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Raftel (1)

When Spirits Are Calling My Name ...
von

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56 - Abschied

Kein Wort hatten weder Robin noch Zoro gegenüber der Crew über den nächtlichen Besuch am Grab des Kerzenmachers verlauten lassen. Ihre Entdeckung empfanden sie als nicht sonderlich überragend wichtig und diskussionswürdig. Zumindest ordneten sie die in Stein hinterlassene Nachricht auf dem Porneglyph nach ihren Einschätzungen so ein. Bahnbrechend sah anders aus. Vielleicht war es auch eine gute Idee, die Hoffnung an den Kerzenmacher am Leben zu erhalten. Niederlagen wirkten sich oft negativ auf die Stimmung und den Kampfgeist einer Gruppe aus. Und bloßer Glaube versetzte ja bekanntlich Berge.

Schweigend waren sie nebenher zurück zum Strand geschlendert, denn sie hatten nichts zu bereden und der feine Sand ließ keinen schnelleren Schritt zu. Längst war die Fackel niedergebrannt, doch man fand in dieser Mondscheinnacht den Weg auch so zurück. Eilig hatten sie es eh nicht. Gerade erst beim letzten Abendessen hatte sich Nami genervt über die Tatsache geäußert, dass der Logport noch immer keinen neuen Weg gewählt hatte.

„So langsam könnte sich doch einmal etwas ändern, damit wir weitersegeln könnten“, hatte die Navigatorin angemerkt und dabei genau den Logport an ihrem Handgelenk beäugt. Doch die Nadel in der kleinen Glaskugel pendelte wie schon die letzten Wochen unbekümmert hin und her und wollte sich noch nicht auf ein neues Magnetfeld festlegen. Noch saßen sie also auf unbestimmte Zeit auf diesem Eiland fest. Wenigstens war es kein unangenehmer Aufenthaltsort.

So schön diese Insel aber auch war, so wurde sie für unsere Abenteurer nun doch allmählich zu langweilig. Die Navigatorin hatte jeden Winkel vermessen, die Sunny war gewartet und geflickt worden, alle Vorräte waren aufgefüllt, alle Geheimnisse gelöst ohne den gewünschten Schatz zu finden und alle Energiereserven der Crew waren wieder auf ein Toplevel angestiegen. Nichts gab es hier nun noch, was sie hätte halten können. Niemand von ihnen mochte noch weiter warten, obgleich es keiner von ihnen so recht aussprach. Doch sie waren Piraten und abenteuerlustig. Das Fernweh in ihren Seelen ermunterte sie zum Aufbruch und machte sie allesamt innerlich kribbelig.

Der Weg zurück zum Strandlager war nicht weit, aber dennoch weit genug, sich bis dorthin einige Gedanken zu machen. Im Kopf des Schwertkämpfers rumorte es wild hin und her. Seit der Ankunft auf Rice Island hatte er begonnen, wieder einen halbwegs geregelten Tagesablaufes von Essen, Schlafen und Training abzuhalten. So war es weit aus effektiver, sich auf höchstem Konditionsniveau zu halten und sich zu verbessern. Klar brachten Kämpfe immer neue Erfahrungen, aber verfestigt werden konnten sie so nicht. Auch die hier herrschende Ruhe war sehr wichtig für diese Ziele. Zu gern hätte er die Geschehnisse des gesamten letzten Jahres über Bord geschmissen und von den Grübeleien darüber abgeschaltet, doch es gelang ihm nur selten. Sie störten seine Meditationsphasen und zerrissen seine innere Stille. Oft begann er seine angefangenen Trainingseinheiten entnervt wieder von vorn.

Schlimmer war jedoch die Tatsache, dass die Erinnerungen immer spärlicher wurden. Zu Beginn hatte er es noch gar nicht so recht bemerkt, denn es verschwanden erst ganz unwichtige Erinnerungen. Vielleicht wäre es ihm auch gar nicht aufgefallen, wenn Chopper ihn nicht neulich erst gebeten hätte ihm etwas aus dem Kolonialwarenladen mitzubringen. Zoro mochte es nicht zugeben, doch er rätselte den ganzen Weg bis zu dem Geschäft, wie denn verdammt noch mal Pfefferminzblätter aussahen. Er hätte schwören können, dass er so eine Pflanze vor kurzem noch erkannt hätte. Peinlicher wurde das Ganze auch noch, als er im Laden vor einem Sack voller Pfefferminzblätter stand und den Kaufmann fragte, wo er eben diese Blätter in den Regalauslagen finden könnte.

Ein anderes Mal erwischte es ihn während einer Trainingseinheit. Er übte Grundtechniken mit seinen Schwertern. Doch bei der Fußarbeit verwechselte er die Reihenfolge der Schritte, was ihn ärgerte und aus dem Konzept brachte. Der Schock traf ihn umgleich, als ihm einfach so ein Katana aus der Hand in den Sand viel. Obwohl er nicht gottesgläubig war, schickte er ein Stoßgebet zum Himmel, dass niemand diesen Ausrutscher gesehen haben möge.

Zoro begann Vermeidungsstrategien zu entwickeln, um seinen Gedächtnisverlust zu umschiffen und vor seinen Freunden zu verbergen, doch die Erinnerungen gingen dennoch ihren zielgerichteten Weg ins Nirwana. Besonders der Verlust seiner lang antrainierten Schwertkunst machte ihn schutzlos, angreifbar und war mit einer der letzten Dinge, die ihm noch geblieben waren. Schwertkampf hatte sein Leben ausgefüllt und nun klaffte da eine Lücke, die immer größer wurde.

Übel war es auch, wenn nur Teile einer Erinnerung verschwanden. Erst waren da feine Risse, die zu Löchern und dann zu großen Lücken wurden. Schnell konnte man Tatsachen und Fakten verwechseln. Eine Stufe höher an Boshaftigkeit wurde es, wenn das Gedächtnis anfing, diese Löcher mit falschen Tatsachen zu stopfte, um noch eine gewisse Art von Logik aufrecht zu erhalten und einen roten Faden zu spinnen. Lüge und Wahrheit vermischten und bevor sich sein letztes bisschen Halbwissen verbal verselbständigen und Schaden anrichten würde, wurde er noch schweigsamer und zurückhaltender, als er eh schon immer gewesen war. Kampflos musste er sich seinem Schicksal ergeben, mehr und mehr zu vergessen und früher oder später bei Esra im Tal der Bekloppten zu landen. Noch nie hatte er eine derartige Hilflosigkeit verspürt wie in diesen letzten Tagen und Wochen.

Trotz der inneren Kapitulation vor sich selbst, schmeckte ihm das Alles keineswegs. Immer öfters bat er Tashigi um ihre Aufzeichnungen und nach jedem Nachschlagen ertappte er sich dabei, über die Hälfte von ihrem gemeinsamen Abenteuer auf der Redline schon vergessen zu haben. War es tatsächlich schon ein Dreivierteljahr her, dass er sich damals mit Chopper zusammen durch die nassen Wälder der Redline geschlagen hatte? Die Zeit raste davon.

Die Folgen dieses Vergessens ließen nicht lange auf sich warten. Oft wusste er nicht einmal mehr, wie seine Kameraden hießen. Mühsam probierte er, sich solch wichtigen Dinge wieder einzuprägen, nur um sie bald wieder zu verlieren. Auch mit Tashigi verwickelte er sich zunehmend in unnötige Streitereien.

Sie hatte damit begonnen, ihre Aufzeichnungen und Notizen ins Reine zu schreiben und zu überarbeiten. Es war schon soviel an Informationen zusammengekommen, dass es einer Überarbeitung dringend bedarf, um nicht selbst den Überblick zu verlieren. Natürlich war sie dadurch auf Zoro angewiesen und benötigte seine Hilfe, aber er konnte noch so sehr in seinem Gedächtnis kramen, es kam nicht mehr viel zusammen. Auch wenn sie sehr viel Verständnis für ihn aufbringen wollte, so war es doch für sie eine echte Erprobung ihrer gemeinsamen Liebe. Seine stolze Art, sein Problem nicht zuzugeben und mit ihr teilen zu wollen, ärgerte sie maßlos. Still und heimlich in einer ruhigen Minute zweifelte sie oft daran, dass Zoro ihr vertraute. Es waren unausgesprochene Worte ihrerseits, doch spürte er an ihren Gefühlswellen, dass sie oft panisch daran dachte, er könne eines Tages sogar seine Liebe zu ihr vergessen. Der Schmerz und die Kluft wuchs zwischen ihnen Stück für Stück und machte für beide die Beziehung unerträglich. Die Situation war vollkommen verfahren.

Nein, Zoro wusste keine Lösung für diese Problem, außer diesem ganzen Treiben ein Ende zu bereiten. Es störte ihn mehr als alles andere, dass er ihr ein unausgesprochenes Versprechen gegeben hatte, welches er nicht im Stande war, es zu halten. Nämlich, dass sie nie mehr traurig sein sollte.

Der Schwertkämpfer war mit sich und der Welt unzufrieden, wie er es selten zuvor jemals gewesen war. Das alles musste aufhören und sicherlich gab es dafür eine ganz einfache Lösung, die er eben jedoch nicht sah.
 

Der Lagerplatz rückte in sichtbare Nähe und nur wenige Schritte später hatten sie ihn erreicht. Friedlich schlief die Mannschaft in Träumen versunken und hatte von der Abwesenheit der beiden Freunde nichts bemerkt.

Robin begab sich zu ihrem Liegestuhl, um im Schein der Petroleumlaterne noch etwas zu lesen, während Zoro verhalten stehen blieben und über das ruhige, schwarzblaue Meer in die Ferne starrte, wo man am Horizont bereits die Dämmerung der Morgensonne erahnen konnte. Eine tropische Nacht übergab den Staffelstab an einen neuen Tag.

Weiter gab es dort draußen nichts zu entdecken. Oft hatte er in letzter Zeit das Bestreben gehabt, einfach loszugehen. Schnurgerade über das Wasser, als ob er es könnte. Nur die menschliche Logik, nicht auf Wasser laufen zu können, hielt ihn davon ab. Etwas zog ihn magisch zum Horizont wie der Magnet das Eisen. So langsam wurde ihm klar, was diese besondere achte Route bedeutete. Es war der ganz eigene Weg durch die Welt dorthin, wo die Grandline endete, der auch nicht durch einen normalen Logport bestimmt werden konnte. Dort hinten irgendwo lag Raftel und vielleicht das Ende aller Geheimniskrämereien. Das dort Verborgene war weiterhin für ihn im Ungewissen, aber der Weg der Hanyô führte genau dorthin, denn sie besaßen einen ureigenen inneren Logport. Der Schwertkämpfer war sich sicher, etwas an diesem ganzen Rätsel übersehen zu haben. Aber was?

Robins Frage holte ihn aus seinen Gedanken in die Realität zurück.

„Kommt es mir nur so vor oder riecht es etwas nach Eis?“

„Nach Eis?“

Zoro hielt seine Nase kurz in den Wind schnupperte. Er war leicht und frisch, mit einer Prise Meeressalz getränkt und hatte noch die letzten Nuancen von Regengewitter inne.

„Hm, nein. Ich denke, nicht“, gab er zurück und wandte sich vom Meer ab.

Seinen Schlafplatz suchte er bei Tashigi. Ihm war bewusst, ihre Zuneigung zu ihm arg strapaziert zu haben, jedoch gab es da nicht sonderlich viel dran zu ändern, solange er stets vergas. Es war ein Desaster. Dennoch schmiegte sie sich an ihn, als er sie in die Arme am, als wäre nichts gewesen und die Zeit zurückgedreht. Nie hatten sie der Crew offiziell von ihrer Beziehung berichtet, aber das war auch nicht notwenig. So recht war hier niemand auf den Kopf gefallen und es lag am Team an sich, sich nicht in Privatbelange einzumischen. Die Strohhüte zeichneten sich dadurch aus eine Truppe zu sein, in der Vertrauen herrschte und wo jeder so akzeptiert wurde wie er war. Folglich hatte man niemanden Rechenschaft über sein Handeln abzulegen. Es war, wie es war und das Ergebnis ihrer innigen Zweisamkeit war auch so schon nicht mehr zu übersehen.
 

Der Frühling zog so schnell vorüber, wie er gekommen war. Die ersten Anzeichen eines heftigen Sommers läuteten sein Ende ein. Es sollte eine Zeit beginne, die die Reisbauern als Regenzeit betitelten. Glutheiße Tage und Hitzegewitter wechselten sich ab. Tagsüber war es oft unerträglich drückend und so hielt man sich bewusst im Schatten auf. Nachts hingegen suchten wahre Wassermassen ihren Weg hinab in die Täler und riss einiges an Schlamm mit sich. Die Reisbauern begrüßten diese Phase des Wetters, denn der Regen füllt die Reisbecken ohne ihr Zutun. War der Regen dann einmal vorüber, war die Luft stickig und schwül. Das Atmen fiel schwer.

Dass Robin mit ihrer guten Nase doch recht behalten sollte, erfuhren die Strohhüte eines schönen Morgens. Gerade erst war ein orkanartiges Gewitter abgezogen und die Aufräumarbeiten begannen. Es galt Sturmschäden zu beseitigen und die allgemeine Lage der Insel genau unter die Lupe zu nehmen. In den Dorfgesprächen konnte man einig feststellen, dass es wohl eines der schlimmsten Hitzegewitter überhaupt gewesen sein mochte. Schwarz wie die Nacht und mehr Regen, als die Grandline jemals Wasser geführt hätte, munkelte und fachsimpelte man.

Plötzlich setzte dem Ganzen ein besonderes Stück Treibgut am Strand noch die Krone auf. Helle Aufregung herrschte dort unten in der Bucht und schon bald war alles, was die Beine in die Hand nehmen konnte, unten an der Meeresbrandung und begutachtete den riesigen Eisklotz. Er maß mindestens die Höhe von zwei übereinandergestellten Häusern und war so breit, dass wohl das Schiff der Strohhutbande dreimal hintereinander Platz gefunden hätte.

Es war vollkommen untypisch für das Klima und die Lage von Rice Island, hier einmal Eis an den Strand gespült zu bekommen. Große Spekulationen über den weißen kalten Klotz machten die Runde und gaben Anlass für die wildesten Hirngespinste. Man beschloss im schnell einberufenen Dorfrat, diese neue Naturphänomen genau zu beobachten und stellte Strandwachen ab, welche nun rund um die Uhr mit Ferngläsern bewaffnet akribisch jeden Millimeter des Horizontes absuchten.

Als es immer mehr Eisblöcke wurden und die Temperatur rapide absank, wuchs die Unruhe in der Bevölkerung. Neugierig und ehrfürchtig zugleich wandelte man an der Meeresbrandung entlang und betrachtete die gefrorene Kälte. Gerüchte über einen radikalen Klimawechsel, einen Angriff eines Teufelsfruchtinhabers oder ein Komplott der Marine verbreiteten sich wie ein Lauffeuer und verbreiteten Angst und Schrecken. Die größte Sorge galt der Ernte. Erste zarte Reispflänzchentriebe erfroren und starben ab.
 

Es war bereits der dritte Tag vergangen, seit die Eisblöcke aufgetaucht waren, als am Abend die Fischer mit ihren Booten glücklos heimkehrten. Auf See sei es schon so kühl, dass Winterbekleidung angebracht wäre und Fischschwärme würden sich in das viel zu kalte Nass auch nicht mehr verirren. Mit hängenden Köpfen kamen die Fischer an Land. Sie hatten einige Zeitungsmöwen an Bord, die sich strickt weigerten, ihre Flugroute gen Norden fortzusetzen. Ebenso wie die Fischer erzählten sie von einer weiten Eisdecke, die nun auch die Grandline über den Calm Belt hinaus erreicht hätte. Bald wäre ein Weiterkommen mit dem Schiff unmöglich. Eine Möwe wusste sogar von Eispanzern in großen Teilen des South Blue zu berichten. Die erste Hälfte der Grandline wäre dort sogar schon unter dem Eis begraben. Sie hätte genau gesehen, wie alles, was mit diesem Teufelszeug in Berührung gekommen war, sich augenblicklich selbst zu Eis verwandelt hätte. Heilfroh war sie gewesen, fliegen zu können. Kollegen warfen ihr Spinnereien vor, doch die Möwe beharrte auf ihren Beobachtungen und versuchte, diese Wahrheit glaubhaft zu machen.

Diese schockierenden Nachrichten saßen tief bei der Piratenbande, denn natürlich dachte man sofort an all die guten Freunde in der alten Welt. Vergeblich versuchten sie mit diesen Kontakt aufzunehmen, doch Teleschnecken wurden nicht abgenommen und Briefe nicht beantwortet. Es schien unmöglich, etwas über den Zustand der Welt auf der anderen Halbkugel herauszubekommen.

Die Ereignisse überschlugen sich und noch in der Nacht wurde von Luffy der Entschluss gefasst, Rice Island zu verlassen. Um keinen Preis wollte er hier festsitzen und erfrieren. Flucht schien angemessen und angebracht zu sein. Großer Protest seitens der Crew schlug ihm entgegen. Der Logport wies ihnen kein neues Ziel. Sie würden sich hoffnungslos auf der Grandline verirren und sich nur unnötig uneinschätzbaren Gefahren ausliefern.

Letztendlich siegte Luffy mit seiner simplen Logik, dass es doch egal wäre, wo sie einfrieren würden. Dann aber doch lieber später als jetzt. Damit hatte der Captain sein Machtwort gesprochen und Luffys Autorität zweifelte man dann doch nicht an.
 

Gegen Mitternacht in gespenstisches Vollmondlicht getaucht legte die Sunny ab. Einige Anwohner standen winkend am Strand und wünschten viel Erfolg. Man war sich unter ihnen einig, dass die Piraten verrückt sein müssten bei diesen Witterungsbedingungen die Flucht übers Meer zu versuchen. Zumindest war es aber die erste Mannschaft, die nicht brandschatzend und plündern über ihre Insel gezogen war. Eine sympathische Truppe.

Das Meer lag spiegelglatt dar und schwappte wie Altöl vor dem Bug der Thousand Sunny her. Scharfkantig ragte Packeis aus dem Wasser und glitzerte bizarr wie die Sterne am pechschwarzen Himmel, wo sich keine einzige Wolke zeigte. Nami hatte einen geschätzten Kurs in Südostrichtung einschlagen lassen und hielt die Crew ordentlich auf Trab. Die Temperatur sank weiter steil bergab und die Luftfeuchtigkeit stieg gleichermaßen an. Somit war es oberste Gebot, die Taue und Planken zu enteisen, auf Treibeis zu achten und es von der Sunny fern zuhalten. Oft mussten sie Eisberge umschiffen. Ihr Zickzackkurs wurde eckiger und verschlungener. Ungezählte Stunden kurvten sie so umher.

Das schwere Meerwasser nahm erste Formen von gestoßenem Eis an. Erste Wolken zogen am Himmelszelt auf. Sie verdeckte die Sterne und stahlen das Mondlicht. Bald war alles so schwarz, dass man nicht mal mehr die Hand vor Augen hätte sehen können. Aus einer langsamen Fahrt wurde ein Schneckentempo, welches in einem Stillstand endete.
 

Als die Sunny sich festsetzte und durch die Crew abgesichert war, dass ihr Schiff erst einmal nicht so schnell vom Eis zerdrückt würde, trommelte Luffy auf Namis Bitte hin die Crew im Speisesaal zusammen. Klappernd vorn Kälte kauerte jeder an seinem Platz.

„Leute, die Flüssigkeit im Thermometer verkriecht sich schon unten im Vorratsgefäß!“ stellte Usopp beim Eintreten in den Saal erstaunt fest und klopfte gegen das kleine Glaskügelchen am unteren Steigrohrende. Die Skala begann erst bei -50°C. Schnell schloss der Kanonier hinter sich die Tür. Der Ofen im Speisesaal feuerte aus allen Rohren und hatte dennoch größte Mühe, den Raum halbwegs warm zu halten.

„Eben, und genau deshalb möchte Nami uns etwas mitteilen. Wo sind Robin, Brook und Sanji?“ sprach der Gummijunge zu seiner Truppe. Franky, der wie die Langnase sich eben erst auf seinen Stuhl am Tisch niedergelassen hatte, gab an, die drei würden über die Eisdecke wachen, damit die Sunny nicht beschädigt würde.

Luffy nickte diese Information ab. Die Sicherheit der Mannschaft und des Schiffes war mehr als wichtig.

Die Navigatorin hielt sich nicht lange mit Umschreibungen auf und kam sofort zu ihrem Anliegen. Über der aufgerollten Karte, welche sie einst von Buggy geklaut und mit eigenen Notizen ergänzt hatte, schilderte sie die Problematik.

„Hier sind wir nach meinen letzten ungenauen Berechnungen“ sagte sie und zeigte mit dem Finger auf eine Stelle mitten im Blauen auf der Grandline in südöstlich von Rice Island. Dann fuhr sie mit dem Finger über das alte Kartenpapier und beschrieb eine nördlichere Route.

„Da sind wir das letzte Mal lang gesegelt. Dort ist Crispy Rocks, wo Chopper und Zoro uns verlassen hatten. Ungefähr fünf Tage später kamen wir dort an, wo wir Raftel vermuten. Ihr seht also, wir haben es wieder einmal geschafft, fast ans Ende der Grandline zu gelangen. Ich denke, von unserer jetzigen Position wären es bei guten See- und Wetterbedingungen vielleicht mal gute sechs oder sieben Tage, aber …“, sie stockte und brach den Satz ab. Alle Augenpaare ruhten auf ihr, um den Haken an der Geschichte zu hören. Sie fand die Stimme wieder und flüsterte leise:

„… aber mein Wettergefühl hat mich noch nie getäuscht und es wird sich nicht ändern. Wir sitzen hier fest.“

„Hey, wir schaffen das schon“, wollte Luffy sie beruhigen. „Wir schlagen uns da vereint schon den Weg frei.“

„Luffy, das ist arschkalt da draußen. Wir werden erfrieren, wenn Brennholz und Vorräte leer sein. Du hast es doch vorhin auch gesehen. Wenn du das Eis zerschlägst, bildet sich sofort Neues“, warf Usopp ein.

„Hier, die Zeitung von vor drei Tagen berichtet auch, dass die ganze Welt einfriert. Das hätte ich mir niemals träumen lassen. Da haben wir die Lage total unterschätzt“, gab Franky an und suchte die passende Doppelseite. Tatsächlich sah man auf dieser Weltkarte alle eisbedeckten Gebiete, die schon Dreiviertel der gesamten Welt ausmachten.

„Was? Wir werden alle sterben!“ schrie Chopper los, stürzte sich panisch mit Usopp in die Arme und brüllte dann mit ihm um die Wette.

„Ruhe! Da kann ja keiner bei schlafen“, beschwerte sich Zoro, der eben noch mit dem Kopf auf der Tischplatte gelegen hatte.

„Wir werden alle sterben, du Schlafmütze!“

Zoro schaute nur ungläubig drein.

Innerlich erschüttert, aber nach außen hin eine feste Haltung bewahrend, stand Tashigi ruckartig auf.

„Ich sag es den anderen“, sprach sie, zog ihre Jacke über und ging.

„Warte, wir kommen mit“, rief der Strohhutjunge hinter ihr her und hatte so den passiven Befehl für alle erteilt, sich ebenfalls hinauszubegeben.

Bereits in der Tür verspürte Nami, dass die Temperatur wieder im einige Grade gefallen war.
 

Es war eine kraftraubende Arbeit, das Eis zu bezwingen. Wie wild schlug jeder mit Fäusten, Schwertern, Äxten und Spitzhacken auf das glatte Weiß ein. Nach knappen zwei Stunden gaben sie erschöpft auf. Die Sunny hatte sich trotz aller Bemühungen keinen Millimeter bewegt.

Man beschloss, sich für eine Weile auszuruhen und später noch einen neuen Befreiungsschlag zu versuchen.
 

Die Kälte kroch über das Deck der Sunny. Sie brachte Eis mit sich und verhüllte alles unter einem dicken Panzer. Dann schlich sie sich leise wie ein Dieb an die Türen heran und schlüpfte durch jede noch so kleinste Ritze in die Schlafräume. Dort begann es mit dem Feuer in den Öfen ein Tauziehen um die wärmende Energie, doch noch hielten die Kohlestücke dagegen, sich das Feuer klauen zu lassen. Noch war die Kohle nicht ausgeglüht.

Tashigi hielt es nicht mehr aus. Die Kälte hatte sie geweckt. Sie zitterte und klapperte am ganzen Körper, obgleich sie unter mindestens zwei Dutzend Wolldecken in ihrem Bett lag. Sie erhob sich, schmiss sich zwei von den gut gefüllten Daunendecken über und schnappte sich den Kohleeimer. Ein Nachschlag für den Ofen war sicher drin, wenn auch Sanji zur Sparsamkeit aufgerufen hatte. Aber was soll’s? Sie wollte nicht erfroren sein, während die Lager der Sunny noch gut gefüllt waren. Mit wehenden Fahnen musste man hier nicht untergehen. Den Stolz würde hier niemand sehen oder ihn gar honorieren.

Die Kälte zerrte emsig an ihren Körpern und würde bald den Kampf um ihre Lebensgeister gewinnen. Selbst Robin lag unter vielen Decken versteckt und schlief. Tashigi konnte sich nicht genau erinnern, wann sie die Archäologin jemals hatte längere Zeit schlafen sehen. Auch Namis Atmung ging eher flach als normal. Tashigi wandte ihren Blick von den beiden Schlafenden ab.

Doch etwas machte sie im Raum stutzig. Etwas war anders und etwas fehlte. Sie blickte über ihre persönlichen Gegenstände hinweg und dann war es, als hätte sie der Blitz getroffen. Mit einem Griff packte sie das Katana, welches nicht ihres war und starrte es an, als wäre es Falschgeld. Dann rannte sie mit ihrer Entdeckung in der Hand hinaus aufs Deck.
 

Eiseskälte schlug ihr ins Gesicht. Die Glätte brachte sie zum Schlittern. Fast wäre sie die Treppe hinuntergestürzt. Hektisch suchte sie die pechschwarze Gegend ab. Nur das Eis schimmerte in der näheren Umgebung, als würde es siegessicher darüber lachen, der kalte Tod der Crew zu sein.

Schnell hatte sie die Steuerbordseite abgesucht und hechtete hinüber nach Backbord.

„Zoro!“ schrie sie über die Reling hinaus in die Weite.

Tausende Gedanken schossen ihr durch den Kopf, als sie ihn dort auf dem Eis so stehen sah. Allein. In einen dunklen Kapuzenmantel gehüllt und mit ihren Aufzeichnungen in den Händen. Was um alles in der Welt hatte er vor? Und plötzlich erkannte sie, dass ihr die Antwort nicht schmecken würde. Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals, der ihr die Stimme raubte.

Plätschern von Wasser drang an ihre Ohren. Das Eis auf der Sunny schmolz. Das Zwielicht. Es war so warm und weich.

Das alles geschah in Sekunden.

„Tashigi? Hör mir zu! Versucht die Redline oder eine Insel zu erreichen! Okay?“

Sie konnte nicht anders, als zu nicken. Die Aufgabe, die Zoro zu lösen hatte, lag in der Gegenwart, aber dort war für die Crew kein Platz. Sie würden den Erfrierungstod finden. Um die Crew zu retten, brauchte sie also einen anderen Platz. Einen, wo sie alle ausharren konnten. Und wo könnte es einen besseren Ort geben, als in einer parallelen Welt?

„Aber wenn du dich nicht mehr erinnerst … ?“ warf sie ein. Ihr war bewusst, wie viel Kraft und Erinnerungen diese Rettungsaktion ihren Freund kosten würden. Vielleicht sogar seine letzte Erinnerung. Das wäre fatal, denn dann würden sich ihre beiden Welten, die sich eben voneinander lösten, niemals wieder zusammenfügen können. Es wäre eben vielleicht sogar ein allerletztes Mal, dass sie sich sehen würden.

„Ich hab doch dein Buch“, versuchte er ihr die Angst zu nehmen, auch wenn er es ihm klar war, wie unsinnig diese Worte waren. Etwas besseres fiel ihm jedoch nicht ein.

Die Zeit entrann ihnen. Er hatte einen Abschied vermeiden wollen, doch nun kam er nicht drumrum.

„Ich komme zurück!“

Tashigis Finger umklammerten das weiße Katana, dass sie sich verkrampften und schmerzten. Es war die Ironie des Schicksals, dieses Schwert überreicht zu bekommen, aber so hatte sie sich es nicht gewünscht. Wadôichimonji. Wieder einmal lag auf ihm ein erdrückender Schwur. Der neue Schwur, sich wieder zu sehen.

„Ich weiß, dass du es wirst!“

Das Zwielicht tauchte sie mehr und mehr ein, ummantelte sie und das Piratenschiff in einer angenehm wohligen Wärme. Langsam verloren sie beide den Sichtkontakt.

„Ich liebe dich!“ flüsterte sie leise und als hätte er es hören können, bildete sie sich ein, seine Stimme zu vernehmen.

„Ich dich auch!“

Erschrocken blickte sie auf, doch da war nichts mehr als das Meer, der Horizont und die Morgendämmerung.

Ihre Welten hatten sich getrennt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  einfach_Antonia
2009-08-10T19:29:03+00:00 10.08.2009 21:29
T___T
Du hast es geschafft!
Ich heule und das ist kein Witz!
Das war so genial und wunderschön geschrieben, dass ich gar nicht anders kann.
Ich stimme Soud zu.
Dieser Cliffhänger darf nicht sein.
Lad sofort das nächste Kapitel hoch! *heul*
Ihre Welten hatten sich getrennt.
Was für ein Schluss. T___T
Ich kann nicht mehr, ich geh jetzt heulen.
Von:  Soud
2009-08-02T19:48:50+00:00 02.08.2009 21:48
Das darf doch nicht zu ende sein.
Das ist einer der fieses Cliffhänger aller Zeiten!!!!
ARG!
Es war so schön ich möchte nicht aufhören zu lesen Q.Q
Von:  pbxa_539
2009-08-02T14:51:28+00:00 02.08.2009 16:51
Wichtige Dinge im Leben und Erinnerungen verlieren...armer Zoro, was der alles ertragen muss. Bin echt gespannt, wie das noch weitergeht.




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