Zum Inhalt der Seite

Kage yo...

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Teil II

Dezember 1993
 

Es regnete mittlerweile, als hätte es das schon seit Ewigkeiten nicht mehr getan und musste demnach für Nachschub sorgen. Das machte es Polizisten aber auch erheblich schwerer in dem Fall zu ermitteln.

Ein Serienkiller ging um – nicht zum ersten Mal, doch dieses Mal war dieser wesentlich klüger und geschickter, wie es schien. Regentage, wie diese suchte er sich aus, nie tötete er bei Sonnenschein.

Der Fernseher in der Wohnung lief. Eine junge Moderatorin berichtete von den Taten, wobei man ihr ansah, wie sehr es sie selbst mitnahm, dass die Polizei machtlos zu sein schien.

Yuichi knipste den Fernseher nach den Nachrichten gleich aus. Auch ohne Polizist zu sein, wusste er, wer dahinter steckte. Und wohl nicht nur er, wahrscheinlich hatte Ryochi diese Schlüsse auch schon längst gezogen. Er war schließlich ein Detektiv, ein sehr guter sogar – wieso also sollte man ihm etwas vormachen können?
 

Er war ihm bereits dicht auf den Fersen, der Regen machte dem 21-jährigen wenig aus. Es war kalt und in der Luft lag dieser Geruch, wie man ihn von Regentagen her kannte, doch auch etwas anderes war da.

Blut...

Da war der Killer also wieder – derjenige, welchen sie in Kyoto schon seit einer Weile suchten. So wollte es der Zufall wohl. Ausgerechnet er musste hier auftauchen. Noch hatte der Killer den Detektiven nicht bemerkt und rechnete wohl auch überhaupt nicht mit ihm, schließlich war er nach Tokyo gezogen, weg von hier.

„Hättest du mir nicht gedroht, wäre das überhaupt nicht passiert, du bist selbst schuld daran“, sagte der Schwarzhaarige, der wie eine Hyäne um seine Beute herum ging und so tat, als sei derjenige noch am Leben, doch dem war nicht so. An den Geruch von Blut und Regen hatte sich der Mann längst gewöhnt, er hatte einen Beruf, wo er Derartiges ständig riechen musste.

Der Mann war Polizist gewesen, allerdings kein gewöhnlicher. Er war doch im Grunde nur bei der Polizei von Osaka, um dort herum zu schnüffeln. So jemanden konnte man unmöglich am Leben lassen. Der Tote bedeutete nun keinerlei Gefahr mehr.

Es wirkte nicht mal, als hätte der Killer Respekt vor seinen Opfern, sein Blick verriet mehr als nur Verachtung. Dabei ging es nur um diesen Mistkerl, der ihn bedroht hatte, denn wenn man ihm drohte, war man im Grunde schon tot, ganz besonders bei solchen Drohungen: Ich gehe zum Boss und werde das melden, darauf kannst du Gift nehmen...

Eigentlich hatte er es nur deswegen getan, nicht weil er den Toten hasste, oder doch, das tat er. Verwirrt über sich selbst war er ohnehin seit einiger Zeit, immerhin verspürte er Reue nicht, was im Grunde etwas war, was er sich selbst versucht hatte, einzutrichtern. Nur, weil er keine Reue verspüren wollte, tat er es nicht.

‚Na, bist du jetzt zufrieden?’ Dass man den Jüngeren nicht sah? Er stand doch direkt hinter dem Mörder, blieb aber stumm.

„Leute, wie du sind schuld! Nur du alleine! Weil es euch gibt, gibt es auch Cognac!“ Er war wütend auf sich selbst. Womöglich machte es ihm doch noch mehr aus, solche Leute zu ermorden, als er sich selbst eingestehen konnte... Aber es gab etwas, was der Killer noch weniger leiden konnte, als seine Killerkarriere. Leute, welche die Polizei verarschten und ihn dann noch verpfeifen wollten. Das hasste er fast genauso sehr wie brutale Vergewaltiger, aber an die kam bisher noch niemand heran, die hasste er abgrundtief, viel hätte aber nicht gefehlt und er hätte alle anderen Mörder genauso verabscheut. Was aber auch nur den Schluss zuließ, dass er sich überhaupt nicht mochte.

Der Detektiv hatte Angst um seinen Freund. Ihm kam es fast vor, als wenn er manchmal nicht mehr so ganz wüsste, was er tat. Stand es wirklich so schlecht um ihn? Das konnte doch nicht den Tatsachen entsprechen... Leider aber wohl doch. Er sprach mit einem Toten, was keinesfalls normal war. ‚Sêiichî, er ist tot, du solltest lieber verschwinden, als noch mit ihm zu reden, was auch immer der Kerl da angestellt hat, dass du so wütend bist...’ Wahrscheinlich war sein Freund aufgeflogen und hatte ihn deswegen erschießen müssen, etwas anderes konnte nicht der Grund sein.

„Wärst du bloß nie in Osaka aufgekreuzt, warum konnte ich nicht einmal Glück haben?“ Der Schwarzhaarige wischte sich einige Regentropfen aus dem Gesicht. Es war schwer unerkannt zu bleiben, früher war er der Täuschung erlegen, dass nie einer bemerken würde, wie er wirklich tickte, jetzt war ihm klar, dass es immer Leute geben würde, die ihm entweder misstrauten, oder einfach etwas gegen ihn hatten und dann gegen ihn zu wettern beginnen würden. Irgendjemand musste diesen Typen ja auf ihn angesetzt haben, er selbst hatte den Toten ja nicht gekannt. Sie waren sich innerhalb der Organisation nur einmal über den Weg gelaufen, sonst nichts. Weder war ihm seine wahre Identität bekannt gewesen, noch hatten sie sich jemals in einem Streit befunden. Und seinen Bruder schien er auch nicht zu kennen. Er war nur eines Tages im Präsidium aufgekreuzt und hatte dort zu arbeiten begonnen. Nach Feierabend hatte er Cognac aufgelauert und ihm gedroht – was hätte er da tun sollen? Er war eben doch ein Feigling, wie es schien. Wie Carpano solche Probleme wohl bewältigte – er hätte sicher niemals jemanden von hinten erschossen, nur weil derjenige auf dem Weg zum Boss gewesen war, um zu verraten, dass er ein Verräter war.

Allmählich bemerkte der 22-jährige, dass seine Klamotten durchweicht waren.

Der Detektiv wollte etwas weiter hinter der Mauer verschwinden und trat dabei auf einen Stein. Ein Schritt des anderen sagte ihm, dass er ihn bemerkt hatte.

Sêiichî war erschrocken. Wer war da noch? Was er jetzt überhaupt nicht gebrauchen konnte, war noch ein Mensch, der durch ihn zu einer Leiche gemacht werden sollte – für heute reichte es ihm wirklich. Er brauchte nicht noch mehr Ärger. Trotzdem rechnete er damit, dass jemand seinen Mord beobachtet hatte. Ihm wäre jeder Recht gewesen, aber nicht jemand aus der Organisation, der es nicht gut mit ihm meinte. Wenn Jami so etwas sehen würde, wäre das überhaupt nicht gesund, von Valpolicella oder irgendwelchen Gefolgsleuten ihrerseits ganz zu schweigen.

Weil er all diese Möglichkeiten einkalkuliert hatte, schnellte er nach vorne und hielt demjenigen seine Waffe unter die Nase – er befürchtete wirklich alles, nur nicht das...

Schockiert trafen die beiden blauen Augenpaare aufeinander.

„Was machst du denn hier?“ Sêiichî war sichtlich nervös, ihm lief der Schweiß über das Gesicht und er wusste nur eines, nämlich, dass Ryochi die Leiche nicht sehen sollte.

„Das frage ich dich jetzt auch. Was machst du hier?“

Was tat er hier? Eine gute Frage, eine, die er nicht beantworten wollte, er hatte Angst vor der Reaktion des anderen und hatte vor seinen besten Freund zu belügen. So weit war er jetzt schon. ‚Ich schäme mich... lass doch einer diese Hölle enden...’ Sêiichî war kurz davor, seinen Glauben an Gott wie so manch anderer Mensch zu verlieren. Wie konnte er so etwas herbei führen? Das war kein einfacher Zufall, das war Schicksal, ein sehr übles, wie es schien.

„Du bist gut, Ryochi, ich habe einen Verbrecher verfolgt, ich habe mich aber wohl getäuscht, hier lang ist er nicht.“ Der Polizist nahm seine Waffe runter und schnappte den Arm des Detektivs, um ihn hinter sich herzuziehen – erst mal ganz weit weg von dieser Leiche, die nicht weit weg lag.

Vielleicht war es besser, wenn er seinem Freund gar nichts sagte. Gerne hätte er ihn gefragt, wieso er ihn belog, aber er schwieg und löste sich auf einmal von Sêiichî.

„Ich kann selbst gehen.“ Es kam etwas trotzig von ihm, er war nämlich enttäuscht von ihm. Wieso sagte er nicht, dass er dort hinten jemanden ermordet hatte? Es war doch nicht das erste Mal. Ryochi wusste doch nicht erst seit gestern, dass er manchmal Menschen tötete, meistens um anderen zu helfen. Wollte er seinem besten Freund jetzt weismachen, dass er sich geändert hatte? Der perfekte Polizist also?

„Tut mir Leid, das weiß ich doch.“ Es lag etwas in der Luft, was Sêiichî nicht gefiel. Unter anderen Umständen hätte er sich total anders verhalten. Einerseits freute er sich ihn zu sehen, andererseits wollte er ihn wieder los werden, um ihm etwas zu verschweigen. Ihm war schlecht, so furchtbar, dass er Angst haben musste, sich auf einmal übergeben zu müssen. Nicht mal 100 Meter von hier entfernt, hatte er kaltherzig jemanden erschossen, nach so einer Tat war er lieber alleine. ‚Ich hätte ihn nicht erschießen sollen, sondern akzeptieren, dass mein Spiel damit beendet war... Jetzt fürchte ich schon das Ende? Früher war mir das egal...’ Die Angst, die er gehabt hatte, hatte ihn dazu hingerissen, Unrecht zu tun, oder war es etwa sein Recht, so etwas anzuzetteln, um seine eigene Haut zu retten? Sêiichî kam nicht damit klar, dass er aus Angst gehandelt hatte. Man sagte, manchmal musste man Opfer in Kauf nehmen, um Dinge zu erreichen, aber würde er all das denn jemals wieder gutmachen können? Würde die Zeit, in der diese Organisation unterging, wirklich irgendwann kommen – durch ihn? Wenn nicht, würde er mit der Schuld an so vielen Toten leben können?

„Warum zerrst du mich dann hinter dir her?“ Es war nun einmal seltsam, da musste der 21-jährige fragen, selbst wenn es misstrauisch klang. „Entschuldige, aber das wirkt, als wenn ich nicht selbst laufen könnte...“

„Gomen.“ Er fing an sich zu entschuldigen, schon zum zweiten Mal, jedoch nicht dafür, dass er ihn hinter sich her gezogen hatte, sondern für andere Dinge. Dass er ihn belog, ihm Dinge verschwieg, was sich nicht gehörte und dafür, dass er ein Mörder war und ihn als Freund nicht mehr verdient hatte.

„Okay, jetzt ist es gut, denke ich. Du hast dich jetzt bereits zweimal entschuldigt. Was ist los mit dir?“ Es lag im Grunde auf der Hand, was mit seinem Freund los war und am liebsten wollte er ihn auch nicht mehr aus den Augen lassen.

„Nichts ist los, ich bin nur etwas im Stress. Das legt sich wieder...“

„Ach, am Stress liegt das? Warum überarbeitest du dich auch immer so?“ fragte der Detektiv, während sich beide unter ein Dach gestellt hatten, welches in der Nähe war.

„Weil es zu viele Verbrecher gibt, da geht es nicht anders...“ Ja, Verbrecher, seinesgleichen. Wegen ihm hatten die Polizei und Leute wie sein Freund nur Ärger.

„Du bist nicht der einzige Polizist auf Erden, es können auch andere diese vielen Verbrecher stellen, das musst ja nicht immer nur du sein. Denk nur daran, dass du immer noch ein Mensch bist...“

„Wie viele lebende Polizisten wissen wohl von dem Fall?“ Er nahm sich wichtig, das stimmte wohl, zumindest klang es ganz danach. Jedoch hatte sein Satz eine ganz andere Bedeutung. Er wollte schlichtweg am liebsten fragen, wie viele gute Polizisten wohl darin steckten, um die Organisation auszulöschen. Er brachte es einfach nicht über sich, seinen Satz genau so zu formulieren, weil das bedeutet hätte, dass er Ryochi wirklich enttäuschte.

„Ach, dann gehörte der Verbrecher wohl dazu, oder wie verstehe ich das?“

„Ich will nicht darüber reden...“ Nicht, weil er seinem Freund nicht vertrauen konnte, wollte Sêiichî das Thema gerne wieder beenden, sondern damit er nicht in Gefahr geriet.

„Ach, wieso nicht? Denkst du nicht, dass ich schon viel zu tief drin stecke, als dass man mit mir nicht darüber reden kann?“ Traute man ihm denn gar nichts zu? War er ein kleines Kind, das immer beschützt werden musste?

„Ich will dich aus meinen Problemen raushalten, das wirst du akzeptieren.“

„Bis dich mal einer von denen umbringt, oder wie? Du verlangst viel von mir.“

„Ach was, ich kann mich verteidigen, wenn sie mich mal erwischen sollten...“

„Und ich kann das nicht? Willst du das sagen?“

Gleich würden sie wohl auch noch anfangen zu streiten, so schien es dem Älteren. Wieso eigentlich? Weil er ihn versuchte zu beschützen. Durfte er das denn nicht mehr?

„Ich finde nur, dass man die Gefahr umgehen sollte, wenn man sie nicht unbedingt eingehen muss. Es reicht, wenn ich mich in Gefahr begebe, einer reicht.“ Oder zwei, je nachdem, wie man die Sache sah.

„Was sagst du, wenn ich sagen würde, dass du damit aufhören sollst, denen nachzujagen? Würdest du nicht auch helfen wollen?“

„Ich brauche keine Hilfe!“ Sêiichî wollte nicht zugeben müssen, dass ihm Yuichi und Chris zum Beispiel oft helfen mussten, er wollte lieber sagen können, dass er klar kam. Hauptsache Ryo machte sich keine unnötigen Gedanken und quälte sich nicht. „Kaum zu glauben, aber ich komme endlich klar! Mir geht es gut!“ Ihm ging es eigentlich beschissen, aber nur wenigen offenbarte er das wirklich. „Mach dir keine Sorgen um mich...“

‚Das tue ich aber... Das muss man ja auch schließlich. Aber wie ich meinen Bruder kenne, wird er schon aufpassen... Du willst doch nur nicht zugeben, dass du nur halb so stark bist, wie du immer tust, immerhin kenne ich dich schon fast mein gesamtes Leben lang. Du hast dir eine Mauer aufgebaut, ähnlich wie Shina, aber wenn sie bricht, dann kommst du nicht mehr klar.’

Was Ryochi ja nicht wissen konnte, war, dass die Mauer, die sein Freund die gesamte Zeit über gehabt hatte, eine Frau war, die von ihm die Schnauze voll zu haben schien. Kein Wunder, dass er manchmal bei Yuichi landen musste, nur war der nicht immer zu Hause. Ihm war nach langer Zeit bewusst geworden, dass auch er Pflichten hatte. Wie hatte er das überhaupt vergessen können?

„Ich glaube dir kein Wort! Wie gut geht’s dir wirklich? Die Ringe unter deinen Augen sind nicht zu verstecken. Warum schläfst du wirklich so wenig? Ist das wirklich nur Stress?“ Die Frage, ob er keine Frauen mehr hatte, ließ der Detektiv lieber weg, man wusste ja nicht, wie sehr ihn so was treffen würde...

„Mir schwirrt eine Frau im Kopf herum... sonst nichts. Eine, die sich nicht von mir fangen lässt... Aber lass uns nicht über sie reden...“ Mit niemandem wollte er darüber reden, auch nicht mit ihm. Was Ryochi als ein Strohfeuer angesehen hatte, war mittlerweile blutiger Ernst. ‚Und über Kinder denke ich nach... Über Familien - die ich haben könnte, aber nicht haben darf.’

„Ach, eine Einzige?“ Es war nicht einmal böse gemeint, aber Sêiichî und eine einzige Frau, das passte nicht zu ihm, oder war ihm so viel entgangen? Hatte Sêiichî sich mittlerweile gebessert?

„Ich mag nicht über so was reden, das ist mir peinlich – ich will lieber, dass es wie früher ist. Liebe ist doch zum kotzen.“ Sêiichî hasste seine Gefühle, er konnte aber nicht wirklich etwas dagegen tun. Es kam immer wieder hoch, wenn er mit seiner Eifersucht konfrontiert wurde – es war ja schließlich nicht lange her, dass es wieder geschehen war. „Sie macht so verletzlich.“

„Sie macht menschlich, verzichte nicht auf die Liebe, Sêiichî, dann wirst du erstens total unglücklich und einsam werden, außerdem wirst du etwas von deiner Menschlichkeit einbüßen, glaub mir. Leute, die nie Liebe empfinden, sind kalt.“ Warum mussten sich Menschen wie sein Freund immer so quälen? Warum liefen sie immer davon? Diese Fragen stellte sich Ryochi. Hatte er sein Selbstvertrauen verloren, nachdem er mit Chris Vineyard zusammen gewesen war, oder gab es dafür andere Gründe? „Außerdem, was heißt da wie früher? Dass du am Tag zwei Verschiedene abschleppst, oder wie?“ Die Vorstellung grauste ihn, aber Ryochi kannte Zeiten, in denen sein Freund das wirklich gemacht hatte.

„Nein, ich habe mittlerweile erkannt, dass das billig ist.“

„Ein Wunder ist geschehen.“ Ryochi freute sich über die Fortschritte seines Freundes. Wer hatte ihm bloß endlich mal klar gemacht, dass sein Verhalten inakzeptabel war?

„Das Wunder heißt Liebe, Ryo. Ich könnte darauf wirklich verzichten, weil ich zum sensiblen Vollidioten werde.“ Der Mann senkte den Kopf. „Kaum muss ich mal ohne sie sein, kann ich nicht mehr einschlafen und meine Sexsucht wird immer schlimmer – allerdings kann ich im Moment nicht mehr mit anderen Frauen schlafen, außer ihr, da wird mir ganz anders...“

„Oi, das muss ja eine tolle Frau sein, wie? Wie hat sie das bloß angestellt?“

„Sie bestraft mich...“

‚Nicht doch, nicht die.’ Ryochi bemühte sich, zu schlucken, was ihm klar geworden war. „Wofür? Für deine Fremdgeherei?“ Eine gewisse Schadenfreude konnte auch sein bester Freund nicht verhindern.

„Wahrscheinlich, weil sie so arrogant ist.“

„Tja, Sêiichî, dann hat diese Frau wenigstens Niveau, nicht so wie andere, die deinen Weg gekreuzt haben, du weißt selbst, dass du welche von der billigsten Sorte hattest – Frauen, wie man sie an der Straßenecke genauso gut finden kann.“

Es war ein wahres Wort, das war Sêiichî leider viel zu spät klar geworden. Er hätte nicht jede nehmen sollen, die ihn gewollt hatte. „Ich weiß, ich hätte gleich ins Bordell gehen können, aber das fand ich zu niveaulos, wie ironisch, was?“

Wenigstens redeten sie nicht mehr über die Organisation, das war Sêiichî weitaus unangenehmer als über Frauen zu reden. Mit Yuichi konnte man schlecht über diese eine Frau reden, er hasste sie. Wenn Sêiichî dann jammerte, bekam er alles andere als Mitleid.

„Wirklich! Ich finde es allerdings schon schade, dass du nicht mal Zeit findest, um mir zu sagen, wie es dir geht. Du hast lange nicht einmal mehr angerufen...“

„Gomen.“

„Entschuldige dich nicht andauernd, sondern versuch das zu ändern. Unser Vater hat neulich nach dir gefragt, ich konnte ihm nicht sagen, wo du steckst. Was denkst du, was das für ein Gefühl war? Ich habe ihm gesagt, dass es dir gut geht. Er war etwas wütend und meinte, wenn wir uns sehen, soll ich dir sagen, dass du dich melden sollst.“

„Tut mir echt Leid, ich werde demnächst mal bei euch anrufen. Aber wie geht’s dir so?“

„Willst du die traurige Wahrheit wissen, oder eine schöne Lüge?“ Es war ironisch, wahrscheinlich sagte er das sowieso nur, weil Sêiichî ihm ebenfalls nicht die Wahrheit sagte.

„Die traurige Wahrheit? Ist es so schlimm?“

„Wie man’s nimmt. Ich habe das Problem, dass es da eine Frau gibt, die nicht die Finger von Gefahren lassen kann. Ich versuche es immer, dass sie das sein lässt, aber sie ist stur... Genauso stur wie du, oder sogar noch schlimmer.“ Ein Seufzen entfuhr ihm.

„Hat sie Verbindungen zur Organisation? Ich hoffe, dass du eine normale Frau kennen gelernt hast, die nicht so was mit sich herum trägt.“

„Tja, was soll ich sagen? Nein, hat sie nicht. Der Kummer bleibt mir erspart.“ Von wegen, sie war wegen denen in Amerika gewesen, das konnte wohl kaum heißen, dass er davon verschont blieb, aber wenn Sêiichî schon so krass log, dann konnte er das immerhin auch.

„Da hast du Glück gehabt.“ Der Blick des Schwarzhaarigen wurde augenblicklich traurig, auch wenn er sich ein Lächeln abrang.

„Anders als du, oder? Ist deine Freundin mit dabei?“

‚Nicht nur meine... Yuichi hat auch nichts anderes fertig gebracht, ich bedauere uns beide. Wir haben doch Angst, dass man eine Außenstehende umbringt...’ Sêiichî schüttelte den Kopf. „Du weißt doch, dass ich auf Gefahr stehe, oder? Aber ich muss mir weniger Sorgen machen, sie läuft nicht in die Gefahr umgebracht zu werden.“

„Ist sie wenigstens eine der Guten?“ Ryo wusste, dass es diese Leute gab. Nicht jeder, der mitmischte, liebte die Organisation, Sêiichî und sein Bruder Yuichi waren das beste Beispiel dafür.

„Sagen wir, sie steht zwischen gut und böse, aber trägt das Herz am rechten Fleck. Das macht sie aber auch zu einer echten Gefahr für Leute, die gegen sie sind, verstehst du?“ Manchmal wäre ihm wohler, wenn er nicht wüsste, was diese Frau mit Leuten anstellte, die gegen sie waren, leider aber war er schon einmal dabei gewesen, als sie unschön ausgetickt war. Er mochte starke Frauen und sie empfand er als eine solche, sie konnte sich wehren und kuschte vor keinem Mann, genau das, was er brauchte, es war aber auch schon vorgekommen, dass er sich gewünscht hatte, sie würde mal eine normale Frau sein, die sich an ihren Freund kuschelte, aber das war eben nicht ihre Art.

„Du klebst noch an Vermouth, stimmt’s? Wieso eigentlich?“

„Du klingst wie Yuichi und kriegst keine Antwort!“

Warum wurde sein bester Freund immer gleich so giftig? War er total erblindet vor Liebe oder wusste er nur schon Dinge, die andere nicht wussten? ‚Sie wird dir doch nicht etwa vertrauen?’

„Wieso kriege ich keine Antwort? Das war eine normale Frage, darf man da nicht auch eine Antwort erwarten?“

„Ja, aber dieser Unterton in der Stimme, der besagt: Sêiichî, du verdienst was Besseres.“

Der junge Mann legte seinem Freund Worte in den Mund, wie er sie nie gesagt hatte. „Ich versuche dich zu verstehen. Was macht sie so besonders interessant für dich? Und sag’ nicht, Geheimnisse machen sie interessant, dann lache ich dich nämlich aus. Sie muss doch irgendetwas an sich haben... oder etwa nicht? Oder denkst du nie darüber nach?“ Vielleicht dachte Sêiichî auch einfach mit zu weit unten und sein Verstand war nicht mehr vorhanden, das sollte es ja auch geben. „Es wäre immerhin auch möglich, dass sie dich benutzt, oder nicht? Man sollte als Polizist wirklich nicht mit einer Mörderin schlafen, das ist im Grunde Verrat. Mag ja sein, dass sie vielleicht gut ist, aber hast du nie Angst davor, dass du einer Kriminellen, Verrückten hilfst? Ich will nicht über sie urteilen, ich frage dich eigentlich nur, ob du blind und naiv bist.“

„Blind und naiv? Meine Menschenkenntnis geht nicht komplett flöten, wenn ich eine schöne Frau sehe. Ich habe Frauen getroffen, die wirklich böse waren. Manche haben sie in Sachen Aussehen noch übertroffen, aber ich bin nicht auf sie hereingefallen.“ Sêiichî schien total stolz auf sich zu sein, leider würde Ryochi seine Träume erst einmal zerstören müssen, wenn er schon so redete.

„Ach, waren die auch Schauspielerinnen?“ Er wollte seinem Freund klarmachen, dass sie gut andere beschwindeln konnte und ihr Job nun einmal die Täuschung war.

„Nein, waren sie nicht – vielleicht hast du Recht und sie benutzt mich...“ Nachdenklich wirkte der Mann, ihm kamen bei dem Gedanken fast die Tränen. Er wollte das nicht glauben, aber musste sich unwillkürlich die Frage stellen, ob es nicht zu gefährlich war, ihr zu vertrauen, weil sie ihm augenscheinlich vertraute. Er war zu verwirrt, immerhin wollte Ryochi ihm sicher nur helfen. „Neuerdings behandelt sie mich nämlich, als wäre ich ihr egal...“

„Such dir eine andere, wenn du findest, dass sie dich besser behandeln müsste und du eh nur unglücklich bist.“ Hoffentlich dachte er nicht doch wieder, dass er wie Yuichi nur Abneigungen hatte und deswegen so handelte, er konnte sich nämlich gut vorstellen, dass es seinem Bruder überhaupt nicht passte, auf wen sich Sêiichî da eingelassen hatte.

„Ich... ich glaube, das kann ich nicht. Wenn ich eine andere Frau treffe, suche ich immer sie. Es ist sogar so schlimm, dass ich keinen klaren Gedanken fassen kann, wenn ich mich nicht sehr bemühe. Und ich vermisse sie. Sie ist nach Amerika gegangen und hat bloß eine Nachricht hinterlassen. Dass sie mich so wenig vermissen würde, dass sie nicht einmal einen Anruf schafft, habe ich wirklich nicht gedacht. Nur ich vermisse sie, sie mich überhaupt nicht, ansonsten hätte sie doch angerufen. Sie hat ja sowieso angedeutet, dass ich sie nicht so oft besuchen soll. Du glaubst gar nicht, wie vor den Kopf gestoßen ich war – sie war wirklich schon mal umgänglicher. Es gab Zeiten, da konnte ich immer zu ihr kommen, wenn ich Probleme hatte, sie hat mir zugehört... Vielleicht liegt es auch an meinem Beruf, ich weiß nicht. Auf jeden Fall habe ich sie wohl verletzt... Ich habe ihr das Gefühl gegeben, nur eine Mörderin für mich zu sein. Am Ende habe ich mich damit bloß selbst verletzt. Ich verstehe eigentlich sehr gut, was sie durchmacht, andererseits war ich aber auch zu dämlich, es ihr zu zeigen. Stattdessen habe ich nur gesagt, dass sie ihren Job wohl gut findet. Da hat sie die Badezimmertür zugeworfen und kam eine Stunde später top gestylt heraus, nur um mir zu sagen, dass sie ein Date mit einem anderen hat. Dass mich das verletzt, hat sie nicht bemerkt, oder es war ihr total egal...“ Seine Stimme klang wie die von einem kleinen, verliebten Jungen, nicht wie die von einem erwachsenen Mann, er wirkte so fürchterlich verletzbar.

„Na ja... ich will es ja nicht schlimmer machen, aber denkst du, dass du eine Chance bei ihr hast, wenn du du selbst bist? Nimm es mir nicht übel, aber du bist einfach zu zartbesaitet für so ein Miststück.“ Das konnte Sêiichî wohl kaum leugnen. Weder, dass Vermouth ein Miststück war, noch dass er selbst zartbesaitet war.

„Ich hatte doch nie eine Chance, das weiß ich. Bisher hatten sich ja auch nicht diese komischen Gedanken in meinem Kopf festgesetzt. Für kurze Zeit lebte ich in der Illusion, sie würde eine Familie mit mir gründen wollen, wie bescheuert bin ich bloß geworden? Ich dachte, ich zerstöre für uns die Organisation und dann leben wir glücklich bis ans Ende unserer Tage... Ich habe sie nur enttäuscht. Vielleicht ist das auch der Grund. Sie baute auf mich und ich bringe es nur fertig, mich fast erschießen zu lassen, so dass sie mich retten muss. Was soll sie mit einem Versager, den sie beschützen muss, statt dass er sie beschützt, wie sich das eigentlich gehört hätte...?“

Wenn der junge Mann weiter redete, würde das in Tränen enden, das wusste Ryochi, er sah es seinem Freund an. Er hasste sich, dabei war er doch nur halb so übel, wie er immer dachte.

„Du bist kein Versager, wenn du es nicht schaffst, das im Alleingang zu regeln... Hast du ihr nicht auch schon mal die Haut gerettet?“

„Schon, aber eigentlich ist es mehr sie, die mir hilft.“ Er wollte endlich wirklich alleine klar kommen, jetzt hatte er auch noch zugegeben, es nicht zu tun.

„Warum ist das nur so furchtbar? Hast du nicht selbst gesagt, dass sie eine starke Frau ist? Da dürfte es dich nicht wundern, wenn sie alleine klarkommt und du, was deine Beschützerader angeht, nicht zum Zuge kommst. Wenn es doch nicht das ist, was du willst, dann solltest du dir eine verletzliche, sensible Frau suchen, die sich oft von dir trösten lässt...“

War es wirklich das, was er wollte? Sêiichî schüttelte nur den Kopf. „Ich weiß schon, was ich will, ich will nur nicht, dass sie mich beschützt – ich kann mich doch nicht von einer Frau beschützen lassen, das geht nicht.“

‚Doch das geht, aber du bist so ein Macho geworden, dass du damit nicht leben kannst...’ Es war wirklich traurig, er lebte noch in der Welt, in welcher immer nur Männer die Helden waren.

„Nun, ich muss dann auch schon wieder los, Ryo. Du weißt ja jetzt über mein Gefühlschaos Bescheid, danke für’s Zuhören.“ Es fiel Sêiichî schwer, aber er umarmte seinen besten Freund nach Jahren wieder einmal, weil ihm gerade danach war. Er hatte ihm sehr geholfen, vielleicht würde er mit den Ideen, die er durch Ryochi entwickelt hatte, ihr Herz für sich gewinnen können...

‚Was soll sie stattdessen tun, Sêiichî? Würde es dir nicht genauso wenig passen, wenn sie dabei zusehen würde, wie man dich umbringt? Willst du so eine herzlose Geliebte lieber haben, als dass du eine wirkliche Hilfe hast? Ich kann das einfach nicht verstehen. Würde es nicht schrecklich wehtun, zu wissen, dass sie dich im Stich lassen würde?’ Dass noch so etwas wie eine Umarmung zustande kommen würde, hatte Ryo nicht gedacht, aber immerhin war ihre Freundschaft nicht ganz verloren. Vielleicht würde Sêiichî ihm irgendwann von seinem wirklichen Problem erzählen, wenn er so weit war. Der Detektiv konnte sich gut vorstellen, dass er sich für seine Probleme schämte und sich als schlechten Menschen ansah, manchmal war er eben so komisch und hatte Angst, man hasste ihn dafür. ‚Ich könnte dich nie hassen, da müsstest du dein Herz schon verlieren...’

Der Polizist löste sich von dem Detektiv und zwang sich ein weiteres Mal zum Lächeln. „Wir sehen uns...“ Wenn alles vorbei war, dann würde sein Leben endlich wieder eine geregelte Bahn finden, so wie er sich das wünschte...

Ryochi konnte ihm nur nachsehen. ‚Was geht bloß in dem jetzt vor? Er rennt ja richtig weg vor mir...’ Es versetzte dem Mann einen Stich ins Herz. Da dachte der Baka wirklich, dass er ihn hassen könnte.
 

Es waren fast vier Stunden vergangen, als der Schwarzhaarige bei der Blondine ankam, jedoch war sie nicht zu Hause – noch immer nicht. Wie lange wollte sie eigentlich weg bleiben? Und vor allem, wie konnte er sie beeindrucken, wenn sie nicht erreichbar war? Es schien ihm, als wäre sein schöner Plan erst einmal auf Eis gelegt...
 

Zwei Wochen später…
 

Sêiichî lag gelangweilt auf ihrem Bett und schaute ab und zu noch zu der Frau rüber, die ihm den Rücken zugewandt hatte und auf ihren Computer schaute, wo sie irgendwelche E-Mails oder sonst etwas checkte.

„Sag mal, Chris, nervt dich der Boss eigentlich immer noch so schlimm?“

Was für eine Frage war das jetzt bitte wieder? Wollte er sagen, sie wurde unattraktiv? „Er ist nach wie vor scharf auf mich, sollte er das nicht sein? Stimmt deiner Meinung nach irgendetwas nicht an mir?“

Der Mann mit der schwarzen Hose und dem dunkelgrünen Hemd ließ seine Beine am Bett leicht wippen. „Fühl dich hier mal nicht gleich angegriffen, das war reines Interesse...“

Glaubte der junge Mann an irgendwelche Wunder, am besten noch von oben herbei geführt? „Warum fragst du dann? Wenn du es so genau wissen willst, ja, er nervt, er kotzt mich an, er könnte gut tot umfallen, das würde mich nicht stören...“

Das war eigentlich auch das, was Sêiichî hatte hören wollen. Er wollte nur hören, dass man den Boss loswerden musste und das natürlich aus ihrem Mund.

Ein seltsames Lachen kam von ihm. Hatte er getrunken, oder was war los? Er stand vom Bett auf und lief etwas in der Wohnung herum. „Wir könnten uns ein Haus kaufen, jeder von uns hat ja jede Menge Geld, nicht wahr? Dort können dann nur wir beide rein, sonst keiner. Kein Boss stört, niemand!“

Okay, langsam wurde er ihr unheimlich, er hatte doch irgendetwas. „Sêi-chan, lass die Finger von Alkohol, der beraubt dich sonst noch deiner restlichen Gehirnzellen...“

„Ich habe nicht getrunken, ich habe sensationelle Laune, ich mache Pläne.“

„Ach, ohne mich?“

„Nicht aufregen, Schätzchen“, seine Hand kam neben ihr auf der Tischplatte auf und sie schaute zur Seite, so dass sie sein Gesicht erblicken konnte, weil er direkt hinter ihr aufgetaucht war und sich nach vorne beugte, um von dort aus in ihre Augen zu blicken. Seine funkelten heute ganz besonders herausfordernd, weswegen die Blondine ihn gut im Auge behielt. „Bald sind wir frei...“

„Kannst du neuerdings auch schon hellsehen?“ Sie war eher genervt von ihm. Seit wann neigte er zu einem solchen Optimismus? In letzter Zeit war er doch nur deprimiert gewesen, weil nichts funktionierte. Wahscheinlich dachte der Baka, dass sie so etwas nicht mitbekam, wenn er sie ein wenig anlächelte.

„Du wirst schon sehen.“ Sêiichî drückte ihr kurz die Lippen gegen den Hals, nur um sie dann links liegen zu lassen, was nicht seine Art war. Wenn er erst einmal ankam, dann konnte er nicht mehr aufhören. Der Schwarzhaarige nahm den Telefonhörer ab und wählte eine Nummer, die er mittlerweile sowieso auswendig und im Schlaf konnte.

„Einen wunderschönen guten Morgen, Melissa, gib mir bitte unseren Boss, ich habe da etwas Interessantes über einen Verräter herausgefunden, es ist dringend...“

Chris hatte jedes Wort mitbekommen. Jetzt sponn der Kerl aber wohl total. Sie sprang wie von einer Terantel gestochen auf und riss mit voller Wucht das Kabel aus dem Stecker, so dass das Telefon im nächsten Moment tot war.

„Hey, du verdirbst mir die Freude, Darling.“

„Was sollte das? Was sollte dieses Gerede von wegen, du hast etwas über einen Verräter herausgefunden?“

„Ich wollte ihn treffen... Es ist doch ganz einfach an ihn ranzukommen...“

„Wozu willst du dir das antun?“ Sein dämliches Lachen vorhin war schon schlimm genug gewesen, aber jetzt dachte er wohl, mit dem Feuer spielen zu können, oder wie? Sie war nicht dumm und konnte die Anzeichen deuten. Von Freiheit hatte er geredet und sie ausgequetscht, ob der Boss noch irgendwie auf sie stand – es war deutlich, er wollte dem ein Ende setzen.

„Ich will das zu Ende bringen, was ich angefangen habe. Der Boss muss sich nur Zeit für seinen Verräter nehmen – zu gerne will ich heute zu ihm – es kribbelt schon förmlich. Wenn er erst mal tot ist, geht es uns besser...“

~Klatsch~

Chris hatte ihm eine geklebt, so deftig, dass ein Mann, welcher eigentlich stärker als sie war, beinahe nach hinten geflogen wäre.

„Wenn du mich einfach nur verlassen willst, dann geh durch die Tür, du verdammter Idiot!“ Nicht so, nicht wenn sie dann daran schuld sein sollte, dass er in seinen eigenen Tod rannte.

„Ich will dich nicht verlassen“, kam jetzt total ruhig von ihm. „Ich habe dir mal versprochen, dass diese Organisation irgendwann Geschichte ist, ich will mein Versprechen halten...“

„Wirst du aber, wenn du dahin gehst, um unseren Boss zu töten. Meinst du, Valpolicella lässt dir das durchgehen? Da kann auch kein Carpano dir noch helfen, wenn du das tust... Wenn du überhaupt so weit kommen würdest, auf ihn zu schießen. Eher kommen ein paar Gorillas und verarbeiten dich zu Brei!“

„Ich bin risikobereit... Das war ich immer... Ich bin mit dem Entschluss gekommen, den Saftladen zu zerstören, hast du das schon vergessen? Ich habe genug Zeit verplempert. Ich will nicht mehr weglaufen, ich werde mich dem Mann stellen, der dich anfassen will...“ Ihm war übel, wenn er das so aussprach. Aber das war nicht der einzige Grund, es gab noch einen weiteren. Er war eben ungern ein Versager. „Lieber sterbe ich, als so weiter zu machen. Ich laufe im Grunde doch nur weg.“

„Bist du nicht noch etwas jung für solche Gedanken?“

„Jung? Alt genug, um endlich an meine Zukunft zu denken. Ich habe noch nicht aufgegeben, was du sicher dachtest.“ Er wollte Vater werden und das durch die Frau, die er liebte, aber solange der Boss am Leben war, ging das eben nicht, Sêiichî war es leid zu warten.

„Wie kommst du nur auf die Idee, dass ich das denke?“

„Weil du mir mehr als einmal das Leben gerettet hast... Und ich schaffe es nicht einmal, diesen Dreckskerl zu töten... Das tut weh... Ich will dieses Gefühl endlich los werden – der Kerl muss weg.“ Das war es, was er pausenlos dachte.

„Baka“, sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte, aber es widerstrebte ihr, das zuzulassen. „Vielleicht mochte ich es ja, dich zu retten? Hast du schon mal daran gedacht? Ich habe dir nicht das Leben gerettet, dass du es jetzt wegwerfen kannst, nur weil gerade mal etwas nicht so läuft. Wenn du als Leiche endest, bringt mir das herzlich wenig.“

Das brachte ihr also herzlich wenig, aha? Ein schnippisches Lachen entkam dem Mann. „Das ist ulkig. Vor einiger Zeit wolltest du noch, dass ich so wenig wie möglich komme, wieso willst du jetzt, dass ich diese Gefahr nicht eingehe, wo sie dich und alle anderen befreien könnte...? Kannst du mir das bitte verständlich machen?“ Womöglich hatte er sich wieder in ihr getäuscht. Er hatte wirklich für einen Moment gedacht, sie hätte ihn nur gerettet, um ihn am Ende dafür zu benutzen, dass sie aus dieser Organisation und dann ungeschworen davon kam.

„Und was wenn die Sache fehlschlägt? Dann...“ Ja, was dann? Warum konnte sie nicht sagen, dass er ihr fehlen würde? „Ich will nicht, dass du stirbst – ist das so schwer zu verstehen? Ich will, dass du endlich vorsichtig bist. Es wäre schade um dich, wenn du draufgehst, nur weil du irgendwem beweisen willst, wie toll du bist. Toller als Carpano, nicht?“ Sie konnte nicht anders, das hatte ihre Lippen verlassen müssen. „Na ja, Helden sterben früh, wenn du so sinnlos sterben willst, ohne Erfolg zu haben, dann geh zum Boss und lass dich wie viele von ihm ermorden... Und denk dabei an Ryochi, wie es ihm gehen wird...“

Das hatte jetzt gesessen. Sie kannte ihn so gut, dass sie ihn mit Worten attackieren konnte. „Was haben die beiden jetzt damit zu tun?“

„Jede Menge, würde ich sagen. Oder bist du plötzlich nicht mehr neidisch auf Carpano und Ryochi nicht mehr dein Freund?“ So wie er momentan drauf war, musste man ja mit allem rechnen.

Bisher ist Ryo noch mein Freund – fragt sich nur, ob das so bleiben wird, wenn eines Tages herauskommt, wohin ich verschwunden bin. Ich werde aber wohl – leider nicht drum herum kommen, wer weiß, welche Taten meinerseits dann ans Licht kommen? Ob Yuichi wohl weiß, dass ich eine der Ranghöchsten erledigt habe? Für dich so quasi? Wenn ja, frage ich mich, wieso er noch ein Wort mit mir redet.“

„Da verspürt jemand aber ziemliche Reue. Ich habe nie gesagt, dass du dazwischen gehen und sie umbringen sollst. Aber ich denke, wir sind quitt, immerhin musste ich dann ihren Mann erschießen, weil er durchgedreht wäre. Und ich denke, Carpano weiß genau, wer das getan hat. Du unterschätzt ihn mal wieder. Er tut für die Leute, die er liebt, ja auch alles. Du tust das auch für etwas Sex, aber das ist ja nicht viel anders bei dir, oder?“ Die Schauspielerin wurde sarkastisch und hoffte für einen Moment, dass Sêiichî ihr widersprechen würde, immerhin machte sie Unterschiede, aber wie erwartet, schwieg der Mann zu dem Thema. „Du liebst ja keine Frau, gibst du mir Recht?“

„Ich bin eben nicht normal.“

„Allerdings – ich kenne nicht viele Spinner, die beim Boss anrufen würden, um ihn in eine Falle zu locken, obwohl sie wissen, dass sie sich damit einen Strick um den Hals ziehen. So was bringt nur wieder Sêiichî fertig. Fällst du ins Teenager-Stadium zurück? Da warst du nämlich auch so bekloppt, ihn zu reizen und mich anzumachen, während er anwesend war. Du kannst von Glück reden, dass er das nicht wirklich ernst genommen hat...“ Wie auch immer, besonders gemocht hatte er Cognac damals nicht wirklich, deswegen war ja auch Flavis auf ihn los und andere Leute. Dem Boss hatte das Spiel doch im Grunde gefallen. Er sah eben gerne dabei zu, wie ein Neuer diesen Tests unterzogen wurde. Viele waren dabei schon ganz zu Anfang ermordet worden – wenn sie jedoch überlebt hatten, konnten sie damit rechnen, dass man ihnen etwas Respekt entgegenbrachte und sie als nützlich ansah. In anderen Worten: Man war dann gerade gut genug, um benutzt zu werden, in den meisten Fällen jedenfalls.

„Hast du nie dran gedacht, wie es wäre, ihm das Lämpchen auszublasen?“

„Nein, Cognac, ich bin bei Verstand und gehe solchem Ärger lieber aus dem Weg – auf Ärger mit gewissen Ranghöchsten kann ich gerne verzichten. Valpolicella macht das ja mit Freuden, sie passt gut auf, dass ich mir nicht zu viel rausnehme.“

„Wenn die nicht abgrundtief böse wäre, hätte ich sicher schon etwas mit ihr gehabt...“

Chris verkniff sich ein Lachen und beließ es bei einem gemeinen Lächeln, sie wollte nämlich, wie so oft, sein zu großes Ego angreifen. „Denkst du das? Bei der Frau hättest du nie Chancen, du bist ja nicht Carpano.“

„Danke, dass du mir noch reinwürgst, dass er überall besser ankommt! Es fehlte nur noch, dass du sagst, wenn er dich gewollt hätte, hättest du dich nicht auf mich eingelassen.“

„Dass das deinem Ego so wehtut, dafür kann ich nichts. Valpolicella kann dich aber leider nicht leiden. Wahrscheinlich sieht sie nur ihn und nimmt sonst nichts wahr, weil er tut ja auch, was ihm passt – komischerweise stört sie das nur bei dir – da musst du wohl gegen ihn verloren haben. Sie ist eben nicht ich, sie steht nicht so auf Männer, welche die Mitgliedszahl der Schwarzen Organisation beschränken, es sei denn, sie heißen Carpano.“ Eigentlich hätte er das noch mehr ausnutzen müssen, aber er war ja froh,wenn sie nicht an ihm klebte, nur Cognac würde wieder darauf abfahren, wie es schien. „Hast du sie mal morden sehen? Das ist richtig appetitlich. Jami ist dagegen ein Engelchen, er rastet eben nicht immer so aus, wie sie.“ Diese Frau war viel zu schnell auf hundertachtzig, man musste wirklich aufpassen, dass man nicht mal das Falsche zu ihr sagte.

„Ja, stimmt, sie rastet noch schneller aus, als du, aber du bist auch nahe dran. Ich sagte doch schon, wenn sie nicht so abgrundtief böse wäre... Sie ist es aber. Ich kann verstehen, dass er sich auf die nicht einlässt, obwohl sie wirklich eine Schönheit ist.“

„Schönheit ist nicht alles, oder bist du oberflächlich?“ Diese Frage erübrigte sich. Sêiichî war es definitiv, aber man konnte ja mal fragen.

„Beziehst du das auf dich, Darling? Ich bin nicht hier, weil du so super aussiehst, das denkst du nur.“

Gleich würde Sêiichî ihr wieder Komplimente machen, sie ahnte es schon, so endeten diese Gespräche immer. Die Blondine wartete förmlich darauf, womit ihr Schweigen erklärt wäre.

„Ich mag einfach Frauen, die es wagen, Verrat zu begehen und hinterlistig genug sind, die Hand, die sie füttert, zu beißen. Der Boss würde alles tun, damit es dir gut geht, aber du verätst seine Organisation – irgendwie ist das immer wieder amüsant.“ Wie gerne hätte er das zu dem Boss selbst gesagt und im nächsten Atemzug, dass einer seiner Killer mit der Frau ins Bett ging, die er für sich wollte, aber dann wäre Cognac garantiert tot und sie hätte jede Menge Ärger am Hals.

„Alles tun, um mich zu kriegen, nicht dass es mir gut geht – da verwechselst du was.“ Der Boss dachte immer, dass er etwas scheinheilig nett zu ihr sein musste, er bemerkte ja nicht, dass sie ihn eigentlich nicht in ihrer Nähe haben wollte, das hieß nämlich immer, dass er in den Kontrollzwang verfiel.

„Es ist beruhigend, zu wissen, dass du ihm immer widerstehen wirst...“ Sêiichî wäre aus dem Loch, in das er gefallen wäre, wenn es anders gewesen wäre, nie mehr herausgekommen, so schien es.

„Du unterschätzt auch mich – wenn das uns retten würde, dann würde ich auch das tun.“ Sie hoffte wirklich, dass sie nie dazu gezwungen sein würde, aber man konnte ja nie wissen...

„Wer ist uns?“ Sêiichî kam nicht darauf, wie denn auch? Er dachte ja auch, dass sie nur mit ihm schlief, weil er so gut aussah.

„Das weißt du nicht? Was weißt du überhaupt? Weißt du das Datum von heute auch nicht?“ Er verstand sicher nicht, weshalb seine Bettgefährtin ihn als so dämlich hinstellte, dass er das Datum von heute vergessen haben könnte, aber er war wirklich schwer von Begriff, also traute sie ihm auch das zu.

„Siehst du hier eigentlich noch irgendwen, außer uns beiden?“ Er war wie ein Hund, dem man erst beibringen musste, wie man schwimmt, obwohl die das von selbst lernten.

„Dann sag doch dich und mich, damit auch ich das verstehe...“

„Ich dachte, dass sogar Bakas das verstehen.“

„Heißt das eigentlich, dass du mich nicht loswerden willst?“

„Wenn das so wäre, hätte ich dich das Telefonat zuende führen lassen. Außerdem habe ich schon eine Trennung hinter mir – jetzt brauche ich wenigstens so etwas wie einen Ersatz.“ Das würde Sêiichî auch nicht kapieren, das wäre wirklich zu viel verlangt.

„Ach, und ich soll den Ersatz spielen? Nur, weil ein anderer gegangen ist? Ansonsten nicht? Ich würde nur Ersatz spielen, wenn du ihn meinetwegen abserviert hättest.“

Hatte er sonst noch irgendwelche Wünsche? Er wollte die erste Geige spielen, wieso durfte sie dann also nicht auch seine erste Geige spielen? Das wäre nur fair gewesen. Sie würde ihm sicher nicht sagen, dass sie sich seinetwegen von Shuichi getrennt hatte, auch wenn sie im Flugzeug als erstes an Sêiichî gedacht hatte. „Tut mir ja Leid, aber wenn du das von so etwas abhängig machst, hast du Pech gehabt, damit kann ich nicht dienen. Getrennt haben wir uns, weil er sich zu einer echten Gefahr entwickelt. Er ist eben nicht unter uns, viel mehr jagt er uns. Ich kann keinen Mann brauchen, der mich in solche Schwierigkeiten bringt...“ Viel mehr keinen Mann, der auf sie schoss und sie nicht verstehen konnte, außerdem wurde er so nur zur Zielscheibe für den Boss. Trotz allem wollte sie nicht, dass er durch seine Liebe zu ihr draufging.

„Schade, dann lassen wir alles doch besser so, wie es ist.“ So war es für ihn am einfachsten, wie hätte es auch anders gehen können...?

„Schade, aber du willst es so lassen? Ich glaube, du musst rausfinden, was du wirklich willst, sonst wird das sowieso nichts. Und noch besser, werd endlich mal erwachsen.“

‚Ich bin erwachsen, nur etwas jünger als du, seit wann stört das? Du konntest ja auch mit 17-jährigen.’ Das würde Sêiichî ihr sicher nicht sagen, da musste er befürchten, dass sie ihn vor die Tür setzte, er war schließlich froh genug, dass endlich Wochenende war.

„Ich weiß, was ich will, dich nämlich, da muss ich nicht eine Sekunde nachdenken.“

Und das auf schnellstem Weg wahrscheinlich, wie immer eben. So etwas wie Geduld besaß Sêiichî nämlich nicht. „Du kriegst mich aber nicht, wenn du solche Aktionen bringst, wie vorhin. Was soll ich mit einem toten Liebhaber...?“

Das hatte er nicht bedacht, was den Schwarzhaarigen ein wenig nachdenklich machte. „Würdest du mich vermissen?“ Nur ein kleines bisschen, es musste ja nicht in Tränen enden oder so etwas, es würde ihm schon reichen, wenn sie ihn etwas vermisste. Deswegen bettelte er mit seinem Blick auch schon förmlich, als wolle er sagen: Belüg’ mich, wenn du mich nicht vermissen würdest, sag’ es wenigstens.

„Wer vermisst schon einen Spinner? Da muss man schon ziemlich durch sein oder keine Freunde mehr haben, um einen Spinner wie dich zu vermissen.“ Der Satz kam mehr apathisch von ihr. Natürlich würde sie ihn vermissen, für wie billig hielt er sie überhaupt? Na ja, vielleicht hatte er Recht – manchmal war sie billig. Wenn sie mit Gin geschlafen hatte, fühlte sie sich wie eine dreckige Nutte, aber das legte sich meistens nach einer Zeit. Der Zweck heilige eben die Mittel. Wie gut, dass diese Plage derweil keinen Ärger machte, sondern scheißfreundlich zu ihr war, wenn sie sich denn mal begegnen mussten, worauf die Schauspielerin liebend gerne verzichtete.

„Also nicht?“

Er war wirklich ein Baka, der ganz besonderen Sorte. Anscheinend bezweifelte er auch noch, dass sie ihn mochte, oder wie?

„Du bist echt unverbesserlich, sind wir nicht auf gewisse Weise Freunde? Und da denkst du, ich würde dich nicht vermissen? Man, Sêiichî, für deine vielen Frauengeschichten kennst du dich wirklich überhaupt nicht mit ihnen aus. Leute, denen ich Einblick in mein Privatleben ermögliche, sind immer meine Freunde. Sag’ bloß, das hast du nicht gewusst?“

Freunde? Oh Gott, wie konnte sie ihm so etwas Schreckliches nur antun? Sêiichî war nicht der Mann dafür, um mit Frauen befreundet zu sein. Er wollte sie meistens richtig, nicht als platonische Freundin, das war ihm eigentlich zu langweilig, es gab nur Frauen, mit denen er sich gut verstand, aber mit denen hatte er nichts. Ryochis Schwester zum Beispiel, sie mochte er wirklich gerne, aber sie war eher eine Schwester für ihn, als dass er sich sexuell für sie interessiert hätte. Außerdem hatte sie etwas Besseres verdient.

„Wir sind Freunde? Also, ich würde dich echt nicht zu meinen Freunden zählen.“

„Zu was dann? Deinen Sexgeschichten?“

„Nein, zu meinen Vertrauten! Meine Vertrauten sind sowieso in den letzten Jahren geschrumpft, ich kann Ryochi nicht mehr alles erzählen, vorhin hab ich ihn getroffen, um ein Haar hätte er mich morden sehen... Das soll er nicht. Er würde sich doch nur fragen, was für ein Mensch aus mir geworden ist... Carpano ist da was anderes, würde er nicht mit drin stecken, könnte er mich genauso wenig verstehen, wie Ryochi. Und ansonsten gibt es da nur noch Helios... Und dich kenne ich nicht ewig, die anderen beiden schon. Du kannst also davon ausgehen, dass ich dir mein Leben anvertrauen würde, sonst keinem, den ich HIER kennen lernte.“

„Warum tust du es?“

„Mhm?“

„Warum sagst du es Ryochi nicht? Hast du einfach nur Angst, weil er Detektiv ist, oder befürchtest du, er würde etwas unternehmen?“ Sie war sich nicht sicher, aber so wie sie Ryochi kannte, würde der Sêiichî wohl verstehen oder es zumindest versuchen. Er war doch sein bester Freund. Da würde er ihm auch verzeihen, dass er ein Mörder war, immerhin war er kein gewöhnlicher, er tat es zu einem guten Zweck.

„Ich schäme mich. Er würde sicherlich nie so handeln, wie ich. Dass sein Freund so ein mutmaßlicher Killer ist, dem mehr oder weniger unschuldige Leute zum Opfer gefallen sind... das würde er nie ertragen. Ich will es ihm ersparen. Er würde Fragen stellen. Und dann müsste ich ihn wie vorhin belügen. Ich kann ihm unmöglich sagen, dass ich in diese Organisation eingetreten bin und nicht klarkam. Ich dachte, dass ich mehr Vertrauen bekommen würde und so was wie einen freien Willen haben dürfte, aber das darf ich nicht. Wenn mich die falschen Leute dabei erwischen, wie ich Verrat begehe, und sei es, dass ich wieder einen töte, der petzen gehen wollte, würde ich verdammt alt aussehen. Stattdessen macht der Boss im Grunde doch mit mir, was er will. Er hält zwar viel von mir, aber im Grunde bin ich für den nur Mittel zum Zweck. Ein guter Killer, den er gebrauchen kann. Einen, dem man Befehle gibt. Ich komme mir manchmal vor, wie in der Heilsarmee. Wenn man mir befiehlt zu schießen, muss ich schießen.“

Er hatte wirklich gedacht, dass er einen eigenen Willen haben durfte. Sêiichî hatte seine Gegner unterschätzt. Wozu war man in einer Organisation, wenn nicht dafür, um Arbeit vom Boss persönlich zu bekommen? Er hatte das Sagen, sonst niemand. Nur, wenn er wirklich wollte, durfte ein anderer sich frei bewegen, so wie Valpolicella und Jami. Denen vertraute er ja auch blind. Carpano tat ja weitestgehend auch, was er gerade mal wollte und man duldete es. Doch bei ihm hatte es nur mit dieser Frau zu tun, nicht nur mit der Sympathie ihres Bosses. Cognac fand er einfach gut zu gebrauchen, weil er ein guter Schütze war. Zum Glück wusste der Mistkerl nicht, dass seine Eltern Wissenschaftler gewesen waren, dann hätte er ihn in ein Labor gesteckt – grässlicher Gedanke. Sêiichî war intelligent genug, um an Shiho heran zu reichen, wenn er gewollt hätte – kaum zu glauben, dass er so ein Baka war. „Warum hast du nicht studiert? Du könntest einen besseren Beruf haben, als den, den du jetzt hast.“

„Mir ist eine sinkende Kriminalität lieber, außerdem kann ich Bücher lesen nicht leiden. Ich hasse Lernen und in irgendwelchen Bibliotheken wühlen, ich brauche eher etwas Action und ich will etwas Gutes tun. Ich brauche immer etwas, wofür ich mich einsetzen kann, das ist wie eine Krankheit.“ Sêiichî sagte nur die halbe Wahrheit. Er wollte nützlich sein und einen Sinn für sein Leben finden, ohne diesen lebte es sich gleich halb so gut. Er wollte sich sagen können: Du hast etwas Gutes für die Menschheit getan.

Es war immer wieder verwunderlich, wie jemand, der so nach Gerechtigkeit strebte, Menschen erschießen konnte. Wie groß war seine Reue wirklich nach so einem Mord? Er war nicht wie sie. Wenn sie fand, dass jemand es verdient hatte, dann war das so und sie verspürte nun wirklich nicht so etwas wie Reue. Ob es jeder wirklich verdient hatte, war fraglich, sie hatte sich ihre eigenen Gesetze geschaffen, nach denen sie handelte. Als normalen Menschen konnte man sie wohl kaum bezeichnen, aber war ein Polizist, der Morden manchmal als angebracht ansah etwa normal? Chris war sich sicher, dass er genau wusste, dass es eben nicht normal war. Vielleicht machte es ihm ja deswegen so zu schaffen.

„Nette Krankheit, stimmt, es ist eine Krankheit, die auch tödlich sein kann, aber das ist dir bewusst, nicht wahr? Du weißt das alles ganz genau und gehst das Risiko immer wieder ein. Wünschst du dir nicht manchmal, lieber ein normaler Polizist zu sein, statt Organisationsmitglied?“

„Solange es sie gibt, ist daran nicht mal zu denken. Je näher ich dem Boss bin, umso besser kann ich herausfinden, was er plant. Ich sitze an der Quelle und da bleibe ich auch. Außerdem will ich dich nicht in dieser Scheiße alleine zurück lassen.“

In solchen Momenten war sie froh, wenn der junge Mann um sie herum war. Wenn er solche Worte sagte und einfach für sie da sein wollte, dann gab es Momente, in denen sie ihn ohrfeigen oder anschreien wollte, aber im Grunde liebte sie es, wenn er bei ihr war, das gab ihrem schief gelaufenen Leben neuen Sonnenschein und gab ihr nicht das Gefühl, dass sie immer nur Pech im Leben hatte.

„Wenn du fliehen willst, dann tu es, bevor es zu spät ist... Bleib nicht meinetwegen, wenn du nicht mehr kannst.“

„Ach was, so am Ende bin ich noch nicht.“ Sêiichî mochte das Gefühl, wenn sie sich Sorgen um ihn machte, auch wenn es wahrscheinlich unbegründet war, dann wollte er sie fest in seine Arme schließen und am liebsten nie mehr loslassen. „Mach dir keine Gedanken um mich. Mir geht’s wieder ganz gut.“

‚Du wolltest dich umbringen, so gut kann es dir nicht gehen... Da kann man sich nur Sorgen machen.’ Vielleicht war sie mittlerweile zu empfindlich, was ihn anging und dramatisierte alles, aber was, wenn nicht?

Seine doch recht kräftigen Arme wurden um ihren Hals gelegt, bevor er sie fest an sich drückte. „Manchmal sollte man seinen Verstand einfach abschalten“, flüsterte der Schwarzhaarige der Blondine zu, diese lachte.

Als wenn sie es geahnt hätte, dass er auf solche Gedanken kommen würde, man durfte ihm nicht zu nahe kommen, da dachte er nur ans Spaß haben, aber wieso nicht? Sie würde niemanden betrügen, außer vielleicht den Boss, aber der war ihr herzlich egal. Sie dachte an ihr eigenes Vergnügen, was er wollte, war nicht ihre Sache. Und vielleicht würde es dann wie immer sein – danach war Sêiichî meistens wie ausgewechselt, lebensfroher...

Deswegen war es diesmal auch die Frau, die damit anfing und sein Hemd flink zu öffnen begann, statt, dass sie als erstes ihre Kleidung verlor. Er sollte seinen Kummer einfach beiseite legen und Platz für das Ende der Vernunft machen – nur für eine Weile. Sein Verstand war dabei ja meistens nicht mehr wirklich vorhanden, genauso wollte es die Schauspielerin. Währenddessen verschloss er ihre Lippen mit seinen, um mit ihr einen heißen Kuss zu teilen. Als er ihre Nägel auf seiner Brust spürte, wurde er deutlich verlangender. Mit voller Absicht wanderte die Frau zu seinem Bauch und streichelte diesen einen Moment, weil sie wusste, dass ihn das besonders antörnte, genauso wie der Biss in seinen Hals. Sie drehte seinen Kopf, was seinen Kuss störte, doch er würde sich nicht beschweren, denn ihre etwas spitzen Eckzähne streiften über seinen Hals, bevor sie leicht zubiss, zwar nicht allzu fest, aber hart genug, um ihm Bissspuren am Hals beizubringen.

Ein leichtes Keuchen kam von dem 22-jährigen, der ihre Hände von seiner Brust nahm und sich erst einmal um ihr Kleid kümmerte, das ihn jetzt schon zu stören begann, außerdem gefiel sie ihm unangezogen sowieso am besten. Sêiichî zog der 28-jährigen das hell lila farbene Kleid über den Kopf und ließ es zu Boden gleiten. Für einen Moment musterte er die gleich farbigen Dessous und freute sich aufs Auspacken. Als eine ihrer frechen Hände über seinen Oberschenkel wanderte und sie ihn dabei wie eine Hyäne auf Beutefang ansah, wenig später provokativ nach oben ging und dabei leicht über seine Hose fuhr, war es auch schon zu spät, damit hatte sie ihn gekriegt. Sêiichî spürte, wie ihm die Hose zu eng wurde, er nahm ihre Hände, umklammerte diese fest und nahm sie damit in Gewahrsam.

Ihre Handgelenke waren nun gefangen, doch das erschreckte sie wenig. Wenn er andere Frauen so hart anpackte und sie wie Chris jetzt auf das Bett warf, bekamen sie im ersten Moment Angst vor ihm, sie hatte noch nie auch nur gezuckt, wenn er das tat – das widerum machte ihn noch viel wilder.

Ihre Arme waren um seinen Körper geschlungen, selbst wenn Chris ihn nicht zwingen musste, dass er auf ihr blieb, das tat er doch mit Freuden. Seine Lippen blieben mit ihren in Kontakt, während er den Innenraum ihres Mundes schmeckte, indem er seine Zunge ein wenig spielen ließ.

Sie erwiderte seinen Kuss stürmisch und konnte dabei spüren, wie seine Erregung gegen sie drückte. Deshalb stibitzte ihm die Blondine auch seine Hose und zerrte ihm förmlich die Shorts runter, zeitgleich als er mit einer Hand in ihren Slip ging und mit der anderen an ihrem BH-Verschluss zu Gange war, um ihn zu öffnen, was sich als schwerer erwies, als es im ersten Moment schien. Deswegen strich er kurz mit dem Zeigefinger über ihre Klitoris, was ein erregendes Gefühl in ihr hervorrief und sie fast stöhnen ließ. Sie konnte es gerade so verhindern, indem sie sich auf die Unterlippe biss, dann nahm Sêiichî seine Hand aus ihrem Slip und glitt über ihren Bauch nach hinten zu der anderen Hand. Mit beiden Händen schaffte er jetzt auch das hartnäckige Teil und schob langsam einen Träger von ihren Schultern, um wenig später seine Lippen bei ihrer Schulter anzusetzen. Ein Finger ging in ihren BH und strich ihr sanft über die Brustwarze, bevor seine Hand zum Einsatz kam, welche ihre eine Brust komplett entblößte.

Ihr war flau im Magen, als er das tat und es kribbelte ein wenig unangenehm. Er ließ seine Zunge um ihre Brustwarze herumtanzen und nahm sie daraufhin in den Mund, um sanft zu saugen. Seine Hand ließ er erneut zwischen ihre Beine wandern und drang zunächst mit einem Finger in sie ein, um mit diesem langsame, immer schneller werdende Bewegungen zu machen, als eines seiner Handys zu klingeln begann.

Beide stöhnten genervt, als sie bemerkten, um welches Handy es sich handelte. Die Melodie, welches es spielte, verriet es ihnen. „Da will jemand etwas von dir, Cognac.“ Es konnte demnach nur die Organisation sein.

‚Muss das jetzt sein? Ausgerechnet jetzt? Ich will jetzt mit ihr schlafen, verdammt noch mal!’ Sêiichî suchte nach dem Handy und antwortete wenig später dem Anrufer mit mürrischer Stimme: „Ja?“

„Ich habe da einen Auftrag für dich.“

„Hat das nicht Zeit? Muss das jetzt sein? Ich liege nämlich gerade auf einer verdammt geilen Frau!“ Cognac tat total genervt, während Chris kurz seufzte und den Kopf tief ins Kissen drückte. Sie war eine verdammt geile Frau, sie hasste Cognac, er führte sich immer so obszön auf.

„Das ist mir ziemlich egal, worauf du gerade liegst, du wirst deinen Hintern zu deinem Auftrag bewegen, ist das klar? Du hast nicht zu bestimmen, das sind der Boss und ICH! Darüber hinaus, behalte dein perverses Zeug bloß für dich! Und wenn ich dir einen Auftrag geben will, dann heißt das: JAWOHL, VALPOLICELLA!“

Die nahm sich wichtig. Mit Carpano hätte diese dumme Tussi nie so geredet, garaniert nicht. Sie schrie ja beinahe, ihr Befehlston passte Cognac nicht, trotzdem bemühte er sich um eine gedämpfte Stimmlage, als er fragte, worum es ging.

„Worum geht es?!“

„Pálido stolziert in dieser Stadt herum... Ihr wart Partner... Bring sie wieder zurück, damit sie ihre Strafe kriegt...“

Toll, seine Stimmung war seit dem Klingeln ruiniert, jetzt auch noch sein Tag. ‚Tomoko...’ Selbst, wenn er diese Frau nie mehr hätte wiedersehen sollen, wäre es ihm gleich gewesen. Besser, als wenn sie hier war, sie sich begegnen mussten und er so einen Auftrag ausführen sollte...

„Ja, wird gemacht!“

„Na, also, wieso nicht gleich so, Cognac? Wenn du weiter so machst, verstehen wir uns. Gutes Gelingen. Wir hören uns.“

„Auf wiederhören.“ Hoffentlich verreckte die an ihrer eigenen Spucke. Wie konnte dieses Frauenzimmer den Boss unterstützen? Das alleine machte sie zum Abschaum, fand Sêiichî.

Er seufzte erneut und legte seinen Kopf auf den Oberkörper seiner Geliebten. „Ich hasse es, wenn das passiert, das ist beinahe schlimmer, als wenn der Boss dich anruft, damit du ihn besucht...“

„War das seine Stellvertreterin?“

„Ja, sie hat mich total angefahren und mir einen Auftrag gegeben, der mir gar nicht in den Kram passt, ich muss mir überlegen, wie ich das umgehen kann.“ Es sah schlecht aus. Wenn man Tomoko nicht ermordete, musste Cognac sie dem Boss bringen. Beides war nicht berauschend. Er selbst würde diese Frau nicht töten dürfen, der Boss würde denjenigen garantiert umbringen lassen. Auch wenn sie nicht wirklich dabei ums Leben kam. Einen anderen opfern, um selbst davonzukommen? Nein, dieser Plan gefiel ihm nicht.

„Was will sie?“

„Der Boss will Pálido... lebend...“

„Hattest du mit der auch was?“

Sêiichî gab ein Lachen von sich. „Nein, nein, wir hatten nie was, wir waren nur Partner nach Brandys Verschwinden... Trotzdem habe ich ihr nicht bei ihrer Flucht geholfen, um sie dann zurückzubringen...“

Alles würde umsonst sein, wer würde das schon freiwillig einsehen, wenn er sich abgemüht hatte?

„Moment... Wieso will man eigentlich Pálido? Und wie sollst du sie finden? Die Sache stinkt mir irgendwie. Ist die Frau so dumm, in Tokyo und Umgebung aufzutauchen? Was hat Valpolicella dir gesagt?“ Sie war lieber vorsichtig, was so etwas anging.

Sêiichî konnte seiner Freundin nicht folgen, er sah sie nur verwirrt an und zog eine Augenbraue hoch. „Wie meinst du das?“

„Denk doch mal nach! Wieso sollte Valpolicella ausgerechnet dir den Auftrag geben? Darüber hinaus müsstest du sie erst suchen gehen. Es sei denn, sie weiß... oder ahnt, dass du weißt, wo Pálido sich rumtreibt. Das könnte gut ein Test sein, eine Prüfung, um zu sehen, ob du dazu bereit bist, einen richtigen Verrat zu begehen. Wenn du wüsstest, wo sie steckt, oder als wen sie jetzt unterwegs ist, läufst du direkt in die Falle...“

Es war bekannt, dass Cognac und Pálido Freunde gewesen waren, deswegen ging man wohl jetzt davon aus, dass der Mann genau wusste, wo sich die Frau aufhielt und als wen sie sich ausgab. Ohne genauere Informationen zu ihrem Aufenthaltsort konnte er sie so schnell gar nicht finden – das war schier unmöglich. „Du solltest Jami anrufen und ihn fragen, ob er etwas weiß. Er wird dir das bestimmt sagen – er misstraut dir schließlich nicht, anders als diese Schnepfe.“

„Was soll ich ihm bitte sagen?“

„Sag ihm, was Valpolicella zu dir gesagt hat und dann tu so, als wenn du keine Ahnung hast, wie du vorgehen sollst, stell dich total doof, der fällt darauf rein... Ich mache so was ständig mit ihm, für etwas muss der ja wohl gut sein.“ Chris konnte den Kerl nicht leiden, aber sie würde ihn nie ohne Grund umbringen, solange er ihr etwas nutzte und das tat er. Nicht nur ihr, sondern auch ihrem Freund Cognac.

„Gut, okay.“ Sêiichî setzte sich auf das Bett und wählte Jamis Nummer an, doch es dauerte ein wenig, bis der andere Schwarzhaarige abnahm.

„Was gibt’s, Cognac?“

„Einen Auftrag, der mich ein wenig verwirrt.“

Jami fragte sich, was das bedeuten sollte und steckte seine Waffe, die er eben benutzt hatte, weg. „Erklär mir das genauer.“

„Valpolicella kam an... Ich soll Pálido zum Boss bringen, ich weiß aber nicht, wo ich sie suchen soll. Man hat mir nicht mal gesagt, wo sie angeblich steckt, nur dass sie in der Stadt ist. Tokyo ist groß. Was soll ich tun?“

„Gerate hier mal nicht in Panik, ich weiß über diese Sache Bescheid. Weshalb sie dir diesen Auftrag gegeben hat, ist mir allerdings ein Rätsel...“ Nein, so ein Rätsel war es dem Killer gar nicht. Er wusste ganz genau, was das sollte. ‚Die sucht nach der Stecknadel im Heuhaufen... Wo nichts ist, da kann man nichts finden, Süße. Wann gibst du es auf? Er ist kein Verräter. Das hättest du wohl gerne, was?’ Jami und Valpolicella waren noch nie Freunde gewesen, es war eher so, dass sie sich gerne in die Quere kamen. Valpolicella konnte Cognac nicht ausstehen, was Jami missfiel, deswegen legten sie sich immer wieder miteinander an. Genauso war es bei der Frau auch, die Carpano mehr als nur schätzte, Jami hingegen konnte diesen überhaupt nicht leiden und hielt ihn für einen Verräter, bei dem Desinteresse, das er immer an den Tag legte. Der Typ machte zu sehr, was ihm in den Kram passte. Am liebsten wollte Jami Cognac von dem fernhalten, aber die beiden schienen sich zu verstehen, was aber nichts zu heißen hatte – Jamis Meinung nach jedenfalls nicht. Jeder, der sich halbwegs wie ein richtiger Kerl aufführte, passte doch irgendwie zu Cognac.

„Dann klär mich auf, sonst suche ich sie in einem halben Jahr noch. Valpolicella war sich ja zu schade, mir zu sagen, wo ich suchen soll. Ich denke, sie hat etwas gegen mich.“

„Das denkst nicht nur du. Ich wusste nichts davon, dass der Auftrag an dich gehen sollte, ich verstehe sowieso nicht, wieso sie nicht jemand anderen auf die Kleine angesetzt hat, mich zum Beispiel.“ Er log wie gedruckt, weil er Cognac nicht beunruhigen wollte. Das, was Valpolicella betrieb, war beinahe schon Schickane. Sie wollte Cognac so gerne umbringen, hatte aber bisher keinen Grund, das wirklich zu tun. Das waren schlichtweg Verzweiflungstaten. „Na ja, wie auch immer, Pálido wohnt in einem Apartment ganz in der Nähe dieses riesigen Spielplatzes in Tokyo-City. Du findest ihre Adresse spielend leicht über den Namen Yoshiko Fujisawa. Die Frau ist Medizinerin. Kein Wunder, dass der Boss ein Auge auf sie geworfen hat. Er findet, solche Leute kann man nicht zahlreich genug haben...“

Zum Glück konnte das Vermouth nicht hören, die wäre sicherlich ausgerastet, wenn sie das gehört hätte. „Du weißt ja, Sherry hat es fast geschafft, wir brauchen dringend mehr Leute, die ihr behilflich sein können.“ Es waren Leute gemeint, die sich mit Medizin auskannten.

Chris beobachtete Sêiichî, der sich nach hinten fallen ließ. „Und Pálido soll dabei helfen?“

„Das werden wir sehen – je nachdem, was sie zulässt.“

Was sollte das bitte heißen? Dass sie als Versuchsopfer enden würde, wenn sie nicht spurte? Es widerstrebte Sêiichî immer mehr, ihr das anzutun. Er wusste doch, dass sie es hasste für diese Organisation zu arbeiten. „Sie ist Mörderin, wie ich, was soll sie denn in diesem Labor?“

„Sie ist selbst schuld, wenn sie einfach Medizin studiert und sich zu so was entscheidet.“ Jami konnte wahnsinnig kalt werden, das war Cognac bewusst, aber so kalt? Pálido war immerhin noch eine Frau.

‚Die nutzen alles aus... Vor nichts machen die Halt’, dachte sich Cognac, es würde wirklich mit dem Teufel zugehen, wenn sein Vater nicht in diese Sache hinein geraten wäre. Er war ja schon seit Jahren spurlos verschwunden. Sêiichî glaubte nicht, dass er seine Familie einfach nur so im Stich gelassen hatte, auch wenn es nahe liegend war.

Aber Cognac wollte sich auch nicht alles versauen, indem er Jami sein Mitleid offenbarte, er schluckte Jamis Meinung einfach wie bittere Medizin und widersprach ihm nicht.

„Da hast du wohl Recht...“ meinte er nur, auch wenn seine Augen dabei glasig wurden und er wirkte, als wolle er jeden Moment zu weinen anfangen.

Chris erhob sich schnell und beobachtete sein Gesicht genauer, er sah mal wieder total fertig aus, dabei war es ihm, bevor Valpolicella angerufen hatte, etwas besser gegangen. „Ich erledige das dann“, sagte Cognac ins Handy zu Jami, „bis dann, Jami, danke für die Auskunft.“ Das Handy wurde zugeklappt, während er eisern an die Wand starrte. „Du hattest Recht, ich muss aufpassen. Valpolicella sitzt mir im Nacken, die wollte mich wohl wirklich verarschen, auch wenn Jami so getan hat, als wüsste er das nicht, ich konnte es förmlich spüren, wie geschockt er war. Von oben kann man keinem trauen, außer ihm. Die hassen mich alle - und misstrauen mir total. Wieso können die mir nicht so wie Carpano vertrauen... Was mache ich falsch??“

„Weil kein Weib von oben auf dich abfährt und du den Boss von Anfang an verärgert hast. Wundert dich das da noch? Du hättest ihn nicht reizen sollen. Das hast du dir selbst zuzuschreiben. Vielleicht musst du grausamer werden...“ Sie wusste, dass er das nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. „Freiwillig Leute umbringen und es melden... Dann wird man dir trauen. Denkst du, man bringt dir Vertrauen entgegen, ohne dass du dafür etwas tust? Jami tötet ja auch Polizisten, kein Wunder, dass der Boss ihn total gerne hat. Er tut alles dafür, dass seine Organisation unentdeckt bleibt, ganz anders als du.“

„Mir ist schlecht... Wie kannst du das sagen? Willst du mich als grausamen Killer erleben, der alles tut? Am besten so wie ein gewisser Gin?“ Der Vergleich hatte sein müssen, immerhin war Sêiichî bekannt, dass zwischen ihr und Gin etwas gelaufen war.

„Damit ich befürchten muss, dass du mich am Ende erschießt? Nein, danke, Sêiichî.“ Jami würde jede Frau, die Verrat beging sofort ermorden, wenn er sie dabei erwischte, auch diejenigen, die er besonders mochte. Ihm war seine Macht am wichtigsten, leider wahr. Jeder, der gegen die Organisation war, war Jamis und Valpolicellas Feind, wobei Valpolicella wohl nie Carpano töten würde, anders als Jami, er würde bei niemandem eine Ausnahme machen, ganz sicher nicht.

„Undankbares Ekel, da darf er schon ungestraft in deine Nähe und weiß es überhaupt nicht zu schätzen.“ Bei seinem Aussehen musste er doch froh sein, wenn ihn eine so schöne Frau beachtete, also wirklich.

„Ekel ist gut. Er liebt eben niemanden... Außer sich selbst und die Schwarze Organisation, sein Leben ist darauf aufgebaut, er kennt nichts anderes mehr.“

„Nimmst du gerade Gin in Schutz?“

„Ganz sicher nicht, da musst du dich irren... Und was tust du jetzt?“ Neugierig blickte ihn die Blondine an.

„Tun, was zu tun ist, nehme ich an, wenn mir nicht ganz schnell einfällt, wie ich das verhindern kann. Vielleicht hat Helios eine Idee... Ich werde ihn wohl auch kontaktieren, mal sehen, was er dazu sagt. Ich frage mich, was er für die Organisation macht... So viele Probleme wie ich hat er anscheinend ja nicht.“

‚Da bin ich leider überfragt, er hätte sich viel besser geeignet, im Spuren lesen macht er selbst Gin etwas vor. Es würde mich nicht wundern, wenn man ihm sagt, er soll dich ausspionieren. Gott, wenn der Boss wüsste, was man ihm da so alles untergeschoben hat, der wäre vielleicht sauer. Aber mir soll’s Recht sein. Je mehr Verräter überleben, umso besser...’

„Und du willst wirklich schon gehen?“ Das Grinsen in ihrem Gesicht sprach Bände – sie wollte ihn nicht gehen lassen, sondern lieber noch etwas an ihm naschen, weil sein Körperbau so unwiderstehlich war, das sah ihr der 22-jährige förmlich an.

„Was heißt da will? Ich würde viel lieber hier bleiben... und...“ Sêiichî neigte seinen Kopf zu ihrem und verschwand mit den Lippen zu ihrer Halsgrube.

„Du hast es aber eilig... so macht mir das überhaupt keinen Spaß.“ Sie legte einen Kindertonfall in ihre Stimme.

„Soll das heißen, du lässt mich nicht?“ Sêiichî schien zu schmollen. „Wie.. Wie soll ich das denn aushalten?“ Er hatte Angst davor, dass er so erregt wie er war, auch noch rausgeworfen wurde und versuchte sie mit seinem Blick weichzukochen.

„Mir ist nicht nach einem Quicky, das kannst du abhaken, Sêiichî. Wenn du ganz lieb bittest, dann sorge ich dafür, dass es sich wieder normalisiert...“ hauchte ihm die Schauspielerin verführerisch ins Ohr und fuhr ihm mit den Nägeln sanft über die Brust. „Was sagst du dazu?“

Bei diesem Ton in ihrer Stimme musste man als Mann wirklich vorsichtig sein – man konnte nicht wissen, was sie tun würde, damit es sich normalisierte, wie sie so schön sagte.

„Das gefällt mir nicht, dann kommst du zu kurz.“

„Och, im Gegensatz zu dir Nimmersatt kann ich warten. Du musst immerhin gehen. Willst du etwa, so wie du jetzt bist, nach draußen? Doch wohl nicht, oder?“ Er saß doch in der Falle. Sie war die Katze und er die Maus, so kam es ihm beinahe vor.

„Na gut, wenn ich dich dabei noch eine Weile küssen kann, werde ich das schon überleben.“

Sêiichî war raffiniert, das musste sie ihm lassen. Dass er sie küssen wollte, hatte einen einfachen Grund: Er wollte verhindern, dass sie ihren Mund einsetzen konnte, weil er das nämlich aus unerklärlichen Gründen nicht so wirklich mochte.

„In Ordnung, aber auch nur, weil du es weißt, wie du deine Lippen am besten einsetzt, Darling...“ Ihre Aussage konnte man in mehrere Richtungen auslegen. In allem, was er so mit seinen Lippen anzustellen pflegte, war er mehr als nur gut. Sie hatte bisher keinen Mann gehabt, der dermaßen geschickt gewesen war, und sie konnte von sich behaupten, dass sie einen großen Erfahrungsschatz in Sachen Männern hatte, immerhin war die Frau mehr als doppelt so alt wie er – das brauchte er aber ja nicht wissen, denn es würde ihm niemals auffallen. Sie sah eben nicht aus, als wäre sie nahe an den Fünfzig. Da hatte ihre Verjüngsungskur wenigstens noch etwas Gutes.

„Das sehe ich jetzt als ein Kompliment an, wenn’s recht ist.“ Sêiichî drückte der Frau augenblicklich die Lippen auf und begann sie verlangend, aber auch auf eine gewisse Weise sanft zu küssen. Auch wenn er immer recht stürmisch veranlagt war, waren seine Küsse keinesfalls gefühllos, sie spürte deutlich, dass er in sie verliebt war. Ein Mann küsste eine Frau nur so, wenn er sie liebte. Selbst, wenn das wohl heißen würde, dass er seit sie es das erste Mal getan hatten, schon verliebt in sie gewesen war. Das war nun fünf Jahre her, aber sie erinnerte sich noch sehr genau daran, wie ihr erster Kuss gewesen war. Wenn sie so darüber nachdachte, fühlte sie sich wieder wie fünfzehn. Wie ein Schulmädchen, das zum ersten Mal so richtig verliebt war. Das war mit ein Grund dafür, dass die Blondine es jetzt gut mit ihm meinte, sie genoss den Kuss in vollen Zügen und ließ ihre Hand über seinen Bauch nach unten wandern. Auf dem Weg bekam sie den kleinen Sêiichî zu fassen und zögerte nicht, ihre Hand bei diesem einzusetzen, um ihn von dieser Last zu befreien. Sêiichî musste sich einmal von ihrem Mund lösen, um kurz zu stöhnen, dann jedoch konnte nichts mehr seinen Kuss stören bis zum Schluss. Es kam selten vor, dass ein Kuss ein paar Minuten dauerte und ihm dabei fast die Puste ausging. Am liebsten hätte der Schwarzhaarige es noch herausgezögert, doch die Zeit drängte, deswegen ließ er von seiner Beherrschung ab, die er sich bei diesem Spiel immer etwas bewahrte, er wollte schließlich, dass es nicht gleich wieder vorbei war.
 

In Tokyo war am nächsten Tag besonders viel los. Eine Restaurant-Kette feierte dort ihren Wiederaufbau, nachdem sie vor Jahren pleite gegangen war. Der Inhaber der Restaurants, welche sich in Tokyo und Umgebung befanden, war überglücklich über das Angebot dieser Leute gewesen – er sah das Geld als eine Art Rettung an. Da hatte es der Mann mit der Investition gut gemeint. Es war zwar seltsam, wenn ein älterer Herr einfach in ein Geschäft investierte, aber es sollte ihm recht sein. So würde er alles in Ruhe wieder aufbauen können.

Eine junge Frau beobachtete das Ganze von gegenüber. Ihre Wohnung lag nämlich so, dass sie, wenn sie wollte, nur ans Fenster gehen musste, um das Restaurant zu sehen.

„Chinois Noir“, sagte sie vor sich hin und seufzte. Im Gegensatz zu dem Inhaber wusste sie, was dem Mann blühen würde. Ihr war klar, dass er nicht mehr lange zu leben hatte, deswegen ging sie vom Fenster weg, schloss dieses und zog sich ein paar Klamotten über, die ein wenig zu einer Person passten, die in so ein schickes Restaurant gehen wollte.

Sie wollte ihn warnen, die Schwarzhaarige konnte dieses Unglück, das von der Schwarzen Organisation herbeigeführt werden sollte, nicht geschehen lassen...

Bevor die Frau mit den grünblauen Augen über die Straße gehen konnte, weil diese dicht befahren war, legte jemand seine Hand auf ihre Schulter, was sie davon abhielt, loszugehen. Yoshiko drehte sich herum und erkannte den Mann, was sie seufzen ließ.

„Geh nicht dahin! Das würde ihn nur wütend machen, wenn du Leute warnst... Er weiß längst, wo du dich rumtreibst, Tomoko“, flüsterte ihr der Schwarzhaarige zu, was sie einen Moment aus der Bahn warf. Woher bitte wussten die das? Sie hatte sich total verändert.

„Oh, vielen Dank für die nette Warnung, Kenji... Von wem weißt du es? Vermouth?“

„Jami und Valpolicella.“ Seine Antwort sollte nicht heißen, er wusste von den beiden, dass seine Bekannte hier war, sondern dass er dadurch erfahren hatte, was die Organisation über ihre jetzige Identität wusste.

‚Woher können die wissen, dass ich das bin? Da ist doch etwas faul...’

Ein junger Mann näherte sich der Schwarzhaarigen, sie hörte ihn nicht kommen, seine Schritte wurden von den Straßengeräuschen gänzlich geschluckt. Jedoch sah es Cognac sehr wohl, weil er vor ihr stand. Doch, bevor er einschreiten konnte, war Tomoko auch schon k.o.

„Was willst du hier, Bacardi?“ wollte Cognac von dem Mann wissen, er sah ihn mit einem unberechenbaren Ausdruck im Gesicht an. Erfreut oder nicht konnte man nicht sagen.

„Was ich mache? Dir helfen, Cognac. Du bist doch gekommen, um sie denen auf dem Silbertablett zu servieren, oder etwa nicht?“

Eine Fangfrage, das war dem Killer schon klar. „Das ist mein Auftrag, nicht deiner!“

„Es ist aber meine Freundin. Ich habe es dem Boss gemeldet, also bringe ich sie ihm auch. Er wird sich darüber sehr freuen, ich weiß nämlich etwas, was ihm sicher noch entgangen ist. Immerhin schlafe ich seit einiger Zeit mit ihr...“

Diese Ratte war schon genauso lange in der Organisation wie Cognac selbst, doch stand er weit unter ihm, was Cognac gewillt war auszunutzen. Er konnte sie doch nicht diesem Irren überlassen, der von Gins damaliger Truppe übrig geblieben war. „Ach, und was weißt du?“ versuchte Cognac aus Bacardi herauszubekommen, doch dieser lächelte nur.

„Sie hat komische Essgewohnheiten entwickelt... und sie meckert nicht mehr, dass wir keinen Sex haben können... das können wir zur Zeit wie es scheint ja immer.“

Arme Tomoko, wie konnte sie sich in ihrem Freund bloß so irren? Sie rechnete bestimmt nicht damit, dass er sie verraten hatte. Schlimm genug, dass er seine Freundin ausliefern wollte und sie wohl linkte, aber dass er ein unschuldiges Kind mit in diese Sache mit hinein ziehen wollte, nur um gut vor dem Boss dazustehen, war nicht zu entschuldigen.

„Ach herrje... du wirst Vater? Na, herzlichen Glückwunsch.“ Wieso durfte so ein Ekel eigentlich Vater werden und er nicht? Cognac bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen, was ihm wirklich enorm schwerfiel. Jedenfalls widerstrebte es ihm, dem Kerl seine Partnerin zu überlassen und er würde es auch nicht – selbst wenn er dann schon wieder jemanden umbringen musste. Das war immer noch besser, als wenn sie mit dem gestraft war.
 

Der Regen peitschte gegen das Fenster des Autos. Sie hatte er dick in einen Mantel eingepackt, während er selbst draußen war. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er Bacardi einfach erschossen – so war es besser. Leute, wie ihn, konnte er gar nicht leiden. Idioten, die den Boss beeindrucken wollten, indem sie Frauen verarschten und ihnen dann auch noch das Leben versauen wollten.

Die Schwarzhaarige öffnete die Augen und bemerkte, dass sie in einem schwarzen Porsche saß. ‚Cognacs Auto...’ Schlagartig war sie hellwach. Sie sah nur seinen Rücken, wusste allerdings, was er getan hatte. Die Frau öffnete die Autotür und stieg hastig aus. „Verdammt, musste das sein?“

„Tut mir echt Leid, aber der hatte es in meinen Augen nicht anders verdient, wenn er seine Freundin einfach verrät... Das macht man nicht. Und dann noch seine schwangere Freundin, das ist echt das Letzte!“ Cognac steckte seine Waffe weg und drehte sich zu seiner Freundin herum. „Tut mir Leid. Du ziehst einfach die falschen Männer an. Die meinen es niemals gut mit dir.“

„Lass es gut sein – ich werde schon damit klarkommen, aber du? Du sollst mich holen.“

„Es spielt keine Rolle, ob er damit klarkommt, das muss er ja auch gar nicht“, ertönte eine Frauenstimme aus dem Hinterhalt. „Was fällt dir ein, uns zu verschweigen, wo sie steckt?! Du hast sie echt schnell gefunden, Cognac!“ Valpolicella fühlte sich bestätigt, keiner konnte Cognac trauen.

„Moment mal, Valpolicella, dir ist da etwas...“

„Halt den Mund!“

„Hör sofort auf mit diesem Unsinn, ich war es, der Cognac gesagt hat, wo sie steckt!“ Jami war hinter der Frau aufgetaucht, seine Worte passten ihr nicht in den Kram. Was mischte sich der Kerl jetzt wieder ein?

„Und wieso, wenn ich fragen darf?“

„Weil er total ratlos war und nicht wusste, was er tun soll. Du hättest ihm ja viel zu wenig Informationen gegeben. Wenn du schon einen Auftrag gibst, dann mach das wenigstens richtig!“ Jami fand es sowieso total unverschämt, wie sie sich aufführte, sie kam sich als die ranghöchste Frau ja wohl total toll vor. „Der Boss will Pàlido, Cognac hat sie hergebracht, also lass ihn in Ruhe, er hat schließlich bloß getan, was man von ihm verlangt.“

„Reg dich ab, ich werde ihn schon nicht ohne Grund erschießen...“ Nein, sie würde viel eher weiter nach einem Grund suchen.

Was für ein toller Tag. Vermouth hatte wohl vollkommen Recht gehabt. Diese Tussi hatte nur prüfen wollen, ob Cognac Pálido wichtiger war als die Organisation, da hatte er wohl noch einmal Glück gehabt, auch wenn ihm kein Stück gefiel, wie das Ganze endete. Er konnte jetzt wohl kaum Tomoko dabei helfen zu fliehen. Er wünschte sich auch, sie würde nicht versuchen wegzulaufen, sondern so tun, als wenn sie gerne wieder hier war. Wenn sie wegrannte, hatte sie Angst, das würde man nur ausnutzen.

„Ach, bevor ich es vergesse, was hat Bacardi angestellt, Cognac?“

Manchmal war es gut zu lügen, besonders wenn man sich in einer Verbrecherorganisation befand, die zum größten Teil aus Psychopathen bestand, deswegen lachte der Angesprochene auch finster auf und hatte im nächsten Moment den irrsten Blick im Gesicht, den man sich an ihm so vorstellen konnte. „Er hat aufgemuckt! Er hatte sich wohl in Pàlido verliebt! Ihm war die Organisation nicht wichtig genug, da musste ich ihn leider töten, Valpolicella.“ Man konnte die Tatsachen ja etwas verdrehen, Ärger bekommen würde er sowieso nicht, immerhin war der Kerl nichts weiter als ein Handlanger gewesen.

Man hörte Schritte hinter ihnen, jeder von ihnen zückte seine Waffe und war auf alles gefasst.

„Valpolicella, du musst mir helfen!“ hörte sie eine Männerstimme sagen, was ihr gar nicht gefiel.

„Was MUSS ich?“ Dachte der eigentlich, dass er ihr Befehle geben konnte? Sie wollte ihm schon eine Kugel verpassen, als er etwas sagte, wofür sie ihm dankbar war.

„Carpano hat Ärger, die bringen ihn wohl gleich um, wenn nichts passiert.“

Jami verkniff sich ein Lachen. Er fragte sich, wie der Kerl das immer schaffte. Hatte er sich wieder mit den falschen Leuten angelegt... oder wie?

„Wo ist Cencibel?“

„Was erledigen, ich mache das selbst! Die können was erleben.“ Sie hatte heute sowieso einen schlechten Tag erwischt. Wer auch immer diese Leute schon wieder waren, die es wagten, auf Carpano loszugehen, würden das bitter bereuen.

„Ich komme mit!“ Das ließ sich Sêiichî nicht entgehen. Er würde sich dabei auch ein wenig bei Valpolicella einschleimen können, indem er ihr dabei half, seinem Freund zu helfen.

Jami lief extra langsam, er würde keinen Finger krumm machen, um Carpano zu helfen. Dass irgendwelche Leute etwas gegen ihn hatten, das hatte er sich schließlich selbst zuzuschreiben.
 

„Dir treibe ich das verdammt noch mal aus! Du kannst hier nicht machen, was du willst, verdammt normal! Du bist nicht mehr wert, als der ganze Rest! Merk dir das!“ Der Mann, welcher das schrie, wusste noch nicht, dass er mit diesen Worten sein Leben wegwarf. „Wenn ich den Typen killen will, kannst du auch nichts daran ändern! Scheißegal, wer er ist!“

Man musste ihn zum schweigen bringen. Valpolicella dachte mit Sicherheit dasselbe, doch war es Sêiichî, welcher dem Bösewicht die tödliche Kugel verpasste. Es ging schnell, er wollte nicht, dass er, während er starb, noch plauderte. Valpolicella musste nicht alles wissen, schon gar nicht, dass Yuichi einen Bruder hatte. Wer wusste schon, auf welche Art Ideen sie dann so kommen würde? Am Ende dachte sie ihn erpressen zu können – nicht sehr berauschend dieser Gedanke.

Helios rannte derweil wieder zu Carpano hin, der ziemlich viel Blut verlor. Die kamen natürlich immer gleich in kleinen Gruppen. Diese war jetzt aber damit beschäftigt, zu schauen, wer hier aufgetaucht war. Valpolicellas Auftauchen würde die ganze Gruppe sowieso aus der Bahn werfen – man fürchtete diese Frau nicht umsonst. Die meisten würden um ihr Leben rennen – ob sie es schaffen würden, war etwas Anderes.

‚Herrje... Das wird wieder eine Schweinerei ala Valpolicella’, dachte sich Sêiichî, er fürchtete, dass die meisten wohl von ihr umgebracht werden würden, aber es sollte ihm recht sein.

Helios war wohl nichts anderes eingefallen, als diese Tussi anzuschleppen, oder wie? Irgendwie war Yuichi lieber halbtot, als dass sie ihm half, was aber wohl kaum noch zu verhindern war. Aber auch Cognac schien keinen zu verschonen, wahrscheinlich kannte er die meisten von denen auch noch. Er war ja nicht total dämlich und wusste, dass viele Schweine, die er von früher kannte, von Chardonnay geholt worden waren. Jetzt bestand sein kleiner Klan wohl aus erbärmlichen Schweinen, ganz toll.

Wer sich als Organisationsmitglied ohne einen Codenamen so viel rausnahm, war selbst schuld, wenn er dann von Leuten, die welche hatten und auch noch ziemlich hoch standen, umgebracht wurde.

„Bring mich hier bloß weg, Helios, bevor diese Frau mit den Kerlen fertig ist. Das endet nur darin, dass sie mich anfassen will. Vielleicht will sie mich auch mitnehmen...“ Er wollte ihr auf keinen Fall ausgeliefert sein, was er unwillkürlich sein würde – in seinem Zustand.

An Blut sparte Valpolicella wirklich nicht. Carpano war klar, dass er der Grund für ihren geistigen Aussetzer war.

„Gute Idee, komm“, der Schwarzhaarige, dessen Haare etwas abstanden, half dem anderen vom Boden auf zu stehen und verschwand mit ihm um die Ecke. Einer der Kerle hatte sich versteckt und sah es.

‚Du willst also diesem Kerl helfen, was? Selbst schuld.’

„Helios, da ist einer“, meinte Carpano, weshalb der Angesprochene zur Seite sah, aber nicht verhindern konnte, dass man auf ihn schoss. Das war ein klarer Angriff gewesen, aufgrund dessen vergaß der Mann mit den grünen Kontaktlinsen seinen Beruf und gab diesem Mistkerl Kugeln zu fressen, was normalerweise nicht seine Art war. Er sprang nicht so mit Killern um, wie es meistens das FBI tat. In diesem Moment blieb ihm aber wohl kaum eine andere Möglichkeit, zumal er einen Verletzten bei sich hatte.

„Alles okay?“

„Ich schaff’s noch, aber danke der Nachfrage.“ Die waren ja schlimmer, als die Schmeißfliegen, man wurde sie einfach nicht los, es sei denn, man erschoss sie. Selbst Valpolicellas Auftritt hatte den einen Typen nicht davon abgehalten, es erneut zu versuchen. Denen war sicher langweilig, so wenig wie sie sich aus ihrem Leben machten.

Die Rotblonde hatte jeden einzelnen auf brutale Weise zur Hölle geschickt und schaute sich um, ob sich da nicht doch noch einer versteckte, aber dem schien nicht so zu sein. „Eine blöde Frage, Cognac, aber was ging dich das an? Die hätte ich auch alleine geschafft. Wieso hilfst du Carpano? Gibt’s dafür einen bestimmten Grund?“ Sie sah von den offensichtlichen Dingen einfach mal ab. Dass beide so etwas wie Freunde zu sein schienen, hatte sie schon bemerkt. Es war nicht nur einmal vorgekommen, dass Carpano sich für Cognac eingesetzt hatte.

„Ich habe mich revangiert. Als ich Ärger mit Kalina hatte, weil Gin sich wieder aufgeführt hat wie ein Hornochse, war er da, um mir zu helfen.“

„Gin also...“ Valpolicella drehte sich herum und schoss, so schnell konnte Cognac gar nicht schauen, da hatte ihn schon eine ihrer Kugeln getroffen. „Ups, das kommt davon, wenn man mich nervös macht, dann zuckt mein Finger gerne mal.“

„Was soll das?“ lenkte Jami ein, es gefiel ihm nicht, dass diese Frau einfach so auf Cognac schoss.

„Sag doch gleich, dass du auch willst, Jami, das kann ich gerne einrichten“, kam von ihr mit einer stichelnden Stimme.

„Was hat er dir getan, dass du ihn anschießt...?“

„Die war dafür, dass er Gin behindert, so ist es doch. Der Mann macht wenigstens, was man ihm sagt, was man von deinem Cognac ja nicht behaupten kann. Vielleicht solltest du ihm mal wieder die Regeln erklären... Ansonsten verrutscht mir die Hand und ihn trifft mal eine Kugel tödlich.“

Cognac versuchte es hinzunehmen, um nicht gleich vor Valpolicella zusammenzubrechen – diese Frau war echt gefährlich, das war ihm zwar bewusst, trotzdem hatte er nicht gedacht, dass sie einfach so schießen würde. Wenn sie gewollt hätte, wäre er jetzt jämmerlich zugrunde gegangen. ‚Und das wegen einem wie Gin... Was kann der, was ich nicht kann?’ Es war ihm schleierhaft, obwohl es ihm klar sein müsste. Gin war eben ein Mörder, der ausschließlich auf Befehle handelte, Cognac war da ja total anders, er machte meistens, was er wollte.

„Hör mir mal zu, Süße, ja? Deinen Carpano schieße ich auch nicht an, wenn er sich mit irgendwem anlegt, klar? Also wirst du Cognac zufrieden lassen! Ansonsten richte ich es ein, auch mal deinem Carpano wehzutun, hast du das jetzt verstanden?!“

„Gottchen, Jami, wirst du schwul?“ Ihr Satz war nur zur Ablenkung da, doch leider schien Jami darauf nicht hereinzufallen, denn er richtete im gleichen Moment seine Waffe auf sie, wie sie auf ihn.

„Leute, hört auf, ihr wisst doch, dass der Boss es nicht mag, wenn ihr beiden streitet...“

Verdammt, Cognac sollte die Klappe halten. Valpolicella zu bevormunden war für ihn nicht angebracht. „Halt deine Klappe, Cognac!“

„Danke, dass du mich drauf aufmerksam machst, Cognac, aber das ist wohl kaum deine Aufgabe. Ich weiß das selbst. Wir wollen doch nicht, dass der Boss schlechte Laune bekommt, oder, Jami?“ Sie steckte die Waffe weg, Jami würde schon nicht schießen, so viel Mumm besaß der Kerl doch gar nicht. Er würde alles tun, nur nicht den Boss verärgern. Er wollte nur zeigen, dass er genauso gut wie sie war, aber auch nur, weil er alles andere nicht akzeptieren würde. Eine Frau konnte doch unmöglich besser sein als ein Mann, das dachte er wahrscheinlich. ‚Solltest du jemals etwas tun, was dem Boss missfallen könnte, töte ich dich eigenhändig, Jami.’ Jetzt durfte sie vielleicht nicht, aber sie würde sich diese Freiheit gönnen, wenn sie die Gelegenheit dazu bekam.

Der 27-jährige konnte der Irren jeden Gedanken ansehen. ‚Du wirst nie die Gelegenheit haben, zu tun, was du gerne tun würdest – ich bin keiner dieser Verräter, die du einfach töten darfst. Dafür bin ich zu gut und zu loyal.’ Wenn jemand Jami töten würde, dann waren das Verräter, die Angst vor ihm hatten, doch diese würden wohl kaum Erfolg haben, er war seit 15 Jahren in der Organisation und hatte mehr als gut gelernt, wie man schnell Leute tötete, die ohne Chance seinen Kugeln ausgeliefert sein würden. Wenn er wirklich wollte, tötete er doch jeden. Jami zu töten, war im Grunde schon ein Verrat. Er tat ja nichts, was der Organisation schadete, außer vielleicht Cognac zu vertrauen, aber dafür konnte er ja nichts. Niemand hatte ihm je Beweise dafür liefern können, dass Cognac wirklich ein Verräter war. Grenache und Sylvaner zu kontrollieren, war Jamis Job gewesen. Und die klare Anweisung seines Bosses war gewesen, dass Vermouth auf jeden Fall Vorrang hatte, sollten die beiden also der Frau Ärger machen, durfte er sie umbringen, demnach hatte er im Willen des Bosses gehandelt, indem er Cognac beschützt hatte, welcher Grenache hatte töten müssen, weil sie Vermouth einfach nicht hatte in Ruhe lassen können. Jedoch hatte Cognac Jami niemals den Grund für Grenaches Wut genannt. Das hätte seiner damaligen Affäre alles andere als gut getan. Sie hatte Grenache schließlich regelrecht gereizt, indem sie ihre Befehle ignoriert hatte. Sie hatte einen Polizisten entkommen lassen – deswegen war es zu dem Streit gekommen. Cognac jedoch hatte es so aussehen lassen, als wäre Grenache schlichtweg neidisch gewesen. Jami hatte nicht einen Moment an dieser Wahrheit gezweifelt – Pech für ihn, wenn er jemandem wie Cognac traute, nur weil sie sich Freunde nannten. In dem Fall war es ihm nämlich egal, ob Jami sein Freund war und sie sich verstanden. Bevor er Vermouth verriet, belog er lieber einen Freund. Seine Loyalität der Organisation gegenüber war schließlich nur gespielt, wie gut, dass Jami noch nicht dahinter gekommen war, was seine Regeln waren – er würde ihn sicher in Stücke reißen, wenn er jemals dahinter kam, aber der 27-jährige verschloss ja sowieso die Augen vor den Tatsachen, auf welche ihn Leute wie Valpolicella immer wieder aufmerksam machen wollten. Es war vielleicht dumm von dem Mann, oder fair, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man es betrachtete, aber er würde Cognac solange trauen, bis man ihm das Gegenteil beweisen konnte, was nun einmal nicht der Fall war, weil der Polizist jeden zu töten pflegte, der ihm wirklich gefährlich werden konnte.
 

Es war schon spät am letzten Abend des Jahres, als die 21-jährige über die Straße rannte. Sie verlangsamte ihre Schritte und schlich sich an die Gleichaltrige an, die mit nichts rechnete, schon gar nicht mit einem Überfall, wie diesem...

Sie wurde von hinten gepackt und hätte beinahe geschrieen, wenn sie das zarte Parfüm dieser Person nicht gekannt hätte.

„Man, Asura, du hast mich erschreckt, bist du verrückt?“

Akemi seufzte und drehte sich mit Halbmondaugen herum, um ihre Cousine mit ebendiesen zu strafen.

„Ich fürchte, du bist verrückt! Du solltest in Osaka sein, nicht hier!“ Es machte den Anschein, als wolle die Frau mit den kürzeren Haaren ihre Verwandte nicht nur aufziehen, sondern auch belehren.

„Er muss arbeiten... er hat keine Zeit zum Feiern.“ Ein deprimierter Ausdruck machte sich in Akemis Gesicht breit. Ausgerechnet heute hatte er keine Zeit für sie, das war schlicht und ergreifend unfair...

„Also wirklich, dafür nimmt man sich Zeit. Du musst ihn wohl mal wieder erziehen, so scheint es mir.“ Asura hatte mit solchen Leuten kein Mitleid und kannte so etwas wie Gnade auch gar nicht.

„Lass schon, es geht nichts über seine Arbeit, das ist auch gut so. Ich will nicht, dass er sich meinetwegen ändert.“

„Deswegen bist du an Sylvester alleine und deprimiert. Er sollte wissen, dass du ihm zwar gesagt hast, du amüsierst dich schon alleine, aber das gar nicht der Fall ist.“ Kôji war doch nicht blind, er wusste das alles, nicht zu fassen, dass er seine Freundin alleine ließ – dann auch noch jetzt, wo sie von ihm schwanger war. „Vielleicht solltest du ihn auch mit vollendeten Tatsachen konfrontieren...“

„Ja, vielleicht, aber ich will ihm dabei in die Augen sehen.“ Akemi wollte es ihm nicht am Telefon sagen. Da konnte sie ihn, falls er doch in Ohnmacht fiel, ja gar nicht vor dem harten Aufschlag am Boden abhalten und er könnte ihr etwas vorspielen – nein – sie mochte es Klarheit zu haben, demnach wollte sie sein Gesicht sehen, wenn sie ihm das sagte.
 

Ein Niesen war zu hören, weshalb Sêiichî ihn fies angrinste. „Willst du eine Erkältung bekommen, Kô-chan?“ Er wollte den Mann natürlich ärgern, so wie er es mit ihm immer machte, wurde dann aber durch das Seufzen total aus der Bahn geworfen. Der 21-jährige hielt sich einen Ring vor die Augen. „Findest du den hübsch?“

„Na jaaa~, wenn es kein Verlobungsring ist finde ich den hübsch“, antwortete Sêiichî mit einem schiefen Grinsen.

„Tolle Antwort“, erwiderte Kôji während ihm Schweiß über das Gesicht lief, „dann ist der Ring also hässlich...“

„Bitte was? Oh mein Gott, das solltest du dir genau überlegen... Du bist doch erst 21... du musst erst Spaß haben, bevor du dich an eine Frau ewig bindest...“

Mit so etwas musste man ja eigentlich bei Sêiichî rechnen, er tat ja nichts anderen als seinen Spaß haben. „Müssen das Fremde sein? Ich will nur diese eine, also werde ich mich heute trauen... nachdem ich mir Mut angetrunken habe...“ Sonst war der Detektiv immer mutig, was Frauen anging, doch Akemi brachte ihn aus dem Konzept – er hatte Angst vor ihrer Antwort. Andere hätten nie in Erwägung gezogen, dass seine langjährige Freundin nein sagen könnte, Kôji jedoch schon. Sie schien mit ihrer jetzigen Beziehung zufrieden zu sein – vielleicht wollte sie ja noch nicht so jung heiraten?

„Dann nimm meinen Drink, der haut auch ordentlich rein...“

„Ich will mir Mut antrinken, nicht mein Gehirn betäuben, mein Gott“, moserte Kôji, immerhin war er eigentlich kein Mann, der übermäßig trank. „Außerdem solltest du gar nichts trinken – du warst immerhin in Therapie wegen dem Dreck.“

„Von der Sucht bin ich los, also kann ich mir was gönnen.“ Sêiichî ließ sich ungern seinen Cognac verbieten, er hing an dem Zeug wie andere an ihren Lieblingssocken.

„Gut, ich nehme deinen“, seufzte Kôji, schnappte sich Sêiichîs Glas und trank einen Schluck. Er musste husten, was war da bloß drin? Wenn Vermouth wohl nicht Gin und Cognac in dem Getränk traf, er wusste schon, warum er um Vermouth einen Bogen machte. Das Zeug benebelte und machte garantiert abhängig, der perfekte Name also für Sêiichîs irre Freundin.

Nachdem Kôji das Getränk leer hatte, war ihm irgendwie komisch – vielleicht vertrug er das nicht so gut, kein Wunder, bei der Mischung. „Und das trinkst du freiwillig... ich muss mich setzen.“

‚Jetzt hat er mir nichts übrig gelassen...’ Eine junge Frau machte Bekanntschaft mit seinem Auge und ließ ihn schnell die Trauer um das Glas Alkohol vergessen. Er setzte sich seine Sonnenbrille wieder auf und ging lässig auf sie zu, als er bemerkte, dass sie mit einer Freundin da war. ‚Akemi?’ Die würde er sowieso schnell loswerden, immerhin war Kôji nicht weit weg. Ob er sie wohl drauf stoßen sollte, dass er ganz in ihrer Nähe war? Anders wurde er sie sicher nicht los.

„Hey, das ist mein Lieblingssong“, meinte die Kurzhaarige und sah den Mann mit Sonnenbrille auf sich zukommen. ‚Ach herrje, was der will, kann ich mir ja fast denken...’ Sie würde etwas total Untypisches tun – ausnahmsweise mal. Im Notfall, falls der Mann zu weit gehen würde, konnte sie ja noch Karate anwenden...

„Na, so alleine hier?“ Sêiichî zog sich die Sonnenbrille ab und lächelte die Frau mit den interessant grünen Augen an.

„Jetzt wohl nicht mehr.“

Er empfand sich als der allercoolste Kerl auf dieser Veranstaltung, immerhin hatte ihn die erstbeste Frau schon beachtet, das stärkte – vorerst – sein Selbstvertrauen. „Und wieso waren Sie so alleine?“ Es wurde eng, weshalb Asura quasi in Sêiichîs Arme geschubst wurde – das musste der für sie Unbekannte natürlich erst einmal dafür ausnutzen, um sie kurz in den Armen halten zu können. „Das verstehe ich wirklich nicht. Eine gut aussehende, junge Frau wie Sie hat doch sicher schon jemanden, oder nicht?“ Er war wohl regelrecht schockiert von dieser Tatsache, wenn es denn eine war.

„Tja, es wird wohl derselbe Grund sein, weshalb du mit einer fremden Frau tanzt...“ Sie entschied ihn einfach zu duzen, auch wenn er höflich hatte sein wollen.

„Vielleicht! Sag mir den Grund und ich sag dir, weshalb ich alleine hierher gekommen bin...“ Er würde die beste Story liefern, sie würde ihn total toll finden, wenn sie das hörte...

Das Lied sorgte für ordentlich Stimmung, nicht nur bei ihr, sondern auch bei ihm. „Das ist übrigens mein absoluter Lieblingssong zur Zeit.“ Und das nicht ohne Grund, das Lied riss meistens dazu hin, ziemlich aufdringlich zu werden, das passte zu ihm, auch wenn er gerade recht vorsichtig war und nur etwas plaudern wollte. Er hatte eigentlich nicht vor ihr zu nahe zu treten, weil Sêiichî das dumpfe Gefühl hatte, dass sie nicht auf zu schroffe Anmachen stand. Und eigentlich war er auch gar nicht auf der Suche, er hatte ja schon eine Freundin. ‚Oh Gott, was denkst du da? Vor dir steht eine atemberaubende Frau... Wie kannst du da an dieses Biest denken? Hab’ etwas Spaß und vergiss sie!’ Irgendwie konnte er nicht, denn der Kriminalist hatte sich so gefreut mit ihr zu feiern, er war nur hier, weil der Boss darauf bestanden hatte, dass sie ihn besuchte...

Er mochte es, wie sie sich zu dem Rhythmus bewegte, so zurückhaltend, keinesfalls provozierend – ganz anders als Chris, sie würde ihm auf die Pelle rücken, um ihn anzumachen. Es war deprimierend, selbst wenn er mit einer hübschen Frau tanzte, ging sie nicht aus seinem Kopf heraus.

„Du wirkst nachdenklich, woran denkst du? An eine Frau, die dich versetzt hat?“

Sêiichî schluckte. ‚Verdirb mir nicht die Stimmung...’ Er hatte das Gefühl, als hätte sie ihm in den Kopf geschaut, das war ihm total unangenehm, das bemerkte man sofort, er schaute sich auf einmal nach links und rechts um und schien auch noch rot zu werden – das passte so gar nicht zu seinem machohaften Auftreten.

„Ich kann mir so was nicht leisten, ich muss bei Verstand sein...“

Das war ein selten dämlicher Spruch. Wo hatte er den denn aufgegriffen? „Wieso das? Angst vor Enttäuschungen?“

Sie sollte aufhören ihn zu durchschauen, das gefiel ihm nicht so besonders, deswegen schüttelte er lächelnd den Kopf und wollte ihr eine Lüge auftischen. „Ich habe einen anstrengenden Job, der mich das Leben kosten kann, wenn ich nicht bei Verstand bin.“ Sêiichî wusste, dass Frauen auf so etwas standen, wenn nicht auf den Polizisten in ihm, dann auf den bösen Kerl, den er manchmal spielte. Sie stand sicher eher auf seine gerechte Seite, den Eindruck machte sie jedenfalls.

„Bist du bei der Feuerwehr, oder so etwas in der Art?“

„Ich bin bei der Polizei, aber du bist gut im Raten, du hast fast erraten, was ich beruflich mache.“

Ein Polizist war das also, so sah er eigentlich nicht aus. Aber wenn er sie belog, fand sie das ohnehin heraus. Sie forschte ein wenig in seinen Augen, er sah eigentlich überhaupt nicht aus wie ein Mann, der Frauen belog, um bei ihnen zu landen.

Sein Outfit machte einiges her – übel sah er jedenfalls nicht aus, das musste sich Asura eingestehen, aber sie hatte jemanden, der auf sie wartete – also hatte er im Grunde schon verloren, sollte er planen, ihr näher zu kommen. „Wenn du bei der Polizei bist, in welchem Dienst bist du dann tätig?“ Tja, bei der Polizei konnte man alles Mögliche machen, so tief in ihn hineinsehen konnte sie dann doch nicht.

„Mordkommission...“ flüsterte er ihr ins Ohr, manchen Frauen machte das Angst und sie suchten das Weite, dann gab es Frauen, die es interessant fanden und wiederum ganz andere versuchten ihn auszunutzen, das waren die ganz fiesen Frauen – eine hatte ihm mal versucht, seine Waffe zu klauen, um sie gegen ihn einzusetzen, mit so etwas gab sich Sêiichî oft ab. Asura war da eher total normal.

„Verstehe, du klärst Morde auf, vor solchen Leuten habe ich Hochachtung, sie tun was für unsere Welt.“

Das war genau das, was Sêiichî eigentlich bloß hören wollte. „Wenn alle Menschen so denken würden, würde ich mich darüber freuen, aber leider gibt es sehr viele, die solche Polizisten bis auf das Blut hassen...“ Aber das beruhte auf Gegenseitigkeit, Sêiichî strafte sie ebenfalls mit Hass, das war nur gerecht, fand er.

Es war lange her, dass er sich so ungezwungen mit einer Frau unterhalten und sich mit ihr verstanden hatte.

„Das ist wahr – leider. Es passiert immer noch viel zu oft, dass Polizisten im Dienst umgebracht werden. Du musst Mut haben, wenn du solch einen Beruf ausübst...“ Sie übte ein wenig an ihm, immerhin konnte es nicht schaden, andere zu durchschauen, selbst wenn die junge Frau das sicherlich nicht nötig hatte. ‚Jetzt ist sie mir abgehauen, nicht zu fassen...’ Akemi war verschwunden, jedenfalls konnte ihre Cousine sie nicht mehr erkennen.

„Sagen wir mal so, ich brauche die Bestätigung, ich mache gerne etwas Gutes für die Menschheit – das ist wie ein Lebenssinn, weißt du? Ohne das Polizistendasein wäre ich nur halb am Leben... oder wie man’s nimmt, ich würde mich halbtot fühlen.“ Richtig lebendig fühlte sich Sêiichî, wenn er etwas Gutes vollbracht hatte, was in letzter Zeit einfach zu wenig vorkam.

Das Lied ging langsam zuende, bald würde das neue Jahr beginnen, er hatte auch schon einen Wunsch, der hoffentlich bald in Erfüllung gehen würde – na ja, eigentlich hatte er sogar mehrere Wünsche. Und alle hatten sie mit einer besseren Welt zu tun...
 

In dem Durcheinander, welches gerade herrschte, stach Kôji nur eine einzige Frau ins Auge, er ging auf sie zu, die ihm den Rücken zugewandt hatte. Er packte ihr Handgelenk und wäre sicher auf die Matte geschickt worden, wenn sie nicht sofort gesehen hätte, dass er das war. Ohne Widerwehr ließ sie sich von ihm von der ganzen Menschenmenge wegziehen. Von der Mauer aus konnte man ohnehin das Feuerwerk sehen, da war es vollkommen egal, wie weit weg man vom ganzen Rest war. Die Musik wurde immer leiser, je weiter weg man ging. Irgendwann schnaufte Kôji und drückte Akemi seitlich an sich.

Sie war froh, dass er auf den letzten Drücker doch noch gekommen war. Dass er sie angeschwindelt haben könnte, nur um sie zu überraschen, dachte sie eigentlich nicht, weil er eigentlich immer nur in Notfällen zu Lügen griff, ebenso wie sie.

Nun schwiegen beide und warteten eigentlich nur auf den ersten Knall – oder auf etwas ganz anderes? Kôji war sonst irgendwie gesprächiger...

„Äh...“

„Huh?“ Beide blickten sich an, nachdem jeder jeweils versucht hatte, etwas zu sagen, wobei er ihr doch zuvor gekommen war.

Die Leute zählten mittlerweile lautstark den Countdown, während er sich allen Mut abrang, um sich zur Seite zu drehen und seine Freundin anzusehen. Er wurde etwas rot und stammelte etwas vor sich hin. Dabei war das eher Watarus Gebiet, er war derjenige, welcher immer verlegen wurde, aber doch nicht Kôji...

„Ja, was?“

„Na ja... wie soll ich’s sagen?“ Mit einer zitternden Hand fasste der junge Mann in seine Tasche und holte unbemerkt die Ringe heraus. „Willst du einen Ring von mir am Finger tragen?“ Oh Gott, was hatte er ihr für eine dumme Frage gestellt? Das bekam sie jetzt bestimmt in den falschen Hals...

„Einen Ring?“ Verwirrt blickte die 21-jährige den Gleichaltrigen an. „Einen ganz einfachen Ring?“ Enttäuschung war aus ihrer Stimme heraus zu hören.

„Nein, nein, einen besonderen Ring!“ meinte Kôji dann gleich hektisch mit einer immer stärker werdenden Röte, er wusste gar nicht mehr, wie er sich ausdrücken sollte. Dann packte er ihre Schultern und sah ihr eindringlich in die Augen. „Ich, also, na ja, ich will, willst du... mich... heiraten?“ Es war raus und der Mann spürte gleich eine ungemeine Erleichterung. Sie war so überrascht, dass sie erst einmal vergaß zu sprechen und sich erst wieder fangen musste.

„Heiraten?!“ Eben noch war sie enttäuscht gewesen, da sie gedacht hatte, dass er sie gar nicht heiraten wollte, jetzt fragte er sie und sie fühlte sich genauso wenig wohl. „Wir... wir wohnen ja nicht mal... zusammen, wie kannst du dir sicher sein, dass du es mit mir aushalten wirst?“ Was sollte das? Sie verstand sich selbst nicht. Wieso sagte sie denn jetzt so etwas? Derartiges hatte Akemi bisher noch nie gedacht, aber ihr wurde langsam bewusst, dass ein Leben in ihrer direkten Nähe für Kôji Gefahr bedeuten würde – Gefahr, in welcher er ums Leben kommen könnte. Sie konnte ihn doch nicht heiraten und ihrem Mann dann verschweigen, was sie nebenher so trieb? Sie wollte ihn nicht zwischen die Fronten geraten sehen...

„Muss ich mir da denn sicher sein?“ Diese Antwort wollte seine Freundin sicher nicht haben, sie würde das als Grund ansehen, zu verneinen, oder nicht? Aber was sollte er sie belügen? „Ich weiß nur, dass ich das will. Willst du nicht mit mir zusammen bleiben?“

„Muss man deswegen heiraten?“

„Warum nicht?“ Er hasste diese Situation wahrscheinlich noch mehr, als dass er seinen Vater verabscheute. Dieser hatte seine Familie verlassen, als Kôji 12 Jahre alt gewesen war – im Nirgendwo war er verschwunden und hatte sich nie wieder bei ihnen gemeldet.

Akemi senkte nur den Blick, was sollte sie auch sagen? Die Wahrheit wollte sie ihm weiter verheimlichen. ‚Tut mir echt Leid, aber lieber das, als dass man dich umbringt...’

„Ich will die Frau heiraten, die mich schon als Kind begleitet hat“, meinte Kôji jetzt und sah hartnäckig in ihre Augen, obgleich in seinen auch Wärme geschrieben stand, entstanden in seiner Liebe zu ihr.

„Wie... meinst du das denn jetzt?“

Er erinnerte sich noch genau an diesen unheilvollen Tag. Der Sonnenschein hatte nicht zum Kummer aller gepasst. Besonders ihn hatte das Schicksal hart getroffen. Ein 5-jähriger war mit dem Tod konfrontiert worden, er hatte das nicht verstehen können, weshalb so etwas passieren musste. Er war auch jetzt niemand, der mit dem Tod gut umgehen konnte. Mehr als vor lauter Verzweiflung an zu fangen zu weinen, war ihm gar nicht erst eingefallen. Er hatte mit in diesem Auto gesessen und hatte als Einziger wie durch ein Wunder überlebt – wieso eigentlich? Lieber wäre er mit den Eltern seines Freundes und diesem selbst gestorben, statt alleine zurück zu bleiben. Er hatte nur ein paar Prellungen gehabt, während die anderen tot waren, vor allem sein allerbester Freund, mit dem er schon quasi seit seiner Geburt befreundet gewesen war.

Seine Eltern waren ihn nicht besuchen gekommen, da seine Mutter nicht so gesund gewesen war – doch das war sie schon nach seiner Geburt nicht wirklich. Kôjis Vater hatte noch einmal ein Kind gewollt, am besten ein Mädchen, er hatte die Frau total unter Druck gesetzt, bis sie endlich schwanger gewesen und zusammen gebrochen war. Er selbst hatte immer lieber ein Mädchen gewollt und sich dementsprechend wenig um seinen Sohn gekümmert, deswegen war Kôji auch während seines Krankenhausaufenthaltes immer alleine in seinem Zimmer gewesen.

Ein kleines, freches und neugieriges Mädchen hatte sich eines Tages hinein geschlichen, um zu schauen, wer da wohl betreut wurde. Sie hatte seine bitteren Tränen gesehen – es war auch das einzige Mal gewesen, dass Akemi ihn hatte weinen sehen seit sie sich kannten, aber es hatte geschmerzt, obwohl sie ihn nicht gekannt hatte. Deswegen war das Mädchen zu ihm gegangen und hatte gesagt: „Hey, sei nicht traurig. Du bist nicht alleine, wenn du willst, bleibe ich etwas bei dir...“ Seine Tränen hatten sich bei ihrem süßen Lächeln verabschiedet, seitdem wollte Kôji am liebsten immer nur bei ihr sein, aber dafür hatte er damals gute zehn Jahre gebraucht, um es ihr wirklich zu zeigen.

Er öffnete seine Augen wieder, nachdem er nachdenklich geworden war. „Du warst immer da, wenn es mir schlecht ging und konntest mich aufbauen, du bist die wichtigste Frau in meinem Leben. Erinnerst du dich noch? Du bist einfach in mein Krankenzimmer gekommen und hast mich ohne einen Grund zu haben getröstet, das fand ich unwiderstehlich, du trägst dein Herz am rechten Fleck, ich will mit dir zusammen bleiben – für immer.“

Akemi war gerührt, er hatte das Talent entweder haargenau das Richtige oder das absolut Falsche zu sagen, in dem Moment war es das Einzige gewesen, was sie wohl umstimmen konnte.

Ihre Hand legte die junge Frau auf seine Wange und streichelte leicht darüber, während in ihren Augen Tränen standen, sie fand keine Worte, um das auszudrücken, was sie fühlte, deswegen hatte sie sich für diese Geste entschieden.

„Sagst du jetzt ja, oder muss ich vor dir am Boden rumrutschen?“

Eigentlich hatte sie einfach ja sagen wollen, aber andererseits war diese Vorstellung einfach zu amüsant, so dass sie nicken musste. „Wirst du müssen, um mich umzustimmen...“

Sêiichî hätte das garantiert nicht getan, aber es lag Kôji einfach zu viel daran, also machte er seine Worte auch wahr und ging vor ihr auf die Knie. „Sagst du jetzt ja?“ Ein flehender Blick wurde Akemi zugeworfen.

Sie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen und reichte ihm beide Hände, um ihn wieder hochzuziehen und ihm in die Augen sehen zu können, bevor die Braunhaarige ihren langjährigen Freund umarmte und ihm ins Ohr flüsterte: „Ja, ich will...“
 

Irgendwie war die Schwarzhaarige ihnen abhanden gekommen. Seit sie sich etwas amüsiert hatten, war sie nicht mehr aufgetaucht, allmählich machten sich ihr Bruder und zwei ihrer besten Freundinnen Sorgen um die Verbliebene. Es war immerhin schon so gut wie Mitternacht – da ging man nicht noch mal weg und meldete sich einfach nicht...

„Vielleicht sollten wir uns aufteilen, Naru, es ist hier einfach zu voll... Wie sollen wir meine Schwester da finden?“ Sie war zwar kein kleines Kind mehr, aber ihr Bruder hatte trotzdem Angst davor, sie alleine irgendwo herumgeistern zu lassen, nicht umsonst hatte er die bittere Erfahrung, was so alles geschehen konnte, schon machen müssen. Er hatte nicht vergessen, wie Riinas Vater seine kleine Schwester vergewaltigt hatte – es war geradezu ein Wunder, dass er sich mit der Rothaarigen noch abgab. Sie fühlte sich manchmal wie das pure Böse, wenn ihr Vater eine ihrer Freundinnen angegriffen hatte.

„Wir hätten Satomi nicht alleine auf die Toilette gehen lassen sollen... Junichi.“ Die 19-jährige seufzte. Sie hatte Angst, dass ihr Verschwinden auf ihre Kappe ging.

„Also wirklich, Riina, Satomi ist kein kleines Kind, sie hätte gar nicht zugelassen, dass wir mitkommen“, versuchte die Hellbraunhaarige ihre rothaarige Freundin zu beruhigen, selbst wenn es vielleicht nicht klappen würde.

‚Vielleicht... sie ist ja auch eigentlich zu alt... oder nicht? Sie ist älter als ich... er vergriff sich ja schon immer gerne an kleinen Mädchen, weil das einfacher für ihn ist...’ Riina erinnerte sich dermaßen ungern daran, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie hatte Angst noch mehr Freunde an ihren eigenen Vater zu verlieren – der war nämlich alles andere als ein guter Mensch. Monster passte viel besser zu ihm...

„Allerdings hast du Recht, sie hätte schon längst zurück sein müssen... Ohne den Teufel an die Wand malen zu wollen, okay? Vielleicht hat sie sich einfach verlaufen und findet uns nicht...“ Das war naheliegender, als an Riinas Vater zu denken. Naru war vielleicht deswegen nicht so besorgt, wie ihre Freundin und Junichi, weil diese mehr über Keichiro wussten. Junichis Schwester war schließlich mal mit Riina befreundet gewesen, aber das war lange her. ‚Es dürften bald fünf Jahre sein... Gott... ich bin für diesen Schlamassel verantwortlich. Meinetwegen hasst sie Männer... und ist deswegen immer alleine...’ Auch wenn sie es nicht gewesen war, fühlte sie sich immer, als hätte sie all diese Schmerzen selbst dem damaligen Mädchen zugefügt.

„Riina kommt mit mir! Naru hat ja ihr Handy nicht vergessen und kann Hilfe holen, wenn etwas ist...“

„Ihr habt so gedrängelt, dafür kann ich nichts, dass ich es dann hab’ liegen lassen...“

„Na guuuuut“, meinte Naru, sie machte sich ohnehin nicht allzu viele Sorgen und lief los, damit die beiden endlich mal in Ruhe reden konnten...
 

Währendessen hatte Satomi sich am anderen Ende des Festplatzes wiedergefunden und seufzte.

Der junge Mann erlag wohl der Hoffnung, dass man ihn nicht erkannte und auf ihn hereinfiel, ihm sogar vertrauen würde. Er hatte sich eine dicke Sonnenbrille aufgesetzt, um nicht von jedem erkannt zu werden. Der Braunhaarige hatte keine Lust, sich von dieser Zicke wieder verprügeln zu lassen – diesmal würde das Ganze anders ablaufen. Weiterhin beobachtete er die junge, hübsche Frau. Er war mal wieder in Not und brauchte eine Frau – normalerweise mochte er so dämliche Zicken nicht, aber er musste ihr ja noch etwas von Früher heimzahlen.

Er tippte ihr auf die Schulter, was sie leicht zusammenfahren ließ, dann jedoch entfernte sie sich etwas von dem Mann, der ihr auf gewisse Weise ein wenig bekannt vorkam und ein ungutes Gefühl in der Schwarzhaarigen hervorrief.

„Das ist aber gefährlich, wenn man sich hier als Frau alleine aufhält“, sagte der Mann und bemühte sich absichtlich, seine Stimme ein wenig zu verstellen, doch der boshafte Unterton blieb schlichtweg, das ließ sie erstrecht misstrauen und von ihm weichen.

„Weiß ich selber!“ Sie sah ihn mit dem Blick an, den sie schon früher gezeigt hatte, wenn ihr etwas nicht gepasst hatte.
 

Die beiden suchten den Festplatz ab, wobei sie dreimal an der gleichen Stelle vorbei kamen und sie am Ende doch nicht gefunden hatten. „Und jetzt?“

Sie waren an einem Platz gelandet, wo wenig los war. Man rechnete mit irgendwelchen Junkies, die hier herumlungerten, also nahm Junichi einfach Riinas Hand, damit sie ihm nicht einfach wegrannte.

„Du bleibst auf jeden Fall bei mir“, meinte der Angesprochene mit einem Lächeln, auch wenn ihm gar nicht so nach einem solchen war.

Die Rothaarige und der Hellbraunhaarige liefen an einer kleinen Gasse vorbei, von wo aus sie eine Männerstimme ansprach. „Macht das Spaß, Riina?“

Sie erschrak und versteckte sich releflexartig hinter ihrem Bekannten.

„Wer...?“ Junichi warf der um fast vier Jahre jüngeren Frau einen fragenden Blick zu – darauf wartend, dass sie ihm antwortete, doch sie klammerte sich nur an seine Jacke und hatte wohl Angst vor dem Mann.

„Du willst wissen, wer ich bin, Kleiner?“ Der Schwarzhaarige, welcher bereits einige graue Strähnen hatte, trat ein wenig ins Licht einer Laterne und grinste auf gemeine Weise. „Ich bin ihr Erzeuger.“

„Da hast du Recht, mehr bist du nicht für mich!“ Riina hatte sich gefangen, zog sich an Junichis Arm nach vorne und brüllte das ihrem eigenen Vater entgegen. Was wurde das? Wollte er einen ihrer Freunde verängstigen?

„Ich find’s ja schön, dass du wieder einen Freund hast, da habe ich wieder etwas zu tun... Mir sind ja deine Freundinnen ausgegangen.“

Dass er so etwas zu sagen wagte, vor einem anderen, der Zeuge sein könnte, oder war das gar Absicht? Sie rechnete mit so ziemlich allem, auch dass er wieder mit einer Waffe vor ihrer Nase herumfuchteln würde – vielleicht würde er auch versuchen auf Junichi zu schießen. Nein, ganz sicher würde er, immerhin redete er von ihren Freundinnen, denen es alles andere als gut ergangen war, wenn sie ihrem Vater begegnet waren.

„Was willst du noch? Hast du nicht genug angerichtet?“

„Du bist Junichi Omiya, ich kenne dich... und deine kleine Schwester, die kenne ich ganz besonders gut.“

„Sei still!“ Auf dem alten Thema auch noch herumzureiten war... , sie wusste gar nicht, wie es für sie war – schrecklich grausam, Schmerz erfüllend.

„Das reicht!“ sagte Junichi vollkommen besonnen und holte sein Handy hervor, doch da ertönte ein Schuss und der Gegenstand wurde von der aus der Pistole stammenden Kugel getroffen, nur um dann einen Meter weit weg zu fliegen.

„Nein, ich finde nicht, dass es reicht, das Spiel hat gerade erst angefangen“, während dieser Worte strahlten seine Augen noch größere Grausamkeit aus als ohnehin schon.

„Was hast du vor, Mistkerl?“ Junichi konnte sich viel vorstellen, aber ihn einschätzen, das konnte er nicht, er kannte ihn viel zu wenig, wusste aber, zu was Riinas Vater wohl so fähig war.

Ohne Vorwarnung konnte man wenig später einen zweiten Schuss vernehmen, der jedoch Keichiro traf – heute war anscheinend ihr Glückstag – Sêiichî war bestimmt auch hier, Riina war sich sicher, dass ihr Exfreund hinter dieser Mauer war, um ihnen zu helfen – er konnte Keichiro nämlich auch kein bisschen leiden – wahrscheinlich war das nur noch blanker Hass.

Dieser verdammte Bengel hatte es schon wieder gewagt, ihn anzuschießen. Keichiro hatte den jungen Mann nicht einmal bemerkt, er schien auf leisen Sohlen zu kommen, wie man es vom Tod zu sagen pflegte. Der ältere Mann hielt sich kurz die Schulter, biss dann aber die Zähne zusammen und rannte nach links, da hinter ihm jemand nur darauf wartete, ihn zu kriegen, solchen Ärger konnte sich das Organisationsmitglied überhaupt nicht leisten. Der Boss hatte zur Zeit sowieso sehr schnell schlechte Laune...

Junichi hob sein Handy vom Boden auf, doch bemerkte er, dass dieses ausgegangen war, da die Kugel etwas daran kaputt gemacht hatte. „Okay, doch kein Glückstag, so wie ich dachte.“

„Geht’s dir gut, oder hat er dich getroffen?“

„Hat er nicht, aber ich finde es lieb von dir, dass du danach fragst.“ Insgeheim fragte sich der Braunhaarige, wer ihnen geholfen hatte, aber leider konnte er diesen Gedanken nicht lange beibehalten, weil ihn noch etwas anderes beschäftigte. „Ich war dir nie böse wegen der Sache, die mit Miyako passiert ist, dafür mag ich dich zu sehr.“

„Ich weiß das.“ Es war ihr etwas unangenehm, doch sie wusste es zu verstecken und da es dunkel war, konnte die Person, welche sie eben gerade gerettet hatte, auch nicht besonders viel sehen, aber was der 25-jährige sah, reichte ihm eigentlich schon. Er machte auf ihn einen netten Eindruck, so einem Mann würde er sie getrost überlassen können. Trotzdem war es mit ein Grund dafür, dass er sich dafür entschied, nichts von seiner Rückkehr zu erzählen, weil er den anderen als eine Art Ersatz sah – er würde sicher nur für Ärger sorgen und sie ein schlechtes Gewissen entwickeln, das wollte er nicht, außerdem war da noch Keichiro, der zweite Grund, weshalb der Braunhaarige sich nicht zu Erkennen gab und schnell das Weite suchte, nachdem er gesehen hatte, was Junichi tat. Er küsste sie, damit hatte Tatsuji gerechnet, denn die Stimme des anderen hatte ihm verraten, dass er das wohl tun wollte.

Okay, jemanden sehr zu mögen, sah anders aus, fand die Rothaarige, doch wehrte sie sich im ersten Moment nicht. Er war nicht wie Sêiichî oder Takuya und sie würde ihm diesen einen Kuss einfach gönnen. Es gab nun einmal Männer, die sich zurückhalten konnten und es nicht verdient hatten, dass man sie so behandelte, wie sie es oft tat. Riina konnte zu einer ziemlichen Furie werden, wenn man sie bedrängte, doch das tat er nicht.

Kurze Zeit später löste er sich auch schon wieder von ihr, ohne mehr zu verlangen, als diesen einen Kuss. „Jetzt weißt du, wie sehr ich dich mag“, meinte er dann noch und lächelte.

Aufgrund dieser Tatsache senkte sie den Kopf. „...Tut mir Leid...“

„Was meinst du damit?“

„Ich weiß, was du gerne hättest, aber ich kann dir den Wunsch nicht erfüllen – ich mag dich, Junichi, aber das reicht nicht.“

Ein schweres Seufzen kam von dem Älteren, der freundschaftlich einen Arm um sie legte. „Verstehe – ist ein anderer Mann der Grund, oder einfach so?“

Ihr Herz klopfte bis zum Hals, sie hasste solche Gespräche mit jemandem, der ihr mehr bedeutete. „Ich würde einen anderen in dir suchen, das stimmt. Du bist ihm nicht unähnlich, das ist ein Problem.“ Sie wollte nicht mit jemandem zusammen sein, den sie im Grunde betrügen würde, vielleicht nicht körperlich, aber seelisch, das war vorhersehbar.

„Oh, jemand, der mir ähnlich sein soll – wer ist das? Sein Name fängt doch nicht etwa mit einem T an, oder doch?“ Er hatte da so eine Ahnung, wollte es aber doch von ihr wissen.

„Wie kommst du denn darauf?“ Entweder hatte Naru ihren vorwitzigen Mund nicht halten können, oder man sah ihr diese Dinge wohl an.

„Na ja, er ist der einzige Mann, der mir spontan einfiel, auf den du stehen könntest. Weiß er das wenigstens?“

Sah sie denn aus, als sei sie so bescheuert, ihrem besten Freund zu sagen, dass sie auf ihn abfuhr?

„Ich bitte dich. Er ist ja nicht mal da. Wann soll ich ihm das gesagt haben? Am Telefon? Ich kann so etwas am Telefon noch weniger ausspechen, als wenn mir die Person gegenübersteht – ich werde schon darüber hinwegkommen und mich neu verlieben – irgendwann, in jemanden, der nicht so weit weg ist.“ Ihr Problem war nur, dass sie ihn nicht vergessen konnte. Kein Wunder, dass viele Männer bei ihr angeeckt waren.

„Aber, lass uns ein anderes Mal darüber reden... Wir wollen doch Satomi finden, ich mach mir Sorgen. Wenn wir sie gefunden haben, geht’s mir gleich wieder etwas besser, jetzt wo mein Vater hier rumrennt...“ Ihre Befürchtungen bewahrheiteten sich wohl, da biss die Maus keinen Faden ab. Er war immerhin hier und begegnete lieber nicht ihrer Freundin.
 

Das Feuerwerk war vorüber, Akemi noch immer verschwunden und Sêiichî holte gerade etwas Anti-alkoholisches, selbst wenn er selbst seinem Cognac treu blieb. Am einen Stand klopfte ihm jemand auf die Schulter und er drehte sich, nachdem er gezahlt hatte, herum.

Erschrocken blickte er in das Gesicht des braunhaarigen Mannes, der auch sein bester Freund war.

„Na, so alleine hier?“ wollte Ryochi wissen, was Sêiichî mit einem gestellten Lächeln beantwortete und den Kopf schüttelte. „Ich habe eine interessante Frau kennen gelernt, mit der ich mir etwas die Zeit vertreibe.“

„So, so.“

Was für ein Ton war das? Passte Ryochi nicht, dass er mit dieser Frau getanzt hatte, oder durchschaute er ihn einfach und wusste, dass es ihm dadurch nicht sehr viel mehr Spaß machte hier zu sein? Und dass er sich nach einer anderen Frau sehnte - schließlich nur hoffte, sie würde hier aufkreuzen, was so gut wie unmöglich war?

„Sie ist bloß ganz nett – da wird bestimmt nichts laufen.“

‚Wenn das nicht sie wäre, würde ich sagen, vergiss die Schauspielerin und interessier’ dich mal mehr für eine andere... Aber dann kommst du auf komische Ideen und eckst am Ende nur bei ihr an.’ Er wollte ihm diese Enttäuschung ersparen – wenn es Sêiichî ernst war, mutierte er zum Sensibelchen.

„Du willst, dass hier eine gewisse Schauspielerin in der Tür steht – nur deinetwegen – oder nicht? Sie wird nicht kommen, darauf brauchst du nicht hoffen.“ Wie gemein war er nun? Das klang so negativ. Als wenn er dieser Frau nicht das Geringste bedeutete.

„Das weiß ich, aber etwas hoffen, schadet doch nicht... Ich hoffe ja auch, dass...“ Den Satz hätte er sich schon verkneifen sollen, aber er konnte nicht. Eigentlich hätte der Satz damit geendet, dass er Freiheit für sie alle wollte, aber das konnte er schlecht sagen. Sêiichî ging deswegen näher an Ryo heran und flüsterte ihm ins Ohr. „Vielleicht habe ich Glück und sie macht mich mal zu einem glücklichen Vater... Das hoffe ich... Wir tun ja auch alles dafür...“ Nein, er tat alles dafür, nicht sie. Sie war da lieber vorsichtig, weil ihr Boss ziemlich ausrasten würde, wenn sie so etwas zuließ, doch das wollte Sêiichî widerrum nicht zugeben. Er wollte damit prahlen können, wie gut er bei dieser Frau ankam und dass sie ihn über alles liebte, mehr als sonst irgendwen, dabei war das nur Wunschdenken – ein Traum seinerseits.

„Man, Baka – muss es sie sein?“ Der Grund für Ryochis Worte war nicht, dass er diese Frau einfach nur hasste, sondern er wusste zu viel über die Verhältnisse innerhalb der Organisation. „Dir ist hoffentlich bewusst, dass der Boss von denen jeden Kerl ermorden würde, den er an ihrer Seite sieht.“ So, wie er Sêiichî kannte, liebte er die Gefahr und es musste deswegen auch sie sein... Warum war er nur so beschränkt, was das anging?

„Ich habe ohnehin vor, ihn kleinzukriegen...“

Es wurde immer schlimmer. Früher hatte er Vermouth für seinen Schutzengel gehalten und gedacht, er müsse diese Organisation zerstören, wie schlimm war es da jetzt, da er sie liebte? Wollte er es da nicht noch mehr, als jemals zuvor?

„Ich bitte dich... Das haben bestimmt viele versucht. Du alleine schaffst das nicht... Willst du einen unnötigen Tod sterben?“ Und das nur wegen einer Frau? War er denn des Wahnsinns? Okay, diese Frage, die er sich stellte, fand er selbst total dumm – sein Freund war schon so wahnsinnig, seit er einmal von Chardonnay fast umgebracht worden war – das war nun schon acht lange Jahre her.

„Ach was, mich doch nicht. Mich bringt man so leicht nicht um. Ich bin aus einem harten Holz geschnitzt, das weißt du doch... nee?“ Er wollte mutig und unverwüstlich für ihn sein und all das durchstehen, deswegen lächelte er auch aufmunternd. „Ich gehe nicht mehr so viele Gefahren ein, so wie früher...“ Oh ja, deswegen hatte Kalina ihn fast umgebracht, Valpolicella ihm eine Kugel verpasst und er ständig Ärger mit allen möglichen Leuten, so dass Carpano ihn retten musste. Wenn Ryochi das wüsste, wie sehr das alles gelogen war....

Wer hatte ihm diese Flausen in den Kopf gesetzt?

„Sag das nicht so leichtfertig daher, du weißt selbst ganz genau, wie schnell sie darin sind...“

Allerdings wusste das Sêiichî wirklich sehr gut, weshalb er noch immer lächelte und einfach Ryochi umarmte. „Ich sterbe nicht, das verspreche ich hoch und heilig... Und es ist ja auch nicht so, dass ich im entscheidenden Moment alleine wäre, denkst du, ich bin so dumm?“

‚Nein bloß verliebt und deswegen in deinem Verstand getrübt... Du willst vor ihr natürlich ganz besonders toll sein, dafür tust du alles... Und wenn es eine Gefahr ist, die du meistern willst, damit sie dich total toll findet...’ Der Braunhaarige ließ sich von seinem besten Freund umarmen, wer wusste schon, ob das so bald wieder möglich sein würde? Es war ja nicht gesagt, dass sie sich bald wiedersehen würden...

Der Schwarzhaarige ließ seinen Freund los, wobei er noch immer lächelte – er musste jetzt auf alle Fälle stark sein.

Auch wenn der Braunhaarige mit einem strahlenden Lächeln beglückt war, wusste er, dass es ein gestelltes war. Sein Freund hatte gelernt, es fast perfekt zu machen, doch kannte der andere ihn viel zu gut, um darauf auch noch hereinzufallen. ‚Alle Achtung... wenn du deine Rolle so perfekt beherrschst, wie jetzt, wird wohl kaum einer so schnell hinter dein Geheimnis kommen, es sei denn... die mischen da auch mit... Scheint so, als wenn diese Schauspielerin dir einiges beigebracht hat, ohne es zu bemerken, oder sind das deine Gene? Dein Großvater war ja ein dermaßen guter Schauspieler, dass er so ziemlich jeden hinter’s Licht führen konnte, besonders die Presse...’

Wie gut, dass es sich dieser Kerl in den USA gutgehen ließ und keinen von ihnen belästigte, er lebte ja für seine Schauspielerei und den daraus resultierenden Ruhm – vor allem wegen den vielen Frauen, die ihn gerne ehelichen wollten und sich immer wieder von ihm reinlegen ließen. Die fielen doch fast alle auf seinen falschen Charme hinein. Sicher waren da auch sehr viele dabei, die nur sein Geld wollten, was kein Grund war, so mit ihnen umzugehen, wie er es zu tun pflegte. Er war ein übler Macho, sehr viel schlimmer als Sêiichî je sein könnte. Seine Exfreundinnen stellte er öffentlich bloß, in dem er über Dinge sprach, die sie vielleicht lieber geheim halten wollten. Abgehoben war der Typ auch noch – wieso mussten zwei Männer, die er nicht leiden konnte, eigentlich so wie sein Vater heißen?

„Wollen wir noch etwas trinken, oder willst du zu deinem Date verschwinden?“ fragte Ryochi mit einem frechen Lächeln, weil ihn das nun doch interessierte.

„Date?“ Der Angesprochene begann zu lachen und schüttelte dann den Kopf. „Ich bin alleine gekommen, ich hatte kein Date. Sie ist mir einfach so begegnet, da dachte ich, man kann ja mal schauen, wie sie so ist. Mehr war nicht, ehrlich...“

„Ich habe euch beobachtet... Hat sie dich nicht gelassen?“ Etwas Schadenfreude steckte in den Worten des Detektivs, was Sêiichî zum schmollen brachte.

„Wenn ich wollte, würde sie sicher auch wollen... Da bin ich sicher, aber ich will nicht.“ Ein Seufzen kam und Sêiichî senkte etwas deprimiert den Kopf. „Wieso auch, wenn ich genau weiß, dass es nicht dasselbe sein würde?“

„Ach herrje, was hat sie nur mit dir angestellt, dass du so etwas sagst?“ Sie konnte doch nicht um ein Vielfaches besser als der Rest sein, dass sein Freund keine anderen hübschen Frauen mehr wahrnahm – das passte nicht zu ihm. Eigentlich hätte er sich darüber freuen wollen, aber wenn er ihn schon so einer gefährlichen Dame überlassen sollte, wollte er wenigstens alles darüber wissen.

„Wenn ich das wüsste, könnte man vielleicht etwas dagegen machen...“

„Baka...“ Sêiichî hatte Angst sich zu verlieben, deswegen sagte Ryochi es. Es war doch so – hoffnungslos. Er hatte Angst, gab es nur nie zu. „Ich will nur nicht, dass dir jemand wehtut, indem er mit deinen Gefühlen spielt – ich will sie dir nicht ausreden, aber auch nur, wenn du glücklich bist.“

„Na ja... Ich kann mich wohl kaum beschweren – wenn sie mich gerade mal nicht anzickt, haben wir die besten Spielchen, die es gibt, mir fehlt es an nichts – wirklich!“ Sêiichî lächelte nun ernsthaft glücklich – vielleicht war er es teilweise sogar in den Stunden, die sie verbrachten. Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn diese Stunden zu Tagen wurden, aber das war nun wirklich ein affenähnliches Klammerverhalten, das sie auf die Dauer nicht ertragen konnte, deswegen stellte er seine Bedürfnisse etwas weiter hinten an, um sie wenigstens behalten zu können.

„Ist sie jemand, dem du vertrauen kannst? Hat sie dich schon einmal einfach so im Arm gehalten, wenn du traurig warst?“ Der Braunhaarige ignorierte die Worte rund um Sêiichîs Sexualtrieb, das passte jetzt doch nun wirklich nicht hierher. „Oder ist sie wirklich so ein Biest, wie man sagt?“

Neugierig wurde Sêiichî angesehen, welcher fast lachen musste.

„Ich bin doch nicht aus Zucker, sicher werde ich niemals vor ihr weinen... So soll sie mich gar nicht sehen. Und trösten tut nur einer in unserer Beziehung, und der bin ich. Aber ich kann dir Entwarnung geben. Wenn es mir schlecht geht, ist sie meistens da, um mir beizustehen.“ Es gab diese Tage, an denen sie unerreichbar war, oder einfach ihre Ruhe wollte, aber ansonsten hörte sie ihm immer zu, wenn er ihr etwas zu sagen hatte. Die Dinge hatten sich ja auch gebessert, seit sie sich etwas voneinander gelöst hatten, es schien, als wäre es das gewesen, was beide gebraucht hatten – ein klein wenig Abstand. Es ging ihm jetzt besser, kein Grund sich weiterhin zu sorgen. „Und du solltest wissen, dass Biester mich erst so richtig auf Touren bringen...“ Sêiichî grinste breit – harmlose Frauen waren ihm doch zu langweilig, manchmal brauchte er etwas Gezicke. „Und wenn wir uns gerade total in den Haaren hatten, ist der Sex am besten.“

„Das will ich nicht wissen, Sêiichî, behalt’s für dich.“ Das Einzige, was ihn schließlich interessierte, war, ob sie das war, was sein Freund brauchte.

„Was denn dann? Kitsch? Soll ich sagen, dass ich mich beim ersten Blick in ihre Augen in sie verliebt habe? Ich habe das Gute, das sie zu verstecken versuchte, gesehen. Ihre geheimen Gedanken, die sie hegt... Das alles macht sie faszinierend. Es ist das, was sie ausstrahlt. Für mich ist sie der hellste Stern am Himmel... Sie strahlt so hell, dass ich total geblendet bin vor lauter Gier. Dermaßen hingezogen zu einer Frau habe ich noch nie gefühlt – mein Liebesleben dreht sich nur um diese eine, verstehst du das?“

„Hast du ihr das so schon mal gesagt?“ Welche Frau würde solche Worte nicht mögen? Und Chris Vineyard war nun einmal dafür bekannt, dass sie die Schönste sein wollte. Wenn ihr dann ein Mann genau das sagte, kam das garantiert bei ihr an, so schätzte der Detektiv sie jedenfalls ein. „Na?“

„Spinnst du denn? Das ist mir peinlich...“ Röte stieg dem Kriminalisten ins Gesicht. Niemals würde er ihr solche Worte sagen, wie stand er denn dann da?

„Wieso peinlich? Du musst es ja nicht übertreiben. Sag ihr doch einfach, dass du dich nur für sie interessierst. Wenn sie das ausnutzt, um ihre Arroganz rauszulassen, kannst du sie abhaken. Wenn sie dich aber anlächeln sollte, dann sei dir sicher, dass es sie berührt hat...“

Sêiichî lief ein eiskalter Schauer bei dem Gedanken über den Rücken. Was, wenn sie dann wirklich abhob und es ausnutzte, wenn er ihr so etwas sagte? Nein, das wollte er lieber nicht riskieren, es war gut so, wie es war, man musste nicht unbedingt schon wieder etwas ändern. Sie würde sich vielleicht wieder eingeengt fühlen und sich ihm entziehen...

„Sie mag Geheimnisse – deswegen werde ich gerade das nicht tun, sie soll im Unklaren sein.“ Er versteckte seine verdammte Feigheit hinter ihrer Liebe zu Geheimnissen, im Grunde hatte er einfach nur Angst, sonst gar nichts.
 

Tief in der Dunkelheit der Nacht klagte eine junge Frau unter Schmerzen, immer wieder sagte sie dieselben Worte. „Lass mich los, das tut weh…“ Der wiederholende Klang ihrer Stimme offenbarte ihre Angst und auch das Zittern, welches ihr Körper erfahren musste.

Seine vor Gier grausam strahlenden Augen blickten ihr entgegen. „So macht es mir gleich noch mehr Spaß, du hast mich also erkannt, Süße.“ Seine Hand hatte das Kinn der 21-jährigen gepackt und er drückte grob hinein, bevor sich seine Lippen auf ihren wieder fanden. Die abwehrenden Geräusche ignorierte er, heute sah sie besonders atemberaubend aus – na gut, nur Shina war um ein Vielfaches schöner, was den Braunhaarigen aber nicht von seinem Ziel ablassen ließ. Er hatte vor etwas zu erreichen – er wollte Rache und ihrem Bruder ein wenig wehtun…



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück