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Blind Dragon

Das Auge des Orion
von

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Kapitel 2

Es war windig und es regnete in Strömen, aber ich hatte mal wieder bis zum letzten Tag der Ausstellung gewartet, um nicht so viel Aufsehen zu erregen. Was ich wollte, würde morgen im Lager und damit für mich unerreichbar sein, aber heute lag der faustgroße Gegenstand ungeschützt in einer Vitrine. Naja, bald ungeschützt. Der Glasschneider rotierte, einige Karabinerhaken klickten und schon schwebte ich sanft wie eine - überdimensionale, pechschwarze - Feder in den Raum. Regentropfen sammelten sich auf dem Marmorboden. Ich sag ja, Teppich lohnt sich nicht... Ein leichtes Grinsen stahl sich auf mein Gesicht. Der Wind zerrte an meinem Seil, aber es war noch nicht bedenklich.

Überwachungskameras surrten leise. Ich hielt mein Gesicht starr auf den Boden gerichtet. Vielleicht sollte ich meine Eitelkeit endlich ablegen und eine Maske tragen. Aber die Dinger juckten so furchtbar... Meine Füße erreichten den Boden. Ich nahm das Auge des Orion, einen grünen Edelstein aus der Vitrine und war bereits auf halbem Weg nach oben bevor das Wachpersonal eintrudelte. Schüsse fielen, das Glas über mir zersplitterte. Kein Problem, denn oben wickelte sich immer noch das Seil auf die Winde und solang das geschah, war ich auf steilem Weg nach - in diesem Moment stockte natürlich die Winde. Ich hing bewegungslos in der Luft. "Da haben wir wohl ein kleines Problem, hm?" höhnte der Uniformierte Wachmann von unten. Er zielte auf mein Seil. Und traf wie durch ein Wunder. Eines dieser Wunder, die immer nur den anderen geschahen.

Das nächste Mal nehme ich die Tür, dachte ich als ich zu Boden sauste. Ich rollte mich über die Schulter ab, aber irgendetwas dort knackte bedenklich. Schmerz breitete sich in der rechten Schulter aus und wanderte bis hinunter in den Arm.

Raus hier. Nur raus hier. Sirenen. Blaulicht. Noch mehr Leute in Uniform. Ich war noch nie so gerannt. Wäre mein Auftrag heute ein sperriges Bild gewesen, hätte das das Ende meiner unfreiwilligen Karriere bedeutet. Shadow hatten sie mich getauft. Was für eine Lachnummer. Mein Name war Kori. In meinem Heimatland bedeutete das Schatten. Ob sie das so witzig fänden wie ich es fand, wenn sie es wüssten?

Da mir Kodansha Technologies auch für dieses Gebäude die Baupläne beschert hatte, fand ich einen Notausgang. Meine Lungen schienen zu brennen. Mein Schritt pochte wieder von dem schmerzhaften Zusammenstoß mit dem Monitor. Egal, ich rannte. Und prallte gegen eine gigantische Pizza.

"Hey, was soll das?!" rief eine Stimme aus der Fahrerkabine des Lieferwagens. "Willst du mein Auto kaputtmachen? Das hat mir gerade noch gefehlt! Idiot!" Die Stimme kannte ich doch. Mein Freund mit dem Monitor! Ich sprang in das Auto.

"Fahr!!"

"Was? Hast du dir den Kopf angeschlagen? Du blutest! Vielleicht ist dein Hirn beschädigt! Ich bin doch nicht dein Chauffeur!"

"Du darfst mich weiterhin duzen und ich schließe dir sämtliche Monitore deines beschissenen Lebens an, wenn du jetzt fährst!" Gut, dass ich zu Eitel für eine Maske gewesen war. So sah ich nur wie ein Typ mit einem Fable für schwarze Klamotten aus und nicht wie ein Verbrecher.

"Hast es wirklich eilig, was?" Er grinste überlegen.

Ich gab mir mühe, sachlich zu klingen. "Fahr oder ich bring dich um. Das ist kein Witz."

"Hey! Ich kann nichts dafür, dass der Monitor dir auf die Ei-"

"FAHR, HAB ICH GESAGT!!!"

"Ist ja gut. Wohin willst du denn?" Ich fühlte mich, als hätte ich die Erleuchtung empfangen, als er den Motor anließ und - überraschend zügig - losfuhr. Er bog in die nächste größere Straße ein. Hauptstraße. Vierspurig. Ich sah ein paar Mal in den Rückspiegel. Meine Laufarbeit hatte sich gelohnt. Die Kerle hatten mich wohl nicht ins Auto springen sehen.

"Wohin denn nun? Und wer zahlt mir die Pizza? Ich werd deinetwegen noch Ärger bekommen."

Ich seufzte.

"Vor wem warst du denn auf der Flucht?"

"Wütende Frau."

Er lachte. "Idiot. Dann eben nicht."

"Ich liebe dich auch, Süßer."

"Wenn das so ist, bezahlst du die Pizza. Kingsize mit Champignons und" - er verzog das Gesicht - "Zwiebeln."

Ich musste grinsen. "Die wird mein Abendbrot. Fahr mich zu meinem Motorrad und ich nehm sie dir ab. Ich geb dir sogar Trinkgeld."

"Du hast dir wirklich den Kopf angeschlagen", konstatierte er.

"Idiot, dann eben nicht."

"Das ist mein Spruch!"

"Wie kommt ein Pizzabote zu einem Computer?"

"Lenk nicht vom Thema ab!"

"Sich um einen dummen Spruch zu streiten ist kein Thema. Da rechts ab."

Er schwieg. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er das oft tat.

"Wie heißt du?", wollte er wissen.

"Kori."

"Und vor wem bist du nun weggelaufen?"

"Wie kommst du nun zu dem Computer?"

"Du tust es schon wieder!"

"Was?"

"Du lenkst vom Thema ab!"

"Da links einordnen. Hat's funktioniert?"

"Nein. Wo waren wir gleich?"

"Da rechts und gleich wieder links. Dann sind wir da."

Er hielt vor meinem geparkten Motorrad. "Danke", murmelte ich. Das Wort hatte ich lang nicht mehr benutzt.

"Ne Kawa. Nicht schlecht." Sein Blick sagte mir, dass ihm die schwarze Kawasaki Ninja mehr als nur "nicht schlecht" gefiel.

"Man gönnt sich ja sonst nichts."

"Apropos... Die Pizza."

"Klar, Moment... Scheiße, hab kein Geld dabei."

"Aus ner Bank bist du also nicht geflüchtet."

Ich lächelte, wollte lachen, besann mich aber aufgrund meines Armes eines Besseren.

"Nein", sagte ich nachsichtig. "Aus der Afrika-Ecke von nem Supermarkt. Wollte mir meine Verabredung für heute Abend klauen."

"Ich spende dir die Pizza aber nicht."

"Schade. Wär n gutes Frustessen gewesen. Warte kurz."

"Lauf ja nicht einfach weg! Du schuldest mir das Geld für die Pizza und das Benzin!"

"Eben"

Ich stieg aus, kramte in dem Hohlraum unter meinem Motorradsitz und förderte etwas zu Schreiben zutage. Anscheinend hatte ich mir den Kopf verdammt stark angehauen, denn ich gab ihm meine Nummer. Immerhin nur die in der Firma. "Morgen sitze ich an meinem Arbeitsplatz. Ruf mich an wegen des Geldes."

"Ich kann auch einfach vorbeikommen."

"Untersteh dich. Meine Eier tun mir immer noch weh."

"Ich sagte doch, ich kann nichts dafür!" erboste er sich.

"Nimm nicht alles was ich sage so persönlich.."

"Deine Pizza", grummelte er.

Eine riesige, köstlich duftende Pappschachtel wechselte den Besitzer. Man möge mich leicht beeinflussbar nennen, aber ich glaubte in diesem Moment, der Typ sei doch ganz in Ordnung. Ich bedankte mich noch einmal.

"Warum bist du plötzlich so freundlich? Du tust gerade so als hätte ich dir das Leben gerettet."

Ich zupfte ein Taschentuch aus der Tasche und betupfte die bereits gerinnende Wunde an meiner Stirn. "Ist nur der Schlag an den Kopf.", sagte ich und ging. "Bis Morgen."
 

Klitschnass und durchgefroren betrat ich meine Yuppie-Wohnung im siebten Stock. Ein riesiges Zimmer mit Küchenzeile, zwei kleinere Zimmer, Bad mit Fenster. Zu teuer für mich allein, zumindest für einen offiziell legal arbeitenden Schwarzen. Aber ich hatte ja meinen treuen Mitbewohner. Rick hatte ich aus drei Gründen den anderen Bewerbern um das "Zimmer mit Ausblick, komische Nachbarn, aber dicke Wände" vorgezogen:
 

1. Er war weiß und beruhigte damit meine Nachbarn und den Steuerprüfer.

2. Er war sowohl schweigsam als auch diskret und beruhigte damit mich.

3. Er wirkte meinen Lastern, insbesondere meinem Hang zur Unordnung, entgegen und beruhigte damit die Frauen, die meine Wohnung betraten.
 

Später hatte sich herausgestellt, dass er noch eine vierte Fähigkeit besaß, die allein genügt hätte, um ausnahmslos jeden Bewerber auszustechen.

Die Küchenzeile war wie immer tadellos aufgeräumt. Bis auf meinen Kram. Ich verstand die nonverbale Botschaft, sah den Haussegen aber noch nicht in Gefahr und ignorierte sie. Rick war vor dem Fernseher eingeschlafen. Das zu lange, fransig rote Haar hing ihm ins Gesicht. Ein schlafendes Kind von 15 Jahren. Er war von zuhause weggelaufen und gedachte nicht, zurückzukehren. Ich hatte ihn nie gefragt warum und hatte auch nicht vor, das zu tun. Immerhin arbeitete er wie ein Besessener, putzte mir hinterher (was eigentlich schon ein Job für sich war) und brachte mir immer pünktlich seinen Anteil der Miete. Wie er so dalag sah er aus wie höchstens 12. Vorsichtig schlich ich in mein Zimmer und setzte mich auf's Bett, wo ich die Pizza zu verschlingen begann, die ich mir unter den gesunden Arm geklemmt hatte.

Von dem Geruch wachgeworden betrat Rick mein Schlafzimmer. Sein hungriger Blick sagte mehr als tausend Worte. "Sieh dir meine Schulter an und ich bestell dir noch eine." Er strahlte mich an. "Der Rest von der da reicht mir", erwiderte er leise. "Würdest du..." Ich entledigte mich meines T-Shirts. "Von wo bist du denn gefallen? Die ist total verrenkt", sagte er nachdem er eine Weile daran herumgedrückt hatte.

"Hab bloß beim Armdrücken verloren."

"Mmmh", machte Rick nur, legte die Hände auf meine Schulter und schloss die Augen. "Ich frag dich nichts, du fragst mich nichts."

Eine Woge sanfter Wärme breitete sich in mir aus. Dann begann es zu knacken. Ich biss mir auf die Zunge als die Schultergelenke in ihre Ausgangstellung zurückruckten. Ricks besondere Fähigkeit. Er hatte nicht eine Medizinvorlesung besucht und konnte besser heilen als jeder Arzt in ganz Tokio. Als er die Hände von meiner Schulter nahm, fühlte sich die Schulter an, als wäre sie niemals auch nur verspannt gewesen.

"Genau", stimmte ich ihm zu. "Das Recht auf ein einsames, verkorkstes Leben ist unantastbar."



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Miyu-Moon
2008-02-21T12:10:42+00:00 21.02.2008 13:10
Unerwartete Wendung, der Computerspezialist ist also auch noch ein Dieb. Aber eine Sache verwirrt mich doch ziemlich. Du hast Kori im Texte als Schwarzen beschrieben, aber auf seinen Steckbriefbild ist er weiß. Oder war das eine ironische Beschreibung für seine zeitweilige Kleidung plus die Haare?
Von:  Anoriel
2008-02-20T13:15:38+00:00 20.02.2008 14:15
Aha!
Der liebe Kori ist also Dieb *kicher* irgendwie hätt ich mir das denken können..
Nick gefällt mir auch immer besser und Rick.. der schent auch richtig süss zu sein :D

Die Konversationen sind wie zuvor schon lebhaft, witzig und dynamisch, einfach toll!
ich frag mich, was es mit dem Edelstein auf sich hat...
... also spannend ist das Ganze allemal! :D

Und ich spring gleich mal zum nächsten Kapitel...
Von:  SilentStrider
2007-09-12T09:14:12+00:00 12.09.2007 11:14
Yeah,
das mit Kori (The Shadow!!) und der Tokio-Transe verspricht noch lustig zu werden! Und Rick ist mein neuer Jesus!!! *wai*
Bin ganz wild drauf, was dieses Auge des Orion alles kann! Immerhin ist die Story danach benannt ;)
Von:  Nochnoi
2007-08-30T09:09:16+00:00 30.08.2007 11:09
Interessant, interessant ...

Kori stiehlt wertvolle Artefakte und läuft dabei gleich unserem Mr. Monitor über den Weg. Zufall, wer weiß? XDD
Und dann natürlich dieser mysteriöse Mitbewohner. Der scheint mir ein fleißiger kleiner Kerl zu sein, kein Wunder, dass Kori ihn bei sich aufgenommen hat ;p Ich frag mich jetzt natürlich nur, wieso er von zu Hause weggelaufen ist (im Gegensatz zu Kori interessiert mich das brennend >.<)
Und dann noch diese äußerst praktischen Heilfähigkeiten O.o Ziemlich geheimnisvoll ...


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