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Dryaden

Wichtelgeschichte für LumCheng
von

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Sechs: Seraphim

Seraphim war nicht sehr begeistert, dass er diesen Einsatz leisten musste.

Er war nicht dafür geeignet, einen vernichtenden Schlag gegen diese seltsamen Baumkinder zu leiten, das wusste er. Dennoch hatte er den Befehl bekommen, eine ziemlich große Gruppe Holzfäller – so passend der Name auch war, er musste grinsen - und Soldaten zu dem großen Baum zu bringen, der seinem Chef schon seit Jahren ein Dorn im Auge war. „Keine Maschinen dieses Mal“, so war es ihm gesagt worden.

Müde strich er sich eine vorwitzige Haarlocke aus der Stirn. Letzte Nacht hatte er trotz der lauen Frühlingsluft, die von außen in sein Zimmer geströmt war, kaum einschlafen können, so viele Sorgen hatte er sich gemacht. Die letzte Gruppe, die vor knapp vier Wochen aufgebrochen war, um endlich ‚das zu tun, was schon längst hätte getan werden müssen’, war nicht zurückgekehrt. Aufklärungstrupps hatten nur Reste von geschmolzenem Eisen gefunden, etwas, was sich nicht unbedingt beruhigend auf sein persönliches Seelenheil auswirkte.

Aber es hatte keinen Zweck. Befehl war Befehl und wenn es einer von ganz oben war, dann hatte er ausgeführt zu werden. Seufzend ergab er sich seinem Schicksal und lenkte den Braunen, auf dem er ritt, in Richtung der Holzfäller.

„Alles klar wegen nachher?“, rief er dem größten der grobschlächtigen Kerle zu, der eine überdimensionale Axt mit sich trug. Der Riese funkelte ihn aus seltsam kleinen, zusammengekniffenen Augen an, ganz so, als würde ihn das Tageslicht blenden. Seraphim fragte sich einmal mehr, ob die Gerüchte, dass die Holzfäller tief aus dem Untergrund stammten, wohl stimmten. Nur, welche Bäume gab es dort zu fällen?

„Alles klar“, wurde er angeknurrt. Das Pferd scheute, er hatte Mühe, es wieder unter Kontrolle zu bringen. Schnell wendete er und ritt zurück zu den Soldaten. Hier konnte er sich wenigstens halbwegs sicher sein, dass er sich nicht vorzeitig den Hals brechen würde.
 

Ein heftiger Wind zog über ihn und die anderen hinweg, je näher sie dem Baum kamen. Er hatte ihn schon so oft von der Stadt aus gesehen, doch jetzt, wo er sich so kurz vor dem Ziel befand, erschien er ihm gewaltiger als jemals zuvor. Wie sollte es nur möglich sein, diesen unendlich dicken Stamm zu durchtrennen, um den Baum ins Wanken zu bringen? Dazu brauchte es riesige Maschinen, aber eine Gruppe Holzfäller konnte es unmöglich schaffen. Er warf einen Blick auf den beunruhigend unmenschlichen Haufen, der da vor ihm und den Soldaten herschlurfte. Nun, wenn man diese kastenförmigen Körper und die baumstammdicken Oberarme betrachtete, konnte man schon davon ausgehen, dass sie fähig waren, eine Axt zu schwingen.
 

Etwas tropfte ihm auf die Schulter, und da war auch wieder dieser seltsame Wind. Die Soldaten schrien auf. Irritiert sah er nach oben und starrte direkt in ein klaffendes, rotes Maul.
 

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Die Holzfäller reagierten sofort, als der Drache über sie herfiel. Wild brüllend schleuderten sie dem Angreifer ihre Äxte entgegen, was dieser mit einem unwilligen Schnauben quittierte.

Was sollte denn das werden? Diese Menschen wollten ihn, den großen Glaurung, verletzen? Er hatte schon ganz andere Dinge überlebt. Das Schlagen seiner überdimensionalen Schwingen fegte die Soldaten der Organisation einfach weg, doch die riesigen Menschen mit den Äxten ließen sich nicht so leicht umwerfen. Glaurung lächelte.

Das dürfte interessant werden!, ließ er es in den Köpfen der Holzfäller erschallen, doch die reagierten nicht einmal darauf, sondern setzten unermüdlich ihren Weg zum Baum fort. Der Erste war schon angelangt und begann mit ungeheurer Kraft den Stamm zu bearbeiten. Der Drache konnte sehen, wie der gepeinigte Baum unter den Schlägen erzitterte. Das war gar nicht gut. Diese Typen einfach niederzubrennen, so wie er es das letzte Mal gemacht hatte, war nicht möglich, der ganze Baum wäre in Flammen aufgegangen. Er verfluchte das warme Wetter, das in den letzten Wochen die Erde und die Umgebung ausgetrocknet hatte.

Wütend schlug er mit seinen krallenbewehrten Pranken nach dem lästigen Menschen und schleuderte ihn zur Seite. Er musste landen, auch wenn er damit seinen entscheidenden Vorteil verlor, nämlich den, für die Äxte unerreichbar zu sein.

Aber er hatte es Magellan versprochen, er hatte versprochen, den Baum zu beschützen und die Idioten plattzumachen. Mit einem gewaltigen Krachen landete er auf der ausgedörrten Erde und schnappte nach zwei Riesen, die irre brüllend auf ihn zugelaufen kamen. Ihre Knochen knirschten befriedigend zwischen seinen Zähnen, er warf sie gegen den Stamm. Da spürte er einen heftigen Schmerz. Einer der Männer hatte seine gewaltige Breitaxt in sein Hinterbein gerammt, ein ruckartiger Schlag mit dem peitschenartigen Schwanz fegte auch ihn weg.

Doch es waren einfach zu viele. Es hätte drei von seiner Sorte gebraucht, um sie in Schach zu halten, er wusste es.
 

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„Sie machen ihn fertig!“, kreischte Amaranth hysterisch.

Magellan packte sie erschrocken am Arm, beinahe wäre sie von ihrem Aussichtsplatz hoch oben in den Ästen gestürzt. „Beruhige dich wieder“, herrschte er sie an. „Er ist ein Drache, verdammt, und du weißt, was er mit den Maschinen gemacht hat!“

Ganz überzeugt war er allerdings nicht. Glaurung schien erste Schwierigkeiten mit den Männern zu haben, die von hier oben wie winzige Ameisen aussahen.

„Müssen wir jetzt sterben?“, flüsterte Kitty, die neben ihrem ewigen Begleiter Kara und Vater hockte. „Nein“, murmelte ihr Beschützer geistesabwesend und streichelte ihr über die Wange.

Von unten ertönte Glaurungs grauenhaftes Kampfgebrüll, doch Magellan, hoch oben in den Ästen, nahm es nur am Rande wahr.
 

Sie waren nur noch zu sechst. Ängstlich wie Baumratten hockten sie ganz oben in der Krone und zitterten um ihr Leben.
 

Die anderen Dryaden hatten den Baum verlassen, alle waren geflohen, gegangen, hatten sich aus Angst um ihr Leben fortgeschlichen.
 

Es hat doch keinen Zweck mehr hierzubleiben. Sie werden uns kriegen, da kann uns auch ein Drache nicht mehr helfen.
 

War er zufrieden? War es das, was er wollte? War es überhaupt noch sinnvoll, den Baum zu verteidigen? Er starb, nein, er war gestorben, als all die Menschen verschwunden waren, die ihn beseelt hatten. Die Organisation musste bemerkt haben, was passiert war, dieser Angriff war der beste Beweis. Selbst wenn sein Drache die Holzfäller zurückschlagen konnte, es würden neue kommen und was würde dann passieren?
 

„Glaurung!“, schrie er und wusste im gleichen Moment, dass der andere ihn hören würde. Glaurung verstand, Glaurung liebte ihn, Glaurung war nur hierher gekommen, um bei ihm zu sein.

„Komm zurück, es hat keinen Sinn mehr!“
 

Amaranth und Kara starrten ihn ungläubig an. Er lächelte verzweifelt. „Wir werden auch gehen. Der Baum wird sterben und was sollen wir dann machen? Es ist besser, wir hauen jetzt ab, bevor es zu spät ist.“

„Dass ausgerechnet du so etwas sagen würdest…“, staunte Kara. „Ich hätte gedacht, du würdest ewig hier ausharren und warten, bis dich die Organisation herunterpflückt.“

„Das dachte ich auch“, knurrte Magellan. „Schnell, holt eure Sachen. Wir verlassen diese Stadt.“
 

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Unter ihnen rauschte der Atlantische Ozean vorbei. Es war kalt auf Glaurungs Rücken, doch sie kauerten sich zusammen, um sich zu wärmen.

In Magellans Kopf rauschte eine wahre Bilderflut.

Er hörte eine tiefe Stimme grollen. Sie erzählte von der Flucht aus einer Stadt, die London hieß, von Strapazen und einer langen Reise, er sah die Alte Welt und eine große Insel, von der der Drache einst losgezogen war, um das Festland zu finden und Sand, viel Sand. Bäume wanderten auf diesem seltsamen Kontinent, große, mächtige, unzählige Bäume, viel Platz für ein neues Dryadenvolk. Und viel Platz für einen mächtigen Drachen.



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