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Death Note Kurzgeschichten

Kapitel 2: Langeweile
von

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Langeweile

"Ich denke, ich lasse mir mal die Haare schneiden. Was meinst du dazu, Raito?" Misa sieht mich erwartungsvoll an und ich überlege, ob ich ihr sagen soll, dass ihre Haare mich genauso wenig interessieren wie sie.
 

Es ist langweilig geworden. Das Leben, meine ich. Der Alltag. Seit Ryuuzaki gestorben ist und ich seinen Posten als L übernommen habe, hat die Langeweile angefangen, wieder von mir Besitz zu ergreifen. Es ist noch zu früh, um der Welt ihren Erlöser zu präsentieren, ich muss geduldig sein. Deshalb verbringe ich meine Tage immer gleich. Morgens gehe ich ins Büro, leiste meinen Dienst als L ab, ohne jemanden merken zu lassen, auf welcher Seite ich wirklich stehe. Hin und wieder präsentiere ich dem Team den ein oder anderen ausgeklügelten Plan, um Kira zu überführen, aber der Serienkiller scheint uns immer einen Schritt voraus zu sein. Seltsam, nicht wahr? Danach komme ich heim, werde überschwänglich von Misa begrüßt und in mindestens fünfzig Prozent der Fälle ist sie dabei leicht oder gar nicht bekleidet. Ich ignoriere sie und mache mich an meine wirkliche Arbeit. Jeden Tag richte ich Kriminelle, obwohl Misa es tagsüber für mich tut, fühle ich mich dazu verpflichtet, abends wenigstens noch einmal selbst Hand anzulegen und die letzten Übeltäter zu bestrafen.
 

Danach bleiben immer noch zwei oder drei Stunden übrig und die muss ich in der Gesellschaft eines Shinigami und meiner Dauer-Verlobten verbringen. Ryuk hat sich inzwischen wie ein Hund einen neuen Leitwolf in Misa gesucht, er läuft ihr hinterher und mich beachtet er kaum noch. Ein normales Gespräch mit ihm ist nicht möglich, weil Misa für gewöhnlich dazwischenfunkt und er ihr dann seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt. Und Misa war noch nie ein guter Gesprächspartner. Sie mag vielleicht nicht ganz so dumm sein, wie es den Anschein hat, aber mir ist sie keinesfalls gewachsen. Die Gespräche mit ihr sind so langweilig, dass ich mir lieber das hohle Fernsehprogramm antue, als ihr zuzuhören.
 

Früher hatten wir um diese Uhrzeit deshalb meistens Sex. Sie scheint sowieso ausgehungert danach zu sein und für mich war es eine willkommene Gelegenheit, Stress abzubauen und sie dazu zu bringen, mal für eine Weile die Klappe zu halten. Momentan habe ich allerdings überhaupt keine Lust, sie auch nur anzufassen. Sie ödet mich an, so wie alles hier. Es ist fast drei Jahre her, seit Ryuuzaki gestorben ist und seitdem habe ich fast meine gesamte Freizeit mit ihr verbracht. Für mich ist sie verbraucht, eine Marionette, die ich nur behalte, weil es so praktisch ist.
 

"Raito, hörst du mir überhaupt zu?"
 

Ich denke einen Moment lang darüber nach, doch mit ihr zu schlafen, nur um sie zum Schweigen zu bringen, verwerfe den Gedanken aber gleich wieder. Es ist neun Uhr abends, so früh kann sie nicht einschlafen. Hinterher will sie dann vermutlich an mich geklammert im Bett liegen und mir weiter geistlose Fragen stellen. Verzichte. "Nein, tu ich nicht", antworte ich bissig. Inzwischen habe ich es aufgegeben, ihr gegenüber wenigstens einigermaßen freundlich zu sein. Es macht keinen Unterschied, sie betet mich an, ganz egal wie gemein ich zu ihr bin.
 

Misa verzieht das Gesicht und sagt: "Das ist aber wichtig. Meine Karriere könnte davon abhängen, ob ich lange oder kurze Haare habe."
 

Ich sehe sie eindringlich an und mir wird schmerzlich bewusst, wie sehr Ryuuzaki mir fehlt. Er war mein Erzfeind, aber er war auch ein faszinierender Gesprächspartner. Er war mir beinahe ebenbürtig und inzwischen bedaure ich, dass ich nicht mehr Zeit mit ihm verbringen konnte. Er hatte dieselben Einsichten in die Dinge wie ich. Auch wenn ich ihn gehasst habe, in Momenten wie diesem wünschte ich, er säße hier mit mir im Wohnzimmer und nicht Misa. Ich fände ihn zwar abstoßend, aber wenigstens hätten wir unerschöpflich viele Gesprächsthemen. Mit ihm wäre es nicht so entsetzlich langweilig geworden. Er fehlt mir, sehr sogar.
 

Es ist nicht fair, aber in diesem Augenblick projiziere ich meine Langeweile und meinen Zorn über Ryuuzakis unvermeidlichen Tod auf Misa. Ich hasse sie. Ich hasse ihr Gesicht, ihre Stimme, ihr Verhalten, einfach alles. Ich hasse sie, weil sie nicht Ryuuzaki ist. Ich will ihr wehtun. "Misa, liebst du mich?", frage ich sie.
 

Sie zuckt regelrecht zusammen, sieht mich aus großen Augen an und wird dann leicht rot im Gesicht. Ich nehme an, die Frage freut sie. Enthusiastisch nickt sie und antwortet: "Ja! Natürlich liebe ich dich!"
 

"Wärst du bereit, für mich zu sterben?", frage ich und kann die sadistische Genugtuung in meiner Stimme nicht ganz verbergen. Ich werde sie quälen und sie weiß es noch nicht einmal.
 

"Ja", haucht sie, für ihre Verhältnisse sehr ernst.
 

"Und wenn ich dir sage, dass du mir im Weg bist?", frage ich. "Wenn ich dir sage, dass du das Hindernis bist und ich nur durch deinen Tod wahrhaft glücklich werden kann?" Ryuk, der irgendwo in der Ecke sitzt, horcht auf. Seine Ohren zucken nämlich.
 

Ihre blauen Augen schauen mich jetzt fast verzweifelt an. Sie muss über die Frage nachdenken, ehe sie mir antwortet: "Ich hoffe, dass es nicht so ist. Aber wenn Raito nur durch meinen Tod glücklich wird, würde ich für ihn sterben."
 

"Dann tu das", sage ich kalt. Ich genieße den Schreck und den Schmerz in ihren Augen. Endlich fühle ich mich wieder lebendig. "Los, worauf wartest du? Schlag das Death Note auf und schreib deinen Namen rein."
 

"Raito…"
 

Ich sehe sie bloß herausfordernd an. Eigentlich dachte ich, dass ich sie nur ein bisschen quälen wollte. Aber das ist es nicht. Ich will, dass sie es tut. Ich will sie sterben sehen. Sie soll verschwinden, weil ich sie so abgrundtief hasse. Sie ist nicht Ryuuzaki.
 

Misas Hände zittern, als sie das Death Note aufschlägt und bis zu einer leeren Seite vorblättert. Sie kann den Stift kaum halten. Ryuk ist inzwischen aufgestanden und beobachtet uns neugierig. Ich lasse mir keine Gefühlsregung anmerken. Sie betet mich an, ich bin ihr Gott. Ich habe ihr einen Befehl gegeben. Sie soll es tun! Ich will, dass sie stirbt!
 

"Raito, willst du das wirklich?", fragt sie mich zittrig. "Ist… ist das auch kein Scherz?"
 

"Das ist kein Scherz, Misa."
 

Ihr laufen die ersten Tränen über die Wangen. Ist mir alles egal. Ich will nur, dass sie schreibt. Und das tut sie. Strich für Strich notiert sie ihren Nachnamen, das Schriftzeichen ist kaum lesbar, weil ihre Hand so zittert. Es wird so viel ruhiger sein, ohne sie. So viel besser. Sie schreibt. AMANE… Sie zögert kurz, sieht mich fragend an, aber als ich nicht reagiere, macht sie weiter… MI… "Ich liebe dich, Raito", flüstert sie und setzt mit dem Stift wieder an. Gleich ist es vorbei, gleich bin ich sie los.
 

Ein Strich, noch einer,… und ich gerate in Panik.
 

"MISA!", schreie ich, springe geradezu aus meinem Sessel und packe ihre Hand, damit sie nicht weiterschreiben kann. Mein Gott! Ich hätte sie das beinahe tun lassen. Was ist in mich gefahren? Was hätte Kira für einen Grund, meine Verlobte zu töten? Ihr Tod würde mich unendlich verdächtig machen!
 

"Raito!", schluchzt sie. "Ich dachte, du willst wirklich, dass ich es tue!" Jetzt weint sie wie ein kleines Kind. "Ich dachte, du willst, dass ich sterbe!" Sie wirft sich in meine Arme und ich falle nach hinten gegen den Sessel. Misa weint an meiner Brust, hinter der Couch wo sie eben noch saß steht Ryuk und sieht mich an, als wäre ich nicht ganz dicht.
 

Das weinende Mädchen in meinen Armen hat keine Ahnung, warum ich sie aufgehalten habe. Aber ich selber mache mir genauso etwas vor. Ich hasse sie wirklich. Aber ich habe sie nicht aufgehalten, weil ich Angst davor hatte, mich verdächtig zu machen. Als ich sah, wie ihr Name fast vollständig in dem Notizbuch stand, da wurde mir klar, dass das Leben ohne sie sogar noch langweiliger werden würde. Der Gedanke versetzte mich in Panik. Deshalb habe ich sie aufgehalten.
 

Ich beginne zu verstehen, dass ich genauso abhängig von Misa bin wie sie von mir. Sie ist nicht Ryuuzaki, aber sie ist ein besserer Ersatz als gar keiner. Sie kann die Lücke, die er hinterlassen hat, nicht füllen. Aber Ryuuzaki kommt nicht wieder. Deshalb muss ich mich mit ihr zufrieden geben.
 

Für den Rest meines Lebens.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  blockhead
2010-01-24T19:39:14+00:00 24.01.2010 20:39
Guten Abend! :3

Ich fand das zweite Kapitel einfach unglaublich. :o
Die Ich-Sicht und die Art, wie du erzählt und seine Gedanken formuliert hast, haben einfach wunderbar zu Light gepasst.. Und vor allen Dingen die Art, wie er denkt, die Sache mit Misa angeht.
Ich finde, das ist sehr gelungener Death Note One Shot, mit einem extrem realistischen Light und einer genauso guten Misa! :D

papetto
Von:  noii
2007-11-09T23:01:44+00:00 10.11.2007 00:01
Mmmh, es ist sehr schön.
Ich mag Misa zwar nicht wirklich und das Pärchen Light/Misa erst recht nicht, aber das Kapitel an sich ist toll =)
Mir gefällt besonders, dass es in der Ich-Foms Lights geschrieben ist und die "Freundschaft" mit L, die ja nun wirklich irgendwie irgendwo in Light und überhaupt existierte, so schön dargestellt und beswchrieben wurde <3
Ich würde mich über weitere Kapitel sehr freunen und verfolge natürlich auch weiterhin deine andere Death Note FF =)

lG Noii>3<


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