Der Schuss im Traum
Muffins … und Waffeln … und … Doughnuts … und – „Well, I’m hot blooded – check it and seeeeee …”
Dean grunzte unzufrieden und streckte im Halbschlaf die Hand nach dem Nachttisch aus.
Blödes Handy.
Dabei hatte er irgendwie das Gefühl, dass er grad was ganz Tolles geträumt hatte.
„Ja?“, grummelte er in den Hörer, die Augen nur einen winzigen Spalt geöffnet nachdem er die Annahmetaste gedrückt hatte, und legte den freien Arm um Sam, der sich im Schlaf dichter an ihn schmiegte.
„Dean? Ui, toll … es ist tatsächlich die richtige Nummer!“
„Ja – wer … Hannah, bist du das?“
Dean öffnete die Augen ganz und blinzelte perplex.
„Ja!“, quietschte es ihm vom anderen Ende der Leitung entgegen, „Wie schön, dass du schon wach bist!“
Dean warf einen Blick auf den Wecker, der auf dem Nachttisch stand, und traute seinen Augen nicht, als er die Uhrzeit entzifferte: Halb sechs?!
„Hannah … wie kommst du an diese Nummer?“
Dean versuchte, leise zu sprechen, um Sam nicht zu wecken, und zu seinem Glück schien Hannah ausgezeichnete Ohren zu haben.
„Die ist in Seans Handy eingespeichert!“
„Und wo ist Sean?“
„Der schläft noch …“
Sean verdiente es, sterben.
Ganz eindeutig.
Wer sich von seiner kleinen Schwester das Handy klauen ließ, damit die um halb sechs Uhr morgens den Schlaf eines Menschen stören konnte, der erst vor drei Stunden ins Bett – nein, Schlafen gegangen war, verdiente es, zu sterben.
„Was möchtest du, Hannah?“, erkundigte Dean sich so ruhig wie möglich, und Hannah belohnte ihn mit einer ehrlichen Antwort.
„Ich wollte deine Stimme hören – ich hab dich vermisst.“
Nein wie süß.
Wenn es doch bloß nicht so früh am Morgen wäre.
„Und außerdem wollte ich wissen, ob es stimmt, dass du und Sam Schweinkram macht …“
Momentchen.
„Schweinkram?“, wiederholte Dean überrascht und streichelte Sam sanft durchs Haar.
„Ja, meine Freundin Rina hat gesagt, du und Sam macht Schweinkram!“
„Deine Freundin Rina hat gesagt – Hannah, deine Freundin Rina hat keine Ahnung, wer Sam und ich SIND!“
Dean musste sich Mühe geben, nicht zu schreien.
Er mochte dieses Kind, wirklich, er mochte es, aber es war HALB SECHS Uhr morgens, verdammt!
„Ja, aber ich hab ihr von euch erzählt und dass Sam dich lieb hat, und dass du Sean gehauen hast, als … weil du es nicht magst, wenn Leute deine Sachen anfassen? … Und da hat sie gesagt, dass ihr bestimmt Schweinkram macht! Stimmt das?“
Dean brauchte einen Moment, um seine Gedanken zu ordnen, dann sagte er sehr entschieden: „Nein.“
„Jaaa, das hat Kinka auch gesagt …“
Dean gab sich geschlagen.
„Wer ist Kinka?“
„Rinas Schwester!“
Rina und Kinka? … Egal.
„Und Kinka sagt, dass Sam und ich keinen Schweinkram machen?“, erkundigte Dean sich mit einem leicht belustigten Unterton in der Stimme und schloss die Augen.
Jetzt wo er sowieso wach war, konnte er sich auch noch ein wenig mit Hannah unterhalten.
„Ja, sie sagt, du und Sam habt euch einfach nur ganz doll lieb – und wie geht’s eigentlich Batzmaru?“
„Gut, der schläft noch.“
Dean grinste leicht, als Sam sich noch ein wenig enger an ihn schmiegte.
„Und Sam?“
„Der auch.“
Erst das blöde Plüschtier, dann Sam. Hannah hatte verdrehte Prioritäten.
„Das freut mich. Singst du mir was vor?“
Bitte?!
„Singen? Ich? Jetzt? Wieso?“
Dean hatte das Gefühl, noch nie zuvor derartig eloquent gewesen zu sein.
„Sean meinte neulich, du hast bestimmt ne tolle Singstimme …“
Sean war so gut wie tot!
„Hannah, ich kann dir jetzt nichts vorsingen.“
„Warum nicht?“
Berechtigte Frage.
„Weil Sam doch noch schläft …“
Hannah war einen Moment lang still, augenscheinlich arbeitete sie an einem schlagenden Gegenargument.
„Ganz leise?“
Na bitte, da war es.
„Was soll ich denn singen?“, fragte er gottergeben und fragte sich im Stillen, warum er diesem Kind einfach nichts abschlagen konnte.
Das grenzte ja schon an Gedankenkontrolle.
„Nothing else matters“, meinte Hannah schließlich, und Dean entglitten sämtliche Gesichtszüge.
„Von Metallica?!“
„Ja, wieso? Kennst du das nicht?“
Dean MOCHTE dieses Kind.
Warum also nicht singen? Singen war nichts, was ihn auf der Männlichkeitsskala Punkte gekostet hätte – jedenfalls nicht, wenn er etwas von Metallica sang – und Hannah würde sich darüber freuen.
Also sang er.
Dean legte NICHT auf, als er Hannahs gleichmäßig tiefe Atemzüge hörte, und kümmerte sich kein Stück darum, dass Sean vermutlich auf einer horrenden Handyrechnung sitzen bleiben würde.
Er beförderte sein Handy zurück auf den Nachttisch, und weil Sam den Augenblick nutzte, auf ihn zu rutschen und sich an ihn zu schmusern, drückte er ihm prompt ein Küsschen auf die Wange.
Mh, Sam musste sich mal wieder rasieren.
Und jetzt flugs wieder einschlafen.
Dean schloss die Augen, konzentrierte sich auf Sams Herzschlag und atmete bewusst langsam ein und aus.
Sam bewegte sich leicht, sein Schlaf wurde mit einem Mal unruhig, und Dean schlug die Augen wieder auf und brauchte ein wenig, bis er realisierte, dass Sam offenbar einen Alptraum hatte.
Einen schlimmen Alptraum.
Deans Zögern, Sam zu wecken, verflüchtigte sich, als er sah, wie Sam hinter seinen zuckenden Lidern die Augen verdrehte und den Mund zu einem Stöhnen öffnete, das ungehört blieb.
„Sam …“
Das Rütteln an seiner Schulter weckte Sam so abrupt wie ein Schwall kalten Wassers, und Dean konnte ihn nur unter Aufbietung von sanfter Gewalt davon abhalten, wild um sich zu schlagen.
„Ganz ruhig Sammy – ich bin’s! Du hast geträumt, beruhige dich!“
Sams eben noch panisch ins Leere gehender Blick fokussierte sich auf Deans Gesicht, und doch wirkte er noch immer, als sei er mit den Gedanken ganz woanders.
„Sam?“
Sam brauchte einen Moment, um sich zu fassen, dann stand er aus dem Bett auf und ging ins Bad.
Dean folgte ihm besorgt, beobachtete, wie Sam den Wasserhahn vom Waschbecken aufdrehte, sich das Gesicht kalt abwusch, und reichte ihm dann ein Handtuch.
„So schlimm?“
Sam trocknete sich das Gesicht ab und nickte, dann nahm er Deans Handgelenk und zog ihn mit sich ins Schlafzimmer.
„Was hast du geträumt, Sam?“
Sam hielt inne, sah Dean mit einem Blick an, der ganz klar „Seit wann interessiert dich denn sowas?“ ausdrückte, und Dean schickte einen zurück, der ganz klar „Jetzt frag doch nicht so blöd!“ antwortete.
Schon toll, wie das funktionierte.
Dean reichte Sam schweigend seinen getreuen Block samt Kugelschreiber, schob ihn zu dem winzig kleinen Tisch am Fenster, drückte ihn auf den winzig kleinen Stuhl davor – unterdrückte ein unfreiwilliges Lachen, bei Sams Anblick – und befahl ihm, zu schreiben.
„Los jetzt!“, grunzte er, als Sam zweifelnd zu ihm aufblickte, und Sam verdrehte nun seinerseits die Augen und schrieb.
„Okay … du hast also von … Clowns geträumt …“
Sam drehte sich zu Dean um, verpasste ihm einen strafenden Klaps und deutete auf das entsprechende Wort.
„Nicht Clowns? Von … Chaos ... ach so … Chaos … aha … und dann noch von -“,
Dean runzelte die Stirn, „Sharon?“
Sam nickte und schrieb weiter, ohne Dean anzusehen, und Dean biss die Zähne zusammen und fing wieder an zu lesen.
„Ich hab … auf sie geschossen?“
Sam nickte erneut, und Dean sah ihm plötzlich an, wie sehr er sich verkrampft hatte.
„Es war nur ein Traum, Sammy.“
Dean legte Sam die Hand auf die Schulter und drückte sie sanft.
„Komm wieder mit ins Bett.“
Dean fixierte seinen Blick auf die regennasse Straße und hielt das Lenkrad des Impalas ausnahmsweise mit beiden Händen fest.
Wie schön, dass sich das Wetter solche Mühe gab, seine Stimmung zu verbessern.
Sam neben ihm auf dem Beifahrersitz war schon vor einiger Zeit eingeschlafen – etwas, das er an diesem Morgen nach seinem aufwühlenden Alptraum wohl nicht mehr fertig gebracht hatte – und Dean war beruhigt, dass Sam diesmal absolut Alptraum frei zu schlafen schien.
Alpträume erinnerten ihn zu sehr an Sams Visionen, und auf diese Erinnerung konnte er ehrlich gern verzichten.
Dean warf Sam einen kurzen Blick aus dem Augenwinkel zu, und weil der momentan dümmlich vor sich hin lächelte, zog er kurz die Augenbraue hoch und lächelte dann ebenfalls.
Na toll – jetzt ließ er sich schon von sowas Banalem wie Sams Strahlemann-Lächeln aufheitern.
Ganz großartig.
Dean machte die Scheinwerfer des Impalas an und verfluchte das miserable Wetter, das dafür sorgte, dass es den ganzen Tag noch nicht so richtig hell geworden war.
Der Scheibenwischer rauschte quäkend von der einen zur anderen Seite und tat sein Bestes, gegen die Sturzbäche anzukämpfen, die ununterbrochen gegen die Windschutzscheibe prasselten.
Die Wolkenfront, auf die er zusteuerte, versprach keinerlei Besserung, was das betraf – eher das Gegenteil – und Dean hatte die leise Vorahnung, dass sie mit einem heftigen Gewitter rechnen konnten.
Dann war das Gewitter, das Sharon zu erwarten hatte, zumindest nicht das Einzige.
Dean warf einen Blick auf die Uhr – es war kurz vor drei und somit höchste Zeit fürs Mittagessen, aber aus irgendeinem Grund verspürte er nicht einmal das kleinste Hungergefühl.
Sam neben ihm regte sich leicht, und Dean warf ihm erneut einen Seitenblick zu, um sich davon zu überzeugen, dass Sam noch immer von Schmetterlingen und Gänseblümchen träumte – oder was es auch immer war, das dieses dümmliche Lächeln auslöste – dann trat er fester aufs Gaspedal.
Wenn Dean ehrlich war, dann verstörte ihn der Alptraum, den Sam gehabt hatte, viel mehr, als ihm lieb war, und zwar deswegen, weil er die Vorstellung von sich selbst, wie er auf Sharon schoss, gar nicht so schlimm fand.
Augenscheinlich war er nicht ganz so sehr über diese leidige Angelegenheit hinweg, wie er es gerne hätte, und zudem auch noch krankhaft eifersüchtig.
Wenn er ganz ehrlich war, dann verstand Dean sogar irgendwie diesen Typen, der durchgedreht war, als er seine Frau mit den Milchmann erwischt hatte – das Dumme war nur, dass er selbst vermutlich sehr viel mehr Schaden anrichten würde als dieser Typ, falls er ebenfalls durchdrehen sollte.
Er war schließlich derjenige mit dem Kofferraum voller Waffen.
Dean schnitt sich im Rückspiegel des Impalas eine Grimasse und beschloss, dass diese Gedanken absolut unsinnig waren.
Er war bisher nicht durchgedreht, also würde er das auch in Zukunft nicht tun, er würde nicht auf Sharon schießen, weil es sich nun einmal nicht gehörte, auf Frauen zu schießen – er würde sie höchstens ein bisschen mit vorgehaltener Waffe bedrohen (das hatte sie nämlich verdient).
Ein Schild am Straßenrand kündigte an, dass es nur noch etwa fünf Meilen bis nach Sodom und Gomorra waren, und Deans Gesicht glättete sich unwillkürlich zu einer ausdruckslosen Maske, die nur dann für einen Moment aufbrach, als sich ein gleißender Blitz quer über den Himmel vor ihm zog.
Da war wohl Jemand genau so sauer wie er.
O____o
Was'n das Kapitel jetzt so kurz?
Das war doch vorher nicht so kurz!
Wie konnte mir das passieren?!
Argh!
Das nächste Kapitel muss wieder länger werden!
Ich muss MEHR schreiben! Füllsätze, ich brauche Füllsätze!