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Die letzten zehn Tage

von

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Tag 8 - Freitag

Müde öffnete ich die Haustür. Meine Mutter war nicht da, das sah ich allein schon daran, dass ihre Schuhe nicht mitten im Flur lagen. Ungewohnt, aber irgendwie nicht schlecht.

Ich schmiss gerade meinen Ranzen in die Ecke neben meinem Schreibtisch, als ich in der Küche ein lautes Scharren hörte. Ich zuckte zusammen. Hatten wir Einbrecher im Haus? Ratten? Für Mäuse war es zu laut. Irgendwelche Vertreter? Nein, rief ich mich zur Ruhe, die konnten gar nicht reinkommen, weil sie sonst eine Anklage riskierten, ihren Job und noch viel Trallala dazu.

Leise schlich ich durch den Flur. Irgend etwas Großes, Hünenhaftes stand in unserer Küche. Ich fing an zu zittern. Wahrscheinlich war es doch ein Einbrecher. Oder vielleicht sogar ... ich wagte nicht nachzudenken. Was, wenn meine Oma väterlicherseits gekommen war?

Vorsichtig machte ich die Tür einen Spalt auf.

Und schrie.

Der Typ, der in der Küche stand schrie auch und drehte sich mit dem großen Brotmesser in der Hand zu mir um.

Ich schrie noch lauter und schnappte mir den Besen aus der Ecke.

Er steigerte seine Lautstärke auch nochmal um ein gutes Stück und nahm sich ein Holzbrettchen als Schild aus dem Schrank.

Ich fing an, regelrecht zu kreischen und nahm mir den Stuhl.

Dann fing er an, zu husten.

"Ohgottohgottohgottohgott!", rief ich, auch schon etwas heiser, und sprang auf ihn zu. "Alex, alles okay?" Mein großer Bruder lief blau an und nickte verzweifelt. Dann schmiss er das Küchenmesser und das Holzbrettchen in die Spüle und klappte kunstvoll zusammen.

Ich rannte zu ihm hin, kniete mich neben ihn und schlug ihm dabei den Stuhl gegen die Stirn. Er stöhnte und hob langsam das eine Augenlid. "Willst du mich töten?" Ich sah abwechselnd den Stuhl und ihn an. Er stöhnte wieder und rappelte sich auf. "Ich hol mir nen Kühlakku", sagte er und verschwand.

Langsam stellte ich den Besen und den Stuhl zurück an ihre Plätze, um mich dann auf zweiteren fallen zu lassen. Mein Bruder war zurück auf Australien. Er hatte ein Messer in der Hand gehabt. Und er hatte es nicht benutzt. Es schien, als hätte er mir das Malheur von vor zwei Jahren endlich verziehen.

Ich schrak auf, als er sich mit einem lauten Plumps auf den anderen Stuhl fallen ließ. "Wo ist denn Mum?", fragte er.

"Bist du denn nicht mehr sauer auf mich?", fragte ich ihn erstaunt.

"Nein."

"Nein?"

"Nein!"

"NEIN???"

Er sah mich böse an. "Wenn du weiter alles zehnmal wiederholst, was ich sage, werd ich aber schnell wieder sauer!"

Ich hielt vorsichtshalber die Klappe. Mit großen Brüdern verscherzt man es sich allein schon deswegen besser nicht, weil sie mehr Einfluss als man selbst und einen Führerschein haben. Vom Perso und vielen Kontakten ganz zu schweigen.

"Nein, ich bin nicht mehr sauer", fuhr er fort, als wäre nichts gewesen. "Ich glaube, es ist ganz gut, dass du seinerzeit solchen Mist gebaut hast. Ich hab mich demletzt von ihr getrennt."

Ich traute meinen Ohren nicht. "Du hast dich von ihr getrennt?"

Sein warnender Blick ließ mich wieder in mich gehen.

"Ja, ich habe mich von ihr getrennt", seufzte er schließlich. "Ich habe dir damals nicht geglaubt, als du mir gesagt hast, dass sie eine 'elende Nutte' ist und dass sie doch mit jedem außer mir ins Bett geht. Ich hätte auf dich hören sollen."

Ich erinnerte mich noch gut, wie ich diese arrogante Kuh beschimpft hatte, als sie daneben stand. Ich wusste nicht mehr genau, als was ich sie alles bezeichnet hatte, aber 'elende Nutte' war, glaube ich, noch einer der netteren Ausdrücke gewesen. Mich hatte noch Monate später das schlechte Gewissen geplagt, weil ich mich in dem Moment hatte gehen lassen, nur weil ich gedacht hatte, sie mit einem anderen Typen gesehen zu haben. Mein Bruder hatte größte Probleme gehabt, sie wieder zurückzuerobern, und dass er mit ihr jetzt Schluss gemacht hatte, überraschte mich.

"Was ist denn passiert, dass du ihr den Laufpass gegeben hast?", fragte ich neugierig.

"Sie ist mit einem anderen ins Bett gegangen – über mehrere Monate hinweg. Oder, um genau zu sein, mit meinem besten Freund, der das gar nicht mitbekommen hat und mit ihr Schluss gemacht hat, als er mitbekommen hat, dass sie eigentlich mit mir zusammen war, und verschiedenen anderen Typen, die ich alle nur vom Sehen in der Stadt kenne. Die meisten sind stinkreiche alte Männer, die selbst wahrscheinlich Familie haben."

"Warum hat dir Timo denn nicht Bescheid gegeben, als er das rausgefunden hatte?"

"Hat er, aber ich habe nicht auf ihn gehört."

Ich sah ihn nachdenklich an. Er schien sehr gefasst zu sein, obwohl das noch gar nicht so lange her sein konnte. Wenn Chris das gemacht hätte, hätte ich mich wahrscheinlich heulend in irgend eine Ecke verkrochen und wäre vor Enttäuschung, Wut und Selbstmitleid erst mal nicht mehr rausgekommen.

"Woran denkst du?", fragte Alexander mich.

"Ich bin im Moment mit einem Jungen aus einer Klassenstufe über mir zusammen", erklärte ich zögernd. "Ich habe mich gerade gefragt, was ich machen würde, wenn er so eine Show abziehen würde."

"Es zog sich schon ewig so hin", erklärte Alex. "Am Ende war es eigentlich nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Wir stritten uns ständig über Kleinigkeiten und am Ende gab es dann Türengeknalle." Er sah mich fragend an. "Magst du was über deinen Traumprinzen erzählen oder lieber nicht?"

Ich überlegte. Auf der einen Seite wäre es schon schön gewesen, mal jemandem von Christian erzählen zu können, aber auf der anderen Seite war er immer noch er. Schließlich rang ich mich dazu durch, ihm einen Teil zu erzählen.

"Er heißt Christian und ich hab ihn letzten Samstag gefragt, ob wir uns vielleicht mal treffen könnten. Dann gin eigentlich alles ziemlich schnell. Ich weiß nicht, vor zwei Wochen kannten wir uns nur vom Sehen und inzwischen laufen wir Händchen haltend durch die Gegend." Ich dachte an vorgestern und wurde rot.

"Habt ihr euch schon geküsst?", fragte Alex so begeistert, als wäre er eine pubertierende Teenagerin, die mit mir zusammen am Tisch saß und sich quietschend und giggelnd über den neusten Stand der Dinge informierte.

"Nein, haben wir nicht", sagte ich und musste grinsen.

"Warum grinst du?"

"Weil du aussiehst, als würden die gleich die Augen vor lauter Staunen aus den Höhlen fallen." Ich nahm mir einen Keks aus der angebrochenen Schachtel, die zusammen mit der alten Zeitung von vorgestern und ein paar schmutzigen Tellern auf dem Tisch lag, steckte ihn in den Mund und stand auf, um den Tisch abzuräumen.

Als ich die Teller auf die Spüle stellen wollte, fiel mir einer runter, genau auf den Fuß. Mit lautem Schmerzgeheul hüpfte ich vor den Augen meines Bruders dreimal durch die ganze Küche, bis es mir gelang, halbwegs normal stehen zu bleiben, und stützte mich an der Kante der Arbeitsplatte ab. Dabei schmiss ich, typisch ich, gleich auch die Gläser runter, die komischer Weise alle heil blieben.

Seufzend bückte ich mich und hob die Gläser und den Teller auf. Warum musste ich eigentlich so eine Chaosschachtel sein?

Mein Bruder legte mir von hinten seine Hand auf die Schulter. "Lass nur", sagte er grinsend, "ich mach den Rest. Bevor du alles runterschmeißt."

Deprimiert ging ich in die Richtung meines Zimmers. Es war so klar, dass so etwas genau dann wieder anfangen musste, wenn mein Bruder da war. Er machte sich doch so schon genug über mich lustig! Und die letzten zwei Tage waren so schön ruhig gewesen ...

Ich drückte die Klinke runter und zog an ihr. Im nächsten Moment lag ich überrascht im Schuhschrank und hielt die lose Klinke in der Hand, während die Tür unverändert verschlossen war. Was sollte das denn jetzt schon wieder?

"Musst du bei der Tür nicht drücken?", fragte mein Bruder, der lässig im Türrahmen stand und amüsiert meine momentane Position betrachtete.

Wütend stapfte ich zur Tür, steckte die Klinke auf den Stift und drückte – und stand daraufhin tatsächlich in meinem Zimmer.

Draußen im Gang lachte sich mein Bruder einen Ast. Ich seufzte. Bleib ruhig, beschwor ich mich, er kann nichts dafür. Du hättest in seiner Situation auch so gehandelt. Du hättest genauso gelacht, dich über ihn lustig gemacht.

Ich konzentrierte mich darauf, langsam zu laufen, als ich mich schließlich auf den Weg zum Balkon machte. "Ich geh mal kurz an die frische Luft", knurrte ich Alexander zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch zu, öffnete die Tür (an der man diesmal ziehen musste, wie ich beim dritten Versuch scharfsinnig bemerkte) und setzte mich auf einen der Klappstühle. Wie hätte es auch anders sein können, fragte ich mich, den Tränen nahe, als er plötzlich mit einem lauten Knacken zusammenkrachte.

Hinter mir räusperte sich mein Bruder und unterdrückte hörbar seinen lachkrampf. Er schlug sich nicht schlecht. "Der Stuhl ist übrigens kaputt", sagte er, fürsorglich wie immer.

Warum hatte ich nur das Gefühl, dass sich heute alles gegen mich verschworen hatte?
 

Als ich schließlich ohne weitere Zwischenfälle in meinem Zimmer saß und Computer spielte, bekam ich über ICQ eine Nachricht von jemandem namens 'Kekskiller'. Verwirrt starrte ich auf die Nachricht. Wer sollte mir schon schreiben?

Hast du die Aktion mit dem Mädchen heute mitbekommen?

Wer bist du?, fragte ich zurück.

Chris. Ich hab dich einfach mal geaddet.

Ich zog überrascht die eine Augenbraue hoch. Ich wusste zwar, dass es so was wie ICQ gab, aber ich hatte es noch nie benutzt. Ich sah es einfach mal neutral, dass ich so urplötzlich damit konfrontiert wurde.

Was soll denn mit dem Mädchen passiert sein?

Es dauerte eine Weile, bis die Antwort kam.

Irgend so ein Irrer hat einem Mädchen aus der Zwölften einen Brief geschrieben, dass er sie umbringen wollte, vor drei oder vier Tagen. Dann hat er sich jeden Tag gemeldet, von wegen sie solle sich nicht an die Polizei wenden, sonst würde er ihren Onkel umbringen. Na ja, er hat genauer gesagt geschrieben, sie würde am Sonntag sterben. Sie hat sich natürlich trotzdem an die Polizei gewendet und hat das Ganze als Stalking gemeldet. Kurze Zeit später ist ihr Onkel mit einem Schnitt durch die Kehle umgebracht worden und sie ist mit ihren Eltern irgendwo hingefahren, niemand wusste wo hin. Aber ich hab von ihrer Freundin erzählt bekommen, dass die Nachrichten trotzdem weitergehen und dass das Mädchen so langsam an Verfolgungswahn leidet. Welcher Typ macht so was schon?

Jemand, dem es von Kindesbeinen an Spaß macht, katzen zu töten, um die Besitzer zur Verzweiflung zu bringen, dachte ich bei mir.

Ich weiß es nicht, schrieb ich stattdessen, aber der Typ muss einfach nur geisteskrank sein. Und es ist wirklich an unserer Schule passiert?

Ja.

Mir fuhr ein Schauer über den Rücken. Wie musste es wohl sein, das Gefühl zu haben, nur noch eine begrenzte Zeit zur Verfügung zu haben? Dann rief ich mich wieder zur Vernunft. Schließlich war es ja mehr oder weniger genau das, was ich seit letzter Woche Freitag tat.

In dem Moment, wo ich den Gedanken ausformuliert hatte, kam auch schon wieder der nächste Eintrag von Chris.

Hast du am Samstag Zeit? Hättest du Lust, dich mit mir um vier im Park zu treffen?

Geht nicht, antwortete ich, am Samstag wollen wir mit der ganzen Familie grillen, weil mein Bruder von seinem Aupairjahr zurück ist. Was hältst du davon, wenn wir uns im Park treffen und zu mir gehen?
 

Als ich später, gegen halb zwölf, im Bett lag, dachte ich schläfrig an den nächsten Tag. Es würde bestimmt klasse werden, dann könnte ich direkt Chris meinen Eltern vorstellen.

Wie als Kommentar dazu knarzte der eine Pfosten meines bettes, gab nach und ich rollte über die Schulter zu Boden.

Nun ja, vielleicht war mein Bruder ja so nett, mich wenigstens aus den größten peinlichkeiten herauszuhalten. Auch, wenn das sehr unwahrscheinlich war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2006-07-14T11:24:08+00:00 14.07.2006 13:24
^^lustig...ich hoffe du schreibst bald weiter....die Geschichte ist einfach nur....lustig^^...
Von: abgemeldet
2006-07-11T16:24:18+00:00 11.07.2006 18:24
Einfach tooooooll... Super,einfach Super! Hoffe das klappt alles wunderbar in den ferien ;) U know..^^
Von: abgemeldet
2006-07-11T09:38:00+00:00 11.07.2006 11:38
hi
Das kapitel ist echt cool! jetzt kommt es wieder zum hauptthema eigentlich, das find ich gut ;)
Hoffe du hast zeit bald weiterzuschreiben, denn ich freu mich scho druff, bin ganz gespannt :)
Bis denne zum nächsten Kapi ^^
MICROMINNI


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