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Andys Jugendsünden II

In äußerst kreativer Zusammenarbeit mit BlackLightning. Der Kuchen und die jeweils zwei Cocktails im Wassermann waren schuld an dem, was ab Kapitel sechs passiert. XD Zum Glück
von

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Mutterliebe

Die heiße Sommersonne schien erbarmungslos auf die Freistaat hinab. Nur ein hellgelber Sonnenschirm spendete ein wenig Schatten. Die Menschenscharen drängten sich durch die Münchner Innenstadt. Versuchten an ihre Ziele zu gelangten. Lautes Gelächter war überall zu hören und die hell gekleideten Gestalten strahlten pure Fröhlichkeit und Zufriedenheit aus.

Er beobachtete diese Leute. Mit einem innerlich zerrissenen Herzen. Wie konnten diese Menschen nur so durch und durch zufrieden durch die Gegend laufen? Was brachte sie dazu, jegliche Sorgen zu vergessen? Lag es tatsächlich nur an dem Sommerwetter? Oder doch an denen, mit denen sie sich trafen? Freunde, Eltern, Lebenspartner? Oder hatten diese Leute keine Sorgen? Verlief ihr Leben vielleicht genau so, wie sie es sich immer erträumt und gewünscht hatten? Nein, das konnte er sich auch nicht vorstellen. Aber irgendetwas musste es doch sein.

Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so ausgelassen durch die Stadt geschlendert war. Schon gar nicht mehr, wer dabei gewesen war. Alles schien so verschwommen. So unendlich weit weg, dass es ihm nicht gelang, die Erinnerungen zu greifen, geschweige denn zu halten und wiederzugeben. Es tat weh, sich nicht erinnern zu können. Ihm fehlte ein zu wichtiges Kapitel in seinem Leben und er wusste nur eine Möglichkeit, wie er dieses wieder bekommen würde. Doch genau das, war schier unmöglich.

Der Latte Macchiato war mittlerweile schon kalt geworden, aber das machte ihm nicht weiter etwas aus. Wenn man danach ging, sollte kalter Kaffee immerhin schön machen. Allerdings würde das bei ihm wohl nicht mehr helfen.

Eingefallene Wangen, dürre Gestalt. Gelbliche Finger und Fingernägel. Dunkle Augenringe und aufgeplatzte Lippen. Die Klamotten hingen ihm vom Leib, als würde er schwarze Kartoffelsäcke tragen. Ob er ein schönes Bild abgab? Er konnte es nicht wirklich sagen. Er hatte den Blick für Ästhetik verloren ebenso den Blick für sich selbst. Er nahm sich nicht mehr wahr. Er wollte sich nicht mehr wahrnehmen, aus Angst, er würde vor Schreck einen Herzinfarkt erleiden.

Das Essen war sein Feind geworden. Der Alkohol und die Drogen zu den einzigen Freunden, die ihn verstanden. Sie waren einfach da, wenn er sie brauchte. Sie stellten keine dummen Fragen und sie halfen ihm zu vergessen. Sie ließen ihn aushalten, was in seinem Alltag passierte. Dinge, die kein Mensch wirklich erleben wollte. Er hatte sich entschieden, die Geschichte durch zu ziehen, egal wie lange sie dauern sollte. Zumindest konnte er von dem Geld, welches er damit verdiente, leben. Und die Typen die er notgedrungen traf, waren auch in Ordnung. Und wenn nicht… war es auch egal, immerhin hatte er seine tollen, bunten Freunde, die ihm halfen, Gute Mine zum bösen Spiel zu zeigen.
 

Eine Frau mittleren Alters kam mit kleinen, trippelnden Schritten auf ihn zugeeilt. Ein Mann im gleichen Alter ging neben ihr her.

Sie hatte hellrot gefärbte Haare, eine weibliche Figur mit Rundungen an den Stellen, wo sie hingehörten. Der Hühne von Mann, hatte einen leichten Bauchansatz, einen Vollbart und graumelierte Haare. Arme und Beine wie Baumstämme und einen klaren, aufmerksamen Blick.
 

„Andreas!“ Die Frau winkte ihm lächelnd zu. Eilte heran und als Andy sich erhob, nahm seine Mutter ihn freudestrahlend in die Arme. „Schön dich zu sehen, mein Junge.“

„Hey Mom.“, nuschelte Andy mit rauer, monotoner Stimme. Er schloss Rosie in die Arme und atmete ihren sonnigen Duft ein. Ein minimaler Teil seiner innerlichen Dunkelheit machte einem winzigen Sonnenstrahl platz, als auch Uwe ihn kurz an sich drückte. Seine Familie stand da. Sie waren da und standen hinter ihm, wie niemand sonst es tat. Bei ihnen fühlte er sich sicher. Verstanden.

„Hallo Andy. Wie geht’s dir?“, fragte der Mann an der Seite seiner Mutter.

„Ich steh noch.“, meinte Andy mit einem ironischen Lächeln und setzte sich.

Die Kellnerin kam, nahm die Bestellungen der beiden Neuankömmlinge auf und für einen Augenblick herrschte betretenes Schweigen.
 

Die Zigarette fand den Weg in Andys Mundwinkel und seine Mutter betrachtete ihn mit wachsender Sorge. Die zitternden Hände waren ihr nicht entgangen, ebenso wenig die gläsernen, roten Augen ihres Sohnes.

„Wenn du mich weiterhin so stirnrunzelnd ansiehst, bekommst du noch mehr Falten.“, meinte Andy leise und lächelte ein schiefes Lächeln. Rosie allerdings konnte den Spaß nicht mit ihrem Sohn teilen. „Entschuldige.“

Rosie schüttelte den Kopf und wartete mit ihrer Antwort, bis die Kellnerin wieder verschwunden war.

Ein Steak mit Kartoffeln und ein Seelachs hatten den Weg auf den Tisch gefunden. Andy drehte sich beim Anblick des Essens regelrecht der Magen um und hätte er sich nicht am Riemen gerissen, hätte er sich auf offener Straße erbrochen.

„Möchtest du nichts essen?“, fragte Uwe und knuffte den jungen Mann neben sich kameradschaftlich an die Schulter. „Du brauchst doch etwas Gescheites in den Magen.“

Der mörderische Blick des Schwarzhaarigen war den beiden Erwachsenen nicht entgangen.

„Uwe… lass es.“, murmelte Rosie seufzend. „Hast du heute überhaupt schon etwas gegessen?“ Die Antwort, dass essen völlig überbewertet wurde, musste die ältere Frau erst einmal verdauen.

„Wohnst du eigentlich immer noch bei diesem… schrägen Vogel?“, frage Uwe nun etwas vorsichtiger. Er wollte sich immerhin nicht den Hass des Sohnes seiner Lebensgefährtin einhandeln.

Andy schüttelte den Kopf. Zog an der nächsten Zigarette und trank einen Schluck Kaffee. „Nein, ich bin ausgezogen. Mir reicht’s, dass ich ihn in der Arbeit schon immer sehe. Hab da was Nettes gefunden. Ein wenig außerhalb.“, meinte Andy und der Stolz war deutlich aus seiner Stimme zu hören gewesen. „Bei Pasing in der Nähe. Ein bisschen was über 50 Quadratmeter. Und teuer ist die Wohnung auch nicht. Ihr könnt gerne mal vorbei kommen.“, bot der junge Mann aufrichtig lächelnd an. Betrachtete die beiden Gesichter vor sich und dachte sich ebenfalls einen Funken Stolz in den Augen seiner Mutter gesehen zu haben.

„Sehr gerne. Und ich bin froh, dass du da weg bist.“, lächelte Rosie und legte ihre Hand auf den Unterarm ihres Sohnes.

„Aber… ich glaub das muss noch etwas warten.“ Andys Herz zog sich in seiner Brust zusammen. Er wollte keine Schwäche zeigen, er konnte es sich nicht leisten, aber er musste! Wenn er nicht draufgehen wollte MUSSTE er Schwäche zeigen. Ob er somit den Respekt von Uwe und seiner Mutter verlor… das Risiko musste er unweigerlich eingehen.

„Das ist ja kein Problem. Wann immer du Zeit hast. Wir kommen dich gerne besuchen.“

Andy schüttelte den Kopf. Seufzte schwer und musste innerlich mit sich ringen, mit der Wahrheit heraus zu rücken. „Es kann sein… dass es noch ein oder sogar zwei Jahre dauern kann. Ich weis es nicht.“, murmelte er kleinlaut.

„Dann dauert es eben so lange.“ Uwe betrachtete den jungen Mann von der Seite aus. „Was liegt dir bloß auf der Seele?“, fragte er eher zu sich selbst, als an Andy gewandt.

Andys Hände hatten mittlerweile noch schlimmer zu zittern angefangen. Er brauchte seinen Stoff. Er knibbelte mit den Zähnen an der Nagelhaut seiner Finger herum und ließ den Blick schweifen. Er konnte sich hier nicht vor all den Leuten ´E´ (Ecstasy) reinpfeiffen, aber er hielt es langsam nicht mehr länger aus.

„Ich… ich… brauch eure Hilfe.“, nuschelte der Schwarzhaarige kleinlaut. Kramte in seiner Manteltasche herum und legte ein kleines durchsichtiges Tütchen auf den runden Tisch. Blickte seiner Mutter in die Augen. Er wollte es nicht aussprechen. Er konnte es nicht aussprechen.

Rosie allerdings machte nicht die geringsten Anstalten, ihrem Sohn diese Last von den Schultern zu nehmen. Er sollte es sagen. Er musste es sagen, sonst hatte alles, was noch kommen wollte, keinen Sinn.

Andy blickte sich gehetzt um. Wenn er nicht langsam mit der Sprache herausrückte, wusste er selbst, würde er hier noch etwas zertrümmern. Er hatte Entzugserscheinungen. Er schwitzt, ihm war kalt. Alles auf einmal. Er brauchte die nächste Dosis. JETZT! Aber wenn er es jetzt tat, würde alles, was ihm auf der Seele lag, in weite, weite Ferne rücken und das, was er sagen wollte, würde an die letzte Stelle seines Lebens treten. Das konnte er nicht riskieren. Er wollte es nicht mehr riskieren!

„Ich muss…“ Andy stoppte. Schloss die Augen um sich zu beruhigen. Um seinen rasenden Puls zu senken. „Ich muss von dem Scheißdreck runter.“ Sein Blick war nun hilfesuchend an seine Mutter gerichtet. „Ich schaff das nicht allein.“ Er war den Tränen nahe. „Ich will nicht draufgehen, verstehst du?“, flüsterte er. Seine Stimme brach fast.

„Das wissen wir und du wirst nicht sterben. Hast du mich verstanden?“ Rosie blickte ihrem Sohn fest und entschlossen in die Augen. „Wir sind bei dir, egal, was passiert.“ Sie nahm die Hand ihres Kindes und drückte seine knochigen Finger. Senkte ihre Stimme noch weiter und lächelte mit feuchten Augen. „Wir kriegen dich aus dieser Scheiße raus, hörst du?“

Andy blieb die Stimme im Halse stecken. Er nickte nur. Sah seine Mutter an und wusste, dass dieser Albtraum irgendwann ein Ende nehmen würde. Nur wann? Wann konnte er wieder mit Freude durchs Leben gehen? Wieder aufrichtig lachen? Sich wieder im Spiegel ansehen, ohne ein Etwas zu sehen, was er nicht kannte?

Wie lange würde es dauern, bis dieses ganze Gift aus seinem Körper war? Wie lange würde es dauern, wie die Wunden auf seiner Seele verheilt waren? Würden ihn die bleibenden Narben immer wieder erinnern?

Würde er überhaupt je wieder der werden, der er noch vor zwei Jahren gewesen war? Freundlich, lebensfroh, zugänglich, liebenswert? Diese Frage konnte ihm tatsächlich nur die Zeit beantworten, die ins Land ziehen würde. Monate. Jahre. Vielleicht mussten sogar Jahrzehnte vergehen, bis er wieder der Alte war.
 

Aber was er mit Sicherheit wusste war: Egal, was passieren würde. Egal welchen Weg er gehen musste und welche Hürden er bewältigen musste. Er würde es nicht allein tun. Und diese Gewissheit, ließ diesen winzig kleinen Sonnenstrahl in seinem Innern verweilen und ihm zumindest eine Last von den Schultern nehmen.



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