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Raftel (1)

When Spirits Are Calling My Name ...
von

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58 - Loguetown

Niemals würde Tashigi diese letzte Szene vergessen, als Zoro vor ihren Augen verschwand. Sie war klar umrissen, als ewiges Traumbild in ihrem Gedächtnis eingebrannt und so jung wie der frische Morgentau, welcher eben auf den Grashalmen lag, sich zu Tropfen sammelte und das Licht brach. Das Funkeln einer Kristallsammlung war ein Nichts dagegen. Die Szene wurde stets lebendig vor ihren Augen, sobald sie an Deck der Sunny hinüber zur Reling ging. Wie ein Déjà-vu-Erlebnissen wiederholte sich die Handlung immer wieder und wieder. Also ließ sie es nach ein paar Tagen bleiben, unnötige Wege an Deck zurückzulegen. Es sollte genügen, vom Schlafraum zum Bad oder zur Küche zu gehen und den Kopf nicht zur Reling zu wenden. Doch es war schwer. Diese Art von Erinnerungen schmerzte sehr und war unerträglich.

Sie hatte nicht heulen wollen, doch als an jenem Tag von Zoros Verschwinden die Crew aus ihrem Schlaf erwachte und auch einmal nach und nach an Deck trat, konnte ihr verheultes Gesicht kein Lügengerüst aufbauen, dass alles in Ordnung wäre. Es gab Situationen, da war es einfach besser, nichts zu sagen und so ging sie wortlos an allen vorbei und verkroch sich tief unter ihrer Bettdecke. Zwar verstand im ersten Moment niemand ihre merkwürdige Reaktion, doch schon bald war klar, dass eine große Veränderung eingetreten war. Zoro war verschwunden. Wieder einmal. Und niemand wusste das Wieso und das Warum. Es war unnötig darüber nachzudenken, ob so etwas unverschämt oder typisch für ihn war.

Der Mannschaft war klar, dass nur allein Tashigi die Antwort zu diesem plötzlichen Verschwinden geben konnte. Doch man schwieg für den Anfang rücksichtsvoll. Längst war zudem allen die unerzählte Schwangerschaft aufgefallen. Bei dünnen, zierlichen Frauen ließ sich ein Babybauch im knapp fünften Monaten nur schwerlich verbergen.

Doch an jenem besonderen Tag gab es ein ganz anderes Phänomen zu betrachtet, welches ebenso spannend war wie die Aufregung um ein vermisstes Crewmitglied. Noch vor wenigen Stunden in absoluter Dunkelheit einer Eiswüste zu Bett gegangen, überstrahlte nun ein ungewöhnlich warmes Zwielicht die komplette Szenerie. In dieser Dämmerung zu stehen und zu wandeln ließ sich kaum in Worte fassen. Wie ein frischer blühender Frühlingstag durchströmte er die vereisten Seelen der Crew und gab jedem einzelnen von ihnen neue Lebenskräfte.

Aber schon bald wich das warme Licht einem malerisch schönen Sonnenaufgang. Pastellfarben breiteten sich am Firmament aus, wie man sie selten gesehen hatte und ließen den Himmel so unglaublich hoch und weit erscheinen. Unerreichbar und endlos. Und auch jetzt wurde den Piraten erst gewahrt, dass sie von den weichen sanften Wogen der Grandline umgeben waren, die fast geräuschlos an die Planken der Sunny schlugen. Die Sonne stieg empor und erwärmte mit ihren Strahlen die letzten eingefrorenen Glieder der Mannschaft. Ein herrlicher sommerlicher Tag hatte begonnen, als wäre nie etwas geschehen.

So unglaublich und seltsam auch alles sein mochte, der Alltag holte sie schnell ein: Hunger machte sich in allen Mägen breit und schon kurze Zeit später versammelten sich alle wie gewohnt um den großen Tisch im Speisesaal. Man ließ sich Sanjis Gaumenfreuden schmecken und diskutierte die neue Situation.

„Wo ist den Zoro? Wie kann der einfach abhauen?“ überlegte Luffy lauf mampfend.

„Ach, halt doch die Klappe. Siehst du nicht, das Tashigi traurig ist?“ musste sich der Captain von Franky grob zurückweisen lassen.

„Richtig, du Grobian. Sei nicht so hart zu ihr!“ tobte Sanji bestätigend aus der Kombüse hervor und fügte noch an: „Ich habe fast keine Vorräte mehr. Wir müssend dringend einen Hafen anlaufen.“

Die Navigatorin seufzte über diesen Trubel und brachte dann mit einem heftigen Faustschlag auf den Tisch die Meute zur Ruhe.

„Ok, Leute! Was auch immer passiert ist, wir müssen uns dennoch um das Vorratsproblem kümmern. Ich habe vorhin unsere Position bestimmen können. Wir sind nach wie vor in der Nähe von Rice Island, von wo wir vor kurzem abgelegt hatten. Aber auch Raftel müsste nicht weit sein. Ich schlage vor, wir kehren erstmal nach Rice Island zurück. Die Insel war ja sehr schön und Vorräte bekommen wir dort auch.“

Aufmerksam hatten ihre Freunde gelauscht und nickten nun zustimmend. Selbst Luffy ließ sich diesen Weg ohne Protest vorschreiben, denn Essensbeschaffung war immer ein akzeptables Argument. Zudem beschäftigte ihn das Abhandengekommenseins eines seiner Crewmitglieder innerlich mehr, als es jeder einzelne in der Gruppe auch nur erahnen könnte. Es war nur die Ruhe vor dem Sturm.
 

Zur lauschigen Mittagszeit erreichten sie die seichten Gewässer von Rice Island. In der Ferne zeichneten sich in hellem Taubenblau die ersten Berge der grünen Insel gegen das Azurblau des Himmels ab. Man freute sich an Bord über dieses grüne Eiland, obgleich man sich bei diesem Anblick kaum noch an die Kälte und Dunkelheit der Eiswüste zurückerinnern vermochte. Die Sonne strahlte wie nie und brutzelte den Deckrasen der Sunny derart intensiv, dass es Franky zum Grübeln brachte. Erste unansehnliche braune Stellen von verbrannten Halmen machten sich auf dem Grasflecken breit. Der Zimmermann verschwand mit einem Kopf voller aberwitziger Pläne in seinem Bastelraum, dass es wohl dringend Zeit für eine vernünftige Rasenberegnungsanlage wäre. Die Crew amüsierte sich über diese Konstruktionspläne. Nur Franky könnte auf solch verrückte Ideen kommen. Da waren sie sich allesamt einig.

Mit Ankunft der Zeitungsmöwe sollte sich diese heitere Stimmung ändern. Erst hört man nur ein Keifen einer wütenden Navigatorin und dazwischen ein empörtes Krächzen der gefiederten Flugbotin.

„Verarschen kann ich mich auch allein! Ich will keine Uralte, sondern die Zeitung von heute haben!“ brüllte Nami die Möwe mit hochrotem Kopf an.

Diese aber beteuerte, dass es eine aktuelle Ausgabe wäre und flog beleidigt von dannen nicht ohne im Abflug aus Frust noch einmal auf das Schiffsdeck zu scheißen. Tobende Flüche wurden ihr hintergerufen, doch das alles scherte den weißen Vogel nicht. Sollte die Frau doch schreien. Es gab weit aus nettere Kundschaft. Mit erhobenem Schnabel flatterte sie beleidigt davon, um den nächsten Zeitungsleser ausfindig zu machen.

Nami hingegen stampfte wütend über den vermeintlichen Kaufbetrug hinauf zum Essraum. In ihrer Hand zerknüllte sich das Zeitungspapier.

„Nami-Süße, was erregt dein zartes Gemüt so sehr?“ säuselte Sanji aus der Kombüse herüber.

„Ach, schaut euch das an“, warf sie ihren Freunden sauer an den Kopf. „Die Zeitungsmöwe hat mich reingelegt. Das Käseblatt ist fast ein ganzes Jahr alt!“

„Nö, nur ein Dreivierteljahr“, korrigierte sie Usopp, der das zerknüddelte Etwas sachte mit seinen Händen glättete. Auf seinen Einwand hätte er jedoch lieber verzichten sollen. So kassierte er umgehend eine üble Kopfnuss.

Das Wetter mochte sich nicht entscheiden. Schäfchenwolken und eine flotte Brise machten sich auf. Und so vertröstete man Nami, sich doch einfach eine aktuelle Zeitung auf Rice Island zu besorgen, denn die Brise würde sie schnell zu ihrem Ziel vorantreiben.
 

Der anfängliche Zeitungsfrust wandelte sich jedoch schon bald in ein böses Erwachen, als die Navigatorin gezielt zu den Zeitungsauslagen ging und mit großen Augen feststellen musste, dass auch hier nur das bereits von ihr kürzlich erworbene Exemplar zu finden war. Nachdenklich ging sie wieder an Bord und verkroch sich in die Bibliothek. Sie war derart in ihre Überlegungen versunken, dass sie es vollkommen vergaß es zu bemängeln, dass wieder einmal Vorräte und sonstige Einkäufe von ihren Freunden überall zwischengelagert wurden, wo sie eigentlich nichts zu suchen hätte.

Wiederholt ließ sie ihre Augen über die Titelseite der Zeitung gleiten und fühlte sich in einen Alptraum versetzt. Dann stand sie auf und entnahm dem Regal das Logbuch, welches sie zu diesem damaligen Tag geführt hatte.
 

„15. August 1522

6.00 Uhr: Seegang ruhig, Wetter bei 25°C, sonnig.

12.00 Uhr: Seegang ruhig, Wetter bei 32°C, sonnig. Kurs: 62 Seemeilen vor Bamboo Village.

20.51 Uhr Ankunft auf Bamboo Village.

Besondere Vorkommnisse: Zoro und Chopper sind von Bord gegangen.“
 

„Zoro und Chopper sind von Bord gegangen …“ gab sie diesen einen letzten Satz noch einmal laut murmelnd von sich. Gewohnt neutral sachlich war dieser Satz gehalten, wie es für ein ordentlich geführtes Logbuch typisch war. Zwischen den Zeilen würde niemals jemand von dem großen Streit und den vielen Tränen an jenem Tage damals erfahren. Nur zu gut erinnerte sie sich an ihre aufgewühlten Gedanken, an die Traurigkeit und Verzweiflung, was um alles in der Welt passiert war. Wie hatte es nur so weit kommen können?

Nun aber standen sie wieder an diesem Punkt. Jedoch war die Ausgangslage anders. Sie hielten nicht Kurs auf Bamboo Village und es würde um Choppers Monsterform wohl auch keinen Streit geben. Aber Zoro war wie damals weg. Dafür war nun Tashigi da.

„Tashigi…“, schnaufte Nami leise grollend. Warum fuhr dieses Weib eigentlich mit? Klar wusste sie um Luffys Entscheidung und die Sachzusammenhänge. Aber es ging mehr um den Gedankengang, weshalb es ihr selbst ein Dorn im Auge war. Wenn sie genau darüber nachdachte, gab es eigentlich keinen Grund. Aber das ließ die Navigatorin nicht gelten. Vielleicht lag es einfach daran, dass diese Frau zur Marine gehörte und eine Feindin war, obgleich Tashigi niemals eine ernsthafte Bedrohung für die Bande dargestellt hätte. Sie war zu einfach gestrickt und tollpatschig, um jemals gefährlich hätte werden können. Aber das hätte Frau Leutnant eh niemals gewollt, denn es ging ihr eh immer nur um die Privatfehde mit Zoro. Den hatte sie ja nun wie auch immer auf ihre ganz eigene Art und Weise besiegt. Es war für Nami unvorstellbar, dass ausgerechnet jemand wie Tashigi den Schwertkämpfer so herumbekommen konnte. Ausgerechnet Zoro, der doch immer so unerschütterlich schien.

Es knackte zwischen Namis Zähnen und der Bleistift, den sie gedankenverloren bekaut hatte, gab dem Druck ihrer beider Kieferknochen nach. Sie erschrak darüber, denn sie hatte nicht einmal bemerkt, dass sie auf dem Schreibwerkzeug herumgekaut hatte.

Seufzend betrachtete sie die zernagten Überreste des Stiftes und wischte ihn mit einem Taschentuch trocken. Es war genau der passende Zeitpunkt, dass Robin in die Bibliothek trat, um einen Stapel Bücher wieder ins Regal zu sortieren.

„Robin? Glaubst du an Zeitreisen?“ sprach sie die Archäologin nachdenklich in der Hoffnung an, ihre abstrusen Gedanken bestätigt zu bekommen.

„Zeitreisen? Wie kommst du darauf? Nun, physikalisch ist es unmöglich. Doch seit wir mit den Prismenträgern und Kali-Kindern in Berührung gekommen sind, denke ich schon, dass vor uns noch ein weites Feld an Möglichkeiten liegt.“

Robin gab sich wieder immer lässig und ruhig. Nami bewunderte sie dafür, stets so ruhig und ausgeglichen sein zu können. Robin erklärte alles immer von einem rein wissenschaftlichen Standpunkt her. Und es klang jedes Mal so verständlich simpel, als wäre es das Natürlichste auf der ganzen Welt. Wie sollte man sich da Sorgen machen?

„Die Zeitung ist echt. Wir haben einen Zeitsprung gemacht zu dem Tag hin, als Zoro und Chopper gegangen sind. Meinst du, die Geschichte wiederholt sich? Sind wir nun in einem ewigen Kreis von Wiederholungen gefangen?“ gab Nami zurück.

Die Wissenschaftlerin dachte kurz nach.

„Hm, das ist höchst spannend. Aber wie könnte sich nun die Geschichte wiederholen? Die Ausgangslage ist eine ganz andere als damals. Es liegt an uns selbst, eine neue Zukunft zu gestalten.“

Die beiden Frauen diskutierten noch eine Weile über das neue Thema. Es tauchten neue Fragen auf, ob nur sie allein oder die ganze Welt zurückversetzt worden war und wer dahinter stecken könnte. Doch sie fanden kein befriedigendes Ergebnis und so wurde beschlossen, dass nun doch einmal Tashigi befragt werden müsste. Gleich sofort auf der Stelle.
 

Es passte sich, dass sich die ganze Crew zum Nachmittagssnack versammelte. Die Navigatorin ergriff augenblicklich das Wort und berichtete breit über die neue Situation. Eingehend ließ man sich hitzig über die Zeitreise aus. Über das Warum und Wieso. Und überhaupt. Stumm hatte Tashigi die Debatte verfolgt, doch innerlich bebte sie und Tränen standen ihr in den Augen.

„Ja, ihr habt in vielen Punkten recht“, begann sie mit gezwungen fester Stimme zu reden. Sie zitterte am ganzen Körper.

„Reg dich nicht auf, Tashigi! Denk an die Babies!“ wollte Chopper sie abhalten. Aber gewisse Dinge mussten zu gewissen Zeiten einfach gesagt werden.

„Zoro wollte nicht, dass wir im Eis versinken. Er wird nicht gewusste haben, wohin die Reise geht. Ich weiß auch nicht, wo er nun ist. Aber das ist mir egal. Er ist weg!“

Damit stand sie auf und ging. Draußen vor der Tür rutschte sie an der Wand herab und heulte sich dort platziert aus. Sie zitterte immer noch am ganzen Leibe, fühlte sich hilflos und leer.

„Und nun?“ hörte sie eine ruhige männliche Stimme.

Tashigi sah auf und starrte in Luffys verschlossenes Gesicht. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er ihr folgen würde. Nun stand er dort mit den Händen in den Hosentaschen und gesenktem Haupt, wie er es immer machte, wenn er eine ernste Lage überdenken musste.

„Ich werde gehen. Ich habe euch schon zuviel Ärger gemacht und das Piratenleben ist nichts für kleine Babies. Vielleicht haben nur wir einen Zeitsprung gemacht und ich könnte in Loguetown wieder meinem alten Job bei der Marine nachgehen. Dann wären die Kinder versorgt und sicher. Und ihr könnt weiter das One Piece suchen“, überlegte sie laut plappernd.

„Ohne Zoro kommen wir nicht zum One Piece. Ich hätte erwartet, dass er mir seine Entscheidung mitteilt“, kam es nur kurz angebunden. Doch Tashigi hörte in seinem Tonfall eine große Wut. In ihrer Trauer war es ihr noch nicht in den Sinn gekommen, dass die Strohhutbande ohne einen Hanyô bei der Suche aufgeschmissen war. Sie hatte nur über sich und ihre eigene Zukunft nachgedacht. Doch nun fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, dass ihr Freund seinen Kapitän mal eben mir Nichts, dir Nichts in einer anderen Dimension ausgesetzt hatte. Ohne Erlaubnis, Nachfragen und ganz eigenmächtig und eigennützlich. Das würde Luffy wohl kaum verzeihen und verschmerzen können.

„Ja, das stimmt. Ich war dumm und habe nicht nachgedacht. Es tut mir leid“, sagte sie kleinlaut.

„Schon in Ordnung. Ist es wirklich dein innigster Wunsch zu gehen? Wir werden uns vielleicht so schnell nicht wiedersehen. Du wirst dann wieder auf Seiten der Feinde stehen.“

„Nein, es ist nicht mein innigster Wunsch. Es ist für uns alle die derzeit komfortabelste Lösung. Es muss so sein. Ich bitte um Erlaubnis, die Crew verlassen zu dürfen, Captain.“

Beide schwiegen. Der Wind wehte sanft übers Deck und bewegte die Grashalme. Er spielte mit den Haaren und der Kleidung und gab der Szene eine lange Atempause.

„Dann muss es wohl so sein. Wir werden dich nach Loguetown bringen.“ Damit wandte sich der Strohhutjunge zum Gehen.

„Danke, Luffy.“

„Kein Problem.“
 

Chopper brach an diesem Tage zum zweiten Mal in Tränen aus. Beim ersten Mal beweinte er den Tatbestand, seine gepflanzten Blumensamen niemals blühen zu sehen, denn die wären ja nun weit seiner Zeit voraus. Und beim zweiten Mal vergoss er viel Augenwasser über Tashigis zukünftigen Weggang. Zwei Nakama in so kurzer Zeit? Das ging nun wirklich nicht.

Auch Heulsuse Usopp stimmte in die Weheklagen des Rentiers mit ein und selbst die restliche Mannschaft bedauerte sehr ihren Abschied. Aber nichts konnte Tashigis Entschluss ändern.

Man versprach sich, in Verbindung zu bleiben, denn wozu gab es sonst die Teleschnecke, um sich irgendwann einmal wiederzusehen.
 

Gute zwei Wochen später sollte der Abschied an den Kaimauern von Loguetown noch tränenreicher enden. Lange stand die ehemalige Marineangehörige da und sah dem Schiff nach, bis es hinter der Horizontlinie verschwand. Nur zwei Seesäcke voller Habseligkeiten, ein Babybauch und Zoros Schwerter um die Taille gebunden erinnerten an ein großes, langes Piratenabenteuer.

Für die Sunny und ihre Besatzung ging das Abenteuer auf der Grandline weiter und man wartete gespannt auf die Entdeckung, ob sie nun Brook am Reverse Mountain antreffen würden oder nicht.

Luffy hatte sich in den Kopf gesetzt, One Piece zu finden: Mit oder ohne Zoro. Dann würde das Abenteuer eben noch länger und noch spannender werden. Ein schwacher Trost, aber immerhin.
 

Wie lange sie hier gestanden haben musste, vermochte Tashigi später nicht mehr zu sagen. Jedenfalls hatte die Sunny gegen Mittag in dieser ruhigen Ecke des Hafengeländes abgelegt und nun warfen die Lagerhallen entlang der Kaimauer bereits lange Schatten. Ein gewisses Zeichen dafür, dass schon einige Stunden zum Abend hin vergangen waren.

Sie riss sich aus ihren Gedanken und sah sich um. Die Gegend war verlassen. Staub wirbelte von der Hafenstraße auf, wenn man darüber lief. Die Luft war schwülheiß und stickig. Am Wochenende eines heißen Spätsommertages kam hier gewöhnlich niemand vorbei, daher hatte sie diesen Platz zum Anlegen auch mit bedacht ausgesucht.

Nun aber war sie wieder allein. Nur das Möwengekreische und das seichte Schlagen der Wellen an die Kaimauer unterbrach die Stille. Sie war wieder zuhause in ihrer Heimatstadt. Hier hatte das Abenteuer begonnen und jetzt schien es hier wieder zu enden. Loguetown, die Stadt, wo alles beginnt und endet. Tashigi lachte laut auf, als ihr dieser Gedanke kam. Sie wischte sich eine Träne aus den Augenwinkeln. Eine Heimkehr sollte Frohsinn und Glück verstrahlen, doch davon war sie weit entfernt.

Langes melancholisches Dahinschwelgen brachte nichts. Sie schulterte unbeholfen die beiden schweren Seesäcke und machte sich langsam auf den Weg zur Innenstadt. Die feuchte Hitze war drückend und schon bald lief ihr der Schweiß in Strömen vom Körper herab. Schweißflecke zeichneten sich auf ihrer Kleidung ab und ließ sie störend auf der Haut kleben.

Wohin sollte sie nun gehen? Wusste man hier von der Vergangenheit oder würde alles so sein wie früher? Das galt es als erstes herauszufinden. Erschöpft steuerte sie ein kleines Café an, bestellte eine große kühle Schorle und beobachtete das Geschehen. Sie dachte nach. Letztes Mal um dieses Datum herum war sie mit Smoker noch auf Mission. Sie waren in das gerade neu aufgebaute Marinehauptquartier geordert worden, um ihre Befehlsunterlagen für das kommende Jahr abzuholen. Dann brach die Sensation von Luffys Verhaftung durch und so bekamen sie letztendlich den Auftrag, die Seesteinkisten nach Loguetown mitzunehmen.

Sie würde sich also etwas Gutes einfallen lassen müssen, wenn sie sich hier wieder allein auf der Marinestation zurückmelden würde.

Tashigi blätterte in den ausliegenden Zeitungen und studierte die Anschläge und Steckbriefe an den Hauswänden. Nein, von Luffys zukünftiger Hinrichtung war nirgends etwas zu entdecken. Die Geschichte hatte sich demnach also verändert, denn die Strohhüte waren nicht wie damals nach Raftel gesegelt, sondern hierher.

„Leutnant Tashigi! Sie sind schon wieder zurück? Ist Admiral Smoker auch wieder auf der Station?“

Eine vorüber ziehende Patrouille hatte sie dort am Tisch sitzend entdeckt. Trotz der Hitze spürte Tashigi, wie es ihr nun noch heißer wurde. Schnell brauchte sie eine Idee. Smoker war also noch nicht da? Da ließ sich doch etwas daraus stricken.

„Ja, ich bin früher zurückgekehrt. Admiral Smoker hat noch eine Sondermission zugeteilt bekommen. Das kam sehr überraschend“, log sie mit hochrotem Kopf, welchen man auch auf die Hitze zurückführen konnte. Die Soldaten schöpften keinen Verdacht. Immerhin kam die Aussage von einer Vorgesetzten und so was zweifelte man nicht an. Sie ließen sich von Tashigi befehlen, die schweren Seesäcke zu schleppen.

„Das ging ja doch recht einfach“, dachte sich Tashigi verwundert und freute sich insgeheim über ihre Blitzidee, ihr Gepäck nicht mehr selbst tragen zu müssen. Lediglich die Schwerter hielt sie fest umklammert in den Fäusten.
 

Schnell kam das Trio voran. Die Straßen waren leer. Dafür sammelten sich Passanten in Straßencafés oder unten in der großen Badebucht am Meer.

Es waren die letzten Tage eines Sommers und die wollte man genießen, bevor die ersten Herbststürme wieder die dunkle und nasse Jahreshälfte einläuteten. Es gab wohl kaum einen Ort auf der Welt, wo die Jahreszeiten so bilderbuchhaft wie hier auf Loguetown waren. Zwar war diese Insel vom Stadtgebiet überbaut, jedoch gab es noch viele kleine Ecken Natur zu bewundern.

Während Tashigi noch einigen Träumen hinterherhing, hatte sie nicht bemerkt, dass sie plötzlich vor dem Marinequartier standen. Nichts hatte sich verändert. Alles war so wie damals, als sie gegangen war. Nun ja, es war ja auch „damals“.

„Ist etwas nicht in Ordnung?“ erkundigte sich einer der beiden Soldaten, der sich über das Stehenbleiben seiner Vorgesetzten vor dem Gebäude wunderte.

„Hm? Ähhh, nichts. Mir war nur nie aufgefallen, wie sanierungsbedürftig doch die Stationsfassade ist“, log diese noch einmal und unterstrich nun die Verwunderung der Soldaten. Zwar war es richtig, dass die Station eines der schäbigsten Gebäude der Straßenzeile war, aber seit wann interessierte sich jemand für die Station? Tashigi beachtete die beiden nicht weiter, ließ sie kommentarlos stehen und betrat den Empfangstresen.

„Soldat, teilen sie der Mannschaft mit, dass Punkt 20 Uhr eine Besprechung im Mannschaftsraum stattfindet. Es herrscht Anwesenheitspflicht“, befahl sie dem wachhabenden Offizier.

„Jawohl, Frau Leutnant!“ salutierte dieser zurück.

Ihr Magen knurrte und ein Blick auf die große Uhr in der Wachstube ließ sie hoffen, noch einen Rest vom Abendbrot in der Kantine ergattern zu können.

Bei Saté-Spießen mit Reis ordnete sie ihre Gedanken und legte sich eine Taktik zurecht. Sie hatte noch eine gute Stunde Zeit bis zu der Versammlung. Da musste nun jede Handlung wohl überlegt sein, um keine Aufständler in den eigenen Reihen zu haben. Smoker fehlte und nun wäre sie selbst die Befehlshabende. Doch das musste der Mannschaft erstmal verklickert werden und es war auch nicht unbedingt ein Traumjob, über diese Truppe zu regieren. Loguetowns Truppe war eine Mannschaft der ewigen Nörgler. Schichtzeiten waren ihnen nicht recht, die Bezahlung war ihnen nicht recht, die Teambildung war ihnen nicht recht, ... Was war denen überhaupt recht? Zwar führten sie ihre Befehle aus, jedoch konnte es Nerven kosten. Es war Smokers souveränes Auftreten gewesen, welches diese bockige Truppe in der Vergangenheit gelenkt hatte.

Da fiel Tashigi auf, dass sie wohl kein gutes Auftreten hätte, wenn sie in ihrem aktuellen Zustand vor der Mannschaft stünde. Sie war verschwitzt, mit Staub bedeckt und die Haare zerstrubbelt. Ein Duschbad war dringend von Nöten.

Vielleicht war es am einfachsten, die Verantwortung abzuschieben. Ja, das war das Beste. Dazu müsste sie nur ein paar Faxe an das Marinehauptquartier schicken. Sollten die sich doch einen Kopf über ihre Truppen machen.

Gesättigt und gestärkt ging sie zurück in die Wachstube, kramt ordnungsgemäße Formulare hervor und machte sich ans Ausfüllen. Die Marine war auch nichts anderes als ein Amt. Da kam man bei den Formularen und Anträgen nicht herum, mindestens zu jedem Blatt drei Durchschläge anfertigen zu müssen. Ein Tatbestand, denn sie auf der Sunny nie vermisst hatte und ihr jetzt als ziemlich leidliche und stupide Arbeit vorkam. Das Teleschneckenfax ächzte unter den vielen Seiten, die übertragen wurden: eine Rückmeldung, dass sie ihren Posten wieder bezogen hatte, eine Anfrage, wer die Station leiten sollte und eine Mitteilung über ihre Schwangerschaft.

Während sich die Teleschnecke abmühte, sprang Tashigi unter die Dusche, nur um schon kurze Zeit später frisch gewaschen und gebügelt ihrem zukünftigen Mannschaftshaufen zu eröffnen, dass es hier nun einen neuen Führungsstil geben würde, bis Smoker wieder auftauchte.

Zwar nickte die Truppe und bestätigte diese Entscheidung mit einem „Jawohl, Frau Leutnant.“, aber das Grinsen in den Gesichtern deutete auf einen schweren Start hin. Man würde sehen müssen.
 

Loguetown war nicht allein die Stadt, in der alles begann und alles endete. Erst seit Goldrogers Ära haftete dieser Zweitname der Insel an. Doch schon viel früher wurde sie auch die „Insel der Farben“ genannt und man erfreute sich an den malerischen Jahreszeiten. Kaum nirgends hatte eine Insel ein so ausgewogenes Klima wie diese, so dass hier nicht nur auf Grund der günstigen Lage zur Grandline ein reges Handelszentrum sich etabliert hatte, sondern sie mittlerweile auch ein starker Touristenmagnet war.

Als Tashigi heimkehrte, war der August mit seinen langen, heißen Sommertagen gerade am Gehen. Er nahm die heftigen Hitzeunwetter und scheppernden Nachtgewitter ebenso mit sich wie all die vielen Badeurlauber, die sich unten in der großen Badebucht tagtäglich um jedes Sandkorn gestritten hatten. Gleichermaßen gingen die Strandkorbvermittler, die Eisverkäufer und die Souvenirladeninhaber davon. Man wollte die kleinen Strandbüdchen und Molen von Badeurlaubserinnerungen befreit haben, bevor der Herbst neue Kundschaft mit sich brachte.

Der Herbst hatte wie je her die Farben Orange, Braun und Gelb. Nachts wurde es nun schon bitterkalt. Die ersten Winde kündigten die stürmischen Regenwochen an. Sie spielten mit den bunten Blättern der Bäume und ließen sie in wilden Pirouetten umher tanzen. In den kleinen Wäldern tobte die Jagdsaison durchs Dickicht und zertrampelten die Pilzernte der wandernden Hobbysammler. Kinder sammelten Kastanien und Bucheckern. Das bunte Papierdrachenfest war ein Höhepunkt dieser Jahreszeit, welche mit dem Laternenfest ausklang. Der November brachte dann mit seinem Grau die große Traurigkeit und gab den Weg für die Nebelsuppe frei, die jede letzte Fröhlichkeit verschluckte.

Und plötzlich wurde alles weiß. Der Winter hatte mit seinem ersten Schneefall die letzten Nebelfelder des Herbstes vertrieben. Die Kälte klirrte förmlich und sollte über den Jahreswechsel sogar einen neuen Temperaturrekord aufstellen.

Tashigi träumte über ihren Teetassenrand hinweg hinaus durch das Fenster, wo leise dicke Schneeflocken zu Boden fielen. Es war ein Vorteil, nun die meiste Zeit in der Marinestation am Schreibtisch verbringen zu dürfen. Sie mochte nicht mehr durch die glatten Straßen auf Streife gehen. Der Herbst war zum Spazierengehen wunderschön gewesen, doch nun zum eisigen Winter war damit Schluss. Im neunten Monat der Schwangerschaft fiel ihr alles schwer. Jede Drehung und jede Bewegung wurde durch den kugelrunden Bauch beeinträchtigt. So langsam hatte sie keinen Lust mehr, schwanger zu sein und sehnte den Tag der Entbindung herbei.

Klatsch! Ein Schneeball haftete an der Fensterscheibe und draußen verflüchtigte sich Kinderlachen.

Das Geräusch riss Tashigi zurück in die Realität. Wie ihre beiden Kinder wohl werden würden?

Nur noch eine knappe Stunde bis Dienstschluss. Es sollte dann der letzte Dienst sein, den sie vor ihrem Mutterschutz antrat. Vor ihrer großen Reise hatte Tashigi es nie verstanden, warum sich Leute auf den Dienstschluss freuten. Nun wusste sie es: Es gab ein Leben außerhalb der Arbeit. Sie sehnte sich nach dem Leben auf der Sunny. Regelmäßig ging sie mit der Angst zu einer abgelegenen Telefonzelle. Die Angst, abgehört und verraten zu werden. Es waren lange Gespräche und Tashigis Geldbeutel wies regelmäßig zur Monatsmitte eine gähnende Leere auf. Die Berry-Taler rasselten förmlich durch den Münzapparat. Hängte sie dann schweren Herzens den Hörer in die Gabel, fühlte sie sich leer und verbraucht. Obgleich sie in Loguetown aufgewachsen war und wie ihre Westentasche kannte, hatte sie es all die Jahre versäumt, ein soziales Netz von Bekannten und Freunden aufzubauen. Sie war mit ihrem Job verheiratet gewesen, der sie ausgefüllt und gleichermaßen für die Schönheit der Welt erblinden lassen hatte. Vielleicht war es Zeit für eine Scheidung?

Sie haderte bei diesem Gedanken. Von was sollte sie leben? Ein Sprichwort sagte: „Kommt Zeit, kommt Rat.“ Tashigi schien es, als würde die Zeit gegen sie laufen. Bald hatte sie zwei kleine Kinder, die ebenfalls sicher und behütet versorgt werden wollten.

Schnell ordnete sie Akten und Berichte vom Schreibtisch weg. Akribisch verfolgte sie nun seit Monaten jede Meldung über Straftaten, die aus dem Teleschneckefax direkt vom Hauptquartier ins Haus flatterten. Doch so sehr sie, auch die Nachrichten durchforstete, sie fand keinen Hinweis über den Verbleib von Zoro oder Smoker.

Doch nun machte sie etwas stutzig als sie eine Überschrift auf einem der Faxe las.

„Schon wieder so was“, dachte sie. Es war nicht die erste Nachricht mit derart mysteriösem Inhalt gewesen. Es hatte ihre Neugier geweckt und daher war schon ein dicker Ordner mit diesem Thema angelegt worden.

Es klopfte an der Tür und vollkommen überrumpelt zerknüddelte Tashigi das Stück Papier und ließ es eilig in der Tasche verschwinden.

„Herein!“ rief sie.

Ein Mann mittleren Alters trat ein.

„Melde mich zur Wachablösung, Frau Leutnant!“ salutierte der Soldat gleichen Ranges wie sie selbst. Er war ihre Schwangerschaftsvertretung frisch eingeschifft aus einer entfernten Basis einer Westblue-Insel. Seine Akte las sich passabel und die Übergabe alle Unterlagen verlief reibungslos.

Für Tashigi blieb nun nichts mehr zu tun, als ihre letzten sieben Sachen zusammen zu suchen und zu gehen. Noch ein letztes Mal ging sie die Treppe nach oben, in ihr altes Zimmer, welches nun gespenstisch verwaist war. Nein, hier hielt sie nichts mehr. Viele Erinnerungen lasteten auf diesem Ort. Ihre Augen suchten den dunklen Ascheflecke, den einst Zoros Kohle geschwärzten Haare hinterlassen hatten. Doch diesen Abdruck würde die Wand nie zu spüren bekommen. Es war einfach der falsche Zeitstrahl. Leise ließ sie hinter sich die Tür ins Schloss fallen.

Ein kleines Zimmer in einem anderen Stadtviertel würde nun zukünftig ihr zuhause sein. Liebevoll hatte sie sich von ihrem wenigen Lohn Möbel gekauft und es hübsch eingerichtet. Warme Farbtöne strahlten von den Wänden. Es sollte keinen Grund zum Trübsal blasen geben.
 

Es war nur einige Tage später, als die Hebamme sich in der dunkelsten Nacht und im übelsten Schneegestöber einen Weg zu Tashigi bahnen musste. Vermutlich war es die finsterste und scheußlichste Nacht, die Loguetown je erlebt hatte. Der Teufel persönlich hatte Ausgang und er feierte es ausgelassen.

Nie zuvor war in den Stadtchroniken solch eine Nacht verzeichnet worden, wo sich Unglücke häufte, Häuser in Flammen aufgingen, Alte und Kranke verstarben und viele Einwohner von schlimmen Magenkrämpfen heimgesucht wurden.

Man bettelte und betet um das Ende dieser Nacht, doch die Sonne schien von der Nacht gefressen worden zu sein. Selbst Mond und Sterne waren nie dagewesen.

„Ein großes Unglück ist passiert“, murmelte die alte Serafina, mischte ihre Karten und putzte ihre Kristallkugel. Sie hatte panisch ihr Zelt verlassen, sich in der nächstbesten Kneipe verschanzt und nervte nun die verängstigten Kneipengänger mit einer Endzeitlegende.

„Der Gott der Sonne“, sagte sie. „Der Gott der Sonne braucht ein Opfer. Sonst wird sie nie wieder scheinen. Er hat sonst keine Kraft, um sich aus der Umarmung der Mondgöttin zu befreien.“

Dabei sah sie sich nach Freiwilligen um, doch niemand konnte verständlicher Weise für diese große Aufgabe gefunden werden und so warf man die alte Wahrsagerin letztendlich aus der Trinkstube.

Diese zeterte, lachte dann aber schrill und triumphierend, als dann doch eine erste Dämmerung am Horizont auszumachen war.

„Ja, es hat sich jemand gefunden!“ lachte sie laut.

Nahe Einwohner schüttelten nur den Kopf und erklärten sie für verrückt. Sie sollten nicht ahnen können, ob nun Legende hin oder her, dass ein junges Leben schon endete, noch bevor es begann.
 

Es hätten zwei Mädchen werden sollen, doch es wurde nur ein einziges kleines Baby. Geschafft von den Geburtsstrapazen, und innerlich zerrissen, beweinte Tashigi bitterlich mit ihrer Tochter im Arm den Tod deren kleiner Schwester. Die Leere und Einsamkeit in ihrem Herzen rissen die Wunde noch größer und tiefer. Nein, es gab keinen Halt mehr vor dem Fallen. Sie versank ins Nichts und Endlosigkeit. Fortan quälte sie die Depression mit Gleichgültigkeit und Heulkrämpfen. Sie wollte nichts mehr von allem, weder Marineangehörige, noch Pirat, noch Mutter sein.

Hinzugezogene Therapeuten verzweifelten an ihrem Zustand und hinter vorgehaltener Hand munkelte man darüber, ob es nicht besser wäre, zum Wohle des Kindes zu entscheiden. Eine Pflegefamilie wäre sicher ein geborgener Platz für so ein süßes kleines Mädchen.

Als Tashigi davon Wind bekam, schlug ein Schalter in ihrem Kopf um. Wochenlang hatte sie in einem seelischen Koma gesteckt und ihr Leben wie in Trance abgearbeitet. Alles hatte sie verloren. Und nun sollte auch Taiyoko gehen?

„Taiyoko, du bleibst schön bei Mama,“ sprach sie zärtlich zu ihr.

Taiyoko, das Sonnenmädchen.

„Du sollst nie traurig sein!“ versprach die junge Mutter dem kleinen Fratz, der gerade die Augen öffnete und neugierig in das Gesicht der Mama blickte. Es war ihr fremd, dass Mamas Gesicht lächelte. Und ganz plötzlich und unerwartet lächelte Taiyoko zurück, als hätte sie die Botschaft verstanden.

Sie stillte die Kleine, wickelte sie und packte sie dick und warm ein. Die dunklen Haare verschwanden unter einer Wollmütze.

„Wir fahren deine Schwester besuchen“, erklärte Tashigi. Und die Kleine, sichtlich begeistert von der frischen Aktivität, beäugte zufrieden den Kinderwagen, auch wenn sie kein Wort verstand. Doch der neue Klang in Mamas Stimme war wundervoll und machte Spaß.

Draußen vor der Tür spürte Tashigi erst, wie mild es nun bereits geworden war. Der März ging zu Ende. Tauwetter und große Pfützen beherrschten das Straßenbild. Die Kirschbäume warteten nur auf den Startschuss, den Frühling einzuleiten. All das war in der Zeit der Trauer an ihr vorübergezogen.

Es matschte und klatschte unter ihren Füßen und der Kinderwagen ließ sich nur schwer durch den Schneematsch schieben.

Es war nicht weit bis zum Stadtfriedhof. Unschlüssig blieb sie vor dem Tor stehen. Sie hatte das tote Mädchen Tsukiko genannt. In der Nacht, als es sich in der Nabelschnur verfing und verstarb, hatte der Mond die Nacht verlassen. Daher fand Tashigi den Namen „Mondmädchen“ passend. Tsukiko würde immer in ihren Gedanken sein, auch wenn man sie nie sehen würde. Gleichsam wie damals den Mond in der finsteren Nacht.

Tief atmete Tashigi durch und schritt durch das Tor. Unter den Kirschbäumen lag sie begraben. Diese blühten hier schon und die ersten Blütenblätter segelten in der weichen Brise des Meeres hinab wie große Schneeflocken. Bald würde man das Grab unter den Blättern nicht mehr sehen können.

Tashigi kamen die Tränen. Es war zu kitschig schön, um wahr zu sein, wie die Blüten das Grab weich umhüllten und beteten.

Es sollten vorerst die letzten Tränen sein. Der Frühling war da. Es könnte ein Anfang sein.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  pbxa_539
2010-09-28T16:28:52+00:00 28.09.2010 18:28
Ok...
Ich versteh nicht, was du an dem Kap auszusetzen hast, aber als Autor ist man eh sein größter Kritiker.
Schon schade, dass es so langsam und schleppend voran geht, aber ich freue mich, dass es überhaupt weiter geht. Wobei ich mich immer noch ohrfeigen könnte, dass ich mich tatsächlich gespoilert habe *murmel*

Keine Ahnung, wen man da mehr bedauern sollte...die Möwe, weil sie von Nami "gejagt" wurde?
Tashigi, weil sie nun allein ist...mit nur einem von zwei Kindern?
Wusste Zoro eigentlich, dass es Zwillinge werden? Schon so lange her, dass ich die Geschichte komplett gelesen habe. Falls ja, frag ich mich, was er wohl dazu sagt, dass eines der Babys nicht überlebt hat.

Du hast so viel Spannung in das Kap gelegt, da freu ich mich umso mehr aufs nächste, egal wie lange es auch braucht.
Wirklich kann ich es aber auch nicht glauben, dass die ganze Geschichte schon zu Ende sein soll.

Aber ich geb einfach_Antonia Recht..tödliche Kritik sieht anders aus XD
LG

Von:  Tsumikara
2010-09-25T20:31:19+00:00 25.09.2010 22:31
hey^^
das war einfach ein klasse Kappi. Da hat sich das warten so was von gelohnt.... Ich frag mich was so mit Zoro und Smoker passiert, immerhin sind die gar nicht mehr in der jetzigen Zeit....

Schade das der eine Zwilling gestorben ist T.T Tashi tut mir aber auch leid, so etwas mit zu erleben...hoffentlich hat sie dann doppelt spaß mit ihrer lebenden Tochter...
Wenn das hier zu Ende geht - was ich nicht glauben kann und will- hoffe ich das es vllt eine Fortsetzung gibt....

sehn uns beim nächsten Kappi
Alles Liebe
Alwena
Von:  einfach_Antonia
2010-09-25T15:25:46+00:00 25.09.2010 17:25
*______________________________________*
Ich bin mal wieder begeistert, wie schon des öfteren gesagt: Ich liebe deinen Schreibstil.
Allein die ersten drei Absätze waren ein reiner Traum und wie du die Farben der Jahreszeiten in Loguetown beschrieben hast*-*
Ich liebe es.

Der Tod von dem einen Zwilling tut mir so leid T______T Und obwohl ich darauf vorbereitet war, hat es mich doch irgendwie... nun ja... =(

Ganz ehrlich? Ich kann nicht glauben, dass es bald zu Ende sein soll. Was soll ich denn dann machen? o.o

Dir und deiner Family alles Gute und bis zum nächsten Kapitel =)

LG
Moni

P.S. Siehst du? Ist gar nicht tödlich. =)
Von:  fahnm
2010-09-25T01:13:32+00:00 25.09.2010 03:13
Klasse kapi!^^


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