Nicht nachgedacht
„Dean, ich werde dich jetzt losmachen, aber nur unter der Bedingung, dass du dich beherrschst und friedlich mit zum Auto kommst.“
Sams Ton war ernst, doch sein aufgesetzt ruhiger Blick prallte an dem hungrigen Ausdruck in Deans Augen komplett ab.
Sam schluckte nervös, befreite Dean zunächst einmal von seinem Knebel, wunderte sich, dass er nicht angepöbelt wurde, dann leckte Dean sich genüsslich über die Lippen.
„Ich werd dich so lange rannehmen, bis du um Gnade winselst …“
Sam bekam eine Ganzkörpergänsehaut, biss sich auf die Unterlippe und tat, als habe er nichts gehört.
Sein Enthusiasmus darüber, die Statue so einfach bekommen zu haben, war schnell verflogen, als Bobby ihm erzählt hatte, dass man für das Ritual, um sie zu vernichten, mindestens zwei Personen benötigte.
Wäre er nicht gezwungen gewesen, die Statue zu diesem Zweck samt Dean zu Bobby zu schaffen, hätte ihn nichts in der Welt dazu gebracht, Dean loszumachen, bevor der nicht wieder Herr über sein Testosteron war.
Er löste ein wenig umständlich Deans Fesseln – seine Hände waren irgendwie so verdammt rutschig – und dann lag er plötzlich auf dem Rücken, Dean war über ihm und dessen Lippen waren überall, nur nicht da, wo sie hingehörten, nämlich mindestens 20 Zentimeter von jeglichem Teil seiner Haut entfernt, der auch nur geringfügigst erogen war.
Warum war Dean nie so schnell, wenn es darum ging, ihre Ärsche zu RETTEN?
Wieso hatte er nur dann so verdammt gute Reflexe, wenn er seinen Arsch – egal jetzt.
Sam drückte ihn mit letzter Kraft und unter Aufbietung all seiner Selbstbeherrschung von sich, stand auf, half Dean auf die Beine, und wurde schon wieder geküsst.
Als er sich zu wehren versuchte, packte Dean ihn, nagelte ihn mit seinem Körper an die Wand in seinem Rücken und zwang ihm so nachdrücklich seine Zunge auf, dass Sam für einen Moment die Luft wegblieb.
Sam hatte nie gedacht, dass eine derart rabiate Behandlung seinen Gefallen erregen würde, das tat sie jedoch zweifellos – seinen Gefallen und noch Einiges mehr – und er hörte Dean zufrieden brummen, bevor der seine Hüften so heftig nach vorn stieß, dass Sam halb erschrocken, halb begeistert aufkeuchte.
„Das ist nicht Dean, das ist nicht Dean, das ist NICHT Dean!“, schrie sein Restverstand hartnäckig gegen aufkochende Hormone an, die im Chor „Ja, aber er sieht ihm verdammt ähnlich – und er schmeckt so lecker!“, zurückgaben, dann spürte er Deans Hände an seinem Reißverschluss und riss sich zusammen.
Mal wieder.
Warum war immer er derjenige, der sich zusammenreißen musste?
Blöd.
Blöd, blöd, blöd – blöhöööhöööd.
Sam packte Deans Handgelenke, zog sie von seinem Schritt weg, drehte heftig atmend den Kopf zur Seite und presste die Lider zusammen.
Sam spürte Deans Blick wie flüssiges Feuer über sich gleiten, dann spürte er Deans Lippen an seinem Ohr.
„Ich verstehe nicht, warum du dich wehrst, Sammy, aber ich muss zugeben, dass es die Angelegenheit noch sehr viel reizvoller macht …“
Deans Schnurren ging Sam durch Mark und Bein, er wurde ins Ohrläppchen gebissen, unterdrückte ein wohliges Stöhnen, und dann ließ Dean tatsächlich von ihm ab.
„Dann werd ich jetzt mal friedlich mit zum Auto kommen“, grinste er lüstern in Sams überrascht-fragendes Gesicht und strich ihm mit einer sanften Geste das wirre Haar aus dem Gesicht. „Gott, du siehst zum Anbeißen aus, wenn du so guckst, Sammy … liegt das Hundehalsband eigentlich noch im Wagen?“
„Wie, was? Das war jetzt alles?“
Sam blickte ungläubig auf die blökernden Kräuterbeutel, die er und Bobby soeben synchron zu der Fruchtbarkeitsstatue ins Feuer geworfen hatten, und Bobby zog fragend die Augenbraue hoch.
„Ja, was hast du denn erwartet?“
Sam warf die Hände in die Luft.
„Ein Lateinisches Ritual! Griechische Tänze! Was weiß ich?! Mal eben Kräuter ins Feuer werfen hätte Dean wohl auch noch hinbekommen! Hast du ne Ahnung, was ich auf dieser Autofahrt alles durchstehen musste?!“
Bobby warf einen vielsagenden Blick auf die Tür zum Badezimmer, hinter der sich erneut ein an einen Stuhl gefesselter Dean verbarg und fixierte dann wieder Sam.
„Ich hab ne leise Idee, ja.“
Sam wurde rot, als er sich daran erinnerte, wie Bobby ihn und Dean im Impala vorgefunden hatte – Dean halb nackt und wild entschlossen, Sam endlich … äh … zu erobern … und Sam genauso halb nackt und etwas weniger wild entschlossen, ihn daran zu hindern.
„Sieh du mal nach ihm, er sollte jetzt wieder normal sein“, forderte Bobby ihn seelenruhig auf und verschwand – Gott allein wusste, wohin – und Sam spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte, als er vor der Tür zum Bad stand.
Hinter dieser Tür befand sich Dean, der endlich wieder er selbst war und sich sehr wahrscheinlich an alles erinnern konnte, was zwischen ihnen vorgefallen war.
Sam streckte die Hand nach dem Türgriff aus, drückte ihn wie in Zeitlupe hinunter, öffnete die Tür, die leise knarrte, und als er den Ausdruck in Deans Augen sah, konnte er sicher sein, dass dieser sich an Alles erinnerte, und Sam konnte nur hoffen, dass das nicht für immer zwischen ihnen stehen würde.
Wenn so schon nichts zwischen ihnen stand, dann konnte er darauf auch verzichten.
Er nahm Dean die Fesseln ab, dieser sagte die ganze Zeit über kein Wort und wich seinem Blick aus, stand schließlich auf und atmete tief durch.
„Ich … muss den neuen Punktestand auf der Männlichkeitsskala ausrechnen“, platzte es plötzlich aus ihm heraus, er stakste zur Tür und nach draußen, und das Letzte, das Sam sah, waren seine hochgezogenen Schultern im Regen, bevor er in der Dunkelheit verschwand, und die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.
Sam seufzte und fuhr sich mit der Hand ins Haar.
Ganz toll.
Jetzt konnte er sich doch eigentlich auch selbst erschießen, oder?
Er kickte mutlos gegen den Stuhl, auf den Dean bis eben noch gefesselt gewesen war, und brachte ihn dann zurück in Bobbys Küche.
Sam ließ sich darauf sinken, nachdem er sich eine Tasse Kaffee eingeschenkt hatte, nahm einen tiefen Schluck und seufzte erneut.
Wenn Dean nicht völlig realitätsresistent war, dann musste er wohl inzwischen gemerkt haben, dass er ihm ein wenig mehr als brüderliche Gefühle entgegen brachte, und diese erste Reaktion war ja nun alles andere als vielversprechend gewesen.
Es konnte natürlich auch sein, dass Dean sich bisher derart auf sein eigenes Verhalten fixiert hatte und schon darüber so entsetzt war, dass ihm Sams merkwürdige Bereitschaft, darauf einzugehen, noch gar nicht weiter aufgefallen war.
Sam ließ seinen Kopf auf die Tischplatte fallen und fluchte leise vor sich hin.
Das war doch zum Verrücktwerden!
Genügte es denn nicht, dass sein Leben konstant durch missvergnügte Mächte bedroht war?
Musste sich nun auch noch sein Liebesleben – das er sowieso kaum als solches bezeichnen konnte – als derart kompliziert erweisen?
Im Prinzip könnte er auch gleich ein Keuschheitsgelöbnis ablegen – außer Dean versuchte ihn eh nichts mehr, und der würde sich nach dieser Episode hüten, noch einmal näher als auf 5 Meter an ihn heran zu kommen.
Sam stöhnte gefrustet, hob den Kopf leicht an, ließ ihn dreimal gegen die Tischplatte wummern und richtete sich dann wieder auf, um noch einen Schluck Kaffee zu trinken.
Sein Leben war frustrierend.
Sam blinzelte verwundert, hob den Kopf an und stöhnte gequält, als ihm bewusst wurde, dass er an Bobbys Küchentisch eingeschlafen war.
Er richtete sich auf, streckte sich unter leisen Schmerzenslauten, und ein Blick auf die Uhr teilte ihm mit, dass er mindestens zwei Stunden geschlafen hatte.
War Dean etwa immer noch draußen bei dem strömenden Regen?
Er warf einen Blick aus dem Fenster, wo er im Mondlicht schemenhaft ein paar Autowracks erkennen konnte, und schauderte unwillkürlich.
Natürlich war Dean noch immer da draußen.
Sam zögerte einen Moment, dann seufzte er ergeben und stand auf.
Irgendwann musste er sowieso mit Dean darüber reden, dann konnte er es auch jetzt gleich hinter sich bringen und diesen Gefühlsklotz vor einer schweren Erkältung bewahren.
Sam blieb einen Moment lang in Bobbys offener Haustür stehen, schloss kurz die Augen und lächelte, als er hinter seinen geschlossenen Lidern Deans Präsenz für einen Moment warm aufflackern sah.
Er wandte sich in die Richtung, in der er Dean spüren konnte, und fluchte leise vor sich hin, da sein schwarzes Shirt schon nach ein paar Sekunden völlig durchnässt war und ihm wie eine zweite Haut am Körper klebte.
Bobby würde sich sicherlich bedanken, wenn er sie beide mit einer fiebrigen Grippe am Hals hätte.
Der feuchte, aufgeweichte Boden verschluckte Sams Schritte, als er sich immer weiter vom Haus entfernte, und schließlich vor einem uralten Ford zum Stehen kam.
Dean saß auf dem Fahrersitz, tief in Gedanken versunken, und schien ihn einen Moment lang überhaupt nicht wahrzunehmen, dann veränderte Sam leicht seine Haltung, Dean wandte den Kopf und fixierte ihn, und sie sahen sich kurz einfach nur an.
Sam schauderte unwillkürlich, als Dean ihren Blickkontakt schließlich abbrach und stattdessen auf seine Hände am Lenkrad des Fords starrte.
Er fühlte sich nicht unbedingt ermutigt, mit Dean ein klärendes Gespräch zu führen.
Was sein musste, musste aber schließlich sein, also ging Sam um den alten Wagen herum und stieg auf der Beifahrerseite ein.
Dean war entweder wieder völlig in Gedanken versunken, oder aber er ignorierte ihn absichtlich – er zeigte jedenfalls keinerlei Reaktion, als Sam die Autotür zuzog und ihn von der Seite ansah.
„Dean?“, versuchte Sam es probeweise, und Dean blinzelte lediglich und biss die Zähne zusammen.
„Dean, komm schon – lass uns drüber reden, ja?“, setzte Sam sanft an, und Deans Kopf fuhr herum und er starrte ihn ungläubig an.
„Drüber reden?! Sammy, verdammt, wir haben rumgemacht! Über was willst du da bitteschön reden?! Kannst du nicht EIN MAL damit leben, es totzuschweigen?!“
Sam biss sich auf die Unterlippe, und Dean stöhnte genervt auf.
„Den Hundeblick kannst du dir wirklich sparen! Erklär mir lieber, warum ich ständig von irgendwas besessen bin! Was war das für ne Statue?“
Sam beschloss, dass es besser war, Dean nicht weiter zu reizen und ihm zumindest vorläufig seinen Willen zu lassen, und gab das weiter, was Bobby ihm erzählt hatte.
„Sie wurde im sechzehnten Jahrhundert von Benediktiner-Nonnen verflucht, die ihren Abt bei ein wenig unchristlichen Tätigkeiten erwischt haben – Huren, Alkohol, das ganze Programm – und weil er so ein Afrika-Liebhaber war, haben sie die Statue verhext und ihm geschenkt.
Sie haben es wohl als angemessene Strafe angesehen, wenn er durch sein zügelloses Verhalten zu Tode kommt – und sie funktioniert einzig und allein bei Männern … eine Art extremes Aphrodisiakum … man kann nicht mehr aufhören, bis -“
„So viel hab ich mitgekriegt“, brummte Dean mürrisch. „Hat ja immerhin sogar auf dich mit übergegriffen, obwohl du das Ding gar nicht angefasst hast.“
Sam hielt einen Moment die Luft an, in seinem Kopf arbeitete es fieberhaft, aber sein Mund wollte offenbar nicht warten, bis der mit Denken fertig war.
„Auf mich hatte die Statue aber keinen Einfluss.“
Dean weitete die Augen, öffnete den Mund, als ob er etwas sagen wollte, schloss ihn wieder, und das Einzige, was zu hören war, war das gleichmäßige Trommeln des Regens auf das Autodach.
„Sie hatte keinen … du warst“, stammelte Dean schließlich, und Sam wich seinem Blick aus und biss sich wieder auf die Unterlippe.
Das war sie gewesen, die einmalige Gelegenheit, sich aus der Sache heraus zu lavieren, ohne das Dean Verdacht schöpfte, und er hatte sie innerhalb von fünf Sekunden zunichte gemacht.