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Photophobia

a fear of light (die Angst vor dem Licht)
von

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Acrasia

acrasia –

Acting against one's own judgment or lacking self control (Gegen die eigene Überzeugung handeln oder keine Selbstkontrolle haben)
 

Misa erschrak fast zu Tode, als Rem einfach durch die Wand kam. Glücklicherweise war sie alleine, denn sie rief auch sofort: "Shinigami-san!"
 

Automatisch musste Rem lächeln. Sie hatte Misa wirklich sehr vermisst und war froh, dass sie sich entschlossen hatte, sie noch einmal zu besuchen. Eigentlich sollte sie immer entweder beim Besitzer des Death Note oder aber beim Death Note selbst sein, aber L war gerade auf dem Weg ins Gefängnis um Higuchi zu befragen und hatte sie explizit gebeten, nicht mitzukommen. Es war nicht verboten, die freie Zeit für einen kleinen Besuch bei einer ehemaligen Death Note Besitzerin zu nutzen. Sie war sogar sehr erleichtert über diese Gelegenheit, weil sie Misa noch einige Dinge klarmachen musste.
 

"Shinigami-san, schön dich zu sehen", sagte Misa fröhlich, als hätte sie einen ganz normalen Gast. "Bist du hier, um mir mein Death Note zurückzugeben?" Misa wusste nur das, was Rem ihr damals gesagt hatte, deshalb hatte sie sich wohl überlegt, dass Rem ihr irgendwann einfach ein Death Note aushändigen würde.
 

"Nein."
 

"Oh." Misa machte ein enttäuschtes Gesicht. "Ich verstehe das nicht. Ryuuzaki verdächtigt uns nicht mehr, aber ich glaube, Raito erinnert sich immer noch nicht daran, dass er Kira ist. Ist irgendetwas schief gelaufen?"
 

"Nein, ich denke, alles ist gut, so wie es jetzt ist. Yagami Raito hat seine Erinnerungen verloren und weil L das Death Note versteckt hält, wird er sie auch nicht zurückbekommen."
 

"Aber dann wird er sich nie daran erinnern, dass ich der zweite Kira bin! Ich muss zu ihm und es ihm sagen! Er findet schon einen Weg-"
 

"Tu das nicht", unterbrach Rem sie. Das war genau das, was sie befürchtet hatte. Sie musste Misa unbedingt zur Vernunft bringen. Inzwischen bedauerte sie es fast, Misa die Wahrheit gesagt zu haben. Es war notwendig gewesen, um sie vor Higuchi zu beschützen, aber jetzt wurde es dafür zum Problem.
 

Rem hatte nur ein Interesse: Misa sollte glücklich werden. Wenn Light seine Erinnerungen zurückbekäme, würde alles von vorne anfangen. Light hatte kein Interesse an Misa, so oder so. Mit dem Death Note hätte Light Yagami früher oder später versucht, Misa umzubringen. Sie bedeutet ihm nichts, wäre ich nicht dazwischen gegangen, wäre sie vermutlich schon tot. Ich werde nicht riskieren, dass er noch einmal die Gelegenheit bekommt, ihr zu schaden. Dieser Light, ohne seine Erinnerungen, würde ihr wenigstens nichts tun. Und solange sie kein Death Note mehr bekommt, wird L es auch nicht. Für Rems Interessen war diese Situation die weitaus Günstigere und sie hatte sich vorgenommen, alles zu tun, um diesen Zustand beizubehalten. "Du darfst Yagami Raito nichts von dem Death Note erzählen."
 

"Wieso denn nicht?"
 

"Glaub mir, es ist besser so, für euch beide. Ich bin hier, um mich von dir zu verabschieden. Ich muss wieder in die Shinigami Welt zurück, sobald Higuchi stirbt."
 

"Aber…" Misa schaute sie verzweifelt an. "Was ist mit Raito und mir? Ich dachte, du wärst auf unserer Seite!"
 

"Das bin ich. Und deshalb möchte ich, dass du mir zuhörst. Ganz egal, was Yagami Raito auch tut, du darfst ihm nicht erzählen, was du von mir weißt. Wenn du es tust, bringst du euch beide wieder in Gefahr."
 

"Wenn er es vergessen hat, muss ich es ihm sagen! Raito muss doch wissen, dass es Shinigami gibt und das Death Note und…"
 

"Dann wird L ihn verhaften und er wird hingerichtet. Wenn du es ihm sagst, ist das sein Todesurteil." Misa hatte schon so viele unvernünftige Dinge getan, nur aus Liebe zu Light Yagami. Diese Liebe war auch das einzige, was sie vielleicht davon abhalten konnte, diese Sache von vorne anzufangen.
 

"Wenn er sich nie erinnert", sagte Misa mit Tränen in den Augen, "dann wird er auch nie wissen, was ich für ihn getan habe. Was ist, wenn er mich verlässt? Ich bin nutzlos, wenn ich ihm nicht die Wahrheit sagen kann."
 

"Du liebst Raito, oder?"
 

"Ja! Ja, natürlich!"
 

"Dann musst du das Geheimnis für dich behalten."
 

Schwer ließ Misa sich auf ihr Bett sinken. Man sah ihr an, dass sie mit sich kämpfte. Rem näherte sich ihr und wie schon einmal strich sie dem blonden Mädchen eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich hoffe, wir begegnen uns nie mehr, Misa. Es bringt immer Unglück, einen Todesgott an seiner Seite zu haben. "Lebwohl, Misa."
 

Misa konnte nicht antworten. So lautlos wie sie gekommen war, verließ Rem die Wohnung und ließ eine schluchzende Misa alleine zurück. Sie konnte nur hoffen, dass ihre Worte eindringlich genug gewesen waren.
 


 

"Es ist soweit."
 

Ryuuzaki drehte sich zu dem Shinigami um, der ihn seit Tagen auf Schritt und Tritt verfolgte. Er hatte keine Ahnung, woher Rem es wusste, wenn sie weder das Death Note um das es ging hatte noch bei Higuchi war. Trotzdem zweifelte er nicht an ihren Worten. Und gleich darauf ging einer der Bildschirme an und Watari sagte bloß: "Die Behörden haben uns mitteilen lassen, dass Higuchi hingerichtet wurde." Das war keine große Überraschung. Der Prozess war bloß pro Forma gewesen, sie hatten ja nicht einmal das Death Note gehabt, um seine Schuld zu beweisen. Aber drei ranghohe Mitglieder des Yotsuba Konzerns hatten gegen ihn ausgesagt und das hatte offenbar für einen Schuldspruch gereicht.
 

"Das Notizbuch gehört jetzt niemandem mehr, richtig?", fragte Ryuuzaki nochmal nach. Es war gar nicht seine Art, Fragen zu stellen, deren Antwort er schon kannte, aber diese Sache war zu groß, um irgendwelche Risiken einzugehen. Er wollte sich lieber nochmal versichern.
 

"So ist es. Wenn du nicht wieder in den Genuss meiner Gesellschaft kommen möchtest, sieh zu, dass du es von jetzt an nicht mehr anfasst", sagte Rem. Ryuuzaki sagte nichts. Das war die Information, die der Shinigami mehr als bereitwillig herausgegeben hatte. Sie hatte offenbar großes Interesse daran, dass das Death Note verborgen blieb. Er hatte sogar zeitweise den Eindruck gehabt, es wäre ihr am liebsten, er hätte es ihr zurückgegeben. Aber gerade weil sie das wollte, wollte er es behalten. Er traute ihr nicht. Irgendetwas an dem Todesgott weckte einfach sein Misstrauen.
 

Rems Abgang war nicht so spektakulär, wie Ryuuzaki es erwartet hatte. Sie flog nicht davon, sie löste sich nicht einmal in Nichts auf oder verpuffte in einer Rauchwolke. Nein, sie ging einfach durch die Wand hindurch und durch das Fenster sah er sie wegfliegen, wohin auch immer.
 

Das Kapitel Higuchi war hiermit abgeschlossen.
 

Ryuuzaki holte sich ein Stück Kuchen, stellte es an seinem Schreibtisch ab und setzte sich hin. Jetzt, wo der Fall abgeschlossen war, hatte Watari bestimmt schon die notwendigen Schritte eingeleitet. Lange würde das hier nicht mehr sein Büro bleiben. Er würde demnächst weiterziehen, entweder zu seinem nächsten Fall oder aber zeitweilig zu seinem Stützpunkt in England zurück, um dort neue Aufträge abzuwarten. Er fragte sich, ob irgendetwas jemals wieder so aufregend, so intensiv und so grausam sein würde wie der Fall Kira.
 

Sicher nicht.
 

Er startete das Programm und einer der zahlreichen Bildschirme flackerte. Das etwas unscharfe Bild der Aufnahme einer Überwachungskamera flammte auf und es zeigte ein leeres Zimmer. Ryuuzaki seufzte. Am Anfang hatte er es nicht gewagt, die Aufnahmen vor Rem anzuschauen, aber dann hatte seine Neugierde doch gesiegt und inzwischen beschäftigte er sich fast mit nichts anderem mehr. Er warf einen raschen Blick auf die Uhr. Eigentlich müsste es jeden Moment soweit sein.
 

Wie aufs Stichwort tauchte jetzt in dem Zimmer ein brünetter junger Mann auf, der sich schwer auf das Bett setzte und mit im Nacken verschränkten Armen nach hinten sinken ließ. Ryuuzaki beobachtete ihn aus großen Augen. Es gab nur diese eine Kamera. Die anderen hatte er bereits wieder entfernen lassen und Yagami-san diese letzte einfach verschwiegen. Bisher hatten weder er noch Light sie bemerkt. Offiziell war sie noch da, um Ryuuzaki Sicherheit zu geben und Light wenigstens noch etwas länger im Auge behalten zu können. Inoffiziell war es für ihn der letzte Kontakt zu Light, der ihm geblieben war.
 

Ryuuzaki hatte sich das alles ganz anders vorgestellt. Er erinnerte sich, als Light und er auf der Couch gesessen und sich gegenseitig ihre Gefühle gestanden hatten. Jetzt im Nachhinein konnte er darüber nur den Kopf schütteln. Wie die Kinder. Da hatte er sich das alles viel zu einfach vorgestellt. Er hatte gedacht, dass der Fall Kira einen richtigen Abschluss finden würde. Er hatte nur zwei Möglichkeiten in Betracht gezogen: Light ist Kira oder eben Light ist nicht Kira. So einfach war es nun doch nicht.
 

Vor ein paar Tagen hatte Ryuuzaki Higuchi im Gefängnis besucht. Die Sicherheitsvorkehrungen waren fast noch absurder gewesen als die, die er bei der Inhaftierung von Misa getroffen hatte. Ryuuzaki hätte Aiber schicken können, aber er hatte es in diesem speziellen Fall vorgezogen, selbst zu gehen. Er hatte gewusst, dass er keine zweite Chance für eine Befragung haben würde, deshalb war er lieber selber hingegangen. Erst hatte Higuchi überhaupt nicht mit ihm reden wollen, aber am Ende hatte er mit geschickten Fragen das, was ihn wirklich interessierte, doch erfahren. Es hatte jedenfalls ausgereicht, um seine eigenen Schlüsse ziehen zu können.
 

Higuchi war nie und nimmer der erste und einzige Kira gewesen. Er hatte das Death Note in etwa zu der Zeit erhalten, als Light sich freiwillig hatte inhaftieren lassen. Alles machte Sinn und das war das Schlimme an der Sache. Light Yagami war der erste Kira. Und Misa der zweite. Higuchi hatte das Death Note erhalten, damit Light sich von jedem Verdacht hatte reinwaschen können.
 

Aber etwas war bei seinem Plan schief gelaufen. Angestrengt starrte Ryuuzaki auf den Bildschirm. Das war nicht Kira. Er war sich sicher gewesen, nach Higuchis Tod würde Light seine Macht zurückerlangen, aber dem war nicht so. Light unterhielt sich nicht mit unsichtbaren Wesen, er schaute sporadisch die Nachrichten, aber keiner kam dabei ums Leben und er schrieb auch nichts auf verdächtige kleine Zettelchen oder in ein noch verdächtigeres schwarzes Notizbuch. Er hatte noch immer dieselben, unschuldigen Augen wie vorher. Er strahlte immer noch eine Aura der Reinheit aus. Und das Wichtigste war: es war seither niemand mehr durch Kiras Hand gestorben. Ryuuzaki war noch am Leben, und das war das sicherste Anzeichen dafür, dass Light nicht Kira geworden war.
 

Und da saß er nun und hatte nichts Halbes und nichts Ganzes. Der Fall war offiziell abgeschlossen, eine Entscheidung, die ihm nicht leicht gefallen war. Er hätte sicher eine Möglichkeit gefunden, Lights Schuld zu beweisen, jetzt wo er über diese Informationen verfügte. Das einzige, was Light wirklich entlastete, war die letzte Regel im Death Note, die besagte, dass man nach dreizehn Tagen starb, wenn man nichts hineinschrieb. Er hatte so eine Ahnung, dass diese Regel so nicht korrekt war. Sie hätte sich leicht auf die Probe stellen lassen. Aber Ryuuzaki hatte aufgegeben und die anderen Polizisten, die ganze Welt sogar, in dem Glauben gelassen, Kira sei gefasst.
 

Weil er Light schützen wollte.
 

Ihm waren ein dutzend guter Gründe eingefallen für sein Handeln, aber das war nun einmal der wahre Grund und es sich selbst gegenüber zuzugeben war schmerzlich genug. Er hatte seine Pflicht nicht erfüllt, um Light zu schützen, um einen Serienmörder zu decken. Es war wider seine Natur und er würde noch sehr, sehr lange daran zu knabbern haben. Vielleicht war es im Endeffekt besser so. Wenn er versucht hätte, Light zu belasten, wäre der früher oder später mit dem Death Note in Berührung gekommen. Vielleicht hätte Ryuuzaki mit weiteren Ermittlungen eine Kette von Ereignissen angestoßen, die Light dazu verholfen hätten, seine Macht doch noch wiederzuerlangen. Aber das machte es auch nicht erträglicher.
 

Das einzige, was er nun tun konnte, war, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Es war immer noch möglich, dass Light wieder zu Kira werden würde. Und sein erstes Opfer als neuer Kira würde Ryuuzaki sein, wie auch immer er das anstellen würde. Für diesen Fall wollte Ryuuzaki zumindest das Nötigste tun. Er hatte wichtige Ermittlungsunterlagen mit seinen konkreten Überlegungen in einem Schließfach verstauen lassen mit der Anweisung, diese Unterlagen nach seinem Tod unverzüglich dem Waisenhaus zu überlassen. Near oder Mello oder irgendein anderer würde sich dann um den Fall kümmern und Light zur Strecke bringen.
 

Seine zweite Vorsichtsmaßnahme betraf Misa. Er hatte ein komisches Gefühl bei ihr. Die Art, wie sie Higuchi ein Geständnis abgerungen hatte, machte sie sehr verdächtig. Ryuuzaki hatte das untrügliche Gefühl, dass sie etwas wusste. Weil aber bisher keine Morde geschehen waren, konnte er nicht sagen, ob sie Kiras Macht zurückerlangt hatte oder nicht. Auf jeden Fall stimmte mit ihr etwas nicht. Sie war erst kürzlich bei Light zu Besuch gewesen und er hatte die zwei beobachtet, aber ihm war nichts aufgefallen. Misa hatte sich mit ihm unterhalten, Light hatte sie relativ wenig beachtet, und irgendwann war sie wieder gegangen.
 

Jetzt wo es nur noch eine Kamera gab, war sie ein Sicherheitsrisiko. Wenn er mit seinem Instinkt richtig lag und sie irgendwas wusste, war es zu riskant, sie in Lights Nähe zu belassen. Die Kamera würde früher oder später entdeckt werden und es wäre katastrophal, sollte Misa sich erst hinterher entschließen, Light auf irgendeine Weise zu beeinflussen. Deswegen hatte Ryuuzaki, um sie vorläufig von Light fernzuhalten, ein paar Anrufe getätigt. Noch in diesen Tagen würde jemand ihr Management kontaktieren und sie bitten, in einem ausländischen Fernsehfilm eine Rolle zu übernehmen. Damit war sie außer Landes und er hatte Zeit, darüber nachzudenken, wie er Light im Auge behalten konnte, sollte sie ihn in Zukunft irgendwie zu beeinflussen versuchen.
 

Aber allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz… es fühlte sich schlecht an. Es hatte nie einen Fall gegeben, den er nicht zu Ende gebracht hatte. Er hatte nie einen Täter entkommen lassen. Irgendwie hatte er das Gefühl, am Ende doch von Kira besiegt worden zu sein.
 

Jetzt, wo er sich wegen seiner Entscheidung ohnehin schon schlecht fühlte, musste er sich nun auch noch seinen Gefühlen stellen. Es war nur ein paar Tage her und schon jetzt wäre es ein Wunder, würde Light ihm nicht einfach die Tür vor der Nase zuknallen, sollte er dort auftauchen. Light hatte seinen Stolz und war ohne Zweifel stinksauer auf ihn. Aber Ryuuzaki war noch nicht bereit für eine Auseinandersetzung. Er wollte etwas Gras über die Sache wachsen lassen. Er wollte erst sehen, wie sich ihre Gefühle nach einiger Zeit Abstand entwickeln würden. Jetzt würde sich zeigen, ob das, was sie füreinander empfanden, nur eine Nebenwirkung der außergewöhnlichen Situation gewesen war, oder ob es doch etwas Dauerhaftes war.
 

Stumm starrte er den Bildschirm an und fragte sich, ob es normal war, nach so kurzer Zeit ein so schmerzliches Gefühl der Sehnsucht entwickelt zu haben. Er wollte zu Light gehen, ihn berühren, ihn irgendetwas sagen hören, ganz egal. Selbst seine Angst vor Nähe war nicht so stark wie diese Sehnsucht. Aber er zwang sich, zu warten.
 

Er musste die Dinge zur Ruhe kommen lassen, sonst würde er Light und sich selbst nur unglücklich machen.
 


 

Regentropfen prasselten auf das Dach und in Lights Ohren waren sie laut wie Trommelschläge. Hellwach lag er in seinem Bett und starrte das Muster an, dass das Licht, das von draußen kam, an seine Zimmerdecke warf. Etwas fehlte ihm. Auf einmal fühlte er sich auch zu Hause sehr allein. Zwei Tage nach seiner Rückkehr war er schon wieder zum Unterricht gegangen. Mai und einige andere hatten ihn herzlich begrüßt und es war ihm nicht sehr schwer gefallen, trotz der langen Pause dem Unterricht zu folgen. Aber etwas war trotzdem anders. Früher war er zur Schule und dann auch zur Uni gegangen mit einer ganz natürlichen Selbstverständlichkeit. Man musste zur Schule gehen um etwas zu lernen. Und man musste lernen, um später im Leben Erfolg zu haben. Und Erfolg bedeutete Ruhm und Reichtum. Jetzt dachte er zum ersten Mal einen Schritt weiter. Und dann? Karriere bedeutete ihm nichts, Geld noch weniger. Er hatte immer Polizist werden wollen, so wie sein Vater. War das wirklich so erstrebenswert?
 

Light fühlte sich ausgebrannt. Nichts hatte mehr eine Bedeutung für ihn, dieses Leben war so entsetzlich langweilig. Eine Weile lang hatte er so viel Aufregung gehabt, dass er gedacht hatte, die Rückkehr nach Hause würde ihn erleichtern. Dem war nicht so. Er hatte die Anspannung genossen, die Jagd auf Kira, die Zeit mit Ryuuzaki, die intellektuelle Herausforderung. Immer öfter saß er im Unterricht und fragte sich, ob das schon alles war. Er hatte das Gefühl, etwas Wichtiges verpasst zu haben. War ihm nicht etwas anderes bestimmt als diese ewige Routine?
 

Ryuuzaki fehlte ihm. Er war wütend, aber er vermisste diesen schrulligen Spinner auch. Es passte ihm nicht, dass Ryuuzaki in gewisser Weise das letzte Wort gehabt hatte. Alles war nach seinem Willen verlaufen und damit kam Light gar nicht zurecht.
 

Er warf einen Blick auf die Uhr. Kurz nach sieben. Eigentlich sollte er brav an seinem Schreibtisch sitzen und lernen. So hatte er es früher gemacht. Sobald er aus der Schule gekommen war, hatte er bis spät in die Nacht über seinen Büchern gesessen und gelernt. Jetzt fiel es ihm sehr schwer, sich zu konzentrieren. Er musste immer wieder über Ryuuzaki nachdenken und über den Fall Kira. Von seinem Vater hatte er noch immer keine zufrieden stellenden Antworten bekommen. Der hatte irgendwann einfach zu ihm gesagt, er solle die Sache doch ruhen lassen und sich jetzt wieder voll und ganz auf sein Studium konzentrieren. Als ob das so einfach wäre.
 

Light hörte Schritte, jemand kam die Treppe hoch. Am dumpfen Klang erkannte er, dass es sein Vater war, die Schritte seiner Mutter und seiner Schwester waren wesentlich leichtfüßiger. Es klopfte an der Tür, er setzte sich auf, schaltete das Licht ein und nahm pro Forma ein Buch zur Hand. "Ja?"
 

Sein Vater betrat den Raum und schloss die Tür hinter sich. "Kann ich dich kurz sprechen?"
 

"Natürlich." Er legte das Buch beiseite. "Was gibt es?"
 

Sein Vater setzte sich auf den Schreibtischstuhl. "Ryuuzaki hat den Fall Kira offiziell für abgeschlossen erklärt. Es tut mir leid, dass ich dir das nicht früher sagen durfte. Higuchi wurde verurteilt, deine Unschuld wurde zweifelsfrei bewiesen."
 

Light konnte sich nicht wirklich darüber freuen. "Und weiter? Erfahre ich jetzt, was am Tag von Higuchis Festnahme passiert ist?"
 

"Ryuuzaki hat mich gebeten, dir gewisse Einzelheiten nicht zu erzählen und ich habe mich entschieden, ihm in der Hinsicht zu vertrauen, auch wenn ich seine Entscheidung nicht verstehe. Alles, was du wissen musst, ist, dass Higuchi der einzige Kira war. Amane-san und du, ihr werdet nicht länger verdächtigt."
 

"In Ordnung", sagte er tonlos. Er wollte diese Informationen, je mehr sie alle ein Geheimnis daraus machten, desto mehr wollte er sie. Aber es hatte keinen Sinn, von seinem Vater würde er nichts erfahren. "Ich muss noch etwas lernen. Ist sonst noch etwas?"
 

"Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Du wurdest nur in diese Sache verwickelt, weil du mein Sohn bist. Anderenfalls hätte Ryuuzaki dich nicht beschatten lassen, du wärst nie unter Verdacht geraten und hättest das alles nicht mitmachen müssen."
 

"Ist schon gut, Vater", antwortete er. "Ich bin froh, dass ich diese Erfahrung machen durfte. Es war nicht angenehm, aber es hat Spaß gemacht, mit Ryuuzaki zusammenzuarbeiten. Es hat mich daran erinnert, wie gerne ich Polizist werden möchte." Es war eine dreiste Lüge. Ganz im Gegenteil, erst diese Sache hatte ihm gezeigt, wie wenig ihm eine Polizeikarriere doch bedeutete. Aber er wollte seinem Vater keinen Kummer mehr machen. Der konnte ja auch nichts dafür. Es war allein Ryuuzakis Schuld.
 

"Dann lasse ich dich jetzt mal wieder allein. Überanstreng dich nicht beim Lernen."
 

"Ja, Vater." Er sah zu, wie sein Vater das Zimmer verließ und die Tür hinter sich zumachte.
 

Das war also das Ende des Falles Kira. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Ryuuzaki war ihm etwas schuldig, wenigstens eine Entschuldigung und einen anständigen Abschied. Und er konnte nichts tun als hier zu sitzen und das alles hinzunehmen.
 

Auf einmal hatte er das Gefühl, in diesem engen Raum zu ersticken. Er musste hier raus, an die frische Luft, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Er schnappte sich eine Jacke und verließ sein Zimmer. Leise schlich er die Treppe runter, vorsichtig, damit seine Eltern es nicht mitbekamen, zog sich seine Schuhe an und verließ das Haus.
 

Draußen regnete es in Strömen, aber das war ihm momentan schlicht egal. Er stapfte durch den Regen, in irgendeine Richtung, und dachte nach. So aufgewühlt wie jetzt war Light noch nie gewesen. Er war wütend, stinksauer auf Ryuuzaki und auf seinen Vater. Er verabscheute diese Geheimniskrämerei und er verstand nicht, warum Ryuuzaki es nicht mal für nötig gehalten hatte, sich zu verabschieden, und diese Sache mit ein bisschen mehr Anstand zu Ende zu bringen. Und gleichzeitig musste er mit der Sehnsucht kämpfen, die selbst unter seiner grenzenlosen Wut noch an die Oberfläche kam. Ryuuzaki fehlte ihm. Die vergangenen Tage ohne ihn waren nicht sehr angenehm gewesen. Es fühlte sich an, als würde etwas Wichtiges plötzlich fehlen, etwas, ohne das er nicht vollkommen war. Ab und an kam ihm ein interessanter Gedanke oder eine spannende Idee, und obwohl er natürlich wusste, dass Ryuuzaki nicht bei ihm war, glaubte er im allerersten Moment, da sei jemand, mit dem er den Gedanken teilen könnte. Und dann wurde er wieder daran erinnert, dass er allein war. Er konnte mit niemandem so reden wie mit Ryuuzaki. Weder mit seiner Familie noch mit seinen Studienkollegen. Und er dachte immer wieder an diesen Kuss, der ihn so völlig unerwartet total überwältigt hatte.
 

Es war nicht richtig so. Diese Sache hatte keinen richtigen Abschluss und damit konnte er einfach nicht leben. Er steuerte auf eine Straßenbahnhaltestelle zu. Er hatte keine Ahnung, ob es Ryuuzakis Büro überhaupt noch gab, aber versuchen musste er es. Er brauchte einen Abschluss. Er wollte Ryuuzaki nicht das letzte Wort haben lassen, er würde nicht zulassen, dass jemand anders über sein Leben bestimmte.
 

Auf dem Weg zu dem Gebäudekomplex musste er zweimal umsteigen. Die ganze Zeit über starrte er aus dem Fenster. Es war kalt und unangenehm, weil er komplett durchnässt war. Die letzten Meter über musste er wieder durch den Regen laufen und damit wurde auch sein zwischendurch halb getrocknetes Haar wieder nass. Als er das Hotel betrat, fühlte er sich schwer und träge. Er wusste nicht, was er zu Ryuuzaki sagen sollte. Das alles hier war seltsam unwirklich.
 

Während der Ermittlungen hatte Light wie die anderen auch eine Chipkarte für den Aufzug gehabt, der regulär sonst nur bis zum vorletzten Stockwerk fuhr. Die hatte er seinem Vater aushändigen müssen. Er ging zur Rezeption und verlangte, zum obersten Stockwerk gebracht zu werden. "Unser Gast möchte nicht gestört werden", sagte man ihm.
 

"Dann rufen Sie ihn an und sagen ihm, dass Yagami Light hier ist und ihn sehen will!" Wenigstens war Ryuuzaki noch da. Wäre er schon weiter gezogen, wäre es unmöglich gewesen, ihn je zu finden.
 

Light rechnete fast damit, dass Ryuuzaki ihn gar nicht erst zu ihm hochkommen lassen würde, aber zu seiner Überraschung geleitete ihn einer der Männer nach einem kurzen Anruf im obersten Stockwerk zum Aufzug. Oben angekommen stieg er aus und stellte sich vor die Eingangstür zur Suite. Er klopfte nicht sondern starrte nur in die Kamera und wartete.
 

Es dauerte eine ganze Weile, bis sich die Tür schließlich öffnete.
 

…tbc…



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  bebi
2007-08-04T13:17:52+00:00 04.08.2007 15:17
Ich sterbe fingernägelkauend...
Von:  vulkan_chan
2007-04-16T16:22:17+00:00 16.04.2007 18:22
WAAAAAHHHHHHH!!!!!!! an DIESER stelle aqufzuhören! bist du machsochistin (oder wie auch immer man das schreibt^^') ???!!!!!!!
WEITER! ;.; soviel spannung ist nicht gut für mien armes altes herz! (anmerkung: 16 jahre alt)

ich liebe dieses kapitel!^^ wie immer hochgradig brilliant geschrieben, inhaltlich natürlich auch sowieso, weißt du ja alles längst, ne?^^
auch ist es mal etwas länger 8wie das letzte sauch schon^^) aber du dürftest die seitenzahl ruhig noch zwei drei mal verdoppeln^^
die sucht ist ein schweres laster, aber nach photophobia bin ich gerne süchtig!^^
Von:  LumCheng
2007-04-11T00:32:38+00:00 11.04.2007 02:32
*fiiiep*
*mit Armen wedel*
Wie kannst du nur gerade JETZT einen Cut machen? Boah...
Ich hoffe und bete laufend, dass du das hier zu Ende schreibst und nie die Lust verlierst und es hinschmeißt ^^° *das selber leider zu oft macht* >_<

Ah, ich muss nochmal deinen Stil lobend erwähnen.
Es ist wirklich unglaub wie flüssig das alles ist, es liest sich so supergut weg, dass ich immer ganz erstaunt bin, wenn ich am Ende eines Kapitels bin XD~
Bei manchen Autoren ist es echt mühsam, sich was durchzulesen und einem vergeht die Lust, aber bei dir gar nicht ^^

Lum~
Von:  Adrijana
2007-04-09T18:26:25+00:00 09.04.2007 20:26
ich schließ mich den beiden nur an!
und wie gehts jetzt weiter ? Q.Q
schreib bitte schnell weiter ja?! biddööö ;.;

lg Adri ^^
Von: abgemeldet
2007-04-09T17:23:20+00:00 09.04.2007 19:23
Ich kann hazard nur zustimmen.
Mach bitte ganz schnell weiter, ich freu mich schon total auf das neue Kapi^^
Und das hier war gut geschrieben und auch inhaltlich voll okay *daumenhoch* Weiter so!!!^^
Von:  hazard
2007-04-09T12:08:15+00:00 09.04.2007 14:08
Boah!
Das nenn' ich mal 'nen fiesen Cliffhanger!! Jetzt will ich werde ich es kaum mehr abwarten können, bis es weitergeht...*sniff*
Deine FF find ich super bisher...
Haz


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