"Weißt du Kyô, ich könnte mir vorstellen, dass ich mich auch in ihn
verliebe..." sagte Toshiya, kicherte schließlich. Ich hätte den Telefonhörer
vor Schreck, Wut und Verzweiflung am liebsten gegen die nächste Wand gedonnert.
Doch stattdessen versuchte ich überrascht zu klingen, dachte immer: "Freu dich
für die beiden, du Idiot", doch ich bin ein verdammt schlechter Schauspieler,
zumindest was das Vortäuschen von Gefühlen angeht. Tränen sammelten sich in
meinen Augen, ich war das erste Mal in meinem Leben froh, dass Toshiya sagte:
"Etô, gomen nasai, aber ich muss aufhören. Er holt mich doch gleich ab."
Erneut kicherte er, ein schneller "Sayônara" und nur noch das gleichmäßige
Tuten des Telefons. Für einen Moment fühlte ich gar nichts mehr, nur noch
Kälte. Hatte er es etwa immer noch nicht kapiert? Dabei hatte ich doch wirklich
alles versucht, um ihn zu zeigen, dass ich mehr für ihn empfinde als
Freundschaft. Nur sagen konnte ich es ihm nie...
Seine Worte hallten in meinem Kopf wie ein nie versiegendes Echo: "Ich könnte
mir vorstellen, dass ich mich auch in ihn verliebe...Ich könnte mir vorstellen,
dass ich mich auch in ihn verliebe...Ich könnte mir vorstellen..." Es war
genug. Mit voller Wucht schlug ich meine Faust gegen die Wand, spürte Knochen
knacken und Blut sickerte unter meiner viel zu bleichen Haut hervor. Wimmernd
ließ ich mich auf den Boden sinken, schlang die Arme um meinen Körper und tat
etwas, von dem ich gedacht hatte, ich hätte es längst verlernt: Ich weinte.
Spät in der Nacht wachte ich auf, immer noch auf dem Boden meines Wohnzimmers
liegend. Meine Hand schmerzte höllisch, wahrscheinlich hatte ich mir irgendwas
gebrochen oder zumindest verstaucht, aber ich vergaß den Schmerz, als dieser
verdammte Satz schon wieer anfing, sich in meinen Kopf zu schleichen und darin
herumzuspuken. "Fuck you!" motzte ich und wollte mich gerade in meinem Bett
verkriechen, als das Telefon mich mit seinem ohrenbetäubenden Klingeln fast zu
Tode erschreckte. Mit einem kritischen Blick auf die Uhr nahm ich den Hörer ab.
"Ja?" fauchte ich wütend. "Kyô, ich bins, Totchi!" Ich stöhnte genervt auf
und brüllte ein "Weißt du eigentlich wie spät es ist?" "Haihai, weiß ich."
Toshiya schien total besoffen zu sein. "Kyô, stell dir vor, wir sind jetzt
zusammen!" Er quietschte fröhlich und ich hörte für einen Moment auf zu
atmen, Diese kleine Schlampe hatte ihn mir also tatsächlich weggenommen.
Zugegeben, ich hatte es mir ja eigentlich gedacht, aber jetzt..."Kyô?" 'Tut tut
tut'...
Und jetzt, Jahre später stehe ich an deinem Grab...hätte ich gewusst, dass
dieses eine Mal auch das letzte sein würde, wo ich deine wundervolle Stimme
höre, dann hätte ich dir gesagt was ich für dich empfinde, und dich nicht
angeschrien, weil du mich um halb vier am Morgen angerufen hast. Es tut so
verdammt weh, die Worte die ich dir nie sagen konnte nun für immer für mich
behalten zu müssen...
«Es tut immer noch weh,
es tut immer noch weh,
denn keiner weiß wo's langgeht
und keiner weiß was ansteht,
es tut immer noch weh...»
Auch er ist da, steht etwas abseits von mir, doch er sieht mich an. Was wohl
gerade in ihm vorgeht? Euer Glück war nicht von langer Dauer, und ich hätte es
zwar nicht gedacht, aber ich kann fühlen was er gerade durchmacht...und es tut
mir leid für euch beide...aufrichtig leid...von ganzem Herzen...
«Wenn du mir auch den Mond versprichtst,
wir kleben doch am Boden und können uns nicht bewegen,
ich glaub ich schaff es wieder nicht,
wir haben uns nie gefunden, es reicht nicht für ein Leben...»
Ich bin nie über ihn hinweggekommen. Und irgendwann war ich müde...zu müde
für Schmerzen, zu müde für Freunde, zu müde für Liebe und vor allem zu
müde um etwas vorzutäuschen, was ich gar nicht war. Aber ich war nicht zu
müde, um die silbern-glänzende Rasierklinge zu mustern, die mir in dem fahlen
Mondlicht besonders schön erschien, und sie durch meinen Unterarm zu ziehen...
-OwArI-
Song: Rosenstolz - Es tut immer noch weh