, weshalb der Rest des Abends irgendwann in einem Gemisch aus Farben endete, ohne dass ich mich an etwas erinnerte.
 

Es war schon Mittag, als ich aufwachte, und mein Kopf fühlte sich an, als würde er im nächsten Moment explodieren. Auch der Rest meines Körpers schmerzte und ich fragte mich schon ob ich krank war, als mir der alkoholreiche, vergangene Abend einfiel. Daraus schloss ich, dass die Schmerzen von einem ausgewachsenen Kater her rührten.

Ich blieb noch etwas liegen, zu faul auch nur einen Finger zu bewegen. Wahrscheinlich wäre ich bis Abends liegen geblieben, hätte mich nicht der Harndrang auf die Toilette getrieben, wo ich mich, nachdem ich Abhilfe geleistet hatte, auch erst einmal wusch. Mir fiel auf, dass ich noch vollständig bekleidet war und die Sachen nach Alkohol, Schweiß und Rauch stanken. Also zog ich sie, bis auf die Unterhose aus, und schmiss sie in den Wäschekorb, ehe ich mich auf den Weg in die Küche – die eigentlich ein Teil des Wohnzimmers war – machte und mir dort Cornflakes, ein Schälchen, ein Löffel und Milch holte, mit denen ich mich auf das Sofa im Wohnzimmer setzen wollte. Ja, das wollte ich, nur dummerweise saß schon jemand dort.

Mit einem Klirren und einem Platschen fielen die Sachen auf den Boden. „Was…“, stotterte ich und sah Yuki an, die sich auf meinem Sofa breit gemacht hatte.

Sie grinste mich an. „Hast du deinen Rausch ausgeschlafen?“, fragte sie und stand schon auf um die Sachen vom Boden aufzusammeln.

„Was…“, begann ich erneut. „Warum bist du in meiner Wohnung?“ Wieder errötete ich, da mir bewusst wurde, dass ich nur Boxershorts trug. Schnell verschwand ich in mein Zimmer, ohne eine Antwort von ihr abzuwarten. Als ich das Zimmer – nun wieder angezogen – betrat, hatte sie bereits den Boden aufgewischt und mir Milch in die Schüssel gegeben.

„Du solltest weniger trinken“, meinte sie und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Fernseher zu.

Ich schwieg und setzte mich neben sie.

„Du warst gestern Abend so betrunken, dass du kaum laufen konntest. Mimi hat mich gebeten, dich nach Hause zu bringen“, beantwortete sie schließlich meine Frage. „Und deshalb…“ Die brach kurz ab. „Ich dachte ich passe besser auf dich auf und bin daher über Nacht hier geblieben.“

„Oh…“ Ich wusste nicht wirklich was ich sagen wollte. Daher nahm ich die Schüssel vom Wohnzimmertisch und gab die Cornflakes hinzu, ehe ich anfing zu essen. Ich hatte wohl wirklich zu viel getrunken… Und das ausgerechnet vor Mimi… Ich seufzte.

„Was ist?“, fragte sie.

„Ach, es ist nichts“, erwiderte ich. „Mir ist es nur peinlich, verstehst du? Ich bin eben ein echter Idiot… Was ich denn der einzige, der so betrunken war?“

Sie kicherte. „Nein, mach dir keine Sorgen, der eine Kerl mit den langen Haaren…“

„Kouga?“

„Ja, genau, er hat getrunken, bis er umgekippt ist und ist dann einfach auf dem Boden eingeschlafen.“

Auch ich musste lachen. Kouga trank immer, wenn er feierte – und er fand immer einen Grund zum feiern –, so lange, bis es umfiel. Das war nicht das erste Mal. Kein Wunder, dass er keine Freundin hatte.

Na ja, aber da ging es mir nicht wirklich besser.

„Sag mal?“, meinte ich nun an Yuki gewandt. „Haben sich deine Eltern oder deine Mitbewohner keine Sorgen gemacht, wenn du nicht nach Hause gekommen bist? Oder wohnst du alleine?“

Statt zu antworten, grinste sie verlegen. „Nein, nein, so ist es nicht“, erwiderte sie dann. „Ich wohne nicht hier.“

„Aber…“, setzte ich an, doch sie sprach schon weiter:

„Ich bin eigentlich nur in Kyoto, um jemanden zu besuchen.“ Sie seufzte.

„Und der? Macht sich der keine Sorgen?“, fragte ich weiter.

„Nein, wohl eher nicht… Ich… habe ihn nicht gefunden.“

„Oh“, machte ich wieder. „Und was machst du jetzt? Fährst du nach hause zurück?“

„Das geht leider nicht“, begann sie und schien zu überlegen. „Weil, die Flieger… sind ausgefallen…“

„Wieso?“

„Winter.“

Ich sah sie misstrauisch an. „Woher bist du?“

„Hokkaido“, murmelte sie.

Daraufhin schwieg ich. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich mich, doch ich wusste nicht warum. Nun, zumindest schien sie, Weihnachten aus demselben Grund nicht mit ihrer Familie verbringen zu können, wie ich – auch wenn ich immer noch hoffte, dass der Flugverkehr morgen wieder möglich war…

Ich zuckte zusammen. Vielleicht hatte meine Familie mir etwas geschrieben. Ich stand auf und ging zum Telefontisch, auf welchem ich mein Handy abgelegt hatte, dann seufzte ich. Der Akku war leer.

„Was ist?“ Yuki sah zu mir hinüber.

„Ich wollte sehen… Meine Familie wollte eigentlich über Weihnachten kommen und ich dachte, sie hätten mir vielleicht etwas geschrieben.“ Mit dem ausgeschalteten Handy in der Hand stapfte ich zum Sofa hinüber und ließ mich wieder drauf fallen.

„Sie kommen nicht“, erwiderte das Mädchen nur und zeigte auf den Fernseher, dem ich bisher keine Beachtung geschenkt hatte. Sie schien sich die ganze Zeit eine Sendung, über die Schneefälle in Hokkaido angesehen zu haben, in der grade über den vorläufigen Zusammenbruch der Infrastruktur berichtet wurde.

Meine Stimmung sank drastisch, als ich den Videotext öffnete und dort die Liste der stillgelegten Flughäfen durchging. „Verdammt“, murmelte ich. Mir war zum Heulen zumute. Vermutlich dachte ich auch deshalb nicht darüber nach, woher sie wusste, wo ich herkam…

„Und was wirst du jetzt machen?“, fragte sie nach einer Weile.

Ich schwieg und sah auf die Schale mittlerweile matschig gewordener Cornflakes. Mir war der Appetit vergangen. Dabei hatte ich so gehofft, dass es sich noch ausgehen würde. Jetzt saß ich Weihnachten hier fest. Irgendwie schien das Leben sich mal wieder gegen mich verschworen zu haben – und ja, ich weiß, dass ich wehleidig bin!

„Yuki“, begann ich nach einer Weile. „Hast du überhaupt eine Unterkunft hier in Kyoto?“

„Na ja, eigentlich wollte ich in ein Kapselhotel absteigen“, antwortete sie. „Wieso?“

„Willst du hier bleiben, bis die Flüge wieder gehen?“ Ich sah sie an. „Dann wären wir Weihnachten zumindest nicht alleine.“

Daraufhin lächelte sie. „Wenn es dich wirklich nicht stört.“

Ich schüttelte nur den Kopf. „Das ist schon in Ordnung.“ Und einen Moment lang hatte ich den Eindruck, dass ihre goldenen Augen von Innen heraus zu leuchten schienen.
 

Am Abend des Tages saßen Yuki und ich in einem anderen der vielen Fastfood-Restaurants in Kyoto, wobei es sich dieses Mal jedoch um ein einheimisches handelte: Einen Ramenladen. Das ganze rührte von der leidlichen Angelegenheit her, dass meine Kochkünste sich auf heißes Wasser in einen Topf mit Fertignudeln oder die Tiefkühlpizza in den Ofen geben beschränkten. Und da ich meinen neuen Gast nicht kochen lassen wollte – auch wenn sie es angeboten hatte – aßen wir eben hier.

Die Bude, das traf das Lokal wohl besser, war recht zugig, da sie nur aus einer Theke und ein paar überdachten Tischen bestand, aber immerhin: Sie war billig und Yuki schien es nicht zu stören.

Allgemein schien Yuki sehr freundlich zu sein, wenngleich sie eine ziemliche Labertasche war – aber das könnte auch einfach daran liegen, dass sie eine Frau war. Zumindest saß sie nun mir gegenüber, den Rücken der Straße zugewandt, und schlürfte eine riesige Schüssel mit Shio Ramen aus. Dabei unterließ sie es jedoch nicht, jedes Mal, wenn sie absetzte, mir irgendwas von ihrem zu Hause zu erzählen oder mich irgendwas zu fragen, was ich dann kurzsilbig beantwortete.

Als sie endlich – sie hatte sich Nachschlag geholt – mit dem Essen fertig waren, standen wir auf und bummelten durch die Stadt. Wieder fiel mir der extrem kitschige Weihnachtsschmuck, der die Innenstadt durchzog auf und auch Yuki verzog das Gesicht, als sie aus einem Kaufhaus „Santa Claus is comming in the town“ vernahm.

„Es ist komisch, findest du nicht?“, fragte sie.

„Was?“ Ich sah sie verwirrt an.

„Das wir Weihnachten feiern“, erwiderte sie.

„Wieso meinst du?“

Sie blieb stehen. „Na ja, weißt du“, begann sie. „Weihnachten ist ein Fest, was sie Christen feiern, deswegen ist es auch in Europa und Amerika so verbreitet. Aber bei uns gibt es eigentlich kaum Christen und es wird trotzdem gefeiert. Ich meine, schau dir den ganzen Kitsch an, eigentlich geht es nur um Geld, oder? Es ist eigentlich alles so…“ Sie schien nach einem Wort zu suchen. „Eben so westlich.“

„Ja, und?“ Irgendwie verstand ich nicht, worauf sie hinaus wollte. „Das ist Globalisierung, nehme ich an. Sie dir die Geschäfte an, viele davon kommen aus Amerika.“

„Darum geht es nicht“, erwiderte sie. „Ich finde nur… Viele von den Festen, die wir früher feierten, sind unwichtig geworden und ein vollkommen fremdes Fest wird so aufgebauscht. Ich finde es nicht richtig.“ Sie machte kurz eine Pause. „Ich meine, grade von den Jungen Leuten hier in der Stadt, gehen gar nicht mehr in die Tempel. Allgemein ist in den Städten alles so anders.“

Ich nickte. „Ja, stimmt, aber das ist eben so.“ Dabei erinnerte ich mich noch selbst, dass es zu Hause ganz anders war. Bei uns wurde sehr viel auf die Worte und die Ehre der Götter geachtet und die Tempel waren auch in einem viel besseren Zustand als hier. Aber zu Hause war eben vieles Anders als hier. Außerdem hatte ich von vielen anderen Ländern gehört, wo die Kultur noch viel mehr in Vergessenheit geraten war, als hier. Wieso sollte ich mir also so viele Gedanken darüber machen?

„Komm!“, meinte Yuki auf einmal und nahm mich an der Hand, um mich voran zu zerren.

„Was…“, rief ich überrascht aus. „Wohin willst du?“

„Komm einfach mit“, forderte sie mich auf und zog mich schon in Richtung der nächsten Station der U-Bahn Karasuma Linie.

Etwas später und nach einmal Umsteigen, waren wir im Maruyama Park, dem größten Park Kyotos.

„Was willst du hier?“, fragte ich.

Sie lächelte matt und ging zu einer Bank hinüber. „Hier sind Bäume“, erwiderte sie.

„Und?“ Sie hatte mich schon wieder verwirrt.

„Und hier sind Tempel.“

Ich zuckte mit den Schultern und ging zu ihr hinüber. „Ich weiß, Bäume gibt es hier in der Stadt nicht mehr so viele. Trotzdem verstehe ich nicht, was du hier willst.“

Daraufhin drehte sie sich zu mir um. „Du erinnerst dich nicht mehr an mich, oder?“, fragte sie.

„Was?“, erwiderte ich.

„Als du ein kleines Kind warst.“ Sie sah mich mit ihren merkwürdigen, goldenen Augen an.

„Ich weiß nicht“, begann ich, brach dann aber ab. Doch, da war noch eine Erinnerung an das Mädchen mit den goldenen Augen. Es war eine verschwommene Erinnerung, doch jetzt, wo ich in ihre Augen sah, kam sie wieder hoch. „Du warst das Mädchen am Inari Schrein?“, fragte ich verwirrt.

Statt etwas zu erwidern, trat sie auf mich zu und legte die Arme um mich. „Ich hatte eigentlich gehofft, du würdest mich auch so erkennen“, murmelte sie.

Langsam begriff ich. „Dann warst du wegen mir in Kyoto?“

Sie nickte nur, ihren Kopf an meine Brust geschmiegt.

Erst jetzt wurde mir bewusst, dass es ein für etwaige Beobachter eindeutiges Bild abgeben musste, und ich wurde rot. „Was machst du denn da?“, fragte ich und versuchte sie von mir weg zu drücken, was sie jedoch ignorierte.

„Ich hatte die ganze Zeit gehofft dich wieder zu sehen, weißt du?“, flüsterte sie.

„Aber du warst doch damals nicht mehr da“, murmelte ich. „Wieso eigentlich?“

Wieder schwieg sie für einen Moment. Dann sah sie mich auf einmal an, stellte sich auf die Zehen und drückte ihre Lippen gegen meine.

Ich war erstarrt. Was sollte das alles auf einmal? Ich meine, eigentlich hatte ich mir schon oft gewünscht, dass mich ein Mädchen… Aber irgendwie… Es war nicht richtig, weil… Ich war eben ein Idiot.

Erneut versuchte ich sie von mir weg zu schieben, doch sie ignorierte mich einfach. „Verdammt, Yuki, hör auf“, zischte ich und wollte sie nun weg schubsen, wobei ich – geschickt wie ich war – jedoch nur selbst das Gleichgewicht verlor und rückwärts auf den Boden fiel.

Sie kicherte, als sie auf mir landete. „Du warst schon immer ungeschickt.“

„Yuki, lass mich“, flüsterte ich.

„Wieso denn?“, fragte sie und sah mich – breitbeinig auf mir sitzend – mit einem ziemlich herzerweichenden Blick an. „Hast du schon eine Freundin?“

„Nein, also…“, begann ich. Ich konnte ihr doch nicht sagen, dass ich in Mimi verliebt war. „Es ist einfach… Es ist nicht richtig… Ich… Ich meine… Ich fühle mich ja geehrt, aber… Ach… Ich…“, stotterte ich herum, als uns eine Stimme vom Weg her unterbrach:

„Tomoki?“

Ich drehte den Kopf soweit ich konnte und wurde im nächsten Moment noch röter, als ich eh schon war. „Mimi…“, murmelte ich. Bildete ich mir das ein, oder war sie ebenfalls rot geworden?

„Es tut mir leid, ich…“, begann sie. „Ach, vergiss es. Wir sehen uns…“ Damit drehte sie sich auf dem Absatz um.

„Mimi“, rief ich halblaut, doch sie reagierte nicht, wenn sie mich überhaupt hörte. „Verdammt“, murmelte ich.

„Was ist denn?“, fragte Yuki.

„Du…!“, fuhr ich sie an, ließ es dann aber doch sein. „Lass mich gehen, bitte.“

Sie sagte nichts und senkte den Blick.

„Bitte, lass mich gehen“, versuchte ich es noch einmal.

„Ist es sie?“, fragte sie dann.

Nun schwieg ich.

Sie seufzte. „Ich hätte vielleicht eher kommen sollen…“

„Vielleicht“, erwiderte ich.

Schweigen.

„Es tut mir leid, dass ich ein Idiot bin“, murmelte ich schließlich.

„Du bist kein Idiot“, meinte sie und stand endlich auf. „Du bist eben du. Du bist ungeschickt und kannst einfach nicht sagen was du denkst. So warst du schon als Kind. Ich bin wohl eher selbst der Idiot.“

Nun, wo sie von mir runter war, stand ich auf. „Ach was“, meinte ich und lächelte sie an. „Ich… Es tut mir leid.“ Ich strich ihr kurz durchs Haar, als ich wieder an Mimi dachte. „Wir sehen uns später.“

Damit lief ich in die Richtung, in die Mimi verschwunden war. Wieso war sie überhaupt hier gewesen? Ach, ich war einfach vom Pech verfolgt. Wieso musste so was eigentlich immer mir passieren?

Die Antwort war einfach: Weil ich ein Idiot war! Es wäre dazu nicht gekommen, hätte ich Mimi schon früher gesagt, was ich für sie empfinde. Na ja, zumindest wäre die Situation dann nicht halb so blöd gewesen. Oder wenn ich Yuki sofort erkannt hätte… Vielleicht wäre es dann zumindest ein bisschen einfacher geworden. Oder wenn ich sie sofort weg gestoßen hätte. Oder wenn ich mich am Abend vorher nicht so besoffen hätte. Wenn ich einfach nicht so ein Idiot wäre!

Ich blieb stehen. Wahrscheinlich war Mimi eh schon weg. Wieso rannte ich also so komplett ziellos durch die Gegend? Außerdem war es doch eh egal, wie sie mich gesehen hatte. Wir waren kein Paar und wahrscheinlich war es ihr einfach nur peinlich uns so gesehen zu haben. Wahrscheinlich war sie deshalb weggelaufen.

Vielleicht wäre es besser zu Yuki zu gehen und… Und dann?

Unschlüssig setzte ich mich wieder in Bewegung, immer noch grade aus, wenngleich ohne ein Ziel oder die Hoffnung Mimi zu finden. Vielleicht war es ohnehin besser so… Immerhin war ich eben nichts Besonderes. Ich war eben ich. Und Mimi… Sie war eben sie.

Erneut blieb ich stehen, dieses Mal vor einem Torii, das zu einem der Tempel hier im Park führte. Ich musste an das denken, was Yuki gesagt hatte. Eigentlich stimmte ich ihr ja zu, trotzdem wollte ich Weihnachten feiern. Einfach als ein Fest der Familie und Freunde. Deswegen wollte ich auch nicht allein sein, wollte nicht, dass jemand sauer auf mich ist oder was Falsches von mir denkt.

Ich war so in Gedanken versunken, dass ich erst jetzt bemerkte, dass jemand am Tempel kniete. Jemand den ich suchte. „Mimi“, flüsterte ich und machte ein paar schnelle Schritte auf den Tempel zu. „Mimi, was… was machst du hier?“, fragte ich, als ich am Fuß der Treppe stand, die zum Tempel hinauf führte.

Sie fuhr herum. „Tomoki“, murmelte sie und fuhr sich mit dem Handrücken durch das Gesicht.

Hatte sie etwa geweint?

„Was machst du hier?“, wiederholte ich meine Frage.

Sie verbeugte sich vor dem Tempel und stand auf. „Dasselbe könnte ich dich fragen“, erwiderte sie.

„Ich hab dich gesucht“, antwortete ich kleinlaut.

„Ach so?“, meinte sie schnippisch. „Und weswegen? Tut mir leid, dass ich euch vorhin gestört habe.“

Was war denn mit ihr los?, fragte ich mich verwirrt. „Du hast nicht gestört“, antwortete ich. „Das…“

„Was?“

Ich wurde rot. „Ich weiß nicht was du denkst, aber es war nicht so, wie es ausgesehen hat!“ Man, klang dieser Spruch abgekartert.

„Ach ja?“, schnauzte sie mich an.

„Ja“, antwortete ich. „Ehrlich. Yuki und ich… Ich meine… Yuki kommt aus demselben Dorf, wie ich und wir kennen uns schon seit wir Kinder waren…“

„Und wieso hast du das gestern nicht schon gesagt, als du sie vorgestellt hast?“ Mimi sah mich mit wütendem Blick an.

Ich fasste mir an den Kopf. Ich verstand sie einfach nicht. Wieso war sie denn nur so wütend? Das war doch einfach widersinnig. „Ich wusste nicht, wer sie war. Ich hab sie das letzte Mal gesehen, da war ich vielleicht sechs oder so…“, rechtfertigte ich mich verzweifelt. Wie sollte ich ihr das nur erklären?

„Und wieso hast du sie dann geküsst?“

„Was?“, fragte ich. „Ich… Ich hab sie nicht geküsst!“

„Sah aber danach aus!“ Sie wandte sich ab.

„Nein, ich hab sie nicht geküsst“, wiederholte ich. „Sie hat mich geküsst!“

„Sicher!“, erwiderte Mimi.

„Mimi, bitte glaub mir, ich…“ Ich wusste nicht, wie ich mich rechtfertigen sollte. „Wieso bist du überhaupt so sauer?“

Sie blitzte mich an. „Ich bin nicht sauer!“

„Doch, du bist sauer. Wieso?“

„Ach, lass mich in Ruhe.“ Sie wollte davon laufen, doch diesmal hielt ich sie fest.

„Mimi“, begann ich, doch sie gab mir eine Ohrfeige.

„Lass mich in Ruhe!“, schrie sie noch einmal.

Ich schwieg kurz. „Nein, dass werde ich nicht!“ Mit ein paar Schritten hatte ich sie überholt und stellte mich vor sie. „Mimi, jetzt hör mir zumindest einmal zu.“ Ich hielt sie an den Schultern fest. „Yuki und ich kommen aus dem selben Dorf, aber wir haben uns seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen, dann hab ich sie gestern getroffen und sie hat sich an mich heran gehängt und ich hatte gar keine Ahnung wer sie war. Da sie angeblich wegen der Wetterlage auf Hokkaido nicht nach Hause konnte, hab ich ihr angeboten bei mir zu bleiben und wir waren heute essen und dann ist sie auf einmal mit mir hergefahren und mir ist wieder eingefallen, wer sie ist und irgendwie scheint sie sich in mich verliebt zu haben – jedenfalls hat sie mich geküsst – und ich wollte sie wegstoßen und bin dann mit ihr zu Boden gefallen und dann warst du da und ich…“ Ich holte Luft. „Es tut mir leid, dass es so komisch aussah und ich wollte auch sicher nicht, dass du es siehst, weil ich… Ich will nichts von Yuki, auch wenn ich sie schon lange kenne… Ich…“ Nun wurde ich rot. „Nein, ich will nichts von Yuki, auch wenn sie die erste ist, die was von mir will, aber ich liebe sie halt nicht, weil da jemand anderes ist…“

„Und wer?“ Mimi sah mich noch immer wütend an.

„Na ja, ein anderes Mädchen, eher eine Frau“, begann ich stammelnd.

„Die Glückliche“, meinte sie nun voller Sarkasmus und wollte sich von mir losreißen, doch ich hielt sie fest.

„Jetzt hör mir doch zu!“

„Wieso sollte ich?“, fragte sie.

„Weil…“ Wie sollte ich es ihr denn nur sagen? „Weil ich…“ Verzweifelt versuchte ich etwas zu sagen, während sie noch immer versuchte sich loszureißen. Da reagierte ich plötzlich ganz von selbst: Ich zog sie an mich heran und nahm sie in den Arm. „Mimi, das Mädchen in das ich mich verliebt habe… Na ja… Eigentlich… Eigentlich…“ Noch immer wehrte sie sich. Ich musste es jetzt sagen. „Eigentlich bist das du.“

Sie schwieg und hielt still.

Ich atmete überrascht ein. Endlich hatte ich es geschafft es ihr zu sagen. „Nun…“, begann ich noch einmal vorsichtig. Es ist eben so, ich glaube, ich habe mich in dich verliebt.“ Ich lachte verlegen und schob sie nun wieder von mir um sie anzusehen. „Na ja, eigentlich glaube ich es nicht nur, ich weiß es. Ich bin in dich verliebt, Mimi. Deswegen habe ich Yuki auch abgewiesen.“

„Was?“, fragte sie auf einmal nicht mehr wütend.

„Ich bin in dich verliebt“, wiederholte ich nun etwas selbstbewusster, wenngleich immer noch mit glühendem Gesicht. Nun, wo ich es einmal gesagt hatte, war es gar nicht mehr so schwer.

Da fing sie auf einmal an zu lachen und wischte sich wieder über die Augen.

„Was ist?“, fragte ich verwirrt.

Sie schüttelte den Kopf und legte auf einmal die Arme um meinen Hals, wie es vorher Yuki getan hatte, um sich an mich zu drücken.

Immernoch verwirrt legte ich vorsichtig meine Arme um sie. „Was ist?“, fragte ich dann noch einmal.

„Nichts“, erwiderte sie. „Ich bin nur irgendwie dumm, Tomoki. Ich bin dumm.“

„Nein, dass bist du ganz und gar nicht“, protestierte ich.

„Doch, dass bin ich.“

„Wieso?“, fragte ich vorsichtig.

Sie schwieg kurz. „Weil ich dachte, dass ich mir das nur einbilde.“

„Was?“

„Naja, die Art, wie du mich ansieht. Weil, nun, weißt du… Ich mag dich sehr gerne.“ Sie lächelte mich auf einmal etwas schüchtern an. „Um genau zu sein, glaube ich auch, dass ich mich in dich verliebt habe.“ Nun lächelte sie.

„Wirklich?“, fragte ich ungläubig.

Ihr Lächeln wurde breiter. „Wirklich“, antwortete sie, woraufhin auch ich zu lachen anfing.

„Dann bin ich wirklich ein Idiot“, murmelte ich schließlich.

„Ich mindestens genauso wie du“, erwiderte sie.

Ich lächelte sie an. „Vielleicht…“

Da streckte sie mir die Zunge heraus und im nächsten Augenblick küsste sie mich.

Einen Moment lang, war ich wieder wie erstarrt – immerhin war ich vorher noch nie von einem Mädchen geküsst worden und dann gleich von zweien an einem Tag – doch dann begann ich vorsichtig und etwas schüchtern den Kuss zu erwidern.

Ich konnte es immer noch nicht fassen. Wie konnte es denn sein, dass mich Mimi, ausgerechnet Mimi, liebte? Ausgerechnet einen Trottel wie mich. Und trotzdem war ich im Moment glücklicher als je zuvor.

Als wir uns schließlich voneinander lösten, sah sie mich lächelnd an. „Danke“, flüsterte sie.

„Für was?“, fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf. „Einfach nur dafür, dass du hier bist.“

Ich lächelte verlegen. „Schon gut…“

Wir schwiegen.

„Na ja, du“, begann ich schließlich, eigentlich nur um irgendwas zu sagen. „Soll ich, soll ich dich nach Hause bringen? Ich meine, es ist schon dunkel und… Na ja…“ Wieder lächelte ich sehr verlegen.

„Wenn du magst“, erwiderte sie.

Ich grinste. „Nun, ja… Dann, wollen wir gehen?“

„Ja“, murmelte sie und nahm meine Hand.

„Wo wohnst du überhaupt?“, fragte ich, während ich mich langsam in Bewegung setzte.

„Nicht weit von hier.“ Sie nannte mir ihre Adresse.

„Okay“, murmelte ich und so machten wir uns auf den Weg, beide nicht wirklich wissend, was wir sagen sollten. Es war wirklich ein merkwürdiges Gefühl. Vor nicht mal drei Stunden hätte ich es für unmöglich gehalten, dass ich für Mimi wirklich wichtig wäre, geschweige denn, dass sie meine Gefühle nur im Entferntesten erwidern könnte und nun ging ich mit ihr Hand in Hand und… Es war einfach nicht zu fassen.

Trotzdem, wäre Yuki nicht gewesen, wäre es nicht dazu gekommen. Ich sollte wirklich mit ihr reden, wenn ich wieder zu Hause wäre. Immerhin musste ich sie auch wirklich verletzt haben und das hatte ich wirklich nicht gewollt. Die Situation war einfach nur blöd gewesen.

„Ich werde nachher wohl mit Yuki reden müssen“, meinte ich.

„Wieso?“, fragte Mimi.

„Ich habe sie verletzt“, murmelte ich.

Sie erwiderte nichts und wir gingen schweigend weiter, bis wir vor dem großen Apartmenthaus ankamen, indem sie wohnte.

„Willst du noch mit rauf kommen?“, fragte sie mich.

Ich wurde rot. „Nur wenn es für dich in Ordnung ist.“ Eigentlich war es hier fast ein Tabu einfach so bei seiner Freundin (?) in die Wohnung zu kommen, jedenfalls, wenn man noch nicht lange zusammen war und vorher nicht dort gewesen war.

Sie lächelte nur und nahm wieder meine Hand. „Aber nur wenn dich Treppenlaufen nicht stört“, lachte sie dann und machte sich dann mit der freien Hand daran die Tür auf zu schließen.

Als wir schließlich ihre Wohnung (im vierten Stock) betraten, war ich doch etwas geschockt. Ich hatte ohnehin erwartet, dass es eine kleine Wohnung ist, aber nicht die Unordnung die herrschte. Es sah grausamer aus als bei mir, wenn ich zwei Wochen nicht aufgeräumt hatte.

„Tut mir leid, dass es so unordentlich ist“, entschuldigte sie sich, als sie meinen Gesichtsausdruck sah.

„Ist nicht schlimm“, antwortete ich.

„Normal kommt hier eh niemand rein“, erklärte sie. „Und daher… Ich bin etwas putzfaul.“

Ich lächelte sie an und küsste sie nach kurzem zögern auf die Stirn. „Ist in Ordnung – ehrlich.“

Wieder kicherte sie leise. „Naja, vielleicht sollte ich trotzdem die Tage mal aufräumen.“ Sie sah sich in ihrem Chaos um. „Ich meine, wenn wir jetzt zusammen sind – wir sind doch zusammen, oder?“

„Ja, ich glaube schon“, meinte ich. „Jedenfalls wenn du willst.“

„Idiot“, erwiderte sie sanft.

Wieder schwieg ich verlegen.

„Was“, setzte ich nach einer Weile an. „Was machst du eigentlich an Weihnachten, also morgen. Bist du nicht bei deiner Familie? Ich meine, es ist frei.“

Sie schwieg eine Weile. „Ich habe keine Familie“, murmelte sie. „Jedenfalls nicht wirklich. Meine Mutter… Sie ist schon lange tot. Und mein Vater trinkt.“

„Tut mir leid“, flüsterte ich. „Und sonst?“

„Sonst ist da niemand, jedenfalls nicht hier. Ich habe eine Großmutter, aber die wohnt in Amerika, daher kann ich sie nicht so einfach besuchen.“

Ich nickte. „Wenn du… Na ja, wenn du willst, kannst du morgen zu mir kommen. Meine Familie… Wie gesagt, sie kommt auch nicht und wenn es dich nicht stört, dass Yuki da sein wird, kannst du gerne kommen.“

„Wenn es sie nicht stört“, meinte sie. „Ich… Ich würde sehr gern kommen.“

Wir lächelten beide, ehe wir uns ein zweites Mal küssten.
 

Als ich bei meiner Wohnung ankam, grinste ich noch immer wie ein Honigkuchenpferd. Es war einfach unfassbar, was heute passiert war. Es fiel schon fast in die Kategorie persönliches Weihnachtswunder. Trotzdem wurde mir etwas flau im Magen, als ich daran dachte, dass ich nun mit Yuki reden müsste. Was sollte ich ihr denn sagen?

Schließlich schloss ich die Tür zu meiner Wohnung (ich hatte Yuki den Zweitschlüssel gegeben) auf. Drinnen brannte Licht und es roch nach Kakao.

„Ich bin zu hause“, meinte ich kleinlaut, als ich in die Filzpantoffel schlüpfte und die Wohnung betrat.

Yuki lächelte mich an. „Hallo“, begrüßte sie mich. „Ich… Ich habe heißen Kakao gemacht, wenn du willst, der Topf steht in der Küche.“

„Danke“, erwiderte ich und nahm dies gleich als Gelegenheit das Gespräch um ein paar Minuten zu verschieben. Als ich mich jedoch kurz darauf mit einer Tasse Kakao neben sie auf die Couch setzte war das flaue Gefühl wieder da.

„Yuki“, begann ich und stellte die Tasse auf den Tisch. „Ich… Es tut mir leid…“

Sie sah mich überrascht an. „Weshalb?“, fragte sie dann mit besorgtem Gesicht.

„Na ja, ich hab dir doch vorhin einen Korb gegeben und ich… Na ja, ich wollte dich nicht verletzten, tut mir leid.“ Ich seufzte.

„Ist schon in Ordnung“, erwiderte sie. „Es ist meine Schuld. Ich… Was habe ich erwartet, nachdem ich jetzt auf einmal auftauche, jetzt, nach so vielen Jahren. Ich hab dich nur bedrängt. Es sollte eher mir leid tun.“

Ich schwieg und sah auf den Fernseher, der wieder lief. „Ist es für dich wirklich in Ordnung?“, fragte ich dann.

„Ja, ich muss wohl damit leben.“

Ich sah aus den Augenwinkeln, dass sie mich anlächelte.

„Danke“, flüsterte ich. „Ich… Ich muss mich sowieso bei dir bedanken. Wenngleich es nicht deine Absicht war, du hast mir sehr geholfen.“

Sie schwieg kurz. „Wieso?“

Auch ich erwiderte nichts, da ich sie nicht vor den Kopf stoßen wollte.

„Ist es das Mädchen, Mimi?“, fragte sie dann. „Erwidert sie deine Gefühle?“

Ich nickte vorsichtig, woraufhin wieder schweigen herrschte.

„Tja, so ist das Leben“, flüsterte sie irgendwann.

„Weißt du, eine Frage habe ich noch“, fiel mir auf einmal ein.

„Was denn?“

„Wieso bist du damals so plötzlich nicht mehr zum Schrein gekommen?“ Ich sah sie forschend an.

Sie lächelte schüchtern. „Du warst damals noch zu jung“, antwortete sie.

„Zu jung für was?“, fragte ich.

Eine Weile lang schwieg sie wieder, als ob sie ihre Antwort überlegen müsste. „Du erwiderst meine Gefühle nicht“, begann sie schließlich. „Von daher denke ich, es ist egal.“ Sie schürzte kurz die Lippen. „Weißt du, ich habe mich schon damals in dich verliebt, doch hätte ich deine Liebe gefordert… Du warst damals zu jung um selbst zu entscheiden, deshalb wäre es nicht rechtens gewesen. Daher habe ich gewartet.“

„Wieso das?“, fragte ich verwirrt.

„Sieh mich an!“, forderte sie mich auf.

„Was?“

„Sieh mich an und blinzle.“

Ihre Worte verwirrten mich.

„Nun mach schon.“

„In Ordnung…“, murmelte ich und tat wie mir geheißen. Ich blinzelte und schreckte zurück. Das konnte nicht sein! Noch einmal sah ich sie blinzelnd an und stand erschrocken auf. „Was bist du?“

Wenn ich sie ansah und angestrengt blinzelte war es, als säße nicht nur ein Mädchen, sondern auch ein Fuchs auf meiner Couch. Doch wenn ich normal sah, war kein Fuchs dort.

„Eine Fuchsfrau“, erwiderte sie und kicherte. „Eine Kitsune.“

„Eine Kitsune?“, fragte ich. Natürlich kannte ich diese Wesen, doch nie hätte ich gedacht… Das war doch nicht möglich!

„Ja, eine Kitsune“, antwortete sie.

Daraufhin schwiegen wir wieder und sahen uns den Anime an, der im Fernsehen lief. Eine Fuchsfrau… Eine Fuchsfrau hatte sich in mich verliebt. Und ich hatte meine Oma immer ausgelacht, weil sie meinte Geister zu sehen.

„Was wirst du jetzt machen?“, fragte ich irgendwann.

„Na ja, weißt du, vielleicht sollte ich noch jemanden einen Besuch abstatten“, meinte sie.

„Und wem?“

„Einer anderen Füchsin“, lachte sie. Dann wanderte ihr Blick zum Fenster. „Es schneit“, stellte sie fest.

Ich folgte ihrem Blick. Es schneite tatsächlich.
 

Ende
 

~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
 

Anmerkungen:

1) Kitsune ist das japanische Wort für Fuchs, wenngleich es hier als "Fuchsfrau" gemeint ist. In japanischen Legenden gibt es Füchse, die menschliche Gestalt annehmen können. Es gibt auch Geschichten, in denen sich ein Mensch in eine Füchsin, die Menschengestalt hat, verliebt und sie heiratet. Er darf jedoch nie erfahren, was seine Frau wirklich ist, denn sonst muss sie ihn verlassen und darf ihn niemals wiedersehen.

2) Inari ist die Göttin des Reis, der Fruchtbarkeit und der Füchse, beziehungsweise wird sie von Füchsen beschützt und verehrt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2011-08-13T10:45:01+00:00 13.08.2011 12:45
Mir fiel beim Ansehen der FF auf, dass dir ein Punkt meines Regelwerkes fehlt: Die Beschreibung der Charaktere. Deswegen muss ich dir leider einen Punkt abziehen.
Als Zweites fällt mir auf, dass es sich hierbei im die Ich-Form handelt, die ich nicht sonderlich gerne mag. Auch wenn du sie gut schreiben magst, so kann ich diesen OS leider nicht bewerten, da ich meine Gründe hatte, diese Form nicht zuzulassen.
An die restlichen Regeln hast du dich allerdings gehalten, weswegen ich dich auch nicht disqualifiziere. Du hast einen sehr interessanten Schreibstil und kannst sehr gut mit Worten umgehen. Wenn ich einen Wettbewerb eröffne, der die Ich-Form zum Thema hat, würde ich dich gern wieder dabei sehen.
Die Charaktere an sich sind übrigens sehr schön gestaltet und sehr umfangreich. Ich bin sicher, dass viele Menschen deine FF lesen würden.

Hannibal Lecter.
Von:  SunWarrior
2008-11-19T21:16:25+00:00 19.11.2008 22:16
eine schöne Weihnachtsgeschichte, die zeigt, was so alles an Weihnachten passieren kann. Schöner Stil.
Naja, ein lein wenig mehr Gefühlsbeschreibungen hätte der Sache Gut getan, aber du vermischt Witz und Gefühl wirklich gut.
Von: abgemeldet
2007-12-29T00:59:53+00:00 29.12.2007 01:59
DANKEEEE~~~
mann bin ich happy :D eine geschichte ganz für mich alleine~~
und ich mag sie sehr! vor allem weil tomoki so ein dussel ist, genau wie ich ^___^ mich freuts dass es ein happy end für seine liebe gibt,
wobei ich es auch interessant gefunden hätte wenn er mit yuki zusammen
gekommen wäre (zwischendrin hatte ich den gedanken ^^°)
ANDERERSEITS muss ich sagen hätte es dann nicht dieses für mich doch sehr lustige ende gegeben ^___^

>>„Was wirst du jetzt machen?“, fragte ich irgendwann.
>>„Na ja, weißt du, vielleicht sollte ich noch jemanden einen Besuch
>>abstatten“, meinte sie.
>>„Und wem?“
>>„Einer anderen Füchsin“, lachte sie.

fand ich persönlich sehr interessant und musste direkt an Hime denken,
die da wohl gemeint ist (hoffe mal ich lieg richtig >__<) und dann wohl
gleichzeitig mit yuki in kyoto abhängt ^^
irgendwie finde ich das ganze doch schon ziemlich interessant so als
sidestory zur 'prinzessin fuchs'.....aber jetzt spinn ich mal wieder rum
weiß ja noch nich mal ob ich mit meiner vermutung richtig lieg +___+°

es gibt ja bestimmt noch so einige kitsune-mädels in deinem story-universum ^^ UND ich muss sagen ich liebe es immer mehr!!!

also nochmal VIELEN LIEBEN DANK dass du dir die mühe gemacht hast
und mir diese tolle geschichte geschrieben hast!! *anspring und umarm*
meine retoure folgt dann so schnell es geht, mag dich nich so lange
warten lassen ^.~
Von: abgemeldet
2007-12-28T21:54:33+00:00 28.12.2007 22:54
Hey! Wie versprochen mein Kommentar.
Ich mag die Geschichte sehr. Es ist eine kleine, leise Geschichte, die mich beim Lesen hat lächeln lassen. :) Genau richtig zu Weihnachten.
Besonders gefallen haben mir die Charaktere. Der Protagonist, ein wenig vertrottelt; Mimi, nicht der wirkliche Typ Mädchen, der am Ende den Kerl abbekommt und natürlich Yuki, die ich sofort ins Herz geschlossen habe. :D Sie ist so quirlig, ich mag das.
Was ich zu kritisieren habe, ist, dass es besonders am Anfang (erste Seite) oft in so einen Aufzählungtrott verfällt. So "Dann machte ich das, dann das und danach das..."
Auch dass das Thema Globalisierung und die Verdrängung alter Traditionen ein bisschen bei der Liebesgeschichte untergeht ist schade. Es ist nämlich ein interessanter Punkt, dass er in mitten dieser neuen, kitschigen Weihnachtswelt plötzlich von den Geistern seiner Heimat besucht wird. (Im wahrsten Sinne des Wortes... XD) Vielleich hätte man das noch ein bisschen ausarbeiten können.
Aber alles in allem eine kleine, süße Weihnachtsgeschichte, die mich am anderen Ende der Welt ein bisschen glücklicher gemacht hat. XD Ich kann ihn schließlich ein bisschen verstehen. Es ist schwer in der Weihnachtszeit nciht bei seiner Familie und Freunden sein zu können und in einer unbekannten Umgebung feiern zu müssen.


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