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Blind Dragon

Das Auge des Orion
von

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Kapitel 23

Die Zeit in Rongas Erinnerung schien tatsächlich sehr viel schneller gelaufen zu sein als jene hier draußen im Flur. Als ich Nicks Handgelenk vor mein Gesicht hob, um nach der Uhrzeit zu sehen, zeigte eine Billiguhr mit knallbuntem Plastikarmband (und Katzenmotiv auf dem Bild unter den Zeigern) mir, dass kaum mehr als fünf Minuten vergangen waren.

Sah man sich jedoch Rick an, war das nur schwer zu glauben. Kaum war die Schwärze um uns herum gänzlich gewichen, sank er nach vorn. Er war kreidebleich, völlig erschöpft. Ronga fing ihn auf und lud ihn auf dem Stuhl ab, auf dem er vor unserer kleinen „Reise“ gesessen hatte, ohne auch nur eine Sekunde lang die Augen von mir zu nehmen. Sein sonst offen wirkendes Gesicht spiegelte Misstrauen wieder. „Ihr habt länger gebraucht als ich dachte“, bekundete er. Bei dieser Andeutung ließ er es bewenden, wenn es denn eine war und ich nicht nur aufgrund meines aufkeimendem schlechten Gewissens eine daraus machte.

Nicks gute Laune war einem nachdenklichen Schweigen gewichen, doch zu meinem großen Bedauern währte es keine zwei Minuten. So lange brauchte Ronga, um zu dem Schluss zu kommen, dass Rick so schnell nicht mehr von selbst aufstehen würde. Im selben Moment als er sich den Jungen über die Schulter legte, hatte auch Nick seine Sprache wiedergefunden. „Hey, was hast du denn mit dem gemacht? Ist der etwa bewusstlos?“ wollte er wissen.

„Halt’s Maul“, zischte ich.

„Hallo, wir befreien dich hier gerade und du hast nichts Besseres zu tun, als uns allesamt anzuzicken und Rick umzuhauen! Jetzt sei doch mal ein bisschen lockerer!“ Er schlug mir kameradschaftlich auf den Rücken.

„Nicolas Gary Mishu! HÄNGST du an deinem Leben?!“

Ich konnte gar nicht so schnell gucken wie Ronga die Flamme gebändigt hatte, die mir bei diesem Satz entwich. „Falls wir das hier alle überleben, werde ich dir ein Siegel aufdrücken, das so stark sein wird, dass du nicht mal mehr ein Rauchwölkchen spucken kannst. Reißt euch endlich zusammen! Und nun raus hier, ehe ich die Geduld mit euch aufgeblasenen Gockeln endgültig verliere!“ versetzte er barsch.

In einem für aufgeblasene Gockel eher unpassendem Gänsemarsch trotteten wir ihm hinterher Richtung Ausgang. „Warum hast du mir das gezeigt?“ fragte ich bemüht neutral.

„Sind wir uns einig darüber, dass wir beide nicht wollen, dass du die Beherrschung verlierst?“ war Rongas prompte Gegenfrage.

„Tut er das nicht ständig?“ warf Nick ein. Ronga lachte schallend. Irgendwie war das Geräusch mir unheimlich. Seine Stimme war seltsam sanft, als er fortfuhr. „Da magst du recht haben, aber wenn er wütend genug ist, versenkt er wahrscheinlich alles im Umkreis von 1000 Kilometern im Meer und schwimmt selbst fröhlich oben auf. Provozier ihn also nicht immer.“

Nick warf mir einen sehr ehrfürchtigen Blick zu. „Buh!“ machte ich und er schrak wirklich ein wenig zusammen. Ich schloss zu Ronga auf, um sein Gesicht sehen zu können. Nick tat es mir nach. „Was hast du also vor? Warum das alles?“

„Weil ich will, dass du mit dem hier fertig wirst, ohne dass sich Katastrophen ereignen. Wir werden das Auge des Orion zurückholen und die Sache beenden. Jedoch nicht so wie Lavande es vorgesehen hat.“

„Warum ist das Ding eigentlich so wichtig?“ erkundigte sich Nick.

„Ein alter Freund prophezeite mir, dass es der Schlüssel wäre, um den Fluch zu brechen, unter dem Lavande und ich stehen. Es wirkt wie ein magischer Verstärker, doch weder Lavande, noch ich, noch der alte Mann, der es jetzt hat, wissen wie man es aktiviert. Vorerst sieht mein Plan vor, dass ihr es zurückholt, um Lavande ruhig zu stellen. Wir haben nur noch wenige Stunden bis das Ultimatum abläuft, also brauchen wir etwas, um sie dazu zu bringen, zu verhandeln.“ Plötzlich konnte ich mir Ronga lebhaft als alten Botschafter zwischen einer Ansammlung verschiedener Völker vorstellen.

„Mooooment mal“, hakte Nick nach. „Eben hieß es noch, wir würden alle gehen und den Stein zurückholen. Nun plötzlich heißt es ‚ihr’. Du meinst doch nicht ernsthaft Kori und mich damit.“

Wir traten ins Freie, während Ronga amüsiert zu Nick hinunterschaute. „Gewahrst du hier sonst noch jemanden, den ich damit gemeint haben könnte?“ grinste er. „Ich werde jetzt Rick von hier fortbringen. Er hat sich wohl überanstrengt.“ Wieder ließ Ronga mich nicht aus den Augen, doch ich tat ihm nicht den Gefallen, Regungen in meinem Gesicht zu zeigen. Wir verstanden uns eben beide bestens darauf, uns hinter Masken zu verstecken. „Kori, du wirst deine kriminellen Energien nutzen, indem du dich an den nächsten Computer setzt und folgenden Mann findest. Im Gegensatz zu Nick ist er in keinem Telefonbuch verzeichnet, doch ich würde meine rechte Hand dafür in eine deiner Flammen legen, dass er sich in Tokio befindet.“ Er zog ein fein säuberlich gefaltetes Papier aus seiner Hosentasche und gab es mir. „Ihr werdet seine Adresse ausfindig machen und das Auge des Orion stehlen. Verliert den Zettel nicht. Unter keinen Umständen.“

„Mooooment mal“, imitierte ich Nick. „Du gibst MIR das Auge des Orion? Warum gibst du nicht gleich einem Pyromanen ein Feuerzeug und einen Benzinkanister?! Was wenn mir irgendwas außer Kontrolle gerät? Ganz davon abgesehen werde ich mich bestimmt in kein Haus schleichen und diesen Tollpatsch mitnehmen. Da kann ich auch gleich ne Parade bei ihm im Hof veranstalten und bin wahrscheinlich immer noch unauffälliger.“

„Schöner Vergleich, Feuerteufel.“ Er machte keine Anstalten, sich zu rechtfertigen, lächelte stattdessen nur freundlich. „Dann viel Glück. Wenn ihr fertig seid, kommt zu meinem Haus. Ich werde dafür sorgen, dass Lavande auch dort ist.“

Ich wusste, dass es zwecklos sein würde, ihm zu widersprechen. Er hatte schon allein dadurch die besseren Karten, dass er wusste was er tat. Ganz im Gegensatz zu mir. Nick öffnete den Mund, um seinerseits zu erklären, was er davon hielt, doch ich zog ihn am Arm zum Parkplatz, bevor er noch etwas sagen konnte. Er war mit dem Pizzawagen hier, wie ich es gehofft hatte.

„Wir fahren zu Kodansha Tech.“ entschied ich. „Im Büro ist’n Rechner, mit dem ich den Typen in ner Stunde finden können sollte.“

„Kori! Nun warte doch mal! Warum lässt du dich von dem so rumkommandieren?“

„Hat er dir erzählt, was nach Ablauf des Ultimatums geschieht?“

„Ja, schon, aber gerade deshalb solltest du...“

„Dann lass mich dir vielleicht mitteilen, dass sie in der Karaokebar vorhatte, dich umzubringen und dass sie bereits einen Haufen Menschen auf dem Gewissen hat. Das nur damit du ne ungefähre Vorstellung davon hast, was ich davon halte, dass du hier meine Zeit und das Leben meiner Freunde vertrödelst.“

Nicks Augen wurden groß wie Tennisbälle. „D-du bist auf sie losgegangen, weil du mich besch - ?“

„Beweg deinen Knochenarsch ins Auto, wenn du dir nicht die nächsten drei Wochen am Esstisch n Kissen drunter legen willst!!“

Sofort schloss Nick die Fahrertür auf. Nicht ohne jedoch vorher den Schlüssel zweimal fast fallen zu lassen. Er brachte uns binnen weniger Minuten auf die nächste Stadtautobahn und trat das Gaspedal durch. Bei seinem Geschick war mir diese Geschwindigkeit alles andere als geheuer.

„Lass mich fahren“, befahl ich.

„Klar, Macho. Immer doch. Das letzte Mal warst du ein besserer Beifahrer.“ Nicks Mundwinkel erreichten fast seine Ohren. „Du wolltest mich also wirklich retten... Sonst wärst du eben nicht so sauer geworden.“

„Fahr wenigstens langsamer. Ich möchte gern lebend ankommen. Und was das Retten angeht, gibt’s bei dir nicht viel zu retten, wenn du mich fragst.“

„Oooch, der große, starke Kori hat doch nicht etwa Angst? Nagut, ich bin ja nicht so – scheiße!“

„Natürlich bist du scheiße. Was ist los?“

„Da tut sich nichts, wenn ich bremse!“

Das ungute Gefühl mit der Kawasaki. Anscheinend war es nicht unbegründet gewesen. Warum zur Hölle hatte ich hier nicht genauso gut aufgepasst? Ich zog die Handbremse, doch auch die brachte keine Reaktion. Wir fuhren auf der Überholspur und noch war diese leer. Noch.

Nick sah in der Ferne eine Kurve und hätte das Lenkrad mit einem Ruck herumgerissen, hätte ich selbiges nicht gepackt. „Halt das Teil gefälligst ruhig“, wies ich ihn an.

„Ruhig?!“ schrie er. „Ich hab keinen Airbag, rase mit 200 Sachen über ne Autobahn und du sagst mir, ich soll ruhig bleiben?!“

„Ganz genau. N großer Verlust wärst du für die Welt sowieso nicht. Ein paar kaputte Computer weniger. Also reg dich wieder ab.“ Hätten meine Hände nicht gezittert, hätte ich mir beinahe selbst die Ruhe abgekauft, die ich vortäuschte. Ich ließ das Lenkrad wieder los.

„Das ist wirklich kein guter Zeitpunkt für Scherze. Vielleicht sollte ich dich und dein großes Maul einfach erstarren lassen. Dann kann ich wenigstens in Ruhe sterben.“

„Was hast du da gerade gesagt?“

„Das der Zeitpunkt für Scherze gerade absolut nicht...“

„Nein, das andere!“

„Dass ich dich erstarren lassen sollte?“

„Kannst du das auch mit vier Rädern?“

„Ähhh...“

Die Reifen quietschten. Der Wagen machte einen gefährlichen Schlenker nach rechts. Nick kreischte, während sich mir der Magen umdrehte. Ich sah uns bereits gegen die nächste Leitplanke krachen. „Sagt dir der Begriff Stotterbremsung was?!“ brüllte ich über sein schrilles Gekreische hinweg. Irgendwie erinnerte es mich an seine Version von Unbreak my Heart in Katzenjammer-Moll.

Der Begriff sagte ihm tatsächlich etwas. Wie durch ein Wunder – ach was eines, mindestens zehn gleichzeitig geschehende Wunder – erreichten wir unbeschadet die nächste Ausfahrt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Nochnoi
2007-09-28T17:16:28+00:00 28.09.2007 19:16
Hach, ich liebe diese Wortgeplänkel zwischen Kori und Nick einfach ^.^ Die beiden scheinen ja ein Herz und eine Seele zu sein, auch wenn sie das wahrscheinlich niemals offen zugeben würden XDDD
Und Nick hat einige sehr interessante Fähigkeiten :) Ich bin gespannt, was er noch alles so drauf hat!! *ggg*


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