Game
Manchmal konnte ich wirklich über mich selbst lachen. Es war doch dermaßen dämlich. Wer war ich eigentlich? Ein durchgeknalltes Fangirl?
Inzwischen ärgerte ich mich so sehr, dass ich am liebsten die Kontrolle über das Flugzeug übernommen hätte und zurück nach Japan geflogen wäre. Aber nein, ich saß seelenruhig da und starrte aus dem Fenster. Und lächelte. Und das Flugzeug war auf dem Weg nach Taiwan.
Als ich mein Spiegelbild im Fenster direkt neben mir wahrnahm und mich eine Weile betrachtete, erstarb das Lächeln auf meinen Lippen.
Wie konnte er es wagen so mit mir umzugehen? Ich war nicht einer seiner Angestellten, die sofort antanzen mussten. Ich war Gackt, verdammt! Und es gab niemanden in Japan der das nicht wusste.
Nur Haido... schien diese winzige Kleinigkeit zu ignorieren.
Ja, ich war mehr als glücklich, dass er zugesagt hatte und ja, jedes unserer Treffen, die wir dazu genutzt hatten über den Film zu diskutieren und ihn zu planen, hatte mir wirklich Spaß gemacht. Ich habe mich jedes Mal gefreut wenn er bei mir war. Es war so ein Gefühl wie: „Ha! Ich kenne Hyde und ihr nicht!“ Und nach einiger Zeit: „Ha! Ich bin Hydes Freund und ihr nicht!“
Wir haben uns wirklich gut verstanden, mit ihm wurde es nie langweilig und irgendwie war es dazu gekommen, dass wir uns jedes Mal umarmten, wenn wir uns begrüßen oder uns von einander verabschieden. Ja, das kann ich jetzt sagen, über diesen kurzen Zeitraum waren wir Freunde geworden... und ich war stolz darauf.
Wer auf dieser Welt kann schon von sich behaupten, dass Hyde sein Freund ist?
Ich konnte das. Auch wenn wir gelegentlich aneinander gerieten, irgendwie schafften wir es diese Reibereien nie zu offensichtlich werden zu lassen und daraus wurde ein Spiel. Ein Spiel, dass nur Hyde und ich spielten. Wir spielten es die ganze Zeit, während wir miteinander redeten, während wir uns Filme ansahen... sogar wenn wir nebenbei noch ein anderes Spiel spielten. Billard zum Beispiel.
Das Blöde an unserem Spiel war, dass es keine Regeln gab. So wusste ich nie genau worum es eigentlich ging. Was gab die meisten Punkte? Seinen Gegner hinters Licht zu führen? Ihn zu ärgern? Ihn sprachlos zu machen? Oder einfach nur dominant zu sein?
Egal worum es gerade ging, ich hatte immer das Gefühl, er war mir einen Schritt voraus und es fiel mir extrem schwer, ihn einzuholen. Er machte alles mit einer Leichtigkeit und Unbeschwertheit, dass es fast schon unheimlich war. Mich ärgerte es nur.
Und selbst wenn es Regeln gegeben hätte, ich denke nicht, dass Hyde sich daran gehalten hätte. Er hätte einen raffinierten Weg gefunden die Regeln zu brechen. Er war einfach der Typ dafür.
Wenn ich ihn zu sehr reizte, rächte er sich. Wenn ich ein anderes Spiel gewann (zum Beispiel Billard), rächte er sich. So oder so, seine Rache kam immer.
Als ich ihn in einem Restaurant vor einer Kellnerin bloßgestellt hatte, hatte er mir auf dem Weg nach draußen ein Bein gestellt, und ich hatte mich vor allen Leuten zum Idioten gemacht. Es war so simpel gewesen, aber so effektiv. Darüber könnte ich mich jetzt noch ärgern.
Nach unserem letzten Telefonat fragte ich mich aber, ob Hyde vielleicht ernsthaft vor hatte unser kleines Spielchen zu gewinnen.
„Komm sofort hier her!“, hatte er gesagt, und nicht gerade leise.
Ich hatte mit You und Chacha in einem Restaurant gesessen und wir hatten noch nicht bestellt als mein Handy klingelte.
Ich hatte gewusst, dass es Hyde war und ich hatte mich gefreut. Aber nach seiner Begrüßung war die Freude so schnell wieder verschwunden gewesen, wie sie aufgekommen war.
„Wo bist du?“, sein Stimme war sehr ernst gewesen und klang alles andere als glücklich.
Ich hatte schwer schlucken müssen und befürchtete schon, dass etwas passiert war.
„Ich sitze hier mit You und Chacha beim Essen.“
„Geht's dir noch ganz gut?! Weißt du eigentlich wie verdammt heiß es hier ist?!“, hatte Hyde in mein Ohr gebrüllt und ich brauchte einige Momente um mich wieder zu fangen – und nicht gleich laut lachen zu müssen. Das war sein Problem gewesen? Die Hitze?
„Beruhige dich, Haido. Du bist in Taiwan. Natürlich ist es da heiß, das ist ein tropisches Gebiet.“ Ich hatte ein Lächeln auf den Lippen als ich das sagte. Mir war ein Stein vom Herz gefallen.
„Ach ja?! Dann tu was dagegen. Sofort!“, er hatte es wirklich ernst gemeint. Gab er mir etwa die Schuld an der Temperatur dort?
Und damit hatte ich realisiert wie ernst dieses Gespräch war und stand vom Tisch auf um mich in Ruhe um Hyde zu kümmern. Ich lächelte längst nicht mehr.
„Haido. Ich kann nichts dagegen tun. Das weißt du doch.“ Ich hätte mich dafür Ohrfeigen können, dass ich mich angehört hatte, als würde ich mit einem kleinen Kind reden.
Hyde hatte bestimmt die selbe Idee.
„Dann komm sofort hier her!“, dieser Satz war so bestimmend gewesen, dass ich im ersten Moment dachte, ich müsste alles stehen und liegen lassen und den nächsten Flieger nehmen. Warum konnte Hyde so etwas von mir verlangen?
„Das geht nicht so einfach. Ich habe hier noch einen vollen Terminplan und in Taiwan soll ich erst in fünf Tagen sein.“ Ich hatte wirklich versucht mich zu wehren. Obwohl ich genau wusste, dass ich morgenfrüh in diesem Flugzeug sitzen würde.
Und ich saß am nächsten Morgen in diesem Flugzeug. Alle Termine wurde gestrichen und abgesagt. Nur weil ich das tat, was Hyde von mir wollte. Und das ich es tat, machte mich wahnsinnig wütend.
Würde jetzt eine Glocke das Ende unseres Spiels ankündigen, hätte ich verloren. So war es letzten Endes doch von Vorteil für mich, dass unser Spiel keine Regeln hatte.
Wohl durch diesen Gedanken schlich sich das Lächeln dann doch wieder auf meine Lippen und ich setzte meine Sonnenbrille auf. Nicht mehr lange und das Flugzeug würde in Taiwan landen.
Im Hotel angekommen fragte ich an der Rezeption als erstes nach Hydes Apartment. Während meine Leute das Gepäck in mein Apartment brachten, welches direkt neben dem von Hyde, im obersten Stock, lag, klopfte ich bei Hyde an der Tür. Das Abendessen hatte ich verpasst, aber es machte mir auch nicht sonderlich viel aus. Was mir allerdings etwas ausmachte, war die Tatsache, dass Hyde mich ziemlich lange warten lies.
Ich klopfte erneut, diesmal fester. Schließlich regte sich im Raum dahinter etwas und kurze Zeit später wurde mir die Tür geöffnet.
Das „Hallo“ blieb mir im Hals stecken und das aufgesetzte Lächeln fiel mir von den Lippen. Hyde sah schlecht aus. Und das war untertrieben.
Er war kreidebleich, seine Augen waren nur spaltweit geöffnet und bevor ich doch noch etwas sagen konnte, knallte er mir die Tür vor der Nase zu.
Ich blinzelte einige Male.
Das ist nicht nett, stellte ich dann intelligenter weise fest, was mir aber nicht wirklich weiter half.
Ich klopfte erneut. Auf keinen Fall würde ich mich jetzt einfach abschütteln lassen.
Was glaubst du wer du bist? Erst nach mir rufen und dann nichts von mir wissen wollen?
Ich klopfte wieder. Das kannst du vergessen, Hyde.
Gerade als ich meine Hand hob um zum was-weiß-ich-wie-vielten-Mal zu klopfen, machte Hyde die Tür wieder auf, packte mich am Arm und zog mich ins Zimmer. Die Tür fiel hinter uns mit einem lauten Knall ins Schloss.
Hätte ich irgendetwas sagen wollen, wäre Hyde mir ins Wort gefallen.
„Was willst du hier?!“, fauchte er, ohne meinen Arm los zu lassen. Und dafür, dass er so schlecht aussah, hatte er ziemlich viel Kraft.
Mir blieb nichts anderes übrig als mich zu verteidigen.
„Du hast mich angerufen, schon vergessen?“, sagte ich vorsichtig, wusste nicht ob ich lächeln sollte oder nicht.
Hyde war aber definitiv nicht nach Spaßen zu Mute.
„Nein, das habe ich nicht vergessen. Aber wer hat dir gesagt, dass du in mein Apartment kommen sollst?!“
Langsam wurde es ungemütlich. Ich packte Hyde meinerseits an dem Arm mit dem er mich festhielt und war der festen Überzeugung, dass ich seinen Griff gleich von mir lösen würde. Aber dem war nicht so. Er war stärker als ich es ihm zugetraut hatte und als ich realisierte, dass ich seinen Griff gar nicht ohne Weiteres lösen konnte, überkam mich ein Anflug von Panik.
„Lass mich los“, sagte ich so ruhig und bestimmend wie möglich, aber meine Stimme zitterte trotzdem.
Für einen Augenblick glaubte ich ein Grinsen auf Hydes Lippen gesehen zu haben, doch dann war es weg, Hyde ließ von mir ab und drehte sich um.
„Mir geht es heute nicht besonders gut. Ich bin gereizt“, erklärte er, als wenn es seine Art der Entschuldigung wäre.
„Das hab ich gemerkt“, sagte ich und wollte lächeln, schaffte es aber nicht. Mir war mehr als unwohl und ich konnte nicht genau sagen woran es lag. Sicher, an Hyde, aber warum? Wieso war er auf einmal so anders? Dass er jetzt blonde Haare hatte, hatte sicher nichts damit zu tun.
Es war seine ganze Art. Sein Ausdruck. Irgendwie war er kalt. Als würde jetzt ein Teil von ihm zum Vorschein kommen, von dem ich vorher gar nichts gewusst hatte.
Hyde ging ins Wohnzimmer und ich folgte ihm zögerlich. Vielleicht sollte ich besser gehen. Aber jetzt war ich schon hier.
Er setzte sich aufs Sofa, ich setzte mich neben ihn. Ich saß noch nicht ganz, da sprang er wieder auf und setzte sich auf das Sofa, das meinem gegenüber lag.
Was sollte das denn jetzt?
Egal aus welchem Grund er es getan hatte, es verletzte mich irgendwie. Das wollte ich mir natürlich nicht anmerken lassen.
„Rieche ich nicht gut?“, fragte ich gespielt beleidigt, auch wenn ich zur Hälfte tatsächlich beleidigt war. Er lächelte.
„Nein, du riechst gut. Wie immer.“, versicherte er mir und ließ mich damit einen Moment sprachlos.
„Nur ist der Geruch im Moment zu stark“, fügte er hinzu. Ich sagte weiterhin nichts. Aber, Geruch?
„Pardon. Ich meinte, Duft.“ Hyde lächelte unschuldig und gleichzeitig auch hinterhältig.
Was sollte das jetzt schon wieder? Ich wurde mit jeder Sekunde unsicherer und fühlte mich schon nicht mehr wohl in seiner Gegenwart. Das er vielleicht meine Gedanken gelesen hatte, ließ ich ganz außer acht, weil es erstens absurd war und zweitens eine logische Erklärung dafür gab: Er hatte meinen verletzten Gesichtsausdruck gesehen und sofort gewusst, dass er etwas Falsches gesagt hatte.
Wohler wurde mir aber trotzdem nicht.
Er sah mich viel zu direkt an, völlig ungehemmt. So sollte man andere Menschen nicht ansehen.
„Das ist unhöflich“, sagte ich ihm kühl.
„Was ist unhöflich?“ Er grinste wieder, er wusste genau was ich meinte.
„Wie du mich ansiehst“, die Worte verließen meinen Mund bevor ich darüber nachdenken konnte. Scheiße.
„Wie sehe ich dich denn an?“ Sein Grinsen schien noch breiter zu werden. Bastard, du hast nur darauf gewartet.
Er hatte gewonnen. Ich wollte nur noch weg von ihm.
„Als würde ich...“, ich rang um eine Antwort die irgendwie mein Unbehagen ausdrücken konnte. Aber warum machte ich mir überhaupt die Mühe? Er wusste doch ganz genau wie er mich ansah. Und er machte es mit voller Absicht.
Er sah mich an, als würde ich ihm gehören. Als wäre ich ihm unterlegen. Als wollte er etwas von mir...
Bei diesem Gedanken fuhr ein Schauer durch meinen Körper. Ich würde diesem Blick keine Minute länger Stand halten.
„Du hattest einen langen Flug hinter dir. Vielleicht solltest du dich besser etwas hinlegen“, bot Hyde mir an und stand vom Sofa auf. Dabei nahm er seinen Blick von mir und ich stieß im selben Moment einen lautlosen Seufzer aus. Erlösung.
Hyde ging auf die Tür zu, ich folgte ihm und bohrte mit meinem wütenden Blick Löcher in seinen Rücken. Du kleiner, mieser... Lässt mich die ganze Zeit zappeln, um mich loszuwerden?
Ich ärgerte mich wirklich darüber. Aber in diesem Moment gab ich freiwillig nach. Ich wollte hier raus. Warum auch immer Hyde dieses miese Spiel mit mir getrieben hatte, er hatte Erfolg. Und das wusste er auch. Er lächelte als er mir die Tür öffnete.
Ich erwiderte sein Lächeln als ich an ihm vorbei schritt und das Apartment verließ. Was auch immer das für ein Spiel war, ich glaubte, dass ich so oder so keine Chance gehabt hätte, weil es Hydes Spiel war. Die Regeln so ausgelegt, dass nur er gewinnen konnte.
Bitte, wenn das deinem Ego gut tut, dachte ich während ich ihn anlächelte, und als wenn er meine Hintergedanken von meinem falschen Lächeln abgelesen hätte, hielt er mich noch kurz am Arm fest.
„Ach, Gac-chan?“, sagte er Zuckersüß. "Ich hoffe du hast eine gute Nacht und bekommst keine Albträume."
Damit schloss er die Tür hinter mir und ließ mich ein Mal mehr perplex davor stehen.
Das Lächeln war natürlich auf meinen Lippen erfroren. Ich fragte mich ob ich langsam Angst bekommen sollte. Wie schaffte dieser Typ es so einfach, so bedrohlich zu wirken? Das war sicher gut für den Film, aber nicht gut für mich.
Wenn er dieses Spiel – sein Spiel – während der Dreharbeiten fortsetzen würde, wie sollte ich mich da behaupten?
Ich ging in mein Apartment und hoffte inständig, dass er nur so war, weil es ihm schlecht ging und dass morgen vielleicht alles besser sein würde, wenn er ausgeschlafen war. Und wieso ging es ihm überhaupt so schlecht? Ich war nicht mal dazu gekommen, ihn das zu fragen.
Aber dann wiederum... ging es ihm vielleicht gar nicht schlecht. Er war schlagfertig gewesen... und kräftig. Ich berührte die Stelle an meinem Arm an der er mich festgehalten hatte und fragte mich ernsthaft, ob er stärker war als ich. Was für ein Unsinn. Er konnte unmöglich mehr Kraft besitzen als ich. Ich war größer und trainierte fast täglich.
Hyde hatte schon vor langer Zeit mit Kampfsport aufgehört, hatte er mir gesagt.
Ich ließ mich in mein Bett fallen und schloss die Augen.
Fein, Haido. Heute hast du gewonnen. Morgen starten wir ein neues Spiel. Mal sehen ob du dann immer noch so hinterhältig grinst.